Der Todeszauberer
Thriller. Originalausgabe
Sie suchten den Mann fürs Leben - und fanden einen Mann zum Sterben
Eine verstümmelte Frauenleiche wird ans Havelufer geschwemmt, und Hauptkommissar Julius Kern steht vor einer neuen Herausforderung: Siebzehn Frauen hat der so...
Eine verstümmelte Frauenleiche wird ans Havelufer geschwemmt, und Hauptkommissar Julius Kern steht vor einer neuen Herausforderung: Siebzehn Frauen hat der so...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
8.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Todeszauberer “
Sie suchten den Mann fürs Leben - und fanden einen Mann zum Sterben
Eine verstümmelte Frauenleiche wird ans Havelufer geschwemmt, und Hauptkommissar Julius Kern steht vor einer neuen Herausforderung: Siebzehn Frauen hat der so genannte Schläfenmörder bereits getötet, und die Opfer haben nur eines gemeinsam - eine Schlagwunde an der rechten Schläfe. Inmitten der schwierigen Ermittlungen erhält Kern einen anonymen Brief von einem alten Bekannten: Tassilo Michaelis, freigesprochener Massenmörder und Kerns Erzfeind, scheint Informationen zu besitzen, die Kern auf die Fährte des Schläfenmörders führen könnten. Doch er verlangt dafür einen hohen Preis.
Eine verstümmelte Frauenleiche wird ans Havelufer geschwemmt, und Hauptkommissar Julius Kern steht vor einer neuen Herausforderung: Siebzehn Frauen hat der so genannte Schläfenmörder bereits getötet, und die Opfer haben nur eines gemeinsam - eine Schlagwunde an der rechten Schläfe. Inmitten der schwierigen Ermittlungen erhält Kern einen anonymen Brief von einem alten Bekannten: Tassilo Michaelis, freigesprochener Massenmörder und Kerns Erzfeind, scheint Informationen zu besitzen, die Kern auf die Fährte des Schläfenmörders führen könnten. Doch er verlangt dafür einen hohen Preis.
Klappentext zu „Der Todeszauberer “
Sie suchten den Mann fürs Leben - und fanden einen Mann zum Sterben ...Eine verstümmelte Frauenleiche wird ans Havelufer geschwemmt, und Hauptkommissar Julius Kern steht vor einer neuen Herausforderung: Siebzehn Frauen hat der so genannte Schläfenmörder bereits getötet, und die Opfer haben nur eines gemeinsam - eine Schlagwunde an der rechten Schläfe. Inmitten der schwierigen Ermittlungen erhält Kern einen anonymen Brief von einem alten Bekannten: Tassilo Michaelis, freigesprochener Massenmörder und Kerns Erzfeind, scheint Informationen zu besitzen, die Kern auf die Fährte des Schläfenmörders führen könnten. Doch er verlangt dafür einen hohen Preis ...
Lese-Probe zu „Der Todeszauberer “
Der Todeszauberer von Vincent KlieschPROLOG
... mehr
»Stell dir vor, draußen in der Dunkelheit lauert jemand. Er wartet nur auf dich, darauf, dass du das Haus verlässt. Was ist das für ein Gefühl? Diese Ungewissheit, diese unsägliche Ungewissheit darüber, was er von dir will! Warte noch ein wenig, bald wirst du es wissen.«
Die junge Frau saß in einem alten Polstersessel, der seine beste Zeit schon hinter sich hatte. Das warme Licht flackernder Kerzen erhellte ihr Gesicht, die Schatten der Flammen tanzten über ihre Wangen und ihre Stirn. Sie hatte ihre Augen geschlossen und lauschte seinen Worten mit wachsender Anspannung. Seine Stimme drang direkt aus dem sie umgebenden Dunkel an ihr Ohr und ließ ihr dabei feine Schauer über den Rücken laufen.
Er hatte ihr an diesem Abend unglaubliche Dinge gezeigt. Doch das Faszinierendste, so hatte er ihr versprochen, würde nur sie selbst vollbringen können. Allein mit der Kraft ihrer Fantasie.
