Der Skelett-Mann
In Zuni, New Mexico, wird ein Diamantenhändler überfallen und umgebracht. Als Verdächtiger gilt der junge Hopi Tuve, der versucht hatte, bei ihm einen wertvollen Diamanten zu verpfänden. Lieutenant Chee glaubt jedoch an Tuves Unschuld und stößt bei seinen Ermittlungen auf einen alten Fall: Vor fünfzig Jahren stürzte über dem Grand Canyon ein Flugzeug mit einem Mann ab, der eine Tasche voller Diamanten bei sich trug ...
Der Skelett-Mann von TonyHillermann
LESEPROBE
KAPITEL EINS
Joe Leaphorn, früher einmal Lieutenantbei der Navajo TribalPolice, aber nun schon seit Jahren im Ruhestand, saß am späten Vormittag mitzwei ehemaligen Kollegen bei einer Tasse Kaffee im NavajoInn und bemühte sich, sie davon zu überzeugen, dass ein Zusammenhangbestehe zwischen dem, was sich damals vor fünfzig Jahren in der Nähe des Salt Woman Shrine zugetragen hatte,und Billy Tuves erst kurze Zeit zurückliegendemVersuch, im Leihhaus von Gallup einen Diamanten zuversetzen. «Ihr müsst die beiden Ereignisse als Ursache und Wirkungbetrachten», sagte er. «Alles hängt mit allem zusammen. Im Grunde ist das ganzeUniversum wie eine hochkomplizierte Maschine, derenunendlich viele Einzelteile reibungslos ineinander greifen.» Seine Zuhörerfolgten diesen Worten mit höflicher Aufmerksamkeit, wirkten jedoch nichtsonderlich beeindruckt.
Leaphorn schien ihre Skepsis zu spüren. «Ichgebe zu, der zeitliche Abstand von einem halben Jahrhundert zwischen dem Tagder Flugzeugkatastrophe und Billy Tuves Auftauchen inder Pfandleihe scheint auf den ersten Blick ein Problem darzustellen», sagteer, «aber wenn man sich dann alles genauer ansieht, ist klar zu erkennen, wiedas eine zum anderen geführt hat. Dann fällt einem die Verbindung deutlich insAuge.»
Captain Pinto,Largos Nachfolger in der Zentrale der Navajo Tribal Police in Window Rock,stellte seine Tasse ab und gab der Kellnerin, die hinter dem Tresen Leaphorns Ausführungen interessiert gefolgt war, einZeichen, ihm Kaffee nachzuschenken. Er sah Leaphornabwartend an, ob der seine letzte Bemerkung noch weiter ausführen wollte, dochder Lieutenant hatte gesagt, was ihm wichtig war, undnickte nur noch einmal, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, kurz mitdem Kopf.
«Grundsätzlich teile ich ja deineÜberzeugung, Joe, dass alle Dinge im Universum miteinander zusammenhängen»,schaltete Pinto sich nun ein. «Ein heftiger, heißerWind lässt umherfliegende Vögel ermüden, die sich daraufhinauf einem Baum niederlassen. Unter der Last ihres Gewichts bricht ein Ast undfällt in den am Fuß des Baumes vorüberfließendenFluss. Das eben noch gleichmäßig dahinströmende Wasser wird umgelenkt undunterspült das Ufer, was zu einem Erdrutsch führt, der den gesamten Flussstaut. Das umliegende Land wird überflutet, die Pflanzenwelt verödet, was zurDezimierung der Tierwelt führt und am Ende die dort lebenden Menschen, die sichvon der Jagd ernährt haben, zwingt, ihre angestammteHeimat aufzugeben und sich an einem anderen Ort niederzulassen. Und wenn wirnun noch einmal Schritt für Schritt alles zurückverfolgen, so landen wir beidem heißen Wind als Ursache für all diese Veränderungen. »
Pinto hielt inne, nahm einen SchluckKaffee und fuhr fort: «Was aber nun deinen Versuch angeht, Joe, uns plausibelzu machen, dass das Unglück vor fünfzig Jahren und Billy TuvesVersuch, einen Diamanten zu verpfänden, miteinander zusammenhängen, so wirstdu, denke ich, ziemliche Mühe haben, auch Joanna Craig in dieses Ursache-Wirkung-Prinzip einzupassen. Irgendwie schwer vorstellbar,dass sie die lange Reise von New York hierher nur unternommen hat, weil eingeistig etwas zurückgebliebener Hopi einen Diamantenversetzen wollte.»
Jetzt ergriff auch Captain Largo das Wort. Er war an diesem Morgen nach Window Rock gekommen, weil er hier an einer Tagung zumThema «Alkohol am Steuer» teilnehmen wollte. «Das Problem ist, wie du selbstschon gesagt hast, Joe, der zeitliche Abstand. Fünfzig Jahre lassen sich ebendoch nicht so einfach überbrücken. Du sagst, alles hätte angefangen mit einemPassagier an Bord einer United-Airlines-Maschine, dereine Kamera dabeihatte und der Stewardess sagte, er würde gerne ein paar Fotos vomGrand Canyon machen. Die Stewardess teilt seinen Wunsch dem Piloten mit, derdaraufhin eine elegante Kurve steuert, um aus der Wolke herauszukommen, dieden Blick nach unten behindert. In diesem Moment taucht unvermittelt eineMaschine von Trans World Airlines vor ihm auf, er kann ihr nicht mehr ausweichen,kracht in sie hinein, und die Maschine wird in zwei Teile gerissen. Sogeschehen am 30. Juni 1956. Bis hierher ist alles gut nachvollziehbar.Passagier äußert Wunsch, Pilot kommt dem nach. Dann der große Knall. BeideMaschinen brechen auseinander, es gibt keine Überlebenden. Die Versicherungen leistenihre Zahlungen, und damit scheint die Sache abgeschlossen. Dann, fünfzig Jahredanach, betritt in diesem Frühjahr ein Hopi namensBilly Tuve ein Pfandleihhaus in Gallupund will für zwanzig Dollar einen Diamanten versetzen, der tatsächlichungefähr zwanzigtausend wert sein dürfte, wie spätere Schätzungen ergeben. Undsetzt damit, ohne es zu ahnen, eine völlig neue Kette von Ereignissen in Gang.- Um es klar und deutlich zu sagen, für mich ist das Auftauchen von Tuve nicht die Fortsetzung einer alten, sondern der Beginneiner völlig neuen Geschichte. Überleg doch mal, Joe! Tuvewar, als die Flugzeugkatastrophe geschah, noch nicht mal auf der Welt. Undauch Joanna Craig war noch nicht geboren.»
«Largo hat Recht»,stimmte Pinto dem Captainzu, «in deinem Ursache-Wirkung-Prinzip klafft nichtnur eine zeitliche, sondern auch eine logische Lücke, Joe. Und was diesenPassagier mit dem Fotoapparat angeht, so ist das ja auch nur eine Vermutung vondir. Niemand wird je erfahren, was den Piloten bewogen hat, plötzlich diesesManöver zu fliegen.»
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© Rowohlt Verlag
Übersetzung: Fried Eickhoff
- Autor: Tony Hillerman
- 2006, 3, 288 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Eickhoff, Fried
- Übersetzer: Fried Eickhoff
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499241188
- ISBN-13: 9783499241185
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