Der Schrecksenmeister
Dank der großartigen Übersetzung von Walter Moers können wir nun nach Buchhaim einen weiteren abenteuerlichen Schauplatz Zamoniens kennenlernen: Sledwaya, die Stadt, in der das Gesunde krank, das Richtige verkehrt und das Falsche richtig ist - und wo der...
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Dank der großartigen Übersetzung von Walter Moers können wir nun nach Buchhaim einen weiteren abenteuerlichen Schauplatz Zamoniens kennenlernen: Sledwaya, die Stadt, in der das Gesunde krank, das Richtige verkehrt und das Falsche richtig ist - und wo der Schrecksenmeister nicht nur für das üble Wetter verantwortlich zeichnet.
In Sledwaya, der ungesundesten Stadt Zamoniens, ist Echo, das hochbegabte Krätzchen, nach dem Tod seines Frauchens in allergrößte Schwierigkeiten geraten. Er ist gezwungen, mit dem Schrecksenmeister Succubius Eißpin einen verhängnisvollen Vertrag zu schließen. Dieser gibt Eißpin das Recht, die Kratze beim nächsten Vollmond zu töten und ihr das Fett auszukochen. Als Gegenleistung muss Eißpin Echo bis dahin auf höchstem kulinarischen Niveau durchfüttern. Doch der Schrecksenmeister Eißpin hat nicht mit dem Überlebenswillen und dem Erfindungsreichtum des Krätzchens gerechnet - vor allem nicht mit dessen neuen Freunden, den Grübelnden Eiern und dem Goldenen Eichhörnchen, Fjodor F. Fjodor, dem Einäugigen Schuhu und dem Gekochten Gespenst und vor allem Inazea Anazazi, der letzten Schreckse von Sledwaya.
Der Schrecksenmeister von Walter Moers
LESEPROBE
Eißpin, der sehr Schreckliche
Denn als ob diese trostlose Szenenoch einer Krönung bedurfte, kam der StadtschrecksenmeisterEißpin des Weges. Wenn jemals ein Albtraum Gestalt annehmenund durch die wirkliche Welt spazieren wollte, dann würde er die von Eißpin wählen. Der Alte war eine wandelnde Vogelscheuche,eine entsprungene Geisterbahnfigur, vor der alles Lebendige floh, vomkleinsten Käfer bis zum kraftvollsten Krieger. Es schien, als stolziere er zueiner furchtbaren Marschmusik, die nur er selber hörte, und jedermann wichseinem sengenden Blick aus, um nicht geblendet, verflucht oder hypnotisiert zuwerden. Eißpin wandelte im vollen Bewusstsein, vonallen gehasst und gefürchtet zu werden. Er berauschte sich an diesem Wissen undließ keine Gelegenheit aus, in den Straßen von SledwayaAngst und Schrecken zu verbreiten.
Er hatte sich eiserne Platten unterdie Schuhsohlen genagelt, damit man seinen strammen Schritt schon hörte, wenner noch Straßenzüge entfernt war, und seine knöcherne Amtskette klapperte wiedas Skelett eines Gehängten im Wind. Ein giftiger und galliger Geruch ging vonihm aus, ein Parfüm aus all den Essenzen und Säuren und Laugen, mit denen erseine unseligen Experimente veranstaltete. Diese Düfte, die jedem außer Eißpin selbst Atemnot und Übelkeit verursachten, hingenbeständig in seinen Kleidern und eilten ihm genauso voraus wie sein Geklapper -eine Vorhut von unsichtbaren Leibwächtern, die für den Stadtschrecksenmeisterden Weg frei machten.
Alle flüchteten aus der Straße, nurdas hagere Krätzchen blieb sitzen und harrte aus, bis der schreckliche Eißpin um die Ecke kam und seinen stechenden Blick auf dieeinzige Kreatur heftete, die es wagte, ihm im Wege zu sein. Aber selbst vordiesem Blick floh Echo nicht, jede Angst war von ihm gewichen - bis auf dieeinzige, zu verhungern, welche nun all sein Handeln bestimmte. Selbst wenn einRudel wilder Werwölfe unter Anführung einer Waldspinnenhexe um die Eckegekommen wäre, hätte Echo in der sinnlosen Hoffnung ausgeharrt, dass ihm einervon ihnen ein Bröckchen Essbares hinwerfen könnte.
