Die Hummerschwestern
Roman
Ein Fleckchen Erde wird zur ganzen Welt
New Brunswick, Kanada. Ein kleines Haus am Rande einer zerklüfteten Steilküste. Hier leben die Schwestern Idella und Avis nach dem Tod der Mutter allein mit ihrem chaotischen Vater. In einer Welt, die...
New Brunswick, Kanada. Ein kleines Haus am Rande einer zerklüfteten Steilküste. Hier leben die Schwestern Idella und Avis nach dem Tod der Mutter allein mit ihrem chaotischen Vater. In einer Welt, die...
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Produktinformationen zu „Die Hummerschwestern “
Ein Fleckchen Erde wird zur ganzen Welt
New Brunswick, Kanada. Ein kleines Haus am Rande einer zerklüfteten Steilküste. Hier leben die Schwestern Idella und Avis nach dem Tod der Mutter allein mit ihrem chaotischen Vater. In einer Welt, die aus nichts als Kartoffelfarmen, Hummerfallen, rauen Männern und harter Arbeit zu bestehen scheint. Wäre da nicht die liebenswerte Maddie, das französischsprachige Dienstmädchen, das sich nach einer Familie sehnt und aus alten Lumpen eine Puppe zusammennäht, die ihr Ein und Alles ist. Und der schrullige Doktor, der ein schreckliches Geheimnis hütet. Und natürlich Avis' störrische Kuh Bossy, die eines Tages beinahe im Schlamm versinkt. Über sieben Jahrzehnte hinweg begleiten wir die unvergesslichen Schwestern von Kanada nach Neuengland, wo Idella in ihrem Gemischtwarenladen in Maine kauzige Einheimische bedient, während ihr Mann anderen Frauen nachstellt. Und wo Avis an einem stürmischen Wintertag etwas ganz Entscheidendes verliert ...
New Brunswick, Kanada. Ein kleines Haus am Rande einer zerklüfteten Steilküste. Hier leben die Schwestern Idella und Avis nach dem Tod der Mutter allein mit ihrem chaotischen Vater. In einer Welt, die aus nichts als Kartoffelfarmen, Hummerfallen, rauen Männern und harter Arbeit zu bestehen scheint. Wäre da nicht die liebenswerte Maddie, das französischsprachige Dienstmädchen, das sich nach einer Familie sehnt und aus alten Lumpen eine Puppe zusammennäht, die ihr Ein und Alles ist. Und der schrullige Doktor, der ein schreckliches Geheimnis hütet. Und natürlich Avis' störrische Kuh Bossy, die eines Tages beinahe im Schlamm versinkt. Über sieben Jahrzehnte hinweg begleiten wir die unvergesslichen Schwestern von Kanada nach Neuengland, wo Idella in ihrem Gemischtwarenladen in Maine kauzige Einheimische bedient, während ihr Mann anderen Frauen nachstellt. Und wo Avis an einem stürmischen Wintertag etwas ganz Entscheidendes verliert ...
Klappentext zu „Die Hummerschwestern “
Ein Fleckchen Erde wird zur ganzen Welt. New Brunswick, Kanada. Ein kleines Haus am Rande einer zerklüfteten Steilküste. Hier leben die Schwestern Idella und Avis nach dem Tod der Mutter allein mit ihrem chaotischen Vater. In einer Welt, die aus nichts als Kartoffelfarmen, Hummerfallen, rauen Männern und harter Arbeit zu bestehen scheint. Wäre da nicht die liebenswerte Maddie, das französischsprachige Dienstmädchen, das sich nach einer Familie sehnt und aus alten Lumpen eine Puppe zusammennäht, die ihr Ein und Alles ist. Und der schrullige Doktor, der ein schreckliches Geheimnis hütet. Und natürlich Avis' störrische Kuh Bossy, die eines Tages beinahe im Schlamm versinkt. Über sieben Jahrzehnte hinweg begleiten wir die unvergesslichen Schwestern von Kanada nach Neuengland, wo Idella in ihrem Gemischtwarenladen in Maine kauzige Einheimische bedient, während ihr Mann anderen Frauen nachstellt. Und wo Avis an einem stürmischen Wintertag etwas ganz Entscheidendes verliert ...
