Der Himmel über Darjeeling
Cornwall, 1876: Helena Lawrence heiratet den attraktiven Ian und folgt ihm ins indische Darjeeling. Schon bald verliebt sich Helena in das exotische Land. Doch was sie nicht weiß: Ian verbirgt ein dunkles Geheimnis.
"Eine Geschichte wie...
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Produktinformationen zu „Der Himmel über Darjeeling “
Cornwall, 1876: Helena Lawrence heiratet den attraktiven Ian und folgt ihm ins indische Darjeeling. Schon bald verliebt sich Helena in das exotische Land. Doch was sie nicht weiß: Ian verbirgt ein dunkles Geheimnis.
"Eine Geschichte wie Indien selbst dramatisch, farbenprächtig, bewegend."
TOGGENBURGER TAGBLATT, ZÜRICH
Lese-Probe zu „Der Himmel über Darjeeling “
Der Himmel über Darjeeling von Nicole C. Vosseler Prolog Argostoli /Kephallinia, 13. August 1864
Geliebte Schwestern,
nur wenige Stunden nachdem sich diese Zeilen auf den Weg zu euch gemacht haben, werden wir ebenfalls aufbrechen, auch wenn sich unsere Reise als ungleich langwieriger und mühseliger erweisen wird. Eure Sorge um unser Wohlergehen kann ich nachfühlen, doch haben wir weder zur Zeit des englischen Protektorates noch seit der Rückgabe der Inseln Ioniens an Griechenland vor fünf Monaten Feindseligkeiten irgendeiner Art erfahren. Ich kann nicht genug betonen, nicht allem blind zu glauben, was in den Zeitungen geschrieben steht; niemals ist uns anders als zuvorkommend und gastfreundlich begegnet worden.
Dennoch ist in uns der Entschluss gereift, wieder in das Land unserer Herkunft zurückzukehren. Sieben Jahre ist es nun her, dass ich England und euch verlassen habe - sieben Jahre hier im goldenen Süden, die kaum mehr als ein paar Monate gewesen zu sein scheinen, und doch gleich einer Ewigkeit. London ist nur noch ein schwaches Abbild in meiner Erinnerung - der Lärm auf den Straßen, der so gänzlich anders ist als der Lärm hier, kühler und auf seine Weise geordneter - der Ruß und der Nebel und vor allem der Regen, der kalte immerwährende Regen ...
Fast den ganzen Weg werden wir zu Wasser zurücklegen,
... mehr
über Italien und Frankreich, was nicht nur schneller, sondern auch angenehmer ist, wenn wir so auch den einen oder anderen wehmütigen Blick auf die Landstriche entbehren müssen, die
uns so lange Heimat waren. Wir rechnen damit, untergünstigen Voraussetzungen in drei bis vier Wochen nach Dover überzusetzen, von wo aus ich euch dann eine Nachricht zukommen lassen werde. Meine besten Wünsche an Theodore und Archibald, auch in Arthurs Namen.
Der Federhalter ruhte einen Augenblick über dem Papier, ehe er erneut ansetzte, seine zierliche Spur hinterlassend.
Es wäre schön, nach dieser langen Zeit zurückzukehren und zu wissen, dass Vater seinen Groll gegen mich und vor allem gegen Arthur gemildert hätte und wenigstens einmal einen Blick auf seine Enkeltochter werfen würde, die er noch nie gesehen hat.
In Liebe umarmt euch - Celia
Sie atmete tief durch, wie von einer Last befreit, als sie die Feder aus der Hand legte und sich mit raschelnden Röcken erhob. Das Läuten der Kirchenglocken, die das Ende eines langen Arbeitstages verkündeten, drang durch die Schlitze der Fensterläden, die das Zimmer vor der Hitze des Sommers schützten, und brachte mit sich den Duft von sonnendurchglühtem Fels und trockenem Laub. Sie trat an das hohe Fenster, dessen Flügel in den Raum hinein aufstanden, löste den Haken aus seiner Verankerung und gab den Läden einen Stoß, dass sie nach außen aufschwangen und mehr von dem tiefen, rhythmischen Klang hereinließen, dazu eine Flut abendlichen, kupfergoldenen Lichts: heiß, ohne grell und giftig zu sein wie mittags.
