Die Frau des Diplomaten
Die spannende Fortsetzung von Pam Jenoffs internationalem Bestseller ''Der Kommandant und das Mädchen''.
Deutschland 1945: Die Jüdin Marta hat den Naziterror überlebt. Als sie dem amerikanischen Soldaten Paul begegnet,...
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Produktinformationen zu „Die Frau des Diplomaten “
Die spannende Fortsetzung von Pam Jenoffs internationalem Bestseller ''Der Kommandant und das Mädchen''.
Deutschland 1945: Die Jüdin Marta hat den Naziterror überlebt. Als sie dem amerikanischen Soldaten Paul begegnet, beginnt sie, auf eine glücklichere Zukunft zu hoffen. Aber der Plan, den Geliebten in London wiederzutreffen, scheitert: Pauls Flugzeug stürzt ab. Schwanger und verzweifelt heiratet Marta den Diplomaten Simon Gold, der ihr eine Stelle als Sekretärin im britischen Außenministerium verschafft. Als sich der Verdacht erhärtet, dass es einen Spion in den Reihen der Regierung gibt, ist Marta die Einzige, die den Verräter enttarnen kann.
Lese-Probe zu „Die Frau des Diplomaten “
Die Frau des Diplomaten von Pam Jenoff1. KAPITEL
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Ich weiß nicht, wie viele Stunden oder Tage ich auf dem harten, kalten Boden lag und auf den Tod wartete. Eine Zeit lang kam es mir so vor, als sei ich bereits tot, eingehüllt in die Finsternis und Stille meines Grabes, unfähig zu sprechen oder mich zu rühren.
Ein stechender Schmerz zuckt durch meine rechte Seite. Nein, es ist noch nicht vorbei. In winzigen Wellen kehren die Geräusche zurück in meine Wahrnehmung: das Scharren der Ratten hinter dem Mauerwerk, tropfendes Wasser, das zu weit entfernt ist, als dass ich es erreichen könnte. Auf dem eisigen Beton beginnt mein Kopf schmerzhaft zu pochen.
Nein, ich bin nicht tot. Noch nicht, aber bald, denn lange kann ich es nicht mehr ertragen. Im Geiste sehe ich den Wachposten über mir stehen, wie er eine Eisenstange in die Höhe reckt, um damit zuzuschlagen. Mein Magen verkrampft sich. Habe ich geredet? Nein, erwidert eine Stimme irgendwo in meinem Inneren. Du hast nichts gesagt. Das hast du gut gemacht. Es ist eine Männerstimme. Alek. Oder vielleicht Jakub. Aber natürlich kann es keiner von beiden sein. Alek ist tot, die Gestapo hat ihn erschossen. Und Jakub ist vermutlich auch tot, es sei denn, er hat es mit Emma bis zur Grenze geschafft.
Emma. Ich sehe noch immer ihr Gesicht vor mir, wie sie auf der Eisenbahnbrücke über mich gebeugt steht. Ihre Lippen fühlten sich kühl auf meiner Wange an, als sie mir den Abschiedskuss gab. „Gott möge dich behüten, Marta." Zu schwach, um etwas zu erwidern, nickte ich nur und schaute ihr nach, wie sie zum anderen Ende der Brücke lief und in der Dunkelheit verschwand.
Nachdem sie fort war, drehte ich den Kopf zur Seite und sah den dunkelroten Fleck, der sich unter mir im Schnee bildete. Blut. Mein Blut. Oder vielleicht sein Blut? Der Kommandant lag nur ein paar Meter von mir entfernt reglos auf dem Boden. Sein Gesicht hatte etwas Friedliches, fast Unschuldiges an sich, und einen Moment lang konnte ich verstehen, wie es möglich war, dass Emma etwas für ihn empfunden hatte.
Aber ich hatte nichts für ihn empfunden. Ich hatte ihn getötet.
