Die Braut des Pelzhändlers
Lena Johannson lässt vergangene Epochen so lebendig werden, dass man glaubt, man sei dabei. Reisen Sie mit ins 15. Jahrhundert zu reichen Kaufleuten und gerissenen Piraten!
1430: Die Lübecker Kaufmannstochter Bilke soll von...
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Produktinformationen zu „Die Braut des Pelzhändlers “
Lena Johannson lässt vergangene Epochen so lebendig werden, dass man glaubt, man sei dabei. Reisen Sie mit ins 15. Jahrhundert zu reichen Kaufleuten und gerissenen Piraten!
1430: Die Lübecker Kaufmannstochter Bilke soll von ihrem Vater mit dem Pelzhändler Hartwych verheiratet werden. Doch auf dem Weg zu ihrem Bräutigam nach Riga wird Bilkes Schiff von dänischen Piraten überfallen. Und Bilke gerät in die Hände des charismatischen Seeräubers Svendsson. Bei der Ankunft in Riga entern Hartwych und und andere Händler das Schiff und holen zu einem Schlag gegen die Freibeuter aus. Dabei gelangt Bilke in Hartwychs Hände - doch die beiden ahnen nicht, wen sie vor sich haben.
Lese-Probe zu „Die Braut des Pelzhändlers “
Die Braut des Pelzhändlers von Lena JohanssonBilke
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Am vierten Tag von Bilke von Rantelns Reise nach Riga zogen schwere Wetter auf. Düstere Wolken türmten sich vor einem gelblichen Himmel, der auf die Lübecker Kaufmannstochter bedrohlich wirkte. Schon seit der Nacht hatte der Wind beständig zugenommen und sich schließlich zu einem gewaltigen Sturm entwickelt. Bilke wusste, dass sie besser in ihrer Kabine geblieben wäre. Doch bei allem Komfort und aller Behaglichkeit, die der kleine Raum in dem Kastell bot, einem Aufbau am Heck der mächtigen Kogge, wie man ihn seit geraumer Zeit baute, konnte er sie doch nicht mit frischer Luft versorgen. Stickig war es und finster, da es nicht einmal ein kleines Fenster gab. Sie hatte Sorge, dass sie sich würde erbrechen müssen, und war an Deck gekommen. Besser, an der Reling festgeklammert würgen, als womöglich den Inhalt ihres Magens auf dem hölzernen Boden ihrer Kabine wiederzufi nden. Obwohl sie gute Vorräte an Schollen und Rindfl eisch mit sich führten, gab es an diesem Tag nur Zwieback und Butter. Das Herdfeuer war gelöscht worden, als der Sturm immer mehr an Kraft zugelegt hatte, damit nicht womöglich ein Brand entstünde. Bilke war es gerade recht. Appetit hatte sie ohnehin keinen. Schon der harte Zwieback lag ihr schwer im Magen. Aber ihr Vater hatte ihr vor ihrer ersten Seereise aufgetragen, auch dann zu essen, wenn ihr nicht danach zumute war, weil es ihr dann besser-gehen würde, als wenn sie mit leerem Magen das Schwanken und Rollen, das Heben, Senken und Kippen des Schiff es auszuhalten versuchte.
Sie dachte an ihren Vater, ihre liebste Schwester Bente, die ihr glich wie eine Birke der anderen, und an Lübeck, wo sie mit ihren weiteren drei Geschwistern aufgewachsen war. Wie lange schien es her zu sein, dass sie an einem lausig kalten Apriltag des Jahres 1430 an Bord dieses Handelsschiff es gegangen war, um eine Reise anzutreten, die ihr ganzes Leben verändern würde. Ihr war, als sei sie bereits Wochen auf diesem Schiff unterwegs, dabei waren es erst einige Tage. Jede Minute floss unendlich zäh dahin, so langsam wie eine alte Frau, die sich schwerfällig aus einem Sessel erhob. Dabei wünschte sich Bilke doch nichts sehnlicher, als endlich livländischen Boden zu betreten. Der Grund ihrer Reise war ein äußerst glücklicher. Zum ersten Mal würde sie Hartwych begegnen, dem Sohn des Pelzhändlers Hans van Broke. An seiner Seite, so war es beschlossen, würde sie ihr Leben verbringen. Sie wusste, dass er ein weltgewandter und gebildeter Kaufmann aus den vornehmsten Kreisen Rigas war. Wenn sie an ihn dachte, klopfte ihr Herz einen Takt schneller. Wie mochte er wohl aussehen? Wie klang sein Lachen? Sie konnte es kaum erwarten, die Antworten auf all ihre Fragen zu bekommen.
Eine Welle war luvseits herangerollt und schlug jetzt hart gegen den Schiff sleib. Die Kogge neigte sich gefährlich zur Seite. Ein Bootsmann schrie Bilke gegen den tosenden Sturm an, sie habe sich augenblicklich wieder in ihre Unterkunft zu begeben. Sie zu begleiten, dazu fehlte ihm jedoch die Möglichkeit, denn er war vollauf damit beschäftigt, sich festzuhalten, um nicht zu stürzen. In der nächsten Sekunde musste er schon wieder Matrosen kommandieren und Rücksprache mit dem Kapitän halten. Bilke stand auf der dem Land abgewandten Seite des Schiff es. Ihre Finger klammerten sich Sie dachte an ihren Vater, ihre liebste Schwester Bente, die ihr glich wie eine Birke der anderen, und an Lübeck, wo sie mit ihren weiteren drei Geschwistern aufgewachsen war. Wie lange schien es her zu sein, dass sie an einem lausig kalten Apriltag des Jahres 1430 an Bord dieses Handelsschiff es gegangen war, um eine Reise anzutreten, die ihr ganzes Leben verändern würde. Ihr war, als sei sie bereits Wochen auf diesem Schiff unterwegs, dabei waren es erst einige Tage. Jede Minute floss unendlich zäh dahin, so langsam wie eine alte Frau, die sich schwerfällig aus einem Sessel erhob. Dabei wünschte sich Bilke doch nichts sehnlicher, als endlich livländischen Boden zu betreten. Der Grund ihrer Reise war ein äußerst glücklicher. Zum ersten Mal würde sie Hartwych begegnen, dem Sohn des Pelzhändlers Hans van Broke. An seiner Seite, so war es beschlossen, würde sie ihr Leben verbringen. Sie wusste, dass er ein weltgewandter und gebildeter Kaufmann aus den vornehmsten Kreisen Rigas war. Wenn sie an ihn dachte, klopfte ihr Herz einen Takt schneller. Wie mochte er wohl aussehen? Wie klang sein Lachen? Sie konnte es kaum erwarten, die Antworten auf all ihre Fragen zu bekommen.
