Der Himmel über Maralal
Mein Leben als Frau eines Samburu-Kriegers
Von der "Liebe einer Löwin" erfüllt, heiratete Christina Hachfeld den kenianischen Krieger Lpetati. Jetzt - zwei Jahre - später berichtet sie in diesem Buch von ihrem Alltag im ländlichen Norden Kenias: von Gefahren,...
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Produktinformationen zu „Der Himmel über Maralal “
Von der "Liebe einer Löwin" erfüllt, heiratete Christina Hachfeld den kenianischen Krieger Lpetati. Jetzt - zwei Jahre - später berichtet sie in diesem Buch von ihrem Alltag im ländlichen Norden Kenias: von Gefahren, Entbehrungen aber auch vom unvorstellbaren Zauber Afrikas.
Klappentext zu „Der Himmel über Maralal “
Nach ihrer Versöhnung mit Lpetati erwarten Christina neue Herausforderungen bei den Samburu: Täglich bewältigt sie die Gratwanderung zwischen alten Stammesritualen und ihrem westlichen Denken neu. Sie liebt die Gefahren, Entbehrungen, fremdartigen Traditionen, ist tief verbunden mit ihrer afrikanischen Familie - und erliegt immer wieder dem unvorstellbaren Zauber dieser Welt. Schritt für Schritt verschafft sie sich Respekt im Stamm der Samburu, und mit Lpetati verbindet sie eine tiefe Liebe. Doch wird es ihr gelingen, ihre Ziehtöchter vor der Tradition zu schützen?
Lese-Probe zu „Der Himmel über Maralal “
Der Himmel über Maralal von Christina Hachfeld-TapukaiMein afrikanisches Zuhause
Der Blaublumenhang, Sinnbild des Friedens, Ort der Ahnen, liegt in der warmen Sonne. Weiße und pastellfarbene zerborstene Quarze funkeln und beleben das klare Blau des Blütenteppichs. Die rote Erde leuchtet dazwischen, Zufriedenheit, Ruhe und Wärme verströmend, Heimat verheißend.
Etwas spürbar Magisches geht von diesem Ort aus.
Der Samburu-Krieger Lpetati, mein Mann, und ich lieben diesen Platz auf der Hochebene, nahe am Äquator gelegen und unterhalb des Blockhauses, wo wir daheim sind.
Wenn wir hier sitzen, nutzen wir alle Zeit zum Reden und zum Schweigen, in Gedanken versunken und in einem tiefen Wohlgefühl, hängen Träumen nach, von jedem anders erspürt, in verschiedene Richtungen ausufernd. Sie entführen Gedanken in das Reich der Fantasie, stärken Wünsche, geben der Realität Zukunft. Die Träume des Kriegers sind nicht meine Träume, sie begegnen sich wohl hier und da, gleichen sich an für Augenblicke, entfliehen in ewige Weiten, schweben ein wenig gemeinsam und rücken wieder voneinander ab, vertrauten Pfaden folgend, gewachsen in gewohnten Welten unterschiedlicher Kulturen.
Die Mußestunden hier verbringen zu können – welch ein Geschenk!
Und ohne das Besondere zu beherzigen, ist es ein Platz, von dem aus es sich vortrefflich beobachten lässt, was um uns herum in unserem Hochtal geschieht. Es wird von sanft geschwungenen Hügeln durchzogen, begrenzt von den mächtigen Karisia Hills. Rinder-, Schaf- und Ziegenherden ziehen zu den Weidegründen, begleitet von halbwüchsigen Knaben und Kriegern, in rote Tücher gehüllt. Die ovalen, fensterlosen Lehmhütten der Familie und von einigen Nachbarn sind gut zu erkennen. Palavernde, bunt gekleidete Frauen und Mädchen sitzen davor, einige
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beaufsichtigen Kälber und Lämmer, halbnackte Kleinkinder spielen dazwischen.