Die Seite, auf der die Kugel aus der Waffe des Kommandanten in mich eingedrungen war, begann entsetzlich zu brennen. In weiter Ferne hörte ich Sirenen, die allmählich näher kamen. Für einen Augenblick bedauerte ich, dass ich Emma zum Gehen aufgefordert hatte, anstatt ihr Angebot anzunehmen und mir von ihr helfen zu lassen. Aber ich hätte sie auf ihrer Flucht nur aufgehalten, und am Ende wären wir beide umgekommen. So hatte wenigstens sie eine Chance. Alek wäre stolz auf mich gewesen. Jakub auch. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie auch Jakub sich über mich beugt, während der Wind mit seinem braunen Haar spielt. „Danke", sagt er tonlos, und dann verschwindet auch er.
Als die Gestapo eintraf, lag ich mit geschlossenen Augen da und wünschte mir einen schnellen Tod. Als den Männern klar wurde, dass ich den Kommandanten getötet hatte, zweifelte ich nicht daran, auf der Stelle erschossen zu werden. Doch einer der Männer wandte ein, dass sie mit ihrer Munition sparsam umgehen müssten, und ein anderer ergänzte, dass man mich sicherlich befragen wollte. Also hoben sie mich vom Boden auf. „Sie wird sich noch wünschen, wir hätten sie gleich hier erledigt", meinte einer von ihnen, als man mich brutal auf die Ladefläche eines Lastwagens warf.
Wenn ich jetzt an diese Worte zurückdenke, schaudert es mir, weil sie sich bewahrheitet haben. Das Ganze ist jetzt Monate her, vielleicht sogar Jahre. Die Zeit verliert hier an Bedeutung, da jeder endlose Tag von Einsamkeit, Hunger und Schmerz geprägt ist. Das Schlimmste ist die Einsamkeit.
Seit man mich hergebracht hat, bin ich keinem anderen Gefangenen begegnet. Manchmal lege ich mich ganz dicht an die Wand und glaube, in der Zelle nebenan jemanden reden oder auch nur atmen zu hören. „Hallo?", flüstere ich und drücke mein Ohr an die Fuge zwischen Wand und Boden. Aber ich erhalte nie eine Antwort.
Wenn im Korridor Schritte zu hören sind, überkommt mich jedes Mal Angst. Ist es der Junge, der mich mit seinen dunklen, leeren Augen anstarrt, während er ein Tablett mit verschimmeltem Brot und bräunlichem Wasser vor mich hinstellt? Oder ist es einer von ihnen? Wenn sie mich foltern, dann stets in unregelmäßigen, unberechenbaren Zeitabständen. Mal lassen sie mich tage- oder wochenlang in Ruhe, dann wieder holen sie mich jeden Tag aus meiner Zelle. Sie stellen mir immer wieder die gleichen Fragen, wenn sie auf mich einprügeln: Für wen haben Sie gearbeitet? Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben, Kommandant Richwalder zu töten? Wenn ich ihnen die Namen nenne, dann lassen sie mich in Ruhe, versprechen sie mir. Aber ich verrate nichts, also prügeln sie mich weiter, bis ich das Bewusstsein verliere. Ein paarmal haben sie mich zurückgeholt, um gleich wieder von vorn anzufangen. Aber meistens wache ich erst wieder auf, wenn ich allein in meiner Zelle bin, so wie jetzt auch.
Trotzdem habe ich nichts verraten. Ich habe mich gut geschlagen, und innerlich muss ich lächeln. Doch dann ist meine Zufriedenheit auch schon wieder verflogen. Ich hatte fast gehofft, zu Tode geprügelt zu werden, als sie mich das letzte Mal holten. Aber ich lebe, und sie werden mich weiter foltern. Ich beginne zu zittern. Jedes Mal ist es schlimmer als das Mal zuvor. Ich ertrage es nicht länger. Bevor sie mich erneut abholen kommen, muss ich gestorben sein.
