Der verborgene Stern
Roman
Bailey ist sprachlos. Vor ihr liegen ein mindestens 100 Karat schwerer Diamant, eine Pistole und 1 Million Dollar. Doch Bailey kann sich an nichts erinnern. Panisch beauftragt Bailey den Privatdetektiv Cade. Der bringt nicht nur Licht ins Dunkel, sondern gewinnt auch noch Baileys Herz.
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Produktinformationen zu „Der verborgene Stern “
Bailey ist sprachlos. Vor ihr liegen ein mindestens 100 Karat schwerer Diamant, eine Pistole und 1 Million Dollar. Doch Bailey kann sich an nichts erinnern. Panisch beauftragt Bailey den Privatdetektiv Cade. Der bringt nicht nur Licht ins Dunkel, sondern gewinnt auch noch Baileys Herz.
Lese-Probe zu „Der verborgene Stern “
Der verborgene Stern von Nora Roberts1. KAPITEL
Cade Parris hatte nicht gerade seinen besten Tag, als seine Traumfrau in sein Büro spaziert kam. Keine vierundzwanzig Stunden zuvor hatte seine Sekretärin gekündigt.
Die Dame war zwar nicht sonderlich tüchtig gewesen und hatte sich mehr für ihre Fingernägel als für das klingelnde Telefon interessiert, aber sie hatte zumindest Ordnung in sein Chaos gebracht. Selbst die Gehaltserhöhung, die er ihr aus blanker Verzweiflung angeboten hatte, hatte sie nicht dazu bewogen, ihren Entschluss, Countrysängerin zu werden, noch einmal zu überdenken.
Die treulose Seele war jetzt also in einem gebrauchten Pick-up auf dem Weg nach Nashville, während Cades Büro den schlaglöchrigen Straßenverhältnissen ähnelte, mit denen sie sich hoffentlich herumschlagen musste. In den letzten ein bis zwei Monaten hatte sie sich offenbar überhaupt nicht mehr um ihre Arbeit gekümmert. Das wurde ihm spätestens klar, als er ein altes Wurst-Sandwich aus dem Aktenschrank fischte. Zumindest vermutete er, dass es sich bei dem fettigen Klecks in der Papiertüte um Wurst handelte. Er entdeckte die Tüte unter dem Buchstaben L einsortiert – L für Lunch?
Er fluchte nicht einmal, und er nahm auch das Telefon nicht ab, das ununterbrochen aus dem Empfangsbereich herüberklingelte. Er musste seine Berichte jetzt selbst abtippen, und nachdem das Tippen nicht gerade zu seinen Stärken zählte, wollte er es einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen. Parris Investigations konnte man nicht gerade als florierendes Unternehmen bezeichnen. Aber Cade reichte es, und er fühlte sich wohl, selbst in dem winzigen Zwei-Raum-Büro im Dachgeschoss eines abgewrackten Gebäudes mit schlechten sanitären Anlagen im Nordwesten von Washington D.C.
Er brauchte keine vornehmen Teppiche oder
... mehr
eleganten Möbel. Mit all diesem Pomp war er aufgewachsen. Jetzt, mit dreißig, nach einer gescheiterten Ehe und einer Familie, die sich immer noch darüber ärgerte, welchen Weg er eingeschlagen hatte, war er im Großen und Ganzen zufrieden.
Inzwischen hatte er sich einen recht anständigen Ruf als Privatermittler aufgebaut. Er verdiente genug Geld, um den Laden über Wasser zu halten. Gut, momentan stellte sein Verdienst ein kleines Problem dar. Er durchlebte eine – wie er es nannte – vorübergehende Flaute. Außerdem handelte es sich bei den meisten seiner Aufträge lediglich um Versicherungsfälle, die mit Unmengen an Schreibkram verbunden waren. Nicht ganz so aufregend wie das, was er sich vorgestellt hatte, als er entschied, Detektiv zu werden.
