Der Frauenjäger
Roman
Ein alter Freund von Marlene steckt in Schwierigkeiten. Selbstlos hilft sie ihm - und gerät dabei ins "Beuteschema" des Frauenjägers. Als sie eines Tages erwacht, herrscht um sie herum totale Dunkelheit: Sie wurde entführt und muss um ihr Leben zittern.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Frauenjäger “
Ein alter Freund von Marlene steckt in Schwierigkeiten. Selbstlos hilft sie ihm - und gerät dabei ins "Beuteschema" des Frauenjägers. Als sie eines Tages erwacht, herrscht um sie herum totale Dunkelheit: Sie wurde entführt und muss um ihr Leben zittern.
Klappentext zu „Der Frauenjäger “
Dein Leben ist perfekt. Doch er lauert schon im Dunklen.Keiner weiß, dass es ihn gibt. Niemand hat die Zeichen erkannt, niemand die Frauen gefunden. Frauen, die seiner Meinung nach Parasiten sind. Die sich von ihren Männern aushalten lassen und diese betrügen. Auch Marlene muss nicht arbeiten. Ihr Mann ist erfolgreicher Unternehmensberater, sie hat zwei wohlgeratene Kinder, ein Haus kurz: alles, was man braucht. Nur das Gefühl, gebraucht zu werden, fehlt ihr oft. Nur zu gerne hilft Marlene daher einem alten Freund aus der Klemme. Kurz darauf erwacht sie in totaler Finsternis ...
"Petra Hammesfahr schafft Spannung mit Andeutungen, mit raffinierter Erzählweise und fesselnden Geschichten." (Stern)
Dein Leben ist perfekt. Doch er lauert schon im Dunklen.
Keiner weiß, dass es ihn gibt. Niemand hat die Zeichen erkannt, niemand die Frauen gefunden. Frauen, die seiner Meinung nach Parasiten sind. Die sich von ihren Männern aushalten lassen und diese betrügen. Auch Marlene muss nicht arbeiten. Ihr Mann ist erfolgreicher Unternehmensberater, sie hat zwei wohlgeratene Kinder, ein Haus - kurz: alles, was man braucht. Nur das Gefühl, gebraucht zu werden, fehlt ihr oft. Nur zu gerne hilft Marlene daher einem alten Freund aus der Klemme. Kurz darauf erwacht sie in totaler Finsternis ...
"Petra HamMesfahrschafft Spannung mit Andeutungen, mit raffinierter Erzählweise und fesselnden Geschichten." -- Stern
Keiner weiß, dass es ihn gibt. Niemand hat die Zeichen erkannt, niemand die Frauen gefunden. Frauen, die seiner Meinung nach Parasiten sind. Die sich von ihren Männern aushalten lassen und diese betrügen. Auch Marlene muss nicht arbeiten. Ihr Mann ist erfolgreicher Unternehmensberater, sie hat zwei wohlgeratene Kinder, ein Haus - kurz: alles, was man braucht. Nur das Gefühl, gebraucht zu werden, fehlt ihr oft. Nur zu gerne hilft Marlene daher einem alten Freund aus der Klemme. Kurz darauf erwacht sie in totaler Finsternis ...
"Petra HamMesfahrschafft Spannung mit Andeutungen, mit raffinierter Erzählweise und fesselnden Geschichten." -- Stern
Lese-Probe zu „Der Frauenjäger “
Der Frauenjäger von Petra Hammesfaht Prolog
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Es war die Schuld seiner Mutter, einzig und allein ihre Schuld, daran gab es nichts zu rütteln. Sie hatte ihm schon früh diesen Abscheu eingeimpft, aus dem später Verachtung und irgendwann Hass geworden waren. Abgrundtiefer Hass auf alle Weiber, die so waren wie sie. Wenn er aus der Schule kam, so mit elf, zwölf Jahren, hatte sie ihm oft im Morgenmantel die Haustür geöffnet. Manchmal trug sie gar nichts darunter, manchmal Unterwäsche, die diesen Ausdruck nicht verdiente. Das Makeup in ihrem Gesicht war zerlaufen, der Lippenstift verschmiert. Und sie, ihr Bett, das ganze Schlafzimmer stank nach Kerl, war erfüllt von den Ausdünstungen zweier Körper, die das miteinander getrieben hatten, was sie als «guten Sex» bezeichnete. Mit seinem Vater hatte sie nie guten Sex gehabt, nur ehelichen Beischlaf. «Den Unterschied wirst du hoffentlich feststellen, wenn du älter bist, Schätzchen», sagte sie einmal zu ihm. Da war er dreizehn oder vierzehn und hasste es, wenn sie ihn Schätzchen nannte. Ihn schüttelte der Ekel, wenn sie ihm das Gesicht mit dem schweißfleckigen Make-up hinhielt, die verschmierten Lippen spitzte und fragte: «Was denn, kriege ich heute keinen Kuss?» Sie küsste ihn grundsätzlich auf den Mund. Und mit dreizehn, vierzehn wusste er längst, dass sie kurz vorher den Schwanz von irgendeinem Kerl gelutscht hatte. Im Laufe der Zeit hatte sie viele Kerle. Zu Gesicht bekam er nur selten einen. Meist kamen sie vormittags, wenn er in einem Klassenraum saß und «nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernte». Was für ein Quatsch! Nichts von dem, was er fürs Leben brauchte, hatte er in der Schule gelernt. Sein Vater schuftete währenddessen bei fünfzig oder noch mehr Grad in einer Aluminiumgießerei, um der Schlampe ein angenehmes Leben zu bieten und ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Sie musste nur eine Andeutung machen, dann überschlug sich der Alte, um sie zufriedenzustellen. Sein Vater war fünfzehn Jahre älter als sie, ein großer, bulliger Mann, vor dem viele einen Heidenrespekt hatten. Hätte man ihm eine Lederjacke mit entsprechenden Schriftzügen angezogen und ihn auf ein Motorrad gesetzt, die halbe Welt hätte Reißaus vor dem vermeintlichen Höllenengel genommen. Er sah aus, als könne er mit Leichtigkeit ein Gesicht zu Brei schlagen. Aber er hatte das Gemüt eines Schafs, ließ sich von der Schlampe ausnutzen und auf der Nase herumtanzen, statt sie einmal in die Schranken zu weisen. Sein Vater tat immer so, als wüsste er nicht, dass sie fremde Kerle ins Ehebett ließ, während er sich an der Aluminiumpresse die Seele und seinen Stolz aus dem Leib schwitzte. Aber vermutlich wusste er es ganz genau, litt wie ein getretener Hund und fraß den Schmerz in sich hinein, bis der ihn umbrachte. Herzinfarkt mit achtundfünfzig, auf der Fahrt zur Arbeit, Kontrolle übers Auto verloren und so weiter. Als die Rettungskräfte an der Unfallstelle eintrafen, war sein Vater bereits tot. Allerdings war er nicht an dem Infarkt gestorben, sondern an einem Genickbruch. Für die Schlampe zahlte sich das in barer Münze aus, weil der Tod damit als Unfallfolge durchging. Er war neunzehn, seine Mutter dreiundvierzig. Sie bezog fortan Witwen- und Unfallrente, und nicht zu knapp. Finanzielle Sorgen kannte sie auch nach dem «tragischen Verlust ihres geliebten Gatten» keine. Sie erdreistete sich tatsächlich, es so in eine Anzeige setzen zu lassen. Nur die Kerle wurden weniger, weil sie nicht jünger wurde und ihre Ansprüche nicht herunterschraubte. Was altersmäßig zu ihr passte, war ihr nicht scharf genug. Sie wurde unleidlich, begann ihn herumzukommandieren und zu schikanieren. Sie erwartete allen Ernstes, dass nun er sprang, wenn sie pfiff, wie der Alte es zuvor getan hatte. Bis er sie eines Besseren belehrte. Und nicht nur sie. Es gab ja noch mehr, die sich auf Kosten eines Mannes einen schönen Lenz machten und fremdgingen auf Deibel komm raus. Diese Weiber aus der Welt zu schaffen, das war seine Bestimmung. Für ihn waren sie nicht einmal wert, bei ihren Namen genannt zu werden. Ihnen eine Nummer zu geben reichte in seinen Augen und für sein Archiv vollkommen aus. Nummer eins gabelte er spätabends an einer Bushaltestelle auf. Obwohl das mittlerweile einige Jährchen zurücklag, erinnerte er sich noch genau an jede Einzelheit, was daran liegen mochte, dass er an