Die Herrin der Burg
Dabei steht ihr die Magd Gret zur Seite. Sie ist...
Dabei steht ihr die Magd Gret zur Seite. Sie ist nicht nur ihre Freundin, sondern auch ihre Halbschwester.
Ein brillanter historischer Roman von Ulrike Schweikert (''Die Tochter des Salzsieders'', ''Die Hexe und die Heilige'').
Die Herrin der Burg von Ulrike Schweikert
LESEPROBE
Wir haben einen neuen König!«, rief der Bote, als er überdie hölzerne Zugbrücke donnerte. Neugierig schwatzend strömten die Wehrsteinerin den Saal und scharten sich um den Mann, der die Nachricht in alle Landetrug. »Fast zwanzig Jahre herrschten Kriegswirren und Fehdengewühl, heißer Zornund wilde Gier. Die Dörfer sind verwüstet, Felder liegen brach, die Bauern unddie Herren hungern«, begann er seine ausschweifende Rede, nahm dankbar denBecher entgegen, den die Hausherrin ihm reichte, stieg auf die Bank, um mitseiner stimme auch alle zu erreichen, und fuhr dann mit seiner Geschichte fort.»Die Herren suchen die Juden auf. Keiner hat Geld in seinen Truhen. Immerlauter erschallten die Stimmen durch das Reich. Ein König muss her, das Land zubefrieden!« Er machte eine Pause, ohne das ungeduldige Scharren und Räuspernseiner Zuhörer zu beachten. Wie einer der reisenden Geschichtenerzähler beugteer sich vor, ließ den Blick über die Ritter, Edelknechte und das Gesindeschweifen und senkte dann seine Stimme. »Doch wer sollte es sein? Der mächtigeKönig Ottokar der Zweite von Böhmen? Der war den Herren Kurfürsten nicht sorecht geheuer. König Philipp der Zweite aus Frankreich? Ein Franzose schon garnicht!« Wieder hielt er inne und trank genüsslich seinen Becher leer.»InFrankfurt oben saßen unsere mächtigen Fürsten des Reiches zusammen, dieErzbischöfe aus Mainz, Köln und Trier, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog vonSachsen und der Markgraf von Brandenburg. Anstelle des mächtigen Ottokar vonBöhmen haben sie den Bayernherzog noch dazugeladen.«
Erneut machte er eine Pause, ließ sich den Becher wiederfüllen, trank ausgiebig, rülpste und fuhr dann fort: »Ein König muss her, starkmuss er sein, doch auch nicht zu stark, denn keiner will die mühsam erkämpftenLändereien und das eilig zusammengeraffte Krongut wieder herausgeben.« »Wer istdenn nun unser neuer König?«, unterbrach ihn eine helle Kinderstimmeungehalten. Tilia stampfte mit dem Fuß auf die Erde. Der Bote lachte, bücktesich hinab und strich ihr über das Blondhaar. »Es steht einer Jungfrau nichtan, so ungeduldig zu sein und einen Mann zu unterbrechen, kleinesRitterfräulein, doch ich werde es dir verraten: Ihre Wahl fiel auf denLandgrafen Rudolf von Habsburg. Er ist kein Schwächling und scheint dennoch genugRespekt vor den mächtigen Herzögen und Bischöfen zu haben.« »Rudolf vonHabsburg? Den kenne ich nicht«, sagte das Mädchen enttäuscht und wandte sichwieder ihrer Puppe zu. »So reiste der Burggraf von Nürnberg nach Basel, wounser König, nichts von der ihm angetragenen Ehre wissend, sich mit demtreuebrüchigen Bischof schlug. Der Bischof von Basel ist zwar eigensinnig, abernicht dumm. Zähneknirschend hat er dem Habsburger Frieden angeboten. Und sozieht König Rudolf der Erste von Habsburg nun durch das Schwabenland und dannnach Aachen, um die Krone entgegenzunehmen.« »Wo ist er denn jetzt, der neueKönig?«, mischte sich Tilia noch einmal ein. »Nun, im Moment ist er sicher inHaigerloch bei seinem Schwager Albert von Hohenberg. Vielleicht werden dort geradeOchsen und Hühner, Schweine und Gänse für ein herrliches Festmahlgeschlachtet.« Der Bote schnalzte mit der Zunge. Die Hausherrin verstand denWink, lud den Gast ein, zu bleiben, und versprach, bis zum Dunkelwerden einfeines Mahl auf den Tisch zu bringen.
