Die Dämonen - Freiheit oder Finsternis
Roman. Originalausgabe
Zwei Dämonen sind genug, um einen Kontinent in Brand zu setzen. Hundert Dämonen können eine Welt vernichten. Doch jetzt kommen hunderttausend! Tobias O. Meißner stellt die Menschheit vor ihre größte Aufgabe - den aussichtslosen Kampf um ihr eigenes Schicksal.
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Produktinformationen zu „Die Dämonen - Freiheit oder Finsternis “
Zwei Dämonen sind genug, um einen Kontinent in Brand zu setzen. Hundert Dämonen können eine Welt vernichten. Doch jetzt kommen hunderttausend! Tobias O. Meißner stellt die Menschheit vor ihre größte Aufgabe - den aussichtslosen Kampf um ihr eigenes Schicksal.
Klappentext zu „Die Dämonen - Freiheit oder Finsternis “
Zwei Dämonen sind genug, um einen Kontinent in Brand zu setzen. Hundert Dämonen können eine Welt vernichten. Doch jetzt kommen hunderttausend! Tobias O. Meißner stellt die Menschheit vor ihre größte Aufgabe den aussichtslosen Kampf um ihr eigenes Schicksal.Im ersten Band der "Dämonen" entkamen zwei düstere Geschöpfe aus ihrem magischen Gefängnis und stürzten das Land in einen verheerenden Krieg. Doch das waren nur zwei jetzt brechen die restlichen hunderttausend Dämonen aus. Eine gigantische Armee fällt in die Menschenwelt ein. Die Menschen formieren Truppen und schmieden Allianzen, aber die Übermacht ist erdrückend. In dieser Schlacht geht es nicht mehr um Besitztümer, Ländereien oder das eigene Überleben. Das Einzige, was noch zählt, ist das Schicksal der Menschheit Rasant und farbenprächtig wie ein Kinofilm Tobias O. Meißner erschafft unvergessliche Bilder von einer sterbenden Welt.
Lese-Probe zu „Die Dämonen - Freiheit oder Finsternis “
Die Dämonen - Freiheit oder Finsternis von Tobias O. Meißner1
noch neunundvierzig bis zum Ende
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Der Himmel, grau in grau, spie weichen Regen über das Land. Wolken hetzten von Süd nach Nord, ineinander-rasend, zerreißend und getrieben.
Die kleine Kapelle, die in der Nähe des Dämonenschlundes errichtet worden war, damit Pilgerfahrer hier beten und spenden konnten, duckte sich verschattet und glänzend unter dem Ansturm der Elemente.
Mit hochgeschlagenem Mantelkragen, aus dem das Wasser perlte, band Dirgin Kresterfell sein störrisches Maultier an einer geborstenen Säule an und schüttelte sich unbehaglich. Von den sonst scharf umrissenen Konturen der Brüchigen Berge waren nur fahle Gespenster zu sehen. Dieser Regen wusch alles aus. Die gesamte Jahreszeit, ein nasser und winddurchtoster Herbst, versank im Morast.
Als Dirgin Kresterfell sein faltiges, von grauen Bartstoppeln befallenes Gesicht dem Schlund zuwandte - der von hier aus schlecht zu sehen war, nur zu erahnen als lochförmige Unterbrechung des Landes -, konnte er trotz des Regens und trotz des stürmischen Brausens diesen eigentümlichen Eiklargeruch wittern, der dem unheimlichen Abgrund zu eigen war. Unruhig zerrte das Maultier an seinem ausgefransten Zügel. Kein lebendes Wesen wagte sich gern an den Schlund heran, doch Dirgin Kresterfell hatte einen Eid geleistet, und er gedachte, ihn bei jedem Wind und Wetter zu erfüllen.
Viermal im Jahr kam er hierher, auf Pilgerfahrt, wie er es nannte, um Stücke zu spenden, einen Laib Brot, ein Gefäß mit Farbe und alte Kinderkleidung seiner Tochter Lehenna, die vor einundzwanzig Jahren im schrecklichen Krieg zwischen dem Sechsten und dem Fünften Baronat verschont worden war, die hatte überleben dürfen aufgrund der Gnade des einzigen wahrlich überdauernden Gottes.