Wieder jagt ein Stich durch meine Seite. Die Deutschen haben mir kurz nach meiner Ankunft hier die Kugel herausgeholt. Zu dem Zeitpunkt verstand ich nicht, warum sie sich die Mühe machten, mir das Leben zu retten. Aber da hatten sie auch noch nicht mit ihren Verhören begonnen. Der Schmerz wird stärker, ich beginne zu schwitzen. Plötzlich kommt es mir so vor, als sei es in der Zelle kälter geworden, und ich merke noch, wie ich abermals in eine Bewusstlosigkeit gleite.
Irgendwann werde ich wieder wach. Der Gestank meiner eigenen Ausscheidungen hängt in der Luft. In weiter Ferne ist ein tiefes, ungewohntes Grollen zu vernehmen. Durch meine geschlossenen Augenlider bemerke ich einen schwachen Lichtschein. Wie viel Zeit ist vergangen? Ich nehme die Hände ans Gesicht. Mein rechtes Auge ist so geschwollen, dass ich es nicht öffnen kann. Ich reibe mein linkes Auge und wische die dicke Kruste weg, die sich im äußeren Augenwinkel gebildet hat. Blinzelnd sehe ich mich um. Den Raum kann ich so wie alles andere nur verschwommen wahrnehmen, da sie mir gleich nach meinem Eintreffen im Gefängnis die Brille abgenommen haben. Ich bemerke einen schwachen Strahl Tageslicht, der durch das winzige Fenster gleich unter der Decke in die Zelle fällt und eine kleine Wasserlache auf dem Boden bescheint. Meine ausgedörrte Kehle schmerzt. Wenn ich es nur bis zu dieser Pfütze schaffen könnte! Aber ich bin noch immer zu schwach, um mich von der Stelle zu rühren.
Das Grollen verstummt, dann höre ich Schritte im Stockwerk über mir, schließlich auf der Treppe. Die Wachen kommen zu mir. Als die Tür aufgeschlossen wird, mache ich die Augen zu. Leise Männerstimmen dringen an meine Ohren, und ich muss mich dazu zwingen, ganz ruhig dazuliegen und nicht zu zittern. Sie sollen nicht wissen, dass ich wach bin. Die Schritte werden lauter. Ich rechne fest damit, brutal gepackt und geschlagen zu werden. Die Männer scheinen sich uneins zu sein, und dann auf einmal fällt mir auf, dass sie gar nicht deutsch reden. Ich strenge mich an, um etwas zu verstehen. „... zu krank", sagt eine Stimme. Das ist auch nicht Russisch, und auch keine slawische Sprache. Englisch! Mein Herz macht vor Schreck einen Satz.
„Sie muss hier raus." Ich öffne das linke Auge einen Spaltbreit. Zwei Männer in dunkelgrünen Uniformen stehen in meiner Zelle. Sind das Briten? Oder Amerikaner? Ich blinzle, kann aber nicht erkennen, welche Flagge sie am Ärmel tragen. Wurden wir etwa befreit?
Der kleinere Mann steht mit dem Rücken zu mir, und über seine Schulter kann ich sehen, wie der andere in meine Richtung deutet. „Sie muss hier raus", wiederholt er wütend, doch der Kleinere schüttelt den Kopf.
Ich muss die beiden auf mich aufmerksam machen. Ich versuche mich aufzusetzen, doch die Schmerzen sind einfach zu stark. Stattdessen begnüge ich mich damit, einen Arm zu heben, während ich tief durchatme und zu husten beginne. Der größere der beiden Uniformierten schaut zu mir. „Sehen Sie?", ruft er, als er mit hastigen Schritten auf mich zukommt. Der Kleinere antwortet nicht, sondern schüttelt abermals den Kopf und verlässt die Zelle.
Der Soldat kniet sich neben mich. „Hallo."