dem Abend ziemlich nervös gewesen war. Losgefahren war er mit dem Vorsatz, eine Schlampe aufzulesen, und zwar so, dass es keine Zeugen gab, die ihn mit ihr sahen und der Polizei später, wenn sie vermisst wurde, eine Beschreibung von ihm oder seinem Fahrzeug geben konnten. Aber er hatte keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen sollte. Ob er aussteigen und eine überwältigen müsste, die so spät noch allein unterwegs war. Wie er es vermeiden könnte, dass sie um Hilfe schrie. Dass er sie gleich betäuben müsste, damit sie sich nicht wehrte, hatte er überlegt. Und dann war es so einfach. Sie war erst Anfang zwanzig, stand da und winkte hektisch, als er sich näherte. Als er neben ihr hielt, sprang sie regelrecht auf den Beifahrersitz. Mit ihr kam ein Schwall feuchtkalter Luft herein. Es war November, und es nieselte. Angeblich war ihr der letzte Bus vor der Nase weggefahren. Der nächste käme erst morgen früh um Viertel nach fünf, behauptete sie. Möglich, dass es zutraf, er stieg nicht aus, um sich auf dem Fahrplan vom Wahrheitsgehalt ihrer Worte zu überzeugen. Sie hatte eine Reisetasche dabei, die sie auf ihrem Schoß hielt, bis er sie von dem Teil befreite und es nach hinten auf die Rückbank warf. Da wusste er schon, dass ihr Freund sie vor die Tür gesetzt hatte, weil sie kein Kind von Traurigkeit und ihr Freund angeblich krankhaft eifersüchtig war. Vor lauter Erleichterung, nicht die ganze Nacht in der feuchten Kälte stehen zu müssen, sprudelte sie förmlich über. Ihrem Freund würde das bald leidtun. Es sei nicht das erste Mal, dass er sie rausgeworfen hätte. Und bisher habe er noch immer nach spätestens zwei Tagen reumütig angerufen, sie um Verzeihung gebeten und angefleht zurückzukommen, weil er ohne sie nicht leben könne. Deshalb wolle sie nicht zu weit weg und keinesfalls zu ihren Eltern. Die würden nur wieder ihrem Freund recht geben und ihr Vorträge über einen ordentlichen - sprich antiquierten - Lebenswandel halten. «Ich brauche nur vorübergehend eine Unterkunft», sagte sie. «Ein preiswertes Hotel oder eine billige Pension. Du kennst nicht zufällig was in der unteren Preisklasse?» Das nicht, aber er kannte einen Ort, an dem sie nicht mit Geld bezahlen musste. Genauso drückte er das aus und ergötzte sich an ihrer Dämlichkeit. Sie verstand es natürlich falsch, freute sich auch noch über sein Angebot, legte ihm eine Hand aufs Bein und schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen. «Lieb von dir. Du wirst es nicht bereuen. » Tat er auch nicht. Sie bereute. Knappe sechs Tage lang. Die meiste Zeit bei vollem Bewusstsein. Nummer zwei war schon Ende dreißig und hätte ein Zwilling seiner Mutter sein können - nicht nur vom Äußeren her. Er las sie vor einer Kneipe auf. Sie war total betrunken und machte ihn dermaßen unverschämt an, dass er unweigerlich dachte, sie sei früher mal auf den Strich gegangen. Ihr Mann schuftete als selbständiger Handwerker täglich bis weit in die Nacht hinein, damit sie es warm und gemütlich hatte. Und sie fühlte sich vernachlässigt, brauchte ab und zu was fürs Herz, brauchte das Gefühl, noch eine Frau zu sein, nach der Männer sich umdrehten, erzählte sie ihm während der Fahrt. Da glaubte sie noch, sie würde in seinem Bett landen. Sie hielt nicht mal vier volle Tage durch. Mit Nummer drei und Nummer vier ließ er sich im Vorfeld mehr Zeit, beobachtete sie wochenlang, folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Die Genugtuung war einfach größer, und er konnte sich seiner Sache vollkommen sicher sein, weil er sie besser kennenlernte, ehe er sie aus der Welt schaffte. Danach blieb er wochenlang in der Nähe ihrer Angehörigen. Und wie oft bedauerte er, dass der Freund von Nummer eins, der biedere Handwerker und die Männer von Nummer drei und vier nie erfahren durften, was er für sie getan hatte. Ihren größten Fehler korrigiert, sie von einer Schlampe befreit, von der sie sich selbst nicht hatten befreien können, weil sie zu schwach, zu nachsichtig oder beides waren. Nach seinem Eingreifen konnten sie neu beginnen mit einer Frau, die es vielleicht eher verdiente, geliebt zu werden. Von Zeit zu Zeit schaute er nach dem Rechten und genoss diesen Triumph, den er leider mit keiner Menschenseele teilen konnte. Andere hätten sein Handeln wahrscheinlich nicht verstanden und dafür gesorgt, dass polizeiliche Ermittlungen gegen ihn eingeleitet wurden. So lebte er völlig unbehelligt in der Gewissheit, dass sein Tun gut und richtig war. Dem Freund von Nummer eins ging es ohne das Weib entschieden besser. Er hatte schon kurz nach dem Verschwinden der Schlampe ein nettes, anständiges Mädel kennengelernt und ein Jahr später geheiratet. Mittlerweile war er stolzer Vater von zwei hübschen, gescheiten Kindern. Der biedere Handwerker hatte sich mit einer Witwe zusammengetan, die zwar keine Schönheit war, aber gerade deswegen sehr bemüht um den Mann. Der Mann von Nummer drei war eine Zeitlang untröstlich gewesen, hatte den Verlust nur schwer verkraftet. Aber inzwischen hatte auch er einen Ersatz gefunden - eine Polizistin, bei der er ständig nach neuen Erkenntnissen gefragt hatte. Das Schicksal ging seltsame Umwege, um doch noch die Menschen zusammenzubringen, die füreinander bestimmt waren und einander zu schätzen wussten. Der Mann von Nummer vier lebte seit zwei Jahren mit einer Kollegin zusammen, die sich rührend um ihn und den kleinen Sohn der Schlampe kümmerte. Weil sie nun selbst schwanger war, bemühte der Mann sich um eine Scheidung in Abwesenheit. Für tot erklären lassen konnte er seine vermisste Frau noch nicht. Es gab keine Leiche, und es war noch keine zehn Jahre her. Der Mann von Nummer fünf ... Das war ein Kapitel für sich, eine ärgerliche Geschichte, äußerst ärgerlich, die ihn aber nicht davon abhielt weiterzumachen. Freunde Nummer neun Es war schwarz ringsum, nicht nur dunkel, was früh um sechs an einem eisigen Januarmorgen noch normal gewesen wäre, obwohl Werner den Rollladen nie vollständig herabließ. Es blieben immer Ritzen, die sich auf der gegenüberliegenden Wand abzeichneten, und sei es nur als schwaches, grau-gelbes Muster, hervorgerufen von einer Laterne neben dem Weg am Bach, der hinter ihrem Garten vorbeiführte. Es gab kein Muster, weil es kein Fenster gab und keine Wand. Marlene Weißkirchen erwachte nicht in ihrem Schlafzimmer, in dem ihr Mann regelmäßig neben dem Bett sein frühmorgendliches Fitnessprogramm absolvierte, während sein Radiowecker sie mit Musik, Werbeeinblendungen und den stündlichen Nachrichten aus dem meist viel zu kurzen Schlaf plärrte. Sie erwachte auch nicht kurz vor sechs in der Frühe wie sonst an einem Wochentag. Aber wie spät es war, als ihr mühsames Auftauchen aus tiefer Bewusstlosigkeit begann, konnte nie geklärt werden. Zuerst registrierte sie ihre unbequeme, schmerzhafte Lage - wie auf dem Nagelbett eines Fakirs. An unzähligen Stellen pikste und stach es. Allerdings war sie nicht imstande, etwas dagegen zu unternehmen. Ihr Körper fühlte sich an, als gehöre er nicht zu ihr. Arme und Beine spürte sie gar nicht. Und in ihrem Kopf schien sich eine Horde fleißiger Handwerker eingenistet zu haben, die eifrig bohrten, hämmerten und mit spitzen