Die Hexe und die Heilige
Die Hebamme Sibylla entdeckt dunkle Geheimnisse der Mächtigen und gerät so in die Mühlen der Inquisition. Kann ihre Zwillingsschwester Helena, eine Nonne, sie noch retten?
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Produktinformationen zu „Die Hexe und die Heilige “
Die Hebamme Sibylla entdeckt dunkle Geheimnisse der Mächtigen und gerät so in die Mühlen der Inquisition. Kann ihre Zwillingsschwester Helena, eine Nonne, sie noch retten?
Lese-Probe zu „Die Hexe und die Heilige “
Die Hexe und die Heilige von Ulrike Schweikert LESEPROBE 1 Der Wind fuhr heulend um die Ecke, strich an der Hauswand entlang, griff nach dem hölzernen Laden und riss ihn von seinem eisernen Haken. Mit einem Krachen schlug er ihn gegen das mit Pergament bespannte Fenster. Die Magd knallte den Wassereimer auf den Boden, dass der heiße Inhalt über den Rand schwappte. Agatha fluchte leise, lief zum Fenster, stemmte es auf und fing den widerspenstigen Laden ein. Als sie ihn eingehängt hatte, drangen die Schreie vom oberen Stockwerk wieder zu ihr herab. Vor sich hin murrend, griff die Magd nach dem Eimer.
»Wo bleibst du denn? «, fragte eine Kinderstimme vorwurfsvoll. »Hörst du nicht, wie Mutter ruft? Außerdem sollst du nicht fluchen, hat der Herr Pfarrer gesagt. «
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Die Magd unterdrückte die Verwünschungen, die ihr auf der Zunge lagen, schließlich konnte die Kleine nichts dafür und die Herrin ja eigentlich auch nicht. Und dennoch empfand sie es als ungerecht, dass das Kind sich entschlossen hatte, ausgerechnet zu Martini auf die Welt zu kommen. Alle anderen Mägde und Knechte waren zu Hause bei ihren Eltern und Freunden, schmausten und tranken, sangen und lachten, nur sie selbst musste hier bei ihrer Herrin bleiben und der Wehmutter zur Hand gehen. Sicher, sie hätte ihre Stelle zu Martini wechseln können und sich eine andere suchen, doch eigentlich gefiel es ihr beim Sternenwirt ganz gut. Wie viele Mägde beneideten sie darum, dass sie das ganze Jahr über Arbeit hatte und sich nicht von Martini bis Lichtmess als Tagelöhnerin verdingen musste. Und doch grollte sie wegen des verpassten Festmahls und setzte ihre Füße härter auf die hölzernen Stufen, als es nötig gewesen wäre.
Das Gasthaus »Zum Goldenen Stern« zu Ellwangen lag am Ende der Herrengasse, in der einige der Chorherren und hohen Beamten des Propstes ihre prächtigen Häuser errichtet hatten. Nur der kleine Herrenfriedhof und die Peter-und-Paul-Kapelle trennten das Gasthaus von der im Westen hoch aufragenden Stiftskirche, die dem heiligen Veit geweiht war. Südlich der Kirche, im ehemaligen Laienfriedhof, stand die Magdalenen-Kapelle. Dieser Bereich des Friedhofs wurde schon eine ganze Anzahl von Jahren nicht mehr genutzt, denn die Bürger und Handwerker der Stadt wurden nun bei St. Wolfgang in dem Weiler Schuppach südlich der Stadt beigesetzt. Seitdem wucherten Hütten und Baracken vom Rand her immer weiter in den Friedhof hinein. Trödler und Devotionalienhändler stritten um die Münzen der Pilger, und auch der Bettelvogt hatte hier seine Hütte. Selbst einer der Almosenempfänger, hatte er dafür zu sorgen, dass die Armen die Vorschriften einhielten, sich registrieren ließen und nur zu den erlaubten Zeiten ihre Runden drehten. Wer sich nicht daran hielt, den sperrte der Bettelvogt in das kleine Gelass neben seiner Hütte. Oft war das Bettlergefängnis so voll, dass er erst einige wieder auf freien Fuß setzen musste, bevor er die nächsten wegschließen konnte.