Als ich etwas erwidern will, kommt nur ein Röcheln über meine Lippen. „Shht", macht er und legt einen Finger auf meine Lippen. Er will nach meinem Arm greifen, doch ich zucke zurück. Zu lange hat jede menschliche Berührung für mich nur Schmerz bedeutet. „Schon okay", sagt er leise und deutet auf die Flagge an seinem Ärmel. „Amerikaner. Schon okay." Erneut streckt er seine Hand nach mir aus, diesmal deutlich behutsamer. Ich zwinge mich dazu, nicht wieder zu zucken, als er meinen Arm anhebt und dabei seine schwieligen Finger um mein Handgelenk legt. Ich habe fast vergessen, dass es auch so sanfte Berührungen gibt. Er fühlt meinen Puls, die andere Hand legt er vorsichtig auf meine Stirn. Er legt die Stirn in Falten und beginnt hastig auf Englisch zu reden, wobei seine blauen Augen hin und her zucken. Ich schüttele den Kopf, so gut ich kann, damit er sieht, dass ich ihn nicht verstehe. Mitten im Satz bricht er ab, seine Wangen laufen rot an. „Oh, sorry."
Aus dem Gürtel zieht er eine Metallflasche und gießt etwas Wasser in den Deckel. Er legt eine Hand hinter meinen Kopf, und ich gestatte mir, mich etwas zu entspannen, als ich die Wärme spüre, die seine Finger an mich abgeben. Sein Jackettärmel verströmt einen erdigen Geruch, der eine Kindheitserinnerung weckt an Kiefernnadeln und Waldboden. Er hebt meinen Kopf leicht an, als hätte er ein kleines Kind vor sich, und hält den Deckel an meine Lippen. „Trinken Sie." Ich schlucke das Wasser, das er in meinen Mund tropfen lässt. Es schmeckt salzig und auch ein wenig nach Metall, aber das kümmert mich nicht. Ich trinke den Deckel aus, und er füllt ihn wieder auf.
Während ich trinke, betrachte ich sein Gesicht. Er ist nur ein paar Jahre älter als ich, höchstens dreiundzwanzig oder vierundzwanzig. Sein dunkles Haar ist an den Seiten kurz geschnitten, auf dem Kopf ist es dagegen wellig. Auch wenn er mich im Moment sehr ernst ansieht, verraten die Fältchen um seine Augen, dass es in seinem jungen Leben schon viel zu lachen gegeben hat. Er sieht nett aus. Und attraktiv. Plötzlich wird mir bewusst, wie elend ich aussehen muss, und dass meine strähnigen Haare von Schmutz und Blut verklebt sind.
Ich trinke noch einen letzten Schluck, dann wird die Anstrengung doch zu viel, und ich sinke in mich zusammen, während er meinen Kopf vorsichtig wieder auf dem Boden ablegt. Nicht!, möchte ich rufen, als er die Hand wegzieht. Seine Berührung hat längst etwas Vertrautes und Tröstendes. Stattdessen lächle ich schief, um ihm meine Dankbarkeit zu zeigen. Er nickt und sieht mich mit großen Augen an. Ich merke, wie er überlegt, warum ich wohl in diese Zelle gesteckt wurde und wer mich so zugerichtet hat. Er will aufstehen, aber ich greife in Panik nach seiner Hand.
„Schon gut." Er kniet sich wieder hin und deutet mit einer Kopfbewegung Richtung Tür. „Arzt." Er will mir jemanden herschicken, der sich um mich kümmert. Ich werde etwas ruhiger, lasse ihn aber nicht los. „Es wird alles gut", beteuert er und drückt meine Hand. „Sie kommen hier raus." Raus? Meine Augen beginnen zu brennen. Sollte der Albtraum wirklich vorüber sein? Ich kann es fast nicht glauben. Eine einzelne Träne läuft mir aus dem Augenwinkel. Er wischt sie mit einer sanften Berührung fort.