»Jetzt bist du noch in Sicherheit, beschützt von den großen, starken Mauern eines alten Hauses. Obwohl es nicht dein Haus ist, fühlst du dich sicher und beschützt. Aber bald wirst du es verlassen müssen, ganz allein, ohne irgendjemanden an deiner Seite, der dich beschützen könnte. Doch zuvor wirst du noch einige Gegenstände einpacken. Du wirst sie gut gebrauchen können, draußen, in deiner beängstigenden Ungewissheit. Jeden Schritt, den du von jetzt an gehst - gehe ihn mit Bedacht;
jede Entscheidung, die du zu treffen hast - triff sie weise, denn ändern wirst du sie nicht mehr können.«
Sie nickte leicht, ohne es zu bemerken. Er betrachtete einen Augenblick lang ihr kräftiges, dunkles Haar und versuchte sich vorzustellen, wie es roch. Dann fuhr er fort.
»Drei Gegenstände wirst du aus dem Haus mitnehmen. Du wirst sie in eine Tasche legen, die du niemals aus den Augen lassen darfst. Denn ohne diese Gegenstände bist du verloren dort draußen. Du wirst sie alle drei benötigen, also wähle sie mit Sorgfalt. «
An der steigenden Geschwindigkeit ihrer Atmung merkte er, dass sie mit jedem seiner Sätze unruhiger wurde.
»Den ersten der drei Gegenstände holst du aus dem Keller. Nur widerwillig steigst du die alte, knarrende Treppe hinunter, hältst dich mit der linken Hand am Geländer fest. Du nimmst jede Stufe mit Bedacht und tastest dich langsam in die Dunkelheit vor. Die Kälte kriecht unter deine Kleidung und lähmt jede deiner Bewegungen. Schritt für Schritt steigt deine Unruhe, und du wünschst dir nichts sehnlicher, als so schnell wie möglich wieder zurück nach oben zu gelangen. Nun bist du am Fuß der Treppe angekommen und gehst an der nackten Lehmwand entlang in den nächsten Raum, den Werkzeugraum. Gegenüber am Fenster siehst du im schwachen, flackernden Licht der Deckenlampe einen Werkzeugkasten auf dem Boden stehen. Leise gehst du durch den Raum, bückst dich, hebst mit beiden Händen den schweren Deckel an und ertastest verschiedene Werkzeuge darin. Nur eines davon kannst du auf deinen Weg mitnehmen. Entscheide dich, damit du diesen dunklen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen kannst. Egal, welches Werkzeug es ist, greife es rasch und stecke es in deine Tasche. Und dann: Lauf so schnell nach oben, wie du nur kannst! «
Es war ganz still in der kleinen Souterrainwohnung, in die er sie für sein magisches Experiment eingeladen hatte. Die junge Frau war nicht hypnotisiert, nur vollkommen entspannt und tief in seine Geschichte eingetaucht.
»Schnellen Schrittes nimmst du jetzt jede zweite Stufe und fühlst kurz darauf wieder die wohlige Wärme der oberen Räume. Von der Diele gehst du nun in Richtung Wohnzimmer. Im Türrahmen bleibst du stehen und betrachtest das beruhigende Bild, das sich dir bietet: Der Raum ist sanft erhellt durch das Licht von zahlreichen Kerzen, und während die Wärme in deine Glieder zurückkehrt und sich dein ganzer Körper wieder entspannt, betrachtest du den kunstvoll arrangierten Blumenstrauß, der in einer großen Vase auf dem dunklen Eichentisch in der Mitte des Raumes steht. Gebannt betrachtest du eine Weile lang die Szenerie. Doch dann lockt dich der Duft der Blumen. Du gehst langsam durch den Raum und riechst vorsichtig an dem Strauß. An jeder einzelnen Blume. Nimm jetzt die heraus, deren Duft dir am besten gefällt und leg sie in deine Tasche neben das Werkzeug.«
Er genoss es, sie anzusehen. Sie war eine schöne Frau, intelligent und freundlich. Genau nach seinem Geschmack.
»Jetzt gehst du hinaus in den Flur, die Tasche mit der Blume und dem Werkzeug fest an deinen Körper gedrückt. Der Gang ist lang, viel länger, als es normale Flure sind. Du siehst dich aufmerksam um und stellst dabei fest, dass es hier alles gibt, was man gebrauchen kann, wenn man die verlässliche Sicherheit eines Hauses verlässt, um sich auf den Weg in die ungewisse Ferne zu machen. Sieh dich um, ganz in Ruhe. Dann wähle einen der nützlichen Gegenstände aus und lege ihn in die Tasche zu dem Werkzeug und der Blume. Doch vergiss nicht: Sobald du dich entschieden hast, kannst du deine Wahl nicht mehr rückgängig machen.«
Er saß ihr direkt gegenüber. Seinen Stuhl hatte er so nah an
ihren Sessel gerückt, dass sie seine Worte förmlich spüren konnte. Er beugte sich etwas weiter zu ihr vor, um die Intensität seiner Worte noch zu steigern.
