Der wilde Duft der Akazie
Callies Leben steht Kopf, als sie das Haus der Familie verkaufen muss. Zusammen mit Michael, der plötzlich in Callies Leben auftaucht, spürt sie ihrer eigenen Vergangenheit nach. Dabei stößt sie auf die große Liebe zwischen...
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Produktinformationen zu „Der wilde Duft der Akazie “
Callies Leben steht Kopf, als sie das Haus der Familie verkaufen muss. Zusammen mit Michael, der plötzlich in Callies Leben auftaucht, spürt sie ihrer eigenen Vergangenheit nach. Dabei stößt sie auf die große Liebe zwischen ihrer Großtante Hannah und dem Schmied Ben. Doch warum mussten die beiden sich damals trennen? Und was entwickelt sich da zwischen Callie und Michael?
Lese-Probe zu „Der wilde Duft der Akazie “
Der wilde Duft der Akazie von Robyn Lee BurrowsKAPITEL 1
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Callie stand auf der hinteren Veranda und sah auf den Garten. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und die Tränen, die in ihren Augen brannten, verschleierten ihren Blick auf die üppig wachsenden, sonnenbeschienenen Sträucher. Ein bleiernes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus und setzte sich in ihrem Magen fest. Das Haus verkaufen? Die Worte ihrer Mutter wirbelten wie verrückt durch Callies Kopf, vermischten sich mit einer Abfolge willkürlicher, Jahre zurückliegender Bilder: Rufus, der Irische Setter, der einem geworfenen Stock hinterher jagte und seine steifen Beine dabei auf seltsam gestelzte Art bewegte; ihr Vater Alex, der den alten Rasenmäher über die Wiese schob, während ihre Mutter sich nach der Wäscheleine reckte, um die Bettlaken festzuklammern. Die
Bilder schienen so real, dass Callie meinte, das frisch gemähte Gras zu riechen, zu sehen, wie sich die weißen Laken im Wind aufblähten und deren Flattern zu hören. Das Haus verkaufen? Callie schüttelte kaum merklich den Kopf und verscheuchte die Erinnerungen. Zurück in die Vergangenheit, wohin sie gehörten, in eine weit zurückliegende Kindheit, in der die Träume noch bunt und strahlend gewesen waren. Das Haus in der Brunswick Street 27 war um 1900 von Callies Ururgroßeltern John und Elizabeth gebaut worden, und deren drei Kinder waren die erste Generation der Cordukes gewesen, die dort aufwuchsen. Thomas, der jüngere Sohn, war im Ersten Weltkrieg gefallen. Hannah, Thomas' Zwillingsschwester und die einzige Tochter, hatte einen Viehzüchter von der Westküste geheiratet. Nur der älteste Sohn David, Callies Urgroßvater, war hier geblieben. Nach Davids Tod war der Besitz an dessen Sohn Davie übergegangen, der ihn wiederum seinem einzigen Sohn Alex hinterlassen hatte, Callies Vater. Callies Gedanken wanderten zurück zu ihrem Vater. Seit dessen Tod teilte sich Bonnie, Callies Mutter, das Haus mit Alex' unverheiratet gebliebener Schwester Freya.
»Wozu gutes Geld ausgeben und zwei Haushalte führen«, hatte Bonnie zu ihrer Schwägerin gesagt, nachdem ihr Kummer abgeflaut war und ihr praktisches Wesen einmal mehr die Oberhand gewonnen hatte. »Ich sitze hier ganz allein in diesem großen alten Haus herum, dabei ist Platz für eine ganze Armee.« Freya Corduke, der finanzielle Engpässe nicht fremd waren, hatte dem Vorschlag bereitwillig zugestimmt. Das ist vor fast zehn Jahren gewesen, stellte Callie jetzt mit einigem Erstaunen fest.
Niedergeschlagen stieg sie die Treppenstufen hinunter und ging durch den Garten. Obwohl die Sonne schien und die Luft warm war, verspürte sie ein leichtes Frösteln und schlang die Arme um sich. Ein riesiger Maulbeerbaum beschattete den Hof. Die Sonnenstrahlen tanzten durch das Laubdach des riesigen Maulbeerbaums, der im Hof stand und dessen Blätter ein gedämpftes grünes Licht und eine Spur von Kühle spendeten.