Wie ein Spiegel lag das Wasser der Bucht da. Argostoli, die Hauptstadt der Insel, erstreckte sich vor dem Fenster: ein Meer aus mehrstöckigen, in klassischem Stil gebauten Häusern, blendend weiß und Kühle versprechend unter ihren Ziegeldächern. Zwischen ihnen ragten die Türme der vier orthodoxen Kirchen auf, deren nachhallende Glockenstimmen miteinander wetteiferten. Pinien und Zypressen lockerten die strenge Geometrie der Straßenzüge und ihrer Gebäude auf. Selbst zu dieser Stunde, die die Menschen von ihrem Tagwerk nach Hause zog, wirkte die Stadt verschlafen, als flösse die Zeit hier langsamer vorüber.
Zwei Hirten kamen an dem einsam an seinem Berghang klebenden Haus vorüber. In Pluderhosen, blusige Hemden und ärmellose Westen gekleidet, trieben sie mit lockenden Zurufen ihre Ziegen zwischen den mit Thymian durchsetzten Felsen hindurch. Den weißen Fes durch die Luft schwenkend, riefen sie der schönen jungen Frau des angglikos sographos, des englischen Malers, Nettigkeiten und bedauernde Abschiedsworte zu, die Celia mit einem Winken und einer kurzen Erwiderung auf Griechisch beantwortete. Sie sah ihnen nach, wie sie ihren Weg in die Stadt hinunter weiterverfolgten, den mit Geröll bedeckten Pfad hinab, und auf zwei Gestalten trafen: einen Erwachsenen und ein Kind, die den Weg bergan in Angriff nahmen, zwischen dem Blaustern und den hohen Mastixsträuchern mit ihrem gefiederten Laub und den roten und schwarzen Beeren hindurch.
Celias Herz schlug rascher, als sie Arthur erkannte, braungebrannt wie einer der Griechen, sein dunkelbraunes Haar von der Sonne kastanienfarben durchkämmt. Die Hemdsärmel hochgerollt, hatte er die zusammengeklappte Staffelei geschultert; in der anderen Hand trug er eine auf einen Holzrahmen gespannte Leinwand, scheinbar unbesorgt um die noch frische Farbe darauf.
Von früher Jugend an lebt ich lieber als sonstwo auf den Küsten von Ionien und Attika und den schönen Inseln des Archipelagos, und es gehörte unter meine liebsten Träume, einmal wirklich dahin
zu wandern, zum heiligen Grabe der jugendlichen Menschenheit. Griechenland war meine erste Liebe, und ich weiß nicht, ob ich sagen soll, es werde meine letzte sein - so hatte er Hölderlin, den deutschen Dichter, zitiert, und sich selbst damit gemeint. Dunkel wie ein Zigeuner, aber mit tiefblauen Augen, die alles, was sie sahen, in Schönheit zu verwandeln schienen, hatte er sie in dieses Abenteuer entführt, das sie vom ersten Moment an liebte, so wie sie ihn von jenem ersten Moment an geliebt hatte, in dem er als ihr neuer Zeichenlehrer ihr Elternhaus betreten hatte und sie sich gemeinsam über ihren Skizzenblock gebeugt hatten.
Rom, Die Ewige, Neapel und Syrakus, Delphi und Korinth, Salamis und Mykenä, Patras und Ithaka - rastlos hatten sie zwei Jahre lang die Stationen ihrer Reise ohne Ziel aneinander gereiht, trunken von der Sonne und dem Glück, einander gefunden zu haben. Erst unter der Akropolis von Athen, wo Helena im glühend heißen August vor fünf Jahren zur Welt gekommen war, hatten sie ein Zuhause gefunden, und hier auf Kephallinia waren sie zur Ruhe gekommen. Kephallinia, die Insel der Wunder, wie sie von den Einheimischen genannt wurde.