Bis auf zwei belanglose Fälle von Versicherungsbetrug gab es zurzeit keine neuen Aufträge. Dafür hatte der Blutsauger von Vermieter schon wieder die Miete erhöht, der Motor des Wagens gab in letzter Zeit merkwürdige Geräusche von sich, und die Klimaanlage war im Eimer. Außerdem schien das Dach mal wieder undicht zu sein. Cade nahm den spindeldürren gelbblättrigen Philodendron, den seine Sekretärin zurückgelassen hatte, und stellte ihn auf den nackten Fußboden unter das Tröpfeln, in der Hoffnung, dass die Pflanze ersaufen möge.
Plötzlich ertönte eine ungeduldige Stimme aus dem Anrufbeantworter. Die Stimme seiner Mutter. Guter Gott, dachte er gereizt. Konnte ein Mann seiner Mutter denn wirklich niemals entfliehen?
„Cade, mein Lieber, ich hoffe, du hast den Botschafts-Ball nicht vergessen. Du weißt doch, dass du Pamela Lovett begleiten sollst. Ich habe heute mit ihrer Tante zu Mittag gegessen, und die sagte mir, dass Pamela nach ihrem kleinen Ausflug nach Monaco einfach großartig aussieht.“
„Ja, ja, ja“, murrte er, dann starrte er düster auf seinen Computer. Er unterhielt zu elektronischen Geräten keine besonders harmonische Beziehung. Während seine Mutter weiterplapperte, setzte er sich widerwillig an den Schreibtisch. „Hast du den Smoking in die Reinigung gebracht? Und nimm dir die Zeit, zum Friseur zu gehen. Letztes Mal hast du so ungepflegt ausgesehen.“
Und vergiss auch nicht, dich hinter den Ohren zu waschen! Seine Mutter würde niemals akzeptieren, dass er mit dem Lebensstil der Familie nichts anfangen konnte. Dass er einfach keine Lust hatte, im Klub zu Mittag zu essen oder gelangweilte ehemalige Debütantinnen in Washington herumzuführen, und dass sich daran auch niemals etwas ändern würde.
Er wollte Abenteuer, und wenn er auch nicht gerade in die Fußstapfen eines Sam Spade trat, indem er Berichte über erfundene Schleudertraumata verfasste, so arbeitete er doch zumindest im gleichen Job.
Meistens fühlte er sich gut. Er kam sich nicht nutzlos oder gelangweilt oder fehl am Platz vor. Er mochte den Verkehrslärm vor seinem Fenster, auch wenn er das Fenster nur öffnete, weil sein Vermieter nichts von einer zentralen Klimaanlage hielt. Der Smog war fast unerträglich, außerdem regnete es herein, aber bei geschlossenem Fenster wäre es im Büro viel zu stickig gewesen. Winzige Schweißperlen liefen ihm den Rücken hinunter. Er trug nur ein weißes T-Shirt und Jeans, und er musste sich während des Tippens immer wieder das Haar aus dem Gesicht streichen, was ihn wahnsinnig machte. Seine Mutter hatte recht. Er musste zum Friseur.
Als ihm zum wiederholten Mal eine Strähne vor die Augen fiel, ignorierte er diese Tatsache genauso wie den Schweiß, die Hitze, den Verkehrslärm und das stete Tröpfeln von der Decke. Da saß er nun, ein bemerkenswert gut aussehender, düster dreinblickender Mann, der mechanisch auf die Tastatur seines Computers einhieb.
Er hatte das gute Aussehen der Familie Parris geerbt – die klaren grünen Augen, die je nach Gemütslage scharf wie Glasscherben oder sanft wie Meeresdunst wirken konnten. Sein Haar, das so dringend geschnitten werden musste, war dunkelbraun und tendierte dazu, bei Feuchtigkeit in Locken zu fallen. Zumindest lockte es sich in diesem Moment. Er hatte eine gerade, markante Nase und sinnlich geschwungene Lippen, die sich zu einem Lächeln verziehen konnten, wenn er sich amüsierte. Oder zu einem höhnischen Grinsen, wenn er es nicht tat.
Obwohl sein Gesicht nach der peinlichen engelhaften Periode seiner Kindheit und frühen Jugend schmaler geworden war, zierten es noch immer zwei kleine Grübchen. Er freute sich bereits auf sein mittleres Lebensalter, wenn aus ihnen mit etwas Glück männliche Falten wurden.