Jenseits des hinteren Zauns schlängelte sich träge ein kleiner Bach durch sein Bett, ehe er sich über eine Schwelle aus Steinen in einen großen, von Schwertlilien gesäumten Teich ergoss. Der Garten war Freyas Stolz und Freude. Er wirkte einladend, mit seiner wunderbaren Mischung aus einheimischen Gewächsen und traditionellen englischen Pflanzen: Rosen, Campherlorbeer und Grevilleen, Myrten und Bauhinien und Koniferen, eine mächtige Palme, Bougainvilleen, die sich über Beeten mit Narzissen rankten, Stiefmütterchen und Schmucklilien. Am meisten jedoch liebte Callie die Akazien, die entlang des hinteren Zaunes verschwenderisch wuchsen. Seit jenen letzten kalten Winterwochen vor einigen Monaten trugen sie keine Blüten mehr, und jetzt, Mitte September, schienen die hellen Blätter mit den grünen Spitzen ein doch eher farbloser Ersatz für die goldenen pelzigen Blütenbälle zu sein. Das Haus verkaufen? Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Callie um und blickte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Geräumig und von ansprechender Architektur war das Haus typisch für seine Ära. Genau die Art von Haus, für das die Leute zurzeit übermäßig hohe Preise zahlen, dachte sie sarkastisch. Bonnie würde daher kein Problem haben, einen Käufer zu finden. Der Zuschnitt der Räume war Callie so vertraut wie ihr Herzschlag. An den Vordereingang schloss sich ein großzügiger, zentraler Korridor an, von dem die Haupträume abgingen: drei große Schlafzimmer, ein riesiges Wohnzimmer, das Esszimmer und die Küche, die noch immer den alten AGA-Herd beherbergte, obwohl Bonnie ihn nur noch selten benutzte. Sie zog den modernen elektrischen Herd mit dem Backofen vor, auf dessen Kauf Alex vor Jahren bestanden hatte. Callies Ururgroßvater John Corduke hatte als Direktor die Bank der Stadt geleitet und bei der Innenausstattung des Hauses keine Kosten gescheut. Die Zimmer hatten hohe Decken, deren Randleisten in einem Muster aus Blüten- und Blattornamenten schwelgten. Lampen aus Messing hingen aus passenden Deckenrosetten herab, und die Wände bestanden noch aus dem ursprünglichen Gips, der oberhalb der taillenhohen Wandverkleidung aus Holz begann. Irgendwann - Callies Erinnerung reichte nicht so weit zurück - war die hintere Veranda verglast worden, um so einen Wintergarten zu erhalten, während die Veranden vorne und an den Seiten sich mit einer Vielfalt an Kletterpflanzen schmückten: Jasmin und Geißblatt, und, zu der Vorderseite, eine tiefrot blühende Bougainvillea, die immer von einer Fülle von Blüten bedeckt zu sein schien, ungeachtet der Jahreszeit. Das Haus verkaufen?
Traurigkeit legte sich wie ein Mantel um sie, als sie durch den Garten zurück auf das Haus zuging. Sie lag in ihrer Brust wie eine schwere drückende Last, die sich zu einem Übelkeit erregenden Knoten zusammenballte, der ihr in die Kehle stieg. Wie könnte sie es ertragen, diesen Ort zu verlieren? Niemals wieder durch den Garten zu gehen? Niemals wieder den Duft der Rosen zu riechen?
Ihre Mutter wartete am Fuß der Treppe auf sie. »Ich weiß, dass du schockiert bist, Liebes«, stellte Bonnie ruhig fest und legte den Arm um Callies Schulter, »und es tut mir leid, aufrichtig leid. Wenn es einen Weg gäbe, dass wir bleiben könnten, würden wir es tun.« Callie wandte den Kopf ab und starrte angestrengt in den Garten. Noch immer saß dieses bleierne Gefühl in ihrer Brust. Sie fragte sich, ob ihre Mutter es für seltsam halten würde, würde sie jetzt weinen. Du bist zweiunddreißig, ermahnte sie sich. Es ist dumm, wegen eines alten Hauses sentimental zu werden. Doch dieser Ort hatte etwas ...
Bonnie lächelte ihre Tochter mitfühlend an. »Es ist viel zu groß für uns, Liebes. Wir werden älter, Freya und ich. Wir können das Haus nicht mehr so instand halten, wie es nötig wäre. Und der Rasen, der Garten. Freya kann sich nicht mehr so gut bücken. Die Arthritis ...«
Es stimmt, dachte Callie und versuchte, die Argumente ihrer Mutter zu verstehen. Bonnies Gesicht schien faltiger als gewöhnlich, fiel ihr nun auf, und das Haar lag silbergrau um ihre Schläfen. Und Freya, der Callie vorhin begegnet war, als sie über die von Bougainvilleen überrankte Vorderveranda
das Haus betreten hatte, war kaum fähig gewesen, die Gartenschere in ihren von der Krankheit gezeichneten Händen zu halten. »Und wo wollt ihr hinziehen?«, fragte sie bedrückt. Sie gab sich Mühe, die Verzweiflung aus ihrer Stimme zu verbannen, doch es wollte ihr nicht gelingen. »Wir dachten an eine Wohnung.« »Eine Wohnung! Ihr würdet euch niemals darin wohlfühlen!« »Nun, eigentlich ist es keine Wohnung, sondern eines von diesen Stadthäusern. Unten an der Bucht sind sie dabei, welche zu bauen. Zwei Schlafzimmer mit einem schönen Blick über das Wasser und ein kleiner Garten. Wir dürften einen guten Preis für das Haus bekommen und noch etwas übrig behalten für eine Reise und vielleicht ein paar neue Möbel. Wir dachten, dass wir das meiste von dem alten Zeug mit dem Haus verkaufen.« Callie dachte an Davie Cordukes Schreibtisch, der in der Ecke des Esszimmers stand, und sie zuckte unwillkürlich zusammen, als weitere Erinnerungen aus irgendeinem verborgenen Winkel ihres Bewusstseins aufblitzten, aneinandergereiht wie die Bilder alter Schwarzweißfilme im Kino. Briefumschläge, die auf dunklem Mahagoni liegen, weißes Löschpapier, Federschale und Tintenfass, das Gesicht ihres Großvaters - ein Bild tiefer Konzentration, während seine knotigen Hände sich mühten, vollkommene gestochene Buchstaben zu formen. Hände, die so steif und geschwollen gewesen waren wie die ihrer Tante Freya. Ein Mischung aus Trauer und Wut erfüllte sie. Worte des Protestes strömten aus ihrem Mund, und sie war machtlos, sie aufzuhalten. »Ich verstehe nicht, wie du es ertragen kannst, dieses Haus aufzugeben. Es ist seit so langer Zeit in der Familie!« Sie verstummte, da ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf geschossen war. Wie der Griff nach einem Strohhalm, dachte sie sarkastisch. »Wenn der Garten das einzige Problem ist, dann werde ich jemanden einstellen, der sich um den Garten kümmert.«
»Es ist nicht nur das Geld, Liebes. Es ist das Haus selbst; es verlangt nach jüngeren Leuten.« Bonnie wandte sich um und stieg die Treppe hinauf. »Jüngere Leute?«, fragte Callie und sah ihrer Mutter hinterher. »Was dieses Haus braucht«, erwiderte Bonnie ernst, »ist eine Schar Kinder, die durch die Zimmer tobt.« Michael Paterson verlangsamte die Fahrt, als er an die T-förmige Kreuzung kam. »Brunswick Street« stand auf dem Schild, das nach links wies. Er bog in die Straße ein und schaute sich aufmerksam um. Es war eine dieser breiten, schnurgeraden, von Bäumen gesäumten Straßen. Flammenbäume warfen gefleckte Schatten auf die gras bewachsenen, akkurat geschnittenen Seitenflächen. Nur die Mitte der Straße war geteert und durch einen schmalen Kiesstreifen vom Rasen getrennt. Die Häuser lagen ein Stück weit von der Straße zurück, zum Teil verborgen hinter dichten Mauern aus Büschen.
