Die flüsternden Seelen
Felisberto, ein alter Schwarzer, sitzt am Feuer und erzählt von seiner weitverzweigten Familie: von der über dreihundert Jahre alten Stammesmutter Samima, die zwar tot ist, aber als lebender Geist bei ihren Nachfahren äußerst gegenwärtig. Von Zeca, dem...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Felisberto, ein alter Schwarzer, sitzt am Feuer und erzählt von seiner weitverzweigten Familie: von der über dreihundert Jahre alten Stammesmutter Samima, die zwar tot ist, aber als lebender Geist bei ihren Nachfahren äußerst gegenwärtig. Von Zeca, dem Hinkenden, der einen Pfeil zu schmieden vermag, mit dem man sogar den Teufel töten kann. Aber Felisberto erzählt auch von weißen Menschen. Von Dom Estefano und Dona Elvira zum Beispiel, deren Diener er war, und von dem Klavier, das verlassen am Hafen stand und eines Nachts von ganz allein zu spielen begann.
Eine große Erzählung des Afrika-Kenners Henning Mankell von afrikanischen Menschen und ihrer Begegnung mit den Europäern, im Grenzbereich zwischen Traum und Realität, Mythos und politischer Geschichte.
"Ich wollte zur Wiege der Menschheit gehen, auf den afrikanischen Kontinent. Vor langer Zeit waren wir alle Afrikaner, unser aller Urahnen waren irgendwann schwarz. Es sollte mehr Geschichten geben, die Hoffnung und Fortschritt zeigen. Das verdient Afrika."
Henning Mankell
Eine große Erzählung des Afrika-Kenners Henning Mankell von afrikanischen Menschen und ihrer Begegnung mit den Europäern, im Grenzbereich zwischen Traum und Realität, Mythos und politischer Geschichte.
Eine große Erzählung des Afrika-Kenners Henning Mankell von afrikanischen Menschen und ihrer Begegnung mit den Europäern, im Grenzbereich zwischen Traum und Realität, Mythos und politischer Geschichte.
Die flüsternden Seelen von Henning Mankell
LESEPROBE
DieTürglocke bimmelte. Herr Dimitri war gerade dabei, einige Uhren in einerSchublade zu verstauen. Er schaute auf. Da stand ein schwarzer Mann draußen vordem Gitter. Herr Dimitri ging zu seiner Luke hin. Der Mann hatte den Hutgehoben.
- Siewünschen? fragte Herr Dimitri.
- Ich würdegern einen Gegenstand verpfänden, antwortete der Mann höflich.
- Ich nehmekeine Kleider, antwortete Herr Dimitri. Nur Wertgegenstände.
Der Mannlächelte.
- Ichglaube, das, was ich verpfänden will, muß alsWertgegenstand gelten.
HerrDimitri warf einen Blick auf das Handgelenk des schwarzen Mannes. Aber da warkeine Uhr. Und auch kein Armband.
- Was habenSie zu bieten? fragte er.
- Ichmöchte meine Seele verpfänden.
HerrDimitri musterte ihn eingehend.
- KönntenSie wiederholen, was Sie gesagt haben?
- Gern. Ichmöchte meine Seele verpfänden.
HerrDimitri nickte gedankenvoll. Viele eigentümliche Angebote hatte er während derzwei Jahre erhalten, die er sein Unternehmen nun betrieb. In seiner Hand hatteer die verschiedensten und traurigsten Gegenstände gehalten, von deren Wert ihnverzweifelte Menschen zu überzeugen versucht hatten. Aber jemand, der seineSeele verpfänden wollte, war ihm noch nie untergekommen.
- Ichbeleihe keine Seelen, antwortete er. Es ist möglich, daßeine der großen Pfandleihen an der Place Pigalle oder unten an der Porte deVersailles das tun.
- DiesePfandleihe gefällt mir am besten, sagte der Mann.
- Warum?
- Siewissen, wie es ist. Man möchte das, was man gern hat, nicht irgendjemandem überlassen. Sie, Herr Dimitri, haben einen guten Ruf.
Der Mannhinter der Luke zuckte zusammen, als wäre er von einem Insekt gestochen odervon einem unsichtbaren Pfeil mit Eisenspitze getroffen worden.
- Wie kommtes, daß Sie meinen Namen kennen?
Derschwarze Mann lächelte.
- EinFreund von mir hat es erzählt. Er sagte, Sie hätten lange in Algier gewohnt.Das bedeutet, daß sie in Ihrem Leben schon in Afrikagewesen sind. Dann sollten Sie auch verstehen, daß esganz natürlich ist, daß ich meine Seele verpfändenwill, da sie das Wertvollste ist, was ich besitze.