Am anderen Tag, als der Bote bereits weitergeritten war,rief Sibylla von Wehrstein ihre Zweitgeborene zu sich in die Kemenate und gebotihr, sich auf die große Kleidertruhe zu setzen. Bedächtig fädelte die Edelfraueinen grünen Seidenfaden ein, während Tilia ungeduldig auf dem polierten Holzhin und her rutschte. Gret wartete draußen. Sie wollten nach Brombeeren suchenund sehen, ob das Eichhorn wieder auf dem Nussbaum saß. Doch die Mutter ließsich Zeit, betrachtete ihre Tochter im braunen, knielangen Kittel, mit demschmutzigen Gesicht und den zerzausten blonden Zöpfen. Dann endlich senkte sichihr Blick wieder auf die Stickerei, und sie begann zu sprechen. »Ich habe dichlange gewähren lassen, mein Kind. Du hast die Freiheit genossen, doch nun bistdu alt genug, die Dinge zu lernen, die eine Frau können muss. Dein Vater hatdich fürs Kloster bestimmt. Für erbauliche Psalmen und heilige Gesänge ist derPater zuständig. Von mir jedoch wirst du lernen, deine Hände zu gebrauchen. DieNonnen werden dankbar sein, wenn du einen Schleier wohl zu säumen oder einAltartuch zu besticken weißt.« Sie sah ihre Tochter scharf an, ob diese auchden Ausführungen lauschte. Das Kind faltete rasch die Hände, die bisher eifrigden geschnitzten Verzierungen an den Rändern der Truhe nachgefahren waren, undsah die Mutter aus großen, blauen Augen an. »Dein Platz ist nun hier bei mir -und manche Stunde auch bei Pater Seifried. Du wirst nicht mehr durch die Wälderstreichen oder dich bei den Wachen herumtreiben.« »Aber was ist mit Gret? Ichmuss doch zu ihr und muss in die Küche und aufs Feld zu Hailwig«, wagte dasMädchen einzuwenden. »Sie werden nicht mehr da sein.« Die Mutter ließ dasStickzeug sinken. »Dein Vater hat sie und ein paar andere Mägde und Knechte andie Mönche von Kirchberg verkauft. Sie werden für das Kloster auf einem Gut inIsenburg arbeiten.« Der Kindermund öffnete sich zu einem tonlosen O. Hinter dergekrausten Stirn schien es zu arbeiten, dann krampften sich die kleinen Händeum die Schnitzereien, als sie verstand. »Sie werden für immer weggehen?« Tränenschossen ihr in die Augen. »Aber das geht nicht, weil - weil « Sie schluchzteauf. Sibylla seufzte, legte ihr Stickzeug sorgfältig zusammen, erhob sich undschritt hinüber zur Truhe. Sie zog das Kind auf ihren Schoß, wiegte es und ließes einige Zeit weinen. »Tilia, mein Kind, Hailwig ist nur eine Magd, und auchGret wird später eine sein. Du sollst nicht um sie weinen. Du kannst - dudarfst dein Herz nicht an sie verschwenden.« Das Mädchen hob den Kopf und sahdie Mutter streng an. »Ich muss die Gret aber lieb haben. Sie ist meineSchwester!« »Ist sie nicht. Anna ist deine Schwester.« Tilia schob schmollenddie Lippen vor. »Hailwig hat das aber gesagt.« Der Mutter entschlüpfte einärgerlicher Laut, doch die Tochter unterbrach sie sogleich. »Kann nichtwenigstens die Gret bleiben? Sie ist doch noch so klein und kann für die Mönchenoch nicht richtig arbeiten, und ich bin dann immer ganz brav und lerne diePsalmen und sticke und « Vor Eifer zitternd, presste sie ihren Vorschlagheraus und sah mit starrem Blick zur Mutter hoch, als könne sie so eineZustimmung erzwingen. Die Edelfrau seufzte, dachte nach und beganngeistesabwesend das Kinderhaar zu entwirren. Als es streng geordnet in zweiZöpfen auf den Rücken fiel, entließ sie die Tochter und ging hinunter in denSaal, um mit dem Edelmann zu sprechen.