Was für ein Wahnsinn das gewesen war!
Die Baroness Meridienn den Dauren war plötzlich verrückt geworden, hatte ihr Baronat in Irathindurien umbenannt und begonnen, gegen das gesamte übrige Land Orison Krieg zu führen. Lehenna Kresterfell hatte sich damals freiwillig zu den Waffen gemeldet, mitgerissen von den aufpeitschenden Worten der schönen Baroness, noch bevor diese sich in das Zerrbild eines Menschen zu verwandeln begann. Sechzehn Jahre jung war Lehenna damals erst gewesen, und dennoch hatte die Armee sie aufgenommen, um einen, wie das damals vollmundig geheißen hatte: »Schwesternbrand zu entfachen, dessen Rauch noch auf Jahre zu schmecken sein wird.« Dirgin Kresterfell hatte getan, was ein Vater nur vermochte, um seine Tochter vor diesem Wahn zu bewahren. Er hatte sie angeschrien, geschlagen, schließlich sogar im Keller eingesperrt. Doch der Einfluss der Baroness, die sich selbst erst zu einer Art illegitimer Königin gekrönt hatte und sich später sogar in maßloser Verblendung als Göttin bezeichnete, war zu groß gewesen. Vernünftige Menschen verwandelten sich unter ihren Hetzworten in Bestien. Brüder und Schwestern wandten sich gegeneinander und fielen übereinander her. Viele Freunde und Vertraute hatte Dirgin Kresterfell in jenem Jahr verloren, und seine Tochter, das zarte Kind, hatte sich aus dem Keller gewühlt wie eine Ratte oder ein Wurm und war mit dem Heer gen Norden gezogen, Richtung Witercarz, in all das Blut und all das Leid. Und dort endlich wurden die Gebete eines verlassenen und zugrunde gerichteten Vaters dann endlich erhört: Im Kampfgetümmel wurde Lehenna von einem Versorgungsviehwagen der eigenen Armee überrollt und blieb mit zwei zerschmetterten Beinen im Lazarett, bis der ganze Spuk vorüber war. Die Armee zog noch weiter, bis in die Baronate des Nordens, wo der Feldzug sich dann auflöste, weil Meridienn den Dauren und der rechtmäßige König längst aneinander zerschellt waren und niemand mehr wusste, wohin und wozu. Unter der neuen Königin Lae I. schwappten die Baronate in ihre angestammten Grenzen zurück, das Land beruhigte sich, Geschmolzenes verfestigte sich, die Waffen wurden wieder zu Werkzeugen umgeformt, die Toten wurden begraben, die Wunden versorgt. Die Albträume blieben. Noch heute wachte Dirgin Kresterfell nachts manchmal stöhnend auf und sah seine einzige Tochter mit zu blutigem Staub zerriebenen Beinen in das Feuer einer Brandschatzung kriechen. Sie war nun längst verheiratet mit einem anständigen Mann, hatte zwei Kinder zur Welt gebracht und lebte fern ihres Geburtsdorfes in der Hauptstadt des Landes, aber Dirgin Kresterfell kam noch immer viermal im Jahr hierhin zu dieser Kapelle, um ein Dankesgebet zu sprechen und den einzigen wahrlich überdauernden Gott darum zu bitten, dass der Wahnsinn nicht von Neuem auflodere und den Eltern die Kinder entreiße.
Seit jeher war der Dämonenschlund in den Brüchigen Bergen ein verschwiegener Teil des Sechsten Baronats. Damals, vor einundzwanzig Jahren, hatte es so manche Gerüchte gegeben, dass die Baroness den Dauren eine Hexe, ja sogar eine Dämonin gewesen sei, mit goldener Haut und der Brust eines Mannes. Es gab auch welche, die behaupteten, der König selbst habe sich ebenfalls in einen Dämon verwandelt, in einen Riesen mit sechs Armen und drei Beinen, um der Dämonin den Dauren entgegentreten zu können. Und dennoch waren sich alle Geschichtsschreiber einig, dass dieser Krieg zwischen frei erfundenen Ländern mit seltsamen Namen wie Irathindurien und Helingerdia ein Krieg der Menschen gewesen war, in dem die Dämonen, die am Grunde des Schlundes kreisten, sich still verhalten und allenfalls schadenfroh geraunt hatten. Ein Krieg der Menschen, der den Menschen die Menschlichkeit geraubt hatte. Ein Krieg der Ideen, die nichts mit Aufbau und Schönheit zu tun gehabt hatten, sondern ausschließlich mit Zerstörung, Willkür und Gier.
