Der Kristall des Chaos / Gezeitenstern Saga Bd.4
Die Gezeitenherrscher haben sich in Jelidia versammelt, um ein Tor zu einer anderen Welt zu öffnen. Dazu müssen sie jedoch zunächst den Chaoskristall finden, der sie nach Amyrantha gebracht hat. Ihre Suche führt sie nach Glaeba, wo die Herzogin Arkady von...
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Klappentext zu „Der Kristall des Chaos / Gezeitenstern Saga Bd.4 “
Die Gezeitenherrscher haben sich in Jelidia versammelt, um ein Tor zu einer anderen Welt zu öffnen. Dazu müssen sie jedoch zunächst den Chaoskristall finden, der sie nach Amyrantha gebracht hat. Ihre Suche führt sie nach Glaeba, wo die Herzogin Arkady von dem Unsterblichen Jaxyn gefangen gehalten wird. Kurz darauf gelingt Arkady die Flucht, und auch die Herzogin begibt sich auf die Suche nach dem magischen Kristall. Mit seiner Hilfe hofft der Unsterbliche Prinz Cayal, seinem Leben endlich ein Ende setzen zu können. Doch niemand weiß, wohin das geheimnisvolle Tor zwischen den Welten führen wird.
Lese-Probe zu „Der Kristall des Chaos / Gezeitenstern Saga Bd.4 “
Der Kristall des Chaos von Jennifer FallonSieben Jahre zuvor …
Aus den dicken Steinmauern des Kerkers von Lebec sickerte grundsätzlich eine Atmosphäre trostloser Verzweiflung, was diesen Tag höchst ungewöhnlich machte. Denn zum ersten Mal seit Monaten verspürte Bary Morel Hoffnung. Er hastete hinter dem Wächter her, der ihn zur Schreibstube des Kerkermeisters eskortierte, erfüllt von einer Empfindung, die er schon unwiderruflich verloren geglaubt hatte.
Sie widersprach allem, was ihm widerfahren war, seit man vor einigen Monaten sein Haus durchsucht und ihn dabei erwischt hatte, dass er in seinem Keller eine entlaufene Felide ärztlich versorgte. Doch nun war plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Hoffnungsschimmer aufgetaucht.
Der Fürst von Lebec war hier und wollte ihn sprechen.
Morel konnte sich nicht erklären, warum ein so mächtiger Mann sich die Zeit nahm, einen überführten Gesetzesbrecher aufzusuchen. Zugegeben, einst hatte er sich einer gewissen unbedeutenden Beziehung zur Fürstenfamilie erfreut. Als der jetzige Fürst noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte Morel ab und zu im Palast ärztliche Hilfe geleistet, wenn der Leibarzt des alten Fürsten gerade nicht in der Stadt weilte. Aber inzwischen hatte er Stellan Desean schon lange nicht mehr gesehen. Zuletzt, als man ihn vor Jahren einmal in den Palast rief, um einen jungen Mann zu behandeln – einen Freund des jungen Fürsten, der an einer Lebensmittelvergiftung fast gestorben wäre.
Bary konnte sich beim besten Willen keinen Grund vorstellen, warum Stellan Desean ihn besuchen sollte. Er wusste lediglich, dass er jetzt da war – und das konnte eigentlich nur Gutes bedeuten. Denn Fürsten machten sich im Allgemeinen nicht die Mühe, schlechte Nachrichten persönlich zu überbringen, das überließen sie ihren Untergebenen.
Vielleicht
... mehr
war es Arkady gelungen, eine Audienz zu ergattern. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie versprochen, es zu versuchen, obwohl er ihr von einem solch dreisten Unterfangen dringend abriet. Aber realistisch betrachtet gab es sonst nichts, was Arkady überhaupt noch tun konnte. Inzwischen waren sie praktisch am Bettelstab. Sie konnten sich nicht einmal mehr den dürftigsten Rechtsbeistand leisten, um vielleicht ein Berufungsverfahren einzuleiten. Und selbst wenn, es bestand ja nicht die geringste Chance auf einen Freispruch – nicht beim Kaliber des Hauptbelastungszeugen, der vor Gericht gegen ihn auftrat. Für einen Augenblick blieb Bary stehen und hielt sich an der Wand fest, seine Lungen verkrampften sich schmerzhaft. Der Wächter hörte ihn husten und sah sich um.