Werkzeugen auf die Schädeldecke einstachen. Die Lider klebten an den Augäpfeln, wollten sich partout nicht lösen. Ihre Lippen pappten ebenfalls aufeinander wie zugeschweißt. Als es ihr nach geraumer Zeit gelang, die Zungenspitze zwischen die Lippen zu schieben, schmeckte sie Blut. Bei den vorangegangenen Versuchen, den Mund zu öffnen, waren ihre spröden Lippen eingerissen. Die rasenden Kopfschmerzen suggerierten ihr, sie hätte wieder mal höchstens zwei oder drei Stunden geschlafen. Und der Druck im Magen machte sie glauben, sie wäre irgendwann in der Nacht aufgestanden, um doch noch eine von den freiverkäuflichen Schlaftabletten zu nehmen, die sie nicht gut vertrug und nur nahm, wenn sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Werner riet ihr regelmäßig zu Baldrian, wenn er mitbekam, dass sie dieses Teufelszeug, wie er die Schlaftabletten nannte, schluckte. Baldrian! «Da kann ich auch Bonbons lutschen», hatte sie protestiert, nachdem er sie am Mittwoch der vergangenen Woche kurz vor zwölf geweckt hatte und sie danach gar nicht mehr zur Ruhe gekommen war. Ein ganz normales Leben Bis zu dem Mittwoch, an dem ihr Mann sich mitten in der Nacht mit blutdurchtränktem Hemd über sie gebeugt hatte, war in Marlene Weißkirchens Leben alles nach Plan - Werners Plan - verlaufen. Was nicht bedeutete, dass sie rundum zufrieden gewesen wäre. Sie hatte den Ausstieg aus ihrem Hausmütterchendasein verpasst und litt mal mehr, mal weniger darunter. Ihre Freundinnen hatten es geschafft oder zwangsläufig schaffen müssen. Annette verkaufte Bücher, las natürlich auch viele und nicht bloß solche, die ihr persönlich gut gefielen. Annette konnte überall mitreden. Wenn ihr Mann mit blöden Witzen ins Fettnäpfchen trat und es betretene Mienen gab, konnte Annette mit mindestens vier brisanten Themen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und eine heiße Diskussion anzetteln. Karola, deren Mann sich vor dreieinhalb Jahren aus dem Staub gemacht hatte, arbeitete seitdem beim lokalen Rundfunk, kannte Gott und die Welt und den Pressesprecher der Kreispolizeibehörde. Karola war stets informiert über die aktuelle Verbrechensrate, versorgte den halben Kreis mit guten Ratschlägen in allen Lebenslagen, wurde von zahlreichen Hörerinnen verehrt, bekam Fanpost - an den Sender adressiert -, hin und wieder sogar Heiratsanträge. Aber da sie sich nicht zur Scheidung von ihrem Absetzer aufraffen konnte ... «Da müsste ich erst mal wissen, wohin ich ihm die Post vom Anwalt schicken lassen sollte.» Ulla verdiente den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie bei Scheidweber & Co. Einem Landmaschinenhersteller, der sich vor mittlerweile drei Jahrzehnten im städtischen Industriegebiet angesiedelt hatte. Ihr Mann arbeitete in der Herrenabteilung des Einkaufscenters und stotterte mit seinem Lohn Schulden ab, womit er voraussichtlich noch bis ins Rentenalter beschäftigt war. Und Marlene lebte auf Werners Kosten entschieden besser als die drei anderen. Seit der Grundschule waren die vier Frauen befreundet. Es hatte sie mal einer als vierblättriges Kleeblatt bezeichnet, weil sie unzertrennlich waren. Ein verschworenes Grüppchen, zusammengeschweißt von einer Menge Unsinn, Albernheiten, gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamen Zukunftsplänen, die letztlich nicht in Erfüllung gegangen waren. Ob Kino oder Disco - keine von ihnen hatte je etwas allein unternommen. Mit siebzehn waren sie in Jenseits von Afrika gewesen. Ulla hatte am Ende geseufzt: «War das schön. Wir wissen gar nicht, was wir versäumen mit unseren Taschenrechnern und Durchlauferhitzern.» Und Karola hatte entschieden, dass ihr Zukünftiger wie Robert Redford aussehen und ein Abenteurer sein müsse. Ein Zukünftiger war zu der Zeit noch nicht in Sicht, weil es doch mit einem nicht getan war. Man stelle sich nur vor, eine von ihnen hätte sich verliebt, und der Auserwählte hätte die anderen drei nicht leiden können. Nach dem Abitur trennten sich ihre Wege tagsüber, aber nur wochentags. Marlene wurde bei einem Versicherungskonzern ausgebildet, Ulla in einem Autohaus, Annette im Buchhandel. Und Karola begann ein Studium - Archäologie und Ägyptologie, weil ihr immer noch ein Robert-Redford-Verschnitt im Hinterkopf tickte, der ihr mitten in der Wildnis die Haare wusch. Mit neunzehn zogen sie an einem Samstagabend zu viert durch einige Kölner Discotheken, bis Karola auf ein Quartett junger Männer aufmerksam wurde und sagte: «Mädels, wenn ich mich nicht verzählt habe, sind wir hier genau richtig. Ich nehme den im blauen Hemd. Teilt den Rest unter euch auf.» Der im blauen Hemd war Werner Weißkirchen, der Rest seine Freunde: Andreas Jäger, Christoph Barlow und Matthias Kranich. Die vier Männer waren ebenfalls seit der Schulzeit befreundet. Christoph nannte es mal einen von diesen Wahnsinnszufällen, die man in Romanen als unwahrscheinlich und unglaubwürdig abtut. Bei näherer Betrachtung war Werner alles andere als Karolas Typ. Er sah nicht aus wie Robert Redford, sondern eher wie Peter Strauss, der Rudy Jordache aus der Fernsehserie Reich und Arm, von der Marlenes Mutter in den siebziger Jahren selten eine Folge verpasst hatte. Abgesehen davon, hatte er mit Abenteuern rein gar nichts im Sinn. Werner war Bankkaufmann, allerdings keiner von den Zockern, die sich eine goldene Nase verdienten, indem sie anderer Leute Geld verspekulierten. Er war im Kreditwesen tätig, brauchte für alles Sicherheiten und machte Pläne, an die er sich hielt. Zwischen seinen leger gekleideten Kumpels, die sich auf der Tanzfläche bereitwillig wie Hampelmänner benahmen, um beim anderen Geschlecht Eindruck zu schinden, wirkte er steif, spießig und hausbacken. Dabei war er ein ausgezeichneter Tänzer. Er hielt nur nichts von Discogezappel. Nach Karolas Hinweis auf das Quartett sagte Annette: «Nicht so voreilig. Hier werden weitreichende Entscheidungen getroffen. Du kannst nicht über unsere Köpfe hinweg bestimmen, wer wen aufs Korn nimmt. Unter Umständen versauen wir uns damit den ganzen Abend.» Ulla stimmte zu: «Dem schließe ich mich an. Überlassen wir es doch erst mal den Jungs. Tauschen können wir immer noch, wenn wir meinen, dass eine andere Konstellation günstiger wäre.» Marlene äußerte sich nicht. Das tat sie eigentlich nie. Zwischen Karola, Annette und Ulla kam sie nur selten zu Wort. Bei Werner versuchte sie es gar nicht erst, er wusste ohnehin alles besser. Was nicht bedeutete, dass er besserwisserisch aufgetreten wäre. Er wusste tatsächlich schon mit zweiundzwanzig eine Menge mehr als andere. Und er hatte von der ersten Sekunde an nur Augen für sie. Verstanden hatte Marlene das bis heute nicht. Sie war nicht hässlich, aber auch nicht so hübsch und stark wie Ulla. Sie war nicht dumm, jedoch längst nicht so gescheit und schlagfertig wie Annette. Sie war nicht feige, allerdings auch nicht so wagemutig, wortgewandt und phantasiebegabt wie Karola. Sie war Durchschnitt, hatte zwischen zwei Brüdern daheim und im kleinen Kreis ihrer Freundinnen stets das Gefühl, nicht genug Präsenz aufbieten zu können, um als Individuum wahrgenommen zu werden. Und Werner hob sie aus der Unscheinbarkeit heraus. Karola