Andere Frauen und Mädchen kehren mit hochaufgebürdeten Feuerholzlasten und Wasserkanistern heim. Abseits davon, im Schatten breiter Schirmakazien, hocken die älteren Männer in Gruppen, und das Lachen junger Krieger dringt zu uns. Rot- und blaugewandete Gestalten nähern und entfernen sich auf ausgetretenen Trampelpfaden. Es gibt keine Eile, jeder Tag hat zwölf Stunden, wiederkehrende, geschenkte Zeit zum Verweilen, heute und morgen und fortdauernd. Niemand besitzt eine Uhr, nicht daheim und auch keine, die er mit sich herumträgt. Woran auch sollte sie erinnern? Wozu wäre sie von Nutzen? Der Stand von Sonne und Mond gibt klare Auskunft über den Verlauf von sich wiederholenden Aktivitäten, sich gleichenden Lebensabschnitten, in denen immer einmal wieder die Akteure wechseln und die Trocken- und Regenzeiten Akzente setzen. Weites, schönes Land Kenia.
Manchmal tauchen Elefanten und Büffel auf und verbreiten Unruhe. Zebras grasen und zierliche Thomsongazellen. Am Himmel kreisen Adlerpaare, stoßen kurze Rufe aus. Geparde durchstreifen den Busch, und am Abend hören wir, dass sich Hyänen und Löwen nähern.
In dieser Wildnis bin ich glücklich, hier befindet sich mein Afrika. Von Anfang an habe ich diesen Hang geliebt, hatte mich angezogen gefühlt, ohne diese Kraft der Anziehung erklären zu können. Aber sie stand in enger Verbindung zu Großvater, einem eindrucksvollen alten Samburu, der mir freundschaftlich begegnet ist, mein Halt und mein Berater war, als ich lernte, mit diesem mir bis dahin verschlossen gebliebenen, fremdartigen Leben zurechtzukommen. Großvater, l’akuyiaa, Babu, hatte mir diesen Platz, einen Teil des Berghanges auf dem »Land der Väter«, ans Herz gelegt und zur Nutzung anvertraut, ganz unverhofft und lange bevor er seine letzte Ruhe, wie einst sein Vater und dessen Vater, unterhalb des blauen Blütenmeeres gefunden hatte. So war hier mein Zuhause entstanden.
Noch immer, so scheint mir, schwebt Großvaters Geist über all dem Schönen, Erhabenen, Urwüchsigen, noch immer klingen seine Worte im Säuseln des leichten Windes, der beständig über das Hochland streicht, noch immer erreichen sie mein Herz.
Vieles jedoch, was »mein Afrika« betrifft, sehe ich inzwischen mit anderen Augen, und manchmal wünsche ich mir meine Blauäugigkeit zurück, dieses Entzücken und Schaudern, in einer Wunderwelt zu leben, fernab aller Vorstellungen und allen Wissens über den Kontinent, einige seiner Länder und seiner Völker, welche heute meine Empfindungen prägen. Dennoch ist meine Liebe zu Afrika und seinen Menschen ungebrochen. Das urmächtige Afrika ist stark und einzigartig.
Mögen die noch reichlich vorhandenen, tiefgreifenden Wurzeln Afrikas ureigenen Zauber festhalten und nicht entfliehen lassen, möge der Kontinent sich selbst treu bleiben und in sich ruhen, den artfremden Trugbildern nicht nacheifern, sich auf seine eigene Kraft besinnen und so eines Tages mächtiger und überzeugender sein denn je. Urgewalt Afrika.
Auf dem Weg in Kenias Norden
Es war sehr früh am Morgen und noch dunkel in Nairobi. Gerade war ich mit dem Nachtbus aus Mombasa eingetroffen, hatte mir mit geschäftstüchtigen Taxifahrern Wortgefechte geliefert, weil sie sich unaufgefordert meiner Gepäckstücke bemächtigt hatten. Jeder hoffte auf einen kleinen Verdienst. Da es nicht regnete, hatte ich auf ein Taxi verzichtet und einem Führer der großen zwei- und vierrädrigen Holzkarren, den sogenannten mkokoteni, den Auftrag erteilt, Reisetaschen und Rucksack zu befördern – wenn auch nur wenige hundert Meter weit. Um zur Kleinbusstation zu gelangen, musste ich ein heruntergekommenes Stadtviertel durchqueren, doch nur so konnte ich mein Zuhause im Norden Kenias erreichen. Mit gemischten Gefühlen folgte ich dem Karren, ging um Bodenvertiefungen herum, in denen sich Unrat angesammelt hatte, um ausgebreitete Zeitungen, Pappkartons und Jutesäcke, unter denen Menschen schliefen. In der Nähe der Halteplätze der matatus, Sammeltaxis, entlohnte ich den alten Mann und wechselte ein paar freundliche Worte mit ihm. Sein zerfurchtes Gesicht erhellte sich, und er zeigte bei einem flüchtigen Lachen etliche Zahnlücken.
