Die Entschädigung
Thriller
Peter Tyle ist ein echter Überflieger: Erfolg an der Wallstreet, eine attraktive Frau, eine schicke Villa in den Suburbs. Bis eines Tages seine Frau bei einem Einbruch ermordet wird - und die Polizei ihn als Hauptverdächtigen ins Visier nimmt. Was...
Leider schon ausverkauft
Buch
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Entschädigung “
Peter Tyle ist ein echter Überflieger: Erfolg an der Wallstreet, eine attraktive Frau, eine schicke Villa in den Suburbs. Bis eines Tages seine Frau bei einem Einbruch ermordet wird - und die Polizei ihn als Hauptverdächtigen ins Visier nimmt. Was hat es mit dem Päckchen auf sich, das die Einbrecher als Einziges entwendet haben? Was ist dran an dem Gerücht, dass seine Frau sich von ihm scheiden lassen wollte? Die Schlinge um seinen Hals zieht sich immer mehr zu. Peter macht sich auf die Suche nach dem Mörder - und nach Andrei, von dem das mysteriöse Päckchen stammt. Seine Spur führt ihn nach Moskau, wo er zwischen die Fronten von Pharmakonzernen und der russischen Mafia gerät. Ihm immer dicht auf den Fersen ist Rommy, ein verbitterter Ex-Cop, für den es nur einen Schuldigen geben kann.
Klappentext zu „Die Entschädigung “
Peter Tyle ist ein echter Überflieger: Erfolg an der Wallstreet, eine attraktive Frau, eine schicke Villa in den Suburbs. Bis eines Tages seine Frau bei einem Einbruch ermordet wird - und die Polizei ihn als Hauptverdächtigen ins Visier nimmt. Was hat es mit dem Päckchen auf sich, das die Einbrecher als Einziges entwendet haben? Was ist dran an dem Gerücht, dass seine Frau sich von ihm scheiden lassen wollte? Die Schlinge um seinen Hals zieht sich immer mehr zu. Peter macht sich auf die Suche nach dem Mörder - und nach Andrei, von dem das mysteriöse Päckchen stammt. Seine Spur führt ihn nach Moskau, wo er zwischen die Fronten von Pharmakonzernen und der russischen Mafia gerät. Ihm immer dicht auf den Fersen ist Rommy, ein verbitterter Ex-Cop, für den es nur einen Schuldigen geben kann.
Peter Tyle ist ein echter Überflieger: Erfolg an der Wallstreet, eine attraktive Frau, eine schicke Villa in den Suburbs. Bis eines Tages seine Frau bei einem Einbruch ermordet wird - und die Polizei ihn als Hauptverdächtigen ins Visier nimmt. Was hat es mit dem Päckchen auf sich, das die Einbrecher als Einziges entwendet haben? Was ist dran an dem Gerücht, dass seine Frau sich von ihm scheiden lassen wollte? Die Schlinge um seinen Hals zieht sich immer mehr zu. Peter macht sich auf die Suche nach dem Mörder - und nach Andrei, von dem das mysteriöse Päckchen stammt. Seine Spur führt ihn nach Moskau, wo er zwischen die Fronten von Pharmakonzernen und der russischen Mafia gerät. Ihm immer dicht auf den Fersen ist Rommy, ein verbitterter Ex-Cop, für den es nur einen Schuldigen geben kann.
Lese-Probe zu „Die Entschädigung “
Die Entschädigung von Lee VanceLESEPROBE
Er wird erwerben und doch nichts davon genießen und über seine eingetauschten Güter nicht froh werden. Hiob, 20, 18
1
»Elf«, triumphiert Tigger, als sein Wurf von dem Plastikbrett abprallt und in den Korb fällt. »Du hast ja heute echt die Seuche. Da mit schuldest du mir achthundert.«
»Noch einmal um den ganzen Einsatz. Alles oder nichts«, sage ich und st he auf, um die in meinem Büro verstreuten Nerf-Bälle einzusammeln. Als ich durch die Glas wand auf die Tische im Handelssaal blicke, wen den sich mehrere Köpfe abrupt ab. Die Junior Trader wetten auf unsere Spiele. Sie können den an der Tür hängen den Korb zwar nicht sehen, aber es ist allgemein bekannt, dass der Verlierer die Bälle ein sammeln muss. Dass der halbe Trading Floor mit bekommt, wie ich vier Spiele in Folge abgebe, wurmt mich bei na he so sehr, wie sie verloren zu ha ben.
»Hausregeln«, sagt Tigger. »Fünfhundert-Dollar-Limit pro Spiel.«
»Hausregeln«, pflichte ich ihm bei. »Und wessen Haus ist das?« »Das gehört sich nicht, Peter. Regeln sind die Grundlage jeder Zivilisation.
... mehr
« Die breiten Vokale seines Brooklyner Akzents machen all seine Bemühungen, kultiviert zu klingen, zunichte und entlarven ihn als einen Oldtimer, einen der letzten Mohikaner, die sich hoch arbeiten konnten, bevor man an der Wall Street dazu übergegangen ist, den Nach wuchs aus schließlich an den Elite-Unis des Landes zu rekrutieren. Tigger ist ein kleiner Mann Anfang fünfzig mit Wampe, Hängebacken, vorstehenden Augen und einem zu großen Kopf. Er war mein erster Boss und tadelt mich immer noch freimütig, ob wohl ich in der Hierarchie längst über ihm stehe.
»Achthundert Dollar«, sage ich und schnappe mir einen Ball, der unter seinem Stuhl gelandet ist. »Das ist richtig viel Geld. Da mit könntest du dich komplett neu einkleiden und für die restlichen vierhundert noch die alten Sachen entrümpeln lassen.«
»Ich kaufe Klamotten nur im Dreierpack. Was hast du für die Krawatte gezahlt?«
»Hundertzehn vielleicht«, sage ich mit einem Blick auf das Strukturmuster meiner Krawatte. »In irgend einem Duty-free- Shop. Im Laden kostet sie hundertvierzig.«
»Du trägst eine Hundertzehn Dollar-Krawatte, die in China für fünfzig Cent produziert wurde. Du kaufst uptown Hamburger für fünfundzwanzig Dollar und lässt dir von Typen, die nur einen Vornamen haben, für hundert Dollar die Haare schneiden. Es ist geradezu meine Pflicht, dir dein Geld abzuknöpfen, so verdammt dämlich, wie du da mit umgehst.