Lese-Probe zu „Die Hummerschwestern “
Die Hummerschwestern von Beverly JensenTeil eins
Fort
Chaleur-Bucht, New Brunswick
April 1916
... mehr
Sie hatten ihre Schuhe mit den Schnürsenkeln an eine einsame Ulme gehängt, bevor sie in den Wald hinterm Feld gingen. Beide Mädchen waren froh, sie los zu sein und den kühlen Morast des Frühlings unter ihren nackten Fußsohlen zu spüren. Während des langen kanadischen Winters waren ihre Füße gewachsen. Ihre Schuhe, abgelegte Kleidungsstücke entfernter Cousinen, waren immer noch von den Abdrücken der fremden Füße geformt und engten ihre Zehen ein.
»Wie weit wollen wir noch reingehen, Della? Meine Füße frieren.«
»Du möchtest doch Maiblumen für Mutter pflücken, oder?«
»Ja.« Avis hatte sich auf einen morschen Baumstamm gehockt, die Knie gespreizt wie die Beine eines Grashüpfers.
»Dann los.« Idella schob sich einen Himbeerzweig aus dem Gesicht und ging weiter.
»An mir kleben überall diese verdammten Kletten.«
Idella drehte sich um. »Gott, du siehst aus wie ein Stachelschwein.« Sie begann, die dornigen Büschel aus den Falten von Avis' Kleid zu zupfen.
Auch das Kleid war schon von irgendeiner Cousine getragen - wahrscheinlich von einem der Mädchen von Tante Eva aus Maine. Avis wrang den Rock wie einen Waschlappen aus, um an die Stacheln zu gelangen, die sich in ihre mageren Beine bohrten. »Ich hab genug an mir, um einen ganzen Kübel vollzubekommen.<<
»Du hast sogar welche im Haar.<<
»Wie kommt es, dass du keine hast?<<
»Ich pass auf, wo ich hintrete.<< Idella blickte nach vorne. »Komm weiter. Es ist schon bald Zeit zum Abendessen.<< »Wird Mutter noch viel runder?<<
»Ich glaube, das geht gar nicht. Das Baby kommt jeden Augenblick.<<
»Dann werde ich nicht länger das Baby sein<<, sagte Avis. »Du bist fast sechs. Du bist kein Baby mehr.<<
Sie marschierten nebeneinanderher, schoben buschige Sträucher zurück, stiegen über Wurzeln und umgestürzte Bäume und matschige Pfützen, von denen der Geruch nach Frühling aufstieg, bis sie eine kleine Lichtung erreichten. Avis lehnte sich gegen einen großen, moosbedeckten Stein. Idella ging in die Hocke und suchte unter den raschelnden Pflanzenresten des Vorjahres nach grünen Trieben.
»Mutter hat gesagt, man soll am Rand von Lichtungen nach ihnen suchen.<<
Avis rümpfte die Nase. »Irgendwas ist hier in der Nähe gestorben. Es stinkt.<<
»Deine Füße. Du bist in was getreten.<<
Avis hob den Fuß an die Nase und lachte. » Oh, stimmt. Willst du mal riechen?<< Sie streckte das Bein in Idellas Richtung.
»Hör auf!<< Idella ließ den Blick über die Lichtung schweifen, die fast vollständig von Himbeersträuchern bedeckt war. Sie ging am Rand entlang zu etwas, das zwischen den niedrigen Steinen wie ein Blaubeerbusch aussah. Da bemerkte sie die kleinen weißen Blüten. »Avis, da sind Maiblumen! «
Avis rannte ihr hinterher. »Wo? Wo sind welche?«
Beide Mädchen beugten sich über die kleine Stelle mit Blumen, die wie winzige Motten zwischen den Rankgewächsen herumflatterten. »Mutter sagt, wenn sie etwas Sonne abkriegen, öffnen sie sich zum Maifeiertag. Jetzt sind sie zu, weil kein Licht da ist.« Sanft betastete Idella eine Blüte. »Ganz kleine weiße Dinger ... «
Avis streckte sich, um einen Stängel abzubrechen. »Lass uns welche pflücken.«
»Nein!« Idella packte ihre Hand. »Sie würden verwelken. Wir holen sie morgen früh. Dann ist Maifeiertag.«
»Was, wenn sie fort sind? Was, wenn sie jemand pflückt?« »Wer soll sie denn pflücken?« Idella stand auf. »Und tritt nicht drauf. Es sind nicht viele.«
»Wofür hältst du mich, für ein Pferd?«
»Manchmal schon.«
Avis lachte, hielt einen Fuß über die Blumen und streckte das Bein zur Seite. »Pssssss!«
»Avis! « Idella kicherte und hob ihren Rocksaum. Sie galoppierte voraus. »Oder vielleicht auch für einen Hornochsen!«
Avis prustete. Wenn sie über etwas lachte, platzte es einfach so aus ihr heraus. Dad nannte es »Nasenpupse«, und wenn er das sagte, prustete Avis noch lauter.