»Gott segne Sie, Ma’am«, sagte er, bedankte sich und ging. Während ich ihm nachsah, umringten mich plötzlich mit Gejohle etliche der »Schnüffelkinder«, die sich an den Dämpfen von Klebstoff berauschen, um mit ihrem tristen Leben auf der Straße fertig zu werden. Ich wusste nicht, woher sie so schnell gekommen waren. Hilflos stand ich zwischen ihnen, bis einer der Jungen, etwa elf Jahre alt, mich anlächelte und spontan für mich nach einer imaginären Musik zu tanzen begann, biegsam und hingebungsvoll. Seine Freunde machten ihm bereitwillig Platz. Obwohl einer der jüngsten der Gruppe, schien er so etwas wie ihr Anführer zu sein.
Ich verfolgte lächelnd seine Bewegungen und betrachtete sein Engelsgesicht.
Mitten in seiner Darbietung wurde der kleine Tänzer von älteren, ziemlich verwegen ausschauenden Jugendlichen zunächst beklatscht, angefeuert, dann aber verhöhnt und energisch fortgejagt. Ich hätte gern irgendetwas unternommen, doch jetzt trafen mich feixende Blicke, und es war höchste Zeit, mich vor den verwahrlosten jungen Männern in Sicherheit zu bringen.
Ich kauerte mich zwischen verlassene, verdreckte und teilweise schrottreife Autos, Anspannung und Angst in mir, und wartete darauf, dass es endlich Tag wurde. Der Junge, der für mich getanzt hatte – aus welchem Grund wohl? – beschäftigte mich. Er hatte mein Herz berührt, und ich bedauerte, nicht mehr über ihn zu wissen. Ich hätte ihn gern wiedergefunden und mit ihm geredet, ihm und seinen Freunden auch gern eine warme Mahlzeit spendiert.
Das Problem der Straßenkinder ging mir sehr nahe. Ich wusste, dass es viele Waisenkinder und Kinder aus zerrütteten oder verarmten Familien unter ihnen gab, und es berührte mich, dass man
ihnen kein Zuhause und keine Perspektiven für eine lebenswerte Zukunft geben konnte. Wie würde eine Zukunft aussehen, in der vernachlässigte Kinder Erwachsene sein und vernachlässigte Pflichten sich rächen und uns den Spiegel vorhalten würden?
Die Straßenkinder und die Jugendlichen waren nicht mehr zu sehen, so verließ ich mein Versteck zwischen den alten Autos. Und nun erwachte ziemlich plötzlich das Stadtviertel zwischen Accraund River Road. Die Morgensonne stieg rasch hinter hohen verblichenen Häuserfronten empor. Überall Lärm, Fahrzeuge, hastende Menschen. Kleine Holzkohleöfen wurden auf verschlammte Gehwege gestellt, auf denen teilweise die Gully-Deckel fehlten und irgendwelche Moniereisen aus dem Boden ragten, die zu gefährlichen Stolperfallen werden konnten.
Geräumige Karren wurden aus allen Richtungen vorübergeschoben, auf Fahrrädern atemberaubend hoch aufgetürmte Berge von frischem Weißbrot balanciert, riesige Vorhängeschlösser an Holzverschlägen und wuchtigen Türen geräuschvoll geöffnet, dann klappten auch die Fahrkartenkioske ihre Holzläden auf, durch eng stehende Gitter gesichert und mit einer winzigen Öffnung für Geldeinzahlung und Herausgabe der Tickets.
Neben dem Gestank faulender Abfälle roch es nun immer appetitlicher nach Backwaren und Kaffee und besonders intensiv nach frischen maandazi und chapaiti, Schmalzgebäck und dünnen Pfannkuchen.