Er hätte gerne verwegen ausgesehen, stattdessen musste er sich mit dem aalglatten Aussehen eines GQ-Models abfinden. Für dieses Magazin hatte er zu seiner Schande mit Mitte zwanzig tatsächlich einmal posiert, allerdings nur unter Protest und auf den fast unerträglichen Druck seiner Familie hin.
Das Telefon läutete erneut. Diesmal erklang die Stimme seiner Schwester, die ihm eine Strafpredigt hielt, weil er irgendeine langweilige Cocktailparty zu Ehren eines dickbäuchigen Senators verpasst hatte.
Cade überlegte, den verdammten Anrufbeantworter einfach aus der Wand zu reißen und ihn mitsamt der nörgelnden Stimme seiner Schwester aus dem Fenster zu werfen, direkt hinunter auf die Wisconsin Avenue.
Und dann begann der Regen zu allem Übel auch noch, ihm auf den Kopf zu tropfen. Der Computer schaltete sich aus keinem ihm ersichtlichen Grund – von reiner Niedertracht einmal abgesehen – aus, und der Kaffee, den er völlig vergessen hatte, kochte mit einem boshaften Zischen über.
Er hechtete zum Herd, verbrannte sich die Hand und fluchte laut, als die Kanne auf dem Boden zersplitterte und der heiße Kaffee in sämtliche Richtungen spritzte. Hektisch riss er eine Schublade auf, griff nach einem Stapel Servietten und schnitt sich dabei den Daumen an der Nagelschere seiner ehemaligen Sekretärin auf.
In dem Moment, in dem sie eintrat, hatte er gerade – immer noch fluchend und blutend – den Philodendron umgestoßen, den er zuvor in die Mitte des Raumes gestellt hatte. Somit war es kaum verwunderlich, dass sie einfach nur dastand, regennass, mit totenbleichem Gesicht und mit vor Erstaunen aufgerissenen Augen. „Entschuldigen Sie.“ Ihre Stimme klang rau, so als ob sie seit Tagen nicht gesprochen hätte. „Ich muss mich in der Tür geirrt haben.“ Sie ging einen Schritt zurück und starrte mit ihren großen runden Augen auf das Namensschild. Sie zögerte, dann blickte sie ihn wieder an. „Sind Sie Mr. Parris?“
Einen Moment lang, einen betäubenden Moment lang, konnte er nicht sprechen. Er wusste, dass er sie anstarrte, konnte aber nicht anders. Sein Herz blieb einfach stehen. Seine Knie wurden weich. Und der einzige Gedanke, den er fassen konnte, lautete: Da bist du ja endlich. Wo zum Teufel hast du so lange gesteckt?
Und weil das so lächerlich war, zwang er sich zu einem desinteressierten, beinahe zynischen Gesichtsausdruck.
„Ja.“ Ihm fiel ein, dass er ein Taschentuch bei sich hatte, und wickelte es um seinen blutenden Daumen. „Ich hatte hier nur eben einen kleinen Unfall.“
„Verstehe.“ Was ganz offensichtlich nicht stimmte, so wie sie ihn weiterhin anblickte. „Ich bin wohl zu einem schlechten Zeitpunkt gekommen. Ich habe keinen Termin. Ich dachte nur, vielleicht …“
„Sieht so aus, als ob ich Zeit hätte.“
Er wollte, dass sie ganz ins Zimmer kam. Von seiner ersten völlig absurden und noch nie da gewesenen Reaktion abgesehen, handelte es sich schließlich um eine potenzielle Klientin. Und eines war sicher: Keine Frau, die jemals Sam Spades heilige Räume betreten hatte, war perfekter gewesen als diese.
Sie war blond und schön und verwirrt. Das nasse Haar fiel ihr glatt und fließend über die Schultern. Ihre Augen waren whiskeybraun, ihr Gesicht – obwohl ihm etwas mehr Farbe nicht geschadet hätte – war zart wie das einer Elfe, herzförmig, die Wangenknochen sanft geschwungen und die Lippen voll, ernst und nur dezent geschminkt.