»Es ist so weit. Die Tür öffnet sich, und plötzlich wird es dunkel im Haus. Wo eben noch Wärme und Licht waren, gibt es plötzlich nur noch Kälte und Dunkelheit. Hörst du die Schritte, die sich dir nähern? Lauf! Lauf aus dem Haus, so schnell du kannst. Aber vergewissere dich, dass du die Tasche mit den drei Gegenständen bei dir trägst, denn ohne sie bist du verloren. Im Freien angekommen siehst du eine Weggabelung. Das Licht des Mondes, das ab nun deine einzige Orientierungshilfe ist, scheint gerade hell genug, um sie zu erkennen. Entscheide dich für einen Weg und geh ihn, so schnell du kannst. Beeile dich - es ist alles andere als sicher hier draußen in der Dunkelheit. Und vergiss nicht, dass dir noch immer jemand folgt.«
Er sah die kleinen Regungen in ihrem schönen Gesicht und lächelte überlegen. Dann fuhr er fort.
»Du weißt noch immer nicht, wer es ist, der hier draußen auf dich gelauert hat, aber du glaubst, seine Schritte zu hören. Ganz langsam kommen sie dir näher. Du wagst es nicht, dich umzudrehen. Wie lange wird es noch dauern, bis er dich erreicht hat? «
Er spürte, wie tief sie in ihre Fantasie eingetaucht war, und las in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch.
»Du läufst immer weiter, so schnell du kannst, die drei Gegenstände sicher bei dir. Da, plötzlich versperrt dir etwas den Weg. Ein großes, schwarzes Eisentor ragt vor dir in den Nachthimmel, zu hoch, um darüberzusteigen. Außerdem wird es von einem Wächter bewacht; unbemerkt kannst du es nicht überwinden. Aber du kannst nicht zulassen, dass es dich aufhält. Nicht jetzt, während dein Verfolger dir immer näher kommt. Was, so überlegst du fieberhaft, kannst du nur tun, um den Wächter dazu zu bringen, dir das Tor zu öffnen? Sieh in deine Tasche. Du trägst ein Werkzeug, eine Blume und einen nützlichen Gegenstand darin. Meinst du, der Wächter wird vielleicht etwas davon gebrauchen können? Welchen Gegenstand kannst du entbehren, und welchen willst du auf keinen Fall hergeben, hier draußen in der feindlichen Kälte der Nacht? Überlege nicht zu lange, deine Zeit wird knapp, und dein Vorsprung vor der Gestalt; die dir folgt, schmilzt mit jedem Augenblick, den du zögerst. Du nimmst jetzt einen Gegenstand aus deiner Tasche und reichst ihn dem Wächter. Er mustert dich mit kritischen Blicken. Seine Uniform ist schwarz, mit hohen Stiefeln und einer Mütze, die er tief in sein zerfurchtes Gesicht gezogen hat. Jetzt greift er nach dem Gegenstand, den du ihm reichst, und betrachtet ihn kritisch. Dann verziehen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln, und er öffnet das Tor gerade so weit, dass du hindurchpasst. Immer noch lächelnd, hebt er seine Hand zum Gruß und weist dir mit einem leichten Nicken den Weg. Lauf! Du hast wertvolle Zeit verloren.«
Er machte eine kurze Pause. Sie hatte jetzt klare Bilder vor ihrem geistigen Auge und konnte es kaum erwarten, das Ende der Geschichte zu erfahren.