Eine Welle war luvseits herangerollt und schlug jetzt hart gegen den Schiff sleib. Die Kogge neigte sich gefährlich zur Seite. Ein Bootsmann schrie Bilke gegen den tosenden Sturm an, sie habe sich augenblicklich wieder in ihre Unterkunft zu begeben. Sie zu begleiten, dazu fehlte ihm jedoch die Möglichkeit, denn er war vollauf damit beschäftigt, sich festzuhalten, um nicht zu stürzen. In der nächsten Sekunde musste er schon wieder Matrosen kommandieren und Rücksprache mit dem Kapitän halten. Bilke stand auf der dem Land abgewandten Seite des Schiff es. Ihre Finger klammerten sich nächsten Augenblick. Bilke erschrak. Herrschte eben schon wegen des schlechten Wetters und der tobenden See Unruhe unter der Mannschaft, steigerte sich diese jetzt zu nahezu panischer Betriebsamkeit. Die Männer brüllten Kommandos, schleppten Eimer heran und begannen, Sand auf die hölzernen Planken der Kogge zu schütten. Hier und da schwappte eine Welle über die stellenweise mannshohe Reling, so dass die Seeleute die Eimer gleich wieder füllen und erneut auskippen mussten. Sie wusste, was das bedeutet. Ihr Vater war oft genug mit seiner Ware auf der Ostsee unterwegs gewesen und hatte davon berichtet. Der Sand sollte verhindern, dass das Schiff in Flammen aufging, wenn es zum Gefecht kam, und er sollte den Männern mehr Halt auf dem nassen Holz geben. Sie begriff schlagartig, dass der schnittige Dreimaster, der direkt auf sie zuhielt, ein Piratenschiff sein musste. Ihr stockte der Atem. Die Übelkeit, die sie vollkommen vergessen hatte, kehrte unvermittelt zurück. Schon war das Schiff heran. Bilke musste sich in ihrer Kammer verbergen. Als sie es wagte, die Reling loszulassen, konnte sie die Männer an Bord des feindlichen Seglers bereits erkennen. Einer von ihnen hisste eine blutrote Flagge.
Bilke hastete auf die Treppe zu, die sie nach oben führen würde. Einen kurzen Moment zögerte sie, überlegte, ob es nicht klüger sei, sich zwischen Salz, Stockfi sch und Hering zu verkriechen. Im Bauch der Kogge wäre sie sicher, das wusste sie. Oft genug hatte ihr Vater erzählt, dass Piraten niemals auf den Rumpf unterhalb der Wasserlinie zielten, denn bei einem solchen Treff er könnte das angegriff ene Schiff leicht sinken. Und damit gleichzeitig ihre Beute. Nein, so töricht waren Piraten nicht. Sie kamen erst ganz nah heran und setzten dann die verteidigungsbereite Mannschaft außer Gefecht. Und dann machten sie sich über die Ladung her und würden auch eine Frau entdecken, die sich dort verbarg. Sie schauderte. Eine Gänsehaut kroch über ihren Nacken und breitete sich aus. Und das lag gewiss nicht allein an der Kälte. Nur wenige Schritte noch. Bilke konzentrierte sich darauf, schnell voranzukommen, ohne zu fallen. Ihr von der Gischt inzwischen vollkommen durchnässtes Kleid war ihr dabei hinderlich, denn es legte sich schwer um ihre Beine. Sie versuchte, den üppigen roten Stoff zu raff en, als eine Welle die Kogge anhob und gleich darauf in ein tiefes Tal stürzen ließ. Bilke machte rasch einen Schritt zur Seite, um sich abzufangen, und stieß mit dem Knie gegen das Geländer der kleinen Treppe, die zu ihrer Kabine führte. Sie kümmerte sich nicht um das schmerzhafte Pochen, sprang eilig die vier Stufen hin auf und schlug gleich darauf ihre Tür hinter sich zu. Wenn nur ihr Vater da wäre! Seit vor fünf Jahren, im Jahr des Herrn 1425, Bilkes Mutter bei der Geburt des Jüngsten, Knud, gestorben war, sorgte Heimo von Ranteln allein für seine Kinder. Obwohl er ein Geschäft zu führen hatte und es für einen Mann gänzlich ungewöhnlich war, sich um seine Kinder zu kümmern, tat er dies mit einiger Hingabe und war stets für Bilke und ihre Geschwister da. Gewiss, die Kinderfrau war ihm stets zur Hand gegangen, doch blieben ihm noch immer genug Arbeit und Sorgen, die er nicht auf fremde Schultern abwälzen konnte. Nie würde Bilke den Tag kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag vergessen, an dem sie, wie schon bei ihren anderen Geschwistern, voller Spannung darauf gewartet hatte, in die Kammer der Eltern schleichen und das Neugeborene betrachten zu dürfen. Nur war diesmal alles anders. Schon erklang das für einen Säugling gewiss kräftig zu nennende Schreien des Kindes, das gedämpft durch die schweren Holztüren nur schwach an Bilkes Ohren drang. Und im nächsten Moment erfüllte ein Schrei das ganze Haus, der so laut und schauderhaft war, dass sie ihn ihr ganzes Leben nicht würde vergessen können. Es klang wie das Kreischen und Ächzen eines wilden Tieres, doch es war Bilkes Vater, der den Tod seiner Frau beklagte. Einige Tage bekamen Bilke und Bente und die Brüder Holger und Hauke ihren Vater nicht zu Gesicht. Sie trösteten sich mit dem winzigen Knud - die Mutter war sich sehr früh sicher gewesen, dass es ein Junge werden würde, und hatte diesen Namen gewählt - und waren mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt. Bilke, als die Älteste, gab sich alle Mühe, Bente und die Jungen zu trösten. Gern hätte sie auch ihrem Vater Trost gespendet, wenn sie ihn manchmal nachts vor Kummer stöhnen hörte. Meist waren zuvor Schritte zu hören gewesen. Wahrscheinlich war er ruhelos herumgelaufen, oder eine Magd hatte ihm noch etwas zu essen oder zu trinken gebracht oder ihm eine Wärmfl asche gerichtet. Nach dem Begräbnis seiner Frau ging Heimo wieder seinen Geschäften nach, dem Handel mit Gewürzen, Salz und vor allem Hering und Stockfi sch. Er achtete überraschenderweise noch mehr als zuvor auf seine Kleidung, seine Haarpracht und seinen stattlichen Bart. Bilke fiel auf, dass die Kinderfrau seit dem Tod von Frau von Ranteln beschwingter wirkte und mit einem Mal zu geröteten Wangen neigte. Sie fragte sich, ob die Bedienstete womöglich ihren Kummer und die Mehrbelastung mit dem einen oder anderen Gläschen zu betäuben suchte. Von solchen Fällen hatte man schon gehört.