Dirgin Kresterfell war ein Maler. Vor dem Krieg hatte er die Farbigkeit von Häusern gegen die Witterung ausgebessert, danach hatte er so manches Mal das Lodern des Krieges auf Leinwand darzustellen versucht. Immer wieder aufs Neue war der außer Kontrolle geratene Versorgungsviehwagen des eigenen Heeres in den Gemälden aufgetaucht. Sinnbild irregeleiteter Bemühung. Alles unter sich begrabenden Eigennutzes. Kalt kalkulierter Eifersucht, die im Angesicht der Flammen schrill zu brennen begann.
Einundzwanzig Jahre war das jetzt her. Dirgin Kresterfell konnte die Furcht und die Hilflosigkeit der damaligen Monate noch immer in seinen Knochen spüren, als hätte sich das alles erst vor wenigen Tagen ereignet.
Seitdem war so vieles besser geworden. Der Koordinator für kirchliche Angelegenheiten hatte neue Gebetshäuser errichten lassen, zum Ruhme des einzigen, wahrlich überdauernden Gottes. Der Koordinator des Wissens hatte Gemälde in Auftrag gegeben, die dazu beitragen sollten, den überstandenen Krieg als Mahnung zu bewahren. Der Koordinator der Schlösser hatte die Mittel bereitgestellt, beim Wiederaufbau des Fünften Baronats mit Fassadenfarben nicht zu sparen, sodass Dirgin Kresterfell in gleich zwei Baronaten regelmäßig Aufträge erhielt und ein wohlhabender Mann hatte werden können. Ein Weiser namens Serach den Saghi, war, obschon hochbetagt, in der ersten freien Volksabstimmung seit undenklichen Zeiten zum neuen Baron des Sechsten Baronats gewählt worden, zum Nachfolger der männerbrüstigen Baroness, und obwohl Serach inzwischen zu alt war, um noch ohne Hilfe laufen zu können, regierte er dieses Baronat mit Weisheit und Mildtätigkeit. Baron Serach hatte sogar daran gedacht, vor einigen Jahren den Bannkreis wieder instand setzen zu lassen, der den Dämonenschlund umgab und die in ihm gefangenen Dämonen am Ausbruch hinderte. Unter der Baroness den Dauren war dieser Bannkreis nämlich zerfallen, missachtet als nutzloses Relikt überlieferten Aberglaubens. In manchen Nächten war Dirgin Kresterfell sich keinesfalls sicher, ob das Kriegsgeschehen von damals nicht doch damit zu tun hatte, dass den Dämonen ein ungehinderter Zugang in die Welt der Menschen ermöglicht gewesen war. Denn was waren Dämonen, wenn nicht jener Teil der menschlichen Seele, der den Bruder gegen die Schwester hetzt und die Tochter wider den Vater? Und wo kam dieser Teil der menschlichen Seele her - wenn nicht aus dem Dämonenschlund?
Im Inneren der Kapelle, in der es dank der erst vor wenigen Jahren ersetzten Fenster still war, packte Dirgin Kresterfell sorgfältig seine in wasserdichtes Wachstuch gehüllten Opfergaben aus. Einundzwanzig Stücke, für die einundzwanzig Jahre Leben, die seiner Tochter seit dem furchtbaren Krieg geschenkt worden waren. Einen Laib frischgebackenes Malzkornbrot. Einen flachen Tiegel mit der Farbe, die er als Letztes zum Arbeiten benutzt hatte, diesmal ein sehr helles, beinahe an Eierschalen erinnerndes Gelb. Und ein winziger Strumpf, den Lehenna als Säugling getragen hatte. Das mit der Kinderkleidung war eine eigenartige Sache, für die Lehenna auch heute noch wenig Verständnis zeigte. Aber auf irgendeine Art und Weise musste Dirgin Kresterfell dem einzigen wahrlich überdauernden Gott doch zeigen, dass ihr Leben tatsächlich weiterging, und ihm danken, indem er ihn daran teilhaben ließ.