HerrDimitri antwortete nicht. Das, was der Mann gesagt hatte, war richtig. HerrDimitri hatte tatsächlich eine Anzahl von Jahren in Afrika verbracht. Dorthinwar er gekommen, als verschiedene weniger geglückte Geschäfte ihn zu einemüberstürzten Aufbruch gezwungen hatten. Er fuhr nach Algier, nachdem er ineiner dunklen Bar in Mombasa, die einem ehemaligenfranzösischen Legionär gehörte, einen Paß gekauft undseinen Namen in Dimitri geändert hatte. Aber im Jahr darauf hatte er auchAlgier verlassen müssen. Schon früh, als die Nationalisten ihre Proteste gegendie französische Oberhoheit organisierten und die Bomben in den Straßencafés zuexplodieren begannen, hatte er verstanden, daß derKrieg verloren war. Frankreich würde nie, wie viele Fallschirmtruppen aucheingesetzt würden, dem gewaltigen Drang nach Selbständigkeit widerstehen. Erhatte eilig sein Restaurant, sein Haus und das Segelboot verkauft, das er imHafen von Algier liegen hatte. Da alles nicht ganz ordnungsgemäß zugegangenwar, nicht zuletzt gegenüber den lästigen Steuereintreibern, verließ er dasLand in aller Stille. Und er hatte niemandem erzählt, daßer eine Vergangenheit auf dem afrikanischen Kontinent hatte.
- Wer sindSie? fragte er.
- Mein Nameist Lukas.
- Siekommen nicht aus Algerien? Sie sind zu dunkel.
- Ich kommeaus einem Land, das auf der anderen Seite liegt, die große Terrasse zumIndischen Ozean.
HerrDimitri überlegte.
- Wieviel haben Sie gedacht, daßihre Seele wert ist?
- Genug, ummeiner Frau Laura ein Geschenk zu machen.
Wiederzuckte Herr Dimitri zusammen, als wäre er von etwas getroffen worden.
- IhrerFrau Laura?
- Sie wirdunser Kind gebären. Ich möchte ihr ein Geschenk machen.
HerrDimitri nickte langsam.
- KommenSie morgen wieder, sagte er dann. Bis dahin werde ich die Sache überschlafen.
- Ichbeabsichtige natürlich, meine Seele so schnell wie möglich wieder einzulösen,sagte Lukas.
- Nach dreiMonaten verfallen meine Pfänder zum erstenmal.
- Dannwerde ich das Geld zurückzahlen, sagte Lukas.
HerrDimitri zog das Gitter vor der Luke herunter.
- KommenSie morgen wieder, dann werde ich Ihnen Bescheid geben.
Amfolgenden Tag, beim gleichen Glockenschlag, der mitten in Lukas Mittagspausefiel, kam er zu Herrn Dimitri zurück.
- Ich habees mir überlegt, sagte er. Vielleicht könnte ich tatsächlich eine Summe gegendas Pfand Ihrer Seele verleihen. Aber es hängt natürlich davon ab, über wieviel wir reden.
- 500Franc.
- Ich hattehöchstens an 200 Franc gedacht.
- Wirsprechen von der Seele eines Menschen, wandte Lukas erstaunt ein.
- Ich gebesehr selten mehr als 250 als Anleihe auf eine gute Uhr. Eine Uhr tickt, wennman sie ans Ohr hält. Die Kette und das Gehäuse können aus Gold sein. Aber wasist eigentlich Ihre Seele? Aus welchem Material besteht sie? Ich kann nichtüber 200 Franc gehen.
Lukas wurdevon einem plötzlichen Gefühl der Trauer befallen. Nie hätte er sich vorstellenkönnen, daß seine Seele nicht mehr als 200 Franc wertsein sollte.
- DenkenSie über die Sache nach, sagte Herr Dimitri. Und kommen Sie zurück, wenn Siesich entschieden haben.
Am drittenTag, wieder beim gleichen Glockenschlag, betrat Lukas das Geschäft. Er mußte warten, da ein alter Mann, ein pensionierter Oberst,gerade dabei war, zu diskutieren, wieviel er für einpaar alte Säbel bekommen konnte. Dann war er an der Reihe.
- Ich habenachgedacht, sagte Lukas. Meine Seele ist bedeutend mehr als 200 Franc wert.Mindestens 300. Aber da ich das Geld brauche, um ein Geschenk für Laura zu kaufen,habe ich mich entschlossen, auf Ihr Angebot einzugehen.
