Die Blüte des Eukalyptus
"Packende Lovestory."
BILD DER FRAU
Keziah ist eine junge Roma und hat viel Temperament und Herz. Als das Schicksal sie von ihrem Mann Gem trennt, hat sie nichts anderes im Sinn, als in wiederzufinden. Im australischen Ironbark baut...
BILD DER FRAU
Keziah ist eine junge Roma und hat viel Temperament und Herz. Als das Schicksal sie von ihrem Mann Gem trennt, hat sie nichts anderes im Sinn, als in wiederzufinden. Im australischen Ironbark baut...
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Produktinformationen zu „Die Blüte des Eukalyptus “
"Packende Lovestory."
BILD DER FRAU
Keziah ist eine junge Roma und hat viel Temperament und Herz. Als das Schicksal sie von ihrem Mann Gem trennt, hat sie nichts anderes im Sinn, als in wiederzufinden. Im australischen Ironbark baut sie sich eine eigene Existenz auf. Sie lernt einen neuen Mann kennen, der ihr Geborgenheit und ein Kind schenkt. Als Gem eines Tages wieder auftaucht, kann er ihr das nicht verzeihen und verlässt sie wieder. Keziah ist nun wieder allein - und muss sich plötzlich gegen die Dämonen der Vergangenheit wehren.
BILD DER FRAU
Keziah ist eine junge Roma und hat viel Temperament und Herz. Als das Schicksal sie von ihrem Mann Gem trennt, hat sie nichts anderes im Sinn, als in wiederzufinden. Im australischen Ironbark baut sie sich eine eigene Existenz auf. Sie lernt einen neuen Mann kennen, der ihr Geborgenheit und ein Kind schenkt. Als Gem eines Tages wieder auftaucht, kann er ihr das nicht verzeihen und verlässt sie wieder. Keziah ist nun wieder allein - und muss sich plötzlich gegen die Dämonen der Vergangenheit wehren.
Lese-Probe zu „Die Blüte des Eukalyptus “
Die Blüte des Eukalyptus von Johanna Nicholls ERSTER TEIL
DIE SUCHE
Januar 1837 - Mai 1838
Suche das Ende und lass dich nicht beirren.
Nichts ist so schwer,
doch trägt es dich durch alle Wirren.
Robert Herrick 1591-1674
EINS
Jake Andersen kniff die Augen zusammen. Die letzte Etappe
der verlassenen Straße lag im grellen Sonnenlicht vor ihm. Die
Landschaft ringsum bestand buchstäblich nur aus Himmel, des-
sen Blau so intensiv war, dass er dem versengten Grasland das
letzte bisschen Farbe raubte. Jake war auf dem Weg nach Hause.
Nach Hause. Jenny. Sein Herz schlug vor Sehnsucht nach ihr
schneller. Quälende Bilder flimmerten vor seinen Augen ... Jen-
ny, die auf ihn zutanzte ... die wie ein Kind auf einem Schemel
stand, um ihm das Halstuch zuzuknoten ... die Glut des Feuers,
die auf ihrem Rücken schimmerte, wenn sie neben dem Kamin in
der Wanne badete ... ihr aufreizendes Lächeln, wenn sie die Ker-
ze auf ihrem Nachttisch ausblies ... ihr vollkommener Körper,
wie der einer nackten Göttin im Dunkeln ...
Die Erinnerung an sie war so lebendig, dass Jake beinahe ihr
französisches Parfüm riechen konnte, ein Luxus, der für Jenny
wichtiger war als das tägliche Brot.
Er zählte die Monate, Wochen und Tage, seit er aufgebrochen
war, um das Vieh nach Süden zu treiben. Jenny erwartete keine
Briefe von ihm; sie wusste, dass er das Schreiben wegen seiner
dürftigen Schulausbildung scheute. Aber ebenso war ihr bewusst,
dass er mit Leib und Seele ihr gehörte. Je länger er mit dem Vieh
unterwegs war, umso lebhafter wurden für Jake die Erinnerungen.
Er wünschte, er hätte ein kleines Bild von ihr in der Tasche. Eines
Tages würde er einen Künstler beauftragen, seine Frau zu malen.
Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn, als er an die Stunde sei-
nes
... mehr
Aufbruchs zurückdachte. Morgengrauen. Er war einen Mo-
ment an der Tür des Schlafzimmers stehen geblieben. Bei Jennys
Anblick, den über den Kopf liegenden Armen, der Wölbung der
Brüste unter der zarten Spitze ihres Nachthemds, war ihm der
Atem gestockt. Ihr goldenes Haar breitete sich über das Kopfkissen
aus wie das einer unter Wasser schwebenden Meerjungfrau.
Durch den Schleier ihres Haars hatte Jenny scherzhaft die rituellen
Abschiedsworte gemurmelt: »Wirst du mich immer und
ewig lieben, Jakey?«
Seine Antwort war wie immer ernst gemeint. Und nun, auf
dem Weg nach Hause, wiederholte er sie stumm. »Bis ans Ende
aller Tage und noch darüber hinaus, Jenny.«
Jake wusste, dass er nie aufgebrochen wäre, wenn er sie in dem
Moment geküsst hätte. Doch er hatte keine Wahl gehabt. Er hätte
es sich nicht leisten können, Ogdens Angebot, eine Rinderherde
nach Süden zu treiben, auszuschlagen. An diesen Augenblick, kurz
bevor er das Haus verlassen hatte, musste er jetzt denken.
Im Flur hatte er ein leises Flüstern gehört und sich umgedreht.
Auf dem Treppenabsatz stand die kleine Pearl, barfuß in ihrem
Nachthemd, die kurzen O-Beinchen fest in den Boden gestemmt.
Das blonde Haar rahmte ihr sonniges Lächeln ein, als sie
die Arme ausstreckte und einen Schritt nach vorn machte. Jake
war gerade noch rechtzeitig hinaufgesprungen, um ihren Sturz
aufzufangen.
»Du musst warten, bis du ein großes Mädchen bist, bevor du
allein die Treppen hinuntergehst, Prinzessin.«
Er hatte sie auf den Scheitel geküsst, während ihr kleiner Hund
Flash ihr das Gesicht leckte. Pearl hatte eine von Jakes langen
Haarlocken sanft hinter sein Ohr zurückgesteckt, wie sie es oft
tat. Er hatte sie wieder in ihr Kinderzimmer unterm Dach gebracht
und versprochen, ihr bei seiner Rückkehr eine neue Puppe
mitzubringen ...
Jake warf einen Blick auf seine Satteltasche und stellte sich vor,
wie sie sich über seine Geschenke freuen würden. Sogar für Jennys
Mutter hatte er etwas dabei.
Bei dem Gedanken an Mrs. Tory verdüsterte sich seine Mie-
ne. Um sie gütlich zu stimmen, braucht es mehr als eine Kiste Zuckerpfläumchen.
Die alte Hexe lässt mich nie vergessen, dass Jenny unter
ihren Möglichkeiten geheiratet hat. Wegen meines »doppelten Makels«,
weil Ma und Pa beide Strafgefangene waren. Trotzdem hat sie mir den
Gefallen getan, auf meine beiden Hübschen aufzupassen, und deshalb
werde ich den Mund halten.
Während Jake die Sydney Road entlangritt, fragte er sich, wie
es Jenny während seiner Abwesenheit ergangen sein mochte. Die
Beete in ihrem heiß geliebten Garten hinter der Hütte mussten
mittlerweile in voller Blüte stehen. Jake hatte sie mit englischen
Blumen bepflanzt, um sie an ihre Jugend in Devon zu erinnern. Er
malte sich aus, wie Pearl und Flash im Garten herumtollten und
sie mit einem Auge auf das Gartentor schielte, wo sie ihn erwartete.
Während des gesamten Trecks hatte Jake seine Ängste beschwichtigt
und sich immer wieder vor Augen geführt, dass er alles
für ihre Sicherheit getan hatte. Er hatte Jenny beigebracht, wie
sie im Notfall mit der kleinen Taschenpistole umgehen muss te.
Auf den Eingeborenen Wally, seinen alten Kumpel aus Kindertagen,
konnte er sich verlassen; er würde die Farm in Ordnung
halten. Und seine Schwiegermutter würde Jenny keine Sekunde
aus den Augen lassen.
Jakes Lohn für die langen, einsamen Monate war ein Schuldschein,
den er sicherheitshalber in seinem Stiefel versteckt hatte.
Er klopfte sich auf die Westentasche, um sich zu vergewissern,
dass die Hand voll Münzen und die alte Uhrkette noch da waren,
für den Fall, dass ihm ein Buschräuber aufl auern sollte.
Er zauste die struppige Mähne des Hengstes, den er nach dem
Helden seiner Kindheit, Lord Nelson, getauft hatte.
»Geld, Horatio. Geld regiert die Welt, was? Wir hatten es
nicht einfach im letzten Jahr, aber 1837 wird alles besser! Dieses
Jahr werden wir reich, du wirst schon sehen!«
Laut ausgesprochen klangen die Worte hohl. Obgleich er fast
dreiundzwanzig war, hatte Jake noch nicht herausgefunden, für
welche Arbeit er am besten taugte. Was ihn am meisten reizte, war
das Preisgeld, das dem Gewinner im Faustkampf winkte, doch
zwischen den Wettkämpfen blieb ihm nichts anderes übrig, als
seine kleine Farm mit jeder Art von Arbeit über Wasser zu halten,
die er ergattern konnte.
Alles, was ich besitze, ist an die verdammte Bank von New South
Wales verpfändet - bis auf mein Pferd. Aber was soll's! Solange Jenny
bei mir ist, nehme ich es mit der ganzen Welt auf.
Er kratzte sich den stoppeligen rotblonden Bart, den er sich in
den letzten Monaten hatte stehen lassen. Bevor er Jenny gegenübertrat,
würde er sich rasieren müssen. Wenn er bei früheren
Wiedersehen darauf gebrannt hatte, sie zu küssen, war sie ihm
ausgewichen. Hatte ihm gesagt, er solle sich erst einmal waschen,
ehe er es wagte, sich an ihren Tisch zu setzen. Jake lächelte schief
bei der Erinnerung. Tisch? Jesses, eigentlich will ich sie nur ins Bett
kriegen!
Nicht zum ersten Mal fuhr er angesichts seines Dilemmas innerlich
zusammen. Doch Horatio konnte er erzählen, was kein
anderer je hören durfte.
»Als Junggeselle lagen mir alle Mädchen im Red Brumby zu
Füßen. Das Schlimme ist, dass anständige Frauen anders sind ...
Im Kampf mit einem Mann schlage ich mich wacker, doch bei ihr
verpufft meine Energie wie ein feuchter Feuerwerksknaller in der
Guy-Fawkes-Nacht.«
Er sagte sich, dass Jenny genau wissen musste, wie sehr er jeden
verdammten Zoll an ihr liebte, doch der Gedanke war kein echter
Trost. Seine Leistung in der Nacht vor dem Aufbruch verfolgte
ihn immer noch. Er hatte sie mit einer ganz besonderen Erinnerung
verlassen wollen, die sie beide durch die vor ihnen liegenden
Monate der Trennung tragen sollte, ihr jenen verträumten, befriedigten
Ausdruck schenken wollen, den er von anderen Frauen
kannte. Einen Blick, den er bei Jenny nie gesehen hatte.
Warum war seine Liebe zu Jenny so ein Problem, wenn er
doch so viel davon zu verschenken hatte?
Jake drückte sich den Schlapphut fester in die Stirn, ließ die
Sydney Road hinter sich und trieb Horatio im Galopp nach Hause.
Der Wind peitschte sein langes rotgoldenes Haar. Es abzuschneiden
war das Einzige, was er rundheraus ablehnte, obwohl
es Jenny gefallen hätte. Es war das Markenzeichen der hier geborenen
Männer, im Unterschied zu den kahl rasierten Schädeln der
Strafgefangenen und den militärischen Kurzhaarschnitten der sogenannten
Sterling, die sich rühmten, echte Engländer zu sein.
Kein Mensch sollte Jake Andersen je für etwas anderes als einen
»Currency Lad« halten, einen von hier.
Bei seinem Ritt durch den Busch lasen Jakes Augen die Landschaft
wie eine Karte.
»Die verdammten Kerle in Whitehall bilden sich ein, dass sie
von der anderen Seite des Globus aus die ganze Welt beherrschen,
Horatio, aber sie können ihre Union Jacks hissen und New
South Wales zu britischem Territorium erklären, solange sie wollen.
Für mich zählt das nicht. Es ist mein Land.«
Bei Feagans Krämerladen in einem schäbigen Dorf namens
Bolthole Valley machte Jake Rast, um seinen Tabakbeutel aufzufüllen.
Wie immer war der junge Ladenbesitzer Matthew Feagan
damit beschäftigt, den neuesten Klatsch und Tratsch zu verbreiten.
Er holte kaum Luft, während er die Ware abwog und den
Kunden das Wechselgeld herausgab.
»George Hobson hat in ein Wespennest gestochen mit seinen
Plänen für die Ironbark Farm. Stammt bestimmt alles von seinem
Partner, einem jüdischen Anwalt namens Bloom, der nichts als
Flausen im Kopf hat, wenn du mich fragst. Lauter neumodisches
Zeug. Er will die Schafe so schlachten, dass sie kurz und schmerzlos
sterben! Er will ein Schulhaus für die Sprösslinge der Farmer
in Ironbark. Und er will neue Hütten für die Strafgefangenen
bauen, die man Hobson zugewiesen hat, damit sie so was wie Privatsphäre
haben. Jetzt sagst du nichts mehr, oder?«
Feagan beugte sich zu Jake herüber und senkte vertraulich die
Stimme. »Du weißt ja, wie die Deutschen sind. Sie glauben, sie
hätten die Welt besser im Griff als wir Briten.«
»Hey! Ich bin einer von hier, Kumpel«, gab Jake automatisch
zurück.
»Tja, ist doch fast dasselbe«, setzte Feagan großzügig hinzu. Er
reichte Jake seinen Tabak und schenkte ihm ein liebenswürdiges
Lächeln. »Soll ich diesmal wieder auf dich setzen?«
Jake drehte sich auf der Türschwelle um. »Was meinst du?«
»Sag bloß, du weißt es noch nicht? Es geht um das höchste
Preisgeld, das je in den Kolonien ausgesetzt wurde.«
»Ein Faustkampf? Wo?«
Vor dem Laden warf Jake im Geiste eine Münze. Dann beschloss
er, einen raschen Abstecher nach Tagalong zu machen,
um seinen Kumpel Mac Mackie aufzusuchen. Diese unverhoffte
Gelegenheit, zu Geld zu kommen, konnte er sich unmöglich entgehen
lassen. Wer hat, dem wird gegeben.