Sie hatte sich ihr Kostüm und die Schuhe im Regen ruiniert, beides von hoher Qualität. Er erkannte die schlichte Eleganz, die nur in Designerläden zu finden war. Neben der nassen blauen Seide ihres Kostüms wirkte die große Stofftasche, die sie fest mit beiden Händen umklammert hielt, merkwürdig fehl am Platz. Eine Jungfrau in Not, überlegte er, und seine Mundwinkel zogen sich kaum merklich nach oben. Genau das, was er jetzt brauchte.
„Warum kommen Sie nicht herein und schließen die Tür, Miss …?“
Sie verstärkte den Griff um ihre Tasche. „Sind Sie Privatdetektiv?“
„So steht es zumindest auf dem Türschild.“ Cade lächelte erneut und stellte dabei skrupellos seine Grübchen zur Schau, während sie nervös auf ihrer Unterlippe kaute. Auf der er am liebsten selbst gekaut hätte, verdammt.
Diese Reaktion, dachte er mit einiger Erleichterung, sah ihm schon ähnlicher.
Pure Lust war ein Gefühl, das er problemlos begreifen konnte.
„Lassen Sie uns nach nebenan in mein Büro gehen.“ Er betrachtete den Schaden, den er angerichtet hatte – zersplittertes Glas, verstreute Erde und verschütteten Kaffee. „Ich denke, ich bin hier erst mal fertig.“
„Na gut.“ Sie holte tief Luft, trat über die Schwelle und schloss die Tür hinter sich. Dann folgte sie ihm zögernd in das angrenzende Zimmer, in dem sich nicht viel mehr als ein Tisch und ein paar billige Stühle befanden. Nun, sie konnte im Moment nicht wählerisch sein. Geduldig wartete sie, bis er sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt hatte und ihr erneut dieses schnelle, um Vertrauen heischende Lächeln zuwarf.
„Haben Sie – könnte ich …“ Sie schloss die Augen, versuchte, sich zu sammeln. „Haben Sie irgendeinen Berechtigungsschein, den ich mir ansehen könnte?“
Nachdem er ihr den Besucherstuhl angeboten hatte, kramte er wortlos seine Lizenz aus der Schublade und reicht sie ihr. Sie trug zwei sehr hübsche Ringe, einen an jeder Hand. Ihre Ohrringe passten zu dem an ihrer Linken, einem schmalen, mit drei Steinen besetzten Goldring. Cade bemerkte es, als sie sich das Haar hinters Ohr strich und das Papier studierte, als wollte sie sich jedes einzelne Wort einprägen.
„Würden Sie mir verraten, was Sie zu mir führt, Miss …?“
„Ich glaube …“ Sie reichte ihm die Lizenz zurück und umklammerte erneut die Tasche, die sie jetzt auf ihren Schoß gelegt hatte. „Ich glaube, ich würde Sie gern engagieren.“ Jetzt waren ihre Augen auf sein Gesicht gerichtet, genauso prüfend wie zuvor auf die Lizenz. „Kümmern Sie sich auch um Vermisstenfälle?“
Wen hast du verloren, Kleines? Er hoffte um ihretwillen und um der hübschen kleinen Fantasie willen, die sich in seinem Kopf formte, dass es sich nicht um einen Ehemann handelte. „Ja, ich nehme auch Vermisstenfälle an.“
„Und, ähm, der Preis?“
„Zweihundertfünfzig pro Tag. Plus Ausgaben.“ Als sie nickte, zog er einen Block hervor und schnappte sich einen Kugelschreiber. „Wen wollen Sie finden?“
Sie nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug. „Mich. Sie müssen mich finden.“
Ohne sie aus den Augen zu lassen, klopfte er mit dem Kugelschreiber auf den Block. „Wie mir scheint, habe ich das bereits getan. Soll ich Ihnen eine Rechnung ausstellen, oder wollen Sie gleich bar zahlen?“
„Nein.“ Sie spürte, dass sie kurz davor stand, die Fassung zu verlieren. Sie hatte sich so lange zusammengerissen, aber jetzt wusste sie, dass der Strohhalm, an den sie sich geklammert hatte, seit sie den Boden unter den Füßen verloren hatte, langsam nachgab. „Ich kann mich nicht erinnern. An nichts. Ich weiß nicht …“ Ihre Stimme überschlug sich. Sie ließ die Tasche los und hielt die Hände vors Gesicht. „Ich weiß nicht, wer ich bin! Ich weiß nicht, wer ich bin …“ Und dann weinte sie die Worte in ihre Hände. „Ich weiß einfach nicht, wer ich bin!“
Cade hatte eine Menge Erfahrung mit hysterischen Frauen. Er war mit Frauen aufgewachsen, die mit Tränen und ersticktem Schluchzen auf so ziemlich alles reagierten – von einem abgebrochenen Nagel bis hin zu einer zerbrochenen Ehe. Also stand er auf, bewaffnete sich mit einer Schachtel Papiertaschentücher und ging vor ihr in die Knie.