Es war die Wiege der abendländischen Kultur, die Arthur faszinierte, die Heimat unzähliger Götter- und Heldensagen, voller Leidenschaft, Kampf und Hass, Liebe und Tod, und jeden Morgen hatte er aufs Neue seine Staffelei aufgestellt und wie ein Besessener gemalt, Meer und Fels und Licht eingefangen und auf die Leinwand gebannt, die Geister der toten Helden und ihrer Geliebten wieder lebendig werden lassen. Die englischen, französischen und deutschen Reisenden, begierig, ein Stück dieser sonnendurchfluteten, ewigen Welt mit in die regnerische Heimat zu nehmen, deren Freunde, die zu Hause beim Betrachten der intensiven, wie von der Sonne in die Leinwand gebrannten Farben Fernweh verspürten, sie ermöglichten Arthur und Celia ein sorgenfreies, wenn auch nicht sonderlich üppiges Auskommen.
Lachen drang zu ihr herauf, vermischt mit einzelnen Wortfetzen der kraftvollen und biegsamen Sprache des Griechischen, und Celia sah, wie die beiden Hirten mit Helena schäkerten, die den Leinenbeutel mit den Pinseln und Farben ihres Vaters umgehängt hatte. Während ihr eigenes blondes Haar glatt wie gesponnenes Gold das Sonnenlicht reflektierte, umstanden Helenas Locken ihr Gesicht wie eine leuchtende Aureole, und manchmal glaubte man einen Hauch von Kupfer darin zu entdecken.
Chryso mou ...
Celia lief es im warmen Licht der Abendsonne kalt den Rücken herab.
»Chryso mou, mein Goldkind!«, hatte die alte Frau Helena zugerufen und ihre krummen Finger nach dem kleinen englischen Mädchen in seinem weißen, ärmellosen Hängerkleidchen ausgestreckt.
Sie hatte im Schatten eines der Häuser auf einem Hocker gesessen und müßig das Markttreiben beobachtet. Helena hatte sich mit erhabenem Gleichmut in ihr Schicksal ergeben und sich auf ihren Schoß ziehen, sich küssen und liebkosen lassen, wie sie es von den Griechinnen erfahren hatte, seit sie geboren war. Mit sichtlicher Freude wanderten die knorrigen Hände über das von der Sonne getönte Gesichtchen und das widerspenstige Haar, flüsterte die Greisin Koseworte, bis ihre Berührungen in einen ruhigen, stetigen Rhythmus kamen.
»Chryso, Goldkind, du bist zur Prinzessin geboren«, hörte Celia sie raunen, ihr zerfurchtes Gesicht andächtig entspannt. »Das Schicksal wird dich in die Fremde führen. Zwei Männer - Feinde - werden um dich werben, und du wirst das Geheimnis lüften, das ihr Schicksal aneinander bindet. Einer davon wird dein Glück sein. Doch lass dich nicht vom ersten Augenschein
täuschen! Die Dinge sind oftmals nicht so, wie sie zunächst scheinen oder wie du sie sehen willst ...« Ihre Stimme erstarb, ließ eine verheißungsvolle Anspannung in der Luft zurück, die nach Staub, Zwiebeln und süßen Trauben duftete.
»Können Sie mir sagen, was mich erwarten wird - mich und meinen Mann?«, hörte Celia sich selbst fragen. Ihre Worte, wie gegen einen inneren Widerstand gesprochen, waren kaum zu hören gegen das Stimmengewirr und Gelächter des Marktes.
Die alte Frau rührte sich nicht, als lauschte sie aufmerksam einer Stimme in ihrem Inneren.
Ruckartig öffnete sie die Lider, faltig wie die einer Kröte, Abwehr und so etwas wie Mitleid in den trüben Augen. Mit dem verhutzelten Daumen ihrer rechten Hand machte sie ein Kreuzzeichen über ihre Lippen, als wollte sie sie versiegeln, zu ihrem eigenen Schutz wie dem Celias, der es war, als griffe eine eisige Hand nach ihrem Herzen.