»Du hast dir was zu trinken verdient, Horatio. Und ich würde
nicht nein zu einem Albion Ale sagen.«
Jake nahm die Abkürzung durch Ironbark, um ein paar Meilen
einzusparen. Die kleine Kapelle auf dem Hügel überblickte eine
Schar von ärmlichen Farmen, deren Koppeln von der Dürre gezeichnet
waren, und die Schafe sahen aus, als müssten sie sich wieder
einmal richtig satt fressen. Die Hütten dieser Siedler waren
alt, und das Eisenrindenholz, aus dem sie bestanden, war zu einem
ausgebleichten Grau verwittert, doch Jake wusste, dass es widerstandsfähig
genug war, um ihre Besitzer zu überdauern.
In der Ferne erstreckte sich das ursprüngliche Anwesen,
George Hobsons Ironbark Farm. Das Wohnhaus in der Mitte war
von weiß gekalkten Farmgebäuden und Sträfl ingshütten fl ankiert.
Jake überraschte der Kontrast zwischen der Ironbark Farm und
den Farmen der Siedler nicht. Hobsons großes Anwesen wirkte
grün und fruchtbar und wurde von einem Netzwerk kleiner Bäche
durchzogen. Von Feagans angekündigten »verrückten Veränderungen
« keine Spur.
Jake ritt durch den Wald aus Eukalyptusbäumen im Süden
des Dorfs und bog erst ab, als Tagalong in Sicht kam. Er wusste,
dass der armselige Flecken von einer bunten Mischung ehemaliger
Strafgefangener und wegen guter Führung aus der Haft entlassener
Sträflinge, alle irisch-katholischen Glaubens, fast über
Nacht aus dem Boden gestampft worden war. Die Siedlung war
so neu, dass sie noch auf keiner Karte verzeichnet war; da sie aber
an der Kreuzung vier verschiedener Straßen lag, hatte sie gute
Aussichten, Besucher aus allen Himmelsrichtungen anzulocken.
Zur Sonntagsmesse ebenso wie zum Faustkampf.
Beglückt betrachtete Jake das an einen Baum angebrachte Plakat.
Es zeigte einen kräftigen Boxer, der sich den Union Jack auf
die Brust hatte tätowieren lassen. Mit einiger Mühe las er den
Text. Ein englischer Faustkämpfer namens Bulldog Kane befand
sich auf Tournee durch die Kolonien und versprach dem Ersten,
der ihn bezwang, eine hohe Prämie. Bisher hatte es noch niemand
geschafft, ihn zu schlagen. Das Datum für den Wettkampf
in Tagalong war auf den ersten Sonntag des kommenden Monats
festgesetzt.
Jake ritt auf die halb fertige Kapelle von Tagalong zu. Die
Steinwände öffneten sich auf einer kahlen Wiese gen Himmel;
das Ganze wirkte wie eine katholische Oase innerhalb der protestantischen
Landschaft.
Das Gesicht mit dem struppigen Bart in der Öffnung, die für
das zukünftige Buntglasfenster vorgesehen war, kannte er. Mac
Mackie grinste ihm breit zu und schlich sich aus der Kirche, noch
während der Klingelbeutel herumging.
Auch Mac war ein Currency, einer von hier, und trug sein Haar
lang, doch der Bart war eine Dauereinrichtung. Er winkte Jake,
ihm zum Australia Arms zu folgen.
»Ich dachte, es hätte sonntags geschlossen«, sagte Jake.
»Für mich nicht, Kumpel.«
Mac kam mit einem Arm voll Flaschen wieder und führte Jake
zu seiner Holzhütte. Es gab nur einen Raum; der Boden bestand
aus festgestampftem Lehm, die Innenwände waren mit Zei-
tungen verkleidet. In einer Ecke stand ein ungemachtes Feldbett.
Schmutzige Blechteller stapelten sich auf dem Tisch. Macs
Gastfreundschaft war legendär. Er schob die Teller einfach zur
Seite, sodass sie scheppernd zu Boden fielen. Dann stellte er die
Flaschen auf den Ehrenplatz neben zwei Becher aus Blech und
zog mit einer einladenden Handbewegung eine Bank an den
Tisch.
Das erste Ale trank Jake gegen den Durst in einem Zug, das
zweite genoss er.
»Ahhh! Es gibt kein besseres Bier als Albion Ale. Kalt wie ein
Bach im Schnee!«
»Unser Kneipenwirt ist der einzige Protestant im Ort, aber
mächtig beliebt«, sagte Mac.
Jake war nicht überrascht. »Kein Wunder, ich bin nämlich hinter
sein Geheimnis gekommen. Er hält das Zeug in einem Brunnen
in seinem Keller kühl.«
»Typisch für dich, dass du das rausgekriegt hast.« Mac warf
Jake seinen typischen weisen Eulenblick zu. »Na los, raus mit der
Sprache. Was liegt dir auf der Seele?«
Jake zuckte die Achseln. »Nichts, was sich nicht mit Geld regeln
ließe. Wie steht es mit diesem Preisgeld, das Kane ausgesetzt
hat? Womit muss ich rechnen?«
Macs erhobene Brauen zeigten, dass Jake ins Schwarze getroffen
hatte. »Bulldog Kane ist ein Profi aus dem Londoner East
End. Du weißt, was das heißt. Ein richtiger Kämpfertyp, hart wie
Stahl und mit allen Wassern gewaschen.«
An der offenen Tür klopfte es. Father Declans Besuch schien
Mac nicht zu verwundern. Mac reichte dem Priester einen Becher
Whisky und stellte ihn Jake vor.
»Ich gehe davon aus, dass du nicht dem wahren Glauben angehörst,
Jakob, stimmt's?« Father Declan schien die Antwort zu
kennen, noch ehe er seine Frage gestellt hatte.
»Ma glaubt ja. Sie ist irisch-katholisch. Pa ist norwegisch-lutherisch.
Ich selbst bin eher so etwas wie ein Atheist. Ich glaube
nur an drei Dinge: an den guten Ruf meiner Frau, Albion Ale und
den unfehlbaren Orientierungssinn meines Pferdes. Nichts für
ungut, Father.«
»Schon gut, mein Sohn. Ich heiße Dennis.« Er kippte seinen
Whisky in einem Zug. »Mac hat mir erzählt, dass du ein ausgezeichneter
Kämpfer bist.«
Jake übte sich in Bescheidenheit. »An guten Tagen schlage ich
mich nicht übel.«
Father Declan beugte sich vor. »Dann wirst du dich mit Bulldog
Kane messen?«
Jake zögerte, als ihm einfi el, dass manchen Religionen Arbeit
oder Sport am Sabbat ein Dorn im Auge waren. »Ja, Father. Ist
das schlimm?«
»Schlimm? Ich bin der Schiedsrichter! Und wir sammeln Geld
für ein Dach auf meiner Kirche. Auf alle Wetten wird eine Abgabe
erhoben. Daher sollte man sich lieber nicht lumpen lassen, wenn
der Hut herumgeht. Also, trittst du an, mein Junge?«
»Ihr könnt auf mich zählen«, sagte Jake.
Mac füllte erneut Father Declans Becher.
»Ein guter Tropfen, Mac. Aber sonntags? Sieh zu, dass du das
bei der nächsten Beichte nicht vergisst. Doch einstweilen wollen
wir auf den Kampf im nächsten Monat anstoßen. Ich setze auf
dich, Jakob!«
Als Jake am Tor seiner Farm ankam, zeigte sich bereits der erste
rosa Schimmer der Morgendämmerung am nächtlichen Himmel
- ein unheimlicher Moment. So sah die Generalprobe für
den Sonnenaufgang im Busch aus. Currawongs und Kookaburras
hatten ihren morgendlichen Gesang noch nicht angestimmt.
Im Garten blühten ein paar englische Herbstblumen, doch Jake
fiel auf, dass er gejätet werden musste. Und die Rindenholz wände
von Wallys gunyah lagen am Boden, als hätte ein Sturm sie erst
vor Kurzem umgefegt.
Jake nahm Horatio den Sattel ab, führte ihn zur Tränke und
trat durch die Vordertür ins Haus. Seine Geschenke legte er auf
den Küchentisch, um sie Jenny beim Frühstück zu überreichen.
Dann seifte er sich das Gesicht ein und rasierte sich vor dem
Spiegel den Bart ab.
Schließlich konnte er seinem Verlangen, Jenny mit einem
Kuss zu wecken, nicht länger widerstehen und stahl sich leise die
Treppe hinauf am Kinderzimmer vorbei, wo Mrs. Troy mit Pearl
schlief.
Das eheliche Schlafzimmer war tadellos aufgeräumt, die Vorhänge
zugezogen, doch ein Streifen Sonne fiel über den spitzen-
verzierten Bettüberwurf. Auf dem Kopfkissen lag ein Umschlag.
Die Worte des Briefes sackten nur langsam in sein Bewusstsein
ein.
Lieber Jakey,
ich verlasse Dich, um ein neues Leben zu beginnen. Ich weiß, wie
sehr Du versucht hast, mich glücklich zu machen, aber ich kann
nicht mehr so tun, als liebte ich Dich, so wie Du es verdienst. Dies
ist die beste Lösung für uns beide. Mach Dir keine Sorgen um
Pearl. Ich bin in Begleitung von jemandem, der uns immer be-
schützen wird.
Deine Jenny
PS: Ich habe Wally nach Hause zu seinen Leuten geschickt -
und ihm Flash mitgegeben.
Der Brief war erst vor zwei Tagen datiert worden.
Jake schwankte. Die Beine, auf denen er sonst durch den Boxring
tänzelte, waren jetzt nicht mehr im Stande, ihn auch nur einen
Schritt weiterzutragen. Er setzte sich auf die Bettkante und
vergrub das Gesicht in den Händen. Unzählige Fragen schwirrten
ihm durch den Kopf. Kenne ich den Kerl? Wo bringt er sie hin? Sie
haben nur zwei Tage Vorsprung, aber in welche verdammte Richtung?
In der Hoffnung, seine kleine Prinzessin schlafend zu finden,
rannte er ins Kinderzimmer. Pearls Bett war so ordentlich ge-
macht, als hätte noch nie jemand darin geschlafen. Mrs. Troys
Strohmatratze war abgezogen worden.
Er durchwühlte sämtliche Schränke auf der Suche nach einem
Hinweis, dass Jenny gezwungen worden war, den Brief zu schreiben,
oder dass ein Buschräuber sie entführt hatte. Nur ein einziger
Koffer fehlte. Drei leere Bügel hingen als stumme Zeugen
dafür da, dass Jenny lediglich ihr bestes Sonntagskleid für sich
und ein paar Kleidungsstücke für Pearl mitgenommen hatte.
Die Puppen seiner Tochter saßen in Reih und Glied auf der
Spielzeugkiste. Auf ihren bemalten Gesichtern lag ein grausames
Lächeln, als machten sie sich über seinen Schmerz lustig.
Und dann sah er ihn. Jennys Ehering. Das kleine Gegenstück
zu seinem eigenen mit ihren eingravierten Namen und dem
Hochzeitsdatum. Wie versteinert hielt er den Ring in der Handfläche
und las die Inschrift. 5. Mai 1833 - Jakob und Jenny - in ewiger
Liebe.
Ewig? Nicht mal vier Jahre hat sie überdauert!
Blind vor Wut schleuderte Jake den Ring durchs Zimmer und
schlug mit der Faust gegen die Wand, sodass der Spiegel zerbarst
und sein Ebenbild in scharfkantige Splitter zerlegt wurde. Am
Fuß der Treppe blieb er plötzlich wie versteinert stehen, als er
sich an Jennys Worte nach seinem letzten Versagen im Bett erinnerte.
»Stell mich nicht auf einen Sockel.«
Jesses! Wusste sie da bereits, dass sie mich verlassen würde? War dieser
Mistkerl schon damals Teil ihres Lebens? Die Erinnerung an ihren
rituellen Abschied zerriss ihm jetzt das Herz. »Wirst du mich
immer und ewig lieben, Jakey?«
Jake hatte das Gefühl, als zögen sich die Mauern um ihn herum
zusammen. Gestern noch hatte er alles besessen, was ihm
wichtig war. Heute - nichts mehr. Jenny hatte geschafft, was keinem
Mann jemals gelingen würde: Sie hatte seine Welt zerstört.
In diesem Moment schwor er, keiner Frau jemals wieder so viel
Macht über sich einzuräumen wie Jenny.
Er schlug die Haustür hinter sich zu und kehrte dem Familien
leben für immer den Rücken. Sollte die verdammte Bank von
New South Wales seine Farm übernehmen und alles, was ihm
gehörte. Draußen im Sonnenschein erschien ihm die ganze Welt
plötzlich grau. Aller Farben beraubt. Unwirklich. Zeit und Raum
waren zerbrochen.
Er sattelte Horatio und galoppierte nach Parramatta, um Anzeige
bei der Polizei zu erstatten. Was, zum Teufel, sollte er angeben?
Vermisst. Eine Frau mit Kind, in Begleitung. Zuletzt gesehen in
Begleitung eines Unbekannten.
Als er Horatios Zügel um das Geländer vor der Polizeistation
schlang, bemerkte Jake plötzlich, dass er die Taschenpistole in der
Hand hielt. Er hatte Jenny beigebracht, wie sie sich in seiner Abwesenheit
schützen konnte. Trotzdem war irgendein Mistkerl unter
seinem Schutzschild hindurchgeschlüpft. Jake drückte auf die
Feder, sodass die verborgene Klinge heraussprang und die Waffe
sich in einen Dolch verwandelte.
»Gott steh dir bei, du Hund, ich werde dich jagen, bis ich dich
zur Strecke gebracht habe.«
ZWEI
Keziah Stanley warf einen verstohlenen Blick durch den Ein-
gang ihres Vardo. Die anderen Wohnwagen bildeten eine Wa-
genburg um das Roma-Lager am Rand des eigentlichen Dorfes.