Und warum ausgerechnet diese Kapelle? Das fragte ihn seine Frau jedes Mal, wenn er wieder das Maultier bepackte und zu der beschwerlichen dreitägigen Reise aufbrach. Weshalb nicht eine der neu errichteten Kirchen im Dorf oder im nahe gelegenen Äußeren Schloss?
Eben weil diese Kapelle nicht nahe lag. Sie war der den Dämonen am weitesten entgegengeführte Vorposten der Menschlichkeit. Sie war ein winziges, von Weitem unbeträchtlich wirkendes Symbol, das auf Dirgin Kresterfell jedoch schon als Knabe großen Eindruck gemacht hatte. Denn genauso winzig und unbeträchtlich wie diese Kapelle waren ihm vor einundzwanzig Jahren sein Glauben und seine Hoffnung im Angesicht des lodernden Weltenbrandes vorgekommen. Und dennoch hatten der Glaube und die Hoffnung sich mit Gottes Hilfe gegen den Wahnsinn behauptet.
Er entzündete zwei Lichterchen, eines für sich und eines für Lehenna, und stimmte ein uraltes Lied an. So lasset uns in Demuth sein, im Lichte Gottes mildem Scheyn, so lasset uns gedencken der Schrecken und Geschencken. Von draußen rüttelte der Wind an den Schindeln des kleinen Daches, aber Dirgin Kresterfell ließ sich nicht beirren. Beinahe zwei Tage hatte er wandern müssen, nun wollte er sich auch zwei Stunden Zeit nehmen, die vergangenen Monate in der Rückschau zu betrachten und das, was sie ihm und seiner Tochter an Lebenswertem eingebracht hatten.
Ein eigenartiges, reißendes Geräusch unterbrach seine Erinnerungen. Zuerst wollte Dirgin Kresterfell sich gar nicht in seiner Andacht stören lassen. Doch dann kam ihm der Gedanke an sein Maultier, das schon fransig gewetzte Zaumzeug, den Sturm und den Regen. Falls das Tier sich losgerissen hatte, panisch geworden in unmittelbarer Nähe des Schlundes, würde Dirgin Kresterfell ein mühseliger Rückweg bevorstehen, ohne Wasser, Vorrat und Gesellschaft, bei diesem grässlichen Wetter. Aber wenn er sich beeilte, konnte er das Tier sicherlich noch einfangen, denn ohne menschliche Führung geruhte es, nach einigen Schritten wildem Galopp immer schnell wieder stehen zu bleiben und sich ratlos umzublicken.
Er bat den einzigen wahrlich überdauernden Gott um Verzeihung, schlüpfte in den Mantel, den er hier drinnen abgelegt hatte, und trat durch die schmale Tür ins Freie.
Das Maultier war immer noch an der Säule angebunden, die Zügel hielten, obwohl das Tier unruhig war, den Kopf hin und her warf und nervös die Augen verdrehte. Wahrscheinlich würde es bald zu donnern und blitzen beginnen, bei solcher Witterung wurde jedes Tier schwer zu bändigen.
Aber wenn die Zügel noch immer heil waren, was war das dann für ein Geräusch gewesen?