hatte mal in einer Illustrierten gelesen, der Geruchssinn spiele bei der Partnerwahl eine entscheidende Rolle, auch wenn einem das gar nicht wirklich bewusstwürde. Seit Karola ihr das erzählt hatte, dachte Marlene manchmal, Werner hätte in ihr auf Anhieb die Partnerin gerochen, die seinen Genen nichts entgegensetzen konnte. Es war nämlich auf keinen Fall so - wie Annette es einmal behauptete -, dass sich ausgerechnet das Schaf im Kleeblatt den Goldfisch geangelt hätte. Der Fisch hatte sich vielmehr heißhungrig auf ein Würmchen gestürzt, das am Rande der aufgewühlten See - sprich überfüllte Tanzfläche voll zuckender Leiber und schlenkernder Gliedmaßen - einsam bei ihm zurückblieb, während Annette, Ulla und Karola sich mit seinen Freunden ins Getümmel stürzten. Karola richtete ihr Augenmerk schnell auf Andreas Jäger. Der hätte durchaus ein entfernter Verwandter von Robert Redford sein können. Damit nicht genug. Wie Karola im Damenkleeblatt war Andreas im Herrenquartett der Einzige, der studierte - allerdings nichts Exotisches, nur Maschinenbau an der Technischen Hochschule. Aber für ihn hätte der Duden umgeschrieben werden und mit dem Wort «Abenteuer» beginnen müssen. Andreas fuhr einen uralten Jeep, Baujahr 1942, geerbt vom Großvater, der das Gefährt bei Kriegsende einem amerikanischen GI abgeschwatzt hatte. Und Andreas hielt das Museumsstück selbst in Schuss, obwohl es längst keine Ersatzteile mehr gab und er bei jeder Reparatur basteln musste. Wenn er seinen Ingenieur in der Tasche hatte, wollte er mit dem Gefährt die Wüsten Afrikas und den Orient durchqueren, ehe er sich in die heimische Tretmühle spannen ließ. Er träumte auch von einem Trip durch den Regenwald Südamerikas, aber da käme er mit dem Jeep nicht durch. Damit sich sein Kreislauf auf die wechselhaften Klimabedingungen einstellte, bereitete er sich jetzt schon mit stundenlangen Bädern in heißem Salzwasser auf seine Touren vor, erzählte er. Karola war hin und weg. Die beiden schienen wie füreinander geschaffen. Ulla turtelte zwei Wochen lang mit Christoph Barlow. Der war wie Marlene in der Versicherungsbranche tätig, arbeitete jedoch für eine andere Gesellschaft und sprach davon, schon mit dreißig seine eigene Agentur zu haben. Christoph war ein Charmeur und ein Spaßvogel, wie man einen zweiten lange suchen musste. Er hatte immer ein Kompliment auf den Lippen und konnte zu jeder Gegebenheit den passenden Witz erzählen. Ein Romantiker, wie Ulla sich einen erträumte, war Christoph jedoch nicht. Beim Blick in den Sternenhimmel rechnete er aus, wie viel Weltraumschrott da oben herumflog und wie viel Schaden in den nächsten Jahren durch veraltete Satelliten oder ähnlich nutzlosen Kram verursacht werden konnte. Und Annette hatte in der kurzen Zeit bereits festgestellt, dass Matthias Kranich für sie der falsche Partner war. Ein Vollbad bei Kerzenschein mochte im Kino oder im Fernseher toll aussehen, im eigenen Badezimmer musste man anschließend die Wachsflecken von der Wanne schrubben. Annette war ein durch und durch praktischer Typ. Sie brauchte - in Anspielung auf Karolas Schwärmerei nach Jenseits von Afrika - keinen Mann, der ihr in der Wildnis die Haare wusch. Also tauschten Annette und Ulla die Männer. Christoph war damit nicht auf Anhieb einverstanden, Ulla war nun mal mit Abstand die Hübschere. Aber da Annette besser kochte und schon eine eigene kleine Wohnung hatte, fügte Christoph sich bald in sein Schicksal. Und Ulla konnte sich nach weiteren drei Wochen kaum noch vorstellen, dass sie ohne Matthias jemals richtig glücklich gewesen sein sollte. Zu dem Zeitpunkt plante Werner bereits ihr gemeinsames Leben bis ins Rentenalter. Manchmal dachte Marlene, er sei ein Spinner wie Andreas Jäger, der Karola mit heißen Salzwasserbädern und Wüstentrips becircte, oder ein Schwätzer wie Matthias Kranich, der mit seinen Vorstellungen von Romantik im Badezimmer bei Annette nicht so gut ankam wie bei Ulla, oder ein Witzbold wie Christoph Barlow, der einen auf den Arm nehmen konnte, ohne dass man es merkte. Bei manchen seiner Ausführungen wartete sie förmlich darauf, dass Werner am Ende lachte und sagte: «Hey, das war doch nur ein Scherz.» Drei Jahre Probezeit räumte er ihr ein, um zu begreifen, was ihm offenbar schon in der ersten halben Stunde klargeworden war. Dass sie beide füreinander bestimmt waren und perfekt miteinander harmonierten. «Wenn wir in drei Jahren heiraten», sagte er, «bist du zweiundzwanzig, ich bin fünfundzwanzig. Das ist ein gutes Alter. Man ist körperlich in Bestform.» Er wollte doch so schnell wie möglich ein eigenes Haus, weil man nur dort ein freier Mann war und sich nicht der Willkür von Vermietern oder Hausverwaltern aussetzen musste. Und da er selbst zupacken wollte, um Kosten zu sparen, spielte das Alter bei Baubeginn natürlich eine Rolle. Nach Fertigstellung des Hauses wollte er zwei Kinder, zuerst einen Sohn, dann eine Tochter - den Plan machte er ohne Mutter Natur. Bis zur Geburt des ersten Kindes sollte Marlene frei entscheiden, ob sie ihren Beruf weiter ausübte. Unbedingt notwendig sei das nach der Hochzeit nicht, sagte Werner. Er verdiente als Kreditsachbearbeiter fast doppelt so viel wie sie bei der Versicherung. Bisher hatte er sparsam gelebt und entsprechende Rücklagen, unter anderem einen Bausparvertrag, der in drei Jahren zuteilungsreif wurde. Zudem bekam er kostengünstige Hypotheken und ein fast zinsfreies Arbeitgeberdarlehen für sein Eigenheim. Und Marlene verabscheute ihren Job zeitweise. Mit Kollegen und Kolleginnen kam sie zwar gut zurecht. Mit Vorgesetzten gab es ebenfalls keine Probleme. Über das Betriebsklima konnte wirklich niemand meckern. Aber sie saß in der Schadensabteilung für Kfz, bearbeitete ausschließlich Sachschäden. Und da gab es so widerliche Vorkommnisse. Da fuhr zum Beispiel jemand auf nächtlicher Straße ein Reh an, meldete einen Wildschaden an seinem Wagen und schickte zum Beweis ein Auge des Tiers mit, das auf ihrem Schreibtisch landete. Dann war da die gutgläubige alte Dame, der ein windiger Vertreter eine Vollkaskoversicherung für ihren uralten Benz aufgeschwatzt hatte. Und Marlene musste der armen Frau erklären, dass es nach einem Totalschaden im Höchstfall und nur auf Kulanzbasis noch fünfhundert Mark gab und keinesfalls einen neuen Mercedes. Die Frau bekam prompt einen Herzanfall. Da war es beruhigend festzustellen, dass Werner sich keinen Scherz mit ihr erlaubt hatte. Sie hätte nach der Hochzeit jederzeit die Kündigung schreiben können. Er schlug es wiederholt vor. «Du musst dich wirklich nicht mit solchen Scheußlichkeiten abgeben, Marlene. Wir kommen auch mit meinem Verdienst zurecht.» Sicher. Aber sie hätte sich schäbig gefühlt, wenn sie von seinem Angebot Gebrauch gemacht und seine Pläne damit behindert hätte. Es hätte sich doch alles verzögert. Er saß tagsüber in der Bank und schuftete nach Feierabend am und im Haus, oft genug bis weit in die Nacht hinein. Als sie einzogen, war das Dach gedeckt, Fenster und Außentüren eingesetzt und die Heizung eingebaut, die funktionierte aber noch nicht. Es war eine Ölheizung, man hätte zuerst den Tank befüllen lassen müssen. Das hätte noch Zeit, meinte Werner.