Er bremste und sah auf den Zettel, der auf dem Beifahrersitz lag. Nummer siebenundzwanzig, entzifferte er seine unordentliche Handschrift. Und dort war es, die Ziffern standen groß und weiß auf dem dunkelgrünen Briefkasten. Michael hielt den Wagen an und nahm den Fuß vom Gas, ehe er die Zündung ausstellte. Man erwartete ihn, da er am vergangenen Wochenende angerufen hatte. Die Frau, Bonnie, die am Telefon gewesen war, hatte freundlich geklungen, wenn auch
merklich überrascht. »Wenn ich Sie aufsuchen könnte ...«, hatte er hinzugefügt und war damit auf den Punkt seines Anliegens gekommen.
»Nun«, hatte sie erwidert, »vielleicht sollten Sie wirklich kommen. Das alles klingt sehr interessant, aber ich bin sicher, dass ich keine große Hilfe für Sie sein werde.« Sie hatten dann den Termin vereinbart. Sonnabend. Um zwölf Uhr.
Michael sah auf seine Uhr, deren Zeiger sich unaufhaltsam auf die verabredete Zeit vorgeschoben hatten, wie er jetzt feststellte. Er nahm seine Brieftasche, öffnete die Tür und schwang seine langen Beine aus dem Wagen. Das Haus lag still schlafend im Sonnenschein, verborgen hinter einem Meer aus Bleiwurz, dessen Blüten größtenteils schon abgefallen waren und einen mauvefarbenen Teppich geschaffen hatten. Auf einem gepflasterten Fußweg ging er auf das Haus zu, über die große Veranda und blieb vor der Eingangstür stehen. Die Farbe schälte sich in schmalen Streifen davon ab, obwohl das Holz darunter unversehrt schien. Es gab einen Türklopfer aus Messing und eine Glocke an der Wand neben der Tür. Michael entschied sich für die Glocke und konnte deren melodische Töne durch das Haus hallen hören. Kurz darauf folgte der Klang von Schritten, und dann wurde die Tür geöffnet.
»Bonnie?«, fragte er und versuchte, die junge Frau, die vor ihm stand, mit der Stimme am Telefon in Einklang zu bringen. Irgendwie hatte die Stimme viel älter geklungen. »Nein, ich bin Bonnies Tochter Callie.« In diesem Moment tauchte eine Frau hinter ihr auf. Sie war älter und untersetzt und hatte kurzes graues lockiges Haar. »Ich bin Bonnie.«
Michael streckte ihr die Hand hin. »Michael Paterson. Ich hatte vor einer Woche angerufen.« Bonnie starrte ihn an, einen nichtssagenden Ausdruck auf dem Gesicht. Plötzlich veränderte sich ihre Miene. Sie strich sich mit der Hand durch das Haar und lächelte angespannt, während sie ihre Tochter ansah. »Ach herrje, bei all dem Gerede über den Hausverkauf hatte ich das ganz vergessen.« Er hatte nicht bedacht, dass Bonnie nicht dasselbe Interesse wie er haben könnte. Am Telefon hatte sie sich ziemlich neugierig angehört. Eine Welle der Enttäuschung dämpfte seine Begeisterung.
»Ich kann ein andermal wiederkommen, wenn es jetzt nicht passt.« Bonnie lachte und winkte ihn herein. »Du meine Güte, nein. Freya und ich wollten gerade essen. Bleibst du, Callie?« Callie sah auf die Uhr und lächelte. »Sehr gern. Stuart wird mich nicht vor eins abholen.« Das Mittagessen bestand aus einer Auswahl an Sandwiches - Schinken und Lachs und Hühnchen, garniert mit Petersilie -, die auf dem großen Mahagoni-Tisch im Esszimmer serviert wurde. Die Tischdecke war steif, wahrscheinlich gestärkt, und war an den Rändern mit einem zarten Muster bestickt. Vermutlich ein Familienerbstück, dachte Michael und fragte sich unwillkürlich nach dem Alter der Decke. Er kam sich linkisch vor, als er Platz nahm und feststellte, dass er kaum Appetit hatte.
»Nun, Michael, dann erzählen Sie uns doch einmal, warum Sie hier sind«, forderte Freya ihn auf, die Frau, die Bonnie als ihre Schwägerin vorgestellt hatte, während sie sich von dem Tablett mit den Sandwiches bediente. Die drei Frauen sahen ihn groß und fragend an und warteten auf seine Erklärung. Doch er hatte keine. Keine wirklich überzeugende jedenfalls. Der Anlass dieses Besuchs war eher ein ... Ja, was denn eigentlich?, fragte er sich, und für einen Augenblick fehlten ihm die Worte. Ein Zufall? Eine Kleinigkeit, die er vor zwei Wochen entdeckt hatte?