»Jetzt komm schon!«, rief Idella über die Schulter. »Das Abendessen, wir sind spät dran.«
Atemlos und lachend, sich gegenseitig zwickend und kneifend und mit Wörtern beschimpfend, die sie die Männer hatten benutzen hören - - » verfluchte Scheiße«, » Armleuchter«, »verdammter Franzmann« -, tauchten die Mädchen triumphierend aus dem Wald auf. Der Himmel dehnte sich milchig weiß. Es dämmerte. Licht sickerte durch die Wolken, hinterließ sanfte graue Streifen und blauschwarze Kleckse. Die Mädchen hasteten weiter, um vor der Dunkelheit zu Hause zu sein. Sie fanden ihre zurückgelassenen Schuhe, die wie betrunkene Krähen an ihren Schnürsenkeln baumelten, und rannten über die flachen, kratzigen Felder zum Abendessen nach Hause.
»Wo zum Teufel habt ihr beide gesteckt?« Dad stand mitten in der Küche, groß und aufrecht wie eine Heugabel. Sie waren viel zu spät. »Noch fünf Minuten länger, und es würde kein Abendessen für euch zwei geben, verdammt noch mal.«
»Lass sie in Ruhe, Bill.« Mutter trug langsam die Teller zum Tisch. Sie musste sie weit vor sich halten, so groß war ihr Bauch. »Della, du deckst den Tisch zu Ende.«
Mutters Stimme klang erschöpft. Dad setzte sich an den Tisch. Dalton, mit zwölf der Älteste und der einzige Junge, saß bereits auf seinem Platz, starrte nach unten, obwohl nichts vor ihm stand. Niemand sagte etwas. Jeder spürte, dass es besser wäre zu schweigen. Immer noch schwer atmend vom Laufen, verteilte Idella die Teller und setzte sich auf ihren Stuhl. Mutter, die vor dem Ofen stand, drehte sich zu Dad um. »Bring bitte den Topf für mich zum Tisch, Bill.«
Dann ging sie in ihre Vorratskammer, eine kleine Nische, die vom Hauptraum abging, und kam mit Dads großem Messer zurück. »Hier ist dein verdammtes Messer.« Sie legte es vor ihn hin. »Und jetzt gib mir deinen Teller, Della - den von Avis auch.« Idella reichte Mutter die Teller, und diese schöpfte Eintopf erst auf den einen, dann auf den anderen und reichte sie zurück. Es war Hühncheneintopf mit Karotten und Kartoffeln. Das war etwas Besonderes, ein Huhn zu schlachten. »Und jetzt, Dalton, gib mir deinen.«
Dad schnappte sich den Teller, als er bei ihm ankam. »Ich arbeite den ganzen verfluchten Tag, rei8e mir den Arsch auf und muss wie ein gottverdammter Hund warten? Du würdest diesen faulen Bastard füttern, bevor du mir einen Topf zum Pissen gibst.«
»Beruhig dich, du wirst schon nicht verhungern.« Am Abend musste es einen Streit gegeben haben. Mutter nahm Dad Daltons Teller ab und häufte Eintopf darauf. Idella fürchtete, dass ihr Zuspätkommen der Auslöser gewesen war.