Immer mehr Reisende füllten die Straßen, schleppten Taschen, Bündel, Kartons und Kisten und strebten in dem wirren Durcheinander zu den Sammeltaxis, die sie in den Norden, Westen, Osten oder Süden von Kenia bringen sollten, sofern keine Busse den Weitertransport übernahmen. Reguläre Haltestellen oder Fahrpläne für die matatus gab es nicht. Man wusste nur vage, dass an dieser oder jener Ecke die Fahrzeuge eine Zeitlang zum Einsteigen hielten. Hilfreich waren einige wenige Holztafeln, die manche Chauffeure auf ihre Autodächer stellten, um zumindest die Fahrt richtung bekannt zu geben. Die Abfahrtszeit richtete sich nach der Zahl der Insassen. Ehe ein Sammeltaxi nicht voll besetzt war, lief nur der Motor, und das Radio dudelte dazu, Fahrer und Schaffner betätigten immer wieder die Hupe und suchten angestrengt nach willigen Mitreisenden. Manchmal wurden Passanten unter allerhand gutem Zureden regelrecht in die wartenden Fahrzeuge hineingeschoben. Wegen eines einzigen freien Sitzplatzes hatten wir schon bis zu einer Stunde und länger ausharren müssen. Einige Male hatte ich deshalb kurzentschlossen für den frei gebliebenen Sitz bezahlt (etwa zwei bis drei Euro!) und ihn für mein Gepäck benutzt. Daraufhin war ich belächelt worden, und ich hatte deutlich gespürt, dass nicht alle Insassen mit meiner Handlungsweise zufrieden waren. Das bezog sich hauptsächlich darauf, dass ich einen in ihren Augen teuren Sitzplatz als Gepäckträger umfunktionierte.
Sie blieben gelassen, hatten warten gelernt, und es würde niemandem in den Sinn kommen, mehr zu bezahlen als unbedingt nötig, nur um vielleicht eine halbe Stunde zu gewinnen. Natürlich freuten sie sich darüber, dass die »dumme Weiße« die Schillinge so großzügig ausgab und die Fahrt daher früher losgehen konnte. In Anbetracht der allgemein herrschenden großen Armut unter der Bevölkerung, von der sich der Großteil nie ein eigenes Fahrzeug würde leisten können, sorgte meine Handlung auch für Neid. Manche Reisende bekamen nur mit Mühe das Fahrgeld zusammen, hatten oft, um Geld zu sparen, neben ihren großen Taschen noch ein oder zwei Kinder auf dem Schoß und feilschten auch gelegentlich beim Zahlen der Tickets um lächerlich kleine Restbeträge.
Und nur, weil wir so sehr beengt saßen, konnten Kinder und Taschen in den Kurven und bei den Unebenheiten der Pisten den Vätern oder Müttern nicht von den Knien rutschen. Auf dem Sitz, den ich für meine Gepäckstücke benutzte, wurden oft noch mehr Taschen aufgetürmt oder gar Kinder obendrauf gesetzt. Bedauerlicherweise gab es in den Sammeltaxis keine oder nur eine arg begrenzte Vorrichtung, um Gepäck befördern zu können. So wurden Kanister, Koffer, Rucksäcke, Reisetaschen, selbst Hühner und ein mal eine Ziege einfach zwischen die Reisenden gequetscht oder unter die Sitze geschoben. Wenn es ans Aussteigen ging, mussten manche Reisende fast akrobatische Anstrengungen vollführen. Ich kann mich bei den unzähligen Fahrten nach Nyahururu und weiter nach Maralal kaum an eine erinnern, die angenehm gewesen wäre.
Seit Präsident Moi durch Mwai Kibaki abgelöst worden ist, hat man die Beförderung von Personen in den Sammeltaxis besser geregelt.
Pro Sitz nur eine Person! Selbst Gurte zum Anschnallen gibt es inzwischen, doch viele funktionieren nicht. Sie sind verdreht und aus den Halterungen herausgerissen, weil viele Reisenden damit nicht richtig umgehen.
Nur zu gern verließ ich die mit Müll übersäten, schadhaften Straßen und Fußwege der kenianischen Hauptstadt und ließ dabei ein Nairobi voller Gegensätze hinter mir. Schlimm war die Fahrt durch Kibera, den erbärmlichen Slum von Nairobi, mit Tausenden von Menschen, zusammengepfercht auf engstem Raum, vielleicht der größte Slum auf dem afrikanischen Kontinent.
