Der Kinderdieb
Der merkwürdige Peter streift wie ein Schatten durch die Straßen New Yorks. Er ist auf der Suche nach Kindern, die dringend Hilfe brauchen. Und er bietet ihnen an, ihm in seine magische Welt zu folgen, in der niemand erwachsen wird. Doch auch hier lauert die Gefahr!
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Produktinformationen zu „Der Kinderdieb “
Der merkwürdige Peter streift wie ein Schatten durch die Straßen New Yorks. Er ist auf der Suche nach Kindern, die dringend Hilfe brauchen. Und er bietet ihnen an, ihm in seine magische Welt zu folgen, in der niemand erwachsen wird. Doch auch hier lauert die Gefahr!
Klappentext zu „Der Kinderdieb “
Vergiss das Märchen - erlebe das AbenteuerLeise wie ein Schatten streift ein merkwürdiger Junge durch die Straßen von New York. Er nennt sich Peter und ist auf der Suche nach Kindern und Teenagern, die dringend Hilfe brauchen. Peter rettet sie und bietet ihnen an, sie in sein magisches Reich zu führen, in dem niemand je erwachsen werden muss. Doch er verrät ihnen nicht, dass dieses Land im Sterben liegt und dort nicht nur magische Geschöpfe und das Abenteuer ihres Lebens auf sie warten, sondern auch größte Gefahr
Lese-Probe zu „Der Kinderdieb “
Der Kinderdieb von BromPROLOG
Heute Abend würde sie wieder geschehen: die wirklich schlimme Sache. Das Mädchen zweifelte nicht daran. Es hatte vor einigen Monaten angefangen, als ihre Brüste sich langsam entwickelt hatten, und jetzt, da ihre Mutter fort war, konnte ihn niemand mehr aufhalten. In ihrem Zimmer konnte sie hören, wie er im vollgestellten Wohnzimmer der kleinen Wohnung auf und ab ging. Er hatte einen seiner Wutanfälle, brummte vor sich hin, schimpfte auf den Fernseher, seinen Chef, den Präsidenten und Gott, aber vor allem auf ihre Mutter, weil sie so viele Pillen genommen hatte. Wieder und wieder wünschte er ihr den Teufel an den Hals. Doch ihre Mutter war tot und musste seine Tiraden deshalb nicht mehr ertragen, nie wieder. Das Mädchen wünschte, es hätte selbst so viel Glück. Dann erklang das knackende Geräusch eines Bierdosenverschlusses und dann noch mal und noch mal. Als ihre Hände zu zittern begannen, drückte sie sie fest gegen die Brust. Sie wünschte, einschlafen zu können, dann bliebe ihr zumindest das Warten erspart, die Angst. Doch sie wusste, dass sie heute Nacht kein Auge zutun würde. Da war er. Vor dem Flimmerlicht des Fernsehers zeichnete er sich als Schattenriss ab. Er lehnte in ihrem Türrahmen. Sie konnte seine Augen nicht erkennen, doch sie wusste, dass sein Blick auf sie gerichtet war. Sie zog die Bettdecke bis zum Hals hoch, als wäre die Decke ein magischer Talisman gegen das Böse. Manchmal starrte er sie stundenlang so an und brummte mit seinen beiden Stimmen vor sich hin: der freundlichen, sanften und der groben, furchteinflößenden. Sie stritten miteinander wie zwei Männer, die über Religion diskutierten. Normalerweise gewann die sanfte Stimme. Doch heute Abend war nichts von ihr zu hören. Nur ein tiefes Knurren drang aus seinem Hals, dann und wann unterbrochen von
... mehr
einem laut hervorgeblafften Fluch. Er trat in ihr Zimmer und stellte sein Bier auf die Kommode, direkt neben ihren Betty-Boop-Wecker, der sie morgens immer mit seiner knisternden Version des »Boop-oop-a-doop« weckte. In letzter Zeit war sie oft nicht zur Schule gegangen, weil sie die Blicke und das Getuschel der anderen Schüler und der Lehrer leid war. Alle waren so vorsichtig in ihrer Gegenwart, als ob der Selbstmord ihrer Mutter eine ansteckende Krankheit wäre. Vor allem aber wollte sie Mrs. Stewart, der Schulpsychologin, und ihren bohrenden Fragen aus dem Weg gehen. Irgendwie schien Mrs. Stewart von der Sache zu wissen und wirkte fest entschlossen, das Mädchen zum Reden zu bringen. Das machte ihr Angst. An der Schläfe hatte sie eine fünf Zentimeter lange Narbe, wo nie wieder Haar wachsen würde. Die hatte er ihr mit einer Gabel beigebracht, das einzige Mal, als sie es ihrer Mutter hatte sagen wollen. Das Mädchen stellte fest, dass es in letzter Zeit immer mehr über die Pillen nachdachte, die ihre Mutter geschluckt hatte. Sie fragte sich, ob die Pillen sie zu ihrer Mutter bringen würden. Darüber dachte sie jedes Mal nach, wenn die schlimme Sache geschah. Seine Hand lag auf ihr schwer, heiß. Sogar durch die Decke spürte sie die Hitze, die von ihm ausging. Er zog die Laken beiseite und setzte sich neben sie. Sein massiger Körper drückte sich tief in die Federkernmatratze, sodass sie auf ihn zurutschte. Er legte ihr eine schwielige Hand auf die Wade und ließ sie langsam an der Innenseite ihres Schenkels hinaufgleiten, unter ihr Nachthemd. Seine wulstigen Finger drückten und bohrten, sein Atem ging schwer. Er stand auf. Sie hörte, wie seine Bronzegürtelschnalle schwer auf den Boden fiel, dann war er auch schon über ihr. Die kleine Matratze ächzte unter seinem Gewicht. Sie umklammerte ihr Kissen und versuchte krampfhaft, nicht zu schreien. Stattdessen starrte sie aus dem Fenster und gab sich Mühe, an etwas anderes zu denken. Die Sterne waren heute Nacht besonders hell. Sie konzentrierte sich auf den magischen Glanz der Sterne, wünschte sich, zwischen ihnen umherfliegen zu können, so weit fort, dass der Mann sie nie wieder berühren konnte. Ein Schatten verdunkelte die Sterne. Jemand saß am Fenster und schaute zu ihnen herein. Im schwachen Licht erkannte sie, dass es sich um einen Jungen handelte. Er schob das Fenster hoch und schlüpfte mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung ins Zimmer. »Was zum ...«, sagte der Mann, doch der Junge hechtete bereits quer durchs Zimmer und traf ihn mit beiden Füßen. Der Mann taumelte rückwärts auf den Flur. Der Junge bewegte sich schnell, schneller, als das Mädchen es je bei einem Menschen gesehen hatte. Noch bevor der Mann wieder auf die Beine kam, hatte er sich auf ihn gestürzt. Die beiden polterten über den Flur und außer Sicht. Etwas schlug so hart gegen die Wand, dass das Bett des Mädchens wackelte. Der Mann stieß ein Heulen aus, und etwas zerbrach. Dann ertönte ein einziger, abgehackter Schrei aus der Kehle des Mannes, gefolgt von einem tiefen »Oh Gott«, das mehr wie ein Ausatmen klang, und schließlich ein dumpfer Aufschlag. Stille senkte sich über die Wohnung. Das Mädchen blickte zum offenen Fenster und überlegte, ob es fliehen sollte, doch bevor es etwas tun konnte, war der Junge schon wieder da. Als drahtiger Schattenriss stand er in der Tür. Als er ins Zimmer trat, wich sie zurück. Das schien den Jungen zu beunruhigen. Leise eilte er ans Fenster, sprang hoch und hockte sich aufs Fensterbrett. Sein schulterlanges, zerzaustes Haar war rotbraun, und er hatte Sommersprossen auf Nase und Wangen und spitze Ohren. Er schaute zu den Sternen auf, als wollte er ihre Magie in sich aufsaugen, und wandte sich dann wieder zu dem Mädchen um. Ihr fiel auf, dass er goldene Augen hatte, wie ein Luchs. Als er den Kopf schief legte und lächelte, funkelten die goldenen Augen. In ihnen lag etwas Wildes, etwas Aufregendes und Gefährliches. Der Junge schob ein Bein auf die Feuerleiter hinaus und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. Sie wollte aufstehen, doch dann hielt sie inne. Was dachte sie sich eigentlich dabei? Sie konnte diesem seltsamen Jungen doch nicht einfach in die Nacht hinaus folgen. Also schüttelte sie den Kopf. Sein Lächeln verblasste. Er schaute erneut zu den Sternen hinauf, und dann winkte er, wie um sich von ihr zu verabschieden. »Warte!«, rief sie. Er hielt inne. Mehr fiel ihr nicht ein. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wusste nur, dass sie nicht wollte, dass dieser Zauberjunge sie verließ. Ein funkelnder Stern erregte ihre Aufmerksamkeit. All die Sterne leuchteten so hell, dass sie sich plötzlich fragte, ob sie träumte, ob dieser Junge vielleicht aus dem Himmel herabgestiegen war, um sie von hier fortzuholen. Blinzelnd versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie brauchte einen Moment zum Nachdenken. Sie wollte ins Bad, aber dafür musste sie über den Flur, und das wollte sie nicht. Sie wollte nicht sehen, was der goldäugige Junge mit dem Mann gemacht hatte. Außerdem wollte sie den Jungen nicht aus den Augen lassen, aus Angst, dass der Zauber sich verflüchtigte, dass er bei ihrer Rückkehr für immer fort und sie dann allein wäre. Ihr Blick fiel auf die schwere Messinggürtelschnalle des Mannes, auf die zusammengeknüllte Hose darunter, und sie begann, den Saum ihres Nachthemds zu verdrehen, immer fester, bis schließlich ein Schluchzen aus ihrer Kehle drang. In Tränen aufgelöst rutschte sie aus dem Bett und ging auf die Knie. Der Junge trat zu ihr und kniete sich neben sie. Während sie, die Hände vors Gesicht geschlagen, dasaß und weinte, erzählte er ihr von einer verzauberten Insel, auf die keine Erwachsenen durften. Dort gab es andere Kinder wie sie, die gerne lachten und spielten. Dort konnte man großartige Abenteuer erleben. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und brachte sogar ein Lächeln zustande, während sie über die alberne Geschichte den Kopf schüttelte. Doch als er sie einlud, ihn dorthin zu begleiten, erwischte sie sich dabei, ihm zu glauben. Und obwohl eine Stimme tief in ihrem Innern ihr sagte, dass sie sich von diesem Jungen fernhalten sollte, wünschte sie sich in jenem Moment nichts sehnlicher, als mit ihm zu gehen. Sie ließ den Blick durch das winzige Zimmer schweifen, in dem der Mann ihr so viel geraubt hatte. Hier gab es nichts außer schmerzlichen Erinnerungen. Was hatte sie also zu verlieren? Als der Junge sich erneut anschickte zu gehen, zog sie sich eilig an und folgte ihm über die Feuerleiter auf die Straße und hinaus in die Nacht. Hätte das Mädchen nur mit den anderen Jungen und Mädchen reden können, jenen etwa, die dem goldäugigen Jungen bereits gefolgt waren, dann hätte es gewusst, dass man immer noch etwas zu verlieren hat.