Gerade brach das erste Tageslicht durch den Dunst. Pferde wie-
deten friedlich am Flussufer. Einzelne Rauchschwaden stiegen
aus der Glut der kleinen Feuer, die am vergangenen Abend inmit-
ten der jeweiligen Familienclans gebrannt hatten.
Hinter Keziah erhoben sich die fernen Berge ihres Geburts-
ortes in der Clywdian Range von North Wales. Vor ihr lag die
Cheshire-Route nach Liverpool. Heute war ein Meilenstein er-
reicht - ihr siebzehnter Geburtstag - der Tag, an dem sie nicht
länger unter der Herrschaft ihrer Schwiegermutter Patronella
stehen würde.
Letzte Nacht hatte Keziah sich, wie immer mit dem geliebten
Gesicht ihres Mannes vor Augen und im Herzen, in den Schlaf
geweint. Gem schmachtete als Gefangener in irgendeinem Loch,
Gott weiß wo, doch die Erinnerung an ihre Umarmungen war so
lebendig, als hätte er die ganze Nacht mit ihr verbracht.
Keziah erstarrte, als sie Gems Eltern im vardo nebenan hörte.
Anders als Patronella war ihr Schwiegervater mit dem Alter to
leranter geworden. Keziah hörte, wie er schlaftrunken mit seiner
Frau schimpfte.
»Heute ist ihr Geburtstag. Sei nicht so streng mit der Kleinen,
Patronella. Es ist doch ganz natürlich, dass sie Sehnsucht nach
unserem Sohn hat. Meine Mutter sagte immer: So wie die Stute
nach der Straße, so sehnt sich eine junge Frau nach dem Mann
in ihrem Bett.«
»Ja, aber jetzt, da Gem im Gefängnis sitzt, könnte es jeder hergelaufene
Kerl sein.«
Keziah tröstete sich damit, dass es die letzte Beleidigung war,
die sie ertragen müsste. Heute würde sie auf ihr baxt vertrauen
und den geliebten vardo verlassen, den Gem für sie gebaut hatte,
bevor man ihn vor Gericht gestellt hatte. Die Anklage lautete auf
Pferdediebstahl, und für ein Mitglied des fahrenden Volkes stand
das Urteil bereits fest: schuldig. Dasselbe galt für die Strafe: Deportation
nach New South Wales. Keziah wusste, dass er leicht
vierzehn Jahre hätte bekommen können oder sogar lebenslänglich.
Unschuldig oder nicht, die milde Strafe von sieben Jahren
war kein Trost für Keziah.
Sie klammerte sich an die Erinnerung, wie Gem aus dem Gerichtssaal
geführt worden war und unerschrocken gerufen hatte:
»Keziah! Kein Gericht auf der Welt hat die Macht, mich von dir zu
trennen!«
Sie hatte sich geschworen, seine Worte wahr werden zu lassen.
Jetzt schnürte sie ihre Habseligkeiten zu einem Bündel zusammen:
die Tarotkarten, Kleider zum Wechseln, einen warmen
Schal und mehrere Kopftücher, um ihren Status als verheiratete
Roma-Frau deutlich zu machen. Sie trug zwei Röcke und einen
roten Unterrock übereinander, um sie nicht schleppen zu müssen,
und dazu eine mit ausländischen Goldmünzen gesäumte, bis
obenhin zugeknöpfte Männerweste über der Bluse, ein Zeugnis
für die Flucht ihrer Vorfahren quer durch Europa.
Sie war schon halb über den offenen Platz zur Straße nach
Liverpool, als Patronellas Stimme die Stille des frühen Morgens
zerriss. Keziah lief mit großen Schritten weiter, gefolgt von Patronella.
Die grauen Zöpfe der älteren Frau tanzten in der Luft, als sie
Keziah mit einem triumphierenden Schrei an den Haaren packte.
Keziah kämpfte ihre Angst nieder und konzentrierte sich innerlich
auf Gems Gesicht.
»Ich gehe fort, Patronella. Ich gehöre zu Gem, und ich werde
ihn finden.«
Patronella ließ einen Schwall von Beschimpfungen los, gegen
die Keziah sich nicht zu wehren wusste. Patronella hasste sie, weil
sie in ihr eine Rivalin um Gems Liebe sah. Von dem Geschrei
aufgeschreckt krochen jetzt Männer, Frauen und Kinder unter
den Rädern ihrer vardos oder aus den Hecken hervor, wo sie die
Nacht verbracht hatten. Die älteren Frauen stachelten Patronella
an, Keziah zur Räson zu bringen. Die Männer waren vorsichtiger,
aus Respekt vor Gem.
Keziah bemerkte Ivanos prüfenden Blick und schlug ehrfurchtsvoll
die Augen nieder. Er war Gems Vater. Sie war ihm unendlich
dankbar, als er seine Frau mit ruhiger Stimme zurechtwies.
»Genug! Lass die Kleine ziehen und gib ihr deinen Segen.«
»Segen - von wegen! Mein Gem kann froh sein, dass er sie los
ist. Eine unfruchtbare Frau tut keinem Mann gut.«
Keziah zuckte zusammen. Die Anspielung darauf, dass sie als
Ehefrau versagt hatte, schmerzte wie ein Stich ins Herz, doch sie
blieb stumm.
»Siehst du, was für eine Schlange sie ist? Ihr ist es egal, was aus
ihrer Schwiegermutter wird!« Patronella spielte nervös mit den
Goldmünzen an ihrer eigenen Weste herum, ohne sich der Ironie
der Geste bewusst zu sein.
Jahrelang hatte Keziah ihr Respekt gezollt, jetzt aber verlor sie
die Geduld.
»Sei ehrlich! Du hast nur Angst, das Geld zu verlieren, das ich
der Familie einbringe.« Sie drückte der Alten eine Silbermünze
in die Hand. »Hier! Damit kannst du dein Essen bezahlen, bis
eins der Kinder das Tarot lernt und du in demselben Luxus leben
kannst wie ich.«
»Pah! Deine Wahrsagerei taugt zu nichts!« Patronella spuckte
vor ihr aus. »Nur die leichtgläubigen gaujo sind dumm genug, auf
deine Lügen hereinzufallen.«
»Ich lüge niemals«, schrie Keziah sie an.
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das FSC®-zertifi zierte Papier Super Snowbright für dieses Buch
liefert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.
Page & Turner Bücher erscheinen im
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2009
by Johanna Nicholls
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Page &Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Published by Arrangement with Johanna Nicholls
Dieses Werk wurde vermittelt
durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Redaktion: Kerstin von Dobschütz
Gesetzt aus der Janson-Antiqua
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN: 978-3-442-20348-2
www.pageundturner-verlag.de
ment an der Tür des Schlafzimmers stehen geblieben. Bei Jennys
Anblick, den über den Kopf liegenden Armen, der Wölbung der
Brüste unter der zarten Spitze ihres Nachthemds, war ihm der
Atem gestockt. Ihr goldenes Haar breitete sich über das Kopfkissen
aus wie das einer unter Wasser schwebenden Meerjungfrau.
Durch den Schleier ihres Haars hatte Jenny scherzhaft die rituellen
Abschiedsworte gemurmelt: »Wirst du mich immer und
ewig lieben, Jakey?«
Seine Antwort war wie immer ernst gemeint. Und nun, auf
dem Weg nach Hause, wiederholte er sie stumm. »Bis ans Ende
aller Tage und noch darüber hinaus, Jenny.«
Jake wusste, dass er nie aufgebrochen wäre, wenn er sie in dem
Moment geküsst hätte. Doch er hatte keine Wahl gehabt. Er hätte
es sich nicht leisten können, Ogdens Angebot, eine Rinderherde
nach Süden zu treiben, auszuschlagen. An diesen Augenblick, kurz
bevor er das Haus verlassen hatte, musste er jetzt denken.
Im Flur hatte er ein leises Flüstern gehört und sich umgedreht.
Auf dem Treppenabsatz stand die kleine Pearl, barfuß in ihrem
Nachthemd, die kurzen O-Beinchen fest in den Boden gestemmt.
Das blonde Haar rahmte ihr sonniges Lächeln ein, als sie
die Arme ausstreckte und einen Schritt nach vorn machte. Jake
war gerade noch rechtzeitig hinaufgesprungen, um ihren Sturz
aufzufangen.
»Du musst warten, bis du ein großes Mädchen bist, bevor du
allein die Treppen hinuntergehst, Prinzessin.«
Er hatte sie auf den Scheitel geküsst, während ihr kleiner Hund
Flash ihr das Gesicht leckte. Pearl hatte eine von Jakes langen
Haarlocken sanft hinter sein Ohr zurückgesteckt, wie sie es oft
tat. Er hatte sie wieder in ihr Kinderzimmer unterm Dach gebracht
und versprochen, ihr bei seiner Rückkehr eine neue Puppe
mitzubringen ...
Jake warf einen Blick auf seine Satteltasche und stellte sich vor,
wie sie sich über seine Geschenke freuen würden. Sogar für Jennys
Mutter hatte er etwas dabei.
Bei dem Gedanken an Mrs. Tory verdüsterte sich seine Mie-
ne. Um sie gütlich zu stimmen, braucht es mehr als eine Kiste Zuckerpfläumchen.
Die alte Hexe lässt mich nie vergessen, dass Jenny unter
ihren Möglichkeiten geheiratet hat. Wegen meines »doppelten Makels«,
weil Ma und Pa beide Strafgefangene waren. Trotzdem hat sie mir den
Gefallen getan, auf meine beiden Hübschen aufzupassen, und deshalb
werde ich den Mund halten.
Während Jake die Sydney Road entlangritt, fragte er sich, wie
es Jenny während seiner Abwesenheit ergangen sein mochte. Die
Beete in ihrem heiß geliebten Garten hinter der Hütte mussten
mittlerweile in voller Blüte stehen. Jake hatte sie mit englischen
Blumen bepflanzt, um sie an ihre Jugend in Devon zu erinnern. Er
malte sich aus, wie Pearl und Flash im Garten herumtollten und
sie mit einem Auge auf das Gartentor schielte, wo sie ihn erwartete.
Während des gesamten Trecks hatte Jake seine Ängste beschwichtigt
und sich immer wieder vor Augen geführt, dass er alles
für ihre Sicherheit getan hatte. Er hatte Jenny beigebracht, wie
sie im Notfall mit der kleinen Taschenpistole umgehen muss te.
Auf den Eingeborenen Wally, seinen alten Kumpel aus Kindertagen,
konnte er sich verlassen; er würde die Farm in Ordnung
halten. Und seine Schwiegermutter würde Jenny keine Sekunde
aus den Augen lassen.
Jakes Lohn für die langen, einsamen Monate war ein Schuldschein,
den er sicherheitshalber in seinem Stiefel versteckt hatte.
Er klopfte sich auf die Westentasche, um sich zu vergewissern,
dass die Hand voll Münzen und die alte Uhrkette noch da waren,
für den Fall, dass ihm ein Buschräuber aufl auern sollte.
Er zauste die struppige Mähne des Hengstes, den er nach dem
Helden seiner Kindheit, Lord Nelson, getauft hatte.
»Geld, Horatio. Geld regiert die Welt, was? Wir hatten es
nicht einfach im letzten Jahr, aber 1837 wird alles besser! Dieses
Jahr werden wir reich, du wirst schon sehen!«
Laut ausgesprochen klangen die Worte hohl. Obgleich er fast
dreiundzwanzig war, hatte Jake noch nicht herausgefunden, für
welche Arbeit er am besten taugte. Was ihn am meisten reizte, war
das Preisgeld, das dem Gewinner im Faustkampf winkte, doch
zwischen den Wettkämpfen blieb ihm nichts anderes übrig, als
seine kleine Farm mit jeder Art von Arbeit über Wasser zu halten,
die er ergattern konnte.
Alles, was ich besitze, ist an die verdammte Bank von New South
Wales verpfändet - bis auf mein Pferd. Aber was soll's! Solange Jenny
bei mir ist, nehme ich es mit der ganzen Welt auf.
Er kratzte sich den stoppeligen rotblonden Bart, den er sich in
den letzten Monaten hatte stehen lassen. Bevor er Jenny gegenübertrat,
würde er sich rasieren müssen. Wenn er bei früheren
Wiedersehen darauf gebrannt hatte, sie zu küssen, war sie ihm
ausgewichen. Hatte ihm gesagt, er solle sich erst einmal waschen,
ehe er es wagte, sich an ihren Tisch zu setzen. Jake lächelte schief
bei der Erinnerung. Tisch? Jesses, eigentlich will ich sie nur ins Bett
kriegen!
Nicht zum ersten Mal fuhr er angesichts seines Dilemmas innerlich
zusammen. Doch Horatio konnte er erzählen, was kein
anderer je hören durfte.
»Als Junggeselle lagen mir alle Mädchen im Red Brumby zu
Füßen. Das Schlimme ist, dass anständige Frauen anders sind ...
Im Kampf mit einem Mann schlage ich mich wacker, doch bei ihr
verpufft meine Energie wie ein feuchter Feuerwerksknaller in der
Guy-Fawkes-Nacht.«
Er sagte sich, dass Jenny genau wissen musste, wie sehr er jeden
verdammten Zoll an ihr liebte, doch der Gedanke war kein echter
Trost. Seine Leistung in der Nacht vor dem Aufbruch verfolgte
ihn immer noch. Er hatte sie mit einer ganz besonderen Erinnerung
verlassen wollen, die sie beide durch die vor ihnen liegenden
Monate der Trennung tragen sollte, ihr jenen verträumten, befriedigten
Ausdruck schenken wollen, den er von anderen Frauen
kannte. Einen Blick, den er bei Jenny nie gesehen hatte.
Warum war seine Liebe zu Jenny so ein Problem, wenn er
doch so viel davon zu verschenken hatte?
Jake drückte sich den Schlapphut fester in die Stirn, ließ die
Sydney Road hinter sich und trieb Horatio im Galopp nach Hause.
Der Wind peitschte sein langes rotgoldenes Haar. Es abzuschneiden
war das Einzige, was er rundheraus ablehnte, obwohl
es Jenny gefallen hätte. Es war das Markenzeichen der hier geborenen
Männer, im Unterschied zu den kahl rasierten Schädeln der
Strafgefangenen und den militärischen Kurzhaarschnitten der sogenannten
Sterling, die sich rühmten, echte Engländer zu sein.
Kein Mensch sollte Jake Andersen je für etwas anderes als einen
»Currency Lad« halten, einen von hier.