»Vor ungefähr vierzehn Tagen habe ich eine Kiste mit Dingen durchgesehen, die meinem Vater gehört haben. Es waren Dinge, die er aus seiner Kindheit aufbewahrt hatte. Sie wissen schon ... das erste Paar Schuhe, ein Taufkleid, die Taufurkunde, solche Dinge eben.« Michael kramte in seiner Tasche, und seine Hand schloss sich um ein Stück kaltes Metall. Er zog es hervor und legte es auf den Tisch. »Dies hier habe ich zwischen den Fransen einer Babydecke gefunden.« »Was ist das?« Callie griff nach dem j-förmigen Gegenstand und hielt ihn ins Licht. »Es ist ein Hufeisen«, erklärte Michael. »Oder genauer gesagt, eine Hälfte davon.« »Merkwürdige Farbe für ein Hufeisen«, stellte Freya mürrisch fest. »Es ist versilbert. Schauen Sie sich die Bruchstelle an. Darunter können Sie das ursprüngliche Material durchschimmern sehen.« »Ich weiß nicht, was ein altes Hufeisen mit uns oder unserer Familie zu tun haben soll«, meinte Bonnie, die ein wenig ratlos aussah. Michael beugte sich über den Tisch und legte die Hand auf das Metall. »Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie den Namen ›Ben‹ oben im Bogen eingraviert finden. Und es gibt noch eine weitere Gravur, entlang der Seite. Sie ist kaum leserlich, aber sie sieht aus wie ›immer lieben‹. Und auf der Rückseite sind noch die Worte ›Hannah Elizabeth Corduke, Brunswick Street, 1915‹ zu erkennen.« Bonnie nahm die Hufeisenhälfte und betrachtete sie eingehend. »Das ist ganz sicher Großtante Hannah«, sagte sie und strich mit einem Finger über die Worte. »Wir sind die einzigen Cordukes, die jemals hier in der Gegend gelebt haben.« »Und wer ist Ben?«, fragte Callie, auf deren Gesicht ein Ausdruck großer Überraschung lag. Bonnie zuckte die Schultern und legte das Hufeisen auf den Tisch zurück. »Ich habe keine Ahnung.« »Was veranlasst Sie zu glauben, es könnte irgendeine Verbindung zwischen dem da«, Freya machte eine Pause, während sie auf das Hufeisen deutete, »und Ihnen geben, Michael?« Ihr Blick war offen, ihre Frage direkt. »Wie ist Ihr Vater zu diesem Hufeisen gekommen? Kann er Ihnen nicht bei der Beantwortung Ihrer Frage helfen?« »Nun, um ehrlich zu sein, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie es in den Besitz meines Vaters gelangt ist. Und was das Fragen angeht - er ist seit fast zwei Jahren tot.«
Es war nicht seine Absicht gewesen, seine Worte so harsch klingen zu lassen, aber die ältere Frau und ihr schroffer herablassender Ton hatten ihm das Gefühl gegeben, sich verteidigen zu müssen. Freya wandte den Blick ab. »Das tut mir leid«, murmelte sie, offensichtlich verlegen. Michael berührte kurz ihre Hand und bemerkte die geschwollenen Fingergelenke. Sie lächelte ihn ein wenig schief an. »Das muss es nicht. Sie kannten ihn ja nicht.« Freya stieß ein lautes missbilligendes Schnauben aus und nahm sich ein weiteres Sandwich. Michael legte einen Finger auf das Hufeisen und brachte das Gespräch auf den Grund seines Besuches zurück. »Ich war überrascht, als ich es gefunden habe, das ist alles«, erklärte er mit einem Achselzucken. »Und vermutlich war meine Neugier einfach zu stark. Wie ist es unter die Sachen meines Vaters geraten? Welche mögliche Verbindung könnte meine Familie zu Ihrer haben? Ich hatte gehofft, jemand von Ihnen könnte ein wenig Licht in das Dunkel bringen.« »Vielleicht können wir das, wenn Sie uns ein bisschen über Ihre Familie erzählen«, schlug Bonnie vor. »Stammt sie hier aus der Gegend?« »Das ist ja das Seltsame. Mein Vater war ein Einzelkind, und seine Eltern waren schon älter, als er geboren wurde. Sie alle waren Stadtmenschen und hatten überhaupt nichts mit der Gegend hier zu tun. Ich war noch sehr jung, als meine Großeltern starben, und kann mich kaum an sie erinnern.« Bonnie schien interessiert zu sein, deshalb erzählte er ihr, was er wusste. »Es ist seltsam, nicht wahr?«, schloss er mit einem Grinsen. »Erst vor kurzem habe ich den Wunsch verspürt, mehr über meine Abstammung zu erfahren. Als ich das Hufeisen fand, dachte ich, es könnte ein Schlüssel sein, ein Hinweis, um etwas herauszufinden. Vermutlich habe ich mich geirrt.« Freya hatte schweigend zugehört. Abrupt streckte sie jetzt die Hand nach dem Stück Metall aus und unterzog es einer flüchtigen Prüfung, ehe sie es klirrend auf den Tisch zurückfallen ließ. Ihr Gesicht war eine undurchdringliche Maske. »Es könnte jedem gehört haben, und jeder hätte Hannahs Namen auf die Rückseite gravieren lassen können, aus welchem Grund auch immer.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2007 by Baste Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Übersetzung: Susanne Kregeloh
Callie stand auf der hinteren Veranda und sah auf den Garten. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und die Tränen, die in ihren Augen brannten, verschleierten ihren Blick auf die üppig wachsenden, sonnenbeschienenen Sträucher. Ein bleiernes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus und setzte sich in ihrem Magen fest. Das Haus verkaufen? Die Worte ihrer Mutter wirbelten wie verrückt durch Callies Kopf, vermischten sich mit einer Abfolge willkürlicher, Jahre zurückliegender Bilder: Rufus, der Irische Setter, der einem geworfenen Stock hinterher jagte und seine steifen Beine dabei auf seltsam gestelzte Art bewegte; ihr Vater Alex, der den alten Rasenmäher über die Wiese schob, während ihre Mutter sich nach der Wäscheleine reckte, um die Bettlaken festzuklammern. Die