„Sehen Sie mich an. Alles wird gut.“ Mit behutsamen und geübten Bewegungen strich er ihr die schwarz verlaufene Wimperntusche von den Wangen, tätschelte ihre Hand, streichelte ihr übers Haar, blickte in ihre vor Tränen schimmernden Augen.
„Es tut mir leid. Ich kann nicht …“
„Kein Problem. Weinen Sie ruhig“, murmelte er. „Danach werden Sie sich besser fühlen.“ Er erhob sich, ging in das winzige Badezimmer und füllte einen Pappbecher mit Wasser.
Übersetzung: Katja Henkel
Inzwischen hatte er sich einen recht anständigen Ruf als Privatermittler aufgebaut. Er verdiente genug Geld, um den Laden über Wasser zu halten. Gut, momentan stellte sein Verdienst ein kleines Problem dar. Er durchlebte eine – wie er es nannte – vorübergehende Flaute. Außerdem handelte es sich bei den meisten seiner Aufträge lediglich um Versicherungsfälle, die mit Unmengen an Schreibkram verbunden waren. Nicht ganz so aufregend wie das, was er sich vorgestellt hatte, als er entschied, Detektiv zu werden.
Bis auf zwei belanglose Fälle von Versicherungsbetrug gab es zurzeit keine neuen Aufträge. Dafür hatte der Blutsauger von Vermieter schon wieder die Miete erhöht, der Motor des Wagens gab in letzter Zeit merkwürdige Geräusche von sich, und die Klimaanlage war im Eimer. Außerdem schien das Dach mal wieder undicht zu sein. Cade nahm den spindeldürren gelbblättrigen Philodendron, den seine Sekretärin zurückgelassen hatte, und stellte ihn auf den nackten Fußboden unter das Tröpfeln, in der Hoffnung, dass die Pflanze ersaufen möge.
Plötzlich ertönte eine ungeduldige Stimme aus dem Anrufbeantworter. Die Stimme seiner Mutter. Guter Gott, dachte er gereizt. Konnte ein Mann seiner Mutter denn wirklich niemals entfliehen?
„Cade, mein Lieber, ich hoffe, du hast den Botschafts-Ball nicht vergessen. Du weißt doch, dass du Pamela Lovett begleiten sollst. Ich habe heute mit ihrer Tante zu Mittag gegessen, und die sagte mir, dass Pamela nach ihrem kleinen Ausflug nach Monaco einfach großartig aussieht.“
„Ja, ja, ja“, murrte er, dann starrte er düster auf seinen Computer. Er unterhielt zu elektronischen Geräten keine besonders harmonische Beziehung. Während seine Mutter weiterplapperte, setzte er sich widerwillig an den Schreibtisch. „Hast du den Smoking in die Reinigung gebracht? Und nimm dir die Zeit, zum Friseur zu gehen. Letztes Mal hast du so ungepflegt ausgesehen.“
Und vergiss auch nicht, dich hinter den Ohren zu waschen! Seine Mutter würde niemals akzeptieren, dass er mit dem Lebensstil der Familie nichts anfangen konnte. Dass er einfach keine Lust hatte, im Klub zu Mittag zu essen oder gelangweilte ehemalige Debütantinnen in Washington herumzuführen, und dass sich daran auch niemals etwas ändern würde.
Er wollte Abenteuer, und wenn er auch nicht gerade in die Fußstapfen eines Sam Spade trat, indem er Berichte über erfundene Schleudertraumata verfasste, so arbeitete er doch zumindest im gleichen Job.