Bei seinem Ritt durch den Busch lasen Jakes Augen die Landschaft
wie eine Karte.
»Die verdammten Kerle in Whitehall bilden sich ein, dass sie
von der anderen Seite des Globus aus die ganze Welt beherrschen,
Horatio, aber sie können ihre Union Jacks hissen und New
South Wales zu britischem Territorium erklären, solange sie wollen.
Für mich zählt das nicht. Es ist mein Land.«
Bei Feagans Krämerladen in einem schäbigen Dorf namens
Bolthole Valley machte Jake Rast, um seinen Tabakbeutel aufzufüllen.
Wie immer war der junge Ladenbesitzer Matthew Feagan
damit beschäftigt, den neuesten Klatsch und Tratsch zu verbreiten.
Er holte kaum Luft, während er die Ware abwog und den
Kunden das Wechselgeld herausgab.
»George Hobson hat in ein Wespennest gestochen mit seinen
Plänen für die Ironbark Farm. Stammt bestimmt alles von seinem
Partner, einem jüdischen Anwalt namens Bloom, der nichts als
Flausen im Kopf hat, wenn du mich fragst. Lauter neumodisches
Zeug. Er will die Schafe so schlachten, dass sie kurz und schmerzlos
sterben! Er will ein Schulhaus für die Sprösslinge der Farmer
in Ironbark. Und er will neue Hütten für die Strafgefangenen
bauen, die man Hobson zugewiesen hat, damit sie so was wie Privatsphäre
haben. Jetzt sagst du nichts mehr, oder?«
Feagan beugte sich zu Jake herüber und senkte vertraulich die
Stimme. »Du weißt ja, wie die Deutschen sind. Sie glauben, sie
hätten die Welt besser im Griff als wir Briten.«
»Hey! Ich bin einer von hier, Kumpel«, gab Jake automatisch
zurück.
»Tja, ist doch fast dasselbe«, setzte Feagan großzügig hinzu. Er
reichte Jake seinen Tabak und schenkte ihm ein liebenswürdiges
Lächeln. »Soll ich diesmal wieder auf dich setzen?«
Jake drehte sich auf der Türschwelle um. »Was meinst du?«
»Sag bloß, du weißt es noch nicht? Es geht um das höchste
Preisgeld, das je in den Kolonien ausgesetzt wurde.«
»Ein Faustkampf? Wo?«
Vor dem Laden warf Jake im Geiste eine Münze. Dann beschloss
er, einen raschen Abstecher nach Tagalong zu machen,
um seinen Kumpel Mac Mackie aufzusuchen. Diese unverhoffte
Gelegenheit, zu Geld zu kommen, konnte er sich unmöglich entgehen
lassen. Wer hat, dem wird gegeben.
»Du hast dir was zu trinken verdient, Horatio. Und ich würde
nicht nein zu einem Albion Ale sagen.«
Jake nahm die Abkürzung durch Ironbark, um ein paar Meilen
einzusparen. Die kleine Kapelle auf dem Hügel überblickte eine
Schar von ärmlichen Farmen, deren Koppeln von der Dürre gezeichnet
waren, und die Schafe sahen aus, als müssten sie sich wieder
einmal richtig satt fressen. Die Hütten dieser Siedler waren
alt, und das Eisenrindenholz, aus dem sie bestanden, war zu einem
ausgebleichten Grau verwittert, doch Jake wusste, dass es widerstandsfähig
genug war, um ihre Besitzer zu überdauern.
In der Ferne erstreckte sich das ursprüngliche Anwesen,
George Hobsons Ironbark Farm. Das Wohnhaus in der Mitte war
von weiß gekalkten Farmgebäuden und Sträfl ingshütten fl ankiert.
Jake überraschte der Kontrast zwischen der Ironbark Farm und
den Farmen der Siedler nicht. Hobsons großes Anwesen wirkte
grün und fruchtbar und wurde von einem Netzwerk kleiner Bäche
durchzogen. Von Feagans angekündigten »verrückten Veränderungen
« keine Spur.
Jake ritt durch den Wald aus Eukalyptusbäumen im Süden
des Dorfs und bog erst ab, als Tagalong in Sicht kam. Er wusste,
dass der armselige Flecken von einer bunten Mischung ehemaliger
Strafgefangener und wegen guter Führung aus der Haft entlassener
Sträflinge, alle irisch-katholischen Glaubens, fast über
Nacht aus dem Boden gestampft worden war. Die Siedlung war
so neu, dass sie noch auf keiner Karte verzeichnet war; da sie aber
an der Kreuzung vier verschiedener Straßen lag, hatte sie gute
Aussichten, Besucher aus allen Himmelsrichtungen anzulocken.
Zur Sonntagsmesse ebenso wie zum Faustkampf.
Beglückt betrachtete Jake das an einen Baum angebrachte Plakat.
Es zeigte einen kräftigen Boxer, der sich den Union Jack auf
die Brust hatte tätowieren lassen. Mit einiger Mühe las er den
Text. Ein englischer Faustkämpfer namens Bulldog Kane befand
sich auf Tournee durch die Kolonien und versprach dem Ersten,
der ihn bezwang, eine hohe Prämie. Bisher hatte es noch niemand
geschafft, ihn zu schlagen. Das Datum für den Wettkampf
in Tagalong war auf den ersten Sonntag des kommenden Monats
festgesetzt.
Jake ritt auf die halb fertige Kapelle von Tagalong zu. Die
Steinwände öffneten sich auf einer kahlen Wiese gen Himmel;
das Ganze wirkte wie eine katholische Oase innerhalb der protestantischen
Landschaft.
Das Gesicht mit dem struppigen Bart in der Öffnung, die für
das zukünftige Buntglasfenster vorgesehen war, kannte er. Mac
Mackie grinste ihm breit zu und schlich sich aus der Kirche, noch
während der Klingelbeutel herumging.
Auch Mac war ein Currency, einer von hier, und trug sein Haar
lang, doch der Bart war eine Dauereinrichtung. Er winkte Jake,
ihm zum Australia Arms zu folgen.
»Ich dachte, es hätte sonntags geschlossen«, sagte Jake.
»Für mich nicht, Kumpel.«
Mac kam mit einem Arm voll Flaschen wieder und führte Jake
zu seiner Holzhütte. Es gab nur einen Raum; der Boden bestand
aus festgestampftem Lehm, die Innenwände waren mit Zei-
tungen verkleidet. In einer Ecke stand ein ungemachtes Feldbett.
Schmutzige Blechteller stapelten sich auf dem Tisch. Macs
Gastfreundschaft war legendär. Er schob die Teller einfach zur
Seite, sodass sie scheppernd zu Boden fielen. Dann stellte er die
Flaschen auf den Ehrenplatz neben zwei Becher aus Blech und
zog mit einer einladenden Handbewegung eine Bank an den
Tisch.
Das erste Ale trank Jake gegen den Durst in einem Zug, das
zweite genoss er.
»Ahhh! Es gibt kein besseres Bier als Albion Ale. Kalt wie ein
Bach im Schnee!«
»Unser Kneipenwirt ist der einzige Protestant im Ort, aber
mächtig beliebt«, sagte Mac.
Jake war nicht überrascht. »Kein Wunder, ich bin nämlich hinter
sein Geheimnis gekommen. Er hält das Zeug in einem Brunnen
in seinem Keller kühl.«
»Typisch für dich, dass du das rausgekriegt hast.« Mac warf
Jake seinen typischen weisen Eulenblick zu. »Na los, raus mit der
Sprache. Was liegt dir auf der Seele?«
Jake zuckte die Achseln. »Nichts, was sich nicht mit Geld regeln
ließe. Wie steht es mit diesem Preisgeld, das Kane ausgesetzt
hat? Womit muss ich rechnen?«
Macs erhobene Brauen zeigten, dass Jake ins Schwarze getroffen
hatte. »Bulldog Kane ist ein Profi aus dem Londoner East
End. Du weißt, was das heißt. Ein richtiger Kämpfertyp, hart wie
Stahl und mit allen Wassern gewaschen.«
An der offenen Tür klopfte es. Father Declans Besuch schien
Mac nicht zu verwundern. Mac reichte dem Priester einen Becher
Whisky und stellte ihn Jake vor.
»Ich gehe davon aus, dass du nicht dem wahren Glauben angehörst,
Jakob, stimmt's?« Father Declan schien die Antwort zu
kennen, noch ehe er seine Frage gestellt hatte.
»Ma glaubt ja. Sie ist irisch-katholisch. Pa ist norwegisch-lutherisch.
Ich selbst bin eher so etwas wie ein Atheist. Ich glaube
nur an drei Dinge: an den guten Ruf meiner Frau, Albion Ale und
den unfehlbaren Orientierungssinn meines Pferdes. Nichts für
ungut, Father.«
»Schon gut, mein Sohn. Ich heiße Dennis.« Er kippte seinen
Whisky in einem Zug. »Mac hat mir erzählt, dass du ein ausgezeichneter
Kämpfer bist.«
Jake übte sich in Bescheidenheit. »An guten Tagen schlage ich
mich nicht übel.«
Father Declan beugte sich vor. »Dann wirst du dich mit Bulldog
Kane messen?«
Jake zögerte, als ihm einfi el, dass manchen Religionen Arbeit
oder Sport am Sabbat ein Dorn im Auge waren. »Ja, Father. Ist
das schlimm?«
»Schlimm? Ich bin der Schiedsrichter! Und wir sammeln Geld
für ein Dach auf meiner Kirche. Auf alle Wetten wird eine Abgabe
erhoben. Daher sollte man sich lieber nicht lumpen lassen, wenn
der Hut herumgeht. Also, trittst du an, mein Junge?«
»Ihr könnt auf mich zählen«, sagte Jake.
Mac füllte erneut Father Declans Becher.
»Ein guter Tropfen, Mac. Aber sonntags? Sieh zu, dass du das
bei der nächsten Beichte nicht vergisst. Doch einstweilen wollen
wir auf den Kampf im nächsten Monat anstoßen. Ich setze auf
dich, Jakob!«
Als Jake am Tor seiner Farm ankam, zeigte sich bereits der erste
rosa Schimmer der Morgendämmerung am nächtlichen Himmel
- ein unheimlicher Moment. So sah die Generalprobe für
den Sonnenaufgang im Busch aus. Currawongs und Kookaburras
hatten ihren morgendlichen Gesang noch nicht angestimmt.
Im Garten blühten ein paar englische Herbstblumen, doch Jake
fiel auf, dass er gejätet werden musste. Und die Rindenholz wände
von Wallys gunyah lagen am Boden, als hätte ein Sturm sie erst
vor Kurzem umgefegt.
Jake nahm Horatio den Sattel ab, führte ihn zur Tränke und
trat durch die Vordertür ins Haus. Seine Geschenke legte er auf
den Küchentisch, um sie Jenny beim Frühstück zu überreichen.
Dann seifte er sich das Gesicht ein und rasierte sich vor dem
Spiegel den Bart ab.
Schließlich konnte er seinem Verlangen, Jenny mit einem
Kuss zu wecken, nicht länger widerstehen und stahl sich leise die
Treppe hinauf am Kinderzimmer vorbei, wo Mrs. Troy mit Pearl
schlief.
Das eheliche Schlafzimmer war tadellos aufgeräumt, die Vorhänge
zugezogen, doch ein Streifen Sonne fiel über den spitzen-
verzierten Bettüberwurf. Auf dem Kopfkissen lag ein Umschlag.
Die Worte des Briefes sackten nur langsam in sein Bewusstsein
ein.
Lieber Jakey,
ich verlasse Dich, um ein neues Leben zu beginnen. Ich weiß, wie
sehr Du versucht hast, mich glücklich zu machen, aber ich kann
nicht mehr so tun, als liebte ich Dich, so wie Du es verdienst. Dies
ist die beste Lösung für uns beide. Mach Dir keine Sorgen um
Pearl. Ich bin in Begleitung von jemandem, der uns immer be-
schützen wird.
Deine Jenny
PS: Ich habe Wally nach Hause zu seinen Leuten geschickt -
und ihm Flash mitgegeben.
Der Brief war erst vor zwei Tagen datiert worden.
Jake schwankte. Die Beine, auf denen er sonst durch den Boxring
tänzelte, waren jetzt nicht mehr im Stande, ihn auch nur einen
Schritt weiterzutragen. Er setzte sich auf die Bettkante und
vergrub das Gesicht in den Händen. Unzählige Fragen schwirrten
ihm durch den Kopf. Kenne ich den Kerl? Wo bringt er sie hin? Sie
haben nur zwei Tage Vorsprung, aber in welche verdammte Richtung?
In der Hoffnung, seine kleine Prinzessin schlafend zu finden,
rannte er ins Kinderzimmer. Pearls Bett war so ordentlich ge-
macht, als hätte noch nie jemand darin geschlafen. Mrs. Troys
Strohmatratze war abgezogen worden.
Er durchwühlte sämtliche Schränke auf der Suche nach einem
Hinweis, dass Jenny gezwungen worden war, den Brief zu schreiben,
oder dass ein Buschräuber sie entführt hatte. Nur ein einziger
Koffer fehlte. Drei leere Bügel hingen als stumme Zeugen
dafür da, dass Jenny lediglich ihr bestes Sonntagskleid für sich
und ein paar Kleidungsstücke für Pearl mitgenommen hatte.
Die Puppen seiner Tochter saßen in Reih und Glied auf der
Spielzeugkiste. Auf ihren bemalten Gesichtern lag ein grausames
Lächeln, als machten sie sich über seinen Schmerz lustig.
Und dann sah er ihn. Jennys Ehering. Das kleine Gegenstück
zu seinem eigenen mit ihren eingravierten Namen und dem
Hochzeitsdatum. Wie versteinert hielt er den Ring in der Handfläche
und las die Inschrift. 5. Mai 1833 - Jakob und Jenny - in ewiger
Liebe.
Ewig? Nicht mal vier Jahre hat sie überdauert!
Blind vor Wut schleuderte Jake den Ring durchs Zimmer und
schlug mit der Faust gegen die Wand, sodass der Spiegel zerbarst
und sein Ebenbild in scharfkantige Splitter zerlegt wurde. Am
Fuß der Treppe blieb er plötzlich wie versteinert stehen, als er
sich an Jennys Worte nach seinem letzten Versagen im Bett erinnerte.