Dann räuspert er sich und zeigt mit der freien Hand auf sich. „Paul."
Paul. Ich starre ihn an und wiederhole im Geiste seinen Namen. Ich weiß nicht, ob ich ein Wort herausbringen kann, doch ich will, dass auch er meinen Namen erfährt. Ich schlucke, dann hole ich tief Luft. „M-Marta", kommt mir über die Lippen. Dann versinke ich wieder in tiefer Dunkelheit. Die Anstrengung der letzten Minuten war einfach zu viel für mich.
Übersetzung: Ralph Sander
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2011 by Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Ich weiß nicht, wie viele Stunden oder Tage ich auf dem harten, kalten Boden lag und auf den Tod wartete. Eine Zeit lang kam es mir so vor, als sei ich bereits tot, eingehüllt in die Finsternis und Stille meines Grabes, unfähig zu sprechen oder mich zu rühren.
Ein stechender Schmerz zuckt durch meine rechte Seite. Nein, es ist noch nicht vorbei. In winzigen Wellen kehren die Geräusche zurück in meine Wahrnehmung: das Scharren der Ratten hinter dem Mauerwerk, tropfendes Wasser, das zu weit entfernt ist, als dass ich es erreichen könnte. Auf dem eisigen Beton beginnt mein Kopf schmerzhaft zu pochen.
Nein, ich bin nicht tot. Noch nicht, aber bald, denn lange kann ich es nicht mehr ertragen. Im Geiste sehe ich den Wachposten über mir stehen, wie er eine Eisenstange in die Höhe reckt, um damit zuzuschlagen. Mein Magen verkrampft sich. Habe ich geredet? Nein, erwidert eine Stimme irgendwo in meinem Inneren. Du hast nichts gesagt. Das hast du gut gemacht. Es ist eine Männerstimme. Alek. Oder vielleicht Jakub. Aber natürlich kann es keiner von beiden sein. Alek ist tot, die Gestapo hat ihn erschossen. Und Jakub ist vermutlich auch tot, es sei denn, er hat es mit Emma bis zur Grenze geschafft.
Emma. Ich sehe noch immer ihr Gesicht vor mir, wie sie auf der Eisenbahnbrücke über mich gebeugt steht. Ihre Lippen fühlten sich kühl auf meiner Wange an, als sie mir den Abschiedskuss gab. „Gott möge dich behüten, Marta." Zu schwach, um etwas zu erwidern, nickte ich nur und schaute ihr nach, wie sie zum anderen Ende der Brücke lief und in der Dunkelheit verschwand.
Nachdem sie fort war, drehte ich den Kopf zur Seite und sah den dunkelroten Fleck, der sich unter mir im Schnee bildete. Blut. Mein Blut. Oder vielleicht sein Blut? Der Kommandant lag nur ein paar Meter von mir entfernt reglos auf dem Boden. Sein Gesicht hatte etwas Friedliches, fast Unschuldiges an sich, und einen Moment lang konnte ich verstehen, wie es möglich war, dass Emma etwas für ihn empfunden hatte.
Aber ich hatte nichts für ihn empfunden. Ich hatte ihn getötet.
Die Seite, auf der die Kugel aus der Waffe des Kommandanten in mich eingedrungen war, begann entsetzlich zu brennen. In weiter Ferne hörte ich Sirenen, die allmählich näher kamen. Für einen Augenblick bedauerte ich, dass ich Emma zum Gehen aufgefordert hatte, anstatt ihr Angebot anzunehmen und mir von ihr helfen zu lassen. Aber ich hätte sie auf ihrer Flucht nur aufgehalten, und am Ende wären wir beide umgekommen. So hatte wenigstens sie eine Chance. Alek wäre stolz auf mich gewesen. Jakub auch. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie auch Jakub sich über mich beugt, während der Wind mit seinem braunen Haar spielt. „Danke", sagt er tonlos, und dann verschwindet auch er.