Westlich des alten Friedhofs stand das Rathaus, ein prachtvoller Bau, dessen dunkle Hölzer einen schönen Kontrast zu den weiß gekalkten Fächern bildeten. Südlich der Stiftskirche, in respektvollem Abstand, spannten sich in einem weiten Bogen die ersten Häuser der Stadt. Vorbei am Rathaus und am Friedhof bis zur Herrengasse reihten sich fast ein Dutzend Wirts- und Gasthäuser aneinander, von der »Krone« und dem »Schwarzen Bären« im Westen bis zum »Goldenen Stern« ganz im Osten.
Normalerweise war der Sternenwirt Hans Schenckh stets in der Schankstube zu finden, um für das Wohl seiner Gäste zu sorgen und Neuigkeiten mit ihnen auszutauschen. Seine Gattin Helena hatte in der Küche das Sagen, doch heute musste der Knecht Melchior sich allein um die Gäste kümmern, die sich mit einem Humpen Bier oder heißem Gewürzwein ein wenig aufwärmen wollten, denn die Herrin lag im Kindbett, und der Herr schritt in der Stube des Hinterhauses nervös auf und ab.
»Agatha, ist die Mundistin gekommen? «, klang die Stimme des Hausherrn der Magd entgegen, als diese den Wassereimer stöhnend auf dem oberen Treppenabsatz abstellte.
Agatha wollte dies gerade verneinen, als unten an die Tür gepocht wurde. Kurz darauf führte Regina Schenckh die Hebamme die Treppe hinauf. Als sie ihren Vater entdeckte, lief das fünfjährige Mädchen zu ihm, lehnte ihren Blondschopf an den unter dem Wams hervorquellenden Bauch und umklammerte die große, fleischige Hand.
»Vater, kommt das Kind nun? Hört Mutter dann auf zu schreien? «
Der Ratsherr Hans Schenckh nahm seine Tochter beruhigend in die Arme.
»Eine Weile wird es schon noch dauern, doch dann - wenn Gott es will - hast du einen Bruder oder eine Schwester. «
»Lieber eine Schwester«, entschied Regina. »Ich habe ja schon zwei Brüder. Das reicht.« Ein Lächeln teilte den rotblonden Vollbart, der schon einige graue Fäden zeigte, und auch in den grünen Augen spiegelte sich ein Lachen.
»Wo sind eigentlich deine Brüder?«, fragte der Vater plötzlich, und der strenge Ton wischte das Lächeln fort. »Sie sollten doch dem Melchior zur Hand gehen! «
Regina zuckte die Schultern. » Caspar ist raus nach dem Pelzmärte sehen. Thomas wollte mit, doch Caspar hat ihm recht Angst eingejagt, dass der Märte den Kleinen bös den Rock verhaut. Da hat sich Thomas dann drüben in der Küche verkrochen und ärgert sich nun, dass er so feige ist.«
Der Vater zog die Augenbrauen zusammen und wollte gerade etwas erwidern, als in der ehelichen Kammer der entsetzte Ruf der Hebamme erklang. Hans Schenckh setzte seine Tochter unsanft auf eine Truhe und eilte in die eheliche Schlafkammer hinüber.
»Ihr werdet es nicht glauben, Herr Richtet«, sprudelte die Magd los, doch der Hausherr brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Was ist los?«, fragte er beunruhigt und sah von seinem Eheweib zur Hebamme hinüber, die langsam den Kopf schüttelte.
»Es sind Zwillinge! Das bedeutet Unglück.« Die Mundistin schüttelte wieder den Kopf. »Großes Unglück. Habt Ihr nicht darauf geachtet, keine zusammengewachsenen Früchte zu essen?«, fragte sie die Gebärende vorwurfsvoll. Die beiden Nachbarinnen, die der Hebamme zur Hand gehen sollten, sahen betreten zu Boden.