Dirgin Kresterfell kniff gegen den anstürmenden Regen die Augen zusammen und blickte sich um. Dann sah er es. Das Bannseil, das den Dämonenschlund in seinem ganzen Rund umgab als ein mit Sprüchen und Flüchen behängter Zaun, war gerissen und lag in Richtung auf die Kapelle schlaff zwischen zwei Pfählen auf der Erde. Gerissen durch die Einwirkung des Windes? Zermürbt vielleicht vom schon seit Tagen allem und jedem in die Poren kriechenden Regen? Das kam Dirgin Kresterfell eher unwahrscheinlich vor, schließlich wurde das Seil jetzt unter Baron Serachs aufmerksamer Hand alle zwei Jahre erneuert. Und weshalb war das Seil ausgerechnet in Richtung der Kapelle gerissen? Weil sich dort der Wind am eigentümlichsten brach? Oder war dies ein Zeichen Gottes, eine direkte Reaktion auf sein, Dirgin Kresterfells, Opfer und seinen Lobgesang? Man hatte ja schon gehört, dass jemand ein Trinkglas zersingen kann - aber ein Seil?
© Piper Verlag GmbH, München 2010
Der Himmel, grau in grau, spie weichen Regen über das Land. Wolken hetzten von Süd nach Nord, ineinander-rasend, zerreißend und getrieben.
Die kleine Kapelle, die in der Nähe des Dämonenschlundes errichtet worden war, damit Pilgerfahrer hier beten und spenden konnten, duckte sich verschattet und glänzend unter dem Ansturm der Elemente.
Mit hochgeschlagenem Mantelkragen, aus dem das Wasser perlte, band Dirgin Kresterfell sein störrisches Maultier an einer geborstenen Säule an und schüttelte sich unbehaglich. Von den sonst scharf umrissenen Konturen der Brüchigen Berge waren nur fahle Gespenster zu sehen. Dieser Regen wusch alles aus. Die gesamte Jahreszeit, ein nasser und winddurchtoster Herbst, versank im Morast.
Als Dirgin Kresterfell sein faltiges, von grauen Bartstoppeln befallenes Gesicht dem Schlund zuwandte - der von hier aus schlecht zu sehen war, nur zu erahnen als lochförmige Unterbrechung des Landes -, konnte er trotz des Regens und trotz des stürmischen Brausens diesen eigentümlichen Eiklargeruch wittern, der dem unheimlichen Abgrund zu eigen war. Unruhig zerrte das Maultier an seinem ausgefransten Zügel. Kein lebendes Wesen wagte sich gern an den Schlund heran, doch Dirgin Kresterfell hatte einen Eid geleistet, und er gedachte, ihn bei jedem Wind und Wetter zu erfüllen.
Viermal im Jahr kam er hierher, auf Pilgerfahrt, wie er es nannte, um Stücke zu spenden, einen Laib Brot, ein Gefäß mit Farbe und alte Kinderkleidung seiner Tochter Lehenna, die vor einundzwanzig Jahren im schrecklichen Krieg zwischen dem Sechsten und dem Fünften Baronat verschont worden war, die hatte überleben dürfen aufgrund der Gnade des einzigen wahrlich überdauernden Gottes.
Was für ein Wahnsinn das gewesen war!
Die Baroness Meridienn den Dauren war plötzlich verrückt geworden, hatte ihr Baronat in Irathindurien umbenannt und begonnen, gegen das gesamte übrige Land Orison Krieg zu führen. Lehenna Kresterfell hatte sich damals freiwillig zu den Waffen gemeldet, mitgerissen von den aufpeitschenden Worten der schönen Baroness, noch bevor diese sich in das Zerrbild eines Menschen zu verwandeln begann. Sechzehn Jahre jung war Lehenna damals erst gewesen, und dennoch hatte die Armee sie aufgenommen, um einen, wie das damals vollmundig geheißen hatte: »Schwesternbrand zu entfachen, dessen Rauch noch auf Jahre zu schmecken sein wird.