»Jetzt reich mir deinen Teller, Bill.« Sie gab eine Schöpfkelle nach der anderen auf Dads Teller. »Du verdammter Spinner.«
Sie a8en schweigend. Die einzigen Geräusche waren Dads und Daltons Kauen und das Kratzen ihrer Gabeln auf den Tellern.
»Nun iss schon, Della«, sagte Mutter leise.
Idella spie8te ein Stück Karotte auf. Sie konnte nie viel essen, wenn Dad schlechte Laune hatte. Dann versuchte sie sich völlig still zu verhalten.
»Wo zum Teufel seid ihr zwei gewesen?«
»Mach doch kein Fass auf, Bill.« Mutters Stimme war müde.
»Ich frag doch blo8, was in Herrgotts Namen sie gemacht haben, während wir hier gesessen und auf sie gewartet haben.« Dad wandte sich an Idella. »Wo seid ihr gewesen, Della?«
»Wir waren spazieren. Im Wald.« Je länger Dad sie ansah, desto mehr beschlich sie das Gefühl, weiterreden zu müssen. »Wir haben ... Wir haben etwas gesucht.«
»Es ist ein Geheimnis«, sagte Avis, den Mund voll Eintopf, da sie nicht zu kauen gewagt hatte, seit Dad sie angesprochen hatte. »Es ist ein Geheimnis.<<
»Ein Geheimnis?<< Dad wandte sich an Avis. »Was für ein Geheimnis?<< Idella war unsicher, ob Dad sie jetzt auf den Arm nahm, aber das vermochte sie nie genau zu sagen. Das war es, was es so schwierig machte. Avis gelang es besser als jedem anderen, ihn aus seiner schlechten Laune zu reißen. »Von wem habt ihr das Geheimnis?<<
Mutter stand auf. »Lass sie in Ruhe, Bill. Wenn sie ein Geheimnis haben, lass es ihnen. Sie haben weiß Gott sonst nicht viel.<< Sie ging zur Speisekammer und kam mit einem Laib Brot zurück.
Auf einmal veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie gab ein erschrockenes Geräusch von sich. Langsam legte sie das Brot ab, löste die Schürze, faltete sie und legte sie über den Stuhl. Sie blickte zu Dad, die Hand auf ihrem geschwollenen Bauch. »Bill, meine Fruchtblase ist geplatzt.<< Sie drehte sich zu Idella um. »Della, Liebling, du und Avis beendet euer Abendessen und geht dann ins Bett. Das Baby wird bald kommen.<< Idella nickte. Mutter ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür. Idella sah eine klare Pfütze an der Stelle, wo Mutter gerade noch gestanden hatte, und eine Tropfspur hinter ihr. Sie hatte ein Leck. Irgendwo in ihr drinnen musste ein Beutel mit Wasser gewesen sein, und der war gerade geplatzt. Dad stand auf, folgte Mutter ins Zimmer und schloss die Tür.
»Es dauert nicht mehr lange. Noch ein hungriges Maul, das gestopft werden muss.<< Dalton streckte sich und nahm das Brot. Er riss sich ein großes Stück ab.
Dad kam aus dem Schlafzimmer. »Dalton, geh und hol Elsie. Sag ihr, das Baby kommt. Ich hole Mrs. Jaegel.<< Ausnahmsweise rannte Dalton einmal, um einer Anordnung seines Vaters Folge zu leisten. Dad ging hinaus, um das Pferd vor den Wagen zu spannen und die Hebamme zu holen. Mrs. Jaegel wohnte ein Stück weiter die Straße hinauf.
Die Schwestern saßen am Tisch, wagten nicht, sich von ihren Stühlen zu rühren. Mrs. Doncaster, die auf der angrenzenden Farm lebte, kam mit Dalton zurückgerannt. In den Armen hatte sie Stoffreste und Laken. Die Säume von alten Kleidern und zerrissene Arbeitshemden waren vor ihrem breiten Oberkörper zusammengerafft. Sie sah aus, als würde sie die Kleidung zum Waschen tragen, doch Idella wusste, dass sie für das Baby waren. Fürs Fruchtwasser.
