Die Girls von Riad
Nachdem "Die Girls von Riad" in Saudi-Arabien verboten wurde, erschien das Buch 2005 im Libanon. Binnen weniger Monate verkaufte es sich mehrere hunderttausendmal und löste eine hitzige Debatte zwischen arabischen Politikern, Gelehrten und Kritikern aus....
Nachdem "Die Girls von Riad" in Saudi-Arabien verboten wurde, erschien das Buch 2005 im Libanon. Binnen weniger Monate verkaufte es sich mehrere hunderttausendmal und löste eine hitzige Debatte zwischen arabischen Politikern, Gelehrten und Kritikern aus. Währenddessen ging das Buch auf dem Schwarzmarkt für das Zehnfache des Ladenpreises über den Tisch. Rajaa Alsanea erzählt davon, worüber geschwiegen werden muss: Von vier jungen Frauen, die leben und lieben wollen und es nicht dürfen, weil die Tradition für Frauen kein Glück vorsieht. Doch Sadim, Kamra, Michelle und Lamis versuchen es trotzdem, eine jede auf ihre Art - und das Ergebnis ist ein tragikomischer Roman, der aufrüttelt, berührt und verzaubert.
Die Girls von Riad von Rajaa Alsanea
LESEPROBE
An: seerehwenfadha7et@yahoogroups.com
Von: »seerehwenfaclha7et«
Datum:13.2.2004
Betreff:Ich werde über meine Freundinnen schreiben
»Gottverändert nicht sein Verhalten zu seinem Volk, ehe es nicht seiner SeelenGedanken verändert.«
Sure »Der Donner«,Vers 11
Meine Damenund Herren, liebe Altersgenossinnen,
ihr habteuch auf eine Verabredung eingelassen, bei der es um Skandalöses in der Jugendszenegeht. Eure Gesprächspartnerin wird euch in eine Welt führen, die euch sehr vielnäher ist, als ihr denkt. Es ist eine Wirklichkeit, in der wir leben und auchwieder nicht leben. Wir übernehmen das vom Glauben, was uns passt, der Restinteressiert uns nicht.
Ichschreibe für jeden, der älter als achtzehn Jahre, in manchen Ländern auch älterals einundzwanzig ist, denn nur bei uns beginnt ab dem sechsten Jahr (und damitmeine ich nicht sechzehn Jahre) für Jungen und Mädchen die Zeit der Verzweiflung.Ich schreibe für jeden, der genügend Mut hat, im Internet die nackte Wahrheitzu lesen, der die erforderliche Ausdauer und die nötige Geduld aufbringt, michbei diesem verrückten Experiment zu begleiten. Ich schreibe für jeden, der diealtmodischen Liebesgeschichten satt hat, der nicht mehr daran glaubt, dass dasGute weiß und das Böse schwarz und ein mal eins einsist. Der den Glauben daran verloren hat, dass CaptainMadjid mit zwei Toren den Ausgleich schafft und inder letzten Minute noch das Tor zum Sieg schießt. Ich schreibe für alle, dieunzufrieden, widerspenstig, wütend, zornig sind. Für jeden, der meint, dassder Sonnabend und der Sonntag schreckliche Tage sind, aber unsere Verzweiflungreicht viel weiter. Für euch schreibe ich meine Briefe, und vielleicht schlagendaraus Funken, und die Veränderung beginnt.
DieserAbend gehört mir, und die Helden der Geschichte seid ihr, sie sind »in euch undvon euch«. Aus der Wüste kommen wir, und in die Wüste kehren wir zurück. Undso wie unser Nedjd das Gute und das Böse sprießenlässt, gibt es unter den Heldinnen meiner Geschichte Gute und Böse, ja,manchmal findet sich beides in einer Person. »Seid nachgiebig bei dem, was euchentgegentritt.« Weil ich beschlossen habe, einfach draufloszuschreiben, also ohne mich mit meinen Freundinnen abzusprechen,habe ich es vorgezogen, zwar wenig an den Ereignissen, aber viel bei den Namenzu verändern. Übrigens leben mittlerweile alle meine Freundinnen unter demSchutz eines »Mannes« oder eines »Bewachers« oder eines »bewachenden Mannes«oder wurden anderweitig aus dem Verkehr gezogen. Sind also Brot und Salz auchheilig, mindert das weder die Wahrhaftigkeit des Erzählten noch lindert es denbrennenden Schmerz der Wirklichkeit. Was mich betrifft, so habe ich nichts zuverlieren, oder um es mit den Worten von Nikos Kazantzakiszu sagen: »Ich erwarte nichts, ich fürchte nichts, ich erhoffe nichts.« Aber trotz allem, das ihr hier lesen werdet, nimmt dasLeben seinen Lauf. Ich denke nicht, dass ein paar Briefe es daran hindernkönnen.
Ich werdeüber meine Freundinnen schreiben,
denn injeder Geschichte von ihnen finde ich mich selbst,
sehe icheine Tragödie, die meiner gleicht.
Ich willüber meine Freundinnen schreiben,
über dasGefängnis, das das Leben aus den Gefangenen saugt,
über dieZeit, die die Zeitungsspalten verschlingen, über Türen, die nicht geöffnetwerden,
überWünsche, die, kaum geboren, erstickt werden, über die große Gefängniszelle,
über ihreschwarzen Mauern,
übertausende und abertausende Märtyrerinnen, die namenlos begraben werden,
im Grab derTraditionen.