»Stell mich nicht auf einen Sockel.«
Jesses! Wusste sie da bereits, dass sie mich verlassen würde? War dieser
Mistkerl schon damals Teil ihres Lebens? Die Erinnerung an ihren
rituellen Abschied zerriss ihm jetzt das Herz. »Wirst du mich
immer und ewig lieben, Jakey?«
Jake hatte das Gefühl, als zögen sich die Mauern um ihn herum
zusammen. Gestern noch hatte er alles besessen, was ihm
wichtig war. Heute - nichts mehr. Jenny hatte geschafft, was keinem
Mann jemals gelingen würde: Sie hatte seine Welt zerstört.
In diesem Moment schwor er, keiner Frau jemals wieder so viel
Macht über sich einzuräumen wie Jenny.
Er schlug die Haustür hinter sich zu und kehrte dem Familien
leben für immer den Rücken. Sollte die verdammte Bank von
New South Wales seine Farm übernehmen und alles, was ihm
gehörte. Draußen im Sonnenschein erschien ihm die ganze Welt
plötzlich grau. Aller Farben beraubt. Unwirklich. Zeit und Raum
waren zerbrochen.
Er sattelte Horatio und galoppierte nach Parramatta, um Anzeige
bei der Polizei zu erstatten. Was, zum Teufel, sollte er angeben?
Vermisst. Eine Frau mit Kind, in Begleitung. Zuletzt gesehen in
Begleitung eines Unbekannten.
Als er Horatios Zügel um das Geländer vor der Polizeistation
schlang, bemerkte Jake plötzlich, dass er die Taschenpistole in der
Hand hielt. Er hatte Jenny beigebracht, wie sie sich in seiner Abwesenheit
schützen konnte. Trotzdem war irgendein Mistkerl unter
seinem Schutzschild hindurchgeschlüpft. Jake drückte auf die
Feder, sodass die verborgene Klinge heraussprang und die Waffe
sich in einen Dolch verwandelte.
»Gott steh dir bei, du Hund, ich werde dich jagen, bis ich dich
zur Strecke gebracht habe.«
ZWEI
Keziah Stanley warf einen verstohlenen Blick durch den Ein-
gang ihres Vardo. Die anderen Wohnwagen bildeten eine Wa-
genburg um das Roma-Lager am Rand des eigentlichen Dorfes.
Gerade brach das erste Tageslicht durch den Dunst. Pferde wie-
deten friedlich am Flussufer. Einzelne Rauchschwaden stiegen
aus der Glut der kleinen Feuer, die am vergangenen Abend inmit-
ten der jeweiligen Familienclans gebrannt hatten.
Hinter Keziah erhoben sich die fernen Berge ihres Geburts-
ortes in der Clywdian Range von North Wales. Vor ihr lag die
Cheshire-Route nach Liverpool. Heute war ein Meilenstein er-
reicht - ihr siebzehnter Geburtstag - der Tag, an dem sie nicht
länger unter der Herrschaft ihrer Schwiegermutter Patronella
stehen würde.
Letzte Nacht hatte Keziah sich, wie immer mit dem geliebten
Gesicht ihres Mannes vor Augen und im Herzen, in den Schlaf
geweint. Gem schmachtete als Gefangener in irgendeinem Loch,
Gott weiß wo, doch die Erinnerung an ihre Umarmungen war so
lebendig, als hätte er die ganze Nacht mit ihr verbracht.
Keziah erstarrte, als sie Gems Eltern im vardo nebenan hörte.
Anders als Patronella war ihr Schwiegervater mit dem Alter to
leranter geworden. Keziah hörte, wie er schlaftrunken mit seiner
Frau schimpfte.
»Heute ist ihr Geburtstag. Sei nicht so streng mit der Kleinen,
Patronella. Es ist doch ganz natürlich, dass sie Sehnsucht nach
unserem Sohn hat. Meine Mutter sagte immer: So wie die Stute
nach der Straße, so sehnt sich eine junge Frau nach dem Mann
in ihrem Bett.«
»Ja, aber jetzt, da Gem im Gefängnis sitzt, könnte es jeder hergelaufene
Kerl sein.«
Keziah tröstete sich damit, dass es die letzte Beleidigung war,
die sie ertragen müsste. Heute würde sie auf ihr baxt vertrauen
und den geliebten vardo verlassen, den Gem für sie gebaut hatte,
bevor man ihn vor Gericht gestellt hatte. Die Anklage lautete auf
Pferdediebstahl, und für ein Mitglied des fahrenden Volkes stand
das Urteil bereits fest: schuldig. Dasselbe galt für die Strafe: Deportation
nach New South Wales. Keziah wusste, dass er leicht
vierzehn Jahre hätte bekommen können oder sogar lebenslänglich.
Unschuldig oder nicht, die milde Strafe von sieben Jahren
war kein Trost für Keziah.
Sie klammerte sich an die Erinnerung, wie Gem aus dem Gerichtssaal
geführt worden war und unerschrocken gerufen hatte:
»Keziah! Kein Gericht auf der Welt hat die Macht, mich von dir zu
trennen!«
Sie hatte sich geschworen, seine Worte wahr werden zu lassen.
Jetzt schnürte sie ihre Habseligkeiten zu einem Bündel zusammen:
die Tarotkarten, Kleider zum Wechseln, einen warmen
Schal und mehrere Kopftücher, um ihren Status als verheiratete
Roma-Frau deutlich zu machen. Sie trug zwei Röcke und einen
roten Unterrock übereinander, um sie nicht schleppen zu müssen,
und dazu eine mit ausländischen Goldmünzen gesäumte, bis
obenhin zugeknöpfte Männerweste über der Bluse, ein Zeugnis
für die Flucht ihrer Vorfahren quer durch Europa.
Sie war schon halb über den offenen Platz zur Straße nach
Liverpool, als Patronellas Stimme die Stille des frühen Morgens
zerriss. Keziah lief mit großen Schritten weiter, gefolgt von Patronella.
Die grauen Zöpfe der älteren Frau tanzten in der Luft, als sie
Keziah mit einem triumphierenden Schrei an den Haaren packte.
Keziah kämpfte ihre Angst nieder und konzentrierte sich innerlich
auf Gems Gesicht.
»Ich gehe fort, Patronella. Ich gehöre zu Gem, und ich werde
ihn finden.«
Patronella ließ einen Schwall von Beschimpfungen los, gegen
die Keziah sich nicht zu wehren wusste. Patronella hasste sie, weil
sie in ihr eine Rivalin um Gems Liebe sah. Von dem Geschrei
aufgeschreckt krochen jetzt Männer, Frauen und Kinder unter
den Rädern ihrer vardos oder aus den Hecken hervor, wo sie die
Nacht verbracht hatten. Die älteren Frauen stachelten Patronella
an, Keziah zur Räson zu bringen. Die Männer waren vorsichtiger,
aus Respekt vor Gem.
Keziah bemerkte Ivanos prüfenden Blick und schlug ehrfurchtsvoll
die Augen nieder. Er war Gems Vater. Sie war ihm unendlich
dankbar, als er seine Frau mit ruhiger Stimme zurechtwies.
»Genug! Lass die Kleine ziehen und gib ihr deinen Segen.«
»Segen - von wegen! Mein Gem kann froh sein, dass er sie los
ist. Eine unfruchtbare Frau tut keinem Mann gut.«
Keziah zuckte zusammen. Die Anspielung darauf, dass sie als
Ehefrau versagt hatte, schmerzte wie ein Stich ins Herz, doch sie
blieb stumm.
»Siehst du, was für eine Schlange sie ist? Ihr ist es egal, was aus
ihrer Schwiegermutter wird!« Patronella spielte nervös mit den
Goldmünzen an ihrer eigenen Weste herum, ohne sich der Ironie
der Geste bewusst zu sein.
Jahrelang hatte Keziah ihr Respekt gezollt, jetzt aber verlor sie
die Geduld.
»Sei ehrlich! Du hast nur Angst, das Geld zu verlieren, das ich
der Familie einbringe.« Sie drückte der Alten eine Silbermünze
in die Hand. »Hier! Damit kannst du dein Essen bezahlen, bis
eins der Kinder das Tarot lernt und du in demselben Luxus leben
kannst wie ich.«
»Pah! Deine Wahrsagerei taugt zu nichts!« Patronella spuckte
vor ihr aus. »Nur die leichtgläubigen gaujo sind dumm genug, auf
deine Lügen hereinzufallen.«
»Ich lüge niemals«, schrie Keziah sie an.
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das FSC®-zertifi zierte Papier Super Snowbright für dieses Buch
liefert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.
Page & Turner Bücher erscheinen im
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2009
by Johanna Nicholls
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Page &Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Published by Arrangement with Johanna Nicholls
Dieses Werk wurde vermittelt
durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Redaktion: Kerstin von Dobschütz
Gesetzt aus der Janson-Antiqua
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN: 978-3-442-20348-2
www.pageundturner-verlag.de
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Autoren-Porträt von Johanna Nicholls
Johanna Nicholls studierte in Sydney und hat als Journalistin in London sowie als Produzentin und Redakteurin für das australische Fernsehen gearbeitet. Mit ihrem Roman "Die Blüte des Eukalyptus", für den sie intensive historische Recherchen betrieben hat, erfüllte sie sich einen Lebenstraum: Autorin zu werden und eine große Australiensaga zu schreiben. Sie lebt in einem Haus aus dem 19. Jahrhundert in einem Vorort von Sydney, wo sie an weiteren historischen Romanen schreibt.
Autoren-Interview mit Johanna Nicholls
Interview Johanna Nicholls, Die Blüte des Eukalyptus Ihr Debütroman „Die Blüte des Eukalyptus" ist gerade in Deutschland erschienen. Sie erzählen darin von einer Dreiecksbeziehung zwischen der Roma-Frau Keziah, dem handfesten Jake und dem Künstler Daniel. Das Buch spielt im Australien des 19. Jahrhunderts, das damals auch Strafkolonie des britischen Königreiches war, einem Land, in dem Gewalt und Grausamkeit herrschen. Ihr Roman ist eine Geschichte über Leidenschaft, Überlebenskampf, Freundschaft und der Kraft der Liebe - ein packender Roman, der Historisches mit Fiktivem zu einer atemberaubenden Story verwebt. Wie lange haben Sie Fakten und Ideen gesammelt, bevor Sie anfingen zu schreiben?
Als ich mit „Die Blüte des Eukalyptus" begann, wusste ich bereits, dass die Roma Keziah das Herzstück der Geschichte bilden würde. Sie reist nach Australien, auf der Suche nach ihrem Geliebten, der in einer Strafkolonie gefangen ist.
Ich wusste allerdings noch nicht genau, wann der Roman spielen würde, was also der historische Hintergrund sein sollte. Nach sechs Monaten Recherche in staatlichen Bibliotheken und Archiven wusste ich, dass ich über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erzählen werde, beginnend mit dem Jahr 1837. 1837 war ein Jahr der Entscheidungen und der großen Konflikte: Unter anderem bestieg die junge Königin Victoria den Thron.
Die Männer und Frauen der ersten Generation, die in Australien frei geboren wurden (und deren Eltern freigelassene Sträflinge waren) - die sogenannten „Currency Lads and Lasses" - waren stolz darauf, Australier zu sein. In dieser Zeit entstand der australische Charakter, dessen Wesenszüge auch heute noch hochgehalten wird: Freundschaft, ein sehr trockener Humor, Freiheitsliebe, die Liebe zu Außenseitern, ein ausgeprägter
... mehr
Gerechtigkeitssinn und eine gesunde Verachtung für Autoritäten.
Die Zeitachse ermöglichte mir, historische Ereignisse mithilfe erfundener Charaktere zu dramatisieren. Ein Beispiel dafür ist der „Currency Lad" Jake Andersen: Als Kind wurde Jake Zeuge des Friedensvertrages zwischen dem Gouverneur und dem Aborigine-Rebellen Windradyne, den er verehrte. Windradyne gelang es seit einem Jahrzehnt, sich beim Kampf gegen die Siedler, die Wiradjuri-Land raubten, nicht gefangen nehmen zu lassen.
Wenn es eine Zeitmaschine gäbe: Würden Sie gerne in das Australien reisen, das Sie in „Die Blüte des Eukalyptus" schildern? Es scheint dort ziemlich rau zugegangen zu sein, und die Zustände waren für heutige Verhältnisse erschreckend: offene Kinderprostitution, willkürliche Festnahmen, grausame Strafgefangenenlager, Todesstrafen auf Pferdediebstahl etc.
Als Schriftstellerin würde ich sagen: Eine Zeitreise in diese Jahre fände ich unwiderstehlich. Ehrlich gesagt, habe ich mich während ich „Die Blüte des Eukalyptus" recherchierte und schrieb sehr lebendig gefühlt und fast schon heimischer in der damaligen Zeit als im Hier und Heute. Es gibt ja in jedem Zeitalter Positives und Negatives - und, wenn wir ehrlich sind, hat sich unsere moderne Welt doch gar nicht so viel weiter entwickelt. Kinderprostitution und Kinderarbeit gibt es weltweit immer noch, und hinzu kommen heute noch Drogenkonsum, Pornografie oder Missbrauch über das Internet. Und allzu oft kommen Kinderschänder und Vergewaltiger immer noch mit geringen Strafen davon.
Im 19. Jahrhundert war beispielsweise das Kolonialstrafgefangenensystem ein Lotteriespiel. Das wollte ich auch in „Die Blüte des Eukalyptus" zeigen: die schreckliche Behandlung, die Prügel, der Hunger. Die britischen Gesetze wurden schamlos missbraucht, und alle Strafgefangenen, die fliehen konnten, wurden zu sogenannten „Bushrangern". Sie sagten sich: Es ist immer noch besser, als freier Mann durch die Kugel eines Soldaten zu sterben, als im Lager zu verhungern. Andere Strafgefangene lebten vergleichsweise gut bei liberalen Herren, denen sie zugewiesen worden waren, und konnten sich nach Verbüßung ihrer Strafe eine Existenz aufbauen, so wie Jakes Eltern. Einige dieser ehemaligen Strafgefangenen gehörten bald zu den angesehensten Unternehmern des Landes.