Hans Schenckh ließ den Blick über das hutzelige Weiblein vor sich wandern und presste die Lippen fest aufeinander. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die Mundistin zu holen. Ging nicht das Gerücht um, auch sie wäre auf dem Galgenberg gewesen, als die Hexe Margaretha Sinai mit ihrem Sohn Jacob auf einer Gabel des Nachts ausgefahren war? Das sollte der Nachrichter Hans Vollmair zumindest behauptet haben. Was, wenn das stimmte und die Kinder starben? Dann konnte sie die armen, ungetauften Wesen dem Teufel weihen. Auch flüsterte man, sie sei eine Abtrünnige und würde es mit den Lutherischen halten. Der Ratsherr schalt sich einen Narren.
Doch andererseits war sie unbestritten die geschickteste Wehmutter in Ellwangen und der ganzen Umgebung. Vielleicht war sie ja gar keine Hexe. Vielleicht schaffte sie es, sein Weib und die Kinder zu retten. Wenigstens hatte er es nicht versäumt, mit Dreikönigskreide einen Drudenfuß ans Bett zu malen. Das sollte gegen Hexen doch genügen. Außerdem lag im Kinderkörbchen unter der Matratze ein scharfes Messer, das jeder Hexe das Reiten schon austreiben würde.
Helena Schenckh stöhnte unter einer Wehe und warf ihren Gatten einen flehenden Blick zu. »Hans, es tut mir leid«, wimmerte sie.
Der Ratsherr strich ihr flüchtig über die schweißnasse Hand, die einen Blutstein fest umklammert hielt.
»Bete, das ist das Einzige, was du jetzt kannst. Ich werde es auch tun. «
Er warf einen Blick auf die brennende Taufkerze am Bett. Dann verließ er die Kammer und schloss die Tür hinter sich.
Die Sonne war schon lange untergegangen und die kalte Novembernacht hereingebrochen. Obwohl ein stürmischer Wind durch die Gassen jagte und immer wieder eisige Schauer vor sich hertrieb, herrschte noch lärmendes Treiben in der Stadt. Von der Spitalgasse her ertönte Schellenklang und Gelächter. Das Gesicht halb unter einem tief hängenden Hut versteckt, der Rest mit Asche geschwärzt, in einem zerlumpten Pelzumhang und mit einem Schellenriemen gegürtet, stapfte der Märte durch die Gassen. In den Beuteln unter seinem weiten Mantel trug er Nüsse, doch am Gürtel hing ein kräftiger Stock. Eine ganze Horde Buben tanzte um ihn herum. Sie sangen Spottlieder und lachten schadenfroh, wenn der Märte einen von ihnen mit seinem Prügel traf. Nur den kleineren Kindern, die sich höflich verbeugten, drückte der Pelzige ein paar Nüsse in die Hand. Doch der Märte war nicht der einzige Vermummte, der sich in dieser Nacht in Ellwangen herumtrieb. Zu zweit oder in kleinen Gruppen zogen die Burschen von einem Gasthaus zum anderen, tranken sich warme Bäuche und überschäumenden Mut an und liefen dann durch die Gassen. Wehe den unvorsichtigen Mädchen oder Frauen, die sich in dieser Nacht auf die Gasse wagten! Sie wurden frech gekniffen oder mit einem biegsamen Stöckchen geklatscht. So mancher der Burschen hoffte, von einer Schönen einen Kuss rauben zu können. Da die Mädchenröcke jedoch äußerst rar waren, spielten sich die Burschen untereinander so manchen Streich und versuchten, sich gegenseitig zu erschrecken.
Genehmigte Lizenzausgabe 2008 für Verlagsgruppe Weltbild
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Das Gasthaus »Zum Goldenen Stern« zu Ellwangen lag am Ende der Herrengasse, in der einige der Chorherren und hohen Beamten des Propstes ihre prächtigen Häuser errichtet hatten. Nur der kleine Herrenfriedhof und die Peter-und-Paul-Kapelle trennten das Gasthaus von der im Westen hoch aufragenden Stiftskirche, die dem heiligen Veit geweiht war. Südlich der Kirche, im ehemaligen Laienfriedhof, stand die Magdalenen-Kapelle. Dieser Bereich des Friedhofs wurde schon eine ganze Anzahl von Jahren nicht mehr genutzt, denn die Bürger und Handwerker der Stadt wurden nun bei St. Wolfgang in dem Weiler Schuppach südlich der Stadt beigesetzt. Seitdem wucherten Hütten und Baracken vom Rand her immer weiter in den Friedhof hinein. Trödler und Devotionalienhändler stritten um die Münzen der Pilger, und auch der Bettelvogt hatte hier seine Hütte. Selbst einer der Almosenempfänger, hatte er dafür zu sorgen, dass die Armen die Vorschriften einhielten, sich registrieren ließen und nur zu den erlaubten Zeiten ihre Runden drehten. Wer sich nicht daran hielt, den sperrte der Bettelvogt in das kleine Gelass neben seiner Hütte. Oft war das Bettlergefängnis so voll, dass er erst einige wieder auf freien Fuß setzen musste, bevor er die nächsten wegschließen konnte.