Als die Gestapo eintraf, lag ich mit geschlossenen Augen da und wünschte mir einen schnellen Tod. Als den Männern klar wurde, dass ich den Kommandanten getötet hatte, zweifelte ich nicht daran, auf der Stelle erschossen zu werden. Doch einer der Männer wandte ein, dass sie mit ihrer Munition sparsam umgehen müssten, und ein anderer ergänzte, dass man mich sicherlich befragen wollte. Also hoben sie mich vom Boden auf. „Sie wird sich noch wünschen, wir hätten sie gleich hier erledigt", meinte einer von ihnen, als man mich brutal auf die Ladefläche eines Lastwagens warf.
Wenn ich jetzt an diese Worte zurückdenke, schaudert es mir, weil sie sich bewahrheitet haben. Das Ganze ist jetzt Monate her, vielleicht sogar Jahre. Die Zeit verliert hier an Bedeutung, da jeder endlose Tag von Einsamkeit, Hunger und Schmerz geprägt ist. Das Schlimmste ist die Einsamkeit.
Seit man mich hergebracht hat, bin ich keinem anderen Gefangenen begegnet. Manchmal lege ich mich ganz dicht an die Wand und glaube, in der Zelle nebenan jemanden reden oder auch nur atmen zu hören. „Hallo?", flüstere ich und drücke mein Ohr an die Fuge zwischen Wand und Boden. Aber ich erhalte nie eine Antwort.
Wenn im Korridor Schritte zu hören sind, überkommt mich jedes Mal Angst. Ist es der Junge, der mich mit seinen dunklen, leeren Augen anstarrt, während er ein Tablett mit verschimmeltem Brot und bräunlichem Wasser vor mich hinstellt? Oder ist es einer von ihnen? Wenn sie mich foltern, dann stets in unregelmäßigen, unberechenbaren Zeitabständen. Mal lassen sie mich tage- oder wochenlang in Ruhe, dann wieder holen sie mich jeden Tag aus meiner Zelle. Sie stellen mir immer wieder die gleichen Fragen, wenn sie auf mich einprügeln: Für wen haben Sie gearbeitet? Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben, Kommandant Richwalder zu töten? Wenn ich ihnen die Namen nenne, dann lassen sie mich in Ruhe, versprechen sie mir. Aber ich verrate nichts, also prügeln sie mich weiter, bis ich das Bewusstsein verliere. Ein paarmal haben sie mich zurückgeholt, um gleich wieder von vorn anzufangen. Aber meistens wache ich erst wieder auf, wenn ich allein in meiner Zelle bin, so wie jetzt auch.
Trotzdem habe ich nichts verraten. Ich habe mich gut geschlagen, und innerlich muss ich lächeln. Doch dann ist meine Zufriedenheit auch schon wieder verflogen. Ich hatte fast gehofft, zu Tode geprügelt zu werden, als sie mich das letzte Mal holten. Aber ich lebe, und sie werden mich weiter foltern. Ich beginne zu zittern. Jedes Mal ist es schlimmer als das Mal zuvor. Ich ertrage es nicht länger. Bevor sie mich erneut abholen kommen, muss ich gestorben sein.
Wieder jagt ein Stich durch meine Seite. Die Deutschen haben mir kurz nach meiner Ankunft hier die Kugel herausgeholt. Zu dem Zeitpunkt verstand ich nicht, warum sie sich die Mühe machten, mir das Leben zu retten. Aber da hatten sie auch noch nicht mit ihren Verhören begonnen. Der Schmerz wird stärker, ich beginne zu schwitzen. Plötzlich kommt es mir so vor, als sei es in der Zelle kälter geworden, und ich merke noch, wie ich abermals in eine Bewusstlosigkeit gleite.