« Dirgin Kresterfell hatte getan, was ein Vater nur vermochte, um seine Tochter vor diesem Wahn zu bewahren. Er hatte sie angeschrien, geschlagen, schließlich sogar im Keller eingesperrt. Doch der Einfluss der Baroness, die sich selbst erst zu einer Art illegitimer Königin gekrönt hatte und sich später sogar in maßloser Verblendung als Göttin bezeichnete, war zu groß gewesen. Vernünftige Menschen verwandelten sich unter ihren Hetzworten in Bestien. Brüder und Schwestern wandten sich gegeneinander und fielen übereinander her. Viele Freunde und Vertraute hatte Dirgin Kresterfell in jenem Jahr verloren, und seine Tochter, das zarte Kind, hatte sich aus dem Keller gewühlt wie eine Ratte oder ein Wurm und war mit dem Heer gen Norden gezogen, Richtung Witercarz, in all das Blut und all das Leid. Und dort endlich wurden die Gebete eines verlassenen und zugrunde gerichteten Vaters dann endlich erhört: Im Kampfgetümmel wurde Lehenna von einem Versorgungsviehwagen der eigenen Armee überrollt und blieb mit zwei zerschmetterten Beinen im Lazarett, bis der ganze Spuk vorüber war. Die Armee zog noch weiter, bis in die Baronate des Nordens, wo der Feldzug sich dann auflöste, weil Meridienn den Dauren und der rechtmäßige König längst aneinander zerschellt waren und niemand mehr wusste, wohin und wozu. Unter der neuen Königin Lae I. schwappten die Baronate in ihre angestammten Grenzen zurück, das Land beruhigte sich, Geschmolzenes verfestigte sich, die Waffen wurden wieder zu Werkzeugen umgeformt, die Toten wurden begraben, die Wunden versorgt. Die Albträume blieben. Noch heute wachte Dirgin Kresterfell nachts manchmal stöhnend auf und sah seine einzige Tochter mit zu blutigem Staub zerriebenen Beinen in das Feuer einer Brandschatzung kriechen. Sie war nun längst verheiratet mit einem anständigen Mann, hatte zwei Kinder zur Welt gebracht und lebte fern ihres Geburtsdorfes in der Hauptstadt des Landes, aber Dirgin Kresterfell kam noch immer viermal im Jahr hierhin zu dieser Kapelle, um ein Dankesgebet zu sprechen und den einzigen wahrlich überdauernden Gott darum zu bitten, dass der Wahnsinn nicht von Neuem auflodere und den Eltern die Kinder entreiße.
Seit jeher war der Dämonenschlund in den Brüchigen Bergen ein verschwiegener Teil des Sechsten Baronats. Damals, vor einundzwanzig Jahren, hatte es so manche Gerüchte gegeben, dass die Baroness den Dauren eine Hexe, ja sogar eine Dämonin gewesen sei, mit goldener Haut und der Brust eines Mannes. Es gab auch welche, die behaupteten, der König selbst habe sich ebenfalls in einen Dämon verwandelt, in einen Riesen mit sechs Armen und drei Beinen, um der Dämonin den Dauren entgegentreten zu können. Und dennoch waren sich alle Geschichtsschreiber einig, dass dieser Krieg zwischen frei erfundenen Ländern mit seltsamen Namen wie Irathindurien und Helingerdia ein Krieg der Menschen gewesen war, in dem die Dämonen, die am Grunde des Schlundes kreisten, sich still verhalten und allenfalls schadenfroh geraunt hatten. Ein Krieg der Menschen, der den Menschen die Menschlichkeit geraubt hatte. Ein Krieg der Ideen, die nichts mit Aufbau und Schönheit zu tun gehabt hatten, sondern ausschließlich mit Zerstörung, Willkür und Gier.
Dirgin Kresterfell war ein Maler. Vor dem Krieg hatte er die Farbigkeit von Häusern gegen die Witterung ausgebessert, danach hatte er so manches Mal das Lodern des Krieges auf Leinwand darzustellen versucht. Immer wieder aufs Neue war der außer Kontrolle geratene Versorgungsviehwagen des eigenen Heeres in den Gemälden aufgetaucht. Sinnbild irregeleiteter Bemühung. Alles unter sich begrabenden Eigennutzes. Kalt kalkulierter Eifersucht, die im Angesicht der Flammen schrill zu brennen begann.
Einundzwanzig Jahre war das jetzt her. Dirgin Kresterfell konnte die Furcht und die Hilflosigkeit der damaligen Monate noch immer in seinen Knochen spüren, als hätte sich das alles erst vor wenigen Tagen ereignet.