TE IL 1: Peter
Kapitel 1
DER KINDERDIEB
In einer kleinen Ecke des Prospect Park in Brooklyn versteckte sich ein Dieb zwischen den Bäumen. Dieser Dieb hielt nicht nach einer unbewachten Geldbörse, nach einem Handy oder einem Fotoapparat Ausschau. Dieser Dieb suchte nach einem Kind. In der Abenddämmerung jenes Spätsommertags spähte der Kinderdieb zwischen den Schatten und den herabsegelnden Blättern hindurch und beobachtete die spielenden Kinder. Sie kletterten auf die grüne Riesenschildkröte, rutschten ihren gelben Rücken hinunter, lachten, schrien, neckten sich und jagten einander im Kreis. Doch der Dieb interessierte sich nicht für ihre glücklichen Gesichter. Er wollte nicht irgendein Kind stehlen. Er war wählerisch. Er suchte nach einem traurigen Gesicht, nach einem Einzelgänger ... einem verlorenen Kind. Je älter, desto besser. Am besten wäre ein vierzehn- oder fünfzehnjähriges, weil Teenager stärker waren, ein höheres Durchhaltevermögen hatten und meistens länger überlebten. Der Dieb wusste, dass ihm Frau Glück bei dem Mädchen hold gewesen war. Die Kleine war ein guter Fang, trotz der dummen Sache mit ihrem Vater. Er lächelte, als er sich an den komischen Gesichtsausdruck des Mannes erinnerte, als er ihm das Messer in die Brust gestoßen hatte. Doch wo war Frau Glück jetzt? Er war seit zwei Tagen auf der Jagd. Nichts. Letzte Nacht hätte er beinahe Erfolg bei einem Jungen gehabt, doch beinahe reichte nicht. Der Dieb verzog das Gesicht und sagte sich einmal mehr, dass er die Dinge langsam angehen musste. Man musste erst Freundschaft mit ihnen schließen, ihr Vertrauen gewinnen. Man konnte kein Kind stehlen, solange es einem nicht vertraute. Vielleicht würde Frau Glück ihm heute Abend beistehen. Stadtparks hatten sich als gute Jagdgründe für den Kinderdieb erwiesen. Oft schlugen kleine Streuner und Ausreißer ihr Lager im Gebüsch auf und benutzten die öffentlichen Toiletten, um sich zu waschen. Die waren immer auf der Suche nach Freunden. Als die Sonne langsam hinter den Hochhäusern verschwand, krochen die Schatten aus ihren Löchern und mit ihnen der Dieb. Geduldig wartete er darauf, dass die hereinbrechende Dunkelheit die Spreu vom Weizen trennte und die einsamen Kinder zurückblieben. Nick huschte in den Eingangsbereich des Kaufhauses und drückte sich flach gegen die Edelstahltür. Sein Atem ging schnell und heftig. Er presste die Wange an das kalte Metall und kniff die Augen zu. »Ich bin am Arsch. Total am Arsch.« Für seine vierzehn Jahre war Nick dünn und ein wenig klein geraten. Der dunkle, unregelmäßige Pony hing ihm ins schmale Gesicht und ließ die bleiche Hautfarbe umso deutlicher hervorstechen. Er musste dringend zum Friseur, aber in letzter Zeit gehörte sein Haarschnitt zu seinen geringsten Sorgen. Nick ließ seine Tasche zu Boden fallen, schob sich die Strähnen aus dem Gesicht und rollte behutsam einen Ärmel seiner schwarzen Jeansjacke auf. Er betrachtete die verbrannte Innenseite seines Unterarms und verzog das Gesicht. Die grellroten Male, die sein Fleisch durchzogen, bildeten ein krudes N. Er gab sich Mühe, nicht an das albtraumhafte Erlebnis zu denken, doch die Erinnerung kehrte in Form sengender Blitzlichtaufnahmen zurück: Männer, die ihn zu Boden drückten in seiner eigenen Küche. Der säuerliche, ranzige Geschmack
des Spülschwamms, den sie ihm in den Mund gestopft hatten. Marko, der große Marko mit dem Stiernacken und dem bösen Grinsen, der den Garderobenhaken auf der Herdplatte erhitzte. Der Draht, der erst zu rauchen begann und dann rot wurde und dann ... der Schmerz ... glühender, sengender Schmerz. Himmel, der Gestank, und schlimmer noch, das Geräusch. Er würde niemals das brutzelnde Geräusch seines eigenen verbrennenden Fleisches vergessen. Ein würgender Schrei, von dem dreckigen, nassen Schwamm erstickt, während die anderen lachten. Marko direkt vor ihm, Marko mit den langen, borstigen Kinnhaaren und den hervortretenden, blutunterlaufenen Augen. »Willst du wissen, wofür das N steht?«, hatte er gezischt. »Hä, willst du das wissen, Arschwichser? Es steht für Narc. Ein Narc ist eine Petze. Wenn du jemals auch nur einen Mucks über diese Sache von dir gibst, brenne ich dir jeden Buchstaben einzeln in die Zunge. Hast du das kapiert, du kleiner Scheißer?« Nick öffnete die Augen. »Muss in Bewegung bleiben.« Er griff nach seiner Tasche und öffnete den Reißverschluss. Darin befanden sich ein paar Tüten Kartoffelchips, Brot, ein Glas Erdnussbutter, ein Taschenmesser, zwei Dosen Mineralwasser, ein blauer Hasenfuß an einem Lederband und Metamphetamine im Wert von etwa dreißigtausend Dollar. Er wühlte zwischen den Hunderten von kleinen, transparenten Plastiktütchen herum, bis er den blauen Hasenfuß fand. Es handelte sich um ein Geschenk von seinem Vater, das Einzige, was Nick von ihm geblieben war. Er küsste die Hasenpfote und hängte sie sich um den Hals. Heute würde er jedes bisschen Glück gebrauchen können. Er beugte sich vor und schaute hastig in beide Richtungen die viel befahrene Straße entlang, wobei er insbesondere nach einem abgewrackten grünen Lieferwagen Ausschau hielt. Er hatte auf einen Stau gehofft, damit er eine bessere Chance hatte, es lebend in die U-Bahn zu schaffen, doch derzeit fuhren die Autos in stetigem Tempo an ihm vorbei. Das Tageslicht verblasste, und bald würde der Lieferwagen nur ein weiteres helles Scheinwerferpaar in der Nacht sein. Nick warf sich die Tasche über die Schulter und trat geduckt auf den Bürgersteig. Im Laufschritt schlängelte er sich zwischen den verstreuten Fußgängern hindurch. Der Wind war kalt, und die Leute hatten den Kragen hochgeschlagen und hielten den Blick gesenkt. Nick tat es ihnen nach, umrundete eine Ansammlung alter Männer und Frauen vor einem italienischen Restaurant und versuchte sich im dünnen Rinnsal der Passanten zu verlieren. Du hast es vergeigt, Nicky Boy, dachte er. So richtig vergeigt. Dennoch war ein Teil von ihm glücklich, der Teil, der alles darum gegeben hätte, die Gesichter dieser Dreckskerle zu sehen, wenn sie feststellten, dass ihre gesamten Vorräte verschwunden waren. Es würde eine ganze Weile dauern, bis Marko wieder im Geschäft war. Hinter ihm hupte jemand. Nick machte einen Satz und fuhr herum. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Doch es war nicht der grüne Lieferwagen, sondern nur ein zugeparkter Autofahrer. Als Nick schließlich die Bäume weiter vorne sah, durchströmte ihn Erleichterung. Prospect Park war nur noch einen Häuserblock entfernt. Zwischen den Bäumen würden sie ihn nicht so leicht ausfindig machen, und wenn er quer durch den Park ging, käme er beim U-Bahnhof raus. Nick rannte los. Die Schatten krümmten sich und verschmolzen, Schicht um Schicht, bis der Spielplatz im Dunkeln lag. Nach und nach erwachten die Natriumlampen zischend zum Leben. Ihr gelb schimmerndes Licht warf lange, unheimliche Schatten über den Park. Die Eltern waren fort, der Spielplatz war leer. Die Mülleimer, die vor leeren Getränkedosen und schmutzigen Windeln überquollen, standen da wie einsame Wachtposten, und ferne Verkehrsgeräusche mischten sich mit dem gleichmäßigen Wummern einer aufgedrehten Stereoanlage. Der Kinderdieb sah den Jungen schon von weitem durch den Park rennen und erhaschte einige kurze Blicke auf sein Gesicht, als er durch die gelben Lichtpfützen unter den Laternen hastete. Der Dieb bemerkte die Angst, die Unsicherheit, und er lächelte. Was hatte diesen Jungen hergetrieben: Schläge, Vernachlässigung, Missbrauch? Vielleicht alles drei? Eigentlich kam es dem Dieb nicht darauf an. Wichtig war nur, dass etwas den Jungen veranlasst hatte, sein Zuhause zu verlassen und sich allein in die Nacht hinauszuwagen. Er war ein Ausreißer. Und wie so viele Ausreißer wusste er nicht, wohin er ausreißen sollte. Keine Angst, dachte der Kinderdieb. Ich weiß, wo du hinkannst. An einen Ort, an dem wir spielen können. Seine goldenen Augen funkelten, und sein Lächeln wurde breiter. Nick kam an einem jungen Paar vorbei, das gerade den Park verließ. Die beiden kicherten und klebten aneinander wie siamesische Zwillinge. Er schlug einen weiten Bogen um einen Mann mit Hund. Der Hund irgend so ein großer Pudel schaute Nick beschämt an, während er sein Geschäft verrichtete. Der Mann starrte derweil ausdruckslos auf sein Telefon und schrieb eine SMS. Offenbar störte es ihn nicht weiter, dass sein Hund Tretminen auf den Gehweg legte. Ein gutes Stück weiter vorne entdeckte Nick ein Rudel Jugendlicher. Sie gingen quer über die Wiese, brüllten rum und kamen sich toll dabei vor. Wahrscheinlich würden sie ihm nur Ärger machen, und Nick brauchte nicht noch mehr Ärger. Er verließ den Fußweg und verschwand zwischen den Bäumen. Nick bahnte sich einen Weg durch eine dichte Hecke und sprang in einen breiten Graben. Sein Fuß traf ein feuchtes Stück Pappe, worauf er stolperte und auf etwas Weichem landete. Das weiche Etwas bewegte sich. »He«, erklang es gedämpft von unten. Das weiche Etwas war ein Schlafsack, der so zerschlissen und verschmiert aussah, als hätte man ihn durch die Gosse geschleift. Der Jemand darin war eine Frau, die nicht sehr viel besser aussah. Ihr verschmierter, kirschroter Lippenstift und die zahlreichen Lagen verkrusteter Schminke darunter konnten die Spuren des Lebens auf der Straße nicht vertuschen. Vielleicht war sie früher mal schön, dachte Nick, doch ihr verfilztes Haar, die tief in den Höhlen liegenden Augen und die eingefallenen Wangen erinnerten nun eher an einen Kadaver. Sie wälzte sich herum, setzte sich auf, fasste Nick ins Auge und lächelte. Ein kahlköpfiger Mann mit langem, weißgrauem Bart streckte den Kopf aus einem nahen Schlafsack. »Wer ist da?« Nick stellte fest, dass um ihn herum im Gebüsch mehrere Schlafsäcke lagen. Dazwischen waren Pappkartons, blaue Plastikplanen und ein Einkaufswagen voller Mülltüten verstreut. »Nur ein Junge«, sagte die Frau. »Ein hübsches kleines Kerlchen.« Nick rollte sich von ihr runter, doch als er aufstehen wollte, packte sie ihn mit harten, knochigen Händen am Unterarm. Nick schrie und versuchte, sich loszureißen. »Wo willst du denn hin, mein Süßer?« »Suchst du was, Junge?«, fragte der Mann und rappelte sich wankend auf. Weitere Köpfe lugten aus Schlafsäcken und Pappkartons hervor, lauter trübe, verschlafene Blicke, die sich auf Nick richteten. »Natürlich sucht er etwas«, sagte die Frau und lächelte verschlagen. »Für zehn Kröten blas ich dich in den siebten Himmel. Haste zehn Kröten?«
Nick starrte sie entsetzt an. Der alte Mann grunzte und gab ein Kichern von sich. »Das ist ein Bombengeschäft, Junge. Glaub mir. Die bringt dich zum Jodeln.« Ein paar andere Männer nickten und lachten. Nick schüttelte hastig den Kopf und wollte sich dem Klammergriff der Frau entwinden, doch sie ließ nicht locker. »Dann fünf Kröten«, sagte sie. »Fünf Kröten, dafür blas ich dir deine kleine Rakete. Was hältst du davon?« Aus dem Augenwinkel bemerkte Nick eine Bewegung hinter sich: zwei Männer, die zäh und hungrig aussahen und ihn wie eine Gratismahlzeit beäugten. »Lassen Sie mich los«, flehte Nick und versuchte, ihre Finger einzeln zu lösen. »Bitte. Bitte lassen Sie mich los.« »Du verpasst was«, gurrte sie und öffnete die Finger, worauf er rückwärtstaumelte und gegen einen der beiden Männer prallte. Der Mann packte Nick bei den Haaren, drehte ihn um und tastete mit der anderen Hand nach seiner Tasche. Nick schrie auf und riss sich los. Er spürte, wie sich mehrere Haarbüschel aus seiner Kopfhaut lösten, aber das war ihm egal, solange er nur seine Tasche hatte. Auf die Tasche kam es an, auf seinen letzten Trumpf. Er drückte sie fest an die Brust, wankte, fasste Fuß und kraxelte aus dem Graben. Oben trampelte er durchs Gebüsch und rannte davon, verfolgt von gräulichem Gelächter. Erst als der Graben weit hinter ihm lag, hielt er inne. Schließlich erreichte er einen Spielplatz und lehnte sich an eine große, grinsende Schildkröte, um Atem zu schöpfen und sich zur Ruhe zu zwingen. In einem Graben, dachte er. Werde ich heute Nacht in einem Graben schlafen? Und die Nacht darauf und die darauf? Zwischen solchen Gruselgestalten? Er ließ die Tasche zwischen seinen Füßen zu Boden fallen. Sein Herz raste noch immer. Mit den Augen suchte er die Schatten ab, die Bäume, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war oder ihm folgte. Dann holte er ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und zählte es hastig durch. Sechsundfünfzig Dollar. Wie weit komme ich damit? Er hob die Tasche auf. Nein, das ist ja nicht alles. Sobald ich einen Dealer finde, habe ich so viel Geld, wie ich brauche. Den Teil seines Plans hatte er sich natürlich noch nicht so genau überlegt: Wie sollte ein Vierzehnjähriger es anstellen, einen großen Drogendeal abzuschließen? Das kriege ich schon hin, beruhigte er sich. Ich muss es nur geschickt anstellen. Ich gehe zu ... zu ... zu wem soll ich bloß mit dem Zeug? »Verdammt.« Dann sagte er sich, dass es im Moment einzig und allein darauf ankam, die U-Bahn-Haltestelle zu erreichen und schnellstens von hier zu verschwinden. Und dann was? Hm? Er warf einen Blick ins Gebüsch, und ihm wurde klar, dass er noch nicht einmal einen Schlafsack hatte. Langsam fragte er sich, ob seine Mutter nicht recht gehabt hatte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Marko einfach nicht in die Quere zu kommen. Dann hätte er jetzt zumindest noch einen Schlafplatz und etwas zu essen. Er krempelte seinen Ärmel hoch und betrachtete die Brandwunde an seinem Arm. Sofort erinnerte er sich wieder an Markos abscheuliches Grinsen, an seine zornigen, blutunterlaufenen Augen. Nein, dachte Nick. Es war ihr Fehler. All das. Sie ist diejenige, die diese Blutsauger überhaupt erst in Großmutters Haus gelassen hat. Nichts von alledem wäre passiert, wenn sie nicht so selbstsüchtig gewesen wäre. Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, und rieb sich wütend die Augen. »Scheiße«, sagte er. »Elende Scheiße.« Zwischen den Bäumen ertönte ein dumpfer Laut. Nick fuhr herum in der Erwartung, Marko oder die grauenvolle Frau mit den angemalten Lippen zu sehen. Doch außer den Bäumen und dem gelben Licht war nichts zu erkennen. Er schaute sich um. Es gab kein Anzeichen, dass jemand in der Nähe war. Eine unheimliche Stille hatte sich über den Park gesenkt.
Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung. Ein Schatten von der Größe eines Kindes kletterte senkrecht an einem Baumstamm empor und verschwand im Geäst. »Was zum Teufel ist das?«, flüsterte Nick und beschloss dann, dass er es lieber nicht wissen wollte. Er drehte sich um und rannte Richtung Straße. Nick trat nur wenige Meter von der U-Bahn-Station entfernt aus dem Park. Als die Straße frei war, begann er, sie zu überqueren, doch nach drei Schritten erstarrte er. »Ach du ...!« Am Treppengeländer lehnte Bennie, einer von Markos Jungs, einer von dem guten Dutzend Minderjähriger, die seinen Dreck vertickten. Ein kalter Schauer lief Nick über den Rücken. Weiß Bennie Bescheid? Der Kerl hatte sein Handy am Ohr. Natürlich weiß er Bescheid. Ein Hupen erinnerte Nick daran, dass er mitten auf der Straße stand. Er wirbelte herum, war mit einem Satz auf dem Gehsteig und eilte mit eingezogenem Kopf zurück in den Park. Nicht rennen, sagte er sich. Er hat dich nicht gesehen. Geh ganz normal weiter. Bleib ruhig. Als er wieder zwischen den Bäumen war, riskierte er einen Blick über die Schulter. Bennie war fort. Nick wusste, dass Bennie die ganze Truppe anrufen würde, falls er ihn gesehen hatte. Dann wären bald alle auf der Suche nach ihm. Himmel, dachte Nick, was soll ich bloß machen? Er drang tiefer in den Park vor, wobei er sich immer wieder nach Verfolgern umschaute. Ich kann schließlich nicht ewig hierbleiben. »Yo, Kumpel. Was geht?« Nick stieß einen Schrei aus, als jemand auf einem aufgemotzten BMX-Rad an ihm vorbeifuhr, eine Kehrtwende hinlegte und sich ihm in den Weg stellte. Der Junge mit den zusammengekniffenen Augen sah ein paar Jahre älter aus als Nick. Er trug eine aufgeplusterte Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war, und eine weite, tief auf den Hüften hängende Hose. Blonde Rastazöpfe ragten unter seiner Baseballmütze hervor wie elektrisierte Raupen. Der Junge lehnte sich im Sattel zurück, und ein verschlagenes, höhnisches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Nicks Herz schlug wie wild. Gehört er zu Markos Jungs? Auf jeden Fall sieht er aus wie einer von diesen Volldeppen. Der Junge mit den Raupen auf dem Kopf kratzte sich die Pickel am Kinn und stützte sich auf seinen Lenker. »Yo, Mann, hast 'n Dollar für mich?« Nick entspannte sich ein wenig. Das war nur irgend so ein Idiot, der ihn abzocken wollte. Bildete er sich denn wirklich ein, dass alle Jungs hier in der Gegend nach ihm suchten? Als Nick keine Antwort gab, seufzte der Raupenkopf, holte sich einen Klumpen Kaugummi aus dem Mund und klebte ihn auf seinen Lenker. Er bedachte Nick mit einem finsteren Blick, der ihm offenbar mitteilen sollte, dass es jetzt ernst wurde. Nick hatte es täglich mit solchen Arschlöchern zu tun. Eine kleine Demütigung, ein bisschen körperliche Misshandlung auf Kosten seiner Selbstachtung hier hörte der Spaß nie auf. Doch im Moment hatte er keine Zeit für solche Spiele. Er musste von hier verschwinden. Nick überlegte, ob er dem Kerl einfach sein Geldbündel rüberschieben sollte, dann könnte er vielleicht wenigstens die Tasche behalten. Aber wie weit würde er ohne Bargeld kommen? »Yo, Kumpel, ich rede mit dir.« Der Tonfall des Teenagers verriet, dass der gute alte Nicky Boy seine Geduld ernsthaft auf die Probe stellte. Nick fragte sich, ob dieser spitznasige Möchtegerngangster in jeden seiner Sätze ein Yo, Kumpel oder Mann einbauen würde. »Yo, Mann«, sagte der Teenager, »biste taub, oder was?« Er schnippte direkt vor Nicks Nase mit den Fingern. Nick zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück. »Mann, jetzt machst du dir gleich in die Hose.« Der Junge
schnaubte. »Bleib locker, Kumpel. Ich verarsch dich doch bloß.« Nick grinste angestrengt und rang sich ein kleines Lachen ab, für das er sich sofort hasste. Nur eines war schlimmer, als herumgeschubst zu werden, nämlich so tun zu müssen, als ob man dazugehörte. In diesem Fall war Lachen genau die falsche Taktik. Nick war nicht in der Schule. Er war allein im Park, und das kraftlose Lachen verriet dem anderen Jungen, dass Nick kein Kämpfer war, sondern ... ein Opfer. Die Stimme des Jungen wurde leiser, kalt und ernst. »Wie viel Geld haste dabei?« Der Tonfall machte Nick Angst. Er klang fies, nach einem Jungen, der möglicherweise einen Schritt zu weit gehen und ihn ernsthaft verletzen würde. »Ich bin mit meinem großen Bruder hier.« Nick gab sich Mühe, ganz locker zu klingen, als hätte er wirklich einen großen Bruder, der auf ihn aufpasste. Der andere Junge schaute sich nicht mal um. Er saß einfach mit vor der Brust verschränkten Armen da und betrachtete Nick mit einer Miene, die sagte: Komm mir bloß nicht so. »Er ist nur mal kurz da drüben in die Büsche gegangen.« Nick zeigte ins Dunkel zwischen den Bäumen. »Zum Pinkeln. Er kommt jede Sekunde zurück.« Natürlich erleichterte sich dort im Zwielicht kein großer Bruder, doch wenn einer der beiden Jungen hingesehen hätte, hätte er vielleicht einen goldäugigen Schatten bemerkt, der sich auf dem Ast einer großen Eiche langsam an sie heranschob. Der Teenager schüttelte bedächtig den Kopf. »Oooh Maaann.« Er ließ das Wort zu einem langgezogenen, enttäuschten Seufzer ausklingen, wie um zu fragen, warum Nick so einen netten Kerl wie ihn anlog. »Yo, was ist da in der Tasche?«
Nicks Finger schlossen sich fester um die Trageriemen. Er wischte sich die Haare aus dem Gesicht und hielt nach einem Fluchtweg Ausschau. »Yo.« Der Junge musterte Nick aus zusammengekniffenen Augen. »Kenn ich dich nicht?« Nick gefror das Blut in den Adern. »Stimmt. Du wohnst in Markos Bude.« Das ist nicht Markos Bude, wollte Nick schreien. Es war das Haus seiner Großmutter. Marko sollte eigentlich nur ein Mieter sein, aber er und seine Bande hatten den Laden an sich gerissen, und Nicks Mutter, seine gottverdammte Mutter, hatte nicht das Geringste dagegen unternommen. »Ja«, sagte der Teenager. »Du bist der komische Typ, der oben bei seiner Mami wohnt und nie aus seinem Zimmer kommt. Marko meint, du bist schwul oder so.« Wenn der Kerl mit »komischer Typ« meinte, dass Nick nicht mit den Möchtegerns an der Straßenecke stand und den Frauen an den Hintern packte, dass er sich nicht ständig in den Schritt fasste und Mädchen nicht als Schlampen bezeichnete, dass er keine zu großen Pullis trug und nicht Tag und Nacht Gangster spielte, dann musste Nick ihm wohl recht geben. Aber Nick wusste, dass es nicht allein das war. Schon bevor sie umgezogen waren, in Fort Bragg, hatte er Schwierigkeiten damit gehabt, sich einzufügen. Aber hier in Brooklyn, wo »komischer Typ« praktisch ein Kosename war, verglichen damit, wie ihn die meisten anderen Jungen nannten, fühlte er sich langsam wie ein Aussätziger. Als käme er von einem fremden Planeten. In letzter Zeit versuchte er erst gar nicht mehr, Freundschaften zu schließen. Wahrscheinlich verbrachte er viel zu viel Zeit damit, in seinem Zimmer zu lesen, zu malen, Videospiele zu spielen und alles andere zu unternehmen, um solchen Mistkerlen wie dem hier aus dem Weg zu gehen. »He, hast du Bennie gesehen?«
»Wen?«, fragte Nick und wich erneut einen Schritt zurück. »Was meinste mit wen? Bennie. Mann, der ist ständig bei euch. Haste ihn jetzt gesehen?« Nick schüttelte den Kopf und machte einen weiteren Schritt nach hinten, doch der Junge ließ sein Fahrrad näher heranrollen. »Hör mal, ich muss los«, sagte Nick. »Äh ... ich muss eine Kleinigkeit für Marko erledigen. Du weißt schon.« »Wie? Marko? Du vertickst jetzt für Marko? Niemals.« »Nichts Großes«, fügte Nick hastig hinzu. »Nur ein kleiner Botengang.« »Ja, klar.« Plötzlich klang der Junge freundlich, als wäre er nicht eben noch kurz davor gewesen, Nick eine reinzuhauen und ihn auszunehmen. »Bennie hat ein gutes Wort für mich eingelegt. Meinte, dass Marko mich vielleicht auch bald ins Geschäft bringt.« Dann sagte er, als fiele es ihm jetzt erst ein: »Mann, du weißt, dass ich dich nur verarscht hab, oder? Alles klar bei uns, ja?« »Klar.« Nick zwang sich zu einem Lächeln. Hauptsache so schnell wie möglich weg von hier. »Wir sehen uns.« Er ging Richtung Spielplatz. »Yo«, rief ihm der Junge nach. »Wenn du Marko triffst, dann grüß ihn von seinem Kumpel Jake.« Klar doch, dachte Nick. Wenn er mir die Zunge mit einem heißen Draht versengt, werde ich ganz sicher daran denken, ihn von seinem Kumpel Jake zu grüßen. Jakes Telefon erwachte zum Leben. Nick wusste, dass Bennie dran war, noch bevor Jake ranging. Er beschleunigte seinen Schritt. Der Junge kramte sein Telefon hervor und klappte es auf. »Yo. Wie? Mann, du meinst im Park. Wie jetzt ... niemals. Das hat er gemacht? Mann ey, das gibt's doch nicht.« Nick bemerkte, wie der Junge einen kurzen Blick in seine Richtung warf. »Nicht nur das«, sagte er. »Nein, Mann, ich will damit sagen, dass ich genau das habe, was du suchst.« Nicks Herz hämmerte ihm in der Brust. »Ja, genau das. In Ordnung, super. Bei der Schildkröte. Du weißt schon, das grüne Kletterding auf dem Spielplatz.« Er blickte erneut zu Nick hinüber. »Keine Sorge, er hat nichts ...« Nick rannte los. Wenn er es zwischen die Bäume schaffte, dann konnte er Jake vielleicht im Unterholz abhängen, dann hatte er vielleicht eine Chance. Er konzentrierte sich so sehr aufs Rennen, dass er nicht mal hörte, wie das Fahrrad ihn einholte. Der ältere Junge trat nach Nick, der sofort den Halt verlor und über den Fußweg schlitterte, wobei er sich auf dem Beton die Handflächen aufschürfte. Nick schrie und versuchte aufzustehen, doch Jake war sofort zur Stelle, um ihn mit einem weiteren Tritt zu Boden zu schicken. »Du willst doch nicht ohne deinen großen Bruder gehen, oder?«, fragte Jake und trat erneut zu. Nick hörte das Klatschen von Turnschuhen auf dem Weg. Zwei Jungen näherten sich im Laufschritt. »Yo! Yo! Jake!«, rief einer von den beiden. Es war Bennie. »Mann, haste den Tritt gesehen?«, brüllte Jake aufgedreht. »Haste den gesehen? Verdammt, ich bin Steven Seagal!« Er griff sich mit einer Hand in den Schritt und schnippte mit den Fingern der anderen, während er sich gleichzeitig auf die Unterlippe biss und mit dem Kopf wippte. »Leg dich nicht mit Jake-the-Snake an. Wie findste das, Bennie?« Jake streckte die flache Hand aus. »Gib mir fünf, Kumpel.« Bennie bedachte Jake mit einem fast mitleidigen Blick, beachtete die Hand nicht weiter und wandte sich sofort Nick zu. Sein kalter Gesichtsausdruck vermittelte deutlich, dass der Spaß jetzt vorbei war. Bennie würde sich nicht so bescheuert anstellen wie der zurückgebliebene Idiot, der neben ihm stand. Bennie war massig. Nach allem, was Nick gehört hatte, war er Verteidiger in der Footballmannschaft der Lincoln High gewesen, bevor man ihn wegen eines Angriffs auf seinen Mathelehrer der Schule verwiesen hatte. Angeblich hatte er dem Mann ein Auge mit einem Bleistift ausgestochen. Bennie hatte wulstige, harte Hände, die aussahen wie Baumwurzeln, Hände, mit denen man Vierteldollarstücke zerbrechen kann, und dazu lange, buschige Brauen über kleinen, zusammengekniffenen Augen. Der Blick aus diesen Augen war kalt nicht bösartig, einfach nur kalt. Als ob er überhaupt nichts empfand. Bennie starrte Nick an und durchbohrte ihn mit seinem kalten Blick. Schließlich sagte er: »Oh Mann, wenn ich mir jemanden aussuchen dürfte, in dessen Haut ich auf keinen Fall stecken möchte, wärst du das.« »So was von!«, fügte Jake hinzu und wandte sich dann dem dritten Jungen zu, einem kleinen, muskulösen Kerl mit kurzen Armen und Hängeschultern. »Yo, Freddie. Sieh dir mal seine Schuhe an. In solchen Schwuchtelschuhen würdest du mich nicht tot erwischen.