Bilder schienen so real, dass Callie meinte, das frisch gemähte Gras zu riechen, zu sehen, wie sich die weißen Laken im Wind aufblähten und deren Flattern zu hören. Das Haus verkaufen? Callie schüttelte kaum merklich den Kopf und verscheuchte die Erinnerungen. Zurück in die Vergangenheit, wohin sie gehörten, in eine weit zurückliegende Kindheit, in der die Träume noch bunt und strahlend gewesen waren. Das Haus in der Brunswick Street 27 war um 1900 von Callies Ururgroßeltern John und Elizabeth gebaut worden, und deren drei Kinder waren die erste Generation der Cordukes gewesen, die dort aufwuchsen. Thomas, der jüngere Sohn, war im Ersten Weltkrieg gefallen. Hannah, Thomas' Zwillingsschwester und die einzige Tochter, hatte einen Viehzüchter von der Westküste geheiratet. Nur der älteste Sohn David, Callies Urgroßvater, war hier geblieben. Nach Davids Tod war der Besitz an dessen Sohn Davie übergegangen, der ihn wiederum seinem einzigen Sohn Alex hinterlassen hatte, Callies Vater. Callies Gedanken wanderten zurück zu ihrem Vater. Seit dessen Tod teilte sich Bonnie, Callies Mutter, das Haus mit Alex' unverheiratet gebliebener Schwester Freya.
»Wozu gutes Geld ausgeben und zwei Haushalte führen«, hatte Bonnie zu ihrer Schwägerin gesagt, nachdem ihr Kummer abgeflaut war und ihr praktisches Wesen einmal mehr die Oberhand gewonnen hatte. »Ich sitze hier ganz allein in diesem großen alten Haus herum, dabei ist Platz für eine ganze Armee.« Freya Corduke, der finanzielle Engpässe nicht fremd waren, hatte dem Vorschlag bereitwillig zugestimmt. Das ist vor fast zehn Jahren gewesen, stellte Callie jetzt mit einigem Erstaunen fest.
Niedergeschlagen stieg sie die Treppenstufen hinunter und ging durch den Garten. Obwohl die Sonne schien und die Luft warm war, verspürte sie ein leichtes Frösteln und schlang die Arme um sich. Ein riesiger Maulbeerbaum beschattete den Hof. Die Sonnenstrahlen tanzten durch das Laubdach des riesigen Maulbeerbaums, der im Hof stand und dessen Blätter ein gedämpftes grünes Licht und eine Spur von Kühle spendeten.
Jenseits des hinteren Zauns schlängelte sich träge ein kleiner Bach durch sein Bett, ehe er sich über eine Schwelle aus Steinen in einen großen, von Schwertlilien gesäumten Teich ergoss. Der Garten war Freyas Stolz und Freude. Er wirkte einladend, mit seiner wunderbaren Mischung aus einheimischen Gewächsen und traditionellen englischen Pflanzen: Rosen, Campherlorbeer und Grevilleen, Myrten und Bauhinien und Koniferen, eine mächtige Palme, Bougainvilleen, die sich über Beeten mit Narzissen rankten, Stiefmütterchen und Schmucklilien. Am meisten jedoch liebte Callie die Akazien, die entlang des hinteren Zaunes verschwenderisch wuchsen. Seit jenen letzten kalten Winterwochen vor einigen Monaten trugen sie keine Blüten mehr, und jetzt, Mitte September, schienen die hellen Blätter mit den grünen Spitzen ein doch eher farbloser Ersatz für die goldenen pelzigen Blütenbälle zu sein. Das Haus verkaufen? Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Callie um und blickte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Geräumig und von ansprechender Architektur war das Haus typisch für seine Ära. Genau die Art von Haus, für das die Leute zurzeit übermäßig hohe Preise zahlen, dachte sie sarkastisch. Bonnie würde daher kein Problem haben, einen Käufer zu finden. Der Zuschnitt der Räume war Callie so vertraut wie ihr Herzschlag. An den Vordereingang schloss sich ein großzügiger, zentraler Korridor an, von dem die Haupträume abgingen: drei große Schlafzimmer, ein riesiges Wohnzimmer, das Esszimmer und die Küche, die noch immer den alten AGA-Herd beherbergte, obwohl Bonnie ihn nur noch selten benutzte. Sie zog den modernen elektrischen Herd mit dem Backofen vor, auf dessen Kauf Alex vor Jahren bestanden hatte. Callies Ururgroßvater John Corduke hatte als Direktor die Bank der Stadt geleitet und bei der Innenausstattung des Hauses keine Kosten gescheut. Die Zimmer hatten hohe Decken, deren Randleisten in einem Muster aus Blüten- und Blattornamenten schwelgten. Lampen aus Messing hingen aus passenden Deckenrosetten herab, und die Wände bestanden noch aus dem ursprünglichen Gips, der oberhalb der taillenhohen Wandverkleidung aus Holz begann. Irgendwann - Callies Erinnerung reichte nicht so weit zurück - war die hintere Veranda verglast worden, um so einen Wintergarten zu erhalten, während die Veranden vorne und an den Seiten sich mit einer Vielfalt an Kletterpflanzen schmückten: Jasmin und Geißblatt, und, zu der Vorderseite, eine tiefrot blühende Bougainvillea, die immer von einer Fülle von Blüten bedeckt zu sein schien, ungeachtet der Jahreszeit. Das Haus verkaufen?