« Keisha öffnet die Tür, als ich gerade auf allen vieren unter der Couch nach einem Ball fische. »Josh auf deiner Privatleitung. Er muss dich dringend sprechen «, sagt sie und verdreht die Augen.
Josh ist mein Boss, Chef von Klein & Klein, ein ehemaliger Banker aus dem Rostgürtel, dem alten industriellen Herzen der USA, ob wohl er sich im Laufe der Zeit das pompöse Gehabe eines ottomanischen Paschas zugelegt hat. Alles ist dringend. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er an fängt, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen. Ich nehme den Hörer ab.
»Peter Tyler.«
»Ich stelle Sie jetzt zu Josh durch«, flüstert seine Sekretärin atemlos.
»Ich stelle Sie jetzt zu Josh durch«, sage ich zu Tigger und schalte solange den Apparat auf stumm. »Was für ein Arschloch, kann nicht mal seine Anrufe selbst erledigen.«
»Gib ihm bloß kein Geld«, warnt Tigger mich. »Das dritte 13 Quartal endet am Freitag. Wir haben das Budget schon erreicht. Ich will mit Rückenwind in die Bonus-Saison gehen.«
»Peter«, dröhnt eine raue Stimme leutselig aus dem Hörer, »wie geht’s uns denn heute?«
»Prächtig«, antworte ich und stelle mit dem Daumen den Empfang leiser. Die Kunden, die er betreut hat, müssen alle stocktaub sein. »Der Dollar notiert schwächer, der Ölpreis steigt und die Anleihen haben nach gegeben. Die allgemeine Lage ist gut für uns.«
»Aus gezeichnet«, sagt er ohne rechte Begeisterung. »Etwas bereitet mir heute Morgen allerdings Sorgen, Peter. Ich habe mir den Risk Report des Gesamtunternehmens angesehen.« »Das tut mir leid, Josh«, sage ich und ergänze stumm: Denn Sie verstehen ihn nicht.
»Und was scheint Ihnen Anlass zur Sorge zu sein?« »Das Controlling meint, wir hätten unsere japanische Kreditkurve zu weit gepreist. Wir stehen ohne hin unter Druck, die Zahlen für dieses Quartal zu liefern, und ich will keine unangenehmen Überraschungen erleben.«
»Die Kurve wird als Rendite-Spread über Staatsanleihen notiert, Josh. Wir sind Unternehmensanleihen long und die JGBs short.« Ich mache eine Pause, da mit ihm das Ausmaß seiner eigenen Verwirrung bewusst wird. Joshs Stärke sind schon immer persönliche Beziehungen gewesen, sein Haupttalent das Beschwatzen von fetten CEOs auf dem Golfplatz. Über seine Unkenntnis selbst grundlegender Markt regeln können sich die Händler in der Firma stets aufs Neue amüsieren.
»Und das heißt?«, fragt er unsicher.
»Der Wert des Spread ist gegen unsere Position gelaufen. Das Controlling wirft uns vor, Profite zu verstecken, keine Verluste.«
Tigger drückt sich vor Lachen beide Hände auf den Mund. Ich grinse kurz zu ihm rüber, muss Josh je doch zu gutehalten, dass er überhaupt fragt. Schließlich ist er derjenige, der Druck kriegt, 14 wenn einmal irgendwas richtig schiefläuft, was in Finanzfirmen wie der unsrigen leider alltäglich vorkommt. Giganten wie Enron, Barings und Daiwa Banks sind wegen byzantinischer Betrügereien praktisch über Nacht in die Knie gegangen, und das gedemütigte Management konnte zu seiner Rechtfertigung nur vorbringen, dass man zu dumm oder zu unaufmerksam gewesen war, die Machenschaften zu durchschauen. Josh gibt sich wenigstens Mühe.
»Wir sollten grundsätzlich gar nichts verbergen«, sagt er streng, um das Missverständnis zu überspielen. »Was mich zum zweiten Anlass meiner Besorgnis bringt. Wir werden einige unserer Bankprovisionen unerwartet erst im kommenden Monat einnehmen. Wenn wir die Projektion der Analysten erfüllen wollen, müssen wir tief graben.«
Stimmt. An der Wall Street wird man immer nur an seiner jüngsten Performance gemessen, und die Banker spielen eifrig dasselbe Spiel wie wir auch und versuchen, die Einnahmen nach Möglichkeit ins vierte Quartal zu verschieben, da mit sie als Helden dastehen, wenn es an die Verteilung der Prämien geht.
»Ich würde Ihnen wirklich gern helfen, Josh, aber die Kasse ist leer. Wir haben die japanische Kreditkurve weit gepreist, weil wir Liquiditätsprobleme haben. Wir sind mehr als hundertzwanzig Yard Unternehmensanleihen long, und der Markt ist Geld für lediglich etwa zehn.«
Tigger reckt beide Daumen. Josh schweigt. »Ein Yard sind eine Milliarde Yen«, füge ich zur Erklärung hinzu, obwohl ich ganz genau weiß, dass Josh Yen garantiert nicht in Dollar um rechnen kann.
»Sie wollen also sagen, eine Gewinnentnahme zum jetzigen Zeit punkt wäre unklug?«, fragt er nach einer weiteren Pause. »Genau.«
Er seufzt wie ein Mann, der das Gewicht der Welt auf den Schultern trägt, aber ich falle nicht darauf rein. Ein Ex-Banker wie Josh muss wissen, dass seine ehemaligen Kohorten ihn als Sandsack benutzen, und es gibt keinen Grund, warum meine Jungs das 15 für ihn ausbügeln sollten. Welche Provisionen Josh auch von ihnen braucht, um die benötigten Zahlen zu präsentieren, bis Freitag werden sie sich auf wundersame Weise eingestellt haben.