Drei Tage später zog eine kleine Schar Männer, Frauen undKinder in aller Früh zum Tor hinaus, um sich in Begleitung zweier Mönche nachIsenburg aufzumachen. Auch Hailwig, hochschwanger, war mit ihrem neuenEhegatten dabei. Mit Tränen in den Augen folgte sie dem Tross, drehte sichjedoch immer wieder um, um noch einen Blick auf ihre Tochter und ihr Ammenkindzu werfen, die sie beide auf Burg Wehrstein zurücklassen musste. So blieben dieFreundinnen und Halbschwestern ungetrennt, doch Gret begriff schnell, welchgroßen Unterschied es bedeutete, Edelfräulein oder Magd zu sein. Nicht nur,dass sie Tilia nun mit »Ihr« und »Euch« ansprechen musste - zumindest, wenn andereOhren es hören konnten -, die gemeinsame Zeit schmolz mit jedem Jahr ein Stückmehr dahin. Die freie Kindheit war vorüber. Gret war nicht dumm. Ihre wachenAugen beobachteten die Welt, ihr Mund formte Fragen, die keiner hören wollteund die ihr niemand zufrieden stellend beantworten konnte. Warum bekam Tiliaeinen fellgefütterten Mantel, während sie selbst in ihrem alten löchrigenUmhang frieren musste? Warum tranken Mägde und Knechte Molke und Wasser und dieRitter roten Wein? Warum froren die Wächter im Turm, während sich die Ritter amKamin im Saal wärmten? Warum konnte der Herr Menschen einfach verkaufen,verschenken, eintauschen? Warum, warum, warum
© Droemer Knaur
Autoren-Porträtvon Ulrike Schweikert
Ulrike Schweikert, 1966 in Schwäbisch-Hall geboren, gab nachsechs Jahren ihren Job als Wertpapierhändlerin auf und studierte zunächstGeologie, später Journalismus. Nebenher begann sie über die Geschichte ihrerHeimatstadt zu recherchieren. So entstand ihr Roman Die Tochter desSalzsieders, der wie Die Hexe und die Heilige undDie Herrin der Burg ein großer Erfolg wurde.
Interview mit Ulrike Schweikert
Auf Ihrer Homepage kann man lesen,dass Ihre Leidenschaft schon seit dem Abitur den Naturwissenschaften galt.Warum haben Sie dennoch nach der Schule eine Banklehre begonnen und nichtgleich Geologie studiert, wie Sie es dann später taten?
Das hattefamiliäre Gründe. Mein Vater erlitt mit 40 einen Hirnschlag und musstefrühpensioniert werden. Wir hatten in den 70er Jahren gebaut und waren dreiMädchen zuhause. Als ich mit dem Abitur fertig war, studierte meineältere Schwester noch, und es war nicht möglich, dass ich zu diesemZeitpunkt auch noch ein Studium finanziert bekomme; vor allem eines, von demmeine Eltern annahmen, dass man damit später kein Geld verdienen kann. Alsohörte ich auf den Rat meiner Mutter und begann eine Banklehre. Das ist jaschließlich ein seriöser Beruf, oder? Mir hat der Job allerdings nichtgefallen, daher wurde der Wunsch immer stärker, doch noch Geologie zustudieren. Sechs Jahre später bekam ich dann elternunabhängiges Bafög, undauch meine Mutter steckte mir noch immer wieder etwas zu. Mit noch ein wenig Jobbenkonnte ich mir dann eine schöne Studienzeit machen.
Mit Ihrem zweiten historischen Roman"Die Hexe und die Heilige" haben Sie das Schreiben dann zu IhremHauptberuf gemacht. Finden Sie noch Zeit, als Wissenschaftlerin zu arbeiten?
Nein. DieGeologie ist nun mein Hobby. Vor allem die Vulkanologie. Mein Mann fragt immer:Wo gibt es noch Vulkane? Wohin müssen wir noch in den Urlaub fahren? Ichschleppte ihn nach Hawaii, Island, Indonesien, und als nächstes ist Neuseelanddran. Wir erforschen und erwandern uns die Vulkane und lieben es, in der Naturunterwegs zu sein. Dann ist es auch für meinen Mann spannend, wenn ich ihm diePhänomene, die wir hautnah erleben, erklären kann.