Irgendwann werde ich wieder wach. Der Gestank meiner eigenen Ausscheidungen hängt in der Luft. In weiter Ferne ist ein tiefes, ungewohntes Grollen zu vernehmen. Durch meine geschlossenen Augenlider bemerke ich einen schwachen Lichtschein. Wie viel Zeit ist vergangen? Ich nehme die Hände ans Gesicht. Mein rechtes Auge ist so geschwollen, dass ich es nicht öffnen kann. Ich reibe mein linkes Auge und wische die dicke Kruste weg, die sich im äußeren Augenwinkel gebildet hat. Blinzelnd sehe ich mich um. Den Raum kann ich so wie alles andere nur verschwommen wahrnehmen, da sie mir gleich nach meinem Eintreffen im Gefängnis die Brille abgenommen haben. Ich bemerke einen schwachen Strahl Tageslicht, der durch das winzige Fenster gleich unter der Decke in die Zelle fällt und eine kleine Wasserlache auf dem Boden bescheint. Meine ausgedörrte Kehle schmerzt. Wenn ich es nur bis zu dieser Pfütze schaffen könnte! Aber ich bin noch immer zu schwach, um mich von der Stelle zu rühren.
Das Grollen verstummt, dann höre ich Schritte im Stockwerk über mir, schließlich auf der Treppe. Die Wachen kommen zu mir. Als die Tür aufgeschlossen wird, mache ich die Augen zu. Leise Männerstimmen dringen an meine Ohren, und ich muss mich dazu zwingen, ganz ruhig dazuliegen und nicht zu zittern. Sie sollen nicht wissen, dass ich wach bin. Die Schritte werden lauter. Ich rechne fest damit, brutal gepackt und geschlagen zu werden. Die Männer scheinen sich uneins zu sein, und dann auf einmal fällt mir auf, dass sie gar nicht deutsch reden. Ich strenge mich an, um etwas zu verstehen. „... zu krank", sagt eine Stimme. Das ist auch nicht Russisch, und auch keine slawische Sprache. Englisch! Mein Herz macht vor Schreck einen Satz.
„Sie muss hier raus." Ich öffne das linke Auge einen Spaltbreit. Zwei Männer in dunkelgrünen Uniformen stehen in meiner Zelle. Sind das Briten? Oder Amerikaner? Ich blinzle, kann aber nicht erkennen, welche Flagge sie am Ärmel tragen. Wurden wir etwa befreit?
Der kleinere Mann steht mit dem Rücken zu mir, und über seine Schulter kann ich sehen, wie der andere in meine Richtung deutet. „Sie muss hier raus", wiederholt er wütend, doch der Kleinere schüttelt den Kopf.
Ich muss die beiden auf mich aufmerksam machen. Ich versuche mich aufzusetzen, doch die Schmerzen sind einfach zu stark. Stattdessen begnüge ich mich damit, einen Arm zu heben, während ich tief durchatme und zu husten beginne. Der größere der beiden Uniformierten schaut zu mir. „Sehen Sie?", ruft er, als er mit hastigen Schritten auf mich zukommt. Der Kleinere antwortet nicht, sondern schüttelt abermals den Kopf und verlässt die Zelle.
Der Soldat kniet sich neben mich. „Hallo."
Als ich etwas erwidern will, kommt nur ein Röcheln über meine Lippen. „Shht", macht er und legt einen Finger auf meine Lippen. Er will nach meinem Arm greifen, doch ich zucke zurück. Zu lange hat jede menschliche Berührung für mich nur Schmerz bedeutet. „Schon okay", sagt er leise und deutet auf die Flagge an seinem Ärmel. „Amerikaner. Schon okay." Erneut streckt er seine Hand nach mir aus, diesmal deutlich behutsamer. Ich zwinge mich dazu, nicht wieder zu zucken, als er meinen Arm anhebt und dabei seine schwieligen Finger um mein Handgelenk legt. Ich habe fast vergessen, dass es auch so sanfte Berührungen gibt. Er fühlt meinen Puls, die andere Hand legt er vorsichtig auf meine Stirn. Er legt die Stirn in Falten und beginnt hastig auf Englisch zu reden, wobei seine blauen Augen hin und her zucken. Ich schüttele den Kopf, so gut ich kann, damit er sieht, dass ich ihn nicht verstehe. Mitten im Satz bricht er ab, seine Wangen laufen rot an. „Oh, sorry."