»Alles in Ordnung?«
»Es geht schon … gebt mir bloß einen Augenblick … muss nur eben zu Atem kommen …«
Der Mann wartete, bis Bary sich so weit erholt hatte, dass es weiterging. Als der alte Arzt sich von der Wand abstieß, nahmen sie den Gang zur Schreibstube des Kerkermeisters wieder auf, wenn auch in
deutlich gemäßigtem Tempo.
Der Kerkermeister war nicht in seiner Schreibstube, als sie dort ankamen.
Offenbar hatte er sie an den Fürsten abgetreten. Stellan Desean, gegen die Kälte in einen pelzgefütterten Mantel gehüllt, stand am Fenster und starrte hinaus in den Regen, der in Bächen die Scheibe hinunterrann und leise gegen die Mauern trommelte. Als Bary eintrat, drehte er sich um und gab dem Wächter ein Zeichen, draußen zu warten.
»Doktor Morel.«
»Euer Gnaden.«
Stellan lächelte. »Bitte, setzt Euch. Ihr seht aus, als hättet Ihr es nötig.«
Bary tat wie geheißen und nahm dankbar auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch Platz. Noch einmal hustete er in sein blutbeflecktes Taschentuch, dann richtete er die Aufmerksamkeit ganz auf seinen Besucher. Der runzelte bei den rasselnden Geräuschen aus seinem Brustkorb die Stirn.
»Wie ich sehe, hat Eure Tochter mit Eurem Gesundheitszustand nicht übertrieben«, bemerkte Stellan und musterte ihn prüfend.
»Sie hat es also geschafft, eine Audienz bei Euch zu bekommen?«,
erwiderte Bary. »Ich nehme an, darum seid Ihr hier?«
Stellan nickte und setzte sich in den mächtigen, abgewetzten Ledersessel des Kerkermeisters. »Das als Audienz zu bezeichnen ist allerdings grob verharmlosend. Wenn Ihr schon danach fragt: Sie hat es irgendwie fertiggebracht, an sämtlichen Posten vorbeizustürmen, die ich eigens zu dem Zweck aufgestellt habe, solche Vorkommnisse zu verhindern. Dann ist sie in heller Empörung bei mir hereingerauscht und hat mir eine gesalzene Standpauke verabreicht, weil ich dulde, dass Ihr hier im Gefängnis sitzt, nur für das Verbrechen, ein Wohltäter von Menschheit und Crasii zu sein.«
Bary wünschte, er könnte aus Stellans neutralem Ton heraushören, wie er darüber dachte. Womöglich hatte Arkady mit ihrer Einmischung sein Todesurteil erwirkt, statt ihm zu helfen.
»Es tut mir Leid, Euer Gnaden. Sie hatte bestimmt nicht die Absicht, Euch zu beleidigen …«
Stellan lächelte und hob die Hand, um Barys Entschuldigung abzuwehren.
»Schon gut, Doktor Morel. Ich habe ihre Petition für Eure Begnadigung mit Vergnügen angehört. Natürlich erst, als mir klar wurde, wen ich vor mir hatte. Zuerst habe ich Eure Tochter nämlich gar nicht wiedererkannt. Sie ist wirklich eine überwältigende junge Frau geworden. Ihr müsst sehr stolz auf sie sein.«
Bary nickte. Seine Sicht verschwamm, als er daran dachte, was sie noch alles getan hatte, um ihn zu schützen. Beim Fürsten von Lebec hereinzuplatzen und seine Freilassung zu fordern war noch das Geringste.