Traurigkeit legte sich wie ein Mantel um sie, als sie durch den Garten zurück auf das Haus zuging. Sie lag in ihrer Brust wie eine schwere drückende Last, die sich zu einem Übelkeit erregenden Knoten zusammenballte, der ihr in die Kehle stieg. Wie könnte sie es ertragen, diesen Ort zu verlieren? Niemals wieder durch den Garten zu gehen? Niemals wieder den Duft der Rosen zu riechen?
Ihre Mutter wartete am Fuß der Treppe auf sie. »Ich weiß, dass du schockiert bist, Liebes«, stellte Bonnie ruhig fest und legte den Arm um Callies Schulter, »und es tut mir leid, aufrichtig leid. Wenn es einen Weg gäbe, dass wir bleiben könnten, würden wir es tun.« Callie wandte den Kopf ab und starrte angestrengt in den Garten. Noch immer saß dieses bleierne Gefühl in ihrer Brust. Sie fragte sich, ob ihre Mutter es für seltsam halten würde, würde sie jetzt weinen. Du bist zweiunddreißig, ermahnte sie sich. Es ist dumm, wegen eines alten Hauses sentimental zu werden. Doch dieser Ort hatte etwas ...
Bonnie lächelte ihre Tochter mitfühlend an. »Es ist viel zu groß für uns, Liebes. Wir werden älter, Freya und ich. Wir können das Haus nicht mehr so instand halten, wie es nötig wäre. Und der Rasen, der Garten. Freya kann sich nicht mehr so gut bücken. Die Arthritis ...«
Es stimmt, dachte Callie und versuchte, die Argumente ihrer Mutter zu verstehen. Bonnies Gesicht schien faltiger als gewöhnlich, fiel ihr nun auf, und das Haar lag silbergrau um ihre Schläfen. Und Freya, der Callie vorhin begegnet war, als sie über die von Bougainvilleen überrankte Vorderveranda
das Haus betreten hatte, war kaum fähig gewesen, die Gartenschere in ihren von der Krankheit gezeichneten Händen zu halten. »Und wo wollt ihr hinziehen?«, fragte sie bedrückt. Sie gab sich Mühe, die Verzweiflung aus ihrer Stimme zu verbannen, doch es wollte ihr nicht gelingen. »Wir dachten an eine Wohnung.« »Eine Wohnung! Ihr würdet euch niemals darin wohlfühlen!« »Nun, eigentlich ist es keine Wohnung, sondern eines von diesen Stadthäusern. Unten an der Bucht sind sie dabei, welche zu bauen. Zwei Schlafzimmer mit einem schönen Blick über das Wasser und ein kleiner Garten. Wir dürften einen guten Preis für das Haus bekommen und noch etwas übrig behalten für eine Reise und vielleicht ein paar neue Möbel. Wir dachten, dass wir das meiste von dem alten Zeug mit dem Haus verkaufen.« Callie dachte an Davie Cordukes Schreibtisch, der in der Ecke des Esszimmers stand, und sie zuckte unwillkürlich zusammen, als weitere Erinnerungen aus irgendeinem verborgenen Winkel ihres Bewusstseins aufblitzten, aneinandergereiht wie die Bilder alter Schwarzweißfilme im Kino. Briefumschläge, die auf dunklem Mahagoni liegen, weißes Löschpapier, Federschale und Tintenfass, das Gesicht ihres Großvaters - ein Bild tiefer Konzentration, während seine knotigen Hände sich mühten, vollkommene gestochene Buchstaben zu formen. Hände, die so steif und geschwollen gewesen waren wie die ihrer Tante Freya. Ein Mischung aus Trauer und Wut erfüllte sie. Worte des Protestes strömten aus ihrem Mund, und sie war machtlos, sie aufzuhalten. »Ich verstehe nicht, wie du es ertragen kannst, dieses Haus aufzugeben. Es ist seit so langer Zeit in der Familie!« Sie verstummte, da ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf geschossen war. Wie der Griff nach einem Strohhalm, dachte sie sarkastisch. »Wenn der Garten das einzige Problem ist, dann werde ich jemanden einstellen, der sich um den Garten kümmert.«
»Es ist nicht nur das Geld, Liebes. Es ist das Haus selbst; es verlangt nach jüngeren Leuten.« Bonnie wandte sich um und stieg die Treppe hinauf. »Jüngere Leute?«, fragte Callie und sah ihrer Mutter hinterher. »Was dieses Haus braucht«, erwiderte Bonnie ernst, »ist eine Schar Kinder, die durch die Zimmer tobt.« Michael Paterson verlangsamte die Fahrt, als er an die T-förmige Kreuzung kam. »Brunswick Street« stand auf dem Schild, das nach links wies. Er bog in die Straße ein und schaute sich aufmerksam um. Es war eine dieser breiten, schnurgeraden, von Bäumen gesäumten Straßen. Flammenbäume warfen gefleckte Schatten auf die gras bewachsenen, akkurat geschnittenen Seitenflächen. Nur die Mitte der Straße war geteert und durch einen schmalen Kiesstreifen vom Rasen getrennt. Die Häuser lagen ein Stück weit von der Straße zurück, zum Teil verborgen hinter dichten Mauern aus Büschen.