MeineFreundinnen,
inBaumwolle eingewickelte Puppen,
aufbewahrtin einem verschlossenen Museum, Geld, das die Geschichte als Scheck bewahrt, dasnicht verschenkt, nicht ausgegeben wird,
Schwärmevon Fischen, die in ihren Becken ersticken, oder in Kristallgläsern, derenKobaltblau dahin ist. Ohne Furcht
werde ichüber meine Freundinnen schreiben,
über dieblutigen Ketten an den Füßen der Schönen, über das Irrereden, den Brechreiz,die Nächte
flehentlichenBittens,
über dieSehnsüchte, die in Kissen begraben werden,
über dasKreisen im Nichts,
über denTod in Raten. Meine Freundinnen,
Pfänder,die auf dem Markt des Aberglaubens gekauft
undverkauft werden, Gefangene im Harem des Orients,
Tote, dienicht gestorben sind,
die leben,die sterben,
diewahrgenommen werden wie der Sprung im
Flaschenbauch.
MeineFreundinnen,
Vögel, diestimmlos in ihren Höhlen sterben.
Wahr hastdu gesprochen, du mein Nizar Qabbani,Gott er- barme sich deiner. »May you rest in peace.« Zu Recht trägstdu den Namen »Dichter der Frauen«. »Und wem es nicht gefällt, der soll seinenDurst im Meer löschen.« Denn in der Liebe gibt es keinvor und kein nach dir, wie es in einem berühmten Lied heißt. Selbst wenn dieGnade deiner Verbundenheit mit dem F der Frauen nicht ein genialer Impulsdeiner männlichen Chromosomen gewesen ist, sondern dem Selbstmord deiner Schwestergeschuldet ist, die sich wegen einer unglücklichen Liebe umgebracht hat - »Wersich der Liebe unterwirft, den macht sie kaputt« - so kann ich nur sagen, welchein Glück, um die selige Balkis zu wissen, was fürein »Affenglück«, nach dir zu leben, aber auch was für ein Unglück. Ich glaube,der nedjdische Ausdruck »Affenglück« bezieht sich aufden Affen, weil der so viel springt. Er gleicht dem Glück, weil er mal stehenbleibt, mal zu Boden geht. Manche meinen, dass die Bezeichnung falsch ist, weildas nichts mit Affen zu tun hat, sondern mit Zecken. Leider wird eine von unsFrauen ihren Nizar erst finden, wenn sie sich voneiner seiner Schwestern »be- freit« und sich die romantische Liebe aus einemSchwarz- Weiß-Film in eine Liebe im Gefängnis verwandelt. Ach, mein Herz, seinicht traurig!
Ich habemir das Haar zerzaust, die Lippen mit grellem Rot beschmiert, neben mir stehtein Teller mit Kartoffelchips, die mit Zitrone und Pfeffer gewürzt sind. Allesist bereit für den ersten Skandal.
MadameSusan rief an, um Sadim, die sich mit Kamra hinter dem Vorhang versteckte, mitzuteilen, dass dasBand mit der Hochzeitsmusik immer noch hänge, man aber dabei sei, den Schadenzu beheben. »Sprich mit der Süßen und beruhige sie. DieLeute werden schon warten, noch ist keiner weggelaufen. Außerdem kriegen allecoolen Bräute, die ein bisschen zu spät kommen, Dispens.«
Kamra warnahe daran zusammenzubrechen. Ihre Mutter und ihre Schwester Hussa schrien die Organisatorin des Fests so laut an, dass esnoch am anderen Ende des Saals zu hören war. Von Skandal war die Rede und voneiner Unglücksnacht. Sadim wich nicht von Kamras Seite. Sie wischte ihr den Schweiß von der Stirn,bevor er sich mit den Tränen ver- mischte, denen Tonnen von Augenschminke denWeg versperrten.
Plötzlicherfüllte Mohammed Abdus Stimme den riesigen Saal, undMadame Susan gab Sadim ein Zeichen, dass es losgehe.Sie stieß Kamra mit dem Ellbogen in die Seite. »Los,wir sind dran.«
Nachdem Kamra dreimal einen Zauberspruch gegen Neider geflüsterthatte, hörte sie auf, hektisch über ihr Kleid zu streichen. Sie zog nocheinmal den Rand des Ausschnitts hoch, der, weil er ständig hinunterrutschte,den Ansatz ihrer kleinen Brüste sehen ließ. Dann stieg sie die Marmortreppehinunter, wobei sie die Füße genau so setzte, wie sie es mit ihren Freundinnengeprobt hatte - fünf Sekunden sollten zwischen den einzelnen Schritten liegen,sie aber zögerte den nächsten Schritt sogar um sechs Sekunden hinaus. Vor jedemSchritt pries sie Gott und betete, Sadim möge nichtauf die Schleppe treten und das Brautkleid hinunterziehen, oder dass sie selbstnicht, wie in einem dieser komischen Filme, den Saum erwischte und langhinfiel. Was jetzt ablief, hatte mit der Probe nichts zu tun. Da hatte es keinetausend Frauen gegeben, die jeden ihrer Schritte genau beobachteten undaufpassten, ob sie flüchtig zur Seite blickte oder gar lächelte. Da hatte esauch keine Fotografin gegeben, die sie mit ihren flashesblendete. Angesichts des grellen Lichts und all der Augen, die sie verfolgten,kam ihr eine Hochzeit im engsten Familienkreis, die sie auf keinen Fall hattehaben wollen, wie ein wunderbarer Traum vor. Da hätte sie nicht diesenquälenden, stundenlangen Albtraum ertragen müssen.
© Pendo verlag
Übersetzung:Doris Kilias
- Autor: Rajaa Alsanea
- 2007, 331 Seiten, Maße: 14,1 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Arab. v. Doris Kilias
- Übersetzer: Doris Kilias
- Verlag: Pendo
- ISBN-10: 3866121091
- ISBN-13: 9783866121096
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