Hastig zerrte sie das erschrockene Kind vom Schoß der alten Hexe herunter und hinter sich her, mit dem Saum ihrer Röcke Wolken von Staub hinter sich aufwirbelnd, wie sie in großen Schritten die Stadt hinter sich zu bringen suchte, die ihr mit einem Mal so bedrohlich erschien.
Die Angst hatte sie nicht mehr losgelassen und an ihrer Liebe zu diesem Land zu nagen begonnen. Griechenland würde ihr fehlen - das greifbare Licht der Sonne, das scharfe Kontraste über die Landschaft zauberte, die Ebenen voll dürrer Disteln, der Duft von Holzkohle in den Pinienwäldern, der Gesang der Zikaden, das Funkeln der Luft, voll des Geruchs nach Laub und Erde und dem Salz des Meeres, doch sicher konnte sie sich hier nicht mehr fühlen.
Beschützend legte sie die Hand auf ihren noch flachen Bauch unter den leichten Musselinröcken, und stumm betete sie um Schutz für das ungeborene Kind und ihre Familie.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
uns so lange Heimat waren. Wir rechnen damit, untergünstigen Voraussetzungen in drei bis vier Wochen nach Dover überzusetzen, von wo aus ich euch dann eine Nachricht zukommen lassen werde. Meine besten Wünsche an Theodore und Archibald, auch in Arthurs Namen.
Der Federhalter ruhte einen Augenblick über dem Papier, ehe er erneut ansetzte, seine zierliche Spur hinterlassend.
Es wäre schön, nach dieser langen Zeit zurückzukehren und zu wissen, dass Vater seinen Groll gegen mich und vor allem gegen Arthur gemildert hätte und wenigstens einmal einen Blick auf seine Enkeltochter werfen würde, die er noch nie gesehen hat.
In Liebe umarmt euch - Celia
Sie atmete tief durch, wie von einer Last befreit, als sie die Feder aus der Hand legte und sich mit raschelnden Röcken erhob. Das Läuten der Kirchenglocken, die das Ende eines langen Arbeitstages verkündeten, drang durch die Schlitze der Fensterläden, die das Zimmer vor der Hitze des Sommers schützten, und brachte mit sich den Duft von sonnendurchglühtem Fels und trockenem Laub. Sie trat an das hohe Fenster, dessen Flügel in den Raum hinein aufstanden, löste den Haken aus seiner Verankerung und gab den Läden einen Stoß, dass sie nach außen aufschwangen und mehr von dem tiefen, rhythmischen Klang hereinließen, dazu eine Flut abendlichen, kupfergoldenen Lichts: heiß, ohne grell und giftig zu sein wie mittags.
Wie ein Spiegel lag das Wasser der Bucht da. Argostoli, die Hauptstadt der Insel, erstreckte sich vor dem Fenster: ein Meer aus mehrstöckigen, in klassischem Stil gebauten Häusern, blendend weiß und Kühle versprechend unter ihren Ziegeldächern. Zwischen ihnen ragten die Türme der vier orthodoxen Kirchen auf, deren nachhallende Glockenstimmen miteinander wetteiferten. Pinien und Zypressen lockerten die strenge Geometrie der Straßenzüge und ihrer Gebäude auf. Selbst zu dieser Stunde, die die Menschen von ihrem Tagwerk nach Hause zog, wirkte die Stadt verschlafen, als flösse die Zeit hier langsamer vorüber.