Meistens fühlte er sich gut. Er kam sich nicht nutzlos oder gelangweilt oder fehl am Platz vor. Er mochte den Verkehrslärm vor seinem Fenster, auch wenn er das Fenster nur öffnete, weil sein Vermieter nichts von einer zentralen Klimaanlage hielt. Der Smog war fast unerträglich, außerdem regnete es herein, aber bei geschlossenem Fenster wäre es im Büro viel zu stickig gewesen. Winzige Schweißperlen liefen ihm den Rücken hinunter. Er trug nur ein weißes T-Shirt und Jeans, und er musste sich während des Tippens immer wieder das Haar aus dem Gesicht streichen, was ihn wahnsinnig machte. Seine Mutter hatte recht. Er musste zum Friseur.
Als ihm zum wiederholten Mal eine Strähne vor die Augen fiel, ignorierte er diese Tatsache genauso wie den Schweiß, die Hitze, den Verkehrslärm und das stete Tröpfeln von der Decke. Da saß er nun, ein bemerkenswert gut aussehender, düster dreinblickender Mann, der mechanisch auf die Tastatur seines Computers einhieb.
Er hatte das gute Aussehen der Familie Parris geerbt – die klaren grünen Augen, die je nach Gemütslage scharf wie Glasscherben oder sanft wie Meeresdunst wirken konnten. Sein Haar, das so dringend geschnitten werden musste, war dunkelbraun und tendierte dazu, bei Feuchtigkeit in Locken zu fallen. Zumindest lockte es sich in diesem Moment. Er hatte eine gerade, markante Nase und sinnlich geschwungene Lippen, die sich zu einem Lächeln verziehen konnten, wenn er sich amüsierte. Oder zu einem höhnischen Grinsen, wenn er es nicht tat.
Obwohl sein Gesicht nach der peinlichen engelhaften Periode seiner Kindheit und frühen Jugend schmaler geworden war, zierten es noch immer zwei kleine Grübchen. Er freute sich bereits auf sein mittleres Lebensalter, wenn aus ihnen mit etwas Glück männliche Falten wurden.
Er hätte gerne verwegen ausgesehen, stattdessen musste er sich mit dem aalglatten Aussehen eines GQ-Models abfinden. Für dieses Magazin hatte er zu seiner Schande mit Mitte zwanzig tatsächlich einmal posiert, allerdings nur unter Protest und auf den fast unerträglichen Druck seiner Familie hin.
Das Telefon läutete erneut. Diesmal erklang die Stimme seiner Schwester, die ihm eine Strafpredigt hielt, weil er irgendeine langweilige Cocktailparty zu Ehren eines dickbäuchigen Senators verpasst hatte.
Cade überlegte, den verdammten Anrufbeantworter einfach aus der Wand zu reißen und ihn mitsamt der nörgelnden Stimme seiner Schwester aus dem Fenster zu werfen, direkt hinunter auf die Wisconsin Avenue.
Und dann begann der Regen zu allem Übel auch noch, ihm auf den Kopf zu tropfen. Der Computer schaltete sich aus keinem ihm ersichtlichen Grund – von reiner Niedertracht einmal abgesehen – aus, und der Kaffee, den er völlig vergessen hatte, kochte mit einem boshaften Zischen über.
Er hechtete zum Herd, verbrannte sich die Hand und fluchte laut, als die Kanne auf dem Boden zersplitterte und der heiße Kaffee in sämtliche Richtungen spritzte. Hektisch riss er eine Schublade auf, griff nach einem Stapel Servietten und schnitt sich dabei den Daumen an der Nagelschere seiner ehemaligen Sekretärin auf.
In dem Moment, in dem sie eintrat, hatte er gerade – immer noch fluchend und blutend – den Philodendron umgestoßen, den er zuvor in die Mitte des Raumes gestellt hatte. Somit war es kaum verwunderlich, dass sie einfach nur dastand, regennass, mit totenbleichem Gesicht und mit vor Erstaunen aufgerissenen Augen. „Entschuldigen Sie.“ Ihre Stimme klang rau, so als ob sie seit Tagen nicht gesprochen hätte. „Ich muss mich in der Tür geirrt haben.“ Sie ging einen Schritt zurück und starrte mit ihren großen runden Augen auf das Namensschild. Sie zögerte, dann blickte sie ihn wieder an. „Sind Sie Mr. Parris?“
Einen Moment lang, einen betäubenden Moment lang, konnte er nicht sprechen. Er wusste, dass er sie anstarrte, konnte aber nicht anders. Sein Herz blieb einfach stehen. Seine Knie wurden weich. Und der einzige Gedanke, den er fassen konnte, lautete: Da bist du ja endlich. Wo zum Teufel hast du so lange gesteckt?