Aus dem Gürtel zieht er eine Metallflasche und gießt etwas Wasser in den Deckel. Er legt eine Hand hinter meinen Kopf, und ich gestatte mir, mich etwas zu entspannen, als ich die Wärme spüre, die seine Finger an mich abgeben. Sein Jackettärmel verströmt einen erdigen Geruch, der eine Kindheitserinnerung weckt an Kiefernnadeln und Waldboden. Er hebt meinen Kopf leicht an, als hätte er ein kleines Kind vor sich, und hält den Deckel an meine Lippen. „Trinken Sie." Ich schlucke das Wasser, das er in meinen Mund tropfen lässt. Es schmeckt salzig und auch ein wenig nach Metall, aber das kümmert mich nicht. Ich trinke den Deckel aus, und er füllt ihn wieder auf.
Während ich trinke, betrachte ich sein Gesicht. Er ist nur ein paar Jahre älter als ich, höchstens dreiundzwanzig oder vierundzwanzig. Sein dunkles Haar ist an den Seiten kurz geschnitten, auf dem Kopf ist es dagegen wellig. Auch wenn er mich im Moment sehr ernst ansieht, verraten die Fältchen um seine Augen, dass es in seinem jungen Leben schon viel zu lachen gegeben hat. Er sieht nett aus. Und attraktiv. Plötzlich wird mir bewusst, wie elend ich aussehen muss, und dass meine strähnigen Haare von Schmutz und Blut verklebt sind.
Ich trinke noch einen letzten Schluck, dann wird die Anstrengung doch zu viel, und ich sinke in mich zusammen, während er meinen Kopf vorsichtig wieder auf dem Boden ablegt. Nicht!, möchte ich rufen, als er die Hand wegzieht. Seine Berührung hat längst etwas Vertrautes und Tröstendes. Stattdessen lächle ich schief, um ihm meine Dankbarkeit zu zeigen. Er nickt und sieht mich mit großen Augen an. Ich merke, wie er überlegt, warum ich wohl in diese Zelle gesteckt wurde und wer mich so zugerichtet hat. Er will aufstehen, aber ich greife in Panik nach seiner Hand.
„Schon gut." Er kniet sich wieder hin und deutet mit einer Kopfbewegung Richtung Tür. „Arzt." Er will mir jemanden herschicken, der sich um mich kümmert. Ich werde etwas ruhiger, lasse ihn aber nicht los. „Es wird alles gut", beteuert er und drückt meine Hand. „Sie kommen hier raus." Raus? Meine Augen beginnen zu brennen. Sollte der Albtraum wirklich vorüber sein? Ich kann es fast nicht glauben. Eine einzelne Träne läuft mir aus dem Augenwinkel. Er wischt sie mit einer sanften Berührung fort.
Dann räuspert er sich und zeigt mit der freien Hand auf sich. „Paul."
Paul. Ich starre ihn an und wiederhole im Geiste seinen Namen. Ich weiß nicht, ob ich ein Wort herausbringen kann, doch ich will, dass auch er meinen Namen erfährt. Ich schlucke, dann hole ich tief Luft. „M-Marta", kommt mir über die Lippen. Dann versinke ich wieder in tiefer Dunkelheit. Die Anstrengung der letzten Minuten war einfach zu viel für mich.
Übersetzung: Ralph Sander
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2011 by Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Pam Jenoff
- 2010, 1, 408 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997236
- ISBN-13: 9783828997233
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