- Ich binnicht überrascht.
HerrDimitri zählte die Scheine hin, und Lukas unterschrieb die Pfandquittung.
-Normalerweise inspiziere ich den Gegenstand, den ich beleihe, sagte HerrDimitri. Mit Ihrer Seele scheint mir das jedoch ziemlich schwierig.
- Ich kannIhnen meine Geschichte erzählen, sagte Lukas. Wie ich im Bauch des Walfischsreiste und ins Paradies kam, wo es sehr kalt war.
- Ich werdebald schließen, um meinen Lunch zu essen, sagte Herr Dimitri. Es reicht, wennich Antwort auf ein paar Fragen bekomme.
- Wenn iches kann, werde ich antworten. Wenn ich es nicht kann, verspreche ich, mich zeitmeines Lebens an die Frage zu erinnern.
- Sind Sieeine ehrliche Seele?
- Ich bines nicht immer gewesen. Eine schwierige und kurze Periode meines Lebens habeich bei Banditen in Bordeaux verbracht. Aber ich habe niemals jemanden getötet.Nur einigen Menschen leichtere Wunden mit einem Messer zugefügt. Oder sie sostark erschreckt, daß ihr Schlaf für eine Weilegestört war.
- Wasgeschieht, wenn Sie nicht zahlen können, ehe das Pfand verfällt?
- Das wirdnicht geschehen.
- Aberwenn?
- Dann kannich natürlich nicht weiterleben. Aber da ich an meinem Arbeitsplatz eineVersicherung abgeschlossen habe, die bei meinem Tod fällig wird, kann meineFrau sie dann bei der Auktion ersteigern.
HerrDimitri lächelte.
- Sie habenwirklich an alles gedacht, sagte er und schob das Geld über den Tisch. Darf ichSie fragen, was Sie Ihrer Frau zu kaufen gedenken?
- EineTrommel.
- Warumdas?
- Weil ichglaube, daß ihr das fehlt. Weil sie so weit von demLand entfernt ist, in dem sie geboren wurde.
- Und welchesLand war das?
-Madagaskar.
Lukassteckte das Geld in die Tasche, hob den Hut und verließ den Laden. Herr Dimitriblieb hinter der Luke stehen. In der Hand hatte er die Quittung derverpfändeten Seele. Das Papier begann plötzlich in seinen Händen zu glühen. Under lächelte. ()
© Zsolnay Verlag
Autoren-Porträt von Henning Mankell
Bestellerautor Henning Mankell lebt abwechselnd in Schweden und in Afrika, seine Geschichten erzählen von beiden Kulturkreisen. Er ist zum Wanderer und Vermittler zwischen den Welten geworden.
Geboren wurde er am 3.2.1948 als Sohn eines Richters in Stockholm und wuchs in Härjedalen auf. Mit 17 Jahren ging er nach Stockholm, wo er zunächst am Riks Theater arbeitete. Seine Karriere als Autor, Regisseur und Intendant setzte er an verschiedenen Theatern fort.
1972 machte Mankell seinen Traum wahr und besuchte Afrika, den Kontinent, der ihn von da an nicht mehr los ließ. Er wurde gefragt, ob er in Mosambik das erste und einzige Theater der Region gründen würde. Seit 1986 ist er Leiter einer 70-köpfigen Theatertruppe am Teatro Avenida in Maputo. Von da an lebt er, wie er es selbst beschreibt, „mit einem Fuß im Sand, mit dem anderen im Schnee“.
In Deutschland wurde der Schriftsteller zunächst durch seine neun Bände umfassende Krimireihe um Kommissar Wallander bekannt. Viele seiner Romane wurden mit großem Erfolg verfilmt wie „Die fünfte Frau“, der von sadistischen Mördern und seinen Opfern erzählt, oder „Die Rückkehr des Tanzlehrers“, in dem es um untergetauchte Nazi-Verbrecher geht.
Die Frage nach seiner Vision einer freien Gesellschaft beantwortet Mankell mit der Forderung nach Solidarität, die besonders in seinen Afrika-Romanen eine wichtige Rolle spielt. In „Der Chronist der Winde“ macht er auf das Schicksal afrikanischer Straßenkinder aufmerksam, „Kennedys Hirn“ ist eine Anklage der Weltgemeinschaft und ihrer Gleichgültigkeit gegenüber Armut und Aids in Afrika.