»Sie ist eine wunderbare Tochter«, bestätigte er und wischte sich die Augen. »Ihr habt ja keine Ahnung.«
»Sie hat verlangt, dass ich Euch begnadige.«
Bary lächelte matt. »Optimistin ist sie auch.«
»Und äußerst wortgewandt. Wie sie mir sagt, studiert sie Geschichte und will sogar einen Doktorgrad erlangen.«
Bary nickte erneut. »Eigentlich wollte sie Ärztin werden, aber die medizinische Fakultät lässt keine Frauen zu.«
»Ich bin sicher, die Universitätsleitung hat dafür gute Gründe.«
Keiner davon kann Arkadys Überzeugung schmälern, dass unsere Gesellschaft in der Hand von frauenfeindlichen Schwachköpfen ist. Er zuckte die Achseln. Ihm war unklar, was die akademischen Ambitionen seiner Tochter mit seiner Lage zu tun hatten. »Nun ja, Euer Gnaden, sofern Ihr diese Gründe nicht genau kennt und überzeugend vertreten könnt, möchte ich davon abraten, dieses Thema in Gegenwart meiner Tochter anzuschneiden.«
Stellans Lächeln wurde breiter. »Ja, diese Lektion habe ich bereits gründlich gelernt.«
»Es war sehr gütig von Euch, sie anzuhören, Euer Gnaden. Und Euch die Zeit für einen Besuch bei mir zu nehmen.«
Stellans Lächeln schwand. »Ich muss gestehen, Doktor Morel, dass ich nicht gekommen bin, um mir die Zeit zu vertreiben oder einen alten Dienstmann meiner Familie zu besuchen, wenn man Euch ob Eurer gelegentlichen Palastbesuche überhaupt so nennen kann.«
Barys Herz setzte einen Schlag aus. Das klang nicht sonderlich ermutigend. Gezeiten, was hat sie nur zu dem Mann gesagt?
»Warum seid Ihr dann hier, Euer Gnaden?«
»Weil ich denke, dass wir einander einen Gefallen tun können, Doktor Morel«, verkündete der Fürst. »Jeder von uns hat etwas, das der andere will.«
Bary konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Nun ja, ohne Zweifel steht es in Eurer Macht, mir zu gewähren, was ich ersehne, Euer Gnaden«, sagte er. »Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ich Euch anzubieten hätte.«
»Ich könnte Euch wohl begnadigen«, stimmte Stellan zu und lehnte sich im Sessel des Kerkermeisters zurück. »Aber das würde nicht ohne Gerede abgehen. Man hat Euch auf frischer Tat ertappt, mein Freund. Ihr habt einer flüchtigen Sklavin geholfen, ihren Häschern zu entkommen. Und was noch schlimmer ist, der Hauptzeuge, der gegen Euch aussagt, ist eins der prominentesten Fakultätsmitglieder der Universität von Lebec. Ich kann Fillion Rybanks Aussage nicht einfach als haltlos vom Tisch wischen, nur weil ich Euch zufällig lieber mag als ihn.«
Als Rybanks Name fiel, fühlte Bary heißen Zorn aufwallen. Was dieser Mann seiner Tochter angetan hatte, war jenseits aller Skrupel.
Allein der Gedanke daran machte ihn ganz krank. Arkady war natürlich nicht bekannt, dass ihr Vater Bescheid wusste. Sie glaubte immer noch, er habe keine Ahnung von der ganzen unseligen Affäre. Mit bitterer Ironie erinnerte er sich daran, was für Sorgen er sich gemacht hatte, als ihm vor ein paar Jahren aufging, dass seine Tochter wohl nicht so unerfahren war, wie ihm lieb gewesen wäre. Damals hatte er angenommen, dass sie mit dem jungen Hawkes schlief. Eigentlich ein ganz ordentlicher Bursche, wenn auch ein notorischer Unruhestifter. Und die beiden waren immerhin fast ihre ganze Jugend über unzertrennlich gewesen.