Ein Donner ertönte, gleich darauf ein Krachen und das alles durchdringende Geräusch von berstendem Holz. Bilke zuckte zusammen. Sie stellte fest, dass sie noch immer wie angewurzelt in ihrer Kabine stand. Es musste doch irgendetwas geben, das sie tun konnte. Nun gab es keinen Zweifel mehr, dass es sich um Piraten handelte, die sich anschickten, die lübsche Kogge zu entern. Hilfe von den Schutzbooten war off enkundig nicht zu erwarten. Sie strich das nasse Kleid glatt und richtete notdürftig die Haare und die Haube. Sie würde einem Kapitän, selbst wenn es sich um den eines Piratenschiff es handelte, so gegenübertreten, wie es sich für die Tochter eines angesehenen Rigafahrers gehörte. Bilke lauschte auf die Geräusche, deren Vielfalt mit jeder Sekunde zu wachsen schien, als würden unterschiedliche Instrumente sich nach und nach zu einem mehrstimmigen Orchester zusammenfinden. Zu dem Glucksen der Wellen, die an den Schiff sleib schlugen, kamen die Rufe der Männer, die zur Mannschaft gehörten, und längst auch die Schreie der Angreifer. Zudem war ein unregelmäßiges Trommeln wie von schweren Hagelkörnern auf einem Holzdach zu hören, das immer wieder von Schmerzenslauten durchbrochen wurde. Mit einem Mal gab es einen dumpfen Schlag, als ob ein schwerer eiserner Gegenstand gegen die Bordwand krachte. Bilke fiel ein, wie ihr Vater ihren Brüdern einmal erzählt hatte, dass Piraten Wurfanker aus Eisen verwendeten, um ihr Boot längsseits an ihre Beute heranzuziehen und dann entern zu können. Während sie daran dachte, wie sie, auf ihrer Fidel übend, damals über die Geschichte gelächelt hatte, spürte sie einen kräftigen Ruck, hörte gleich darauf einen lauten Schlag, verlor die Balance und stürzte auf die schlichte Pritsche, die ihr an Bord als Nachtlager diente. Also war die Geschichte mit dem durch die Luft sausenden Anker doch kein Ammenmärchen gewesen. Dann fielen die ersten Schüsse. Sie richtete sich kerzengerade auf, wartete und starrte auf die niedrige Holztür. Sie hätte nicht annähernd raten können, wie lange sie so saß, auf die grauenhaften Töne lauschend, die von berstendem Holz - oder waren es gar Knochen? - verursacht wurden oder die aus den Kehlen der gepeinigten Männer kamen. Plötzlich hörte sie ihren Namen, ausgesprochen mit einer tiefen Stimme, die zwar Bilkes Sprache benutzte, mit ihr aber off enbar nicht völlig vertraut war.
»Ich weiß, dass sie an Bord ist«, sagte die Stimme mit großer Überzeugung. Schritte kamen näher.
Bilke bemerkte, dass sie zitterte. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte es nicht abstellen. Seeräuber für dumm zu halten wäre ihr nicht eingefallen. Dafür hatte sie schon zu viel von ihnen gehört. Dass sie aber die Personen mit Namen zu nennen wussten, die auf einem Handelsschiff reisten, erstaunte sie doch. Woher nur konnten sie derartige Kenntnisse haben? Sie stand auf, straff te sich, strich fahrig über das noch immer nasse Kleid und blickte so stolz und ruhig, wie es ihr nur möglich war, zu der Tür, hinter der die Schritte immer lauter wurden.
»Nein, Sie können nicht ...«, hörte sie den Kapitän ganz nah bei ihrer Kabine. Dann gab er ein ersticktes Gurgeln von sich und schwieg. Sie schluckte. Die Tür wurde geöff net. Bilke konzentrierte sich auf den Schlag ihres Herzens, den sie wild, beinahe schmerzhaft in der Brust spürte und der, wie ihr scheinen wollte, den gleichen Takt hatte wie das Pochen in ihrem Knie. Ein Mann stand in der offenen Tür. Er war groß und trug eine Hose, die einige Risse aufwies, ein ebensolches Hemd und eine Lederweste darüber.
»Da ist sie also«, sagte er mit dieser Aussprache, die ihn auf der Stelle als Dänen entlarvte. Jedes S zischte, und die Worte wurden zwischen engen Kieferknochen zermahlen.
Bilke sah ihm in die Augen, die grau und kalt waren wie das Meer.
»Kommen Sie schon raus aus Ihrem Versteck, oder soll ich zu Ihnen hineinkommen?« Bilke konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, seine eigene Zunge sei ihm andauernd im Weg. Unter anderen Umständen hätte sie darüber gelacht. Doch in dieser Situation war ihr keineswegs nach Heiterkeit zumute. Ohne ein Wort trat sie auf ihn zu, bückte sich unter dem niedrigen Türrahmen hindurch und stand ganz dicht vor ihm. Er war fast einen Kopf größer als sie. Trotzdem blickte sie ihm auch jetzt fest in die Augen.
»Bilke von Ranteln, habe ich recht?«
Sie nickte.
»Können Sie nicht sprechen, Bilke von Ranteln?« Es klang nicht böse oder aggressiv, wie er fragte, eher abwartend, fast ein wenig verständnisvoll.
»Lassen Sie sie in Frieden, ich flehe Sie an.« Kapitän von Holstein machte einen Schritt nach vorn, wurde aber von einem Mann festgehalten, der lange schwarze Haare und eine unübersehbare Narbe quer über der Nase hatte. Bilke bemerkte, dass von Holstein an der rechten Schläfe blutete.