Was mich wirklich dazu verlocken würde, im damaligen Australien zu leben - mal abgesehen von den schrecklichen Straßenverhältnissen -, ist das große Maß an persönlicher Freiheit und Privatheit, das wir heute einfach nicht mehr besitzen. In unserer globalisierten Welt mit all den Mobiltelefonen, dem Internet, den Paparazzi und dem Kult um irgendwelche Celebrities, bei denen jeder Schritt überwacht, veröffentlicht und bewertet wird, ist so eine Freiheit nicht mehr möglich. Die Regierung speichert jedes Detail unseres Lebens. Damals gab es noch nicht mal Pässe, man konnte überall hin reisen. Und als ehemaliger Strafgefangener war es ein Leichtes, nach der Freilassung seinen Namen zu ändern und einfach ganz von vorne anzufangen, sich noch mal neu zu erfinden.
Aber immer, wenn ich zu nostalgisch werde, erinnere ich mich an unsere modernen Errungenschaften der Medizin, der Erziehung oder der Rechtsprechung. Damals waren die häufigsten Todesursachen die Geburt eines Kindes, Schlangenbisse, Ertrinken, Epidemien wie die Masern, Unterernährung und Syphilis. 1837 wäre ich vermutlich an der Lungenentzündung, die ich mit sieben Jahren bekam, gestorben. In meiner Kindheit wurde ich durch Penicillin davon geheilt. Genauso wäre es mir mit meinem Blinddarmdurchbruch gegangen, den ich mit zehn hatte. Ich würde also gerne in diese Zeit reisen - solange ich ein Rückreiseticket in der Tasche habe ...
Erinnern Sie sich eigentlich noch an die erste Idee zu Ihrem Buch? Wann war das und wie ging es dann weiter?
Ja, absolut. Ich kann sogar genau sagen, wann das war. Ich war vierzehn und in den Ferien bei meiner Großmutter zu Besuch. Sie hatte ein Häuschen in einem ehemaligen Goldgräberdorf. Mein Vater Fred Parsons war ein sehr bekannter australischer Autor, der Theaterstücke schrieb, genauer gesagt Komödien. Ihm verdanke ich meine Liebe zu Shakespeare, dem Kino und den australischen Buschlegenden. Bei einem Spaziergang mit Dad beklagte ich mich, dass die australische Geschichte im Vergleich zur aufregenden und bunten europäischen Geschichte ziemlich langweilig sei; zumindest die Geschichte, die wir in der Schule zu hören bekamen. Mein Vater war ein großer Geschichtenerzähler - und er machte mir klar, dass die Geschichte Australiens absolut einzigartig ist und überall um uns herum ist. Seine Geschichten über die „Bushranger" inspirierten mich, und ich erfand meine eigenen Varianten davon, die ich dann meinen Vettern als Gutenachtgeschichten erzählte. Es faszinierte mich, dass sie sie zum Lachen oder Weinen brachten. Und seitdem weiß ich, dass ich Geschichten erzählen will. In „Die Blüte des Eukalyptus" finden sich noch Spuren meiner allerersten Geschichten.
Bitte erzählen Sie uns etwas darüber, wie sich das Schreiben des Romans entwickelt hat. Gab es so etwas wie einen Heureka-Moment, ein Aha-Erlebnis?
Mein Heureka-Moment! Was für ein plastischer Ausdruck! Und es gab dieses Heureka!: Ich begann mit der Roma Keziah, die ich als Fremde in die Strafkolonie New South Wales in Australien schickte. Ich wollte, dass sie als Fremde dieses neue Land erforscht. Ihr ganzes Leben lag ausgebreitet vor mir - im Geiste und auch in Aufzeichnungen, die ich mir gemacht hatte. Doch als ich die ersten Kapitel geschrieben hatte, fühlte ich mich damit nicht wohl. Mir ging es wie einem Puppenspieler, der an den Fäden zieht - aber meine Figuren sprangen nicht aus den Seiten, sie blieben flach.
Als ich Tage später am Computer saß und auf den Bildschirm starrte, kam eine der Hauptfiguren, der Kutscher Jake, in mein Blickfeld geritten. Ich wollte, dass er nach Westen ritt, hatte eine Geschichte für ihn geplant und ihm ein nettes Mädchen zur Seite gestellt, als sich sein Pferd plötzlich aufbäumte und Jake in die entgegengesetzte Richtung galoppierte - direkt hinein ins Bordell in Bolthole Valley und zur minderjährigen Hure Lily. Ich war ziemlich erstaunt und sagte laut: „Hey Jake! Wer schreibt dieses Buch, du oder ich?" Doch dann entschloss ich mich, ihm zu folgen und zu sehen, was er da tut. Ich dachte mir, wenn ich seine Geschichte nicht mag, werde ich wieder die Kontrolle übernehmen und sie so schreiben, wie ich es geplant habe.
In diesem Heureka-Moment - Jetzt hab ich es! - wurde mir klar, dass meine Figuren ihr eigenes Leben leben wollen. Ihre Instinkte übertrafen meine erfundene Geschichte. Von diesem Moment an vertraute ich meiner Phantasie und ließ ihr freien Lauf. Und die Ideen sprudelten nur so aus mir heraus - so als würde ein aufgeregtes Kind in meinem Kopf sitzen, das mich vorantreibt. Jake Andersen wurde - neben Keziah - zu einer Hauptfigur. Er verdiente eine eigene Geschichte, die mit Keziahs Geschichte mithalten konnte.
Ich respektiere Autoren, die alles genau planen, bevor sie zu schreiben anfangen - aber für mich ist es das Aufregendste überhaupt, nicht genau zu wissen, was zum Teufel meine Figuren jetzt schon wieder tun und wie sie aus dem ganzen Schlamassel wieder herauskommen.
Eine der Hauptfiguren in „Die Blüte des Eukalyptus" ist Keziah, eine Roma. Wie haben Sie das Leben der Roma damals erforscht?
Ich glaube, Keziah ist aus meiner frühen Begeisterung für den Lebensstil der Roma entstanden. Schon als Kind fand ich dieses Leben in Pferdewagen aufregend, und natürlich auch die Wahrsagerei. Als ich mich mit der Epoche der Strafkolonien in Australien beschäftigte, entdeckte ich, dass viele Roma aus Nordengland und Wales als Diebe und Vagabunden in die australischen Strafgefangenenlager verschifft wurden. Nur, weil sie keinen festen Wohnsitz hatten oder ein Pferd verkauft hatten, das später starb. Für die Roma war das Gefängnis keine Schande, sondern eher eine Ehre, doch ein Leben als Strafgefangener war für diese freiheitsgewohnten Menschen reiner Horror.
Es war gar nicht so einfach, die Roma-Strafgefangenen in den Schiffslisten zu finden, denn bei den meisten Roma-Namen war unter Religion „katholisch" oder „protestantisch" eingetragen worden, und nicht „ungläubig". Das stand nur hinter sehr wenigen Namen. Daher baute ich mir, mithilfe einer Diplomarbeit über die Roma in Australien, eine Recherchekartei auf. Darin sammelte ich traditionelle Roma-Namen, Sprichwörter und religiöse Bräuche, notierte, wie Heiraten und Geburten gefeiert wurden, oder die unterschiedlichen Dialekte. Viele Worte der Roma, wie z. B. „pal" (Kumpel), wurden ins Englische übernommen. Außerdem inspirierte mich ein Roma-„Bushranger" namens Gypsy Gem Smith, der wirklich gelebt hat.
Keziahs Roma-Vater, den Violonisten Gabriel Stanley, habe ich mir komplett ausgedacht ... jedenfalls glaubte ich das. Doch dann passierte etwas Unglaubliches! Als ich die Endfassung von „Die Blüte des Eukalyptus" fertig hatte, begann ich wieder, nach meinem geheimnisvollen Urgroßvater zu forschen. Ich wusste nur seinen Namen, und dass ihm verboten worden war, meine Urgroßmutter, seine große Liebe, zu heiraten. Er war damals 19 Jahre alt und meine Urgroßmutter hatte gerade ihr gemeinsames Kind, eine Tochter, geboren. Als ich seine Todesurkunde entdeckte, wurde mir klar, dass er ein Roma war. Er starb mit 21 Jahren an Tuberkulose. Seine Berufsbezeichnung lautete: Musiker, Violinist.
Ich bekam Gänsehaut und konnte es nicht glauben! Hatte ich unbewusst meine eigene Familiengeschichte geschrieben? Die unehelich geborene Tochter war meine Großmutter - halb Roma, halb Waliserin, eine Schönheit und sehr übersinnlich begabt. Genau wie Keziah.
Wie sieht ein normaler Schreibtag bei Ihnen aus?
Ich bin eine Frühaufsteherin und sitze fünf bis sechs Tage die Woche am Computer und schreibe. Ich bin oft so darin vertieft, dass mir irgendwann nachmittags einfällt: Der Grund, warum ich mich gerade schlecht fühle, ist ganz einfach der, dass ich vergessen habe zu Mittag zu essen. Dann esse ich etwas, sehe ein wenig fern und schreibe weiter, formuliere neu oder recherchiere Details. Ausflüchte wie „Ich glaube, ich kann heute nicht schreiben" lasse ich bei mir nicht gelten. Auch wenn ich Kopfschmerzen habe, kann ich mich mit einem historischen Buch oder einer Biografie aus dieser Zeit ins Bett legen und lesen - so halte ich die Geschichte Tag für Tag lebendig und treibe den Schreibprozess weiter voran.
Ich bin ein sehr visueller Mensch und sehe alles in Bildern. Wenn die Figuren wirklich leben, träume ich oft ganze Szenen. Die Figuren wecken mich um vier oder fünf Uhr morgens und wollen, dass ich mich sofort an den Computer setze und anfange zu schreiben. Ich nenne das „Schreiben mit ‚weißer Glut'". Später kommt dann die harte Knochenarbeit - das Umformulieren und Umformen der Geschichte, Entwurf für Entwurf.
Wie viel Zeit haben Sie in die Recherche der historischen Details investiert und wo haben Sie überall Fakten gesammelt?
Für mich ist das Schönste die Feldforschung, also die Recherche direkt vor Ort. Das habe ich mir nach all der Recherche auf Mikrofilmen und in Archiven auch verdient. Ich bin ins magische Hinterland der Ostküste gereist, entdeckte alte Städte und Dörfer - manche von ihnen wirkten wie Zeitkapseln, manche waren Geisterstädte, in denen nur noch die Gräber über die Vergangenheit „sprachen". All diese Orte wuchsen in meiner Phantasie zu den Schauplätzen meines Buches. Ich besuchte Dorfmuseen, großartige Bauwerke aus jener Zeit oder das Berrima-Gefängnis. Ich flog auch auf die Insel Norfolk, um die Lebensgeschichte und Hinrichtung des jungen „Bushrangers" William Westwood zu erforschen. Er war die Inspiration für die Figur des jungen Will Martens in meinem Buch. Norfolk ist die schönste Insel, die ich jemals gesehen habe, und man fühlt sich, als würde man in einem Freilichtmuseum voller Kolonialbauten herumwandern. Und dennoch mussten die Strafgefangenen hier Unvorstellbares erleiden. Heute ist diese Insel allerdings ein wahres Paradies - für Touristen ein Muss.
Ihr Buch hat alles, was ein Hollywoodblockbuster braucht. Haben Sie schon ein ernst zu nehmendes Angebot bekommen und welche Stars sollten Ihre Hauptfiguren spielen?
Ich denke, ich habe ein wenig von der Gabe meiner walisischen Großmutter geerbt, in die Zukunft sehen zu können. Und ich habe sowohl das Buch „Die Blüte des Eukalyptus" gesehen als auch mein Buch als Film oder TV-Serie. Und als in Bildern denkender Mensch schreibe ich im Hinterkopf sowieso an einer internationalen Koproduktion. Es ist momentan noch zu früh, um ins Detail zu gehen, einige Angebote sind aber in der Diskussion.
Was die Schauspieler angeht: Während der dunklen Momente, in denen jeder Autor sich fragt, ob der Roman, den er gerade geschrieben hat, wirklich jemals veröffentlicht werden wird, fing ich an, mich zu motivieren, indem ich Phantasiegespräche mit Stars wie Sean Connery führte. Ich fragte ihn, ob er nicht eine kleine Rolle annehmen will.
Mit der Besetzungsliste habe ich schon oft gespielt. Ich habe drei Keziahs im Angebot, und am liebsten wäre mir natürlich ein australischer Schauspieler, der den Jake spielt. Jeffrey Rush könnte sich natürlich seine Rolle aussuchen - was immer er will, selbst die Figur „The Devil Himself" könnte er spielen. Und ich hätte gerne einen deutschen Schauspieler als Joseph Bloom, den Rechtsanwalt und Freund von Jake.
Sie haben lange als Journalistin und Redakteurin gearbeitet, bevor Sie anfingen, den Roman zu schreiben. Wie kamen Sie überhaupt zum Schreiben?
Als ich sechzehn war, arbeitete ich als Bürobotin bei einer führenden australischen Frauenzeitschrift. Dann wurde meine erste Kurzgeschichte veröffentlicht, und der Herausgeber war so überrascht - vorher wusste davon niemand -, dass er mir einen Job in der Redaktion anbot. Ich schrieb Features und spezialisierte mich etwas auf eine biografische Reihe, in der ich berühmte Persönlichkeiten vorstellte. Ich arbeitete unter anderem auch als stellvertretende Herausgeberin eines Modemagazins in London, danach als Redakteurin für „This Is Your Life" und verschiedene andere TV-Produktionen. Nach meiner Zeit als TV-Skript-Redakteurin beim australischen Fernsehen entwickelte ich Serien und Fernsehfilme - ein Job, den ich sehr liebte. Doch dann beschloss ich, dass es nun an der Zeit sei, mich um meine eigenen Projekte zu kümmern und das Buch zu schreiben, das seit Jahren in meinem Kopf und meinem Herzen schlummerte. Das Ergebnis können Sie nun lesen.
Welche drei Bücher würden Sie auf die berühmte einsame Insel mitnehmen?
Wenn ich davon ausgehe, dass ich für Jahre dort festsitze (oder für immer) und ich sie immer wieder lesen müsste, würde ich als erstes die gesammelten Werke von Shakespeare mitnehmen.
Als Buch Nummer zwei „Little Women" - um mich immer daran zu erinnern, dass ich eine Frau bin, die niemals aufgibt und die überlebt. Als Kind war ich Legasthenikerin und wurde dafür gedemütigt, dass ich mit 10 immer noch nicht lesen konnte. Dann kaufte mein Vater mir „Little Women" und las mir das erste Kapitel vor. Ich verliebte mich sofort in Jo, Meg, Beth und Amy und war am Boden zerstört, als mein Vater mir sagte, dass ich den Rest des Buches alleine lesen müsse. Ich brauchte Monate, es Wort für Wort zu lesen, aber ich habe damit lesen gelernt. Und wenn ich heute auf die über 700 Seiten von „Die Blüte des Eukalyptus" schaue, sage ich zu mir selbst: „Nicht schlecht für eine, die als Kind Legasthenikerin war, Süße!"