Westlich des alten Friedhofs stand das Rathaus, ein prachtvoller Bau, dessen dunkle Hölzer einen schönen Kontrast zu den weiß gekalkten Fächern bildeten. Südlich der Stiftskirche, in respektvollem Abstand, spannten sich in einem weiten Bogen die ersten Häuser der Stadt. Vorbei am Rathaus und am Friedhof bis zur Herrengasse reihten sich fast ein Dutzend Wirts- und Gasthäuser aneinander, von der »Krone« und dem »Schwarzen Bären« im Westen bis zum »Goldenen Stern« ganz im Osten.
Normalerweise war der Sternenwirt Hans Schenckh stets in der Schankstube zu finden, um für das Wohl seiner Gäste zu sorgen und Neuigkeiten mit ihnen auszutauschen. Seine Gattin Helena hatte in der Küche das Sagen, doch heute musste der Knecht Melchior sich allein um die Gäste kümmern, die sich mit einem Humpen Bier oder heißem Gewürzwein ein wenig aufwärmen wollten, denn die Herrin lag im Kindbett, und der Herr schritt in der Stube des Hinterhauses nervös auf und ab.
»Agatha, ist die Mundistin gekommen? «, klang die Stimme des Hausherrn der Magd entgegen, als diese den Wassereimer stöhnend auf dem oberen Treppenabsatz abstellte.
Agatha wollte dies gerade verneinen, als unten an die Tür gepocht wurde. Kurz darauf führte Regina Schenckh die Hebamme die Treppe hinauf. Als sie ihren Vater entdeckte, lief das fünfjährige Mädchen zu ihm, lehnte ihren Blondschopf an den unter dem Wams hervorquellenden Bauch und umklammerte die große, fleischige Hand.
»Vater, kommt das Kind nun? Hört Mutter dann auf zu schreien? «
Der Ratsherr Hans Schenckh nahm seine Tochter beruhigend in die Arme.
»Eine Weile wird es schon noch dauern, doch dann - wenn Gott es will - hast du einen Bruder oder eine Schwester. «
»Lieber eine Schwester«, entschied Regina. »Ich habe ja schon zwei Brüder. Das reicht.« Ein Lächeln teilte den rotblonden Vollbart, der schon einige graue Fäden zeigte, und auch in den grünen Augen spiegelte sich ein Lachen.
»Wo sind eigentlich deine Brüder?«, fragte der Vater plötzlich, und der strenge Ton wischte das Lächeln fort. »Sie sollten doch dem Melchior zur Hand gehen! «
Regina zuckte die Schultern. » Caspar ist raus nach dem Pelzmärte sehen. Thomas wollte mit, doch Caspar hat ihm recht Angst eingejagt, dass der Märte den Kleinen bös den Rock verhaut. Da hat sich Thomas dann drüben in der Küche verkrochen und ärgert sich nun, dass er so feige ist.«
Der Vater zog die Augenbrauen zusammen und wollte gerade etwas erwidern, als in der ehelichen Kammer der entsetzte Ruf der Hebamme erklang. Hans Schenckh setzte seine Tochter unsanft auf eine Truhe und eilte in die eheliche Schlafkammer hinüber.
»Ihr werdet es nicht glauben, Herr Richtet«, sprudelte die Magd los, doch der Hausherr brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Was ist los?«, fragte er beunruhigt und sah von seinem Eheweib zur Hebamme hinüber, die langsam den Kopf schüttelte.