Heute wünschte sich Bary geradezu, dass seine Tochter mit dem jungen Hawkes geschlafen hätte. Damit hätte er sich noch irgendwie arrangieren können wie jeder andere Vater auch. Aber die Wahrheit – die bittere Gewissheit, dass seine kleine Tochter sich jahrelang einem Mann wie Fillion Rybank hingegeben hatte, um sein Schweigen zu erkaufen, weil sie glaubte, ihren Vater damit vor der Verhaftung bewahren zu können –, das war fast mehr, als er ertragen konnte.
Und nun sorgte sich Arkady um ihn, weil er an Schwindsucht litt.
Sie hatte keine Ahnung, dass sein körperliches Elend nichts war im Vergleich zu den entsetzlichen Schuldgefühlen, die ihn wegen seiner Tochter plagten.
»Der Mann ist ein Verbrecher«, stieß Bary hervor und ballte die Fäuste. »Er hat ein unschuldiges Kind zu sexuellen Handlungen erpresst, und doch läuft er nach wie vor frei herum, während ich im Gefängnis sitze, nur weil ich einer verletzten Crasii geholfen habe.«
»Eure verletzte Crasii war eine geflohene Sklavin, Doktor«, erinnerte ihn Stellan. »Und auch wenn ich Fillion Rybank nur zu gern für seine Schandtat hinter Gitter bringen würde, seid Ihr ja wohl kaum bereit, seine Verbrechen vor einem öffentlichen Gericht zu bezeugen – und Eure Tochter schon gar nicht. Folglich sind mir in dieser Angelegenheit die Hände gebunden, meint Ihr nicht auch?«
»Warum seid Ihr dann hier? Um mir zu sagen, wie sehr Ihr bedauert, dass ihr mir nicht helfen könnt?«
Stellan schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Ich kann Euch helfen. Sogar sehr. Ich bin bereit, Euch zu begnadigen. Schon Ende nächster Woche könnt Ihr hier raus sein.«
»Aber es gibt eine Bedingung«, sagte Bary vorsichtig, nicht so naiv zu denken, dass für ein solch großzügiges Angebot keine Gegenleistung erwartet wurde.
»Nur eine kleine«, sagte Stellan. »Ich will Eure Tochter heiraten.«
Bary starrte den Fürsten an. »Ihr wollt was?«
»Ich brauche eine Gemahlin, Doktor. Genauer gesagt, ich brauche eine Gemahlin, die … gewisse Ansprüche nicht an mich stellt – Ansprüche, die ich nicht erfüllen kann. Arkady ist die ideale Kandidatin.
Sie ist scharfsinnig, intelligent, beredt, sieht umwerfend aus und hat einen sehr guten Grund, mit mir einen Handel zu schließen, der uns beiden zugutekommt. So sind alle zufrieden. Ihr bekommt Eure Freiheit, ich meinen Erben – und nebenbei bemerkt auch noch den Zusatzbonus, dass der König mich nicht länger ständig fragt, wann ich endlich zu heiraten gedenke.«
Bary starrte ihn entgeistert an. Im ersten Augenblick ergab dieses Angebot überhaupt keinen Sinn für ihn. »Warum?« Der Mann war ein reicher, gut aussehender Fürst, Nummer drei in der königlichen Thronfolge. Was konnte er für einen Grund haben, jede hochwohlgeborene junge Frau in Glaeba zu verschmähen, nur um die mittellose Tochter eines überführten Gesetzesbrechers zu ehelichen? »Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass Ihr in meine Tochter verliebt seid?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte der Fürst. »Und sie genauso wenig in mich. Aber sie ist einverstanden.«
Gezeiten, was denkt das Mädchen sich bloß?
Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sein nächtlicher Besuch im Palast vor einigen Jahren, um den jungen Mann zu behandeln, der verdorbene Austern gegessen hatte. Damals hatte er sich nicht viel dabei gedacht, aber sein Patient war nicht einfach nur ein Gast im Palast von Lebec gewesen. Er hatte im Bett des Fürsten gelegen.