»Wir ergeben uns«, fuhr er unbeirrt fort. »Das habe ich Ihnen doch bereits zugesichert. Wir laden unsere Fracht auf Ihr Schiff um und ziehen dann unseres Weges. Fräulein von Ranteln kann wohl kaum von Nutzen für Sie sein, also lassen Sie sie mit uns nach Hause segeln.«
Der Piratenkapitän, dessen rotblondes, ungestüm gelocktes Haar sein kantiges Gesicht einrahmte, drehte sich langsam zu von Holstein um.
»Ihr ergebt euch?« Er machte eine Pause und begann dann dröhnend zu lachen. Seine Männer, die überall an Deck verteilt waren, stimmten ein.
Erst jetzt wagte Bilke, sich genauer umzusehen. Was sie sah, war grauenvoll. Die Segel der Kogge hingen in Fetzen, der Mast war so schwer getroff en worden, dass er in zwei Stücke geborsten war. Das Deck war von nassem Sand bedeckt, der an einigen Stellen durch das Kampfgetümmel zu einem Haufen zusammengeschoben, an anderen Stellen von Blut getränkt war. Einige Seeleute lagen reglos auf den Planken. Stoff war zerfetzt, die Haut, die darunter zum Vorschein kam, war es ebenfalls. Was wie Hagelkörner geklungen hatte, musste Schrot gewesen sein. Überall ragten Holzsplitter in die Luft, waren Löcher geschlagen, Seile und Taue in tausend Stücke gerissen. Auch einige der Toten waren auf die gefährliche Waff e zurückzuführen, die wegen ihrer Streuwirkung, durch die Menschen schwer verletzt wurden und Material zerstört wurde, gefürchtet war. Wer von der Mannschaft der Kogge noch auf seinen zwei Beinen stehen konnte, wurde von Piraten bewacht und hielt die Hände zum Zeichen der Unterwerfung über den Kopf. Welch ein Gegensatz, kam es Bilke in den Sinn: die lachenden Angreifer, die kaum Verluste zu beklagen hatten, und die Besiegten, die verängstigt und verzweifelt dreinblickten. Anscheinend hatte dieser Verbrecher, der ihr gegenüberstand, allen Grund, zu lachen. Viel Ge genwehr war von den lübschen Seeleuten nicht mehr zu erwarten. Sie hatten wohl kaum eine andere Wahl, als sich zu ergeben.
Ganz langsam drehte sich der Blonde nun wieder zu Bilke um. Obwohl seine Antwort im Grunde von Holstein galt, sah er sie an, während er sprach: »Irrtum, mein Bester, ich bin davon überzeugt, dass sie mir und meinen Männern noch von großem Nutzen sein kann.«
Zwar stand er mit dem Rücken zu seinen Leuten, doch er sprach laut genug, um gehört zu werden. Schmutziges Gelächter und Pfi ffe waren die Antwort. Bilke musste wieder schlucken und hoff te inständig, dass er nicht sah, wie sehr sie erschauderte.
»Leider muss ich Sie auch enttäuschen, was Ihre Pläne für Ihre Heimreise betriff t. Wir werden umladen, was wir gebrauchen können. Danach machen wir mit diesem Kahn ein Feuerchen.« Nun drehte er sich zu von Holstein um und trat einen Schritt von Bilke weg. »Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Bester, ich bin ein Ehrenmann. Ich werde Sie und Ihre Männer am Leben lassen, wenn Sie sich entschließen können, in Zukunft unter meinem Kommando auf meiner prächtigen Karacke zu fahren. Das Schiff kann ich Ihnen nicht lassen. Ich weiß, wie schnell Sie damit zurück in Lübeck wären. Und ich weiß auch, was Sie dort auf der Stelle tun würden.«
Kein Zweifel, dass der Mann recht hatte. Natürlich würde von Holstein, kaum dass die Übeltäter außer Sicht wären, seine Leute anhalten, notdürftig Segel, Taue und Mast in Ordnung zu bringen, und dann, ohne eine weitere Minute zu verlieren, gen Lübeck aufbrechen, um dafür zu sorgen, dass man den Piraten nachstellte. Noch immer sagte Bilke kein Wort. Was hätte es geholfen? Die Kogge, die den Namen Marie trug, würde brennen. Es gab nichts, was das verhindern konnte.
Der Blonde wendete sich ihr erneut zu: »Wie ich sagte, ich bin ein Mann mit Ehrgefühl und Moral. Ich weiß, was sich gegenüber einer Dame gehört.« Er neigte ein wenig den Kopf. Die Geste allein hätte womöglich Ehrerbietung ausdrücken können, doch sein Lächeln, voller Ironie und Verachtung, sprach eine andere Sprache. »Svendsson«, stellte er sich ihr vor. »Von nun an Ihr Kapitän. Gestatten Sie, dass ich Sie auf Ihr Schiff bringe?« Was wie eine Frage klang, war in Wahrheit ein Befehl. Er trat einen Schritt zur Seite und bedeutete ihr mit der ausgestreckten Hand, an ihm vorbeizugehen.
Sie hob den Saum ihres Kleides an, damit er nicht beschmutzt wurde, und stolzierte aufrecht und mit erhobenem Kopf an dem Piratenkapitän vorüber. Um keinen Preis würde sie die Fassung verlieren oder sich ungehörig benehmen. Nachdem sie die Stufen von dem Kastell auf das Deck hinabgestie - gen war, fiel ihr etwas ein, und sie blieb unvermittelt stehen. Svendsson, der ihr die Stufen hinab gefolgt war, prallte gegen ihren Rücken.
»Vorwärts«, kommandierte er.
Bilke machte einen Schritt zur Seite, um ein wenig Abstand zwischen sich und den Mann zu bringen. Dann drehte sie sich um.
»Darf ich meine Fidel mitnehmen, bitte?«, fragte sie. Svendsson zog die Augenbrauen hoch. Ihren Namen mochte er kennen, aber off enbar wusste er nicht viel über sie.
»Sie spielen die Fidel?«, fragte er zurück.