»Noch eine Sache, Peter«, sagt er. »William Turndale hat heute Morgen angerufen, während ich beim Frühstück war. Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte, bevor ich ihn zurückrufe?«
William Turndale ist CEO von Turndale & Company, einer Vermögensverwaltungsfirma und einer unserer wichtigsten Kunden. Er gilt allgemein als der größte Wichser an der Wall Street, was ein bisschen so ist, als hätte man die größte Schuhgröße in der NBA – in so fern ist es unwahrscheinlich, dass er Josh angerufen hat, um ihm zu unserer großartigen Arbeit zu gratulieren. Pascha oder nicht, selbst der Chef einer Fortune-100-Investmentbank muss sich von seinen Kunden zusammen scheißen lassen.
»Sekunde.« Ich stelle den Apparat auf stumm und sehe Tigger an. »Haben wir deines Wissens irgendwelchen Ärger mit Turndale? «
»Wegen irgendwas zicken die ja immer rum«, erwidert er achselzuckend. »Aber ich habe nichts Bestimmtes gehört.«
»Wir wissen nicht, warum er angerufen hat«, sage ich in den Hörer.
»Nun gut«, seufzt Josh. »Ich rufe ihn zu rück und höre, was er will.«
»Sagen Sie mir Bescheid, wenn es irgendein Problem gibt. Übrigens hat mir Tigger, der neben mir sitzt, gerade eine Notiz rüber geschoben. Er denkt, dass wir aus der Position japanischer Unternehmensanleihen viel leicht ein bisschen Bargeld locker machen können. Ich schau mir die Sache an und melde mich dann wie der.«
Tigger richtet sich auf seinem Stuhl auf und hebt zu einem gestotterten Protest an. Ich lege einen Finger auf meine Lippen.
»Das ist großartig, Peter«, sagt Josh und klingt schon ein wenig fröhlicher. »Vielen herzlichen Dank. Zu Hau se alles in Ordnung? «
16 »Alles bestens. Danke der Nachfrage.«
»Sie dürfen auf keinen Fall vergessen, Jenna von mir zu grüßen. «
Josh hat eine Karteikarte in seinem Rolodex, auf der mein Geburtstag, die von mir besuchten Bildungseinrichtungen und der Name meiner Frau stehen. Während der Basketballsaison gratuliert er mir immer, wenn meine alte Uni-Mannschaft gewinnt, und versäumt da bei nie die Gelegenheit, eine persönliche Bemerkung hin zu zufügen.
»Das werde ich tun. Und halten Sie mich wegen Turndale auf dem Laufenden, bitte.« »Unbedingt.«
Er legt auf. Ich drücke mit dem Hörer auf den Ausknopf der Basisstation und lege ihn auf meinen Schreibtisch.
»Er lässt Jenna grüßen«, sage ich zu Tigger.
»Flachwichser«, sagt Tigger wütend.
»Na, na. Du sprichst von unserem verehrten Vorgesetzten.«
»Einen Dreck tue ich. Ich spreche von dir. Was zum Teufel fällt dir ein, ihm zu erklären, wir könnten aus unserer japanischen Position Gewinn mit nehmen?«
»Wer vorwärts kommen will, muss auch mal entgegenkommen «, sage ich, Tiggers Akzent imitierend. »Wer hat mir das gepredigt?«
»Ja, aber nur, wenn dir die anderen auch entgegen kommen. Josh wird sich nur mit Mühe an deinen Namen erinnern, wenn du das nächste Mal ein Problem hast. Das weißt du ganz genau.« »Vielleicht ist jetzt das nächste Mal. William Turndale hat bestimmt nicht ohne Grund angerufen.« Tigger starrt einen Moment lang nachdenklich ins Leere und nickt dann zögernd. »Da hast du wahrscheinlich recht«, räumt er säuerlich ein. »Ich kenne niemanden, der so reich und so erbärmlich ist. Willst du Katja anrufen?«
Ich spüre, wie ich erröte, und bücke mich nach einem der orangefarbenen Bälle unter meinem Schreibtisch. Katja ist die 17 Nummer zwei bei Turndale, eine alte Freundin, die uns in der Vergangenheit schon mehrfach aus der Bredouille geholfen hat. Ich bin noch nicht dazugekommen, Tigger zu erzählen, dass sie wahrscheinlich nicht mehr unsere Freundin ist. Sie anzurufen wäre auf jeden Fall unklug.
»Ich würde lieber erst herausfinden, was los ist«, sage ich, das Gesicht nach wie vor abgewandt. »Warum sollten wir sie um einen Gefallen bitten, den wir gar nicht brauchen? Katja macht nie irgendwas umsonst.«
»Knallhart und zuckersüß«, sagt Tigger anerkennend. »Genau mein Typ.« Er klatscht in die Hände und seufzt, als ich mit dem Ball unter meinem Schreibtisch wieder auftauche. »Wenn ich rauskriege, dass einer von unseren Jungs mir irgendeine Panne mit Turndale verschwiegen hat, falte ich ihn auf Briefmarkengröße zusammen. Soll ich den Jungs in Tokio ein Memo schicken, dass sie diese Position neu preisen sollen?«
»Ich würde es lieber vorher mit ihnen besprechen. Sagen wir um neun. Kannst du das arrangieren?«
»Wo bist du denn um neun?« »Hier.« »Warum?«
»Ich fliege morgen in aller Herrgottsfrühe, deshalb übernachte ich im Harvard Club.«
»Wohin fliegst du?«
»Nach Frankfurt.«
»Und von dort?«
»Erst nach Helsinki, dann nach London und am Freitagabend zurück.«
»Du bist doch gerade erst aus Toronto zurück«, stellt er vorwurfsvoll fest. »Und?«
»Bist du auf einer Scheiß-Konzerttournee, oder was? Wie viele Kunden haben wir in Helsinki?« »Drei.« 18
»Und wie viele, die auch nur an nähernd genug Kleingeld in der Hosentasche haben, um damit zu klimpern?«
»Einen. Sollten wir sie deshalb ignorieren?«
Tigger murmelt irgendwas vor sich hin.