Ihr Roman "Die Herrin derBurg", in dem es um die Schicksale der Halbschwestern Gret und Tilia geht, spielt im mittelalterlichen Deutschland. Woherhatten Sie die Idee für dieses Buch? Liegt ihm eine wahre Geschichte zugrunde?
Tilia undGret sind erfundene Personen. Nur die Fehden zwischen Zollern und Hohenberg und der politische Hintergrund sind recherchiert.Das späte Mittelalter, in dem das Rittertum in das Raubrittertum überging undder Adel rasch verarmte, hat mich schon lange interessiert, und ich habeversucht herauszufinden, wie vor allem Frauen - und damit meine ich nicht diehochadeligen Frauen! - in dieser Zeit gelebt haben. Um die Standesunterschiedeherauszuarbeiten, habe ich mir die Halbschwestern ausgedacht. Der Spielort unddamit der historische Hintergrund entstand, erst in einem zweiten Schrittwährend der Recherche. Zuerst hatte ich das obere Donautal vor Augen mitSigmaringen, Beuron und den anderen Burgen, die noch heute auf den steilenFelsen zu sehen sind. Dann stieß ich aber auf die Sozialstudie von Bumiller über den Zollernalbkreis,die genau in diese Zeit fällt und mir eine gute Basis lieferte. Also entschiedich mich, das Buch dort spielen zu lassen.
Sie schreiben, dass es sehr schwerfür Sie war, einen Verlag zu finden, und dass Sie zahlreiche Absagen hinnehmenmussten, bevor Ihr erstes Buch "Die Tochter des Salzsieders"veröffentlicht wurde. Wie haben Sie es letztendlich geschafft, einen Verlag vonIhrem Text zu überzeugen?
Ich selbsthabe es nicht geschafft. Ich studierte in der Zeit, als ich das Manuskript für"Die Tochter des Salzsieders" beendete, Journalismus inHohenheim. Dort stieß ich zufällig auf ein Fachmagazin, in dem einausführliches Interview mit dem Münchner Literaturagenten Thomas Montasser abgedruckt war. Wie inzwischen üblich gab es eineE-Mailadresse, und so schrieb ich ihn an und bat um einen Tipp, wie ich aneinen Verlag komme. Er fand das Thema interessant und fragte mich, ob er dasManuskript lesen dürfe. Drei Tage später wollte er mich unter Vertrag nehmenund versprach, innerhalb weniger Wochen einen renommierten Verlag für das Buchzu finden. - Er hat Wort gehalten und ist auch heute noch mein Agent. Wirarbeiten sehr gut miteinander. Meine Arbeit ist es, die Bücher zu schreiben,seine, sich um die Rahmenbedingungen - vor allem die Verträge - zukümmern.
Einige Autoren - Paulo Coelho beispielsweise - möchten auf keinen Fall, dass IhreBücher verfilmt werden, da der "Film" des Buches ausschließlich imKopf des Lesers stattfinden solle. Sind Sie der gleichen Ansicht? Oder wünschenSie sich, dass Ihre Bücher verfilmt werden?
Hm,schwieriges Thema. Einerseits freue ich mich, wenn es zu einer Verfilmungkommt, anderseits kann diese nie so sein, wie ich die Geschichte inmir sehe. Der Film wäre etwas eigenes, das aus der Buchidee geboren wird.Er kann nie ein Äquivalent sein, so dass man wählen kann: Ich lese das Buchoder ich sehe den Film. Ich habe "Die Tochter des Salzsieders" in einTheaterstück umgeschrieben, das diesen Sommer auf Burg Leofels im Hohenlohischen aufgeführt wurde. Es war für mich sehrschwierig, meine Geschichte in eine zweistündige Bühnenfassung zu gießen, undich wusste am Anfang nicht, ob ich mich nachher in ihr noch wieder findenkann. Jetzt weiß ich es: ja. Aus meiner Idee und meinem Buch ist etwas Neuesgeworden, das andere Sinne anspricht, aber dennoch den Kern der Geschichte enthältund meine Figuren leben lässt. Wenn ich das nach einem Film auch sagen kann,dann ist der Versuch für mich gelungen.
Die Fragen stellte Mathias Voigt, literaturtest.de.
- Autor: Ulrike Schweikert
- 2003, 461 Seiten, Maße: 15 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 3426660970
- ISBN-13: 9783426660973
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