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Es war die Schuld seiner Mutter, einzig und allein ihre Schuld, daran gab es nichts zu rütteln. Sie hatte ihm schon früh diesen Abscheu eingeimpft, aus dem später Verachtung und irgendwann Hass geworden waren. Abgrundtiefer Hass auf alle Weiber, die so waren wie sie. Wenn er aus der Schule kam, so mit elf, zwölf Jahren, hatte sie ihm oft im Morgenmantel die Haustür geöffnet. Manchmal trug sie gar nichts darunter, manchmal Unterwäsche, die diesen Ausdruck nicht verdiente. Das Makeup in ihrem Gesicht war zerlaufen, der Lippenstift verschmiert. Und sie, ihr Bett, das ganze Schlafzimmer stank nach Kerl, war erfüllt von den Ausdünstungen zweier Körper, die das miteinander getrieben hatten, was sie als «guten Sex» bezeichnete. Mit seinem Vater hatte sie nie guten Sex gehabt, nur ehelichen Beischlaf. «Den Unterschied wirst du hoffentlich feststellen, wenn du älter bist, Schätzchen», sagte sie einmal zu ihm. Da war er dreizehn oder vierzehn und hasste es, wenn sie ihn Schätzchen nannte. Ihn schüttelte der Ekel, wenn sie ihm das Gesicht mit dem schweißfleckigen Make-up hinhielt, die verschmierten Lippen spitzte und fragte: «Was denn, kriege ich heute keinen Kuss?» Sie küsste ihn grundsätzlich auf den Mund. Und mit dreizehn, vierzehn wusste er längst, dass sie kurz vorher den Schwanz von irgendeinem Kerl gelutscht hatte. Im Laufe der Zeit hatte sie viele Kerle. Zu Gesicht bekam er nur selten einen. Meist kamen sie vormittags, wenn er in einem Klassenraum saß und «nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernte». Was für ein Quatsch! Nichts von dem, was er fürs Leben brauchte, hatte er in der Schule gelernt. Sein Vater schuftete währenddessen bei fünfzig oder noch mehr Grad in einer Aluminiumgießerei, um der Schlampe ein angenehmes Leben zu bieten und ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Sie musste nur eine Andeutung machen, dann überschlug sich der Alte, um sie zufriedenzustellen. Sein Vater war fünfzehn Jahre älter als sie, ein großer, bulliger Mann, vor dem viele einen Heidenrespekt hatten. Hätte man ihm eine Lederjacke mit entsprechenden Schriftzügen angezogen und ihn auf ein Motorrad gesetzt, die halbe Welt hätte Reißaus vor dem vermeintlichen Höllenengel genommen. Er sah aus, als könne er mit Leichtigkeit ein Gesicht zu Brei schlagen. Aber er hatte das Gemüt eines Schafs, ließ sich von der Schlampe ausnutzen und auf der Nase herumtanzen, statt sie einmal in die Schranken zu weisen. Sein Vater tat immer so, als wüsste er nicht, dass sie fremde Kerle ins Ehebett ließ, während er sich an der Aluminiumpresse die Seele und seinen Stolz aus dem Leib schwitzte. Aber vermutlich wusste er es ganz genau, litt wie ein getretener Hund und fraß den Schmerz in sich hinein, bis der ihn umbrachte. Herzinfarkt mit achtundfünfzig, auf der Fahrt zur Arbeit, Kontrolle übers Auto verloren und so weiter. Als die Rettungskräfte an der Unfallstelle eintrafen, war sein Vater bereits tot. Allerdings war er nicht an dem Infarkt gestorben, sondern an einem Genickbruch. Für die Schlampe zahlte sich das in barer Münze aus, weil der Tod damit als Unfallfolge durchging. Er war neunzehn, seine Mutter dreiundvierzig. Sie bezog fortan Witwen- und Unfallrente, und nicht zu knapp. Finanzielle Sorgen kannte sie auch nach dem «tragischen Verlust ihres geliebten Gatten» keine. Sie erdreistete sich tatsächlich, es so in eine Anzeige setzen zu lassen. Nur die Kerle wurden weniger, weil sie nicht jünger wurde und ihre Ansprüche nicht herunterschraubte. Was altersmäßig zu ihr passte, war ihr nicht scharf genug. Sie wurde unleidlich, begann ihn herumzukommandieren und zu schikanieren. Sie erwartete allen Ernstes, dass nun er sprang, wenn sie pfiff, wie der Alte es zuvor getan hatte. Bis er sie eines Besseren belehrte. Und nicht nur sie. Es gab ja noch mehr, die sich auf Kosten eines Mannes einen schönen Lenz machten und fremdgingen auf Deibel komm raus. Diese Weiber aus der Welt zu schaffen, das war seine Bestimmung. Für ihn waren sie nicht einmal wert, bei ihren Namen genannt zu werden. Ihnen eine Nummer zu geben reichte in seinen Augen und für sein Archiv vollkommen aus. Nummer eins gabelte er spätabends an einer Bushaltestelle auf. Obwohl das mittlerweile einige Jährchen zurücklag, erinnerte er sich noch genau an jede Einzelheit, was daran liegen mochte, dass er an dem Abend ziemlich nervös gewesen war. Losgefahren war er mit dem Vorsatz, eine Schlampe aufzulesen, und zwar so, dass es keine Zeugen gab, die ihn mit ihr sahen und der Polizei später, wenn sie vermisst wurde, eine Beschreibung von ihm oder seinem Fahrzeug geben konnten. Aber er hatte keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen sollte. Ob er aussteigen und eine überwältigen müsste, die so spät noch allein unterwegs war. Wie er es vermeiden könnte, dass sie um Hilfe schrie. Dass er sie gleich betäuben müsste, damit sie sich nicht wehrte, hatte er überlegt. Und dann war es so einfach. Sie war erst Anfang zwanzig, stand da und winkte hektisch, als er sich näherte. Als er neben ihr hielt, sprang sie regelrecht auf den Beifahrersitz. Mit ihr kam ein Schwall feuchtkalter Luft herein. Es war November, und es nieselte. Angeblich war ihr der letzte Bus vor der Nase weggefahren. Der nächste käme erst morgen früh um Viertel nach fünf, behauptete sie. Möglich, dass es zutraf, er stieg nicht aus, um sich auf dem Fahrplan vom Wahrheitsgehalt ihrer Worte zu überzeugen. Sie hatte eine Reisetasche dabei, die sie auf ihrem Schoß hielt, bis er sie von dem Teil befreite und es nach hinten auf die Rückbank warf. Da wusste er schon, dass ihr Freund sie vor die Tür gesetzt hatte, weil sie kein Kind von Traurigkeit und ihr Freund angeblich krankhaft eifersüchtig war. Vor lauter Erleichterung, nicht die ganze Nacht in der feuchten Kälte stehen zu müssen, sprudelte sie förmlich über. Ihrem Freund würde das bald leidtun. Es sei nicht das erste Mal, dass er sie rausgeworfen hätte. Und bisher habe er noch immer nach spätestens zwei Tagen reumütig angerufen, sie um Verzeihung gebeten und angefleht zurückzukommen, weil er ohne sie nicht leben könne. Deshalb wolle sie nicht zu weit weg und keinesfalls zu ihren Eltern. Die würden nur wieder ihrem Freund recht geben und ihr Vorträge über einen ordentlichen - sprich antiquierten - Lebenswandel halten. «Ich brauche nur vorübergehend eine Unterkunft», sagte sie. «Ein preiswertes Hotel oder eine billige Pension. Du kennst nicht zufällig was in der unteren Preisklasse?» Das nicht, aber er kannte einen Ort, an dem sie nicht mit Geld bezahlen musste. Genauso drückte