Seitdem war so vieles besser geworden. Der Koordinator für kirchliche Angelegenheiten hatte neue Gebetshäuser errichten lassen, zum Ruhme des einzigen, wahrlich überdauernden Gottes. Der Koordinator des Wissens hatte Gemälde in Auftrag gegeben, die dazu beitragen sollten, den überstandenen Krieg als Mahnung zu bewahren. Der Koordinator der Schlösser hatte die Mittel bereitgestellt, beim Wiederaufbau des Fünften Baronats mit Fassadenfarben nicht zu sparen, sodass Dirgin Kresterfell in gleich zwei Baronaten regelmäßig Aufträge erhielt und ein wohlhabender Mann hatte werden können. Ein Weiser namens Serach den Saghi, war, obschon hochbetagt, in der ersten freien Volksabstimmung seit undenklichen Zeiten zum neuen Baron des Sechsten Baronats gewählt worden, zum Nachfolger der männerbrüstigen Baroness, und obwohl Serach inzwischen zu alt war, um noch ohne Hilfe laufen zu können, regierte er dieses Baronat mit Weisheit und Mildtätigkeit. Baron Serach hatte sogar daran gedacht, vor einigen Jahren den Bannkreis wieder instand setzen zu lassen, der den Dämonenschlund umgab und die in ihm gefangenen Dämonen am Ausbruch hinderte. Unter der Baroness den Dauren war dieser Bannkreis nämlich zerfallen, missachtet als nutzloses Relikt überlieferten Aberglaubens. In manchen Nächten war Dirgin Kresterfell sich keinesfalls sicher, ob das Kriegsgeschehen von damals nicht doch damit zu tun hatte, dass den Dämonen ein ungehinderter Zugang in die Welt der Menschen ermöglicht gewesen war. Denn was waren Dämonen, wenn nicht jener Teil der menschlichen Seele, der den Bruder gegen die Schwester hetzt und die Tochter wider den Vater? Und wo kam dieser Teil der menschlichen Seele her - wenn nicht aus dem Dämonenschlund?
Im Inneren der Kapelle, in der es dank der erst vor wenigen Jahren ersetzten Fenster still war, packte Dirgin Kresterfell sorgfältig seine in wasserdichtes Wachstuch gehüllten Opfergaben aus. Einundzwanzig Stücke, für die einundzwanzig Jahre Leben, die seiner Tochter seit dem furchtbaren Krieg geschenkt worden waren. Einen Laib frischgebackenes Malzkornbrot. Einen flachen Tiegel mit der Farbe, die er als Letztes zum Arbeiten benutzt hatte, diesmal ein sehr helles, beinahe an Eierschalen erinnerndes Gelb. Und ein winziger Strumpf, den Lehenna als Säugling getragen hatte. Das mit der Kinderkleidung war eine eigenartige Sache, für die Lehenna auch heute noch wenig Verständnis zeigte. Aber auf irgendeine Art und Weise musste Dirgin Kresterfell dem einzigen wahrlich überdauernden Gott doch zeigen, dass ihr Leben tatsächlich weiterging, und ihm danken, indem er ihn daran teilhaben ließ.
Und warum ausgerechnet diese Kapelle? Das fragte ihn seine Frau jedes Mal, wenn er wieder das Maultier bepackte und zu der beschwerlichen dreitägigen Reise aufbrach. Weshalb nicht eine der neu errichteten Kirchen im Dorf oder im nahe gelegenen Äußeren Schloss?
Eben weil diese Kapelle nicht nahe lag. Sie war der den Dämonen am weitesten entgegengeführte Vorposten der Menschlichkeit. Sie war ein winziges, von Weitem unbeträchtlich wirkendes Symbol, das auf Dirgin Kresterfell jedoch schon als Knabe großen Eindruck gemacht hatte. Denn genauso winzig und unbeträchtlich wie diese Kapelle waren ihm vor einundzwanzig Jahren sein Glauben und seine Hoffnung im Angesicht des lodernden Weltenbrandes vorgekommen. Und dennoch hatten der Glaube und die Hoffnung sich mit Gottes Hilfe gegen den Wahnsinn behauptet.