Er bremste und sah auf den Zettel, der auf dem Beifahrersitz lag. Nummer siebenundzwanzig, entzifferte er seine unordentliche Handschrift. Und dort war es, die Ziffern standen groß und weiß auf dem dunkelgrünen Briefkasten. Michael hielt den Wagen an und nahm den Fuß vom Gas, ehe er die Zündung ausstellte. Man erwartete ihn, da er am vergangenen Wochenende angerufen hatte. Die Frau, Bonnie, die am Telefon gewesen war, hatte freundlich geklungen, wenn auch
merklich überrascht. »Wenn ich Sie aufsuchen könnte ...«, hatte er hinzugefügt und war damit auf den Punkt seines Anliegens gekommen.
»Nun«, hatte sie erwidert, »vielleicht sollten Sie wirklich kommen. Das alles klingt sehr interessant, aber ich bin sicher, dass ich keine große Hilfe für Sie sein werde.« Sie hatten dann den Termin vereinbart. Sonnabend. Um zwölf Uhr.
Michael sah auf seine Uhr, deren Zeiger sich unaufhaltsam auf die verabredete Zeit vorgeschoben hatten, wie er jetzt feststellte. Er nahm seine Brieftasche, öffnete die Tür und schwang seine langen Beine aus dem Wagen. Das Haus lag still schlafend im Sonnenschein, verborgen hinter einem Meer aus Bleiwurz, dessen Blüten größtenteils schon abgefallen waren und einen mauvefarbenen Teppich geschaffen hatten. Auf einem gepflasterten Fußweg ging er auf das Haus zu, über die große Veranda und blieb vor der Eingangstür stehen. Die Farbe schälte sich in schmalen Streifen davon ab, obwohl das Holz darunter unversehrt schien. Es gab einen Türklopfer aus Messing und eine Glocke an der Wand neben der Tür. Michael entschied sich für die Glocke und konnte deren melodische Töne durch das Haus hallen hören. Kurz darauf folgte der Klang von Schritten, und dann wurde die Tür geöffnet.
»Bonnie?«, fragte er und versuchte, die junge Frau, die vor ihm stand, mit der Stimme am Telefon in Einklang zu bringen. Irgendwie hatte die Stimme viel älter geklungen. »Nein, ich bin Bonnies Tochter Callie.« In diesem Moment tauchte eine Frau hinter ihr auf. Sie war älter und untersetzt und hatte kurzes graues lockiges Haar. »Ich bin Bonnie.«
Michael streckte ihr die Hand hin. »Michael Paterson. Ich hatte vor einer Woche angerufen.« Bonnie starrte ihn an, einen nichtssagenden Ausdruck auf dem Gesicht. Plötzlich veränderte sich ihre Miene. Sie strich sich mit der Hand durch das Haar und lächelte angespannt, während sie ihre Tochter ansah. »Ach herrje, bei all dem Gerede über den Hausverkauf hatte ich das ganz vergessen.« Er hatte nicht bedacht, dass Bonnie nicht dasselbe Interesse wie er haben könnte. Am Telefon hatte sie sich ziemlich neugierig angehört. Eine Welle der Enttäuschung dämpfte seine Begeisterung.
»Ich kann ein andermal wiederkommen, wenn es jetzt nicht passt.« Bonnie lachte und winkte ihn herein. »Du meine Güte, nein. Freya und ich wollten gerade essen. Bleibst du, Callie?« Callie sah auf die Uhr und lächelte. »Sehr gern. Stuart wird mich nicht vor eins abholen.« Das Mittagessen bestand aus einer Auswahl an Sandwiches - Schinken und Lachs und Hühnchen, garniert mit Petersilie -, die auf dem großen Mahagoni-Tisch im Esszimmer serviert wurde. Die Tischdecke war steif, wahrscheinlich gestärkt, und war an den Rändern mit einem zarten Muster bestickt. Vermutlich ein Familienerbstück, dachte Michael und fragte sich unwillkürlich nach dem Alter der Decke. Er kam sich linkisch vor, als er Platz nahm und feststellte, dass er kaum Appetit hatte.
»Nun, Michael, dann erzählen Sie uns doch einmal, warum Sie hier sind«, forderte Freya ihn auf, die Frau, die Bonnie als ihre Schwägerin vorgestellt hatte, während sie sich von dem Tablett mit den Sandwiches bediente. Die drei Frauen sahen ihn groß und fragend an und warteten auf seine Erklärung. Doch er hatte keine. Keine wirklich überzeugende jedenfalls. Der Anlass dieses Besuchs war eher ein ... Ja, was denn eigentlich?, fragte er sich, und für einen Augenblick fehlten ihm die Worte. Ein Zufall? Eine Kleinigkeit, die er vor zwei Wochen entdeckt hatte?