er das aus und ergötzte sich an ihrer Dämlichkeit. Sie verstand es natürlich falsch, freute sich auch noch über sein Angebot, legte ihm eine Hand aufs Bein und schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen. «Lieb von dir. Du wirst es nicht bereuen. » Tat er auch nicht. Sie bereute. Knappe sechs Tage lang. Die meiste Zeit bei vollem Bewusstsein. Nummer zwei war schon Ende dreißig und hätte ein Zwilling seiner Mutter sein können - nicht nur vom Äußeren her. Er las sie vor einer Kneipe auf. Sie war total betrunken und machte ihn dermaßen unverschämt an, dass er unweigerlich dachte, sie sei früher mal auf den Strich gegangen. Ihr Mann schuftete als selbständiger Handwerker täglich bis weit in die Nacht hinein, damit sie es warm und gemütlich hatte. Und sie fühlte sich vernachlässigt, brauchte ab und zu was fürs Herz, brauchte das Gefühl, noch eine Frau zu sein, nach der Männer sich umdrehten, erzählte sie ihm während der Fahrt. Da glaubte sie noch, sie würde in seinem Bett landen. Sie hielt nicht mal vier volle Tage durch. Mit Nummer drei und Nummer vier ließ er sich im Vorfeld mehr Zeit, beobachtete sie wochenlang, folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Die Genugtuung war einfach größer, und er konnte sich seiner Sache vollkommen sicher sein, weil er sie besser kennenlernte, ehe er sie aus der Welt schaffte. Danach blieb er wochenlang in der Nähe ihrer Angehörigen. Und wie oft bedauerte er, dass der Freund von Nummer eins, der biedere Handwerker und die Männer von Nummer drei und vier nie erfahren durften, was er für sie getan hatte. Ihren größten Fehler korrigiert, sie von einer Schlampe befreit, von der sie sich selbst nicht hatten befreien können, weil sie zu schwach, zu nachsichtig oder beides waren. Nach seinem Eingreifen konnten sie neu beginnen mit einer Frau, die es vielleicht eher verdiente, geliebt zu werden. Von Zeit zu Zeit schaute er nach dem Rechten und genoss diesen Triumph, den er leider mit keiner Menschenseele teilen konnte. Andere hätten sein Handeln wahrscheinlich nicht verstanden und dafür gesorgt, dass polizeiliche Ermittlungen gegen ihn eingeleitet wurden. So lebte er völlig unbehelligt in der Gewissheit, dass sein Tun gut und richtig war. Dem Freund von Nummer eins ging es ohne das Weib entschieden besser. Er hatte schon kurz nach dem Verschwinden der Schlampe ein nettes, anständiges Mädel kennengelernt und ein Jahr später geheiratet. Mittlerweile war er stolzer Vater von zwei hübschen, gescheiten Kindern. Der biedere Handwerker hatte sich mit einer Witwe zusammengetan, die zwar keine Schönheit war, aber gerade deswegen sehr bemüht um den Mann. Der Mann von Nummer drei war eine Zeitlang untröstlich gewesen, hatte den Verlust nur schwer verkraftet. Aber inzwischen hatte auch er einen Ersatz gefunden - eine Polizistin, bei der er ständig nach neuen Erkenntnissen gefragt hatte. Das Schicksal ging seltsame Umwege, um doch noch die Menschen zusammenzubringen, die füreinander bestimmt waren und einander zu schätzen wussten. Der Mann von Nummer vier lebte seit zwei Jahren mit einer Kollegin zusammen, die sich rührend um ihn und den kleinen Sohn der Schlampe kümmerte. Weil sie nun selbst schwanger war, bemühte der Mann sich um eine Scheidung in Abwesenheit. Für tot erklären lassen konnte er seine vermisste Frau noch nicht. Es gab keine Leiche, und es war noch keine zehn Jahre her. Der Mann von Nummer fünf ... Das war ein Kapitel für sich, eine ärgerliche Geschichte, äußerst ärgerlich, die ihn aber nicht davon abhielt weiterzumachen. Freunde Nummer neun Es war schwarz ringsum, nicht nur dunkel, was früh um sechs an einem eisigen Januarmorgen noch normal gewesen wäre, obwohl Werner den Rollladen nie vollständig herabließ. Es blieben immer Ritzen, die sich auf der gegenüberliegenden Wand abzeichneten, und sei es nur als schwaches, grau-gelbes Muster, hervorgerufen von einer Laterne neben dem Weg am Bach, der hinter ihrem Garten vorbeiführte. Es gab kein Muster, weil es kein Fenster gab und keine Wand. Marlene Weißkirchen erwachte nicht in ihrem Schlafzimmer, in dem ihr Mann regelmäßig neben dem Bett sein frühmorgendliches Fitnessprogramm absolvierte, während sein Radiowecker sie mit Musik, Werbeeinblendungen und den stündlichen Nachrichten aus dem meist viel zu kurzen Schlaf plärrte. Sie erwachte auch nicht kurz vor sechs in der Frühe wie sonst an einem Wochentag. Aber wie spät es war, als ihr mühsames Auftauchen aus tiefer Bewusstlosigkeit begann, konnte nie geklärt werden. Zuerst registrierte sie ihre unbequeme, schmerzhafte Lage - wie auf dem Nagelbett eines Fakirs. An unzähligen Stellen pikste und stach es. Allerdings war sie nicht imstande, etwas dagegen zu unternehmen. Ihr Körper fühlte sich an, als gehöre er nicht zu ihr. Arme und Beine spürte sie gar nicht. Und in ihrem Kopf schien sich eine Horde fleißiger Handwerker eingenistet zu haben, die eifrig bohrten, hämmerten und mit spitzen Werkzeugen auf die Schädeldecke einstachen. Die Lider klebten an den Augäpfeln, wollten sich partout nicht lösen. Ihre Lippen pappten ebenfalls aufeinander wie zugeschweißt. Als es ihr nach geraumer Zeit gelang, die Zungenspitze zwischen die Lippen zu schieben, schmeckte sie Blut. Bei den vorangegangenen Versuchen, den Mund zu öffnen, waren ihre spröden Lippen eingerissen. Die rasenden Kopfschmerzen suggerierten ihr, sie hätte wieder mal höchstens zwei oder drei Stunden geschlafen. Und der Druck im Magen machte sie glauben, sie wäre irgendwann in der Nacht aufgestanden, um doch noch eine von den freiverkäuflichen Schlaftabletten zu nehmen, die sie nicht gut vertrug und nur nahm, wenn sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Werner riet ihr regelmäßig zu Baldrian, wenn er mitbekam, dass sie dieses Teufelszeug, wie er die Schlaftabletten nannte, schluckte. Baldrian! «Da kann ich auch Bonbons lutschen», hatte sie protestiert, nachdem er sie am Mittwoch der vergangenen Woche kurz vor zwölf geweckt hatte und sie danach gar nicht mehr zur Ruhe gekommen war. Ein ganz normales Leben Bis zu dem Mittwoch, an dem ihr Mann sich mitten in der Nacht mit blutdurchtränktem Hemd über sie gebeugt hatte, war in Marlene Weißkirchens Leben alles nach Plan - Werners Plan - verlaufen. Was nicht bedeutete, dass sie rundum zufrieden gewesen wäre. Sie hatte den Ausstieg aus ihrem Hausmütterchendasein verpasst und litt mal mehr, mal weniger darunter. Ihre Freundinnen hatten es geschafft oder zwangsläufig schaffen müssen. Annette verkaufte Bücher, las natürlich auch viele und nicht bloß solche, die ihr persönlich gut gefielen. Annette konnte überall mitreden. Wenn ihr