Er entzündete zwei Lichterchen, eines für sich und eines für Lehenna, und stimmte ein uraltes Lied an. So lasset uns in Demuth sein, im Lichte Gottes mildem Scheyn, so lasset uns gedencken der Schrecken und Geschencken. Von draußen rüttelte der Wind an den Schindeln des kleinen Daches, aber Dirgin Kresterfell ließ sich nicht beirren. Beinahe zwei Tage hatte er wandern müssen, nun wollte er sich auch zwei Stunden Zeit nehmen, die vergangenen Monate in der Rückschau zu betrachten und das, was sie ihm und seiner Tochter an Lebenswertem eingebracht hatten.
Ein eigenartiges, reißendes Geräusch unterbrach seine Erinnerungen. Zuerst wollte Dirgin Kresterfell sich gar nicht in seiner Andacht stören lassen. Doch dann kam ihm der Gedanke an sein Maultier, das schon fransig gewetzte Zaumzeug, den Sturm und den Regen. Falls das Tier sich losgerissen hatte, panisch geworden in unmittelbarer Nähe des Schlundes, würde Dirgin Kresterfell ein mühseliger Rückweg bevorstehen, ohne Wasser, Vorrat und Gesellschaft, bei diesem grässlichen Wetter. Aber wenn er sich beeilte, konnte er das Tier sicherlich noch einfangen, denn ohne menschliche Führung geruhte es, nach einigen Schritten wildem Galopp immer schnell wieder stehen zu bleiben und sich ratlos umzublicken.
Er bat den einzigen wahrlich überdauernden Gott um Verzeihung, schlüpfte in den Mantel, den er hier drinnen abgelegt hatte, und trat durch die schmale Tür ins Freie.
Das Maultier war immer noch an der Säule angebunden, die Zügel hielten, obwohl das Tier unruhig war, den Kopf hin und her warf und nervös die Augen verdrehte. Wahrscheinlich würde es bald zu donnern und blitzen beginnen, bei solcher Witterung wurde jedes Tier schwer zu bändigen.
Aber wenn die Zügel noch immer heil waren, was war das dann für ein Geräusch gewesen?
Dirgin Kresterfell kniff gegen den anstürmenden Regen die Augen zusammen und blickte sich um. Dann sah er es. Das Bannseil, das den Dämonenschlund in seinem ganzen Rund umgab als ein mit Sprüchen und Flüchen behängter Zaun, war gerissen und lag in Richtung auf die Kapelle schlaff zwischen zwei Pfählen auf der Erde. Gerissen durch die Einwirkung des Windes? Zermürbt vielleicht vom schon seit Tagen allem und jedem in die Poren kriechenden Regen? Das kam Dirgin Kresterfell eher unwahrscheinlich vor, schließlich wurde das Seil jetzt unter Baron Serachs aufmerksamer Hand alle zwei Jahre erneuert. Und weshalb war das Seil ausgerechnet in Richtung der Kapelle gerissen? Weil sich dort der Wind am eigentümlichsten brach? Oder war dies ein Zeichen Gottes, eine direkte Reaktion auf sein, Dirgin Kresterfells, Opfer und seinen Lobgesang? Man hatte ja schon gehört, dass jemand ein Trinkglas zersingen kann - aber ein Seil?
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Autoren-Porträt von Tobias O. Meißner
Tobias O. Meißner, geboren 1967, studierte Kommunikations- und Theaterwissenschaften. Seit 1997 verdient er seinen Lebensunterhalt zur Hälfte als Farbrikarbeiter, zur Hälfte als freiberuflicher Schriftsteller. Der Autor lebt in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tobias O. Meißner
- 2010, 478 Seiten, Maße: 13,6 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492701841
- ISBN-13: 9783492701846
- Erscheinungsdatum: 12.03.2010
Rezension zu „Die Dämonen - Freiheit oder Finsternis “
»Überflüssig zu sagen, dass Meißners schriftstellerisches Können überragend ist.« Frankfurter Allgemeine Zeitung »Meißners bislang bestes Buch!« Space View zu »Die Dämonen«
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