»Vor ungefähr vierzehn Tagen habe ich eine Kiste mit Dingen durchgesehen, die meinem Vater gehört haben. Es waren Dinge, die er aus seiner Kindheit aufbewahrt hatte. Sie wissen schon ... das erste Paar Schuhe, ein Taufkleid, die Taufurkunde, solche Dinge eben.« Michael kramte in seiner Tasche, und seine Hand schloss sich um ein Stück kaltes Metall. Er zog es hervor und legte es auf den Tisch. »Dies hier habe ich zwischen den Fransen einer Babydecke gefunden.« »Was ist das?« Callie griff nach dem j-förmigen Gegenstand und hielt ihn ins Licht. »Es ist ein Hufeisen«, erklärte Michael. »Oder genauer gesagt, eine Hälfte davon.« »Merkwürdige Farbe für ein Hufeisen«, stellte Freya mürrisch fest. »Es ist versilbert. Schauen Sie sich die Bruchstelle an. Darunter können Sie das ursprüngliche Material durchschimmern sehen.« »Ich weiß nicht, was ein altes Hufeisen mit uns oder unserer Familie zu tun haben soll«, meinte Bonnie, die ein wenig ratlos aussah. Michael beugte sich über den Tisch und legte die Hand auf das Metall. »Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie den Namen ›Ben‹ oben im Bogen eingraviert finden. Und es gibt noch eine weitere Gravur, entlang der Seite. Sie ist kaum leserlich, aber sie sieht aus wie ›immer lieben‹. Und auf der Rückseite sind noch die Worte ›Hannah Elizabeth Corduke, Brunswick Street, 1915‹ zu erkennen.« Bonnie nahm die Hufeisenhälfte und betrachtete sie eingehend. »Das ist ganz sicher Großtante Hannah«, sagte sie und strich mit einem Finger über die Worte. »Wir sind die einzigen Cordukes, die jemals hier in der Gegend gelebt haben.« »Und wer ist Ben?«, fragte Callie, auf deren Gesicht ein Ausdruck großer Überraschung lag. Bonnie zuckte die Schultern und legte das Hufeisen auf den Tisch zurück. »Ich habe keine Ahnung.« »Was veranlasst Sie zu glauben, es könnte irgendeine Verbindung zwischen dem da«, Freya machte eine Pause, während sie auf das Hufeisen deutete, »und Ihnen geben, Michael?« Ihr Blick war offen, ihre Frage direkt. »Wie ist Ihr Vater zu diesem Hufeisen gekommen? Kann er Ihnen nicht bei der Beantwortung Ihrer Frage helfen?« »Nun, um ehrlich zu sein, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie es in den Besitz meines Vaters gelangt ist. Und was das Fragen angeht - er ist seit fast zwei Jahren tot.«
Es war nicht seine Absicht gewesen, seine Worte so harsch klingen zu lassen, aber die ältere Frau und ihr schroffer herablassender Ton hatten ihm das Gefühl gegeben, sich verteidigen zu müssen. Freya wandte den Blick ab. »Das tut mir leid«, murmelte sie, offensichtlich verlegen. Michael berührte kurz ihre Hand und bemerkte die geschwollenen Fingergelenke. Sie lächelte ihn ein wenig schief an. »Das muss es nicht. Sie kannten ihn ja nicht.« Freya stieß ein lautes missbilligendes Schnauben aus und nahm sich ein weiteres Sandwich. Michael legte einen Finger auf das Hufeisen und brachte das Gespräch auf den Grund seines Besuches zurück. »Ich war überrascht, als ich es gefunden habe, das ist alles«, erklärte er mit einem Achselzucken. »Und vermutlich war meine Neugier einfach zu stark. Wie ist es unter die Sachen meines Vaters geraten? Welche mögliche Verbindung könnte meine Familie zu Ihrer haben? Ich hatte gehofft, jemand von Ihnen könnte ein wenig Licht in das Dunkel bringen.« »Vielleicht können wir das, wenn Sie uns ein bisschen über Ihre Familie erzählen«, schlug Bonnie vor. »Stammt sie hier aus der Gegend?« »Das ist ja das Seltsame. Mein Vater war ein Einzelkind, und seine Eltern waren schon älter, als er geboren wurde. Sie alle waren Stadtmenschen und hatten überhaupt nichts mit der Gegend hier zu tun. Ich war noch sehr jung, als meine Großeltern starben, und kann mich kaum an sie erinnern.« Bonnie schien interessiert zu sein, deshalb erzählte er ihr, was er wusste. »Es ist seltsam, nicht wahr?«, schloss er mit einem Grinsen. »Erst vor kurzem habe ich den Wunsch verspürt, mehr über meine Abstammung zu erfahren. Als ich das Hufeisen fand, dachte ich, es könnte ein Schlüssel sein, ein Hinweis, um etwas herauszufinden. Vermutlich habe ich mich geirrt.« Freya hatte schweigend zugehört. Abrupt streckte sie jetzt die Hand nach dem Stück Metall aus und unterzog es einer flüchtigen Prüfung, ehe sie es klirrend auf den Tisch zurückfallen ließ. Ihr Gesicht war eine undurchdringliche Maske. »Es könnte jedem gehört haben, und jeder hätte Hannahs Namen auf die Rückseite gravieren lassen können, aus welchem Grund auch immer.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2007 by Baste Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Übersetzung: Susanne Kregeloh
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Autoren-Porträt von Robyn Lee Burrows
Robyn Lee Burrows ist in Neusüdwales, Australien geboren und aufgewachsen. Zusammen mit ihrem Ehemann, drei Söhnen, ihrer Katze und ihrem Australian Cattle Dog Bruiser lebt sie in Mudgeeraba, einem Dorf im Hinterland der Gold Coast, wo ihre Familie seit sieben Jahren ein Tiefbauunternehmen betreibt. Robyn Lee Burrows ist nicht nur eine wortgewandte Schriftstellerin, die auch schon zwei Sachbücher veröffentlicht hat, sondern auch eine talentierte Zeichnerin.Bibliographische Angaben
- Autor: Robyn Lee Burrows
- 608 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868009531
- ISBN-13: 9783868009538
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