« »Schwule Schuhe«, urteilte Freddie in so breitem BrooklynAkzent, dass es klang, als wäre seine Zunge geschwollen. Er trat gegen Nicks Schuhsohlen. Es ging um Nicks koboldgrüne Converse-Imitate. Nick konnte den Jungs nicht mal einen Vorwurf machen niemand hasste diese Dinger mehr als er selbst. Solche Schuhe gab es in diesen großen Tonnen im 99-Cent-Laden, direkt unter der Vitrine mit den Ein-Dollar-Uhren. Kurz nach dem Umzug war er aus seinen grünen Vans rausgewachsen den besten Skateboardschuhen, die er jemals besessen hatte. Er hatte seine Mutter um ein neues Paar gebeten, und sie war mit diesen Wunderwerken nach Hause gekommen. Als Nick sie fragte, wie er in den Dingern skaten sollte, ob sie erwartete, dass er damit zur Schule ging, und ob sie der größte Geizhals von ganz New York wäre, bezeichnete sie ihn als verwöhnten Rotzlöffel und verließ den Raum. Natürlich war sein Skateboard ohnehin kurz nach Markos Auftauchen verschwunden, weshalb die Sache mit dem Skaten keine große Rolle mehr spielte. Aber dass die anderen sich jeden Tag in der Schule über ihn lustig machten, half ihm ganz und gar nicht dabei, sich einzufügen. Bennie klappte sein Handy auf und drückte die Wahlwiederholungstaste. Er schlug die Kapuze seines Basketballpullis zurück und rieb sich über den dunklen Flaum auf seinem Schädel. »He, Marko, wer hat's voll drauf? Ganz genau. Nein, ich verarsch dich nicht. Klar hab ich ihn. Der Vollidiot ist direkt zur U-Bahn, genau, wie du meintest. Wir sind im Park. Weiß nicht.« Bennie schaute sich um. »In der Nähe vom Spielplatz. Nein, nicht der. Der mit der Kackschildkröte. Wir warten. Keine Bange, das kleine Miststück geht nirgendwohin.« Bennie klappte das Handy zu. »Schau in seine Tasche.« Freddie griff nach der Tasche. Nick riss sie ihm weg und rappelte sich hektisch auf, doch Freddie erwischte ihn, bevor er auch nur einen Schritt weit gekommen war, und drehte ihm schmerzhaft den Arm auf den Rücken. Bennie riss ihm die Tasche aus der Hand. »Was da wohl drin ist?«, fragte er sarkastisch und öffnete den Reißverschluss. Er stieß einen Pfiff aus und hielt die Tasche Jake und Freddie hin, damit sie den Inhalt sehen konnten. Sie machten große Augen. »Scheiße! Das Zeug ist sicher hundert Riesen wert«, sagte Freddie. Jake starrte Nick verblüfft an. »Mann, Marko schlitzt dich auf und wirft dich den Fischen zum Fraß vor.« Nick riss einen Arm los und versuchte, sich aus Freddies Griff zu winden. Er begann so laut er konnte zu schreien und zu brüllen. Bennie versetzte Nick einen Schlag, der sich anfühlte, als ob eine Leuchtrakete in seinem Kopf explodierte. Als Nick erneut losbrüllte, bohrte Bennie ihm eine Faust in den Magen, was Nick zusammenklappen ließ. Bennie packte ihn am Schopf und schaute ihm direkt in die Augen. »Willst du weglaufen?« Bennie grinste, packte Nicks Hose mit beiden Händen und riss sie ihm bis auf die Knöchel herunter. »Mach schon. Lauf.« Keuchend und hustend versuchte Nick, Atem zu schöpfen. »Lass ihn los«, sagte Bennie dann. Freddie gehorchte. Nick hielt sich den Bauch und fiel beinahe um. »Komm schon«, sagte Bennie. »Worauf wartest du? Mach dich vom Acker.« Jake und Freddy grunzten. Bennie schubste Nick, der stolperte, ein paar Schritte watschelte und es mit Müh und Not schaffte, auf den Beinen zu bleiben, obwohl ihm die Hose um die Knöchel schlackerte. Freddie und Jake konnten kaum an sich halten vor Lachen. Dann prallte Bennie mit voller Wucht gegen Nick. Nicks Füße verfingen sich in der Hose, und er ging zu Boden. »Schau in seiner Unterwäsche nach«, sagte Bennie. »Wahrscheinlich hat die kleine Schwuchtel sich das Zeug in den Arsch gesteckt.« Freddie tastete Nick ab. Er steckte ihm eine Hand in die Hosentasche und brachte das Dollarbündel zum Vorschein. »Zahltag!« »Gib das her«, sagte Bennie und nahm ihm das Geld ab. »Das ist Markos.« Bennie beugte sich so dicht zu Nick herunter, dass dieser die Tomatensoßeflecken an seinen Mundwinkeln sehen konnte. »Marko hat gesagt, dass er seine Werkzeugkiste mitbringt. Meinte, das wird eine echte Horrorshow. Ich liebe Horrorshows. Du auch?« Der Ast über ihnen erzitterte, und es regnete Blätter. Dann war ein leiser Aufprall zu hören. Nick und Freddie sahen ihn als Erste. Als Bennie und Jake auffiel, was für Gesichter sie machten, fuhren beide herum. Ein Junge, der kaum größer war als Nick, stand auf dem Gehweg. Er hatte eine handgearbeitete Lederhose mit direkt daran angenähten, spitzen Stiefeln an. Dazu trug er eine zerlumpte Anzugjacke, eine von der altmodischen Sorte mit Troddeln, und darunter einen schwarzen Kapuzenpulli und einen Wildlederbeutel, fast wie eine Geldbörse, der mit einem Schultergurt befestigt war. Der Junge schlug die Kapuze zurück. Zweige und Blätter steckten in dem zerzausten, schulterlangen roten Haar, das darunter zum Vorschein kam. Seine Wangen und seine Nase waren von Sommersprossen übersät. Die Ohren des Jungen waren, nun ja, irgendwie spitz, wie die von Mr. Spock oder von einem kleinen Weihnachtswicht. Doch das Seltsamste an ihm waren seine golden glänzenden Augen. Der Junge stemmte die Hände und die Hüften, und sein Gesicht erstrahlte in einem breiten Lächeln. »Ich heiße Peter. Kann ich mitspielen?« Der Kinderdieb musterte die Teenager, wobei er sorgfältig darauf achtete, weiter zu lächeln und seine Verachtung nicht zu zeigen. Ich muss listig sein, dachte er. Schließlich will ich mir nicht den Spaß verderben. Er betrachtete die ausdruckslosen, verwirrten Mienen der drei älteren Jugendlichen und dachte: Sie sind blind. So blind wie eine Nuss in ihrer Schale. Überall um sie herum ist Magie, und sie bemerken nicht die Spur davon. Wie war das möglich? Vor nur wenigen Jahren, wenn nicht gar Monaten, waren sie noch Kinder gewesen, ihre Körper und Seelen von Magie durchdrungen, lebendig und offen für all die Zauberdinge, die sie umtanzten. Jetzt seht sie euch an, diese elenden, verunsicherten kleinen Nichtskönner, die den Rest ihres Lebens mit dem Versuch verbringen werden, etwas wiederzufinden, ohne auch nur zu wissen, dass sie es verloren haben. Ich würde diesen dreien einen Gefallen tun, wenn ich sie aufschlitze. Seine Augen fingen bei dem Gedanken an zu leuchten. Teufel auch, und es wäre ein Heidenspaß, ihre Gesichter zu beobachten, wenn sie mit ihren eigenen Eingeweiden jonglieren. Ein Heidenspaß. Aber er war nicht hier, um sich zu amüsieren. Er war hier, um einen neuen Freund zu gewinnen. Peter schaute zu dem Jungen, dem die Hose um die Knöchel schlackerte und der so krampfhaft versuchte, nicht in Tränen auszubrechen. Dieses Kind musste er auf seine Seite ziehen, denn man konnte Kinder nicht gegen ihren Willen in den Nebel bringen. Das würde der Nebel niemals zulassen. Allerdings konnte man Kinder in den Nebel führen. Deshalb mussten sie einem vertrauen. Und das Vertrauen von Kindern gewann man nicht, indem man direkt vor ihren Augen andere Jugendliche aufschlitzte, selbst wenn es sich um gemeine, hässliche Jugendliche handelte. So schloss man keine neuen Freundschaften. Peter stellte fest, dass dieser Teil der Jagd ihm großen Spaß machte. Er gewann gerne die Herzen von Kindern. Das gab ihm die Gelegenheit, ein Weilchen zu spielen. Spiele sind wichtig. Schließlich unterscheidet mich genau das von diesen dumpfen, glotzäugigen Schwanzlutschern, nicht wahr? Also beschloss der Kinderdieb, sich ein bisschen mit ihnen zu vergnügen. »Darf ich auch mitspielen?«, wiederholte der Junge. Freddie versteifte sich, und sein Griff wurde fester. Nick nahm an, dass dieser rothaarige, goldäugige Junge Freddie genauso verunsicherte wie ihn selbst. »Verdammt, wer bist du?«, zischte Bennie. »Peter.«
»Und was willst du?« »Spielen«, sagte Peter entnervt. »Wie oft muss ich denn noch fragen, Mäusehirn?« Bennies eine große Augenbraue zog sich zusammen. »Mäusehirn?« Zum ersten Mal, seit Nick zurückdenken konnte, wirkte Bennie ratlos. Der Kerl warf Freddie einen Blick zu, als wüsste er nicht genau, ob man ihn beleidigt hatte oder nicht. »Oh Mann. Junge, das hättest du nicht tun sollen«, sagte Freddie. »Dafür bringt er dich um.« Doch Bennie sah nicht aus, als hätte er vor, jemanden umzubringen. Typen wie er waren es nicht gewohnt, dass andere Jungs ihnen blöd kamen. Es brachte sie aus dem Konzept. »Also, was sind die Regeln?«, fragte Peter. »Hä?« Verwirrt zog Bennie die Braue zu einem dichten Büschel zusammen. »Na, die Regeln, du Schlaukopf«, sagte Peter und verdrehte die Augen zum Himmel. »Was für Regeln hat das Hosenspiel, Mister Hängeklöten?« »Regeln?«, wiederholte Bennie, der nun nicht mehr verwirrt, sondern stinksauer klang und sein Gleichgewicht langsam wiederfand. Er schleuderte Nicks Tasche zu Boden und deutete mit einem Finger drohend auf Peter. »Ich spiele nicht nach irgendwelchen Regeln, du Volldepp!« »Gut«, sagte Peter, und bevor jemand auch nur blinzeln konnte, schoss er vor und zog Bennie die weite Trainingshose bis zu den Knöcheln herunter. »PUNKT FÜR MICH!«, rief Peter. Einen regungslosen Moment lang stand Bennie einfach nur mit offenem Mund da und starrte auf seine Unterhose herab. Genau genommen starrten alle auf seine Unterhose, bei der es sich nicht etwa um ein schickes Calvin-Klein-Modell handelte. Vielmehr trug Bennie eine klassisch weiße 08/15-Unterhose, die offenbar über mehrere Geschwistergenerationen hinweg Flecken und Löcher angesammelt hatte. Bennies Gesicht wurde lavalampenrot, und als er wieder aufblickte, sah er aus, als würden ihm gleich die kleinen Äuglein aus den Höhlen springen. »DU KLEINER ARSCH!«, schrie Bennie und langte nach Peter. Doch der goldäugige Junge war schnell, unglaublich schnell. Nick konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor gesehen zu haben, dass jemand sich so schnell bewegte. Bennie griff ins Leere, seine Füße verfingen sich in seiner Hose, und er ging mitsamt seiner löchrigen Unterwäsche zu Boden und klatschte auf den Gehweg wie ein dickes Stück Teig. Der Junge mit den spitzen Ohren quittierte Bennies Possen mit einem lauten, herzhaften Lachen, und plötzlich musste auch Nick grinsen. Er konnte nichts dagegen machen. Freddie stieß ihn beiseite und stürzte sich auf Peter. Der fremde Junge wich ihm mühelos aus, wobei er genau auf Bennies Kopf trat. Bennie prallte mit dem Gesicht auf den Asphalt, und Nick hörte ein knirschendes Geräusch, das ihn zusammenzucken ließ, gefolgt von Bennies Schrei. Als der Junge den Kopf hob, strömte ihm Blut aus der Nase, die in einem seltsamen Winkel abstand. »Heilige Scheiße«, sagte Nick. Freddie setzte Peter nach, wobei er über Bennie hinwegzuspringen versuchte, der gerade aufstand. Die beiden prallten zusammen und gingen ineinander verkeilt zu Boden. Peter machte einen Satz und landete mit einem doppelten Kniestoß auf Freddies Rücken, der jeden Profiwrestler mit Stolz erfüllt hätte. Nick hörte, wie mit einem gequälten Ächzen alle Luft aus den Lungen des Angegriffenen wich. Freddie rollte sich von Bennie runter und zappelte keuchend im Gras herum, wobei er den Mund öffnete und schloss wie ein Guppy. Während er noch verzweifelt nach Luft rang, flitzte Peter zu ihm, packte ihn am Hosenboden und zog auch ihm die Hose bis zu den Knöcheln runter. »NOCH EIN PUNKT! Macht zwei für mich!« Peter blinzelte Nick zu und brach erneut in lautes Gelächter aus. Nick war sich nicht sicher, ob er Begeisterung oder Entsetzen verspürte. Peter wandte sich nun dem Jungen auf dem Fahrrad zu. Er stemmte die Hände in die Hüften und musterte Jake finster und herausfordernd. Doch Jake, der gute alte Wang-Fu-Kämpfer, Jake the Snake, der verdammte Steven Seagal höchstpersönlich, stand wie angewurzelt da und sah aus, als hätte er soeben einen ausgewachsenen Schlaganfall erlitten. »DU SCHEISSKERL!«, schrie Bennie in Peters Richtung, während er taumelnd auf die Beine kam. Er zog sich die Trainingshose hoch, steckte eine Hand in die Tasche und brachte ein Messer zum Vorschein, und zwar ein großes. Dann ließ er die Klinge hervorschnappen. »DU DRECKIGER SCHEISSKERL, ELENDER WICHSER!« »Himmel«, sagte Nick. Bennie war locker doppelt so groß wie Peter und wog wahrscheinlich viermal so viel. Verschwinde von hier, Junge, dachte Nick. Lauf, solange du noch kannst. Doch Peter stand einfach nur da, die Hände in die Hüften gestemmt, die Lippen zusammengepresst, die Augen zu Schlitzen verengt. Bennies Unterlippe zitterte. Er spuckte Blut, brüllte, stürmte vor und stach nach dem Gesicht des Fremden. Peter duckte sich und wirbelte herum. Einmal mehr stellte Nick verblüfft fest, wie schnell der Junge war. Mit dem Handrücken traf er Bennie ins Gesicht. Von seiner Position aus konnte Nick nicht sehen, wie der Schlag sein Ziel fand, aber die Art, wie Bennies Kopf zurückgeschleudert wurde, und ein scheußlicher, knackender Laut verrieten ihm, dass der Angeber erledigt war.