»Komm mir nicht mit deinem Jiddisch«, sage ich und spüre ein dumpfes Pochen hinter den Schläfen. »Bitte.«
»Die Hälfte der Zeit bist du außer Landes und die andere Hälfte übernachtest du in der Stadt. Warum? Was ist bei dir zu Hause los?«
»Da läuft es schlecht«, sage ich und blicke aus dem Fenster auf den Battery Park. Das Licht der Morgensonne spiegelt sich in den glänzen den grünen Blättern der Baumkronen unter mir, die sich in einer leichten Brise hin und her wiegen und die Illusion fließen der Bewegung schaffen. Die Schlange schwitzender Touristen, die auf die Hafenfähren warten, ist nur noch halb so lang wie vor zwei Wochen, ein Anzeichen des nahen den Winters. Ich lege den Schaumstoffball beiseite, löse meine Uhr vom Handgelenk und spiele mit dem Metallarmband.
»Bloß schlecht«, fragt er, »oder so schlecht, dass jedes Molekül in deinem Körper mit Lichtgeschwindigkeit explodiert?«
»Eher Letzteres«, gebe ich zu.
»Willst du meinen Rat?«
Tigger und ich sind schon sehr lange befreundet, aber ich habe immer versucht, meine privaten Probleme vor der Bürotür zulassen.
»Ich will, dass du dich um deinen eigenen Mist kümmerst.«
»Sag ihr, dass es dir leidtut.«
»Du studierst jetzt seit zehn Jahren, um Rabbi zu werden, und das ist dein bester Tipp? ›Sag ihr, dass es dir leidtut‹?«
»Ich bin seit dreißig Jahren verheiratet. Hör auf meinen Rat. Sag ihr, dass es dir leidtut, und lass sie Dampf ablassen. Dann sag ihr, dass es dir leidtut, und lass sie noch ein bisschen mehr Dampf ablassen, und immer so weiter, bis ihr in der Kiste landet. Und vergiss nicht, oft zu nicken, wenn sie redet, und 19 Sachen zu sagen wie: ›Du musst dich schrecklich gefühlt haben.‹ «
Wenn es nur so leicht wäre. Jenna entgleitet mir schon seit Jahren und konzentriert ihre Kraft und Aufmerksamkeit zusehends auf irgendwelche hehren Ziele. Ich weiß nie, was ich sagen soll, weil ich Angst habe, egoistisch zu klingen. Wut und Enttäuschung verleiten mich zu Fehlern. Als der große Knall kam, habe ich versucht, mich zu entschuldigen, aber es hat nichts genutzt. Letzte Woche hat Jenna mich aufgefordert auszuziehen. Sie sagte, sie würde das Gefühl der Einsamkeit, wenn wir zusammen sind, nicht mehr ertragen.
»Weißt du, was ich an der Arbeit mag?«, frage ich Tigger und schiebe meine Uhr wieder übers Handgelenk.
»Dass du es dir auf meinem Rücken bequem machen kannst?«
»Die Tatsache, dass die Regeln sich nie ändern. Du und ich und all die anderen Typen reißen sich jeden Tag den Arsch auf, und am nächsten Morgen kriegen wir die Zahlen, die uns sagen, wie wir waren. Gute Zahlen sind gut, schlechte Zahlen sind schlecht, und solange wir genug Geld machen, kann es uns scheißegal sein, welche Gefühle Josh oder sonst irgend jemand dabei hat.«
»Petey«, beschwört Tigger mich leise. »Rede mit mir. Was ist los?«
Keisha, die erneut den Kopf zur Tür hereinsteckt, rettet mich vor einer Antwort. »Ich geh Kaffee holen«, sagt sie. »Wollt ihr einen?« Keisha ist fünfundzwanzig, intelligent und hat braune Haut wie poliertes Birnenholz. Sie trägt ein knappes gelbes Kleid, das die Hälfte der Jungs auf unserer Etage um den Verstand bringt.
»Ich hab jetzt schon Herzrasen«, erwidert Tigger und fasst sich theatralisch an die Brust. »Wenn du weiterhin solche Kleider trägst, wirst du eines Tages einen von uns alten Knackern auf dem Gewissen haben.«
»Diese Bemerkung ist mir ein wenig unangenehm«, sagt Keisha 20 streng, während ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielt. »Peter?«
Tigger will mich bloß provozieren. Vor ein paar Jahren hat Eve Lemonde, Chefin der Abteilung für Human Resources, mich mit Joshs Unterstützung schwer unter Druck gesetzt, um dem derben Männerduschen-Jargon Einhalt zu gebieten, der üblicherweise in Handelssälen herrscht. Widerwillig musste ich Strafen für Verstöße gegen den Verhaltenskodex für Firmenmitarbeiter verhängen, eine wortreiche, genusverwirrte Erklärung der Political Correctness, die den Ausdruck jedes menschlichen Gefühls außer Gier verbietet. Das Geld geht an eine von den Angestellten bestimmte wohltätige Einrichtung, aber jedes Mal, wenn ich eine Strafe verhänge, komme ich mir vor wie der Popanz vom Dienst. Vor allem Tigger hat sich als Wiederholungstäter einen Namen gemacht und steckt das ganze Geld, das er an Krawatten, Hamburgern und Pottfrisuren spart, lustvoll in den Topf, um mich damit zu triezen. Eve bedrängt mich schon seit Jahren, ihn zu feuern, was ihn nur noch mehr erheitert.
»Von mir aus kann dein Freund ihn windelweich prügeln«, sage ich. Keisha ist mit einem Studenten von der NYU Medical School verlobt, der gebaut ist wie ein Güterzug.
»Keine schlechte Idee«, sagt sie. »Aber es würde mich noch glücklicher machen, wenn du ihm eine satte Strafe auf brummst. In diesem Monat habe ich den Verwendungszweck des Topfes bestimmt, und das Geld geht an meinen Großvater. Er betreut nach Schulschluss Kinder in der öffentlichen Bibliothek Hell’s Kitchen.«
»Wir wollen Peter nicht zum Buhmann machen«, sagt Tigger augenzwinkernd zu Keisha. »Ich mach einen Vorschlag: Er schuldet mir achthundert Dollar, weil er auf den Korb wirft wie ein kleines Mädchen. Die spende ich.«
»Abgemacht«, sage ich mit dem Gefühl, reingelegt worden zu sein. »Druckst du bitte einen Scheck aus, Keisha? Und ich hätte gern einen Espresso.«
»Stell den Scheck auf fünfzehnhundert aus, Keisha«, sagt Tigger, »damit er auch für den Steuerabzug aufkommt. Und ich lege noch mal fünfzehnhundert im Voraus für die unkorrekten Sachen drauf, die ich in nächster Zeit noch über dich denken werde. Und bring mir bitte einen Latte mit. Geld ausgeben macht mich immer müde.«
»Ist das okay für dich?«, fragt Keisha und sieht mich an.