Zwei Hirten kamen an dem einsam an seinem Berghang klebenden Haus vorüber. In Pluderhosen, blusige Hemden und ärmellose Westen gekleidet, trieben sie mit lockenden Zurufen ihre Ziegen zwischen den mit Thymian durchsetzten Felsen hindurch. Den weißen Fes durch die Luft schwenkend, riefen sie der schönen jungen Frau des angglikos sographos, des englischen Malers, Nettigkeiten und bedauernde Abschiedsworte zu, die Celia mit einem Winken und einer kurzen Erwiderung auf Griechisch beantwortete. Sie sah ihnen nach, wie sie ihren Weg in die Stadt hinunter weiterverfolgten, den mit Geröll bedeckten Pfad hinab, und auf zwei Gestalten trafen: einen Erwachsenen und ein Kind, die den Weg bergan in Angriff nahmen, zwischen dem Blaustern und den hohen Mastixsträuchern mit ihrem gefiederten Laub und den roten und schwarzen Beeren hindurch.
Celias Herz schlug rascher, als sie Arthur erkannte, braungebrannt wie einer der Griechen, sein dunkelbraunes Haar von der Sonne kastanienfarben durchkämmt. Die Hemdsärmel hochgerollt, hatte er die zusammengeklappte Staffelei geschultert; in der anderen Hand trug er eine auf einen Holzrahmen gespannte Leinwand, scheinbar unbesorgt um die noch frische Farbe darauf.
Von früher Jugend an lebt ich lieber als sonstwo auf den Küsten von Ionien und Attika und den schönen Inseln des Archipelagos, und es gehörte unter meine liebsten Träume, einmal wirklich dahin
zu wandern, zum heiligen Grabe der jugendlichen Menschenheit. Griechenland war meine erste Liebe, und ich weiß nicht, ob ich sagen soll, es werde meine letzte sein - so hatte er Hölderlin, den deutschen Dichter, zitiert, und sich selbst damit gemeint. Dunkel wie ein Zigeuner, aber mit tiefblauen Augen, die alles, was sie sahen, in Schönheit zu verwandeln schienen, hatte er sie in dieses Abenteuer entführt, das sie vom ersten Moment an liebte, so wie sie ihn von jenem ersten Moment an geliebt hatte, in dem er als ihr neuer Zeichenlehrer ihr Elternhaus betreten hatte und sie sich gemeinsam über ihren Skizzenblock gebeugt hatten.
Rom, Die Ewige, Neapel und Syrakus, Delphi und Korinth, Salamis und Mykenä, Patras und Ithaka - rastlos hatten sie zwei Jahre lang die Stationen ihrer Reise ohne Ziel aneinander gereiht, trunken von der Sonne und dem Glück, einander gefunden zu haben. Erst unter der Akropolis von Athen, wo Helena im glühend heißen August vor fünf Jahren zur Welt gekommen war, hatten sie ein Zuhause gefunden, und hier auf Kephallinia waren sie zur Ruhe gekommen. Kephallinia, die Insel der Wunder, wie sie von den Einheimischen genannt wurde.
Es war die Wiege der abendländischen Kultur, die Arthur faszinierte, die Heimat unzähliger Götter- und Heldensagen, voller Leidenschaft, Kampf und Hass, Liebe und Tod, und jeden Morgen hatte er aufs Neue seine Staffelei aufgestellt und wie ein Besessener gemalt, Meer und Fels und Licht eingefangen und auf die Leinwand gebannt, die Geister der toten Helden und ihrer Geliebten wieder lebendig werden lassen. Die englischen, französischen und deutschen Reisenden, begierig, ein Stück dieser sonnendurchfluteten, ewigen Welt mit in die regnerische Heimat zu nehmen, deren Freunde, die zu Hause beim Betrachten der intensiven, wie von der Sonne in die Leinwand gebrannten Farben Fernweh verspürten, sie ermöglichten Arthur und Celia ein sorgenfreies, wenn auch nicht sonderlich üppiges Auskommen.
Lachen drang zu ihr herauf, vermischt mit einzelnen Wortfetzen der kraftvollen und biegsamen Sprache des Griechischen, und Celia sah, wie die beiden Hirten mit Helena schäkerten, die den Leinenbeutel mit den Pinseln und Farben ihres Vaters umgehängt hatte. Während ihr eigenes blondes Haar glatt wie gesponnenes Gold das Sonnenlicht reflektierte, umstanden Helenas Locken ihr Gesicht wie eine leuchtende Aureole, und manchmal glaubte man einen Hauch von Kupfer darin zu entdecken.