Der Riesenkerl ging mit schlaff herabhängenden Armen in die Knie und klatschte mit dem Gesicht voran auf den Gehweg. Ein kalter Schauer lief Nick über den Rücken. Er ist tot. Ganz sicher ist er tot. Einen Augenblick lang bemerkte er einen gehetzten Ausdruck auf Peters Gesicht. Dann, als wüsste er, dass jemand ihn beobachtete, setzte Peter schlagartig wieder sein sonderbares Lächeln auf. Doch Nick bekam das Bild nicht aus seinem Kopf. Er hatte etwas Wildes gesehen, etwas Furchteinflößendes. Peter beugte sich über Bennie, packte ihn am Hosenboden und zog ihm erneut die Trainingshose runter. »Der zählt. Das wären dann drei Punkte für mich!«, rief Peter zufrieden. »Ich habe gewonnen!« Er warf den Kopf in den Nacken und krähte wie ein Hahn. Freddie starrte ihn entsetzt an, während er sich die Hose hochzog und hastig aufstand. Er rannte los, wobei er gegen Jake prallte und ihn beinahe vom Fahrrad stieß. Jakes Blick schoss zwischen Nick und der Tasche hin und her. Nein! Oh nein!, dachte Nick und wollte sich auf die Tasche werfen, doch da seine Beine noch immer in seiner Hose verfangen waren, stolperte er. Hektisch versuchte er, sich die Hose hochzuziehen. Jake schnappte sich die Tasche und trat mit voller Kraft in die Pedale. Als Nick seine Hose wieder anhatte, war Jake längst außer Sicht. Peter winkte und rief lachend: »Bis dann, Freunde!« »SCHEISSE!«, schrie Nick und trommelte mit den Fäusten ins Gras. »SCHEISSE! SCHEISSE! SCHEISSE!« »He, Kleiner«, sagte Peter. »Ich habe mich gut geschlagen, was?« Nick stützte den Kopf in die Hände und raufte sich die Haare. Was soll ich jetzt machen?, fragte er sich. Was zum Teufel soll ich jetzt machen? Beschissener kann's ja wohl nicht werden!
»Ich habe mich gut geschlagen, was?«, wiederholte Peter. »Findest du nicht?« Nick bemerkte, dass Peter mit ihm redete. »Hä?«, fragte er, leise und unsicher. »Na, bei dem Hosenspiel. Ich habe doch gewonnen, findest du nicht?« In Anbetracht der Tatsache, dass Bennie lang hingestreckt auf dem Asphalt lag und seine Arschritze aus der Unterhose hervorschaute, konnte Nick das nicht abstreiten. Peter trat auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Nick wich zurück. »He«, sagte Peter. »Keine Bange. Wir gehören zur selben Mannschaft. Schon vergessen?« Nick streckte vorsichtig die Hand aus. Peter schüttelte sie zufrieden und zog ihn hoch. »Ich bin Peter. Wie heißt du?« »Nick«, sagte der Junge abwesend, während er den Park mit Blicken nach Marko und seinen Kumpanen absuchte. Er rechnete fest damit, dass sie jeden Moment zwischen den Bäumen hervorkommen würden. Diese Kerle fackelten nicht lange. Zweifellos würden sie bewaffnet sein und keine Hemmungen haben, ihn und Peter abzuknallen. »Schön, dich kennenzulernen, Nick. Also, was möchtest du jetzt gerne machen?« »Wie?« »Was möchtest du jetzt gerne machen?« »Verschwinde von hier«, nuschelte Nick und ging auf die Bäume zu in Richtung U-Bahn, doch dann hielt er inne. Er durchwühlte seine Hosentaschen. »Verdammt.« Bennie hatte ihm sein letztes Geld abgenommen. Er würde einen anderen Weg raus aus Brooklyn finden müssen. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Wo sollte er hin? Marko konnte überall sein, aus jeder Richtung kommen. Nick drehte sich hastig um und wäre beinahe mit Peter zusammengestoßen. Er hatte nicht mal bemerkt, dass der Junge ihm gefolgt war. Ein schelmischer Ausdruck lag in dessen Blick. »Also, wie gehen wir vor?« »Was?«, fragte Nick. »Wie wir vorgehen? Hör mal, Junge ...« »Peter.« »Peter, du begreifst das nicht. Ein paar üble Kerle sind auf dem Weg hierher.« Peter wirkte erfreut. »Sie haben Pistolen. Mit denen ist echt nicht zu spaßen. Die bringen dich um.« »Nick, ich sagte doch, wir sind in einer Mannschaft.« Nick lachte rau. Himmel, er glaubt, dass das alles ein Spiel ist. »Möchtest du nicht sie umbringen?«, fragte Peter. »Das würde sicher verdammt viel Spaß machen.« »Wie bitte?«, fragte Nick ungläubig, doch er merkte, dass es dem Jungen ernst war. »Nein, ich will nichts mit ihnen zu tun haben. Ich muss verschwinden, und zwar auf der Stelle.« »Ich kenne einen Geheimpfad.« Peter schaute sich kurz um. »Die finden uns nie. Komm mit.« Damit wandte er sich zum Gehen. Der spinnt, dachte Nick, musste jedoch den Impuls unterdrücken, ihm trotzdem einfach blind hinterherzurennen. Dieser Junge hatte etwas Einnehmendes, etwas, das in Nick den Wunsch weckte, ihm wider besseres Wissen zu folgen. Nick ließ den Blick erneut durch den Park schweifen. Es war dunkel. Er war allein. Allein hatte man es schwer. Er schloss die Hand um seinen Hasenfuß, holte tief Luft und folgte dem goldäugigen Jungen.
Deutsche Erstausgabe Februar 2010
Copyright © 2009 by Brom
Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe bei PAN-Verlag.
Übersetzung: »Jakob Schmidt«
TE IL 1: Peter
Kapitel 1
DER KINDERDIEB
In einer kleinen Ecke des Prospect Park in Brooklyn versteckte sich ein Dieb zwischen den Bäumen. Dieser Dieb hielt nicht nach einer unbewachten Geldbörse, nach einem Handy oder einem Fotoapparat Ausschau. Dieser Dieb suchte nach einem Kind. In der Abenddämmerung jenes Spätsommertags spähte der Kinderdieb zwischen den Schatten und den herabsegelnden Blättern hindurch und beobachtete die spielenden Kinder. Sie kletterten auf die grüne Riesenschildkröte, rutschten ihren gelben Rücken hinunter, lachten, schrien, neckten sich und jagten einander im Kreis. Doch der Dieb interessierte sich nicht für ihre glücklichen Gesichter. Er wollte nicht irgendein Kind stehlen. Er war wählerisch. Er suchte nach einem traurigen Gesicht, nach einem Einzelgänger ... einem verlorenen Kind. Je älter, desto besser. Am besten wäre ein vierzehn- oder fünfzehnjähriges, weil Teenager stärker waren, ein höheres Durchhaltevermögen hatten und meistens länger überlebten. Der Dieb wusste, dass ihm Frau Glück bei dem Mädchen hold gewesen war. Die Kleine war ein guter Fang, trotz der dummen Sache mit ihrem Vater. Er lächelte, als er sich an den komischen Gesichtsausdruck des Mannes erinnerte, als er ihm das Messer in die Brust gestoßen hatte. Doch wo war Frau Glück jetzt? Er war seit zwei Tagen auf der Jagd. Nichts. Letzte Nacht hätte er beinahe Erfolg bei einem Jungen gehabt, doch beinahe reichte nicht. Der Dieb verzog das Gesicht und sagte sich einmal mehr, dass er die Dinge langsam angehen musste. Man musste erst Freundschaft mit ihnen schließen, ihr Vertrauen gewinnen. Man konnte kein Kind stehlen, solange es einem nicht vertraute. Vielleicht würde Frau Glück ihm heute Abend beistehen. Stadtparks hatten sich als gute Jagdgründe für den Kinderdieb erwiesen. Oft schlugen kleine Streuner und Ausreißer ihr Lager im Gebüsch auf und benutzten die öffentlichen Toiletten, um sich zu waschen. Die waren immer auf der Suche nach Freunden. Als die Sonne langsam hinter den Hochhäusern verschwand, krochen die Schatten aus ihren Löchern und mit ihnen der Dieb. Geduldig wartete er darauf, dass die hereinbrechende Dunkelheit die Spreu vom Weizen trennte und die einsamen Kinder zurückblieben. Nick huschte in den Eingangsbereich des Kaufhauses und drückte sich flach gegen die Edelstahltür. Sein Atem ging schnell und heftig. Er presste die Wange an das kalte Metall und kniff die Augen zu. »Ich bin am Arsch. Total am Arsch.« Für seine vierzehn Jahre war Nick dünn und ein wenig klein geraten. Der dunkle, unregelmäßige Pony hing ihm ins schmale Gesicht und ließ die bleiche Hautfarbe umso deutlicher hervorstechen. Er musste dringend zum Friseur, aber in letzter Zeit gehörte sein Haarschnitt zu seinen geringsten Sorgen. Nick ließ seine Tasche zu Boden fallen, schob sich die Strähnen aus dem Gesicht und rollte behutsam einen Ärmel seiner schwarzen Jeansjacke auf. Er betrachtete die verbrannte Innenseite seines Unterarms und verzog das Gesicht. Die grellroten Male, die sein Fleisch durchzogen, bildeten ein krudes N. Er gab sich Mühe, nicht an das albtraumhafte Erlebnis zu denken, doch die Erinnerung kehrte in Form sengender Blitzlichtaufnahmen zurück: Männer, die ihn zu Boden drückten in seiner eigenen Küche. Der säuerliche, ranzige Geschmack
des Spülschwamms, den sie ihm in den Mund gestopft hatten. Marko, der große Marko mit dem Stiernacken und dem bösen Grinsen, der den Garderobenhaken auf der Herdplatte erhitzte. Der Draht, der erst zu rauchen begann und dann rot wurde und dann ... der Schmerz ... glühender, sengender Schmerz. Himmel, der Gestank, und schlimmer noch, das Geräusch. Er würde niemals das brutzelnde Geräusch seines eigenen verbrennenden Fleisches vergessen. Ein würgender Schrei, von dem dreckigen, nassen Schwamm erstickt, während die anderen lachten. Marko direkt vor ihm, Marko mit den langen, borstigen Kinnhaaren und den hervortretenden, blutunterlaufenen Augen. »Willst du wissen, wofür das N steht?«, hatte er gezischt. »Hä, willst du das wissen, Arschwichser? Es steht für Narc. Ein Narc ist eine Petze. Wenn du jemals auch nur einen Mucks über diese Sache von dir gibst, brenne ich dir jeden Buchstaben einzeln in die Zunge. Hast du das kapiert, du kleiner Scheißer?« Nick öffnete die Augen. »Muss in Bewegung bleiben.« Er griff nach seiner Tasche und öffnete den Reißverschluss. Darin befanden sich ein paar Tüten Kartoffelchips, Brot, ein Glas Erdnussbutter, ein Taschenmesser, zwei Dosen Mineralwasser, ein blauer Hasenfuß an einem Lederband und Metamphetamine im Wert von etwa dreißigtausend Dollar. Er wühlte zwischen den Hunderten von kleinen, transparenten Plastiktütchen herum, bis er den blauen Hasenfuß fand. Es handelte sich um ein Geschenk von seinem Vater, das Einzige, was Nick von ihm geblieben war. Er küsste die Hasenpfote und hängte sie sich um den Hals. Heute würde er jedes bisschen Glück gebrauchen können. Er beugte sich vor und schaute hastig in beide Richtungen die viel befahrene Straße entlang, wobei er insbesondere nach einem abgewrackten grünen Lieferwagen Ausschau hielt. Er hatte auf einen Stau gehofft, damit er eine bessere Chance hatte, es lebend in die U-Bahn zu schaffen, doch derzeit fuhren die Autos in stetigem Tempo an ihm vorbei. Das Tageslicht verblasste, und bald würde der Lieferwagen nur ein weiteres helles Scheinwerferpaar in der Nacht sein. Nick warf sich die Tasche über die Schulter und trat geduckt auf den Bürgersteig. Im Laufschritt schlängelte er sich zwischen den verstreuten Fußgängern hindurch. Der Wind war kalt, und die Leute hatten den Kragen hochgeschlagen und hielten den Blick gesenkt. Nick tat es ihnen nach, umrundete eine Ansammlung alter Männer und Frauen vor einem italienischen Restaurant und versuchte sich im dünnen Rinnsal der Passanten zu verlieren. Du hast es vergeigt, Nicky Boy, dachte er. So richtig vergeigt. Dennoch war ein Teil von ihm glücklich, der Teil, der alles darum gegeben hätte, die Gesichter dieser Dreckskerle zu sehen, wenn sie feststellten, dass ihre gesamten Vorräte verschwunden waren. Es würde eine ganze Weile dauern, bis Marko wieder im Geschäft war. Hinter ihm hupte jemand. Nick machte einen Satz und fuhr herum. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Doch es war nicht der grüne Lieferwagen, sondern nur ein zugeparkter Autofahrer. Als Nick schließlich die Bäume weiter vorne sah, durchströmte ihn Erleichterung. Prospect Park war nur noch einen Häuserblock entfernt. Zwischen den Bäumen würden sie ihn nicht so leicht ausfindig machen, und wenn er quer durch den Park ging, käme er beim U-Bahnhof raus. Nick rannte los. Die Schatten krümmten sich und verschmolzen, Schicht um Schicht, bis der Spielplatz im Dunkeln lag. Nach und nach erwachten die Natriumlampen zischend zum Leben. Ihr gelb schimmerndes Licht warf lange, unheimliche Schatten über den Park. Die Eltern waren fort, der Spielplatz war leer. Die Mülleimer, die vor leeren Getränkedosen und schmutzigen Windeln überquollen, standen da wie einsame Wachtposten, und ferne Verkehrsgeräusche mischten sich mit dem gleichmäßigen Wummern einer aufgedrehten Stereoanlage. Der Kinderdieb sah den Jungen schon von weitem durch den Park rennen und erhaschte einige kurze Blicke auf sein Gesicht, als er durch die gelben Lichtpfützen unter den Laternen hastete. Der Dieb bemerkte die Angst, die Unsicherheit, und er lächelte. Was hatte diesen Jungen hergetrieben: Schläge, Vernachlässigung, Missbrauch? Vielleicht alles drei? Eigentlich kam es dem Dieb nicht darauf an. Wichtig war nur, dass etwas den Jungen veranlasst hatte, sein Zuhause zu verlassen und sich allein in die Nacht hinauszuwagen. Er war ein Ausreißer. Und wie so viele Ausreißer wusste er nicht, wohin er ausreißen sollte. Keine Angst, dachte der Kinderdieb. Ich weiß, wo du hinkannst. An einen Ort, an dem wir spielen können. Seine goldenen Augen funkelten, und sein Lächeln wurde breiter. Nick kam an einem jungen Paar vorbei, das gerade den Park verließ. Die beiden kicherten und klebten aneinander wie siamesische Zwillinge. Er schlug einen weiten Bogen um einen Mann mit Hund. Der Hund irgend so ein großer Pudel schaute Nick beschämt an, während er sein Geschäft verrichtete. Der Mann starrte derweil ausdruckslos auf sein Telefon und schrieb eine SMS. Offenbar störte es ihn nicht weiter, dass sein Hund Tretminen auf den Gehweg legte. Ein gutes Stück weiter vorne entdeckte Nick ein Rudel Jugendlicher. Sie gingen quer über die Wiese, brüllten rum und kamen sich toll dabei vor. Wahrscheinlich würden sie ihm nur Ärger machen, und Nick brauchte nicht noch mehr Ärger. Er verließ den Fußweg und verschwand zwischen den Bäumen. Nick bahnte sich einen Weg durch eine dichte Hecke und sprang in einen breiten Graben. Sein Fuß traf ein feuchtes Stück Pappe, worauf er stolperte und auf etwas Weichem landete. Das weiche Etwas bewegte sich. »He«, erklang es gedämpft von unten. Das weiche Etwas war ein Schlafsack, der so zerschlissen und verschmiert aussah, als hätte man ihn durch die Gosse geschleift. Der Jemand darin war eine Frau, die nicht sehr viel besser aussah. Ihr verschmierter, kirschroter Lippenstift und die zahlreichen Lagen verkrusteter Schminke darunter konnten die Spuren des Lebens auf der Straße nicht vertuschen. Vielleicht war sie früher mal schön, dachte Nick, doch ihr verfilztes Haar, die tief in den Höhlen liegenden Augen und die eingefallenen Wangen erinnerten nun eher an einen Kadaver. Sie wälzte sich herum, setzte sich auf, fasste Nick ins Auge und lächelte. Ein kahlköpfiger Mann mit langem, weißgrauem Bart streckte den Kopf aus einem nahen Schlafsack. »Wer ist da?« Nick stellte fest, dass um ihn herum im Gebüsch mehrere Schlafsäcke lagen. Dazwischen waren Pappkartons, blaue Plastikplanen und ein Einkaufswagen voller Mülltüten verstreut. »Nur ein Junge«, sagte die Frau. »Ein hübsches kleines Kerlchen.« Nick rollte sich von ihr runter, doch als er aufstehen wollte, packte sie ihn mit harten, knochigen Händen am Unterarm. Nick schrie und versuchte, sich loszureißen. »Wo willst du denn hin, mein Süßer?« »Suchst du was, Junge?«, fragte der Mann und rappelte sich wankend auf. Weitere Köpfe lugten aus Schlafsäcken und Pappkartons hervor, lauter trübe, verschlafene Blicke, die sich auf Nick richteten. »Natürlich sucht er etwas«, sagte die Frau und lächelte verschlagen. »Für zehn Kröten blas ich dich in den siebten Himmel. Haste zehn Kröten?«
Nick starrte sie entsetzt an. Der alte Mann grunzte und gab ein Kichern von sich. »Das ist ein Bombengeschäft, Junge. Glaub mir. Die bringt dich zum Jodeln.« Ein paar andere Männer nickten und lachten. Nick schüttelte hastig den Kopf und wollte sich dem Klammergriff der Frau entwinden, doch sie ließ nicht locker. »Dann fünf Kröten«, sagte sie. »Fünf Kröten, dafür blas ich dir deine kleine Rakete. Was hältst du davon?« Aus dem Augenwinkel bemerkte Nick eine Bewegung hinter sich: zwei Männer, die zäh und hungrig aussahen und ihn wie eine Gratismahlzeit beäugten. »Lassen Sie mich los«, flehte Nick und versuchte, ihre Finger einzeln zu lösen. »Bitte. Bitte lassen Sie mich los.« »Du verpasst was«, gurrte sie und öffnete die Finger, worauf er rückwärtstaumelte und gegen einen der beiden Männer prallte. Der Mann packte Nick bei den Haaren, drehte ihn um und tastete mit der anderen Hand nach seiner Tasche. Nick schrie auf und riss sich los. Er spürte, wie sich mehrere Haarbüschel aus seiner Kopfhaut lösten, aber das war ihm egal, solange er nur seine Tasche hatte. Auf die Tasche kam es an, auf seinen letzten Trumpf. Er drückte sie fest an die Brust, wankte, fasste Fuß und kraxelte aus dem Graben. Oben trampelte er durchs Gebüsch und rannte davon, verfolgt von gräulichem Gelächter. Erst als der Graben weit hinter ihm lag, hielt er inne. Schließlich erreichte er einen Spielplatz und lehnte sich an eine große, grinsende Schildkröte, um Atem zu schöpfen und sich zur Ruhe zu zwingen. In einem Graben, dachte er. Werde ich heute Nacht in einem Graben schlafen? Und die Nacht darauf und die darauf? Zwischen solchen Gruselgestalten? Er ließ die Tasche zwischen seinen Füßen zu Boden fallen. Sein Herz raste noch immer. Mit den Augen suchte er die Schatten ab, die Bäume, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war oder ihm folgte. Dann holte er ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und zählte es hastig durch. Sechsundfünfzig Dollar. Wie weit komme ich damit? Er hob die Tasche auf. Nein, das ist ja nicht alles. Sobald ich einen Dealer finde, habe ich so viel Geld, wie ich brauche. Den Teil seines Plans hatte er sich natürlich noch nicht so genau überlegt: Wie sollte ein Vierzehnjähriger es anstellen, einen großen Drogendeal abzuschließen? Das kriege ich schon hin, beruhigte er sich. Ich muss es nur geschickt anstellen. Ich gehe zu ... zu ... zu wem soll ich bloß mit dem Zeug? »Verdammt.« Dann sagte er sich, dass es im Moment einzig und allein darauf ankam, die U-Bahn-Haltestelle zu erreichen und schnellstens von hier zu verschwinden. Und dann was? Hm? Er warf einen Blick ins Gebüsch, und ihm wurde klar, dass er noch nicht einmal einen Schlafsack hatte. Langsam fragte er sich, ob seine Mutter nicht recht gehabt hatte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Marko einfach nicht in die Quere zu kommen. Dann hätte er jetzt zumindest noch einen Schlafplatz und etwas zu essen. Er krempelte seinen Ärmel hoch und betrachtete die Brandwunde an seinem Arm. Sofort erinnerte er sich wieder an Markos abscheuliches Grinsen, an seine zornigen, blutunterlaufenen Augen. Nein, dachte Nick. Es war ihr Fehler. All das. Sie ist diejenige, die diese Blutsauger überhaupt erst in Großmutters Haus gelassen hat. Nichts von alledem wäre passiert, wenn sie nicht so selbstsüchtig gewesen wäre. Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, und rieb sich wütend die Augen. »Scheiße«, sagte er. »Elende Scheiße.« Zwischen den Bäumen ertönte ein dumpfer Laut. Nick fuhr herum in der Erwartung, Marko oder die grauenvolle Frau mit den angemalten Lippen zu sehen. Doch außer den Bäumen und dem gelben Licht war nichts zu erkennen. Er schaute sich um. Es gab kein Anzeichen, dass jemand in der Nähe war. Eine unheimliche Stille hatte sich über den Park gesenkt.
Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung. Ein Schatten von der Größe eines Kindes kletterte senkrecht an einem Baumstamm empor und verschwand im Geäst. »Was zum Teufel ist das?«, flüsterte Nick und beschloss dann, dass er es lieber nicht wissen wollte. Er drehte sich um und rannte Richtung Straße. Nick trat nur wenige Meter von der U-Bahn-Station entfernt aus dem Park. Als die Straße frei war, begann er, sie zu überqueren, doch nach drei Schritten erstarrte er. »Ach du ...!« Am Treppengeländer lehnte Bennie, einer von Markos Jungs, einer von dem guten Dutzend Minderjähriger, die seinen Dreck vertickten. Ein kalter Schauer lief Nick über den Rücken. Weiß Bennie Bescheid? Der Kerl hatte sein Handy am Ohr. Natürlich weiß er Bescheid. Ein Hupen erinnerte Nick daran, dass er mitten auf der Straße stand. Er wirbelte herum, war mit einem Satz auf dem Gehsteig und eilte mit eingezogenem Kopf zurück in den Park. Nicht rennen, sagte er sich. Er hat dich nicht gesehen. Geh ganz normal weiter. Bleib ruhig. Als er wieder zwischen den Bäumen war, riskierte er einen Blick über die Schulter. Bennie war fort. Nick wusste, dass Bennie die ganze Truppe anrufen würde, falls er ihn gesehen hatte. Dann wären bald alle auf der Suche nach ihm. Himmel, dachte Nick, was soll ich bloß machen? Er drang tiefer in den Park vor, wobei er sich immer wieder nach Verfolgern umschaute. Ich kann schließlich nicht ewig hierbleiben. »Yo, Kumpel. Was geht?« Nick stieß einen Schrei aus, als jemand auf einem aufgemotzten BMX-Rad an ihm vorbeifuhr, eine Kehrtwende hinlegte und sich ihm in den Weg stellte. Der Junge mit den zusammengekniffenen Augen sah ein paar Jahre älter aus als Nick. Er trug eine aufgeplusterte Jacke, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war, und eine weite, tief auf den Hüften hängende Hose. Blonde Rastazöpfe ragten unter seiner Baseballmütze hervor wie elektrisierte Raupen. Der Junge lehnte sich im Sattel zurück, und ein verschlagenes, höhnisches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Nicks Herz schlug wie wild. Gehört er zu Markos Jungs? Auf jeden Fall sieht er aus wie einer von diesen Volldeppen. Der Junge mit den Raupen auf dem Kopf kratzte sich die Pickel am Kinn und stützte sich auf seinen Lenker. »Yo, Mann, hast 'n Dollar für mich?« Nick entspannte sich ein wenig. Das war nur irgend so ein Idiot, der ihn abzocken wollte. Bildete er sich denn wirklich ein, dass alle Jungs hier in der Gegend nach ihm suchten? Als Nick keine Antwort gab, seufzte der Raupenkopf, holte sich einen Klumpen Kaugummi aus dem Mund und klebte ihn auf seinen Lenker. Er bedachte Nick mit einem finsteren Blick, der ihm offenbar mitteilen sollte, dass es jetzt ernst wurde. Nick hatte es täglich mit solchen Arschlöchern zu tun. Eine kleine Demütigung, ein bisschen körperliche Misshandlung auf Kosten seiner Selbstachtung hier hörte der Spaß nie auf. Doch im Moment hatte er keine Zeit für solche Spiele. Er musste von hier verschwinden. Nick überlegte, ob er dem Kerl einfach sein Geldbündel rüberschieben sollte, dann könnte er vielleicht wenigstens die Tasche behalten. Aber wie weit würde er ohne Bargeld kommen? »Yo, Kumpel, ich rede mit dir.« Der Tonfall des Teenagers verriet, dass der gute alte Nicky Boy seine Geduld ernsthaft auf die Probe stellte. Nick fragte sich, ob dieser spitznasige Möchtegerngangster in jeden seiner Sätze ein Yo, Kumpel oder Mann einbauen würde. »Yo, Mann«, sagte der Teenager, »biste taub, oder was?« Er schnippte direkt vor Nicks Nase mit den Fingern. Nick zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück. »Mann, jetzt machst du dir gleich in die Hose.« Der Junge
schnaubte. »Bleib locker, Kumpel. Ich verarsch dich doch bloß.« Nick grinste angestrengt und rang sich ein kleines Lachen ab, für das er sich sofort hasste. Nur eines war schlimmer, als herumgeschubst zu werden, nämlich so tun zu müssen, als ob man dazugehörte. In diesem Fall war Lachen genau die falsche Taktik. Nick war nicht in der Schule. Er war allein im Park, und das kraftlose Lachen verriet dem anderen Jungen, dass Nick kein Kämpfer war, sondern ... ein Opfer. Die Stimme des Jungen wurde leiser, kalt und ernst. »Wie viel Geld haste dabei?« Der Tonfall machte Nick Angst. Er klang fies, nach einem Jungen, der möglicherweise einen Schritt zu weit gehen und ihn ernsthaft verletzen würde. »Ich bin mit meinem großen Bruder hier.« Nick gab sich Mühe, ganz locker zu klingen, als hätte er wirklich einen großen Bruder, der auf ihn aufpasste. Der andere Junge schaute sich nicht mal um. Er saß einfach mit vor der Brust verschränkten Armen da und betrachtete Nick mit einer Miene, die sagte: Komm mir bloß nicht so. »Er ist nur mal kurz da drüben in die Büsche gegangen.« Nick zeigte ins Dunkel zwischen den Bäumen. »Zum Pinkeln. Er kommt jede Sekunde zurück.« Natürlich erleichterte sich dort im Zwielicht kein großer Bruder, doch wenn einer der beiden Jungen hingesehen hätte, hätte er vielleicht einen goldäugigen Schatten bemerkt, der sich auf dem Ast einer großen Eiche langsam an sie heranschob. Der Teenager schüttelte bedächtig den Kopf. »Oooh Maaann.« Er ließ das Wort zu einem langgezogenen, enttäuschten Seufzer ausklingen, wie um zu fragen, warum Nick so einen netten Kerl wie ihn anlog. »Yo, was ist da in der Tasche?«