»Gewiss«, sagte sie in einem ganz natürlichen Ton, als würde sie sich jeden Tag mit einem Freibeuter unterhalten. »Mein Vater hat sie mir aus Spanien mitgebracht. Ich meine, ich verstehe mich recht gut auf den Umgang mit dem Instrument.« »Ein bisschen Unterhaltung kann bestimmt nicht schaden«, entschied Svendsson nach kurzem Zögern. Sie nahm wahr, wie zwei Männer der gegnerischen Mannschaft miteinander tuschelten und lachten, doch sie gab sich alle Mühe, nicht auf sie zu achten.
»Beeilen Sie sich!«
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Am vierten Tag von Bilke von Rantelns Reise nach Riga zogen schwere Wetter auf. Düstere Wolken türmten sich vor einem gelblichen Himmel, der auf die Lübecker Kaufmannstochter bedrohlich wirkte. Schon seit der Nacht hatte der Wind beständig zugenommen und sich schließlich zu einem gewaltigen Sturm entwickelt. Bilke wusste, dass sie besser in ihrer Kabine geblieben wäre. Doch bei allem Komfort und aller Behaglichkeit, die der kleine Raum in dem Kastell bot, einem Aufbau am Heck der mächtigen Kogge, wie man ihn seit geraumer Zeit baute, konnte er sie doch nicht mit frischer Luft versorgen. Stickig war es und finster, da es nicht einmal ein kleines Fenster gab. Sie hatte Sorge, dass sie sich würde erbrechen müssen, und war an Deck gekommen. Besser, an der Reling festgeklammert würgen, als womöglich den Inhalt ihres Magens auf dem hölzernen Boden ihrer Kabine wiederzufi nden. Obwohl sie gute Vorräte an Schollen und Rindfl eisch mit sich führten, gab es an diesem Tag nur Zwieback und Butter. Das Herdfeuer war gelöscht worden, als der Sturm immer mehr an Kraft zugelegt hatte, damit nicht womöglich ein Brand entstünde. Bilke war es gerade recht. Appetit hatte sie ohnehin keinen. Schon der harte Zwieback lag ihr schwer im Magen. Aber ihr Vater hatte ihr vor ihrer ersten Seereise aufgetragen, auch dann zu essen, wenn ihr nicht danach zumute war, weil es ihr dann besser-gehen würde, als wenn sie mit leerem Magen das Schwanken und Rollen, das Heben, Senken und Kippen des Schiff es auszuhalten versuchte.
Sie dachte an ihren Vater, ihre liebste Schwester Bente, die ihr glich wie eine Birke der anderen, und an Lübeck, wo sie mit ihren weiteren drei Geschwistern aufgewachsen war. Wie lange schien es her zu sein, dass sie an einem lausig kalten Apriltag des Jahres 1430 an Bord dieses Handelsschiff es gegangen war, um eine Reise anzutreten, die ihr ganzes Leben verändern würde. Ihr war, als sei sie bereits Wochen auf diesem Schiff unterwegs, dabei waren es erst einige Tage. Jede Minute floss unendlich zäh dahin, so langsam wie eine alte Frau, die sich schwerfällig aus einem Sessel erhob. Dabei wünschte sich Bilke doch nichts sehnlicher, als endlich livländischen Boden zu betreten. Der Grund ihrer Reise war ein äußerst glücklicher. Zum ersten Mal würde sie Hartwych begegnen, dem Sohn des Pelzhändlers Hans van Broke. An seiner Seite, so war es beschlossen, würde sie ihr Leben verbringen. Sie wusste, dass er ein weltgewandter und gebildeter Kaufmann aus den vornehmsten Kreisen Rigas war. Wenn sie an ihn dachte, klopfte ihr Herz einen Takt schneller. Wie mochte er wohl aussehen? Wie klang sein Lachen? Sie konnte es kaum erwarten, die Antworten auf all ihre Fragen zu bekommen.
Eine Welle war luvseits herangerollt und schlug jetzt hart gegen den Schiff sleib. Die Kogge neigte sich gefährlich zur Seite. Ein Bootsmann schrie Bilke gegen den tosenden Sturm an, sie habe sich augenblicklich wieder in ihre Unterkunft zu begeben. Sie zu begleiten, dazu fehlte ihm jedoch die Möglichkeit, denn er war vollauf damit beschäftigt, sich festzuhalten, um nicht zu stürzen. In der nächsten Sekunde musste er schon wieder Matrosen kommandieren und Rücksprache mit dem Kapitän halten. Bilke stand auf der dem Land abgewandten Seite des Schiff es. Ihre Finger klammerten sich Sie dachte an ihren Vater, ihre liebste Schwester Bente, die ihr glich wie eine Birke der anderen, und an Lübeck, wo sie mit ihren weiteren drei Geschwistern aufgewachsen war. Wie lange schien es her zu sein, dass sie an einem lausig kalten Apriltag des Jahres 1430 an Bord dieses Handelsschiff es gegangen war, um eine Reise anzutreten, die ihr ganzes Leben verändern würde. Ihr war, als sei sie bereits Wochen auf diesem Schiff unterwegs, dabei waren es erst einige Tage. Jede Minute floss unendlich zäh dahin, so langsam wie eine alte Frau, die sich schwerfällig aus einem Sessel erhob. Dabei wünschte sich Bilke doch nichts sehnlicher, als endlich livländischen Boden zu betreten. Der Grund ihrer Reise war ein äußerst glücklicher. Zum ersten Mal würde sie Hartwych begegnen, dem Sohn des Pelzhändlers Hans van Broke. An seiner Seite, so war es beschlossen, würde sie ihr Leben verbringen. Sie wusste, dass er ein weltgewandter und gebildeter Kaufmann aus den vornehmsten Kreisen Rigas war. Wenn sie an ihn dachte, klopfte ihr Herz einen Takt schneller. Wie mochte er wohl aussehen? Wie klang sein Lachen? Sie konnte es kaum erwarten, die Antworten auf all ihre Fragen zu bekommen.