Die verhältnismäßig junge Hauptstadt hat andererseits einiges Sehenswerte und Kulturelle zu bieten, daneben auch gepflegte, idyllisch gelegene Wohnviertel mit allem Komfort, prächtige, breite Avenuen, architektonisch interessante Hochbauten, wunderschöne Grünanlagen. Die Menschen, die in den hübscheren Vierteln zu Hause sind, gehören der Oberschicht an, sie sind Ärzte, Anwälte, Regierungsbeamte, Unternehmer, Kaufleute und Künstler oder höhere Angestellte, verbreiten Eleganz und Weltstadtflair, und ihr Hab und Gut müssen sie schützen, denn die Kriminalität in der Hauptstadt ist sehr hoch. Nairobi, eine Stadt der Gegensätze, schwer zu ertragen und zugleich schön und voller Überraschungen. Woran Nairobi, woran Kenia krankte, war eine fehlende, verbindende und ausgleichende Mittelschicht. Diese baute sich allerdings schon geraume Zeit auf, in ihrem Schlepptau ein junges Kenia, das nach vorn drängte und danach, endlich die »alte Garde«, in deren Händen Kenias Geschicke seit der Unabhängigkeit im Jahre 1963 lagen, ablösen zu können, der allgegenwärtigen Korruption den Kampf anzusagen und vieles ins Positive zu verändern. Doch das lässt sich nicht von heute auf morgen realisieren. Bis jetzt waren zahlreiche Bemühungen in dieser Richtung von oben im Keim erstickt worden. Aber die Reihen der unnachgiebigen Alten an der Spitze des Staates werden sich – naturbedingt – in absehbarer Zeit mehr und mehr lichten. Solange die »alten weisen Männer « – wie in jedem afrikanischen Stamm – das Sagen haben, wird für neue Ideen in Richtung Demokratie, für einen volksnahen Einsatz, notwendige Veränderungen, für aufgeklärte Intelligenz und mehr Weltoffenheit nicht bereitwillig Platz gemacht werden – und schon gar nicht aus der Überzeugung heraus, dass etwas Neues auch etwas Gutes beinhalten könnte. Ein Zepter aus der Hand zu geben, würde, so gesehen, einer unfreiwilligen Enthüllung und Bloßstellung gleichkommen.
Copyright © 2009 by Verlagsgruppe Lübbe
GmbH & Co. kg, Bergisch Gladbach
Andere Frauen und Mädchen kehren mit hochaufgebürdeten Feuerholzlasten und Wasserkanistern heim. Abseits davon, im Schatten breiter Schirmakazien, hocken die älteren Männer in Gruppen, und das Lachen junger Krieger dringt zu uns. Rot- und blaugewandete Gestalten nähern und entfernen sich auf ausgetretenen Trampelpfaden. Es gibt keine Eile, jeder Tag hat zwölf Stunden, wiederkehrende, geschenkte Zeit zum Verweilen, heute und morgen und fortdauernd. Niemand besitzt eine Uhr, nicht daheim und auch keine, die er mit sich herumträgt. Woran auch sollte sie erinnern? Wozu wäre sie von Nutzen? Der Stand von Sonne und Mond gibt klare Auskunft über den Verlauf von sich wiederholenden Aktivitäten, sich gleichenden Lebensabschnitten, in denen immer einmal wieder die Akteure wechseln und die Trocken- und Regenzeiten Akzente setzen. Weites, schönes Land Kenia.
Manchmal tauchen Elefanten und Büffel auf und verbreiten Unruhe. Zebras grasen und zierliche Thomsongazellen. Am Himmel kreisen Adlerpaare, stoßen kurze Rufe aus. Geparde durchstreifen den Busch, und am Abend hören wir, dass sich Hyänen und Löwen nähern.
In dieser Wildnis bin ich glücklich, hier befindet sich mein Afrika. Von Anfang an habe ich diesen Hang geliebt, hatte mich angezogen gefühlt, ohne diese Kraft der Anziehung erklären zu können. Aber sie stand in enger Verbindung zu Großvater, einem eindrucksvollen alten Samburu, der mir freundschaftlich begegnet ist, mein Halt und mein Berater war, als ich lernte, mit diesem mir bis dahin verschlossen gebliebenen, fremdartigen Leben zurechtzukommen. Großvater, l’akuyiaa, Babu, hatte mir diesen Platz, einen Teil des Berghanges auf dem »Land der Väter«, ans Herz gelegt und zur Nutzung anvertraut, ganz unverhofft und lange bevor er seine letzte Ruhe, wie einst sein Vater und dessen Vater, unterhalb des blauen Blütenmeeres gefunden hatte. So war hier mein Zuhause entstanden.
Noch immer, so scheint mir, schwebt Großvaters Geist über all dem Schönen, Erhabenen, Urwüchsigen, noch immer klingen seine Worte im Säuseln des leichten Windes, der beständig über das Hochland streicht, noch immer erreichen sie mein Herz.