„The Oxford Dictionary of Quotations" wäre das dritte Buch. Wo sonst findet man die Worte der Sagen und Narren, Gelehrten, Soldaten, Poeten, Politiker und Scharlatane, die romantischen, satirischen, humorvollen, herzerweichenden und pompösen Worte - und alle auf jeder Seite eines einzigen Buches!
Aber ich würde gerne ein wenig schummeln und vier Bücher mitnehmen. Nummer vier wäre das größte Buch mit leeren Seiten, das ich finden könnte. Und darin würde ich meine eigene Welt entstehen lassen, meine Liebsten, Freunde und Feinde und immer dorthin entfliehen, wenn ich mich sehr einsam fühlen würde.
Sie leben in Sydney einem alten Siedlerhaus von 1830: Welchen Teil des Hauses oder welches Stück mögen Sie am liebsten und warum?
Oh, das ist eine sehr aufmerksame Frage. Mich hat es immer zu alten Häusern hingezogen, und oft fühlte es sich beim Betreten solcher Häuser an, als würde man in eine andere Zeit eintreten. Aber ich hatte bis dahin noch nie in einem gelebt. Als ich mir vor einigen Jahren ein pflegeleichtes, modernes Haus kaufen wollte und mir zusammen mit dem Makler den ganzen Tag solche Häuser angesehen hatte, fuhr er langsam an einem alten Steinhaus vorbei, das von Eukalyptusbäumen eingerahmt wurde. „Das ist nichts für Sie", meinte er. „Das Bad ist eine Katastrophe, genauso die Küche und außerdem ist es völlig überteuert. Ich hab nicht mal den Schlüssel dafür."
Doch ich war schon ausgestiegen und spähte über den Zaun und mein Herz klopfte in der Art, in der es sonst klopft, wenn wir jemanden treffen, in den wir uns verlieben. Ich habe lediglich durch zwei Fenster geschaut, dann ging ich zur Bank und klärte das Finanzielle. Es machte mir nichts, dass ich es nicht von innen gesehen hatte, denn ich sah das Haus bereits in einem Traum ein paar Nächte zuvor. Nun bin ich eingezogen, und immer wenn ich durch das Gartentor gehe, fühle ich mich sicher. Hier komme ich nach Hause - so als würde ich nach einer langen, langen Reise zurückkehren.
Wenn ich ein großes Loch in meinem Garten grabe, um einen Baum zu pflanzen, finde ich oft ein Hufeisen oder einen Kleiderhaken aus Metall. Ein früherer Vorbesitzer war Hufschmied. Ich stelle mir ihn lächelnd vor, wenn er sieht, wie ich mich über die Schätze freue, die er geschaffen hat. Und als ich die Geschichte des Hauses erforschte, fand ich heraus, dass es 1837 von Strafgefangenen als Landhaus für Schäfer gebaut wurde. Das Jahr, in dem mein Buch beginnt.
In einem Fragebogen erzählen Sie, dass Ihre Lieblingsmusiker Simon and Garfunkel und Barbra Streisand sind. Das hört sich so an, als wären Sie eine Romantikerin. Wie sieht für Sie ein wunderbar romantisches Wochenende aus?
Ganz genau! Ich bin eine überzeugte Romantikerin. Aber nicht immer in der „Mondschein-und-rote-Rosen"-Tradition. Vielleicht ist ein wenig von Keziah in mir, denn Romantik passiert oft unerwartet. Ein romantisches Wochenende stelle ich mir so vor - ich hatte es bisher noch nicht, aber ich weiß, die Zeit wird kommen. Also: In der Hoffnung, meine Höhenangst verschwindet, würde ich die Spitze der Sydney Hafenbrücke erklimmen - dort angekommen, hätte ich das Gefühl, als ob mir alles gehören würde. Die Brücke, Sydney - wie schön ... Außerdem wollte ich immer schon mal eine Ballonfahrt machen - mit einem besonderen Menschen natürlich. Wenn die Höhenangst nicht wäre ... Die Fahrt könnte zu den Weinbergen im Hunter Valley gehen oder von London über den Kanal nach Frankreich, um dort Champagner zu trinken. Oder anderswohin nach Europa. Auf jeden Fall würde es Champagner am Ende der Reise geben, egal aus welchem Land er kommt. Und natürlich ein wunderbares Menü, das ich nicht selbst kochen muss, ein heiterer Tag mit Freunden und viel Lachen - und er sollte in einem alten Schloss enden, in einem Himmelbett!
Wir freuen uns schon auf Ihr nächstes Buch - woran arbeiten Sie momentan und wann können wir mit der deutschen Übersetzung rechnen?
Oh, das freut mich! Mein zweiter historischer Australienroman (der Arbeitstitel ist „Bloodwood" - das ist eine Sorte eines Eukalyptusbaumes) wird gerade auf Deutsch übersetzt. Momentan arbeite ich an der Recherche für einen dritten Roman. Jedes dieser Bücher erzählt von anderen Figuren und sehr unterschiedlichen Perspektiven des Koloniallebens in Australien. Ich kann Ihnen noch nicht sagen, wie das dritte Buch enden wird - wie Sie wissen, führen meine Figuren ihr eigenes Leben. Und genau das macht die Lust am Schreiben für mich aus!
Das Gespräch führte Ulrike Bauer, Literaturtest, für den Page & Turner Verlag.
Die Zeitachse ermöglichte mir, historische Ereignisse mithilfe erfundener Charaktere zu dramatisieren. Ein Beispiel dafür ist der „Currency Lad" Jake Andersen: Als Kind wurde Jake Zeuge des Friedensvertrages zwischen dem Gouverneur und dem Aborigine-Rebellen Windradyne, den er verehrte. Windradyne gelang es seit einem Jahrzehnt, sich beim Kampf gegen die Siedler, die Wiradjuri-Land raubten, nicht gefangen nehmen zu lassen.
Wenn es eine Zeitmaschine gäbe: Würden Sie gerne in das Australien reisen, das Sie in „Die Blüte des Eukalyptus" schildern? Es scheint dort ziemlich rau zugegangen zu sein, und die Zustände waren für heutige Verhältnisse erschreckend: offene Kinderprostitution, willkürliche Festnahmen, grausame Strafgefangenenlager, Todesstrafen auf Pferdediebstahl etc.
Als Schriftstellerin würde ich sagen: Eine Zeitreise in diese Jahre fände ich unwiderstehlich. Ehrlich gesagt, habe ich mich während ich „Die Blüte des Eukalyptus" recherchierte und schrieb sehr lebendig gefühlt und fast schon heimischer in der damaligen Zeit als im Hier und Heute. Es gibt ja in jedem Zeitalter Positives und Negatives - und, wenn wir ehrlich sind, hat sich unsere moderne Welt doch gar nicht so viel weiter entwickelt. Kinderprostitution und Kinderarbeit gibt es weltweit immer noch, und hinzu kommen heute noch Drogenkonsum, Pornografie oder Missbrauch über das Internet. Und allzu oft kommen Kinderschänder und Vergewaltiger immer noch mit geringen Strafen davon.
Im 19. Jahrhundert war beispielsweise das Kolonialstrafgefangenensystem ein Lotteriespiel. Das wollte ich auch in „Die Blüte des Eukalyptus" zeigen: die schreckliche Behandlung, die Prügel, der Hunger. Die britischen Gesetze wurden schamlos missbraucht, und alle Strafgefangenen, die fliehen konnten, wurden zu sogenannten „Bushrangern". Sie sagten sich: Es ist immer noch besser, als freier Mann durch die Kugel eines Soldaten zu sterben, als im Lager zu verhungern. Andere Strafgefangene lebten vergleichsweise gut bei liberalen Herren, denen sie zugewiesen worden waren, und konnten sich nach Verbüßung ihrer Strafe eine Existenz aufbauen, so wie Jakes Eltern. Einige dieser ehemaligen Strafgefangenen gehörten bald zu den angesehensten Unternehmern des Landes.
Was mich wirklich dazu verlocken würde, im damaligen Australien zu leben - mal abgesehen von den schrecklichen Straßenverhältnissen -, ist das große Maß an persönlicher Freiheit und Privatheit, das wir heute einfach nicht mehr besitzen. In unserer globalisierten Welt mit all den Mobiltelefonen, dem Internet, den Paparazzi und dem Kult um irgendwelche Celebrities, bei denen jeder Schritt überwacht, veröffentlicht und bewertet wird, ist so eine Freiheit nicht mehr möglich. Die Regierung speichert jedes Detail unseres Lebens. Damals gab es noch nicht mal Pässe, man konnte überall hin reisen. Und als ehemaliger Strafgefangener war es ein Leichtes, nach der Freilassung seinen Namen zu ändern und einfach ganz von vorne anzufangen, sich noch mal neu zu erfinden.
Aber immer, wenn ich zu nostalgisch werde, erinnere ich mich an unsere modernen Errungenschaften der Medizin, der Erziehung oder der Rechtsprechung. Damals waren die häufigsten Todesursachen die Geburt eines Kindes, Schlangenbisse, Ertrinken, Epidemien wie die Masern, Unterernährung und Syphilis. 1837 wäre ich vermutlich an der Lungenentzündung, die ich mit sieben Jahren bekam, gestorben. In meiner Kindheit wurde ich durch Penicillin davon geheilt. Genauso wäre es mir mit meinem Blinddarmdurchbruch gegangen, den ich mit zehn hatte. Ich würde also gerne in diese Zeit reisen - solange ich ein Rückreiseticket in der Tasche habe ...
Erinnern Sie sich eigentlich noch an die erste Idee zu Ihrem Buch? Wann war das und wie ging es dann weiter?
Ja, absolut. Ich kann sogar genau sagen, wann das war. Ich war vierzehn und in den Ferien bei meiner Großmutter zu Besuch. Sie hatte ein Häuschen in einem ehemaligen Goldgräberdorf. Mein Vater Fred Parsons war ein sehr bekannter australischer Autor, der Theaterstücke schrieb, genauer gesagt Komödien. Ihm verdanke ich meine Liebe zu Shakespeare, dem Kino und den australischen Buschlegenden. Bei einem Spaziergang mit Dad beklagte ich mich, dass die australische Geschichte im Vergleich zur aufregenden und bunten europäischen Geschichte ziemlich langweilig sei; zumindest die Geschichte, die wir in der Schule zu hören bekamen. Mein Vater war ein großer Geschichtenerzähler - und er machte mir klar, dass die Geschichte Australiens absolut einzigartig ist und überall um uns herum ist. Seine Geschichten über die „Bushranger" inspirierten mich, und ich erfand meine eigenen Varianten davon, die ich dann meinen Vettern als Gutenachtgeschichten erzählte. Es faszinierte mich, dass sie sie zum Lachen oder Weinen brachten. Und seitdem weiß ich, dass ich Geschichten erzählen will. In „Die Blüte des Eukalyptus" finden sich noch Spuren meiner allerersten Geschichten.
Bitte erzählen Sie uns etwas darüber, wie sich das Schreiben des Romans entwickelt hat. Gab es so etwas wie einen Heureka-Moment, ein Aha-Erlebnis?
Mein Heureka-Moment! Was für ein plastischer Ausdruck! Und es gab dieses Heureka!: Ich begann mit der Roma Keziah, die ich als Fremde in die Strafkolonie New South Wales in Australien schickte. Ich wollte, dass sie als Fremde dieses neue Land erforscht. Ihr ganzes Leben lag ausgebreitet vor mir - im Geiste und auch in Aufzeichnungen, die ich mir gemacht hatte. Doch als ich die ersten Kapitel geschrieben hatte, fühlte ich mich damit nicht wohl. Mir ging es wie einem Puppenspieler, der an den Fäden zieht - aber meine Figuren sprangen nicht aus den Seiten, sie blieben flach.
Als ich Tage später am Computer saß und auf den Bildschirm starrte, kam eine der Hauptfiguren, der Kutscher Jake, in mein Blickfeld geritten. Ich wollte, dass er nach Westen ritt, hatte eine Geschichte für ihn geplant und ihm ein nettes Mädchen zur Seite gestellt, als sich sein Pferd plötzlich aufbäumte und Jake in die entgegengesetzte Richtung galoppierte - direkt hinein ins Bordell in Bolthole Valley und zur minderjährigen Hure Lily. Ich war ziemlich erstaunt und sagte laut: „Hey Jake! Wer schreibt dieses Buch, du oder ich?" Doch dann entschloss ich mich, ihm zu folgen und zu sehen, was er da tut. Ich dachte mir, wenn ich seine Geschichte nicht mag, werde ich wieder die Kontrolle übernehmen und sie so schreiben, wie ich es geplant habe.
In diesem Heureka-Moment - Jetzt hab ich es! - wurde mir klar, dass meine Figuren ihr eigenes Leben leben wollen. Ihre Instinkte übertrafen meine erfundene Geschichte. Von diesem Moment an vertraute ich meiner Phantasie und ließ ihr freien Lauf. Und die Ideen sprudelten nur so aus mir heraus - so als würde ein aufgeregtes Kind in meinem Kopf sitzen, das mich vorantreibt. Jake Andersen wurde - neben Keziah - zu einer Hauptfigur. Er verdiente eine eigene Geschichte, die mit Keziahs Geschichte mithalten konnte.
Ich respektiere Autoren, die alles genau planen, bevor sie zu schreiben anfangen - aber für mich ist es das Aufregendste überhaupt, nicht genau zu wissen, was zum Teufel meine Figuren jetzt schon wieder tun und wie sie aus dem ganzen Schlamassel wieder herauskommen.
Eine der Hauptfiguren in „Die Blüte des Eukalyptus" ist Keziah, eine Roma. Wie haben Sie das Leben der Roma damals erforscht?