»Mich dünkt, Ihr braucht gar keine Gemahlin, Euer Gnaden. Ihr braucht ein Alibi.«
Stellan antwortete nicht sofort, aber als er es tat, versuchte er nicht, es abzustreiten. »Sie wird reich sein. Eine gesellschaftliche Stellung besitzen. Gezeiten, wenn es nötig ist, kann ich sogar die Universität finanziell unterstützen, damit sie sie dort behalten müssen. Ich verlange nichts von ihr, als diskret zu sein und sich zu verhalten, wie es einer Fürstin geziemt. Und ich gebe Euch mein Wort, dass ich mich ihr niemals aufzwingen werde, wie Rybank es getan hat. Doktor, ich werde dafür sorgen, dass es Eurer Tochter in ihrem Leben nie wieder an etwas mangelt.«
»Außer vielleicht an echtem Glück?«
»Was soll das heißen?«
»Meine Tochter liebt einen anderen, Euer Gnaden. Ihr könnt mir nicht einreden, dass sie sich ganz aus freien Stücken auf so eine Scharade einlässt.«
Stellan schüttelte den Kopf. »Wie sie mir sagte, hat ihr junger Mann Lebec verlassen, um einen Posten in Herino anzutreten, als Lehrling beim Ersten Spion des Königs. Declan Hawkes hat sich offenbar für eine Karriere bei Daly Bridgeman statt für Eure Tochter entschieden.
So benimmt sich wohl kaum ein liebeskranker junger Mann mit dem Wunsch, sich zu verheiraten. Wie auch immer, Arkady hat mir versichert, dass er nur ein guter Freund ist und kein Hindernis darstellt.«
Du törichtes Mädchen! Du kannst doch dein Glück nicht für mich fortwerfen.
Nicht schon wieder …
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
»Alles in Ordnung?«
»Es geht schon … gebt mir bloß einen Augenblick … muss nur eben zu Atem kommen …«
Der Mann wartete, bis Bary sich so weit erholt hatte, dass es weiterging. Als der alte Arzt sich von der Wand abstieß, nahmen sie den Gang zur Schreibstube des Kerkermeisters wieder auf, wenn auch in
deutlich gemäßigtem Tempo.
Der Kerkermeister war nicht in seiner Schreibstube, als sie dort ankamen.
Offenbar hatte er sie an den Fürsten abgetreten. Stellan Desean, gegen die Kälte in einen pelzgefütterten Mantel gehüllt, stand am Fenster und starrte hinaus in den Regen, der in Bächen die Scheibe hinunterrann und leise gegen die Mauern trommelte. Als Bary eintrat, drehte er sich um und gab dem Wächter ein Zeichen, draußen zu warten.
»Doktor Morel.«
»Euer Gnaden.«
Stellan lächelte. »Bitte, setzt Euch. Ihr seht aus, als hättet Ihr es nötig.«
Bary tat wie geheißen und nahm dankbar auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch Platz. Noch einmal hustete er in sein blutbeflecktes Taschentuch, dann richtete er die Aufmerksamkeit ganz auf seinen Besucher. Der runzelte bei den rasselnden Geräuschen aus seinem Brustkorb die Stirn.
»Wie ich sehe, hat Eure Tochter mit Eurem Gesundheitszustand nicht übertrieben«, bemerkte Stellan und musterte ihn prüfend.
»Sie hat es also geschafft, eine Audienz bei Euch zu bekommen?«,
erwiderte Bary. »Ich nehme an, darum seid Ihr hier?«
Stellan nickte und setzte sich in den mächtigen, abgewetzten Ledersessel des Kerkermeisters. »Das als Audienz zu bezeichnen ist allerdings grob verharmlosend. Wenn Ihr schon danach fragt: Sie hat es irgendwie fertiggebracht, an sämtlichen Posten vorbeizustürmen, die ich eigens zu dem Zweck aufgestellt habe, solche Vorkommnisse zu verhindern. Dann ist sie in heller Empörung bei mir hereingerauscht und hat mir eine gesalzene Standpauke verabreicht, weil ich dulde, dass Ihr hier im Gefängnis sitzt, nur für das Verbrechen, ein Wohltäter von Menschheit und Crasii zu sein.«
Bary wünschte, er könnte aus Stellans neutralem Ton heraushören, wie er darüber dachte. Womöglich hatte Arkady mit ihrer Einmischung sein Todesurteil erwirkt, statt ihm zu helfen.
