Der Totenmeister
Es ist wie der Beginn eines grausamen Alptraums: Im Zoo von Miami wird die stark verweste Leiche eines Mannes gefunden. Schnell stellt sich heraus, dass der Mann vor seiner Ermordung offenbar grundlos seine gesamte
Familie ausgelöscht hat. Der Fall...
Es ist wie der Beginn eines grausamen Alptraums: Im Zoo von Miami wird die stark verweste Leiche eines Mannes gefunden. Schnell stellt sich heraus, dass der Mann vor seiner Ermordung offenbar grundlos seine gesamte
Familie ausgelöscht hat. Der Fall wird noch bizarrer, als im Magen des Toten eine Tarotkarte gefunden wird - der König der Schwerter.
Eine blutige Spur führt Max Mingus und seinen Kollegen Joe in eine Welt voll schwarzer Magie. Und schließlich auch zu Eva Desamour, der mächtigsten Voodoo-Priesterin der Stadt. Eva hat Verbindungen zu den meisten wichtigen Leuten in der Unterwelt Miamis.
Der Totenmeister von Nick Stone
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Wenn er eines nicht brauchte, dann das: einen toten Affen kurz vor Schichtende. Aber da lag er, just zur falschen Zeit. Larry Gibson Nachtwächter im Primate Park, stand da und starrte den Körper an, der da im Lichtkegel seiner Taschenlampe etwa sechs Meter von ihm entfernt auf dem Grünstreifen vor dem Zaun lag – ein großes Kreuz mit schwarzem Fell, auf dem Rücken liegend, die Handflächen nach oben gedreht. Er hatte keine Ahnung, welcher der fünfzehn Affenspezies, mit denen in der Zoo-Broschüre geworben wurde, dieser angehörte, und es war ihm auch egal. Er wusste nur, dass er eine Entscheidung zu treffen hatte, und zwar schnell.
Er wog ah, was zu tun war und was er sich erlauben konnte zu unterlassen: Er könnte Alarm schlagen und hierbleiben, uni zu helfen, wenn und wo und falls Hilfe gebraucht wurde. Oder er könnte wegschauen und King Kong für die letzten zehn Minuten seiner Schicht ignorieren. Ohnehin war er todmüde Samstagnacht hatte er zwei Peppers eingeworfen, die aus dem Bestand der Marines stammten, und ganze neunundfünfzig Stunden durchgemacht, sein absoluter Rekord. Bisher war er höchstens mal achtundvierzig Stunden am Stück wach gewesen. Jetzt war Mittwochmorgen. Er hatte keine Pillen
Er schaute auf die Uhr. 5.21 Uhr. Er musste weg, nach Hause, den Kopf aufs Kissen legen, schlafen. Um eins musste er schon wieder bei seiner zweiten Stelle als Filialleiter eines Supermarkts antanzen. Die war für den Unterhalt für Frau und Kind. Dieser Job hier - Geld bar auf die Kralle und keine weiteren Fragen - war für Körper und Seele und das Dach überm Kopf. Er konnte es sich nicht leisten, den zu verlieren.
Dr. Jenny Gold hatte noch bei dudelndem Radio gedöst, als der Nachtwächter aus Sektor 1 vorne beim Haupttor anrief Ein toter Gorilla, hatte er gesagt. Sie betete, es möge nicht Bruce sein, ihre Hauptattraktion.
Seit der Eröffnung des Tierparks vor neun Jahren war Jenny die leitende Tierärztin, Primate Park war eine Idee von Harold und Henry Yik gewesen, zwei Brüdern aus Hongkong, und als direkte Konkurrenz zu dem anderen Primatenzoo Miamis, Monkey Jungle, konzipiert worden. Die Brüder waren der Meinung gewesen, Monkey Jungle sei zwar eine beliebte Touristenattraktion, generiere aber aufgrund seiner Lage - in South Dade und damit weit von den Stränden und Hotels entfernt - nur ungefähr fünfundzwanzig Prozent des Umsatzes, den er einbringen könnte, läge er näher hei den Touristen-Dollars. Und so hatten sie in unmittelbarer Nähe mehrerer Hotels in North Miami Beach Primate Park gegründet - größer und, wie sie glaubten, besser als die Konkurrenz. In seinen besten Zeiten hatte der Park achtundzwanzig Spezies beherbergt. Nicht nur die üblichen, wie Schimpansen mit roter Sonnenbrille in blauen Shorts und gelb karierten Hemden, die schnucklige Menschensachen machten - Minigolf oder Baseball oder Fußball spielen zum Beispiel -, Gorillas, die sich auf die Brust trommelten und brüllten, und Paviane, die ihre knallroten Hinterteile in die Luft hielten und die Zähne fletschten. Sondern es gab auch andere, seltenere Arten, wie den Sumpfspringaffen, nagetierähnliche Lemuren und den geschmeidigen, intelligenten Braunkopf- Klammeraffen. Dennoch hatte sich Primate Park als Alternative zu Monkey Jungle nicht recht durchsetzen können, Letzterer existierte bereits seit knapp vierzig Jahren und war den Einheimischen lieb und teuer, eines jener leicht exzentrischen Wahrzeichen Miamis, zu denen auch das alte spanische Kloster, das Art-déco-Viertel in South Beach, Vizcaya, das Biltmore und das große Coppertone-Schild gehörten. Der neue Zoo galt als zu kühl, zu klinisch, zu kommerziell, Er passte nicht zur Stadt Miami gehörte zu jenen Orten, in denen alles nur zufällig funktionierte, nicht, weil irgendjemand das so wollte. Die großen Massen blieben dem neuen Zoo fern Die Brüder Yik hatten schon Überlegungen angestellt, Primate Park dem Erdboden gleichzumachen und stattdessen Wohnungen und Büros zu bauen.