Vieles jedoch, was »mein Afrika« betrifft, sehe ich inzwischen mit anderen Augen, und manchmal wünsche ich mir meine Blauäugigkeit zurück, dieses Entzücken und Schaudern, in einer Wunderwelt zu leben, fernab aller Vorstellungen und allen Wissens über den Kontinent, einige seiner Länder und seiner Völker, welche heute meine Empfindungen prägen. Dennoch ist meine Liebe zu Afrika und seinen Menschen ungebrochen. Das urmächtige Afrika ist stark und einzigartig.
Mögen die noch reichlich vorhandenen, tiefgreifenden Wurzeln Afrikas ureigenen Zauber festhalten und nicht entfliehen lassen, möge der Kontinent sich selbst treu bleiben und in sich ruhen, den artfremden Trugbildern nicht nacheifern, sich auf seine eigene Kraft besinnen und so eines Tages mächtiger und überzeugender sein denn je. Urgewalt Afrika.
Auf dem Weg in Kenias Norden
Es war sehr früh am Morgen und noch dunkel in Nairobi. Gerade war ich mit dem Nachtbus aus Mombasa eingetroffen, hatte mir mit geschäftstüchtigen Taxifahrern Wortgefechte geliefert, weil sie sich unaufgefordert meiner Gepäckstücke bemächtigt hatten. Jeder hoffte auf einen kleinen Verdienst. Da es nicht regnete, hatte ich auf ein Taxi verzichtet und einem Führer der großen zwei- und vierrädrigen Holzkarren, den sogenannten mkokoteni, den Auftrag erteilt, Reisetaschen und Rucksack zu befördern – wenn auch nur wenige hundert Meter weit. Um zur Kleinbusstation zu gelangen, musste ich ein heruntergekommenes Stadtviertel durchqueren, doch nur so konnte ich mein Zuhause im Norden Kenias erreichen. Mit gemischten Gefühlen folgte ich dem Karren, ging um Bodenvertiefungen herum, in denen sich Unrat angesammelt hatte, um ausgebreitete Zeitungen, Pappkartons und Jutesäcke, unter denen Menschen schliefen. In der Nähe der Halteplätze der matatus, Sammeltaxis, entlohnte ich den alten Mann und wechselte ein paar freundliche Worte mit ihm. Sein zerfurchtes Gesicht erhellte sich, und er zeigte bei einem flüchtigen Lachen etliche Zahnlücken.
»Gott segne Sie, Ma’am«, sagte er, bedankte sich und ging. Während ich ihm nachsah, umringten mich plötzlich mit Gejohle etliche der »Schnüffelkinder«, die sich an den Dämpfen von Klebstoff berauschen, um mit ihrem tristen Leben auf der Straße fertig zu werden. Ich wusste nicht, woher sie so schnell gekommen waren. Hilflos stand ich zwischen ihnen, bis einer der Jungen, etwa elf Jahre alt, mich anlächelte und spontan für mich nach einer imaginären Musik zu tanzen begann, biegsam und hingebungsvoll. Seine Freunde machten ihm bereitwillig Platz. Obwohl einer der jüngsten der Gruppe, schien er so etwas wie ihr Anführer zu sein.
Ich verfolgte lächelnd seine Bewegungen und betrachtete sein Engelsgesicht.
Mitten in seiner Darbietung wurde der kleine Tänzer von älteren, ziemlich verwegen ausschauenden Jugendlichen zunächst beklatscht, angefeuert, dann aber verhöhnt und energisch fortgejagt. Ich hätte gern irgendetwas unternommen, doch jetzt trafen mich feixende Blicke, und es war höchste Zeit, mich vor den verwahrlosten jungen Männern in Sicherheit zu bringen.
Ich kauerte mich zwischen verlassene, verdreckte und teilweise schrottreife Autos, Anspannung und Angst in mir, und wartete darauf, dass es endlich Tag wurde. Der Junge, der für mich getanzt hatte – aus welchem Grund wohl? – beschäftigte mich. Er hatte mein Herz berührt, und ich bedauerte, nicht mehr über ihn zu wissen. Ich hätte ihn gern wiedergefunden und mit ihm geredet, ihm und seinen Freunden auch gern eine warme Mahlzeit spendiert.