So kam Eißpinimmer näher, blieb schließlich vor dem Krätzchen stehen, beugte sich zu ihmherab und sah es lange und erbarmungslos an. Der Wind spielte mit seinerbeinernen Kette, und in seinen Augen funkelte unverhohlen die Schadenfreudeüber die Leiden eines Geschöpfes, das so dicht an der Schwelle des Todes stand.Die Gerüche von Ammoniak und Äther, von Schwefel und Petroleum, von Blausäureund Leichenkalk drangen wie spitze Nadeln in Echos empfindsames Näschen, aberer wich keinen Fingerbreit.
»Almosen, Herr Stadtschrecksenmeister?«, winselte Echo kläglich. »Ich habe furchtbaren Hunger.«
Eißpins Blick loderte noch dämonischer, undein breites Grinsen erschien auf seiner bleichen Fratze. Er streckte seinenlangen dürren Zeigefinger aus und kratzte damit über Echos hervortretendeRippen.
»Du kannst sprechen?«, fragte er. »Dann bist du gar keine gewöhnliche Katze,sondern ein Krätzchen. Eines der letzten Exemplare deiner Gattung.« Eißpins Augen verengten sich kaum merklich. »Wie wäre es,wenn du mir dein Fett verkaufst?«
»Das ist mächtig komisch, Herr Stadtschrecksenmeister«, erwiderte Echo höflich. »Machtruhig Eure Scherze über einen, der mit einer Pfote im Grab steht, denn ich habeetwas übrig für schwarzen Humor. Seht mir aber bitte nach, dass ich darüber imMoment nicht lachen kann. Mir ist das Lachen im Hals stecken geblieben, und dahabe ich es runtergeschluckt, weil ich so großen Hunger habe.«
»Ich scherze nicht!«,sagte Eißpin scharf. »Ich scherze nie. Ich rede auch nichtvon dem Fett, das du jetzt nicht auf den Rippen hast, sondern von dem, dasdu dir anfressen sollst.«
»Anfressen?«,fragte Echo irritiert, aber plötzlich voller Hoffnung. Allein das Wort kam ihmnahrhaft vor.
»Es verhält sich so ... «, sagte Eißpin und veränderte seine Stimme derart, dass siebeinahe liebenswürdig klang. »Kratzenfett ist in der Alchimie ein probatesMittel. Es konserviert Pestgeruch dreimal besser als Hundefett. Leidener Männlein, mit Kratzenfett imprägniert, haltendoppelt so lang wie die gewöhnlichen. Es schmiert ein Perpetuum mobile besserals jedes Maschinenöl«
»Freut mich zu hören, dass meineGattung zur Herstellung eines solchen Qualitätsproduktes in der Lage ist«,hauchte Echo kaum vernehmlich. »Aber im Augenblick kann ich nicht mit einemeinzigen Gramm dienen.«
»Das sehe ich selbst«, sagte Eißpin, jetzt wieder streng und von oben herab. »Ich werdedich mästen.«
»Mästen«, dachte Echo. Das Wort kamihm noch nahrhafter vor als anfressen.
»Ich werde dich füttern, wie du nochnie gefüttert worden bist. Ich werde die Speisen höchstpersönlich für dichzubereiten, denn ich bin nicht nur ein Virtuose der Alchimie, sondern auch einMeister des Kochlöffels. Ich rede von den raffiniertestenLeckereien - nicht von ordinärem Kratzenfutter. Ich rede von Parfaits undSouffles. Von verlorenen Wachteleiern und Froschzungensülze. VonThunfischtatar und Vogelnestersuppe.«
Echo lief das Wasser im Mundzusammen, obwohl er von solchen Speisen noch nie etwas gehört hatte. »Und wasmuss ich dafür tun?«
»Wie gesagt: das Fett. WirAlchimisten brauchen es, aber es funktioniert nur, wenn wir es auf freiwilligerBasis bekommen. Wir können nicht einfach so losmarschieren und ein paar Kratzenabmurksen. Leider.« Eißpin seufzte und zuckte mit denspitzen Schultern.