»Zwei Gegenstände trägst du noch bei dir. Du läufst immer schneller, und irgendwo weit hinten am Horizont glaubst du Lichter zu sehen. Die Lichter einer großen, modernen Siedlung, die Sicherheit versprechen. Mit jedem Moment, den du zögerst, wird die Dunkelheit mächtiger, die dich umgibt. Dein Weg führt dich jetzt in einen Wald; die hohen Bäume stehen sehr dicht. Das Licht des Mondes dringt dort nur noch spärlich zu dir vor. Du musst jetzt etwas langsamer gehen, wenn du nicht fallen willst. Und das, obwohl du noch immer verfolgt wirst. Angst und Kälte schnüren dir die Kehle zu und beschleunigen deine Schritte wieder. Du rennst so schnell du kannst. Die kalte Luft
brennt unangenehm in deinem Hals und lässt deine Augen tränen. Plötzlich dringt ein Schluchzen an dein Ohr und lässt dich innehalten. Du schaust dich um und erkennst gerade noch, wie ein Kind aus der Dunkelheit tritt. Der Anblick des kleinen Mädchens hier draußen, mitten im Wald, lässt dich frösteln. Obwohl es kalt ist, trägt sie nichts weiter als ein hauchdünnes Seidenkleid, das gerade bis zu ihren Knien reicht. Ihre kleinen Füße sind nackt, Schuhe trägt sie keine. Allein ihre großen blauen Augen leuchten in der Dunkelheit.«
Mit einer Kunstpause verstärkte er ihre Anspannung.
»In den Augen des Kindes siehst du Tränen; du spürst in diesem Augenblick keine Angst, nur Mitgefühl. Du weißt nicht, zu wem das Kind gehört und wie es hierhergekommen ist, aber du weißt, dass du ihm helfen musst. Öffne deine Tasche. Was befindet sich noch darin? Das Werkzeug, die Blume, der nützliche Gegenstand? Entscheide, was davon du nun dem Kind gibst, aber vergiss dabei nicht, dass du den letzten Gegenstand noch brauchen wirst.«
Er spürte ihre Erleichterung, als sie anscheinend glaubte, eine gute Wahl getroffen zu haben. Er wartete noch einige Sekunden, bevor er fortfuhr. Das Finale musste präzise inszeniert werden.
»Deine Füße tragen dich jetzt immer weiter, immer schneller. Du erreichst das Ende des Waldes, und der Mond erhellt nun wieder mit seiner vollen Kraft den kurzen Rest des Weges, der noch vor dir liegt. Die Lichter der Siedlung kommen näher, die Umrisse der Häuser werden schärfer. Dein Weg führt dich jetzt direkt ins Innere des Dorfes, und du entdeckst ein Haus, das dir bekannt vorkommt. Du bist heute Abend schon einmal hineingegangen. Und jetzt verstehst du, wohin dein Weg dich geführt hat. Du vergisst alles um dich herum und gehst noch einmal in dieses Haus, die Tasche dabei noch immer fest im Griff. Ein letzter Gegenstand befindet sich noch darin. Als du das Zimmer betrittst, kommt es dir vertraut vor, denn du hast es heute Abend schon einmal betreten. Du siehst einen gemütlichen Sessel, den du bereits kennst. Du hast heute schon einmal darauf Platz genommen. Jetzt tust du es ein weiteres Mal, stellst die Tasche mit dem verbliebenen Gegenstand neben dir ab und schließt die Augen. Atme noch einmal tief durch, sodass Fantasie und Wirklichkeit langsam wieder miteinander verschmelzen können. Was wird geschehen, wenn du gleich deine Augen öffnest? «
An dieser Stelle lag eine Spannung in der Luft, die er über alles liebte. Diese Spannung war für ihn mehr als bloßer Nervenkitzel. Sie war magisch.
»Öffne deine Augen«, sagte er schließlich.
Es dauerte einige Sekunden, bis sie seiner Aufforderung folgte. »Und? «, fragte sie vorsichtig.
»Sieh neben den Sessel.«
Sie tat, was er sagte, und bemerkte, dass dort eine alte Ledertasche stand, die zuvor noch nicht da gewesen war.
»Du hast sie eben selber dort hingestellt, oder etwa nicht? In deinen Gedanken.«
Antworten konnte sie nicht; sie hatte einen dicken Kloß im Hals, der sie am Sprechen hinderte. Deshalb nickte sie nur.
»Nimm jetzt die Tasche auf den Schoß und mach sie auf«, fuhr er fort.
Sie hob die alte Tasche vorsichtig an und öffnete den rostigen Verschluss. Nur ganz langsam traute sie sich hineinzusehen. Nur ein einziger Gegenstand befand sich darin.
»Hast du diesen Gegenstand im Haus gewählt? Und ist er während deiner Wanderung bis jetzt in der Tasche geblieben? «, fragte er.
Sie nickte völlig verstört.
»Nimm ihn jetzt heraus.«
Sie griff in die Tasche und zog einen blank polierten Hammer hervor.