Das Problem der Straßenkinder ging mir sehr nahe. Ich wusste, dass es viele Waisenkinder und Kinder aus zerrütteten oder verarmten Familien unter ihnen gab, und es berührte mich, dass man
ihnen kein Zuhause und keine Perspektiven für eine lebenswerte Zukunft geben konnte. Wie würde eine Zukunft aussehen, in der vernachlässigte Kinder Erwachsene sein und vernachlässigte Pflichten sich rächen und uns den Spiegel vorhalten würden?
Die Straßenkinder und die Jugendlichen waren nicht mehr zu sehen, so verließ ich mein Versteck zwischen den alten Autos. Und nun erwachte ziemlich plötzlich das Stadtviertel zwischen Accraund River Road. Die Morgensonne stieg rasch hinter hohen verblichenen Häuserfronten empor. Überall Lärm, Fahrzeuge, hastende Menschen. Kleine Holzkohleöfen wurden auf verschlammte Gehwege gestellt, auf denen teilweise die Gully-Deckel fehlten und irgendwelche Moniereisen aus dem Boden ragten, die zu gefährlichen Stolperfallen werden konnten.
Geräumige Karren wurden aus allen Richtungen vorübergeschoben, auf Fahrrädern atemberaubend hoch aufgetürmte Berge von frischem Weißbrot balanciert, riesige Vorhängeschlösser an Holzverschlägen und wuchtigen Türen geräuschvoll geöffnet, dann klappten auch die Fahrkartenkioske ihre Holzläden auf, durch eng stehende Gitter gesichert und mit einer winzigen Öffnung für Geldeinzahlung und Herausgabe der Tickets.
Neben dem Gestank faulender Abfälle roch es nun immer appetitlicher nach Backwaren und Kaffee und besonders intensiv nach frischen maandazi und chapaiti, Schmalzgebäck und dünnen Pfannkuchen.
Immer mehr Reisende füllten die Straßen, schleppten Taschen, Bündel, Kartons und Kisten und strebten in dem wirren Durcheinander zu den Sammeltaxis, die sie in den Norden, Westen, Osten oder Süden von Kenia bringen sollten, sofern keine Busse den Weitertransport übernahmen. Reguläre Haltestellen oder Fahrpläne für die matatus gab es nicht. Man wusste nur vage, dass an dieser oder jener Ecke die Fahrzeuge eine Zeitlang zum Einsteigen hielten. Hilfreich waren einige wenige Holztafeln, die manche Chauffeure auf ihre Autodächer stellten, um zumindest die Fahrt richtung bekannt zu geben. Die Abfahrtszeit richtete sich nach der Zahl der Insassen. Ehe ein Sammeltaxi nicht voll besetzt war, lief nur der Motor, und das Radio dudelte dazu, Fahrer und Schaffner betätigten immer wieder die Hupe und suchten angestrengt nach willigen Mitreisenden. Manchmal wurden Passanten unter allerhand gutem Zureden regelrecht in die wartenden Fahrzeuge hineingeschoben. Wegen eines einzigen freien Sitzplatzes hatten wir schon bis zu einer Stunde und länger ausharren müssen. Einige Male hatte ich deshalb kurzentschlossen für den frei gebliebenen Sitz bezahlt (etwa zwei bis drei Euro!) und ihn für mein Gepäck benutzt. Daraufhin war ich belächelt worden, und ich hatte deutlich gespürt, dass nicht alle Insassen mit meiner Handlungsweise zufrieden waren. Das bezog sich hauptsächlich darauf, dass ich einen in ihren Augen teuren Sitzplatz als Gepäckträger umfunktionierte.
Sie blieben gelassen, hatten warten gelernt, und es würde niemandem in den Sinn kommen, mehr zu bezahlen als unbedingt nötig, nur um vielleicht eine halbe Stunde zu gewinnen. Natürlich freuten sie sich darüber, dass die »dumme Weiße« die Schillinge so großzügig ausgab und die Fahrt daher früher losgehen konnte. In Anbetracht der allgemein herrschenden großen Armut unter der Bevölkerung, von der sich der Großteil nie ein eigenes Fahrzeug würde leisten können, sorgte meine Handlung auch für Neid. Manche Reisende bekamen nur mit Mühe das Fahrgeld zusammen, hatten oft, um Geld zu sparen, neben ihren großen Taschen noch ein oder zwei Kinder auf dem Schoß und feilschten auch gelegentlich beim Zahlen der Tickets um lächerlich kleine Restbeträge.