»Ja«, sagte Echo, »leider.« Ihm schwante nun, worauf der Schrecksenmeisterhinauswollte.
»Wir schließen einen Vertrag, wirzwei Freunde der Nacht. Heute ist Vollmond. Ich verpflichte mich, dich bis zumnächsten vollen Mond - dem Schrecksenmond - zu mästen,und zwar auf allerhöchstem Niveau. Parfaits und Souffles. Verlorene Wachteleier und ...«
»Ich habe verstanden«, unterbrachEcho. »Komm bitte zur Sache.«
»Na ja, und dann bist du an derReihe, deinen Teil des Vertrages zu erfüllen. Es gibt leider noch keineMethode, einer Kratze das Fett zu entfernen, ohne sie ... na ja, du weißt schon.«
Eißpin deutete unter seinem Kehlkopf einenscharfen Schnitt mit dem langen Nagel seines Zeigefingers an.
Echo musste schlucken.
»Aber ich garantiere dir eins!«, trumpfte Eißpin auf. »Die Zeitbis zum Schrecksenmond wird die schönste deinesLebens! Ich werde dich in eine Welt der Genüsse führen, die noch keine Kratzebetreten hat. Ich werde dich auf einen Gipfel der Feinschmeckerei tragen, vondem aus du auf all deine Artgenossen und all die anderen Haustiere, diedurchgedrehten Stockfisch aus dem Napf fressen müssen, herabsehen kannst wieauf Ungeziefer. Ich werde dir meinen geheimen Garten zeigen, der auf demhöchsten Dach von Sledwaya gedeiht - wo es übrigensdie verführerischsten Winkel und Verstecke für eine Kratze gibt, die du direrträumen kannst. Dort kannst du deine Verdauungsspaziergänge absolvieren undvon magenfreundlichen Kräutern knabbern, wenn dir vom guten Essen einmal derMagen verstimmt ist - damit du umgehend mit dem Schlemmen fortfahren kannst. Dawächst auch die köstliche Kratzenminze.«
»Kratzenminze«, stöhnte Echowollüstig.
»Aber das ist noch nicht alles. Ohnein! Du wirst auf den dicksten Kissen schlafen, hinter dem wärmsten Kachelofender Stadt. Ich werde in jeder Hinsicht für dein Wohlbefinden sorgen. Und fürdeine Unterhaltung! Ich verspreche, dass dies die kurzweiligste Zeit deinesLebens sein wird. Die abenteuerlichste. Die lehrreichste. Du darfst mir beider Arbeit zusehen, selbst bei den geheimsten Experimenten. Ich werde dich inein exklusives Wissen einweihen, nach dem sich selbst erfahrensteAlchimisten die Finger lecken. Du wirst ja nichts mehr damit anfangen können.« Eißpin lachte grausam. Dannrichtete er wieder seinen bohrenden Blick auf Echo. »Nun«, sagte er, »was ist?«
»Ich weiß nicht«, zögerte Echo. »Ichhänge ziemlich am Leben ...«
»Ihr Kratzen habt doch acht Stückdavon, sagt man«, grinste Eißpin und entblößte dabeisein giftgelbes Gebiss. »Ich will nur ein einziges.«
»Verzeihung, aber ich glaube nur anein Leben vor dem Tod, nicht an eins danach«, sagte Echo.
Ein Ruck ging durch den Stadtschrecksenmeister, und er fuhr klappernd hoch wie eineGliederpuppe.