»Es sind Zwillinge! Das bedeutet Unglück.« Die Mundistin schüttelte wieder den Kopf. »Großes Unglück. Habt Ihr nicht darauf geachtet, keine zusammengewachsenen Früchte zu essen?«, fragte sie die Gebärende vorwurfsvoll. Die beiden Nachbarinnen, die der Hebamme zur Hand gehen sollten, sahen betreten zu Boden.
Hans Schenckh ließ den Blick über das hutzelige Weiblein vor sich wandern und presste die Lippen fest aufeinander. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die Mundistin zu holen. Ging nicht das Gerücht um, auch sie wäre auf dem Galgenberg gewesen, als die Hexe Margaretha Sinai mit ihrem Sohn Jacob auf einer Gabel des Nachts ausgefahren war? Das sollte der Nachrichter Hans Vollmair zumindest behauptet haben. Was, wenn das stimmte und die Kinder starben? Dann konnte sie die armen, ungetauften Wesen dem Teufel weihen. Auch flüsterte man, sie sei eine Abtrünnige und würde es mit den Lutherischen halten. Der Ratsherr schalt sich einen Narren.
Doch andererseits war sie unbestritten die geschickteste Wehmutter in Ellwangen und der ganzen Umgebung. Vielleicht war sie ja gar keine Hexe. Vielleicht schaffte sie es, sein Weib und die Kinder zu retten. Wenigstens hatte er es nicht versäumt, mit Dreikönigskreide einen Drudenfuß ans Bett zu malen. Das sollte gegen Hexen doch genügen. Außerdem lag im Kinderkörbchen unter der Matratze ein scharfes Messer, das jeder Hexe das Reiten schon austreiben würde.
Helena Schenckh stöhnte unter einer Wehe und warf ihren Gatten einen flehenden Blick zu. »Hans, es tut mir leid«, wimmerte sie.
Der Ratsherr strich ihr flüchtig über die schweißnasse Hand, die einen Blutstein fest umklammert hielt.
»Bete, das ist das Einzige, was du jetzt kannst. Ich werde es auch tun. «
Er warf einen Blick auf die brennende Taufkerze am Bett. Dann verließ er die Kammer und schloss die Tür hinter sich.
Die Sonne war schon lange untergegangen und die kalte Novembernacht hereingebrochen. Obwohl ein stürmischer Wind durch die Gassen jagte und immer wieder eisige Schauer vor sich hertrieb, herrschte noch lärmendes Treiben in der Stadt. Von der Spitalgasse her ertönte Schellenklang und Gelächter. Das Gesicht halb unter einem tief hängenden Hut versteckt, der Rest mit Asche geschwärzt, in einem zerlumpten Pelzumhang und mit einem Schellenriemen gegürtet, stapfte der Märte durch die Gassen. In den Beuteln unter seinem weiten Mantel trug er Nüsse, doch am Gürtel hing ein kräftiger Stock. Eine ganze Horde Buben tanzte um ihn herum. Sie sangen Spottlieder und lachten schadenfroh, wenn der Märte einen von ihnen mit seinem Prügel traf. Nur den kleineren Kindern, die sich höflich verbeugten, drückte der Pelzige ein paar Nüsse in die Hand. Doch der Märte war nicht der einzige Vermummte, der sich in dieser Nacht in Ellwangen herumtrieb. Zu zweit oder in kleinen Gruppen zogen die Burschen von einem Gasthaus zum anderen, tranken sich warme Bäuche und überschäumenden Mut an und liefen dann durch die Gassen. Wehe den unvorsichtigen Mädchen oder Frauen, die sich in dieser Nacht auf die Gasse wagten! Sie wurden frech gekniffen oder mit einem biegsamen Stöckchen geklatscht. So mancher der Burschen hoffte, von einer Schönen einen Kuss rauben zu können. Da die Mädchenröcke jedoch äußerst rar waren, spielten sich die Burschen untereinander so manchen Streich und versuchten, sich gegenseitig zu erschrecken.
Genehmigte Lizenzausgabe 2008 für Verlagsgruppe Weltbild
Copyright © 2001 bei Droemersche Verlagsanstalt
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Bibliographische Angaben
- Autor: Ulrike Schweikert
- 2008, 1, 494 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3898979318
- ISBN-13: 9783898979313
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