»Wenn Tigger den Kaffee bezahlt.«
»Und da nennen mich die Leute einen Schnorrer«, sagt er und fischt einen Zwanzigdollarschein aus seiner Brieftasche.
»Ihr seid die Besten«, sagt Keisha und zieht die Tür hinter sich zu. »Danke.« Im letzten Moment steckt sie den Kopf noch einmal ins Zimmer und zischt Tigger zu: »Dich würde ich beim Korbwurf noch an einem schlechten Tag abziehen.«
»Nettes Mädchen«, sagt Tigger, als sie weg ist. »Sie wäre auch eine gute Verkäuferin.«
»Ich arbeite daran, aber Lemonde muss ihr Okay geben, und ihr gefällt es nicht, dass Keisha auf ein Junior College gegangen ist. Ich versuche, die Minoritäten-Karte zu spielen.«
»Scheiße«, sagt Tigger angewidert. »Pass bloß auf, dass sie nichts davon erfährt.«
Ich zucke die Achseln. Dies ist auch deswegen mein und nicht Tiggers Büro, weil ich eher bereit bin zu tun, was ich tun muss, damit Dinge erledigt werden.
»Du schuldest mir noch eine Antwort«, sagt Tigger. »Jenna. Was ist los?«
Ich starre durch die Scheibe auf den Handelssaal. Während ich mit etwa fünfzig anderen Typen das stille Vergnügen genieße, Keisha zum Aufzug gehen zu sehen, ringe ich mit mir, ob ich mich Tigger anvertrauen soll. Schließlich nehme ich den orangefarbenen Schaumstoffball von meinem Schreibtisch und werfe ihn.
»Noch ein Spiel«, sage ich, als der Ball in den Korb fällt. »Der Verlierer lädt das ganze Stockwerk zum Mittagessen ein.« © BLOOMSBURY BERLIN
Aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze
»Achthundert Dollar«, sage ich und schnappe mir einen Ball, der unter seinem Stuhl gelandet ist. »Das ist richtig viel Geld. Da mit könntest du dich komplett neu einkleiden und für die restlichen vierhundert noch die alten Sachen entrümpeln lassen.«
»Ich kaufe Klamotten nur im Dreierpack. Was hast du für die Krawatte gezahlt?«
»Hundertzehn vielleicht«, sage ich mit einem Blick auf das Strukturmuster meiner Krawatte. »In irgend einem Duty-free- Shop. Im Laden kostet sie hundertvierzig.«
»Du trägst eine Hundertzehn Dollar-Krawatte, die in China für fünfzig Cent produziert wurde. Du kaufst uptown Hamburger für fünfundzwanzig Dollar und lässt dir von Typen, die nur einen Vornamen haben, für hundert Dollar die Haare schneiden. Es ist geradezu meine Pflicht, dir dein Geld abzuknöpfen, so verdammt dämlich, wie du da mit umgehst.
« Keisha öffnet die Tür, als ich gerade auf allen vieren unter der Couch nach einem Ball fische. »Josh auf deiner Privatleitung. Er muss dich dringend sprechen «, sagt sie und verdreht die Augen.
Josh ist mein Boss, Chef von Klein & Klein, ein ehemaliger Banker aus dem Rostgürtel, dem alten industriellen Herzen der USA, ob wohl er sich im Laufe der Zeit das pompöse Gehabe eines ottomanischen Paschas zugelegt hat. Alles ist dringend. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er an fängt, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen. Ich nehme den Hörer ab.
»Peter Tyler.«
»Ich stelle Sie jetzt zu Josh durch«, flüstert seine Sekretärin atemlos.
»Ich stelle Sie jetzt zu Josh durch«, sage ich zu Tigger und schalte solange den Apparat auf stumm. »Was für ein Arschloch, kann nicht mal seine Anrufe selbst erledigen.«
»Gib ihm bloß kein Geld«, warnt Tigger mich. »Das dritte 13 Quartal endet am Freitag. Wir haben das Budget schon erreicht. Ich will mit Rückenwind in die Bonus-Saison gehen.«
»Peter«, dröhnt eine raue Stimme leutselig aus dem Hörer, »wie geht’s uns denn heute?«
»Prächtig«, antworte ich und stelle mit dem Daumen den Empfang leiser. Die Kunden, die er betreut hat, müssen alle stocktaub sein. »Der Dollar notiert schwächer, der Ölpreis steigt und die Anleihen haben nach gegeben. Die allgemeine Lage ist gut für uns.«
»Aus gezeichnet«, sagt er ohne rechte Begeisterung. »Etwas bereitet mir heute Morgen allerdings Sorgen, Peter. Ich habe mir den Risk Report des Gesamtunternehmens angesehen.« »Das tut mir leid, Josh«, sage ich und ergänze stumm: Denn Sie verstehen ihn nicht.
»Und was scheint Ihnen Anlass zur Sorge zu sein?« »Das Controlling meint, wir hätten unsere japanische Kreditkurve zu weit gepreist. Wir stehen ohne hin unter Druck, die Zahlen für dieses Quartal zu liefern, und ich will keine unangenehmen Überraschungen erleben.«
»Die Kurve wird als Rendite-Spread über Staatsanleihen notiert, Josh. Wir sind Unternehmensanleihen long und die JGBs short.« Ich mache eine Pause, da mit ihm das Ausmaß seiner eigenen Verwirrung bewusst wird. Joshs Stärke sind schon immer persönliche Beziehungen gewesen, sein Haupttalent das Beschwatzen von fetten CEOs auf dem Golfplatz. Über seine Unkenntnis selbst grundlegender Markt regeln können sich die Händler in der Firma stets aufs Neue amüsieren.
»Und das heißt?«, fragt er unsicher.