Mann mit blöden Witzen ins Fettnäpfchen trat und es betretene Mienen gab, konnte Annette mit mindestens vier brisanten Themen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und eine heiße Diskussion anzetteln. Karola, deren Mann sich vor dreieinhalb Jahren aus dem Staub gemacht hatte, arbeitete seitdem beim lokalen Rundfunk, kannte Gott und die Welt und den Pressesprecher der Kreispolizeibehörde. Karola war stets informiert über die aktuelle Verbrechensrate, versorgte den halben Kreis mit guten Ratschlägen in allen Lebenslagen, wurde von zahlreichen Hörerinnen verehrt, bekam Fanpost - an den Sender adressiert -, hin und wieder sogar Heiratsanträge. Aber da sie sich nicht zur Scheidung von ihrem Absetzer aufraffen konnte ... «Da müsste ich erst mal wissen, wohin ich ihm die Post vom Anwalt schicken lassen sollte.» Ulla verdiente den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie bei Scheidweber & Co. Einem Landmaschinenhersteller, der sich vor mittlerweile drei Jahrzehnten im städtischen Industriegebiet angesiedelt hatte. Ihr Mann arbeitete in der Herrenabteilung des Einkaufscenters und stotterte mit seinem Lohn Schulden ab, womit er voraussichtlich noch bis ins Rentenalter beschäftigt war. Und Marlene lebte auf Werners Kosten entschieden besser als die drei anderen. Seit der Grundschule waren die vier Frauen befreundet. Es hatte sie mal einer als vierblättriges Kleeblatt bezeichnet, weil sie unzertrennlich waren. Ein verschworenes Grüppchen, zusammengeschweißt von einer Menge Unsinn, Albernheiten, gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamen Zukunftsplänen, die letztlich nicht in Erfüllung gegangen waren. Ob Kino oder Disco - keine von ihnen hatte je etwas allein unternommen. Mit siebzehn waren sie in Jenseits von Afrika gewesen. Ulla hatte am Ende geseufzt: «War das schön. Wir wissen gar nicht, was wir versäumen mit unseren Taschenrechnern und Durchlauferhitzern.» Und Karola hatte entschieden, dass ihr Zukünftiger wie Robert Redford aussehen und ein Abenteurer sein müsse. Ein Zukünftiger war zu der Zeit noch nicht in Sicht, weil es doch mit einem nicht getan war. Man stelle sich nur vor, eine von ihnen hätte sich verliebt, und der Auserwählte hätte die anderen drei nicht leiden können. Nach dem Abitur trennten sich ihre Wege tagsüber, aber nur wochentags. Marlene wurde bei einem Versicherungskonzern ausgebildet, Ulla in einem Autohaus, Annette im Buchhandel. Und Karola begann ein Studium - Archäologie und Ägyptologie, weil ihr immer noch ein Robert-Redford-Verschnitt im Hinterkopf tickte, der ihr mitten in der Wildnis die Haare wusch. Mit neunzehn zogen sie an einem Samstagabend zu viert durch einige Kölner Discotheken, bis Karola auf ein Quartett junger Männer aufmerksam wurde und sagte: «Mädels, wenn ich mich nicht verzählt habe, sind wir hier genau richtig. Ich nehme den im blauen Hemd. Teilt den Rest unter euch auf.» Der im blauen Hemd war Werner Weißkirchen, der Rest seine Freunde: Andreas Jäger, Christoph Barlow und Matthias Kranich. Die vier Männer waren ebenfalls seit der Schulzeit befreundet. Christoph nannte es mal einen von diesen Wahnsinnszufällen, die man in Romanen als unwahrscheinlich und unglaubwürdig abtut. Bei näherer Betrachtung war Werner alles andere als Karolas Typ. Er sah nicht aus wie Robert Redford, sondern eher wie Peter Strauss, der Rudy Jordache aus der Fernsehserie Reich und Arm, von der Marlenes Mutter in den siebziger Jahren selten eine Folge verpasst hatte. Abgesehen davon, hatte er mit Abenteuern rein gar nichts im Sinn. Werner war Bankkaufmann, allerdings keiner von den Zockern, die sich eine goldene Nase verdienten, indem sie anderer Leute Geld verspekulierten. Er war im Kreditwesen tätig, brauchte für alles Sicherheiten und machte Pläne, an die er sich hielt. Zwischen seinen leger gekleideten Kumpels, die sich auf der Tanzfläche bereitwillig wie Hampelmänner benahmen, um beim anderen Geschlecht Eindruck zu schinden, wirkte er steif, spießig und hausbacken. Dabei war er ein ausgezeichneter Tänzer. Er hielt nur nichts von Discogezappel. Nach Karolas Hinweis auf das Quartett sagte Annette: «Nicht so voreilig. Hier werden weitreichende Entscheidungen getroffen. Du kannst nicht über unsere Köpfe hinweg bestimmen, wer wen aufs Korn nimmt. Unter Umständen versauen wir uns damit den ganzen Abend.» Ulla stimmte zu: «Dem schließe ich mich an. Überlassen wir es doch erst mal den Jungs. Tauschen können wir immer noch, wenn wir meinen, dass eine andere Konstellation günstiger wäre.» Marlene äußerte sich nicht. Das tat sie eigentlich nie. Zwischen Karola, Annette und Ulla kam sie nur selten zu Wort. Bei Werner versuchte sie es gar nicht erst, er wusste ohnehin alles besser. Was nicht bedeutete, dass er besserwisserisch aufgetreten wäre. Er wusste tatsächlich schon mit zweiundzwanzig eine Menge mehr als andere. Und er hatte von der ersten Sekunde an nur Augen für sie. Verstanden hatte Marlene das bis heute nicht. Sie war nicht hässlich, aber auch nicht so hübsch und stark wie Ulla. Sie war nicht dumm, jedoch längst nicht so gescheit und schlagfertig wie Annette. Sie war nicht feige, allerdings auch nicht so wagemutig, wortgewandt und phantasiebegabt wie Karola. Sie war Durchschnitt, hatte zwischen zwei Brüdern daheim und im kleinen Kreis ihrer Freundinnen stets das Gefühl, nicht genug Präsenz aufbieten zu können, um als Individuum wahrgenommen zu werden. Und Werner hob sie aus der Unscheinbarkeit heraus. Karola hatte mal in einer Illustrierten gelesen, der Geruchssinn spiele bei der Partnerwahl eine entscheidende Rolle, auch wenn einem das gar nicht wirklich bewusstwürde. Seit Karola ihr das erzählt hatte, dachte Marlene manchmal, Werner hätte in ihr auf Anhieb die Partnerin gerochen, die seinen Genen nichts entgegensetzen konnte. Es war nämlich auf keinen Fall so - wie Annette es einmal behauptete -, dass sich ausgerechnet das Schaf im Kleeblatt den Goldfisch geangelt hätte. Der Fisch hatte sich vielmehr heißhungrig auf ein Würmchen gestürzt, das am Rande der aufgewühlten See - sprich überfüllte Tanzfläche voll zuckender Leiber und schlenkernder Gliedmaßen - einsam bei ihm zurückblieb, während Annette, Ulla und Karola sich mit seinen Freunden ins Getümmel stürzten. Karola richtete ihr Augenmerk schnell auf Andreas Jäger. Der hätte durchaus ein entfernter Verwandter von Robert Redford sein können. Damit nicht genug. Wie Karola im Damenkleeblatt war Andreas im Herrenquartett der Einzige, der studierte - allerdings nichts Exotisches, nur Maschinenbau an der Technischen Hochschule. Aber für ihn hätte der Duden umgeschrieben werden und mit