Und nur, weil wir so sehr beengt saßen, konnten Kinder und Taschen in den Kurven und bei den Unebenheiten der Pisten den Vätern oder Müttern nicht von den Knien rutschen. Auf dem Sitz, den ich für meine Gepäckstücke benutzte, wurden oft noch mehr Taschen aufgetürmt oder gar Kinder obendrauf gesetzt. Bedauerlicherweise gab es in den Sammeltaxis keine oder nur eine arg begrenzte Vorrichtung, um Gepäck befördern zu können. So wurden Kanister, Koffer, Rucksäcke, Reisetaschen, selbst Hühner und ein mal eine Ziege einfach zwischen die Reisenden gequetscht oder unter die Sitze geschoben. Wenn es ans Aussteigen ging, mussten manche Reisende fast akrobatische Anstrengungen vollführen. Ich kann mich bei den unzähligen Fahrten nach Nyahururu und weiter nach Maralal kaum an eine erinnern, die angenehm gewesen wäre.
Seit Präsident Moi durch Mwai Kibaki abgelöst worden ist, hat man die Beförderung von Personen in den Sammeltaxis besser geregelt.
Pro Sitz nur eine Person! Selbst Gurte zum Anschnallen gibt es inzwischen, doch viele funktionieren nicht. Sie sind verdreht und aus den Halterungen herausgerissen, weil viele Reisenden damit nicht richtig umgehen.
Nur zu gern verließ ich die mit Müll übersäten, schadhaften Straßen und Fußwege der kenianischen Hauptstadt und ließ dabei ein Nairobi voller Gegensätze hinter mir. Schlimm war die Fahrt durch Kibera, den erbärmlichen Slum von Nairobi, mit Tausenden von Menschen, zusammengepfercht auf engstem Raum, vielleicht der größte Slum auf dem afrikanischen Kontinent.
Die verhältnismäßig junge Hauptstadt hat andererseits einiges Sehenswerte und Kulturelle zu bieten, daneben auch gepflegte, idyllisch gelegene Wohnviertel mit allem Komfort, prächtige, breite Avenuen, architektonisch interessante Hochbauten, wunderschöne Grünanlagen. Die Menschen, die in den hübscheren Vierteln zu Hause sind, gehören der Oberschicht an, sie sind Ärzte, Anwälte, Regierungsbeamte, Unternehmer, Kaufleute und Künstler oder höhere Angestellte, verbreiten Eleganz und Weltstadtflair, und ihr Hab und Gut müssen sie schützen, denn die Kriminalität in der Hauptstadt ist sehr hoch. Nairobi, eine Stadt der Gegensätze, schwer zu ertragen und zugleich schön und voller Überraschungen. Woran Nairobi, woran Kenia krankte, war eine fehlende, verbindende und ausgleichende Mittelschicht. Diese baute sich allerdings schon geraume Zeit auf, in ihrem Schlepptau ein junges Kenia, das nach vorn drängte und danach, endlich die »alte Garde«, in deren Händen Kenias Geschicke seit der Unabhängigkeit im Jahre 1963 lagen, ablösen zu können, der allgegenwärtigen Korruption den Kampf anzusagen und vieles ins Positive zu verändern. Doch das lässt sich nicht von heute auf morgen realisieren. Bis jetzt waren zahlreiche Bemühungen in dieser Richtung von oben im Keim erstickt worden. Aber die Reihen der unnachgiebigen Alten an der Spitze des Staates werden sich – naturbedingt – in absehbarer Zeit mehr und mehr lichten. Solange die »alten weisen Männer « – wie in jedem afrikanischen Stamm – das Sagen haben, wird für neue Ideen in Richtung Demokratie, für einen volksnahen Einsatz, notwendige Veränderungen, für aufgeklärte Intelligenz und mehr Weltoffenheit nicht bereitwillig Platz gemacht werden – und schon gar nicht aus der Überzeugung heraus, dass etwas Neues auch etwas Gutes beinhalten könnte. Ein Zepter aus der Hand zu geben, würde, so gesehen, einer unfreiwilligen Enthüllung und Bloßstellung gleichkommen.
Copyright © 2009 by Verlagsgruppe Lübbe
GmbH & Co. kg, Bergisch Gladbach
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Bibliographische Angaben
- Autor: Christina Hachfeld-Tapukai
- 2009, 367 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ehrenwirth
- ISBN-10: 3431038026
- ISBN-13: 9783431038026
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