»Die Rose hast du ja schon verschenkt«, hauchte er.
Woher wusste er das? Sie sah ihn fassungslos an. Er streckte seine Hand aus und deutete mit einem Nicken an, dass sie ihm den Hammer geben solle.
»Es waren allein deine Entscheidungen, die du auf deinem Weg getroffen hast«, stellte er flüsternd fest. »Wir alle sind allein das Ergebnis der Entscheidungen, die wir treffen.«
Er erhob sich, bedacht darauf, mit der Wirkung seiner theatralischen Bewegung die Dramatik des Augenblicks noch zu steigern. Dann sagte er: »Ich war es, der dir aufgelauert hat. Und ich war es auch, der dir gefolgt ist, draußen, in der Dunkelheit.«
Noch bevor sie begreifen konnte, was geschah, holte er auch schon aus und schlug ihr den Hammer mit einem präzisen Hieb gegen die Schläfe.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Blanvalet Verlag,
München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Stell dir vor, draußen in der Dunkelheit lauert jemand. Er wartet nur auf dich, darauf, dass du das Haus verlässt. Was ist das für ein Gefühl? Diese Ungewissheit, diese unsägliche Ungewissheit darüber, was er von dir will! Warte noch ein wenig, bald wirst du es wissen.«
Die junge Frau saß in einem alten Polstersessel, der seine beste Zeit schon hinter sich hatte. Das warme Licht flackernder Kerzen erhellte ihr Gesicht, die Schatten der Flammen tanzten über ihre Wangen und ihre Stirn. Sie hatte ihre Augen geschlossen und lauschte seinen Worten mit wachsender Anspannung. Seine Stimme drang direkt aus dem sie umgebenden Dunkel an ihr Ohr und ließ ihr dabei feine Schauer über den Rücken laufen.
Er hatte ihr an diesem Abend unglaubliche Dinge gezeigt. Doch das Faszinierendste, so hatte er ihr versprochen, würde nur sie selbst vollbringen können. Allein mit der Kraft ihrer Fantasie.
»Jetzt bist du noch in Sicherheit, beschützt von den großen, starken Mauern eines alten Hauses. Obwohl es nicht dein Haus ist, fühlst du dich sicher und beschützt. Aber bald wirst du es verlassen müssen, ganz allein, ohne irgendjemanden an deiner Seite, der dich beschützen könnte. Doch zuvor wirst du noch einige Gegenstände einpacken. Du wirst sie gut gebrauchen können, draußen, in deiner beängstigenden Ungewissheit. Jeden Schritt, den du von jetzt an gehst - gehe ihn mit Bedacht;
jede Entscheidung, die du zu treffen hast - triff sie weise, denn ändern wirst du sie nicht mehr können.«
Sie nickte leicht, ohne es zu bemerken. Er betrachtete einen Augenblick lang ihr kräftiges, dunkles Haar und versuchte sich vorzustellen, wie es roch. Dann fuhr er fort.
»Drei Gegenstände wirst du aus dem Haus mitnehmen. Du wirst sie in eine Tasche legen, die du niemals aus den Augen lassen darfst. Denn ohne diese Gegenstände bist du verloren dort draußen. Du wirst sie alle drei benötigen, also wähle sie mit Sorgfalt. «
An der steigenden Geschwindigkeit ihrer Atmung merkte er, dass sie mit jedem seiner Sätze unruhiger wurde.
»Den ersten der drei Gegenstände holst du aus dem Keller. Nur widerwillig steigst du die alte, knarrende Treppe hinunter, hältst dich mit der linken Hand am Geländer fest. Du nimmst jede Stufe mit Bedacht und tastest dich langsam in die Dunkelheit vor. Die Kälte kriecht unter deine Kleidung und lähmt jede deiner Bewegungen. Schritt für Schritt steigt deine Unruhe, und du wünschst dir nichts sehnlicher, als so schnell wie möglich wieder zurück nach oben zu gelangen. Nun bist du am Fuß der Treppe angekommen und gehst an der nackten Lehmwand entlang in den nächsten Raum, den Werkzeugraum. Gegenüber am Fenster siehst du im schwachen, flackernden Licht der Deckenlampe einen Werkzeugkasten auf dem Boden stehen. Leise gehst du durch den Raum, bückst dich, hebst mit beiden Händen den schweren Deckel an und ertastest verschiedene Werkzeuge darin. Nur eines davon kannst du auf deinen Weg mitnehmen. Entscheide dich, damit du diesen dunklen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen kannst. Egal, welches Werkzeug es ist, greife es rasch und stecke es in deine Tasche. Und dann: Lauf so schnell nach oben, wie du nur kannst! «
Es war ganz still in der kleinen Souterrainwohnung, in die er sie für sein magisches Experiment eingeladen hatte. Die junge Frau war nicht hypnotisiert, nur vollkommen entspannt und tief in seine Geschichte eingetaucht.