»Ich verschwende hier meine Zeit«,schnappte er. »Es gibt noch andere verzweifelte Tiere in dieser Stadt. AufWiedersehen! Nein - auf Nimmerwiedersehen! Adieu! Ich wünsche dir einenlangsamen und qualvollen Hungertod. Drei Tage, schätze ich. Höchstens vier. Inschlimmster Agonie. Es wird sein, als würdest du dich selber auffressen, voninnen nach außen.«
Dieses Gefühl hatte Echo bereitsseit mehreren Tagen. »Moment mal ... «, sagte er. »Volle Verpflegung? Bis zumnächsten Vollmond?«
Eißpin hielt in seiner Kehrtwendung inneund warf einen Blick zurück über die Schulter.
»Jawohl! Bis zum nächsten Schrecksenmond!«, raunte erverführerisch. »Feinschmeckerküche. Ach was: Feinstschmeckerküche!Ein See aus Milch, mit gebratenen Fischen darin. Menüs mit so vielen Gängen,dass du das Zählen vergisst. Das ist mein letztes Angebot.«
Echo überlegte. Was hatte er denn zuverlieren? Binnen drei qualvollen Tagen mit leerem Magen zu sterben oder indreißig mit vollem Bauch - das war die Alternative.
»Kratzenminze?«,fragte er leise.
»Kratzenminze!«,versprach Eißpin. »In voller Blüte.«
»Abgemacht«, sagte Echo. Und erreichte dem Schrecksenmeister sein zitterndesPfötchen.
© Piper Verlag
Interview mitWalter Moers
Sie erzählen die Geschichte eines Paktes mit dem Teufel:zwischen Echo, dem cleveren Krätzchen, und dem grausamen SchrecksenmeisterEißpin. Worum geht es bei diesem Geschäft?
Echoverkauft dem Schrecksenmeister sein Körperfett, das dieser nach Ablauf einesMonats aus dem Körper des Krätzchens auskochen darf. Dafür muß derSchrecksenmeister Echo in dieser Zeit auf dem höchsten kulinarischen Niveaubewirten.
Was macht für Eißpin gerade das Krätzchen Echo sointeressant. Was steckt hinter dem ominösen "Meisterplan"?
Echoist für Eißpin das letzte Element seines Meisterplans, dem Tod ein Schnippchenzu schlagen und unsterblich zu werden. "Mitzumischen im ewigen Kreislauf vonWerden und Vergehen", wie der Schrecksenmeister es ausdrückt.
"Der Schrecksenmeister" ist auch ein kulinarischesAbenteuer. Empfehlen Sie z.B. eine "safranisierte Tomatenessenz" zumNachkochen? Oder werden Hobbyköche eher enttäuschende Ergebnisse erzielen?
Diesafranisierte Tomatenessenz ist ein Rezept eines japanischen Meisterkochs, dasich dann noch ein bisschen überdreht habe. Man kann das ruhig nachkochen. Ichkoche sehr gerne und weiß eigentlich ziemlich genau über das Bescheid, wovonich da geschrieben habe.
Sie sind einer der vielseitigsten und wandlungsfähigsten Schriftsteller/Illustratorenhierzulande. Haben Sie so etwas wie ein "Lieblingskind"?
Immerdie Figur, mit der ich gerade arbeite. Momentan ist das Hildegunst vonMythenmetz.
Wie halten Sie es eigentlich mit Schriftsteller-Kollegen?Interessiert es Sie, was z.B. Cornelia Funke oder Terry Pratchett produzieren?
Nein.
Sie beweisen immer wieder einen unglaublichenEinfallsreichtum - mit einem "Gekochten Gespenst", der
Mein Gehirn produzierteigentlich andauernd Ideen. Ich bilde mir darauf aber wirklich nichts ein, denndie meisten dieser Ideen sind schlecht. Worauf ich mir etwas einbilde, ist,gelernt zu haben, die guten Ideen von den schlechten unterscheiden zu können.Nicht immer, aber immer öfter.
Die Fragen stelle Carsten Hansen, Literaturtest.
- Autor: Walter Moers
- 2008, 5. Aufl., 384 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 17,6 x 24,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492049370
- ISBN-13: 9783492049375
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