»Der Wert des Spread ist gegen unsere Position gelaufen. Das Controlling wirft uns vor, Profite zu verstecken, keine Verluste.«
Tigger drückt sich vor Lachen beide Hände auf den Mund. Ich grinse kurz zu ihm rüber, muss Josh je doch zu gutehalten, dass er überhaupt fragt. Schließlich ist er derjenige, der Druck kriegt, 14 wenn einmal irgendwas richtig schiefläuft, was in Finanzfirmen wie der unsrigen leider alltäglich vorkommt. Giganten wie Enron, Barings und Daiwa Banks sind wegen byzantinischer Betrügereien praktisch über Nacht in die Knie gegangen, und das gedemütigte Management konnte zu seiner Rechtfertigung nur vorbringen, dass man zu dumm oder zu unaufmerksam gewesen war, die Machenschaften zu durchschauen. Josh gibt sich wenigstens Mühe.
»Wir sollten grundsätzlich gar nichts verbergen«, sagt er streng, um das Missverständnis zu überspielen. »Was mich zum zweiten Anlass meiner Besorgnis bringt. Wir werden einige unserer Bankprovisionen unerwartet erst im kommenden Monat einnehmen. Wenn wir die Projektion der Analysten erfüllen wollen, müssen wir tief graben.«
Stimmt. An der Wall Street wird man immer nur an seiner jüngsten Performance gemessen, und die Banker spielen eifrig dasselbe Spiel wie wir auch und versuchen, die Einnahmen nach Möglichkeit ins vierte Quartal zu verschieben, da mit sie als Helden dastehen, wenn es an die Verteilung der Prämien geht.
»Ich würde Ihnen wirklich gern helfen, Josh, aber die Kasse ist leer. Wir haben die japanische Kreditkurve weit gepreist, weil wir Liquiditätsprobleme haben. Wir sind mehr als hundertzwanzig Yard Unternehmensanleihen long, und der Markt ist Geld für lediglich etwa zehn.«
Tigger reckt beide Daumen. Josh schweigt. »Ein Yard sind eine Milliarde Yen«, füge ich zur Erklärung hinzu, obwohl ich ganz genau weiß, dass Josh Yen garantiert nicht in Dollar um rechnen kann.
»Sie wollen also sagen, eine Gewinnentnahme zum jetzigen Zeit punkt wäre unklug?«, fragt er nach einer weiteren Pause. »Genau.«
Er seufzt wie ein Mann, der das Gewicht der Welt auf den Schultern trägt, aber ich falle nicht darauf rein. Ein Ex-Banker wie Josh muss wissen, dass seine ehemaligen Kohorten ihn als Sandsack benutzen, und es gibt keinen Grund, warum meine Jungs das 15 für ihn ausbügeln sollten. Welche Provisionen Josh auch von ihnen braucht, um die benötigten Zahlen zu präsentieren, bis Freitag werden sie sich auf wundersame Weise eingestellt haben.
»Noch eine Sache, Peter«, sagt er. »William Turndale hat heute Morgen angerufen, während ich beim Frühstück war. Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte, bevor ich ihn zurückrufe?«
William Turndale ist CEO von Turndale & Company, einer Vermögensverwaltungsfirma und einer unserer wichtigsten Kunden. Er gilt allgemein als der größte Wichser an der Wall Street, was ein bisschen so ist, als hätte man die größte Schuhgröße in der NBA – in so fern ist es unwahrscheinlich, dass er Josh angerufen hat, um ihm zu unserer großartigen Arbeit zu gratulieren. Pascha oder nicht, selbst der Chef einer Fortune-100-Investmentbank muss sich von seinen Kunden zusammen scheißen lassen.
»Sekunde.« Ich stelle den Apparat auf stumm und sehe Tigger an. »Haben wir deines Wissens irgendwelchen Ärger mit Turndale? «
»Wegen irgendwas zicken die ja immer rum«, erwidert er achselzuckend. »Aber ich habe nichts Bestimmtes gehört.«
»Wir wissen nicht, warum er angerufen hat«, sage ich in den Hörer.
»Nun gut«, seufzt Josh. »Ich rufe ihn zu rück und höre, was er will.«
»Sagen Sie mir Bescheid, wenn es irgendein Problem gibt. Übrigens hat mir Tigger, der neben mir sitzt, gerade eine Notiz rüber geschoben. Er denkt, dass wir aus der Position japanischer Unternehmensanleihen viel leicht ein bisschen Bargeld locker machen können. Ich schau mir die Sache an und melde mich dann wie der.«
Tigger richtet sich auf seinem Stuhl auf und hebt zu einem gestotterten Protest an. Ich lege einen Finger auf meine Lippen.
»Das ist großartig, Peter«, sagt Josh und klingt schon ein wenig fröhlicher. »Vielen herzlichen Dank. Zu Hau se alles in Ordnung? «
16 »Alles bestens. Danke der Nachfrage.«
»Sie dürfen auf keinen Fall vergessen, Jenna von mir zu grüßen. «
Josh hat eine Karteikarte in seinem Rolodex, auf der mein Geburtstag, die von mir besuchten Bildungseinrichtungen und der Name meiner Frau stehen. Während der Basketballsaison gratuliert er mir immer, wenn meine alte Uni-Mannschaft gewinnt, und versäumt da bei nie die Gelegenheit, eine persönliche Bemerkung hin zu zufügen.
»Das werde ich tun. Und halten Sie mich wegen Turndale auf dem Laufenden, bitte.« »Unbedingt.«
Er legt auf. Ich drücke mit dem Hörer auf den Ausknopf der Basisstation und lege ihn auf meinen Schreibtisch.
»Er lässt Jenna grüßen«, sage ich zu Tigger.
»Flachwichser«, sagt Tigger wütend.