Der Schriftsteller selbst engagiert sich in verschiedenen Initiativen gegen Analphabetismus oder für die Emanzipation afrikanischer Frauen und arbeitet mit am Projekt „Memory Book“, das Aids-Waisen helfen soll, die Erinnerung an die toten Eltern zu bewahren. So ist man geneigt, Henning Mankell zu glauben, wenn er sagt: „Ich selbst wurde in Afrika ein besserer Europäer“.
Interview mit Henning Mankell
Seit einigenJahren schon erscheinen auf Deutsch Bücher mit der Figur des KriminalkommissarsWallander. Wie erklären Sie sich jetzt den Erfolg mit Zsolnay?
Henning Mankell: Ich muß einfach daran glauben, daß sich Qualität früher oderspäter durchsetzt. Wenn ich nicht daran glauben würde, wäre ich keinSchriftsteller, sondern ein Scheinheiliger.
Wie stehen Sie zumGenre Krimi? Immerhin wird mit Ihnen Werbung gemacht mit dem Satz: Der Mann,der keine Kriminalromane schreibt.
Henning Mankell: Ich hatte nie vor jemals in meinem Leben über Verbrechen oderKrimis zu schreiben. Ich glaube auch noch immer nicht, daß ich es tue. Was ichmache, ist eigentlich etwas sehr Altes, ich sehe auf die Gesellschaft durch denSpiegel des Verbrechens. Dieses Prinzip verfolgt Shakespeare in Macbeth oderJoseph Conrad in Herz der Finsternis. Diese beiden Beispiele sind auf ihreArt Krimis, doch niemand bezeichnet sie so. Ich glaube, ich arbeite in einerTradition, die von Kritikern falsch eingeschätzt wurde. Meine Geschichtenhandeln von der Gesellschaft und der Zeit in der ich lebe.
Die Mordfälle inIhren Romanen sind zumeist sehr drastisch. Kann man Rassismus oder Gewalt inunserer Gesellschaft nur so darstellen, oder sind subtile Formen, die dielatente Gewalt zeigen, nicht didaktisch eingängiger? Oder kann man die Menschennur durch drastische Szenen aufrütteln?
Henning Mankell: Was immer ich schreibe, besonders über Grausamkeit, ist in derRealität immer schlimmer. Ich muß bekennen, daß es viele Seiten gibt bei denenich mich wirklich schlecht gefühlt habe, als ich sie schrieb. Doch ich beziehemein Material aus der Realität und nicht aus
Sie arbeiten sehrvielfältig. Sie schreiben Krimis für Erwachsene und sozial engagierte Bücherfür Kinder, außerdem arbeiten sie als Regisseur. Wie bringt man all dieseArbeiten zusammen, bedingen sie sich gegenseitig, und entwickelt sich das eineaus dem anderen, oder hat das eine mit dem anderen nichts zu tun?
Henning Mankell: Esstimmt ich schreibe wirklich viele verschiedene Dinge, und zwar Theaterstücke,fürs Fernsehen, fürs Kino, Bücher über Wallander, Geschichten über Afrika. Ichglaube aber, da gibt es eine Verbindung, zumindest für mich ist sie sichtbar.Und die Verbindung ist sehr einfach zu beschreiben, nämlich die Frage, welcheGesellschaft wollen wir? Eine Gesellschaft, die auf Solidarität beruht, oderdas Gegenteil. Ich glaube, mein ganzes Schreiben wie auch mein Leben basiert aufdieser Frage.
In den kurzenbiographischen Noten über Sie steht, Sie arbeiten als Regisseur in Maputo(Mosambik. Können Sie uns etwas über Ihre Arbeit dort erzählen?
Henning Mankell: Seit 13 Jahren bin ich der Prinzipal des einzigenprofessionellen Theaters in Mosambik. Die Arbeit ist spannend, eineHerausforderung und auch ein Teil meines Zieles nämlich Solidarität. DenMenschen dort etwas von meiner Erfahrung zu geben und dafür ihre zu bekommenund zu zeigen, daß Kunst eine Domäne ist, wo Rassen und andere künstliche Grenzen keine Bedeutung haben.
Das Interview mit Henning Mankell erschien in derZeitschrift
Buchkultur. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung.
- Autor: Henning Mankell
- 2007, 253 Seiten, Maße: 13 x 20,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Reichel, Verena
- Übersetzer: Verena Reichel
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- ISBN-10: 3552053352
- ISBN-13: 9783552053359
- Erscheinungsdatum: 03.02.2007
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die flüsternden Seelen".
Kommentar verfassen