Und weil das so lächerlich war, zwang er sich zu einem desinteressierten, beinahe zynischen Gesichtsausdruck.
„Ja.“ Ihm fiel ein, dass er ein Taschentuch bei sich hatte, und wickelte es um seinen blutenden Daumen. „Ich hatte hier nur eben einen kleinen Unfall.“
„Verstehe.“ Was ganz offensichtlich nicht stimmte, so wie sie ihn weiterhin anblickte. „Ich bin wohl zu einem schlechten Zeitpunkt gekommen. Ich habe keinen Termin. Ich dachte nur, vielleicht …“
„Sieht so aus, als ob ich Zeit hätte.“
Er wollte, dass sie ganz ins Zimmer kam. Von seiner ersten völlig absurden und noch nie da gewesenen Reaktion abgesehen, handelte es sich schließlich um eine potenzielle Klientin. Und eines war sicher: Keine Frau, die jemals Sam Spades heilige Räume betreten hatte, war perfekter gewesen als diese.
Sie war blond und schön und verwirrt. Das nasse Haar fiel ihr glatt und fließend über die Schultern. Ihre Augen waren whiskeybraun, ihr Gesicht – obwohl ihm etwas mehr Farbe nicht geschadet hätte – war zart wie das einer Elfe, herzförmig, die Wangenknochen sanft geschwungen und die Lippen voll, ernst und nur dezent geschminkt.
Sie hatte sich ihr Kostüm und die Schuhe im Regen ruiniert, beides von hoher Qualität. Er erkannte die schlichte Eleganz, die nur in Designerläden zu finden war. Neben der nassen blauen Seide ihres Kostüms wirkte die große Stofftasche, die sie fest mit beiden Händen umklammert hielt, merkwürdig fehl am Platz. Eine Jungfrau in Not, überlegte er, und seine Mundwinkel zogen sich kaum merklich nach oben. Genau das, was er jetzt brauchte.
„Warum kommen Sie nicht herein und schließen die Tür, Miss …?“
Sie verstärkte den Griff um ihre Tasche. „Sind Sie Privatdetektiv?“
„So steht es zumindest auf dem Türschild.“ Cade lächelte erneut und stellte dabei skrupellos seine Grübchen zur Schau, während sie nervös auf ihrer Unterlippe kaute. Auf der er am liebsten selbst gekaut hätte, verdammt.
Diese Reaktion, dachte er mit einiger Erleichterung, sah ihm schon ähnlicher.
Pure Lust war ein Gefühl, das er problemlos begreifen konnte.
„Lassen Sie uns nach nebenan in mein Büro gehen.“ Er betrachtete den Schaden, den er angerichtet hatte – zersplittertes Glas, verstreute Erde und verschütteten Kaffee. „Ich denke, ich bin hier erst mal fertig.“
„Na gut.“ Sie holte tief Luft, trat über die Schwelle und schloss die Tür hinter sich. Dann folgte sie ihm zögernd in das angrenzende Zimmer, in dem sich nicht viel mehr als ein Tisch und ein paar billige Stühle befanden. Nun, sie konnte im Moment nicht wählerisch sein. Geduldig wartete sie, bis er sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt hatte und ihr erneut dieses schnelle, um Vertrauen heischende Lächeln zuwarf.
„Haben Sie – könnte ich …“ Sie schloss die Augen, versuchte, sich zu sammeln. „Haben Sie irgendeinen Berechtigungsschein, den ich mir ansehen könnte?“
Nachdem er ihr den Besucherstuhl angeboten hatte, kramte er wortlos seine Lizenz aus der Schublade und reicht sie ihr. Sie trug zwei sehr hübsche Ringe, einen an jeder Hand. Ihre Ohrringe passten zu dem an ihrer Linken, einem schmalen, mit drei Steinen besetzten Goldring. Cade bemerkte es, als sie sich das Haar hinters Ohr strich und das Papier studierte, als wollte sie sich jedes einzelne Wort einprägen.