»Schnellen Schrittes nimmst du jetzt jede zweite Stufe und fühlst kurz darauf wieder die wohlige Wärme der oberen Räume. Von der Diele gehst du nun in Richtung Wohnzimmer. Im Türrahmen bleibst du stehen und betrachtest das beruhigende Bild, das sich dir bietet: Der Raum ist sanft erhellt durch das Licht von zahlreichen Kerzen, und während die Wärme in deine Glieder zurückkehrt und sich dein ganzer Körper wieder entspannt, betrachtest du den kunstvoll arrangierten Blumenstrauß, der in einer großen Vase auf dem dunklen Eichentisch in der Mitte des Raumes steht. Gebannt betrachtest du eine Weile lang die Szenerie. Doch dann lockt dich der Duft der Blumen. Du gehst langsam durch den Raum und riechst vorsichtig an dem Strauß. An jeder einzelnen Blume. Nimm jetzt die heraus, deren Duft dir am besten gefällt und leg sie in deine Tasche neben das Werkzeug.«
Er genoss es, sie anzusehen. Sie war eine schöne Frau, intelligent und freundlich. Genau nach seinem Geschmack.
»Jetzt gehst du hinaus in den Flur, die Tasche mit der Blume und dem Werkzeug fest an deinen Körper gedrückt. Der Gang ist lang, viel länger, als es normale Flure sind. Du siehst dich aufmerksam um und stellst dabei fest, dass es hier alles gibt, was man gebrauchen kann, wenn man die verlässliche Sicherheit eines Hauses verlässt, um sich auf den Weg in die ungewisse Ferne zu machen. Sieh dich um, ganz in Ruhe. Dann wähle einen der nützlichen Gegenstände aus und lege ihn in die Tasche zu dem Werkzeug und der Blume. Doch vergiss nicht: Sobald du dich entschieden hast, kannst du deine Wahl nicht mehr rückgängig machen.«
Er saß ihr direkt gegenüber. Seinen Stuhl hatte er so nah an
ihren Sessel gerückt, dass sie seine Worte förmlich spüren konnte. Er beugte sich etwas weiter zu ihr vor, um die Intensität seiner Worte noch zu steigern.
»Es ist so weit. Die Tür öffnet sich, und plötzlich wird es dunkel im Haus. Wo eben noch Wärme und Licht waren, gibt es plötzlich nur noch Kälte und Dunkelheit. Hörst du die Schritte, die sich dir nähern? Lauf! Lauf aus dem Haus, so schnell du kannst. Aber vergewissere dich, dass du die Tasche mit den drei Gegenständen bei dir trägst, denn ohne sie bist du verloren. Im Freien angekommen siehst du eine Weggabelung. Das Licht des Mondes, das ab nun deine einzige Orientierungshilfe ist, scheint gerade hell genug, um sie zu erkennen. Entscheide dich für einen Weg und geh ihn, so schnell du kannst. Beeile dich - es ist alles andere als sicher hier draußen in der Dunkelheit. Und vergiss nicht, dass dir noch immer jemand folgt.«
Er sah die kleinen Regungen in ihrem schönen Gesicht und lächelte überlegen. Dann fuhr er fort.
»Du weißt noch immer nicht, wer es ist, der hier draußen auf dich gelauert hat, aber du glaubst, seine Schritte zu hören. Ganz langsam kommen sie dir näher. Du wagst es nicht, dich umzudrehen. Wie lange wird es noch dauern, bis er dich erreicht hat? «
Er spürte, wie tief sie in ihre Fantasie eingetaucht war, und las in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch.