»Es tut mir Leid, Euer Gnaden. Sie hatte bestimmt nicht die Absicht, Euch zu beleidigen …«
Stellan lächelte und hob die Hand, um Barys Entschuldigung abzuwehren.
»Schon gut, Doktor Morel. Ich habe ihre Petition für Eure Begnadigung mit Vergnügen angehört. Natürlich erst, als mir klar wurde, wen ich vor mir hatte. Zuerst habe ich Eure Tochter nämlich gar nicht wiedererkannt. Sie ist wirklich eine überwältigende junge Frau geworden. Ihr müsst sehr stolz auf sie sein.«
Bary nickte. Seine Sicht verschwamm, als er daran dachte, was sie noch alles getan hatte, um ihn zu schützen. Beim Fürsten von Lebec hereinzuplatzen und seine Freilassung zu fordern war noch das Geringste.
»Sie ist eine wunderbare Tochter«, bestätigte er und wischte sich die Augen. »Ihr habt ja keine Ahnung.«
»Sie hat verlangt, dass ich Euch begnadige.«
Bary lächelte matt. »Optimistin ist sie auch.«
»Und äußerst wortgewandt. Wie sie mir sagt, studiert sie Geschichte und will sogar einen Doktorgrad erlangen.«
Bary nickte erneut. »Eigentlich wollte sie Ärztin werden, aber die medizinische Fakultät lässt keine Frauen zu.«
»Ich bin sicher, die Universitätsleitung hat dafür gute Gründe.«
Keiner davon kann Arkadys Überzeugung schmälern, dass unsere Gesellschaft in der Hand von frauenfeindlichen Schwachköpfen ist. Er zuckte die Achseln. Ihm war unklar, was die akademischen Ambitionen seiner Tochter mit seiner Lage zu tun hatten. »Nun ja, Euer Gnaden, sofern Ihr diese Gründe nicht genau kennt und überzeugend vertreten könnt, möchte ich davon abraten, dieses Thema in Gegenwart meiner Tochter anzuschneiden.«
Stellans Lächeln wurde breiter. »Ja, diese Lektion habe ich bereits gründlich gelernt.«
»Es war sehr gütig von Euch, sie anzuhören, Euer Gnaden. Und Euch die Zeit für einen Besuch bei mir zu nehmen.«
Stellans Lächeln schwand. »Ich muss gestehen, Doktor Morel, dass ich nicht gekommen bin, um mir die Zeit zu vertreiben oder einen alten Dienstmann meiner Familie zu besuchen, wenn man Euch ob Eurer gelegentlichen Palastbesuche überhaupt so nennen kann.«
Barys Herz setzte einen Schlag aus. Das klang nicht sonderlich ermutigend. Gezeiten, was hat sie nur zu dem Mann gesagt?
»Warum seid Ihr dann hier, Euer Gnaden?«
»Weil ich denke, dass wir einander einen Gefallen tun können, Doktor Morel«, verkündete der Fürst. »Jeder von uns hat etwas, das der andere will.«
Bary konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Nun ja, ohne Zweifel steht es in Eurer Macht, mir zu gewähren, was ich ersehne, Euer Gnaden«, sagte er. »Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ich Euch anzubieten hätte.«
»Ich könnte Euch wohl begnadigen«, stimmte Stellan zu und lehnte sich im Sessel des Kerkermeisters zurück. »Aber das würde nicht ohne Gerede abgehen. Man hat Euch auf frischer Tat ertappt, mein Freund. Ihr habt einer flüchtigen Sklavin geholfen, ihren Häschern zu entkommen. Und was noch schlimmer ist, der Hauptzeuge, der gegen Euch aussagt, ist eins der prominentesten Fakultätsmitglieder der Universität von Lebec. Ich kann Fillion Rybanks Aussage nicht einfach als haltlos vom Tisch wischen, nur weil ich Euch zufällig lieber mag als ihn.«
Als Rybanks Name fiel, fühlte Bary heißen Zorn aufwallen. Was dieser Mann seiner Tochter angetan hatte, war jenseits aller Skrupel.