„Würden Sie mir verraten, was Sie zu mir führt, Miss …?“
„Ich glaube …“ Sie reichte ihm die Lizenz zurück und umklammerte erneut die Tasche, die sie jetzt auf ihren Schoß gelegt hatte. „Ich glaube, ich würde Sie gern engagieren.“ Jetzt waren ihre Augen auf sein Gesicht gerichtet, genauso prüfend wie zuvor auf die Lizenz. „Kümmern Sie sich auch um Vermisstenfälle?“
Wen hast du verloren, Kleines? Er hoffte um ihretwillen und um der hübschen kleinen Fantasie willen, die sich in seinem Kopf formte, dass es sich nicht um einen Ehemann handelte. „Ja, ich nehme auch Vermisstenfälle an.“
„Und, ähm, der Preis?“
„Zweihundertfünfzig pro Tag. Plus Ausgaben.“ Als sie nickte, zog er einen Block hervor und schnappte sich einen Kugelschreiber. „Wen wollen Sie finden?“
Sie nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug. „Mich. Sie müssen mich finden.“
Ohne sie aus den Augen zu lassen, klopfte er mit dem Kugelschreiber auf den Block. „Wie mir scheint, habe ich das bereits getan. Soll ich Ihnen eine Rechnung ausstellen, oder wollen Sie gleich bar zahlen?“
„Nein.“ Sie spürte, dass sie kurz davor stand, die Fassung zu verlieren. Sie hatte sich so lange zusammengerissen, aber jetzt wusste sie, dass der Strohhalm, an den sie sich geklammert hatte, seit sie den Boden unter den Füßen verloren hatte, langsam nachgab. „Ich kann mich nicht erinnern. An nichts. Ich weiß nicht …“ Ihre Stimme überschlug sich. Sie ließ die Tasche los und hielt die Hände vors Gesicht. „Ich weiß nicht, wer ich bin! Ich weiß nicht, wer ich bin …“ Und dann weinte sie die Worte in ihre Hände. „Ich weiß einfach nicht, wer ich bin!“
Cade hatte eine Menge Erfahrung mit hysterischen Frauen. Er war mit Frauen aufgewachsen, die mit Tränen und ersticktem Schluchzen auf so ziemlich alles reagierten – von einem abgebrochenen Nagel bis hin zu einer zerbrochenen Ehe. Also stand er auf, bewaffnete sich mit einer Schachtel Papiertaschentücher und ging vor ihr in die Knie.
„Sehen Sie mich an. Alles wird gut.“ Mit behutsamen und geübten Bewegungen strich er ihr die schwarz verlaufene Wimperntusche von den Wangen, tätschelte ihre Hand, streichelte ihr übers Haar, blickte in ihre vor Tränen schimmernden Augen.
„Es tut mir leid. Ich kann nicht …“
„Kein Problem. Weinen Sie ruhig“, murmelte er. „Danach werden Sie sich besser fühlen.“ Er erhob sich, ging in das winzige Badezimmer und füllte einen Pappbecher mit Wasser.
Übersetzung: Katja Henkel
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Autoren-Porträt von Nora Roberts
Nora Roberts, geb. 1950 in Maryland. Als sie 1979 in ihrem Landhaus eingeschneit wurde, griff sie zu Stift und Papier und begann zu schreiben. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Seitdem hat Nora Roberts über 100 Bücher geschrieben. Mit einer Gesamtauflage von mehr als 100 Millionen Exemplaren ist sie eine der erfolgreichsten Autorinnen weltweit. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Keedsville, Maryland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Roberts
- 2010, 252 Seiten, Maße: 12,4 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Herausgegeben: Eva Spundflasche
- Übersetzer: Tess Martin
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3899416783
- ISBN-13: 9783899416787
- Erscheinungsdatum: 22.12.2009
Rezension zu „Der verborgene Stern “
"Eine absolut hinreißende Lovestory!" Romantic Times BOOKreviews
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