»Du läufst immer weiter, so schnell du kannst, die drei Gegenstände sicher bei dir. Da, plötzlich versperrt dir etwas den Weg. Ein großes, schwarzes Eisentor ragt vor dir in den Nachthimmel, zu hoch, um darüberzusteigen. Außerdem wird es von einem Wächter bewacht; unbemerkt kannst du es nicht überwinden. Aber du kannst nicht zulassen, dass es dich aufhält. Nicht jetzt, während dein Verfolger dir immer näher kommt. Was, so überlegst du fieberhaft, kannst du nur tun, um den Wächter dazu zu bringen, dir das Tor zu öffnen? Sieh in deine Tasche. Du trägst ein Werkzeug, eine Blume und einen nützlichen Gegenstand darin. Meinst du, der Wächter wird vielleicht etwas davon gebrauchen können? Welchen Gegenstand kannst du entbehren, und welchen willst du auf keinen Fall hergeben, hier draußen in der feindlichen Kälte der Nacht? Überlege nicht zu lange, deine Zeit wird knapp, und dein Vorsprung vor der Gestalt; die dir folgt, schmilzt mit jedem Augenblick, den du zögerst. Du nimmst jetzt einen Gegenstand aus deiner Tasche und reichst ihn dem Wächter. Er mustert dich mit kritischen Blicken. Seine Uniform ist schwarz, mit hohen Stiefeln und einer Mütze, die er tief in sein zerfurchtes Gesicht gezogen hat. Jetzt greift er nach dem Gegenstand, den du ihm reichst, und betrachtet ihn kritisch. Dann verziehen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln, und er öffnet das Tor gerade so weit, dass du hindurchpasst. Immer noch lächelnd, hebt er seine Hand zum Gruß und weist dir mit einem leichten Nicken den Weg. Lauf! Du hast wertvolle Zeit verloren.«
Er machte eine kurze Pause. Sie hatte jetzt klare Bilder vor ihrem geistigen Auge und konnte es kaum erwarten, das Ende der Geschichte zu erfahren.
»Zwei Gegenstände trägst du noch bei dir. Du läufst immer schneller, und irgendwo weit hinten am Horizont glaubst du Lichter zu sehen. Die Lichter einer großen, modernen Siedlung, die Sicherheit versprechen. Mit jedem Moment, den du zögerst, wird die Dunkelheit mächtiger, die dich umgibt. Dein Weg führt dich jetzt in einen Wald; die hohen Bäume stehen sehr dicht. Das Licht des Mondes dringt dort nur noch spärlich zu dir vor. Du musst jetzt etwas langsamer gehen, wenn du nicht fallen willst. Und das, obwohl du noch immer verfolgt wirst. Angst und Kälte schnüren dir die Kehle zu und beschleunigen deine Schritte wieder. Du rennst so schnell du kannst. Die kalte Luft
brennt unangenehm in deinem Hals und lässt deine Augen tränen. Plötzlich dringt ein Schluchzen an dein Ohr und lässt dich innehalten. Du schaust dich um und erkennst gerade noch, wie ein Kind aus der Dunkelheit tritt. Der Anblick des kleinen Mädchens hier draußen, mitten im Wald, lässt dich frösteln. Obwohl es kalt ist, trägt sie nichts weiter als ein hauchdünnes Seidenkleid, das gerade bis zu ihren Knien reicht. Ihre kleinen Füße sind nackt, Schuhe trägt sie keine. Allein ihre großen blauen Augen leuchten in der Dunkelheit.«
Mit einer Kunstpause verstärkte er ihre Anspannung.
»In den Augen des Kindes siehst du Tränen; du spürst in diesem Augenblick keine Angst, nur Mitgefühl. Du weißt nicht, zu wem das Kind gehört und wie es hierhergekommen ist, aber du weißt, dass du ihm helfen musst. Öffne deine Tasche. Was befindet sich noch darin? Das Werkzeug, die Blume, der nützliche Gegenstand? Entscheide, was davon du nun dem Kind gibst, aber vergiss dabei nicht, dass du den letzten Gegenstand noch brauchen wirst.«
Er spürte ihre Erleichterung, als sie anscheinend glaubte, eine gute Wahl getroffen zu haben. Er wartete noch einige Sekunden, bevor er fortfuhr. Das Finale musste präzise inszeniert werden.