Allein der Gedanke daran machte ihn ganz krank. Arkady war natürlich nicht bekannt, dass ihr Vater Bescheid wusste. Sie glaubte immer noch, er habe keine Ahnung von der ganzen unseligen Affäre. Mit bitterer Ironie erinnerte er sich daran, was für Sorgen er sich gemacht hatte, als ihm vor ein paar Jahren aufging, dass seine Tochter wohl nicht so unerfahren war, wie ihm lieb gewesen wäre. Damals hatte er angenommen, dass sie mit dem jungen Hawkes schlief. Eigentlich ein ganz ordentlicher Bursche, wenn auch ein notorischer Unruhestifter. Und die beiden waren immerhin fast ihre ganze Jugend über unzertrennlich gewesen.
Heute wünschte sich Bary geradezu, dass seine Tochter mit dem jungen Hawkes geschlafen hätte. Damit hätte er sich noch irgendwie arrangieren können wie jeder andere Vater auch. Aber die Wahrheit – die bittere Gewissheit, dass seine kleine Tochter sich jahrelang einem Mann wie Fillion Rybank hingegeben hatte, um sein Schweigen zu erkaufen, weil sie glaubte, ihren Vater damit vor der Verhaftung bewahren zu können –, das war fast mehr, als er ertragen konnte.
Und nun sorgte sich Arkady um ihn, weil er an Schwindsucht litt.
Sie hatte keine Ahnung, dass sein körperliches Elend nichts war im Vergleich zu den entsetzlichen Schuldgefühlen, die ihn wegen seiner Tochter plagten.
»Der Mann ist ein Verbrecher«, stieß Bary hervor und ballte die Fäuste. »Er hat ein unschuldiges Kind zu sexuellen Handlungen erpresst, und doch läuft er nach wie vor frei herum, während ich im Gefängnis sitze, nur weil ich einer verletzten Crasii geholfen habe.«
»Eure verletzte Crasii war eine geflohene Sklavin, Doktor«, erinnerte ihn Stellan. »Und auch wenn ich Fillion Rybank nur zu gern für seine Schandtat hinter Gitter bringen würde, seid Ihr ja wohl kaum bereit, seine Verbrechen vor einem öffentlichen Gericht zu bezeugen – und Eure Tochter schon gar nicht. Folglich sind mir in dieser Angelegenheit die Hände gebunden, meint Ihr nicht auch?«
»Warum seid Ihr dann hier? Um mir zu sagen, wie sehr Ihr bedauert, dass ihr mir nicht helfen könnt?«
Stellan schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Ich kann Euch helfen. Sogar sehr. Ich bin bereit, Euch zu begnadigen. Schon Ende nächster Woche könnt Ihr hier raus sein.«
»Aber es gibt eine Bedingung«, sagte Bary vorsichtig, nicht so naiv zu denken, dass für ein solch großzügiges Angebot keine Gegenleistung erwartet wurde.
»Nur eine kleine«, sagte Stellan. »Ich will Eure Tochter heiraten.«
Bary starrte den Fürsten an. »Ihr wollt was?«
»Ich brauche eine Gemahlin, Doktor. Genauer gesagt, ich brauche eine Gemahlin, die … gewisse Ansprüche nicht an mich stellt – Ansprüche, die ich nicht erfüllen kann. Arkady ist die ideale Kandidatin.
