"Der Gesang des Wasserfalls" und "Tränen des Mondes"
Der Gesang des Wasserfalls:
Madison soll bei der Planung eines Kasinos mitten im Urwald mitwirken. Sie lehnt ab, um ein anderes, naturnahes Konzept zu erarbeiten. Kurz darauf werden sie und ihr Kollege Connor...
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Der Gesang des Wasserfalls:
Madison soll bei der Planung eines Kasinos mitten im Urwald mitwirken. Sie lehnt ab, um ein anderes, naturnahes Konzept zu erarbeiten. Kurz darauf werden sie und ihr Kollege Connor entführt.
Tränen des Mondes:
Im 19. Jahrhundert begegnen sich an der Westküste Australiens die junge Olivia und der Abenteurer John. Beide suchen ihr Glück in der Perlenfischerei.
Der Gesang des Wasserfalls von Di Morrissey
LESEPROBE
Guyana,Südamerika, 1979
DerKameramann schaute aus dem ovalen Fenster auf die treibenden Nebelschwadenunter dem Islander-Flugzeug. Zwischen den Wolkeneröffnete sich ein fast beängstigen- der Blick auf den dichten, schier endlosenUrwald, der in allen Richtungen Berge und Täler bedeckte. Eine halbe Stundenach dem Start waren die Gespräche in der kleinen Maschine verstummt. Es war zuanstrengend, sich über das
Dröhnen der beiden Motoren hinweg zu unterhalten, und so blieben die vierPassagiere ihren Gedanken überlassen. »Brokkoli«, dachte Ventischließlich. Der Kameramann hatte seit zehn Minuten nach einem Wort gesucht,das diesen sich bis ins Unendliche erstreckenden Dschungelbaldachin beschreibenwürde. »ja, das ist es, so eng zusammengedrängt wie die Rosetten einer frischenBrokkolistaude. Wenn wir hier abstürzen, wird man uns in hundert Jahren nichtfinden.«
ÄhnlicheGedanken gingen auch den beiden anderen Passagieren durch den Kopf. Nur dervierte, Sir Gavin
Rutherford, Naturwissenschaftler von der Universität Bristol, vom Akademikerzur Fernsehberühmtheit aufgestiegen, wirkte unbeeindruckt. Er lehnte sichzurück, strich über seinen silbergrauen Schnurrbart und schloss entspannt undzuversichtlich die Augen. Edwina, die Produzentin, lenkte sich durch dasBlättern in einer zerfledderten Zeitschrift ab. Während der zwei Jahre, die sienun
schon mit dem Team von Planet Erde unterwegs war, hatte sie einigehaarsträubende Reisen mitgemacht, um an die verschiedensten Drehorte zugelangen: Von der Mojave-Wüste bis zu denGalapagos-Inseln, vom indischen Subkontinent bis nach Surrey. Und jetzt Guyana.Was als von dem angesehenen Sir Gavin kommentierte Lehrfilmreihe über das Tier-und Pflanzenreich dieser Erde
begonnen hatte, hatte sich zur Überraschung aller BBC-Leute in einenunerwarteten Einschaltquoten-Renner verwandelt. Sir Gavins Begeisterung undsein profundes Wissen hatten ihn, verbunden mit einem Schuss liebenswürdigemCharme, von einem Kommentator aus dem Off, mit nur kurzen Auftritten am Anfangund Ende der Sendung, mehr und mehr zu einem voll integrierten Entdecker werdenlassen, der in fast jeder Szene zu sehen war.
DieZuschauer sahen ihn hinter Elefanten herschleichen, aus einem BaumversteckLöwen beim Beuteschlagen beobachten, in einem schwankenden Schlauchboot nahe aneinen kalbenden Wal heranfahren, einen Ast hochheben, um eine schimmerndeSchlange freizulegen, oder unter seinem zum Markenzeichen gewordenen Safarihut hervorblinzeln und einer Venusfliegenfalle beimEinfangen eines Insekts zuschauen. Und die in atemloser Erregung über dasBeobachtete leise eingestreuten Erklärungen wirkten atemberaubend und fesselndauf die Zuschauer, die seine Abenteuer in der Geborgenheit ihres Wohnzimmersmiterlebten.
DerToningenieur, genannt Hase, als Kurzform für Hasenohr oder, weniger freundlich,schwerhöriges Hasenohr, weil er nur zuhörte, wenn er seine gepolstertenKopfhörer übergestülpt hatte, versuchte die Beine auszustrecken und fragtesich, ob der Pilot möglicherweise irgendwelche Gepäckstücke auf sein Richtmikrofonhatte fallen lassen. Es hatte ihm gar nicht gepasst, wie achtlos ihreAusrüstung in den Frachtraum des Flugzeugs geworfen worden war. Das beiläufigeWiegen von Passagieren und Fracht war sehr nachlässig geschehen, und er hofftenur, dass der Pilot beim Navigieren und Landen mehr Sorgfalt zeigen würde alsbei den Flugvorbereitungen. An die Wartung des Flugzeugs wollte er gar nichterst denken.
Die ganzeExpedition kam ihm für nur zwei kurze Einstellungen mit dem Kommentator im Bildreichlich übertrieben vor. Die Szene, in der Sir Gavin in einem Einbaum durcheinen schwimmenden Teppich von Victoria-Regina-Seerosen paddelte, war bequemerweise im Botanischen
Garten von Georgetown aufgenommen worden, und jetzt dieser verdammte Treck zuirgendeinem Wasserfall, um einen Frosch zu finden. Hoffentlich befand sichdieser Frosch nicht zu nahe beim Wasserfall, sonst würde Sir Gavins Gequatschevöllig übertönt werden. Neben ihm schaute der Kameramann immer noch auf denDschungel hinab, durch den sich jetzt in braunen Schlingen ein breiter, sehrviel Wasser führender Fluss wand. Die weißen Flecken im Fluss deutete er alsStromschnellen. Hier und da gab es Anzeichen dafür, dass Goldsucher ganze Teileder Uferböschung abgetragen und ausgewaschen und so dem kaffeebraunen Wassernoch mehr Schlamm hinzugefügt hatten. An manchen Stellen hatten sich HolzfällerLager in das jungfräuliche Grün hineingeschlagen, mit Trassen für dieFahrzeuge, ein paar blauen Plastikplanen über dem Lager und großen, kahlen,orangefarbenen Einschlagstellen, auf denen die gefällten Bäume wieStreichhölzer durcheinanderlagen. Aber das waren allesnur kümmerliche kleine Eindrücke in der Unendlichkeit des Urwaldes. Trotzseines Zynismus und seiner abgeklärten Haltung war Ventisvisuelle Vorstellungskraft immer noch frisch, und er sah im Kopf diverseKameraeinstellungen vor sich, während die grünen Wände vor ihnen aufragten. Abund zu wurde das Blätterdach von einer Explosion rosafarbener oder gelbroterBlüten durchbrochen.
© WeltbildBuchverlag
Aus demEnglischen von Susanne Aeckerle
- Autor: Di Morrissey
- 2006, 1, 1148 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 382898665X
- ISBN-13: 9783828986657
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