dem Wort «Abenteuer» beginnen müssen. Andreas fuhr einen uralten Jeep, Baujahr 1942, geerbt vom Großvater, der das Gefährt bei Kriegsende einem amerikanischen GI abgeschwatzt hatte. Und Andreas hielt das Museumsstück selbst in Schuss, obwohl es längst keine Ersatzteile mehr gab und er bei jeder Reparatur basteln musste. Wenn er seinen Ingenieur in der Tasche hatte, wollte er mit dem Gefährt die Wüsten Afrikas und den Orient durchqueren, ehe er sich in die heimische Tretmühle spannen ließ. Er träumte auch von einem Trip durch den Regenwald Südamerikas, aber da käme er mit dem Jeep nicht durch. Damit sich sein Kreislauf auf die wechselhaften Klimabedingungen einstellte, bereitete er sich jetzt schon mit stundenlangen Bädern in heißem Salzwasser auf seine Touren vor, erzählte er. Karola war hin und weg. Die beiden schienen wie füreinander geschaffen. Ulla turtelte zwei Wochen lang mit Christoph Barlow. Der war wie Marlene in der Versicherungsbranche tätig, arbeitete jedoch für eine andere Gesellschaft und sprach davon, schon mit dreißig seine eigene Agentur zu haben. Christoph war ein Charmeur und ein Spaßvogel, wie man einen zweiten lange suchen musste. Er hatte immer ein Kompliment auf den Lippen und konnte zu jeder Gegebenheit den passenden Witz erzählen. Ein Romantiker, wie Ulla sich einen erträumte, war Christoph jedoch nicht. Beim Blick in den Sternenhimmel rechnete er aus, wie viel Weltraumschrott da oben herumflog und wie viel Schaden in den nächsten Jahren durch veraltete Satelliten oder ähnlich nutzlosen Kram verursacht werden konnte. Und Annette hatte in der kurzen Zeit bereits festgestellt, dass Matthias Kranich für sie der falsche Partner war. Ein Vollbad bei Kerzenschein mochte im Kino oder im Fernseher toll aussehen, im eigenen Badezimmer musste man anschließend die Wachsflecken von der Wanne schrubben. Annette war ein durch und durch praktischer Typ. Sie brauchte - in Anspielung auf Karolas Schwärmerei nach Jenseits von Afrika - keinen Mann, der ihr in der Wildnis die Haare wusch. Also tauschten Annette und Ulla die Männer. Christoph war damit nicht auf Anhieb einverstanden, Ulla war nun mal mit Abstand die Hübschere. Aber da Annette besser kochte und schon eine eigene kleine Wohnung hatte, fügte Christoph sich bald in sein Schicksal. Und Ulla konnte sich nach weiteren drei Wochen kaum noch vorstellen, dass sie ohne Matthias jemals richtig glücklich gewesen sein sollte. Zu dem Zeitpunkt plante Werner bereits ihr gemeinsames Leben bis ins Rentenalter. Manchmal dachte Marlene, er sei ein Spinner wie Andreas Jäger, der Karola mit heißen Salzwasserbädern und Wüstentrips becircte, oder ein Schwätzer wie Matthias Kranich, der mit seinen Vorstellungen von Romantik im Badezimmer bei Annette nicht so gut ankam wie bei Ulla, oder ein Witzbold wie Christoph Barlow, der einen auf den Arm nehmen konnte, ohne dass man es merkte. Bei manchen seiner Ausführungen wartete sie förmlich darauf, dass Werner am Ende lachte und sagte: «Hey, das war doch nur ein Scherz.» Drei Jahre Probezeit räumte er ihr ein, um zu begreifen, was ihm offenbar schon in der ersten halben Stunde klargeworden war. Dass sie beide füreinander bestimmt waren und perfekt miteinander harmonierten. «Wenn wir in drei Jahren heiraten», sagte er, «bist du zweiundzwanzig, ich bin fünfundzwanzig. Das ist ein gutes Alter. Man ist körperlich in Bestform.» Er wollte doch so schnell wie möglich ein eigenes Haus, weil man nur dort ein freier Mann war und sich nicht der Willkür von Vermietern oder Hausverwaltern aussetzen musste. Und da er selbst zupacken wollte, um Kosten zu sparen, spielte das Alter bei Baubeginn natürlich eine Rolle. Nach Fertigstellung des Hauses wollte er zwei Kinder, zuerst einen Sohn, dann eine Tochter - den Plan machte er ohne Mutter Natur. Bis zur Geburt des ersten Kindes sollte Marlene frei entscheiden, ob sie ihren Beruf weiter ausübte. Unbedingt notwendig sei das nach der Hochzeit nicht, sagte Werner. Er verdiente als Kreditsachbearbeiter fast doppelt so viel wie sie bei der Versicherung. Bisher hatte er sparsam gelebt und entsprechende Rücklagen, unter anderem einen Bausparvertrag, der in drei Jahren zuteilungsreif wurde. Zudem bekam er kostengünstige Hypotheken und ein fast zinsfreies Arbeitgeberdarlehen für sein Eigenheim. Und Marlene verabscheute ihren Job zeitweise. Mit Kollegen und Kolleginnen kam sie zwar gut zurecht. Mit Vorgesetzten gab es ebenfalls keine Probleme. Über das Betriebsklima konnte wirklich niemand meckern. Aber sie saß in der Schadensabteilung für Kfz, bearbeitete ausschließlich Sachschäden. Und da gab es so widerliche Vorkommnisse. Da fuhr zum Beispiel jemand auf nächtlicher Straße ein Reh an, meldete einen Wildschaden an seinem Wagen und schickte zum Beweis ein Auge des Tiers mit, das auf ihrem Schreibtisch landete. Dann war da die gutgläubige alte Dame, der ein windiger Vertreter eine Vollkaskoversicherung für ihren uralten Benz aufgeschwatzt hatte. Und Marlene musste der armen Frau erklären, dass es nach einem Totalschaden im Höchstfall und nur auf Kulanzbasis noch fünfhundert Mark gab und keinesfalls einen neuen Mercedes. Die Frau bekam prompt einen Herzanfall. Da war es beruhigend festzustellen, dass Werner sich keinen Scherz mit ihr erlaubt hatte. Sie hätte nach der Hochzeit jederzeit die Kündigung schreiben können. Er schlug es wiederholt vor. «Du musst dich wirklich nicht mit solchen Scheußlichkeiten abgeben, Marlene. Wir kommen auch mit meinem Verdienst zurecht.» Sicher. Aber sie hätte sich schäbig gefühlt, wenn sie von seinem Angebot Gebrauch gemacht und seine Pläne damit behindert hätte. Es hätte sich doch alles verzögert. Er saß tagsüber in der Bank und schuftete nach Feierabend am und im Haus, oft genug bis weit in die Nacht hinein. Als sie einzogen, war das Dach gedeckt, Fenster und Außentüren eingesetzt und die Heizung eingebaut, die funktionierte aber noch nicht. Es war eine Ölheizung, man hätte zuerst den Tank befüllen lassen müssen. Das hätte noch Zeit, meinte Werner.
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Autoren-Porträt von Petra Hammesfahr
Petra Hammesfahr schrieb mit 17 ihren ersten Roman. Mit ihrem Buch "Der stille Herr Genardy" kam der große Erfolg. Seitdem schreibt sie einen Bestseller nach dem anderen, u.a. "Die Sünderin", "Die Mutter" und "Erinnerungen an einen Mörder". Die Autorin lebt in der Nähe von Köln.
Bibliographische Angaben
- Autor: Petra Hammesfahr
- 2012, 432 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499256363
- ISBN-13: 9783499256363
- Erscheinungsdatum: 19.07.2012
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