Nicks Finger schlossen sich fester um die Trageriemen. Er wischte sich die Haare aus dem Gesicht und hielt nach einem Fluchtweg Ausschau. »Yo.« Der Junge musterte Nick aus zusammengekniffenen Augen. »Kenn ich dich nicht?« Nick gefror das Blut in den Adern. »Stimmt. Du wohnst in Markos Bude.« Das ist nicht Markos Bude, wollte Nick schreien. Es war das Haus seiner Großmutter. Marko sollte eigentlich nur ein Mieter sein, aber er und seine Bande hatten den Laden an sich gerissen, und Nicks Mutter, seine gottverdammte Mutter, hatte nicht das Geringste dagegen unternommen. »Ja«, sagte der Teenager. »Du bist der komische Typ, der oben bei seiner Mami wohnt und nie aus seinem Zimmer kommt. Marko meint, du bist schwul oder so.« Wenn der Kerl mit »komischer Typ« meinte, dass Nick nicht mit den Möchtegerns an der Straßenecke stand und den Frauen an den Hintern packte, dass er sich nicht ständig in den Schritt fasste und Mädchen nicht als Schlampen bezeichnete, dass er keine zu großen Pullis trug und nicht Tag und Nacht Gangster spielte, dann musste Nick ihm wohl recht geben. Aber Nick wusste, dass es nicht allein das war. Schon bevor sie umgezogen waren, in Fort Bragg, hatte er Schwierigkeiten damit gehabt, sich einzufügen. Aber hier in Brooklyn, wo »komischer Typ« praktisch ein Kosename war, verglichen damit, wie ihn die meisten anderen Jungen nannten, fühlte er sich langsam wie ein Aussätziger. Als käme er von einem fremden Planeten. In letzter Zeit versuchte er erst gar nicht mehr, Freundschaften zu schließen. Wahrscheinlich verbrachte er viel zu viel Zeit damit, in seinem Zimmer zu lesen, zu malen, Videospiele zu spielen und alles andere zu unternehmen, um solchen Mistkerlen wie dem hier aus dem Weg zu gehen. »He, hast du Bennie gesehen?«
»Wen?«, fragte Nick und wich erneut einen Schritt zurück. »Was meinste mit wen? Bennie. Mann, der ist ständig bei euch. Haste ihn jetzt gesehen?« Nick schüttelte den Kopf und machte einen weiteren Schritt nach hinten, doch der Junge ließ sein Fahrrad näher heranrollen. »Hör mal, ich muss los«, sagte Nick. »Äh ... ich muss eine Kleinigkeit für Marko erledigen. Du weißt schon.« »Wie? Marko? Du vertickst jetzt für Marko? Niemals.« »Nichts Großes«, fügte Nick hastig hinzu. »Nur ein kleiner Botengang.« »Ja, klar.« Plötzlich klang der Junge freundlich, als wäre er nicht eben noch kurz davor gewesen, Nick eine reinzuhauen und ihn auszunehmen. »Bennie hat ein gutes Wort für mich eingelegt. Meinte, dass Marko mich vielleicht auch bald ins Geschäft bringt.« Dann sagte er, als fiele es ihm jetzt erst ein: »Mann, du weißt, dass ich dich nur verarscht hab, oder? Alles klar bei uns, ja?« »Klar.« Nick zwang sich zu einem Lächeln. Hauptsache so schnell wie möglich weg von hier. »Wir sehen uns.« Er ging Richtung Spielplatz. »Yo«, rief ihm der Junge nach. »Wenn du Marko triffst, dann grüß ihn von seinem Kumpel Jake.« Klar doch, dachte Nick. Wenn er mir die Zunge mit einem heißen Draht versengt, werde ich ganz sicher daran denken, ihn von seinem Kumpel Jake zu grüßen. Jakes Telefon erwachte zum Leben. Nick wusste, dass Bennie dran war, noch bevor Jake ranging. Er beschleunigte seinen Schritt. Der Junge kramte sein Telefon hervor und klappte es auf. »Yo. Wie? Mann, du meinst im Park. Wie jetzt ... niemals. Das hat er gemacht? Mann ey, das gibt's doch nicht.« Nick bemerkte, wie der Junge einen kurzen Blick in seine Richtung warf. »Nicht nur das«, sagte er. »Nein, Mann, ich will damit sagen, dass ich genau das habe, was du suchst.« Nicks Herz hämmerte ihm in der Brust. »Ja, genau das. In Ordnung, super. Bei der Schildkröte. Du weißt schon, das grüne Kletterding auf dem Spielplatz.« Er blickte erneut zu Nick hinüber. »Keine Sorge, er hat nichts ...« Nick rannte los. Wenn er es zwischen die Bäume schaffte, dann konnte er Jake vielleicht im Unterholz abhängen, dann hatte er vielleicht eine Chance. Er konzentrierte sich so sehr aufs Rennen, dass er nicht mal hörte, wie das Fahrrad ihn einholte. Der ältere Junge trat nach Nick, der sofort den Halt verlor und über den Fußweg schlitterte, wobei er sich auf dem Beton die Handflächen aufschürfte. Nick schrie und versuchte aufzustehen, doch Jake war sofort zur Stelle, um ihn mit einem weiteren Tritt zu Boden zu schicken. »Du willst doch nicht ohne deinen großen Bruder gehen, oder?«, fragte Jake und trat erneut zu. Nick hörte das Klatschen von Turnschuhen auf dem Weg. Zwei Jungen näherten sich im Laufschritt. »Yo! Yo! Jake!«, rief einer von den beiden. Es war Bennie. »Mann, haste den Tritt gesehen?«, brüllte Jake aufgedreht. »Haste den gesehen? Verdammt, ich bin Steven Seagal!« Er griff sich mit einer Hand in den Schritt und schnippte mit den Fingern der anderen, während er sich gleichzeitig auf die Unterlippe biss und mit dem Kopf wippte. »Leg dich nicht mit Jake-the-Snake an. Wie findste das, Bennie?« Jake streckte die flache Hand aus. »Gib mir fünf, Kumpel.« Bennie bedachte Jake mit einem fast mitleidigen Blick, beachtete die Hand nicht weiter und wandte sich sofort Nick zu. Sein kalter Gesichtsausdruck vermittelte deutlich, dass der Spaß jetzt vorbei war. Bennie würde sich nicht so bescheuert anstellen wie der zurückgebliebene Idiot, der neben ihm stand. Bennie war massig. Nach allem, was Nick gehört hatte, war er Verteidiger in der Footballmannschaft der Lincoln High gewesen, bevor man ihn wegen eines Angriffs auf seinen Mathelehrer der Schule verwiesen hatte. Angeblich hatte er dem Mann ein Auge mit einem Bleistift ausgestochen. Bennie hatte wulstige, harte Hände, die aussahen wie Baumwurzeln, Hände, mit denen man Vierteldollarstücke zerbrechen kann, und dazu lange, buschige Brauen über kleinen, zusammengekniffenen Augen. Der Blick aus diesen Augen war kalt nicht bösartig, einfach nur kalt. Als ob er überhaupt nichts empfand. Bennie starrte Nick an und durchbohrte ihn mit seinem kalten Blick. Schließlich sagte er: »Oh Mann, wenn ich mir jemanden aussuchen dürfte, in dessen Haut ich auf keinen Fall stecken möchte, wärst du das.« »So was von!«, fügte Jake hinzu und wandte sich dann dem dritten Jungen zu, einem kleinen, muskulösen Kerl mit kurzen Armen und Hängeschultern. »Yo, Freddie. Sieh dir mal seine Schuhe an. In solchen Schwuchtelschuhen würdest du mich nicht tot erwischen.« »Schwule Schuhe«, urteilte Freddie in so breitem BrooklynAkzent, dass es klang, als wäre seine Zunge geschwollen. Er trat gegen Nicks Schuhsohlen. Es ging um Nicks koboldgrüne Converse-Imitate. Nick konnte den Jungs nicht mal einen Vorwurf machen niemand hasste diese Dinger mehr als er selbst. Solche Schuhe gab es in diesen großen Tonnen im 99-Cent-Laden, direkt unter der Vitrine mit den Ein-Dollar-Uhren. Kurz nach dem Umzug war er aus seinen grünen Vans rausgewachsen den besten Skateboardschuhen, die er jemals besessen hatte. Er hatte seine Mutter um ein neues Paar gebeten, und sie war mit diesen Wunderwerken nach Hause gekommen. Als Nick sie fragte, wie er in den Dingern skaten sollte, ob sie erwartete, dass er damit zur Schule ging, und ob sie der größte Geizhals von ganz New York wäre, bezeichnete sie ihn als verwöhnten Rotzlöffel und verließ den Raum. Natürlich war sein Skateboard ohnehin kurz nach Markos Auftauchen verschwunden, weshalb die Sache mit dem Skaten keine große Rolle mehr spielte. Aber dass die anderen sich jeden Tag in der Schule über ihn lustig machten, half ihm ganz und gar nicht dabei, sich einzufügen. Bennie klappte sein Handy auf und drückte die Wahlwiederholungstaste. Er schlug die Kapuze seines Basketballpullis zurück und rieb sich über den dunklen Flaum auf seinem Schädel. »He, Marko, wer hat's voll drauf? Ganz genau. Nein, ich verarsch dich nicht. Klar hab ich ihn. Der Vollidiot ist direkt zur U-Bahn, genau, wie du meintest. Wir sind im Park. Weiß nicht.« Bennie schaute sich um. »In der Nähe vom Spielplatz. Nein, nicht der. Der mit der Kackschildkröte. Wir warten. Keine Bange, das kleine Miststück geht nirgendwohin.« Bennie klappte das Handy zu. »Schau in seine Tasche.« Freddie griff nach der Tasche. Nick riss sie ihm weg und rappelte sich hektisch auf, doch Freddie erwischte ihn, bevor er auch nur einen Schritt weit gekommen war, und drehte ihm schmerzhaft den Arm auf den Rücken. Bennie riss ihm die Tasche aus der Hand. »Was da wohl drin ist?«, fragte er sarkastisch und öffnete den Reißverschluss. Er stieß einen Pfiff aus und hielt die Tasche Jake und Freddie hin, damit sie den Inhalt sehen konnten. Sie machten große Augen. »Scheiße! Das Zeug ist sicher hundert Riesen wert«, sagte Freddie. Jake starrte Nick verblüfft an. »Mann, Marko schlitzt dich auf und wirft dich den Fischen zum Fraß vor.« Nick riss einen Arm los und versuchte, sich aus Freddies Griff zu winden. Er begann so laut er konnte zu schreien und zu brüllen. Bennie versetzte Nick einen Schlag, der sich anfühlte, als ob eine Leuchtrakete in seinem Kopf explodierte. Als Nick erneut losbrüllte, bohrte Bennie ihm eine Faust in den Magen, was Nick zusammenklappen ließ. Bennie packte ihn am Schopf und schaute ihm direkt in die Augen. »Willst du weglaufen?« Bennie grinste, packte Nicks Hose mit beiden Händen und riss sie ihm bis auf die Knöchel herunter. »Mach schon. Lauf.« Keuchend und hustend versuchte Nick, Atem zu schöpfen. »Lass ihn los«, sagte Bennie dann. Freddie gehorchte. Nick hielt sich den Bauch und fiel beinahe um. »Komm schon«, sagte Bennie. »Worauf wartest du? Mach dich vom Acker.« Jake und Freddy grunzten. Bennie schubste Nick, der stolperte, ein paar Schritte watschelte und es mit Müh und Not schaffte, auf den Beinen zu bleiben, obwohl ihm die Hose um die Knöchel schlackerte. Freddie und Jake konnten kaum an sich halten vor Lachen. Dann prallte Bennie mit voller Wucht gegen Nick. Nicks Füße verfingen sich in der Hose, und er ging zu Boden. »Schau in seiner Unterwäsche nach«, sagte Bennie. »Wahrscheinlich hat die kleine Schwuchtel sich das Zeug in den Arsch gesteckt.« Freddie tastete Nick ab. Er steckte ihm eine Hand in die Hosentasche und brachte das Dollarbündel zum Vorschein. »Zahltag!« »Gib das her«, sagte Bennie und nahm ihm das Geld ab. »Das ist Markos.« Bennie beugte sich so dicht zu Nick herunter, dass dieser die Tomatensoßeflecken an seinen Mundwinkeln sehen konnte. »Marko hat gesagt, dass er seine Werkzeugkiste mitbringt. Meinte, das wird eine echte Horrorshow. Ich liebe Horrorshows. Du auch?« Der Ast über ihnen erzitterte, und es regnete Blätter. Dann war ein leiser Aufprall zu hören. Nick und Freddie sahen ihn als Erste. Als Bennie und Jake auffiel, was für Gesichter sie machten, fuhren beide herum. Ein Junge, der kaum größer war als Nick, stand auf dem Gehweg. Er hatte eine handgearbeitete Lederhose mit direkt daran angenähten, spitzen Stiefeln an. Dazu trug er eine zerlumpte Anzugjacke, eine von der altmodischen Sorte mit Troddeln, und darunter einen schwarzen Kapuzenpulli und einen Wildlederbeutel, fast wie eine Geldbörse, der mit einem Schultergurt befestigt war. Der Junge schlug die Kapuze zurück. Zweige und Blätter steckten in dem zerzausten, schulterlangen roten Haar, das darunter zum Vorschein kam. Seine Wangen und seine Nase waren von Sommersprossen übersät. Die Ohren des Jungen waren, nun ja, irgendwie spitz, wie die von Mr. Spock oder von einem kleinen Weihnachtswicht. Doch das Seltsamste an ihm waren seine golden glänzenden Augen. Der Junge stemmte die Hände und die Hüften, und sein Gesicht erstrahlte in einem breiten Lächeln. »Ich heiße Peter. Kann ich mitspielen?« Der Kinderdieb musterte die Teenager, wobei er sorgfältig darauf achtete, weiter zu lächeln und seine Verachtung nicht zu zeigen. Ich muss listig sein, dachte er. Schließlich will ich mir nicht den Spaß verderben. Er betrachtete die ausdruckslosen, verwirrten Mienen der drei älteren Jugendlichen und dachte: Sie sind blind. So blind wie eine Nuss in ihrer Schale. Überall um sie herum ist Magie, und sie bemerken nicht die Spur davon. Wie war das möglich? Vor nur wenigen Jahren, wenn nicht gar Monaten, waren sie noch Kinder gewesen, ihre Körper und Seelen von Magie durchdrungen, lebendig und offen für all die Zauberdinge, die sie umtanzten. Jetzt seht sie euch an, diese elenden, verunsicherten kleinen Nichtskönner, die den Rest ihres Lebens mit dem Versuch verbringen werden, etwas wiederzufinden, ohne auch nur zu wissen, dass sie es verloren haben. Ich würde diesen dreien einen Gefallen tun, wenn ich sie aufschlitze. Seine Augen fingen bei dem Gedanken an zu leuchten. Teufel auch, und es wäre ein Heidenspaß, ihre Gesichter zu beobachten, wenn sie mit ihren eigenen Eingeweiden jonglieren. Ein Heidenspaß. Aber er war nicht hier, um sich zu amüsieren. Er war hier, um einen neuen Freund zu gewinnen. Peter schaute zu dem Jungen, dem die Hose um die Knöchel schlackerte und der so krampfhaft versuchte, nicht in Tränen auszubrechen. Dieses Kind musste er auf seine Seite ziehen, denn man konnte Kinder nicht gegen ihren Willen in den Nebel bringen. Das würde der Nebel niemals zulassen. Allerdings konnte man Kinder in den Nebel führen. Deshalb mussten sie einem vertrauen. Und das Vertrauen von Kindern gewann man nicht, indem man direkt vor ihren Augen andere Jugendliche aufschlitzte, selbst wenn es sich um gemeine, hässliche Jugendliche handelte. So schloss man keine neuen Freundschaften. Peter stellte fest, dass dieser Teil der Jagd ihm großen Spaß machte. Er gewann gerne die Herzen von Kindern. Das gab ihm die Gelegenheit, ein Weilchen zu spielen. Spiele sind wichtig. Schließlich unterscheidet mich genau das von diesen dumpfen, glotzäugigen Schwanzlutschern, nicht wahr? Also beschloss der Kinderdieb, sich ein bisschen mit ihnen zu vergnügen. »Darf ich auch mitspielen?«, wiederholte der Junge. Freddie versteifte sich, und sein Griff wurde fester. Nick nahm an, dass dieser rothaarige, goldäugige Junge Freddie genauso verunsicherte wie ihn selbst. »Verdammt, wer bist du?«, zischte Bennie. »Peter.«