Sie ist scharfsinnig, intelligent, beredt, sieht umwerfend aus und hat einen sehr guten Grund, mit mir einen Handel zu schließen, der uns beiden zugutekommt. So sind alle zufrieden. Ihr bekommt Eure Freiheit, ich meinen Erben – und nebenbei bemerkt auch noch den Zusatzbonus, dass der König mich nicht länger ständig fragt, wann ich endlich zu heiraten gedenke.«
Bary starrte ihn entgeistert an. Im ersten Augenblick ergab dieses Angebot überhaupt keinen Sinn für ihn. »Warum?« Der Mann war ein reicher, gut aussehender Fürst, Nummer drei in der königlichen Thronfolge. Was konnte er für einen Grund haben, jede hochwohlgeborene junge Frau in Glaeba zu verschmähen, nur um die mittellose Tochter eines überführten Gesetzesbrechers zu ehelichen? »Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass Ihr in meine Tochter verliebt seid?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte der Fürst. »Und sie genauso wenig in mich. Aber sie ist einverstanden.«
Gezeiten, was denkt das Mädchen sich bloß?
Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sein nächtlicher Besuch im Palast vor einigen Jahren, um den jungen Mann zu behandeln, der verdorbene Austern gegessen hatte. Damals hatte er sich nicht viel dabei gedacht, aber sein Patient war nicht einfach nur ein Gast im Palast von Lebec gewesen. Er hatte im Bett des Fürsten gelegen.
»Mich dünkt, Ihr braucht gar keine Gemahlin, Euer Gnaden. Ihr braucht ein Alibi.«
Stellan antwortete nicht sofort, aber als er es tat, versuchte er nicht, es abzustreiten. »Sie wird reich sein. Eine gesellschaftliche Stellung besitzen. Gezeiten, wenn es nötig ist, kann ich sogar die Universität finanziell unterstützen, damit sie sie dort behalten müssen. Ich verlange nichts von ihr, als diskret zu sein und sich zu verhalten, wie es einer Fürstin geziemt. Und ich gebe Euch mein Wort, dass ich mich ihr niemals aufzwingen werde, wie Rybank es getan hat. Doktor, ich werde dafür sorgen, dass es Eurer Tochter in ihrem Leben nie wieder an etwas mangelt.«
»Außer vielleicht an echtem Glück?«
»Was soll das heißen?«
»Meine Tochter liebt einen anderen, Euer Gnaden. Ihr könnt mir nicht einreden, dass sie sich ganz aus freien Stücken auf so eine Scharade einlässt.«
Stellan schüttelte den Kopf. »Wie sie mir sagte, hat ihr junger Mann Lebec verlassen, um einen Posten in Herino anzutreten, als Lehrling beim Ersten Spion des Königs. Declan Hawkes hat sich offenbar für eine Karriere bei Daly Bridgeman statt für Eure Tochter entschieden.
So benimmt sich wohl kaum ein liebeskranker junger Mann mit dem Wunsch, sich zu verheiraten. Wie auch immer, Arkady hat mir versichert, dass er nur ein guter Freund ist und kein Hindernis darstellt.«
Du törichtes Mädchen! Du kannst doch dein Glück nicht für mich fortwerfen.
Nicht schon wieder …
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Jennifer Fallon
Jennifer Fallon wurde als neunte von dreizehn Töchtern in Melbourne, Australien, geboren. Getrieben von der Neugier am Leben arbeitete sie unter anderem als Kaufhausdetektivin, Jugendarbeiterin und professionelle Sporttrainerin. Neben ihren drei eigenen Kindern kümmerte sie sich um insgesamt 32 Pflegekinder. Ihre Fantasy-Trilogie um das Dämonenkind R'shiel, mit der sie die australischen Bestsellerlisten innerhalb einer Woche im Sturm eroberte, ist nun auch in Deutschland ein einzigartiger Publikumserfolg. Heute lebt Jennifer Fallon als freie Schriftstellerin im Northern Territory und teilt ihr Haus noch immer mit obdachlosen Jugendlichen.Katrin Kremmler, M.A., geboren 1972, Cartoonistin und Ethnologin, hat die Budapester Lesbenszene wissenschaftlich erforscht und die besten Jahre ihres Erwachsenenlebens dort verbracht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jennifer Fallon
- 2010, 576 Seiten, Maße: 13,6 x 21,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Kremmler, Katrin u. Satzer, Rene
- Übersetzer: Rene Satzer, Katrin Kremmler
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802582454
- ISBN-13: 9783802582455
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