Eine Welle war luvseits herangerollt und schlug jetzt hart gegen den Schiff sleib. Die Kogge neigte sich gefährlich zur Seite. Ein Bootsmann schrie Bilke gegen den tosenden Sturm an, sie habe sich augenblicklich wieder in ihre Unterkunft zu begeben. Sie zu begleiten, dazu fehlte ihm jedoch die Möglichkeit, denn er war vollauf damit beschäftigt, sich festzuhalten, um nicht zu stürzen. In der nächsten Sekunde musste er schon wieder Matrosen kommandieren und Rücksprache mit dem Kapitän halten. Bilke stand auf der dem Land abgewandten Seite des Schiff es. Ihre Finger klammerten sich nächsten Augenblick. Bilke erschrak. Herrschte eben schon wegen des schlechten Wetters und der tobenden See Unruhe unter der Mannschaft, steigerte sich diese jetzt zu nahezu panischer Betriebsamkeit. Die Männer brüllten Kommandos, schleppten Eimer heran und begannen, Sand auf die hölzernen Planken der Kogge zu schütten. Hier und da schwappte eine Welle über die stellenweise mannshohe Reling, so dass die Seeleute die Eimer gleich wieder füllen und erneut auskippen mussten. Sie wusste, was das bedeutet. Ihr Vater war oft genug mit seiner Ware auf der Ostsee unterwegs gewesen und hatte davon berichtet. Der Sand sollte verhindern, dass das Schiff in Flammen aufging, wenn es zum Gefecht kam, und er sollte den Männern mehr Halt auf dem nassen Holz geben. Sie begriff schlagartig, dass der schnittige Dreimaster, der direkt auf sie zuhielt, ein Piratenschiff sein musste. Ihr stockte der Atem. Die Übelkeit, die sie vollkommen vergessen hatte, kehrte unvermittelt zurück. Schon war das Schiff heran. Bilke musste sich in ihrer Kammer verbergen. Als sie es wagte, die Reling loszulassen, konnte sie die Männer an Bord des feindlichen Seglers bereits erkennen. Einer von ihnen hisste eine blutrote Flagge.
Bilke hastete auf die Treppe zu, die sie nach oben führen würde. Einen kurzen Moment zögerte sie, überlegte, ob es nicht klüger sei, sich zwischen Salz, Stockfi sch und Hering zu verkriechen. Im Bauch der Kogge wäre sie sicher, das wusste sie. Oft genug hatte ihr Vater erzählt, dass Piraten niemals auf den Rumpf unterhalb der Wasserlinie zielten, denn bei einem solchen Treff er könnte das angegriff ene Schiff leicht sinken. Und damit gleichzeitig ihre Beute. Nein, so töricht waren Piraten nicht. Sie kamen erst ganz nah heran und setzten dann die verteidigungsbereite Mannschaft außer Gefecht. Und dann machten sie sich über die Ladung her und würden auch eine Frau entdecken, die sich dort verbarg. Sie schauderte. Eine Gänsehaut kroch über ihren Nacken und breitete sich aus. Und das lag gewiss nicht allein an der Kälte. Nur wenige Schritte noch. Bilke konzentrierte sich darauf, schnell voranzukommen, ohne zu fallen. Ihr von der Gischt inzwischen vollkommen durchnässtes Kleid war ihr dabei hinderlich, denn es legte sich schwer um ihre Beine. Sie versuchte, den üppigen roten Stoff zu raff en, als eine Welle die Kogge anhob und gleich darauf in ein tiefes Tal stürzen ließ. Bilke machte rasch einen Schritt zur Seite, um sich abzufangen, und stieß mit dem Knie gegen das Geländer der kleinen Treppe, die zu ihrer Kabine führte. Sie kümmerte sich nicht um das schmerzhafte Pochen, sprang eilig die vier Stufen hin auf und schlug gleich darauf ihre Tür hinter sich zu. Wenn nur ihr Vater da wäre! Seit vor fünf Jahren, im Jahr des Herrn 1425, Bilkes Mutter bei der Geburt des Jüngsten, Knud, gestorben war, sorgte Heimo von Ranteln allein für seine Kinder. Obwohl er ein Geschäft zu führen hatte und es für einen Mann gänzlich ungewöhnlich war, sich um seine Kinder zu kümmern, tat er dies mit einiger Hingabe und war stets für Bilke und ihre Geschwister da. Gewiss, die Kinderfrau war ihm stets zur Hand gegangen, doch blieben ihm noch immer genug Arbeit und Sorgen, die er nicht auf fremde Schultern abwälzen konnte. Nie würde Bilke den Tag kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag vergessen, an dem sie, wie schon bei ihren anderen Geschwistern, voller Spannung darauf gewartet hatte, in die Kammer der Eltern schleichen und das Neugeborene betrachten zu dürfen. Nur war diesmal alles anders. Schon erklang das für einen Säugling gewiss kräftig zu nennende Schreien des Kindes, das gedämpft durch die schweren Holztüren nur schwach an Bilkes Ohren drang. Und im nächsten Moment erfüllte ein Schrei das ganze Haus, der so laut und schauderhaft war, dass sie ihn ihr ganzes Leben nicht würde vergessen können. Es klang wie das Kreischen und Ächzen eines wilden Tieres, doch es war Bilkes Vater, der den Tod seiner Frau beklagte. Einige Tage bekamen Bilke und Bente und die Brüder Holger und Hauke ihren Vater nicht zu Gesicht. Sie trösteten sich mit dem winzigen Knud - die Mutter war sich sehr früh sicher gewesen, dass es ein Junge werden würde, und hatte diesen Namen gewählt - und waren mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt. Bilke, als die Älteste, gab sich alle Mühe, Bente und die Jungen zu trösten. Gern hätte sie auch ihrem Vater Trost gespendet, wenn sie ihn manchmal nachts vor Kummer stöhnen hörte. Meist waren zuvor Schritte zu hören gewesen. Wahrscheinlich war er ruhelos herumgelaufen, oder eine Magd hatte ihm noch etwas zu essen oder zu trinken gebracht oder ihm eine Wärmfl asche gerichtet. Nach dem Begräbnis seiner Frau ging Heimo wieder seinen Geschäften nach, dem Handel mit Gewürzen, Salz und vor allem Hering und Stockfi sch. Er achtete überraschenderweise noch mehr als zuvor auf seine Kleidung, seine Haarpracht und seinen stattlichen Bart. Bilke fiel auf, dass die Kinderfrau seit dem Tod von Frau von Ranteln beschwingter wirkte und mit einem Mal zu geröteten Wangen neigte. Sie fragte sich, ob die Bedienstete womöglich ihren Kummer und die Mehrbelastung mit dem einen oder anderen Gläschen zu betäuben suchte. Von solchen Fällen hatte man schon gehört.