Chryso mou ...
Celia lief es im warmen Licht der Abendsonne kalt den Rücken herab.
»Chryso mou, mein Goldkind!«, hatte die alte Frau Helena zugerufen und ihre krummen Finger nach dem kleinen englischen Mädchen in seinem weißen, ärmellosen Hängerkleidchen ausgestreckt.
Sie hatte im Schatten eines der Häuser auf einem Hocker gesessen und müßig das Markttreiben beobachtet. Helena hatte sich mit erhabenem Gleichmut in ihr Schicksal ergeben und sich auf ihren Schoß ziehen, sich küssen und liebkosen lassen, wie sie es von den Griechinnen erfahren hatte, seit sie geboren war. Mit sichtlicher Freude wanderten die knorrigen Hände über das von der Sonne getönte Gesichtchen und das widerspenstige Haar, flüsterte die Greisin Koseworte, bis ihre Berührungen in einen ruhigen, stetigen Rhythmus kamen.
»Chryso, Goldkind, du bist zur Prinzessin geboren«, hörte Celia sie raunen, ihr zerfurchtes Gesicht andächtig entspannt. »Das Schicksal wird dich in die Fremde führen. Zwei Männer - Feinde - werden um dich werben, und du wirst das Geheimnis lüften, das ihr Schicksal aneinander bindet. Einer davon wird dein Glück sein. Doch lass dich nicht vom ersten Augenschein
täuschen! Die Dinge sind oftmals nicht so, wie sie zunächst scheinen oder wie du sie sehen willst ...« Ihre Stimme erstarb, ließ eine verheißungsvolle Anspannung in der Luft zurück, die nach Staub, Zwiebeln und süßen Trauben duftete.
»Können Sie mir sagen, was mich erwarten wird - mich und meinen Mann?«, hörte Celia sich selbst fragen. Ihre Worte, wie gegen einen inneren Widerstand gesprochen, waren kaum zu hören gegen das Stimmengewirr und Gelächter des Marktes.
Die alte Frau rührte sich nicht, als lauschte sie aufmerksam einer Stimme in ihrem Inneren.
Ruckartig öffnete sie die Lider, faltig wie die einer Kröte, Abwehr und so etwas wie Mitleid in den trüben Augen. Mit dem verhutzelten Daumen ihrer rechten Hand machte sie ein Kreuzzeichen über ihre Lippen, als wollte sie sie versiegeln, zu ihrem eigenen Schutz wie dem Celias, der es war, als griffe eine eisige Hand nach ihrem Herzen.
Hastig zerrte sie das erschrockene Kind vom Schoß der alten Hexe herunter und hinter sich her, mit dem Saum ihrer Röcke Wolken von Staub hinter sich aufwirbelnd, wie sie in großen Schritten die Stadt hinter sich zu bringen suchte, die ihr mit einem Mal so bedrohlich erschien.
Die Angst hatte sie nicht mehr losgelassen und an ihrer Liebe zu diesem Land zu nagen begonnen. Griechenland würde ihr fehlen - das greifbare Licht der Sonne, das scharfe Kontraste über die Landschaft zauberte, die Ebenen voll dürrer Disteln, der Duft von Holzkohle in den Pinienwäldern, der Gesang der Zikaden, das Funkeln der Luft, voll des Geruchs nach Laub und Erde und dem Salz des Meeres, doch sicher konnte sie sich hier nicht mehr fühlen.
Beschützend legte sie die Hand auf ihren noch flachen Bauch unter den leichten Musselinröcken, und stumm betete sie um Schutz für das ungeborene Kind und ihre Familie.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
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Bibliographische Angaben
- Autor: Nicole C. Vosseler
- 544 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828989373
- ISBN-13: 9783828989375
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