Doch dann hatte Bruce, einer der vier Berggorillas, im letzten Sommer einen brennenden Zigarrenstummel aufgehoben, den ihm ein Besucher zugeworfen hatte, genüsslich daran gezogen und auf Anhieb hei jedem Ausatmen fünf kreisrunde Ringe in Form des olympischen Zeichens in die Luft geblasen. Irgendwer hatte Fotos gemacht und sie einem Fernsehsender geschickt, der unverzüglich ein Kamerateam zum Zoo entsandt hatte. Dank Bruce gelangte Primare Park in die Sechs-Uhr-Nachrichten und von jenem Moment an auch ins öffentliche Bewusstsein. Die Menschen strömten herbei, um ihn zu sehen, und die meisten brachten Zigarren, Zigaretten und Pfeifen mit, die sie ihm zuwarfen, weshalb sich sein ganzes Tun seither aufs Kettenrauchen und Husten beschränkte. Man hatte ihn in ein eigenes Gehege verlegen müssen, weil er wegen seiner Qualmerei dermaßen stank, dass die anderen Gorillas ihn nicht mehr in ihrer Nähe duldeten.
Jenny fand es unmoralisch und grausam, einem Tier so etwas anzutun, doch als sie sich hei den Brüdern darüber beschwert hatte, hatten die ihr nur die Bilanz unter die Nase gehalten, Inzwischen schaute sie sich nach einer anderen Stelle um.
Als sie den Kontrollraum betrat, stand der Wärter vor dem Fenster und starrte durch die dicke, bruchsichere Scheibe.
»Sie sind die Tierärztin?«, fragte er, und seine Stimme überschlug sich fast vor Fassungslosigkeit.
Jenny war eine zierliche, jugendlich wirkende Person, weshalb viele Menschen — meist notgeile Männer und ältere Damen — sie fälschlicherweise für minderjährig hielten. Sie war die einzige Sechsunddreißigjährige in ihrem gesamten Bekanntenkreis, die ständig ihren Ausweis vorzeigen musste, wenn sie in einer Kneipe bedient werden wollte.
»Ja, ich bin die Tierärztin«, antwortete sie gereizt Sie hatte ohnehin schon schlechte Laune wegen der Wahlen. Ronald Reagan, einst ein Star des B-Movie, war letzte Nacht ins Weiße Haus gewählt worden. Was angesichts von Carters katastrophalem Umgang mit der Geiselnahme von Teheran und seiner Wirtschaftspolitik, unter anderem, nicht weiter überraschen konnte. Aber nichtsdestotrotz hatte sie die Hoffnung his zuletzt nicht aufgegeben, dass das amerikanische Volk nicht so blöd sein würde, für Ronnie zu stimmen.
»Wo ist er?«, fragte sie.
»Da.« Er zeigte durchs Fenster.
Sie schaute aus dem ersten Stock auf den sanft abfallenden, breiten Rasenstreifen hinunter, der die Gebäude von dem weitläufigen, aus Menschenhand geschaffenen Dschungel trennte, in dem die Affen lebten. Draußen war es noch dunkel, aber der Himmel wurde schon heller, sodass sie das schwarze Etwas im Gras erkennen konnte. Es sah aus, als hätte da jemand ein großes T aus Benzin auf den Rasen gemalt und angezündet. Sie hätte nicht sagen können, was es war.
»Wie ist er rausgekommen?«
»Wahrscheinlich war kein Strom auf dem Zaun. Kommt öfter vor, als man denkt«, sagte der Wachmann und schaute auf sie herunter. Der Elektrozaun, der das Dschungelgehege einfasste, gab bei Berührung einen kleinen Stromschlag ab, der ausreichte, einen Affen zu verjagen, der darüberklettern wollte.
»Gehen wir runter und schauen uns das an«, sagte sie.
Beim Erste-Hilfe-Zimmer am Ende des Ganges machten sie Halt, Jenny holte ihren Arztkoffer und ein Gewehr, das sie mit einem Betäubungspfeil lud, Es war das größte, das sie hatten, ein Remington RJ5, das für gewöhnlich bei Löwen und Tigern zum Einsatz kam.
»Gehen wir raus?« Der Wachmann klang besorgt.
»Genau das meinte ich mit schauen wir uns das an‹ Wieso? Was spricht dagegen?« Sie schaute zu ihm auf, als sei sie wirklich nicht sehr angetan von ihm. Sie sahen sich in die Augen. Sie setzte ihren herablassenden Blick auf.
Er schluckte den Köder. »Gar nichts«, sagte er mit tieferer, entschlossenerer Stimme und lächelte ein Lächeln, das er wohl für beruhigend hielt, das aber eher nervös und aufgesetzt wirkte.
»Gut.« Sie reichte ihm das Gewehr. »Sie wissen, wie das funktioniere«
»Klar«, sagte er.
»Wenn er aufwacht, schießen Sie, nur nicht auf den Kopf Verstanden?« Der Wachmann nickte, weiterhin das exakt gleiche Lächeln im Gesicht. So langsam ging er ihr auf die Nerven. »Und wenn wirklich kein Strom auf dem Zaun ist, sind wir vielleicht nicht allein. Gut möglich, dass ein paar Affen dazukommen und sehen wollen, was wir da machen. Die meisten sind harmlos, aber Obacht bei den Pavianen, die beißen. Schlimmer als jeder Pitbul. Sauber durch bis auf den Knochen.«
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Heike Steffen
- Autor: Nick Stone
- 2009, 640 Seiten, Maße: 11,3 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Heike Steffen
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442468663
- ISBN-13: 9783442468669
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