Ein Donner ertönte, gleich darauf ein Krachen und das alles durchdringende Geräusch von berstendem Holz. Bilke zuckte zusammen. Sie stellte fest, dass sie noch immer wie angewurzelt in ihrer Kabine stand. Es musste doch irgendetwas geben, das sie tun konnte. Nun gab es keinen Zweifel mehr, dass es sich um Piraten handelte, die sich anschickten, die lübsche Kogge zu entern. Hilfe von den Schutzbooten war off enkundig nicht zu erwarten. Sie strich das nasse Kleid glatt und richtete notdürftig die Haare und die Haube. Sie würde einem Kapitän, selbst wenn es sich um den eines Piratenschiff es handelte, so gegenübertreten, wie es sich für die Tochter eines angesehenen Rigafahrers gehörte. Bilke lauschte auf die Geräusche, deren Vielfalt mit jeder Sekunde zu wachsen schien, als würden unterschiedliche Instrumente sich nach und nach zu einem mehrstimmigen Orchester zusammenfinden. Zu dem Glucksen der Wellen, die an den Schiff sleib schlugen, kamen die Rufe der Männer, die zur Mannschaft gehörten, und längst auch die Schreie der Angreifer. Zudem war ein unregelmäßiges Trommeln wie von schweren Hagelkörnern auf einem Holzdach zu hören, das immer wieder von Schmerzenslauten durchbrochen wurde. Mit einem Mal gab es einen dumpfen Schlag, als ob ein schwerer eiserner Gegenstand gegen die Bordwand krachte. Bilke fiel ein, wie ihr Vater ihren Brüdern einmal erzählt hatte, dass Piraten Wurfanker aus Eisen verwendeten, um ihr Boot längsseits an ihre Beute heranzuziehen und dann entern zu können. Während sie daran dachte, wie sie, auf ihrer Fidel übend, damals über die Geschichte gelächelt hatte, spürte sie einen kräftigen Ruck, hörte gleich darauf einen lauten Schlag, verlor die Balance und stürzte auf die schlichte Pritsche, die ihr an Bord als Nachtlager diente. Also war die Geschichte mit dem durch die Luft sausenden Anker doch kein Ammenmärchen gewesen. Dann fielen die ersten Schüsse. Sie richtete sich kerzengerade auf, wartete und starrte auf die niedrige Holztür. Sie hätte nicht annähernd raten können, wie lange sie so saß, auf die grauenhaften Töne lauschend, die von berstendem Holz - oder waren es gar Knochen? - verursacht wurden oder die aus den Kehlen der gepeinigten Männer kamen. Plötzlich hörte sie ihren Namen, ausgesprochen mit einer tiefen Stimme, die zwar Bilkes Sprache benutzte, mit ihr aber off enbar nicht völlig vertraut war.
»Ich weiß, dass sie an Bord ist«, sagte die Stimme mit großer Überzeugung. Schritte kamen näher.
Bilke bemerkte, dass sie zitterte. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte es nicht abstellen. Seeräuber für dumm zu halten wäre ihr nicht eingefallen. Dafür hatte sie schon zu viel von ihnen gehört. Dass sie aber die Personen mit Namen zu nennen wussten, die auf einem Handelsschiff reisten, erstaunte sie doch. Woher nur konnten sie derartige Kenntnisse haben? Sie stand auf, straff te sich, strich fahrig über das noch immer nasse Kleid und blickte so stolz und ruhig, wie es ihr nur möglich war, zu der Tür, hinter der die Schritte immer lauter wurden.
»Nein, Sie können nicht ...«, hörte sie den Kapitän ganz nah bei ihrer Kabine. Dann gab er ein ersticktes Gurgeln von sich und schwieg. Sie schluckte. Die Tür wurde geöff net. Bilke konzentrierte sich auf den Schlag ihres Herzens, den sie wild, beinahe schmerzhaft in der Brust spürte und der, wie ihr scheinen wollte, den gleichen Takt hatte wie das Pochen in ihrem Knie. Ein Mann stand in der offenen Tür. Er war groß und trug eine Hose, die einige Risse aufwies, ein ebensolches Hemd und eine Lederweste darüber.
»Da ist sie also«, sagte er mit dieser Aussprache, die ihn auf der Stelle als Dänen entlarvte. Jedes S zischte, und die Worte wurden zwischen engen Kieferknochen zermahlen.
Bilke sah ihm in die Augen, die grau und kalt waren wie das Meer.
»Kommen Sie schon raus aus Ihrem Versteck, oder soll ich zu Ihnen hineinkommen?« Bilke konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, seine eigene Zunge sei ihm andauernd im Weg. Unter anderen Umständen hätte sie darüber gelacht. Doch in dieser Situation war ihr keineswegs nach Heiterkeit zumute. Ohne ein Wort trat sie auf ihn zu, bückte sich unter dem niedrigen Türrahmen hindurch und stand ganz dicht vor ihm. Er war fast einen Kopf größer als sie. Trotzdem blickte sie ihm auch jetzt fest in die Augen.
»Bilke von Ranteln, habe ich recht?«
Sie nickte.
»Können Sie nicht sprechen, Bilke von Ranteln?« Es klang nicht böse oder aggressiv, wie er fragte, eher abwartend, fast ein wenig verständnisvoll.
»Lassen Sie sie in Frieden, ich flehe Sie an.« Kapitän von Holstein machte einen Schritt nach vorn, wurde aber von einem Mann festgehalten, der lange schwarze Haare und eine unübersehbare Narbe quer über der Nase hatte. Bilke bemerkte, dass von Holstein an der rechten Schläfe blutete.
»Wir ergeben uns«, fuhr er unbeirrt fort. »Das habe ich Ihnen doch bereits zugesichert. Wir laden unsere Fracht auf Ihr Schiff um und ziehen dann unseres Weges. Fräulein von Ranteln kann wohl kaum von Nutzen für Sie sein, also lassen Sie sie mit uns nach Hause segeln.«
Der Piratenkapitän, dessen rotblondes, ungestüm gelocktes Haar sein kantiges Gesicht einrahmte, drehte sich langsam zu von Holstein um.
»Ihr ergebt euch?« Er machte eine Pause und begann dann dröhnend zu lachen. Seine Männer, die überall an Deck verteilt waren, stimmten ein.