»Und was willst du?« »Spielen«, sagte Peter entnervt. »Wie oft muss ich denn noch fragen, Mäusehirn?« Bennies eine große Augenbraue zog sich zusammen. »Mäusehirn?« Zum ersten Mal, seit Nick zurückdenken konnte, wirkte Bennie ratlos. Der Kerl warf Freddie einen Blick zu, als wüsste er nicht genau, ob man ihn beleidigt hatte oder nicht. »Oh Mann. Junge, das hättest du nicht tun sollen«, sagte Freddie. »Dafür bringt er dich um.« Doch Bennie sah nicht aus, als hätte er vor, jemanden umzubringen. Typen wie er waren es nicht gewohnt, dass andere Jungs ihnen blöd kamen. Es brachte sie aus dem Konzept. »Also, was sind die Regeln?«, fragte Peter. »Hä?« Verwirrt zog Bennie die Braue zu einem dichten Büschel zusammen. »Na, die Regeln, du Schlaukopf«, sagte Peter und verdrehte die Augen zum Himmel. »Was für Regeln hat das Hosenspiel, Mister Hängeklöten?« »Regeln?«, wiederholte Bennie, der nun nicht mehr verwirrt, sondern stinksauer klang und sein Gleichgewicht langsam wiederfand. Er schleuderte Nicks Tasche zu Boden und deutete mit einem Finger drohend auf Peter. »Ich spiele nicht nach irgendwelchen Regeln, du Volldepp!« »Gut«, sagte Peter, und bevor jemand auch nur blinzeln konnte, schoss er vor und zog Bennie die weite Trainingshose bis zu den Knöcheln herunter. »PUNKT FÜR MICH!«, rief Peter. Einen regungslosen Moment lang stand Bennie einfach nur mit offenem Mund da und starrte auf seine Unterhose herab. Genau genommen starrten alle auf seine Unterhose, bei der es sich nicht etwa um ein schickes Calvin-Klein-Modell handelte. Vielmehr trug Bennie eine klassisch weiße 08/15-Unterhose, die offenbar über mehrere Geschwistergenerationen hinweg Flecken und Löcher angesammelt hatte. Bennies Gesicht wurde lavalampenrot, und als er wieder aufblickte, sah er aus, als würden ihm gleich die kleinen Äuglein aus den Höhlen springen. »DU KLEINER ARSCH!«, schrie Bennie und langte nach Peter. Doch der goldäugige Junge war schnell, unglaublich schnell. Nick konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor gesehen zu haben, dass jemand sich so schnell bewegte. Bennie griff ins Leere, seine Füße verfingen sich in seiner Hose, und er ging mitsamt seiner löchrigen Unterwäsche zu Boden und klatschte auf den Gehweg wie ein dickes Stück Teig. Der Junge mit den spitzen Ohren quittierte Bennies Possen mit einem lauten, herzhaften Lachen, und plötzlich musste auch Nick grinsen. Er konnte nichts dagegen machen. Freddie stieß ihn beiseite und stürzte sich auf Peter. Der fremde Junge wich ihm mühelos aus, wobei er genau auf Bennies Kopf trat. Bennie prallte mit dem Gesicht auf den Asphalt, und Nick hörte ein knirschendes Geräusch, das ihn zusammenzucken ließ, gefolgt von Bennies Schrei. Als der Junge den Kopf hob, strömte ihm Blut aus der Nase, die in einem seltsamen Winkel abstand. »Heilige Scheiße«, sagte Nick. Freddie setzte Peter nach, wobei er über Bennie hinwegzuspringen versuchte, der gerade aufstand. Die beiden prallten zusammen und gingen ineinander verkeilt zu Boden. Peter machte einen Satz und landete mit einem doppelten Kniestoß auf Freddies Rücken, der jeden Profiwrestler mit Stolz erfüllt hätte. Nick hörte, wie mit einem gequälten Ächzen alle Luft aus den Lungen des Angegriffenen wich. Freddie rollte sich von Bennie runter und zappelte keuchend im Gras herum, wobei er den Mund öffnete und schloss wie ein Guppy. Während er noch verzweifelt nach Luft rang, flitzte Peter zu ihm, packte ihn am Hosenboden und zog auch ihm die Hose bis zu den Knöcheln runter. »NOCH EIN PUNKT! Macht zwei für mich!« Peter blinzelte Nick zu und brach erneut in lautes Gelächter aus. Nick war sich nicht sicher, ob er Begeisterung oder Entsetzen verspürte. Peter wandte sich nun dem Jungen auf dem Fahrrad zu. Er stemmte die Hände in die Hüften und musterte Jake finster und herausfordernd. Doch Jake, der gute alte Wang-Fu-Kämpfer, Jake the Snake, der verdammte Steven Seagal höchstpersönlich, stand wie angewurzelt da und sah aus, als hätte er soeben einen ausgewachsenen Schlaganfall erlitten. »DU SCHEISSKERL!«, schrie Bennie in Peters Richtung, während er taumelnd auf die Beine kam. Er zog sich die Trainingshose hoch, steckte eine Hand in die Tasche und brachte ein Messer zum Vorschein, und zwar ein großes. Dann ließ er die Klinge hervorschnappen. »DU DRECKIGER SCHEISSKERL, ELENDER WICHSER!« »Himmel«, sagte Nick. Bennie war locker doppelt so groß wie Peter und wog wahrscheinlich viermal so viel. Verschwinde von hier, Junge, dachte Nick. Lauf, solange du noch kannst. Doch Peter stand einfach nur da, die Hände in die Hüften gestemmt, die Lippen zusammengepresst, die Augen zu Schlitzen verengt. Bennies Unterlippe zitterte. Er spuckte Blut, brüllte, stürmte vor und stach nach dem Gesicht des Fremden. Peter duckte sich und wirbelte herum. Einmal mehr stellte Nick verblüfft fest, wie schnell der Junge war. Mit dem Handrücken traf er Bennie ins Gesicht. Von seiner Position aus konnte Nick nicht sehen, wie der Schlag sein Ziel fand, aber die Art, wie Bennies Kopf zurückgeschleudert wurde, und ein scheußlicher, knackender Laut verrieten ihm, dass der Angeber erledigt war.
Der Riesenkerl ging mit schlaff herabhängenden Armen in die Knie und klatschte mit dem Gesicht voran auf den Gehweg. Ein kalter Schauer lief Nick über den Rücken. Er ist tot. Ganz sicher ist er tot. Einen Augenblick lang bemerkte er einen gehetzten Ausdruck auf Peters Gesicht. Dann, als wüsste er, dass jemand ihn beobachtete, setzte Peter schlagartig wieder sein sonderbares Lächeln auf. Doch Nick bekam das Bild nicht aus seinem Kopf. Er hatte etwas Wildes gesehen, etwas Furchteinflößendes. Peter beugte sich über Bennie, packte ihn am Hosenboden und zog ihm erneut die Trainingshose runter. »Der zählt. Das wären dann drei Punkte für mich!«, rief Peter zufrieden. »Ich habe gewonnen!« Er warf den Kopf in den Nacken und krähte wie ein Hahn. Freddie starrte ihn entsetzt an, während er sich die Hose hochzog und hastig aufstand. Er rannte los, wobei er gegen Jake prallte und ihn beinahe vom Fahrrad stieß. Jakes Blick schoss zwischen Nick und der Tasche hin und her. Nein! Oh nein!, dachte Nick und wollte sich auf die Tasche werfen, doch da seine Beine noch immer in seiner Hose verfangen waren, stolperte er. Hektisch versuchte er, sich die Hose hochzuziehen. Jake schnappte sich die Tasche und trat mit voller Kraft in die Pedale. Als Nick seine Hose wieder anhatte, war Jake längst außer Sicht. Peter winkte und rief lachend: »Bis dann, Freunde!« »SCHEISSE!«, schrie Nick und trommelte mit den Fäusten ins Gras. »SCHEISSE! SCHEISSE! SCHEISSE!« »He, Kleiner«, sagte Peter. »Ich habe mich gut geschlagen, was?« Nick stützte den Kopf in die Hände und raufte sich die Haare. Was soll ich jetzt machen?, fragte er sich. Was zum Teufel soll ich jetzt machen? Beschissener kann's ja wohl nicht werden!
»Ich habe mich gut geschlagen, was?«, wiederholte Peter. »Findest du nicht?« Nick bemerkte, dass Peter mit ihm redete. »Hä?«, fragte er, leise und unsicher. »Na, bei dem Hosenspiel. Ich habe doch gewonnen, findest du nicht?« In Anbetracht der Tatsache, dass Bennie lang hingestreckt auf dem Asphalt lag und seine Arschritze aus der Unterhose hervorschaute, konnte Nick das nicht abstreiten. Peter trat auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Nick wich zurück. »He«, sagte Peter. »Keine Bange. Wir gehören zur selben Mannschaft. Schon vergessen?« Nick streckte vorsichtig die Hand aus. Peter schüttelte sie zufrieden und zog ihn hoch. »Ich bin Peter. Wie heißt du?« »Nick«, sagte der Junge abwesend, während er den Park mit Blicken nach Marko und seinen Kumpanen absuchte. Er rechnete fest damit, dass sie jeden Moment zwischen den Bäumen hervorkommen würden. Diese Kerle fackelten nicht lange. Zweifellos würden sie bewaffnet sein und keine Hemmungen haben, ihn und Peter abzuknallen. »Schön, dich kennenzulernen, Nick. Also, was möchtest du jetzt gerne machen?« »Wie?« »Was möchtest du jetzt gerne machen?« »Verschwinde von hier«, nuschelte Nick und ging auf die Bäume zu in Richtung U-Bahn, doch dann hielt er inne. Er durchwühlte seine Hosentaschen. »Verdammt.« Bennie hatte ihm sein letztes Geld abgenommen. Er würde einen anderen Weg raus aus Brooklyn finden müssen. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Wo sollte er hin? Marko konnte überall sein, aus jeder Richtung kommen. Nick drehte sich hastig um und wäre beinahe mit Peter zusammengestoßen. Er hatte nicht mal bemerkt, dass der Junge ihm gefolgt war. Ein schelmischer Ausdruck lag in dessen Blick. »Also, wie gehen wir vor?« »Was?«, fragte Nick. »Wie wir vorgehen? Hör mal, Junge ...« »Peter.« »Peter, du begreifst das nicht. Ein paar üble Kerle sind auf dem Weg hierher.« Peter wirkte erfreut. »Sie haben Pistolen. Mit denen ist echt nicht zu spaßen. Die bringen dich um.« »Nick, ich sagte doch, wir sind in einer Mannschaft.« Nick lachte rau. Himmel, er glaubt, dass das alles ein Spiel ist. »Möchtest du nicht sie umbringen?«, fragte Peter. »Das würde sicher verdammt viel Spaß machen.« »Wie bitte?«, fragte Nick ungläubig, doch er merkte, dass es dem Jungen ernst war. »Nein, ich will nichts mit ihnen zu tun haben. Ich muss verschwinden, und zwar auf der Stelle.« »Ich kenne einen Geheimpfad.« Peter schaute sich kurz um. »Die finden uns nie. Komm mit.« Damit wandte er sich zum Gehen. Der spinnt, dachte Nick, musste jedoch den Impuls unterdrücken, ihm trotzdem einfach blind hinterherzurennen. Dieser Junge hatte etwas Einnehmendes, etwas, das in Nick den Wunsch weckte, ihm wider besseres Wissen zu folgen. Nick ließ den Blick erneut durch den Park schweifen. Es war dunkel. Er war allein. Allein hatte man es schwer. Er schloss die Hand um seinen Hasenfuß, holte tief Luft und folgte dem goldäugigen Jungen.
Deutsche Erstausgabe Februar 2010
Copyright © 2009 by Brom
Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe bei PAN-Verlag.
Übersetzung: »Jakob Schmidt«
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Autoren-Porträt von Brom
Brom, Jahrgang 1965, wurde in Albany im amerikanischen Bundesstaat Georgia geboren. Da sein Vater Pilot bei der U.S. Army war, verbrachte Brom einen Teil seiner Jugend im Ausland, unter anderem in Japan und Deutschland, wo er zur Schule ging; aus dieser Zeit rührt auch seine Angewohnheit her, seinen Vornamen nicht zu benutzen. Bereits mit 21 arbeitete Brom als Illustrator für Firmen wie Coca-Cola und IBM. Später begann er, sich auf die visuelle Umsetzung von Rollenspielen wie Dungeons & Dragons und anderer Fantasywelten zu konzentrieren; er schuf außerdem Sammelkarten für Spielsysteme wie Magic: The Gathering und arbeitet für zahlreiche Verlage und Computerspielhersteller. Brom hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht und lebt heute mit seiner Familie in Seattle.
Bibliographische Angaben
- Autor: Brom
- 2010, 655 Seiten, 8 farbige Abbildungen, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 15 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Jakob Schmidt
- Übersetzer: Jakob Schmidt
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426283298
- ISBN-13: 9783426283295
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