Ich glaube, Keziah ist aus meiner frühen Begeisterung für den Lebensstil der Roma entstanden. Schon als Kind fand ich dieses Leben in Pferdewagen aufregend, und natürlich auch die Wahrsagerei. Als ich mich mit der Epoche der Strafkolonien in Australien beschäftigte, entdeckte ich, dass viele Roma aus Nordengland und Wales als Diebe und Vagabunden in die australischen Strafgefangenenlager verschifft wurden. Nur, weil sie keinen festen Wohnsitz hatten oder ein Pferd verkauft hatten, das später starb. Für die Roma war das Gefängnis keine Schande, sondern eher eine Ehre, doch ein Leben als Strafgefangener war für diese freiheitsgewohnten Menschen reiner Horror.
Es war gar nicht so einfach, die Roma-Strafgefangenen in den Schiffslisten zu finden, denn bei den meisten Roma-Namen war unter Religion „katholisch" oder „protestantisch" eingetragen worden, und nicht „ungläubig". Das stand nur hinter sehr wenigen Namen. Daher baute ich mir, mithilfe einer Diplomarbeit über die Roma in Australien, eine Recherchekartei auf. Darin sammelte ich traditionelle Roma-Namen, Sprichwörter und religiöse Bräuche, notierte, wie Heiraten und Geburten gefeiert wurden, oder die unterschiedlichen Dialekte. Viele Worte der Roma, wie z. B. „pal" (Kumpel), wurden ins Englische übernommen. Außerdem inspirierte mich ein Roma-„Bushranger" namens Gypsy Gem Smith, der wirklich gelebt hat.
Keziahs Roma-Vater, den Violonisten Gabriel Stanley, habe ich mir komplett ausgedacht ... jedenfalls glaubte ich das. Doch dann passierte etwas Unglaubliches! Als ich die Endfassung von „Die Blüte des Eukalyptus" fertig hatte, begann ich wieder, nach meinem geheimnisvollen Urgroßvater zu forschen. Ich wusste nur seinen Namen, und dass ihm verboten worden war, meine Urgroßmutter, seine große Liebe, zu heiraten. Er war damals 19 Jahre alt und meine Urgroßmutter hatte gerade ihr gemeinsames Kind, eine Tochter, geboren. Als ich seine Todesurkunde entdeckte, wurde mir klar, dass er ein Roma war. Er starb mit 21 Jahren an Tuberkulose. Seine Berufsbezeichnung lautete: Musiker, Violinist.
Ich bekam Gänsehaut und konnte es nicht glauben! Hatte ich unbewusst meine eigene Familiengeschichte geschrieben? Die unehelich geborene Tochter war meine Großmutter - halb Roma, halb Waliserin, eine Schönheit und sehr übersinnlich begabt. Genau wie Keziah.
Wie sieht ein normaler Schreibtag bei Ihnen aus?
Ich bin eine Frühaufsteherin und sitze fünf bis sechs Tage die Woche am Computer und schreibe. Ich bin oft so darin vertieft, dass mir irgendwann nachmittags einfällt: Der Grund, warum ich mich gerade schlecht fühle, ist ganz einfach der, dass ich vergessen habe zu Mittag zu essen. Dann esse ich etwas, sehe ein wenig fern und schreibe weiter, formuliere neu oder recherchiere Details. Ausflüchte wie „Ich glaube, ich kann heute nicht schreiben" lasse ich bei mir nicht gelten. Auch wenn ich Kopfschmerzen habe, kann ich mich mit einem historischen Buch oder einer Biografie aus dieser Zeit ins Bett legen und lesen - so halte ich die Geschichte Tag für Tag lebendig und treibe den Schreibprozess weiter voran.
Ich bin ein sehr visueller Mensch und sehe alles in Bildern. Wenn die Figuren wirklich leben, träume ich oft ganze Szenen. Die Figuren wecken mich um vier oder fünf Uhr morgens und wollen, dass ich mich sofort an den Computer setze und anfange zu schreiben. Ich nenne das „Schreiben mit ‚weißer Glut'". Später kommt dann die harte Knochenarbeit - das Umformulieren und Umformen der Geschichte, Entwurf für Entwurf.
Wie viel Zeit haben Sie in die Recherche der historischen Details investiert und wo haben Sie überall Fakten gesammelt?
Für mich ist das Schönste die Feldforschung, also die Recherche direkt vor Ort. Das habe ich mir nach all der Recherche auf Mikrofilmen und in Archiven auch verdient. Ich bin ins magische Hinterland der Ostküste gereist, entdeckte alte Städte und Dörfer - manche von ihnen wirkten wie Zeitkapseln, manche waren Geisterstädte, in denen nur noch die Gräber über die Vergangenheit „sprachen". All diese Orte wuchsen in meiner Phantasie zu den Schauplätzen meines Buches. Ich besuchte Dorfmuseen, großartige Bauwerke aus jener Zeit oder das Berrima-Gefängnis. Ich flog auch auf die Insel Norfolk, um die Lebensgeschichte und Hinrichtung des jungen „Bushrangers" William Westwood zu erforschen. Er war die Inspiration für die Figur des jungen Will Martens in meinem Buch. Norfolk ist die schönste Insel, die ich jemals gesehen habe, und man fühlt sich, als würde man in einem Freilichtmuseum voller Kolonialbauten herumwandern. Und dennoch mussten die Strafgefangenen hier Unvorstellbares erleiden. Heute ist diese Insel allerdings ein wahres Paradies - für Touristen ein Muss.
Ihr Buch hat alles, was ein Hollywoodblockbuster braucht. Haben Sie schon ein ernst zu nehmendes Angebot bekommen und welche Stars sollten Ihre Hauptfiguren spielen?
Ich denke, ich habe ein wenig von der Gabe meiner walisischen Großmutter geerbt, in die Zukunft sehen zu können. Und ich habe sowohl das Buch „Die Blüte des Eukalyptus" gesehen als auch mein Buch als Film oder TV-Serie. Und als in Bildern denkender Mensch schreibe ich im Hinterkopf sowieso an einer internationalen Koproduktion. Es ist momentan noch zu früh, um ins Detail zu gehen, einige Angebote sind aber in der Diskussion.
Was die Schauspieler angeht: Während der dunklen Momente, in denen jeder Autor sich fragt, ob der Roman, den er gerade geschrieben hat, wirklich jemals veröffentlicht werden wird, fing ich an, mich zu motivieren, indem ich Phantasiegespräche mit Stars wie Sean Connery führte. Ich fragte ihn, ob er nicht eine kleine Rolle annehmen will.
Mit der Besetzungsliste habe ich schon oft gespielt. Ich habe drei Keziahs im Angebot, und am liebsten wäre mir natürlich ein australischer Schauspieler, der den Jake spielt. Jeffrey Rush könnte sich natürlich seine Rolle aussuchen - was immer er will, selbst die Figur „The Devil Himself" könnte er spielen. Und ich hätte gerne einen deutschen Schauspieler als Joseph Bloom, den Rechtsanwalt und Freund von Jake.
Sie haben lange als Journalistin und Redakteurin gearbeitet, bevor Sie anfingen, den Roman zu schreiben. Wie kamen Sie überhaupt zum Schreiben?
Als ich sechzehn war, arbeitete ich als Bürobotin bei einer führenden australischen Frauenzeitschrift. Dann wurde meine erste Kurzgeschichte veröffentlicht, und der Herausgeber war so überrascht - vorher wusste davon niemand -, dass er mir einen Job in der Redaktion anbot. Ich schrieb Features und spezialisierte mich etwas auf eine biografische Reihe, in der ich berühmte Persönlichkeiten vorstellte. Ich arbeitete unter anderem auch als stellvertretende Herausgeberin eines Modemagazins in London, danach als Redakteurin für „This Is Your Life" und verschiedene andere TV-Produktionen. Nach meiner Zeit als TV-Skript-Redakteurin beim australischen Fernsehen entwickelte ich Serien und Fernsehfilme - ein Job, den ich sehr liebte. Doch dann beschloss ich, dass es nun an der Zeit sei, mich um meine eigenen Projekte zu kümmern und das Buch zu schreiben, das seit Jahren in meinem Kopf und meinem Herzen schlummerte. Das Ergebnis können Sie nun lesen.
Welche drei Bücher würden Sie auf die berühmte einsame Insel mitnehmen?
Wenn ich davon ausgehe, dass ich für Jahre dort festsitze (oder für immer) und ich sie immer wieder lesen müsste, würde ich als erstes die gesammelten Werke von Shakespeare mitnehmen.
Als Buch Nummer zwei „Little Women" - um mich immer daran zu erinnern, dass ich eine Frau bin, die niemals aufgibt und die überlebt. Als Kind war ich Legasthenikerin und wurde dafür gedemütigt, dass ich mit 10 immer noch nicht lesen konnte. Dann kaufte mein Vater mir „Little Women" und las mir das erste Kapitel vor. Ich verliebte mich sofort in Jo, Meg, Beth und Amy und war am Boden zerstört, als mein Vater mir sagte, dass ich den Rest des Buches alleine lesen müsse. Ich brauchte Monate, es Wort für Wort zu lesen, aber ich habe damit lesen gelernt. Und wenn ich heute auf die über 700 Seiten von „Die Blüte des Eukalyptus" schaue, sage ich zu mir selbst: „Nicht schlecht für eine, die als Kind Legasthenikerin war, Süße!"
„The Oxford Dictionary of Quotations" wäre das dritte Buch. Wo sonst findet man die Worte der Sagen und Narren, Gelehrten, Soldaten, Poeten, Politiker und Scharlatane, die romantischen, satirischen, humorvollen, herzerweichenden und pompösen Worte - und alle auf jeder Seite eines einzigen Buches!
Aber ich würde gerne ein wenig schummeln und vier Bücher mitnehmen. Nummer vier wäre das größte Buch mit leeren Seiten, das ich finden könnte. Und darin würde ich meine eigene Welt entstehen lassen, meine Liebsten, Freunde und Feinde und immer dorthin entfliehen, wenn ich mich sehr einsam fühlen würde.
Sie leben in Sydney einem alten Siedlerhaus von 1830: Welchen Teil des Hauses oder welches Stück mögen Sie am liebsten und warum?
Oh, das ist eine sehr aufmerksame Frage. Mich hat es immer zu alten Häusern hingezogen, und oft fühlte es sich beim Betreten solcher Häuser an, als würde man in eine andere Zeit eintreten. Aber ich hatte bis dahin noch nie in einem gelebt. Als ich mir vor einigen Jahren ein pflegeleichtes, modernes Haus kaufen wollte und mir zusammen mit dem Makler den ganzen Tag solche Häuser angesehen hatte, fuhr er langsam an einem alten Steinhaus vorbei, das von Eukalyptusbäumen eingerahmt wurde. „Das ist nichts für Sie", meinte er. „Das Bad ist eine Katastrophe, genauso die Küche und außerdem ist es völlig überteuert. Ich hab nicht mal den Schlüssel dafür."
Doch ich war schon ausgestiegen und spähte über den Zaun und mein Herz klopfte in der Art, in der es sonst klopft, wenn wir jemanden treffen, in den wir uns verlieben. Ich habe lediglich durch zwei Fenster geschaut, dann ging ich zur Bank und klärte das Finanzielle. Es machte mir nichts, dass ich es nicht von innen gesehen hatte, denn ich sah das Haus bereits in einem Traum ein paar Nächte zuvor. Nun bin ich eingezogen, und immer wenn ich durch das Gartentor gehe, fühle ich mich sicher. Hier komme ich nach Hause - so als würde ich nach einer langen, langen Reise zurückkehren.
Wenn ich ein großes Loch in meinem Garten grabe, um einen Baum zu pflanzen, finde ich oft ein Hufeisen oder einen Kleiderhaken aus Metall. Ein früherer Vorbesitzer war Hufschmied. Ich stelle mir ihn lächelnd vor, wenn er sieht, wie ich mich über die Schätze freue, die er geschaffen hat. Und als ich die Geschichte des Hauses erforschte, fand ich heraus, dass es 1837 von Strafgefangenen als Landhaus für Schäfer gebaut wurde. Das Jahr, in dem mein Buch beginnt.
In einem Fragebogen erzählen Sie, dass Ihre Lieblingsmusiker Simon and Garfunkel und Barbra Streisand sind. Das hört sich so an, als wären Sie eine Romantikerin. Wie sieht für Sie ein wunderbar romantisches Wochenende aus?
Ganz genau! Ich bin eine überzeugte Romantikerin. Aber nicht immer in der „Mondschein-und-rote-Rosen"-Tradition. Vielleicht ist ein wenig von Keziah in mir, denn Romantik passiert oft unerwartet. Ein romantisches Wochenende stelle ich mir so vor - ich hatte es bisher noch nicht, aber ich weiß, die Zeit wird kommen. Also: In der Hoffnung, meine Höhenangst verschwindet, würde ich die Spitze der Sydney Hafenbrücke erklimmen - dort angekommen, hätte ich das Gefühl, als ob mir alles gehören würde. Die Brücke, Sydney - wie schön ... Außerdem wollte ich immer schon mal eine Ballonfahrt machen - mit einem besonderen Menschen natürlich. Wenn die Höhenangst nicht wäre ... Die Fahrt könnte zu den Weinbergen im Hunter Valley gehen oder von London über den Kanal nach Frankreich, um dort Champagner zu trinken. Oder anderswohin nach Europa. Auf jeden Fall würde es Champagner am Ende der Reise geben, egal aus welchem Land er kommt. Und natürlich ein wunderbares Menü, das ich nicht selbst kochen muss, ein heiterer Tag mit Freunden und viel Lachen - und er sollte in einem alten Schloss enden, in einem Himmelbett!
Wir freuen uns schon auf Ihr nächstes Buch - woran arbeiten Sie momentan und wann können wir mit der deutschen Übersetzung rechnen?
Oh, das freut mich! Mein zweiter historischer Australienroman (der Arbeitstitel ist „Bloodwood" - das ist eine Sorte eines Eukalyptusbaumes) wird gerade auf Deutsch übersetzt. Momentan arbeite ich an der Recherche für einen dritten Roman. Jedes dieser Bücher erzählt von anderen Figuren und sehr unterschiedlichen Perspektiven des Koloniallebens in Australien. Ich kann Ihnen noch nicht sagen, wie das dritte Buch enden wird - wie Sie wissen, führen meine Figuren ihr eigenes Leben. Und genau das macht die Lust am Schreiben für mich aus!
Das Gespräch führte Ulrike Bauer, Literaturtest, für den Page & Turner Verlag.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Johanna Nicholls
- 736 Seiten, Maße: 13,5 x 20,9 cm, Flex. Einband
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863650344
- ISBN-13: 9783863650346
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