»Na, na. Du sprichst von unserem verehrten Vorgesetzten.«
»Einen Dreck tue ich. Ich spreche von dir. Was zum Teufel fällt dir ein, ihm zu erklären, wir könnten aus unserer japanischen Position Gewinn mit nehmen?«
»Wer vorwärts kommen will, muss auch mal entgegenkommen «, sage ich, Tiggers Akzent imitierend. »Wer hat mir das gepredigt?«
»Ja, aber nur, wenn dir die anderen auch entgegen kommen. Josh wird sich nur mit Mühe an deinen Namen erinnern, wenn du das nächste Mal ein Problem hast. Das weißt du ganz genau.« »Vielleicht ist jetzt das nächste Mal. William Turndale hat bestimmt nicht ohne Grund angerufen.« Tigger starrt einen Moment lang nachdenklich ins Leere und nickt dann zögernd. »Da hast du wahrscheinlich recht«, räumt er säuerlich ein. »Ich kenne niemanden, der so reich und so erbärmlich ist. Willst du Katja anrufen?«
Ich spüre, wie ich erröte, und bücke mich nach einem der orangefarbenen Bälle unter meinem Schreibtisch. Katja ist die 17 Nummer zwei bei Turndale, eine alte Freundin, die uns in der Vergangenheit schon mehrfach aus der Bredouille geholfen hat. Ich bin noch nicht dazugekommen, Tigger zu erzählen, dass sie wahrscheinlich nicht mehr unsere Freundin ist. Sie anzurufen wäre auf jeden Fall unklug.
»Ich würde lieber erst herausfinden, was los ist«, sage ich, das Gesicht nach wie vor abgewandt. »Warum sollten wir sie um einen Gefallen bitten, den wir gar nicht brauchen? Katja macht nie irgendwas umsonst.«
»Knallhart und zuckersüß«, sagt Tigger anerkennend. »Genau mein Typ.« Er klatscht in die Hände und seufzt, als ich mit dem Ball unter meinem Schreibtisch wieder auftauche. »Wenn ich rauskriege, dass einer von unseren Jungs mir irgendeine Panne mit Turndale verschwiegen hat, falte ich ihn auf Briefmarkengröße zusammen. Soll ich den Jungs in Tokio ein Memo schicken, dass sie diese Position neu preisen sollen?«
»Ich würde es lieber vorher mit ihnen besprechen. Sagen wir um neun. Kannst du das arrangieren?«
»Wo bist du denn um neun?« »Hier.« »Warum?«
»Ich fliege morgen in aller Herrgottsfrühe, deshalb übernachte ich im Harvard Club.«
»Wohin fliegst du?«
»Nach Frankfurt.«
»Und von dort?«
»Erst nach Helsinki, dann nach London und am Freitagabend zurück.«
»Du bist doch gerade erst aus Toronto zurück«, stellt er vorwurfsvoll fest. »Und?«
»Bist du auf einer Scheiß-Konzerttournee, oder was? Wie viele Kunden haben wir in Helsinki?« »Drei.« 18
»Und wie viele, die auch nur an nähernd genug Kleingeld in der Hosentasche haben, um damit zu klimpern?«
»Einen. Sollten wir sie deshalb ignorieren?«
Tigger murmelt irgendwas vor sich hin.
»Komm mir nicht mit deinem Jiddisch«, sage ich und spüre ein dumpfes Pochen hinter den Schläfen. »Bitte.«
»Die Hälfte der Zeit bist du außer Landes und die andere Hälfte übernachtest du in der Stadt. Warum? Was ist bei dir zu Hause los?«
»Da läuft es schlecht«, sage ich und blicke aus dem Fenster auf den Battery Park. Das Licht der Morgensonne spiegelt sich in den glänzen den grünen Blättern der Baumkronen unter mir, die sich in einer leichten Brise hin und her wiegen und die Illusion fließen der Bewegung schaffen. Die Schlange schwitzender Touristen, die auf die Hafenfähren warten, ist nur noch halb so lang wie vor zwei Wochen, ein Anzeichen des nahen den Winters. Ich lege den Schaumstoffball beiseite, löse meine Uhr vom Handgelenk und spiele mit dem Metallarmband.
»Bloß schlecht«, fragt er, »oder so schlecht, dass jedes Molekül in deinem Körper mit Lichtgeschwindigkeit explodiert?«
»Eher Letzteres«, gebe ich zu.
»Willst du meinen Rat?«
Tigger und ich sind schon sehr lange befreundet, aber ich habe immer versucht, meine privaten Probleme vor der Bürotür zulassen.
»Ich will, dass du dich um deinen eigenen Mist kümmerst.«
»Sag ihr, dass es dir leidtut.«
»Du studierst jetzt seit zehn Jahren, um Rabbi zu werden, und das ist dein bester Tipp? ›Sag ihr, dass es dir leidtut‹?«
»Ich bin seit dreißig Jahren verheiratet. Hör auf meinen Rat. Sag ihr, dass es dir leidtut, und lass sie Dampf ablassen. Dann sag ihr, dass es dir leidtut, und lass sie noch ein bisschen mehr Dampf ablassen, und immer so weiter, bis ihr in der Kiste landet. Und vergiss nicht, oft zu nicken, wenn sie redet, und 19 Sachen zu sagen wie: ›Du musst dich schrecklich gefühlt haben.‹ «
Wenn es nur so leicht wäre. Jenna entgleitet mir schon seit Jahren und konzentriert ihre Kraft und Aufmerksamkeit zusehends auf irgendwelche hehren Ziele. Ich weiß nie, was ich sagen soll, weil ich Angst habe, egoistisch zu klingen. Wut und Enttäuschung verleiten mich zu Fehlern. Als der große Knall kam, habe ich versucht, mich zu entschuldigen, aber es hat nichts genutzt. Letzte Woche hat Jenna mich aufgefordert auszuziehen. Sie sagte, sie würde das Gefühl der Einsamkeit, wenn wir zusammen sind, nicht mehr ertragen.
»Weißt du, was ich an der Arbeit mag?«, frage ich Tigger und schiebe meine Uhr wieder übers Handgelenk.
»Dass du es dir auf meinem Rücken bequem machen kannst?«
»Die Tatsache, dass die Regeln sich nie ändern. Du und ich und all die anderen Typen reißen sich jeden Tag den Arsch auf, und am nächsten Morgen kriegen wir die Zahlen, die uns sagen, wie wir waren. Gute Zahlen sind gut, schlechte Zahlen sind schlecht, und solange wir genug Geld machen, kann es uns scheißegal sein, welche Gefühle Josh oder sonst irgend jemand dabei hat.«
»Petey«, beschwört Tigger mich leise. »Rede mit mir. Was ist los?«
Keisha, die erneut den Kopf zur Tür hereinsteckt, rettet mich vor einer Antwort. »Ich geh Kaffee holen«, sagt sie. »Wollt ihr einen?« Keisha ist fünfundzwanzig, intelligent und hat braune Haut wie poliertes Birnenholz. Sie trägt ein knappes gelbes Kleid, das die Hälfte der Jungs auf unserer Etage um den Verstand bringt.