»Deine Füße tragen dich jetzt immer weiter, immer schneller. Du erreichst das Ende des Waldes, und der Mond erhellt nun wieder mit seiner vollen Kraft den kurzen Rest des Weges, der noch vor dir liegt. Die Lichter der Siedlung kommen näher, die Umrisse der Häuser werden schärfer. Dein Weg führt dich jetzt direkt ins Innere des Dorfes, und du entdeckst ein Haus, das dir bekannt vorkommt. Du bist heute Abend schon einmal hineingegangen. Und jetzt verstehst du, wohin dein Weg dich geführt hat. Du vergisst alles um dich herum und gehst noch einmal in dieses Haus, die Tasche dabei noch immer fest im Griff. Ein letzter Gegenstand befindet sich noch darin. Als du das Zimmer betrittst, kommt es dir vertraut vor, denn du hast es heute Abend schon einmal betreten. Du siehst einen gemütlichen Sessel, den du bereits kennst. Du hast heute schon einmal darauf Platz genommen. Jetzt tust du es ein weiteres Mal, stellst die Tasche mit dem verbliebenen Gegenstand neben dir ab und schließt die Augen. Atme noch einmal tief durch, sodass Fantasie und Wirklichkeit langsam wieder miteinander verschmelzen können. Was wird geschehen, wenn du gleich deine Augen öffnest? «
An dieser Stelle lag eine Spannung in der Luft, die er über alles liebte. Diese Spannung war für ihn mehr als bloßer Nervenkitzel. Sie war magisch.
»Öffne deine Augen«, sagte er schließlich.
Es dauerte einige Sekunden, bis sie seiner Aufforderung folgte. »Und? «, fragte sie vorsichtig.
»Sieh neben den Sessel.«
Sie tat, was er sagte, und bemerkte, dass dort eine alte Ledertasche stand, die zuvor noch nicht da gewesen war.
»Du hast sie eben selber dort hingestellt, oder etwa nicht? In deinen Gedanken.«
Antworten konnte sie nicht; sie hatte einen dicken Kloß im Hals, der sie am Sprechen hinderte. Deshalb nickte sie nur.
»Nimm jetzt die Tasche auf den Schoß und mach sie auf«, fuhr er fort.
Sie hob die alte Tasche vorsichtig an und öffnete den rostigen Verschluss. Nur ganz langsam traute sie sich hineinzusehen. Nur ein einziger Gegenstand befand sich darin.
»Hast du diesen Gegenstand im Haus gewählt? Und ist er während deiner Wanderung bis jetzt in der Tasche geblieben? «, fragte er.
Sie nickte völlig verstört.
»Nimm ihn jetzt heraus.«
Sie griff in die Tasche und zog einen blank polierten Hammer hervor.
»Die Rose hast du ja schon verschenkt«, hauchte er.
Woher wusste er das? Sie sah ihn fassungslos an. Er streckte seine Hand aus und deutete mit einem Nicken an, dass sie ihm den Hammer geben solle.
»Es waren allein deine Entscheidungen, die du auf deinem Weg getroffen hast«, stellte er flüsternd fest. »Wir alle sind allein das Ergebnis der Entscheidungen, die wir treffen.«
Er erhob sich, bedacht darauf, mit der Wirkung seiner theatralischen Bewegung die Dramatik des Augenblicks noch zu steigern. Dann sagte er: »Ich war es, der dir aufgelauert hat. Und ich war es auch, der dir gefolgt ist, draußen, in der Dunkelheit.«
Noch bevor sie begreifen konnte, was geschah, holte er auch schon aus und schlug ihr den Hammer mit einem präzisen Hieb gegen die Schläfe.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Blanvalet Verlag,
München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Vincent Kliesch
Vincent Kliesch wurde in Berlin geboren. Nach dem Abitur machte er eine Ausbildung zum Restaurantfachmann und arbeitete danach mehrere Jahre in der Gastronomie. Dabei entstand auch die Idee zu seinem ersten Thriller.Wenn Vincent Kliesch nicht schreibt, steht er als Moderator und Stand-Up-Comedian auf der Bühne. Der Filmpark Babelsberg, in dem er täglich das Publikum unterhält, sowie der legendäre Quatsch Comedy Club sind nur zwei Stationen seiner Laufbahn als Entertainer.
Bibliographische Angaben
- Autor: Vincent Kliesch
- 2011, 349 Seiten, Maße: 12,6 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442374936
- ISBN-13: 9783442374939
Rezension zu „Der Todeszauberer “
"Gegenüber seinem Erstlingswerk hat der Autor das Niveau absolut gehalten und erneut einen lesenswerten und spannenden Roman abgeliefert."
Kommentare zu "Der Todeszauberer"
0 Gebrauchte Artikel zu „Der Todeszauberer“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 5Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der Todeszauberer".
Kommentar verfassen