Erst jetzt wagte Bilke, sich genauer umzusehen. Was sie sah, war grauenvoll. Die Segel der Kogge hingen in Fetzen, der Mast war so schwer getroff en worden, dass er in zwei Stücke geborsten war. Das Deck war von nassem Sand bedeckt, der an einigen Stellen durch das Kampfgetümmel zu einem Haufen zusammengeschoben, an anderen Stellen von Blut getränkt war. Einige Seeleute lagen reglos auf den Planken. Stoff war zerfetzt, die Haut, die darunter zum Vorschein kam, war es ebenfalls. Was wie Hagelkörner geklungen hatte, musste Schrot gewesen sein. Überall ragten Holzsplitter in die Luft, waren Löcher geschlagen, Seile und Taue in tausend Stücke gerissen. Auch einige der Toten waren auf die gefährliche Waff e zurückzuführen, die wegen ihrer Streuwirkung, durch die Menschen schwer verletzt wurden und Material zerstört wurde, gefürchtet war. Wer von der Mannschaft der Kogge noch auf seinen zwei Beinen stehen konnte, wurde von Piraten bewacht und hielt die Hände zum Zeichen der Unterwerfung über den Kopf. Welch ein Gegensatz, kam es Bilke in den Sinn: die lachenden Angreifer, die kaum Verluste zu beklagen hatten, und die Besiegten, die verängstigt und verzweifelt dreinblickten. Anscheinend hatte dieser Verbrecher, der ihr gegenüberstand, allen Grund, zu lachen. Viel Ge genwehr war von den lübschen Seeleuten nicht mehr zu erwarten. Sie hatten wohl kaum eine andere Wahl, als sich zu ergeben.
Ganz langsam drehte sich der Blonde nun wieder zu Bilke um. Obwohl seine Antwort im Grunde von Holstein galt, sah er sie an, während er sprach: »Irrtum, mein Bester, ich bin davon überzeugt, dass sie mir und meinen Männern noch von großem Nutzen sein kann.«
Zwar stand er mit dem Rücken zu seinen Leuten, doch er sprach laut genug, um gehört zu werden. Schmutziges Gelächter und Pfi ffe waren die Antwort. Bilke musste wieder schlucken und hoff te inständig, dass er nicht sah, wie sehr sie erschauderte.
»Leider muss ich Sie auch enttäuschen, was Ihre Pläne für Ihre Heimreise betriff t. Wir werden umladen, was wir gebrauchen können. Danach machen wir mit diesem Kahn ein Feuerchen.« Nun drehte er sich zu von Holstein um und trat einen Schritt von Bilke weg. »Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Bester, ich bin ein Ehrenmann. Ich werde Sie und Ihre Männer am Leben lassen, wenn Sie sich entschließen können, in Zukunft unter meinem Kommando auf meiner prächtigen Karacke zu fahren. Das Schiff kann ich Ihnen nicht lassen. Ich weiß, wie schnell Sie damit zurück in Lübeck wären. Und ich weiß auch, was Sie dort auf der Stelle tun würden.«
Kein Zweifel, dass der Mann recht hatte. Natürlich würde von Holstein, kaum dass die Übeltäter außer Sicht wären, seine Leute anhalten, notdürftig Segel, Taue und Mast in Ordnung zu bringen, und dann, ohne eine weitere Minute zu verlieren, gen Lübeck aufbrechen, um dafür zu sorgen, dass man den Piraten nachstellte. Noch immer sagte Bilke kein Wort. Was hätte es geholfen? Die Kogge, die den Namen Marie trug, würde brennen. Es gab nichts, was das verhindern konnte.
Der Blonde wendete sich ihr erneut zu: »Wie ich sagte, ich bin ein Mann mit Ehrgefühl und Moral. Ich weiß, was sich gegenüber einer Dame gehört.« Er neigte ein wenig den Kopf. Die Geste allein hätte womöglich Ehrerbietung ausdrücken können, doch sein Lächeln, voller Ironie und Verachtung, sprach eine andere Sprache. »Svendsson«, stellte er sich ihr vor. »Von nun an Ihr Kapitän. Gestatten Sie, dass ich Sie auf Ihr Schiff bringe?« Was wie eine Frage klang, war in Wahrheit ein Befehl. Er trat einen Schritt zur Seite und bedeutete ihr mit der ausgestreckten Hand, an ihm vorbeizugehen.
Sie hob den Saum ihres Kleides an, damit er nicht beschmutzt wurde, und stolzierte aufrecht und mit erhobenem Kopf an dem Piratenkapitän vorüber. Um keinen Preis würde sie die Fassung verlieren oder sich ungehörig benehmen. Nachdem sie die Stufen von dem Kastell auf das Deck hinabgestie - gen war, fiel ihr etwas ein, und sie blieb unvermittelt stehen. Svendsson, der ihr die Stufen hinab gefolgt war, prallte gegen ihren Rücken.
»Vorwärts«, kommandierte er.
Bilke machte einen Schritt zur Seite, um ein wenig Abstand zwischen sich und den Mann zu bringen. Dann drehte sie sich um.
»Darf ich meine Fidel mitnehmen, bitte?«, fragte sie. Svendsson zog die Augenbrauen hoch. Ihren Namen mochte er kennen, aber off enbar wusste er nicht viel über sie.
»Sie spielen die Fidel?«, fragte er zurück.
»Gewiss«, sagte sie in einem ganz natürlichen Ton, als würde sie sich jeden Tag mit einem Freibeuter unterhalten. »Mein Vater hat sie mir aus Spanien mitgebracht. Ich meine, ich verstehe mich recht gut auf den Umgang mit dem Instrument.« »Ein bisschen Unterhaltung kann bestimmt nicht schaden«, entschied Svendsson nach kurzem Zögern. Sie nahm wahr, wie zwei Männer der gegnerischen Mannschaft miteinander tuschelten und lachten, doch sie gab sich alle Mühe, nicht auf sie zu achten.
»Beeilen Sie sich!«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2010 by Knaur Verlag.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur
Nachf. GmbH & Co. KG, München.
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Autoren-Porträt von Lena Johannson
Lena Johannson, 1967 in Reinbek bei Hamburg geboren, war Buchhändlerin, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. Vor einiger Zeit erfüllte sich Lena Johannson einen Traum und zog an die Ostsee.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lena Johannson
- 2010, 512 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997678
- ISBN-13: 9783828997677
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