»Ich hab jetzt schon Herzrasen«, erwidert Tigger und fasst sich theatralisch an die Brust. »Wenn du weiterhin solche Kleider trägst, wirst du eines Tages einen von uns alten Knackern auf dem Gewissen haben.«
»Diese Bemerkung ist mir ein wenig unangenehm«, sagt Keisha 20 streng, während ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielt. »Peter?«
Tigger will mich bloß provozieren. Vor ein paar Jahren hat Eve Lemonde, Chefin der Abteilung für Human Resources, mich mit Joshs Unterstützung schwer unter Druck gesetzt, um dem derben Männerduschen-Jargon Einhalt zu gebieten, der üblicherweise in Handelssälen herrscht. Widerwillig musste ich Strafen für Verstöße gegen den Verhaltenskodex für Firmenmitarbeiter verhängen, eine wortreiche, genusverwirrte Erklärung der Political Correctness, die den Ausdruck jedes menschlichen Gefühls außer Gier verbietet. Das Geld geht an eine von den Angestellten bestimmte wohltätige Einrichtung, aber jedes Mal, wenn ich eine Strafe verhänge, komme ich mir vor wie der Popanz vom Dienst. Vor allem Tigger hat sich als Wiederholungstäter einen Namen gemacht und steckt das ganze Geld, das er an Krawatten, Hamburgern und Pottfrisuren spart, lustvoll in den Topf, um mich damit zu triezen. Eve bedrängt mich schon seit Jahren, ihn zu feuern, was ihn nur noch mehr erheitert.
»Von mir aus kann dein Freund ihn windelweich prügeln«, sage ich. Keisha ist mit einem Studenten von der NYU Medical School verlobt, der gebaut ist wie ein Güterzug.
»Keine schlechte Idee«, sagt sie. »Aber es würde mich noch glücklicher machen, wenn du ihm eine satte Strafe auf brummst. In diesem Monat habe ich den Verwendungszweck des Topfes bestimmt, und das Geld geht an meinen Großvater. Er betreut nach Schulschluss Kinder in der öffentlichen Bibliothek Hell’s Kitchen.«
»Wir wollen Peter nicht zum Buhmann machen«, sagt Tigger augenzwinkernd zu Keisha. »Ich mach einen Vorschlag: Er schuldet mir achthundert Dollar, weil er auf den Korb wirft wie ein kleines Mädchen. Die spende ich.«
»Abgemacht«, sage ich mit dem Gefühl, reingelegt worden zu sein. »Druckst du bitte einen Scheck aus, Keisha? Und ich hätte gern einen Espresso.«
»Stell den Scheck auf fünfzehnhundert aus, Keisha«, sagt Tigger, »damit er auch für den Steuerabzug aufkommt. Und ich lege noch mal fünfzehnhundert im Voraus für die unkorrekten Sachen drauf, die ich in nächster Zeit noch über dich denken werde. Und bring mir bitte einen Latte mit. Geld ausgeben macht mich immer müde.«
»Ist das okay für dich?«, fragt Keisha und sieht mich an.
»Wenn Tigger den Kaffee bezahlt.«
»Und da nennen mich die Leute einen Schnorrer«, sagt er und fischt einen Zwanzigdollarschein aus seiner Brieftasche.
»Ihr seid die Besten«, sagt Keisha und zieht die Tür hinter sich zu. »Danke.« Im letzten Moment steckt sie den Kopf noch einmal ins Zimmer und zischt Tigger zu: »Dich würde ich beim Korbwurf noch an einem schlechten Tag abziehen.«
»Nettes Mädchen«, sagt Tigger, als sie weg ist. »Sie wäre auch eine gute Verkäuferin.«
»Ich arbeite daran, aber Lemonde muss ihr Okay geben, und ihr gefällt es nicht, dass Keisha auf ein Junior College gegangen ist. Ich versuche, die Minoritäten-Karte zu spielen.«
»Scheiße«, sagt Tigger angewidert. »Pass bloß auf, dass sie nichts davon erfährt.«
Ich zucke die Achseln. Dies ist auch deswegen mein und nicht Tiggers Büro, weil ich eher bereit bin zu tun, was ich tun muss, damit Dinge erledigt werden.
»Du schuldest mir noch eine Antwort«, sagt Tigger. »Jenna. Was ist los?«
Ich starre durch die Scheibe auf den Handelssaal. Während ich mit etwa fünfzig anderen Typen das stille Vergnügen genieße, Keisha zum Aufzug gehen zu sehen, ringe ich mit mir, ob ich mich Tigger anvertrauen soll. Schließlich nehme ich den orangefarbenen Schaumstoffball von meinem Schreibtisch und werfe ihn.
»Noch ein Spiel«, sage ich, als der Ball in den Korb fällt. »Der Verlierer lädt das ganze Stockwerk zum Mittagessen ein.« © BLOOMSBURY BERLIN
Aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze
... weniger
Autoren-Porträt von Lee Vance
Lee Vance studierte an der Harvard Business School und war lange Jahre General Partner bei Goldman Sachs. Er lebt mit seiner Familie in New York.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lee Vance
- 2008, 412 Seiten, Maße: 14,5 x 21,9 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: Bloomsbury
- ISBN-10: 3827007836
- ISBN-13: 9783827007834
Rezension zu „Die Entschädigung “
"Lee Vance hat mit seinem neuen Roman einen Volltreffer gelandet. Die Dialoge wirken so authentisch wie die, die man in den guten alten Zeiten von Frederick Forsyth gewohnt war. Dieses Buch ist so heiß wie die Sonne bei High Noon." (Lorenzo Carcaterra, Autor von "Sleepers" und "Chasers")
Kommentar zu "Die Entschädigung"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Entschädigung“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Entschädigung".
Kommentar verfassen