Mrs. Doncaster lächelte. »Gerade eben habe ich ein Baby zum Schlafen gebracht, und jetzt muss ich mich um das nächste kümmern.<< Ihr Baby, Austin, war drei Monate alt. Mutter war mitten in der Nacht zu ihr hinübergegangen und hatte bei seiner Geburt geholfen.
Mrs. Doncaster sah die Pfütze, die Mutter auf dem Boden hinterlassen hatte. »Della, Süße, nimm den Lumpen hier und wisch das auf. Du bist ein großes Mädchen.<< Sie warf einen Lappen auf den Boden und nahm den Rest des Bündels mit ins Schlafzimmer.
Das Fruchtwasser färbte den Lumpen blassgelb. Es war warm und roch süßlich.
»Wofür ist eigentlich das Wasser?<<, fragte Avis, die immer noch am Tisch saß.
»Keine Ahnung.<< Idella wischte die dünne Spur auf, die zum Schlafzimmer führte. »Vielleicht für das Baby, zum Trinken.<<
»Es sieht aus wie Pipi.<< Avis lachte. »Als würde es Pipi trinken.<<
Mrs. Doncaster kam aus dem Schlafzimmer. »Wir werden um Mitternacht ein neues Baby haben.<< Sie bückte sich und nahm Idella den Lappen aus der Hand. >>Und jetzt esst euer Abendessen auf. Eure Mom wird beschäftigt sein. Vielleicht ist das die letzte anständige Mahlzeit, die ihr in nächster Zeit auf den Tisch bekommt, wenn ich mich in eurem Vater nicht täusche.<< Sie legte alle benutzten Lappen in die blecherne Abwaschschüssel und rollte die Ärmel hoch.
>>Ich kann kochen.<< Idella setzte sich wieder an den Tisch. >>Ich kann Parker House Rolls machen.<<
>>Was du nicht sagst.<< Mrs. Doncaster war mit der Küchenpumpe beschäftigt. Sie füllte die Schüssel mit Wasser, schrubbte dann ihre Hände mit der Laugenseife.
>>Ich werde im Juli acht. Ich bin jetzt schon mehr acht als sieben.<<
>>Aber du bist dürr wie ein Grashalm, also werdet ihr Mädchen jetzt das Abendessen aufessen.<< Sie beobachteten, wie Mrs. Doncaster ihre Arme bis hoch zu den Ellbogen ab-schrubbte und dann im Schlafzimmer verschwand. Ihre muntere Stimme drang durch die geschlossene Tür.
Niemand bekam einen weiteren Bissen herunter. Es war einfach zu aufregend.
Der Wagen fuhr vor dem Haus vor. Dad kam herein, gefolgt von Mrs. Jaegel, einer kleinen, gedrungenen Frau. Sie hatte einen schwarzen Koffer bei sich, der dieselbe quadratische Form hatte wie sie, nur kleiner. Mrs. Jaeger ging geradewegs ins Schlafzimmer, wobei sie Mrs. Doncaster zunickte, die in die Küche zurückgekehrt war.
>>Ihr geht's gut, Bill.<< Mrs. Doncaster lächelte Dad zu.
>>Du bist ein Geschenk des Himmels, Elsie.<< Dad ging zum Tisch, nahm seinen Teller und aß seinen Eintopf im Stehen auf. >>Das verfluchte Baby stört mich schon jetzt beim Essen. Und heute Nacht werde ich wahrscheinlich auch noch wenig Schlaf bekommen.<< Er brach sich ein großes Stück Brot ab und eilte zur Tür. >>Du weißt, wo ich zu finden bin.<<
>>Nicht so schnell, mein Lieber. Füll die Waschzuber und kümmere dich ums Feuer. Wenigstens ein bisschen Hilfe soll-test du sein.<<
>>Na komm schon, Elsie, lass mich verflucht noch mal in die Scheune. Ihr Frauen kümmert euch doch am besten selber um alles.<<
>>Himmelherrgott, Bill, das ist jetzt das vierte Mal, und du bist immer noch zu nichts nütze.<<
>>Ich hab am Anfang meinen Teil beigetragen.<< Beide lach-ten.
>>Das zumindest ist dir gelungen. Und jetzt kümmere dich ums Wasser, dann kannst du in die Scheune verschwinden.<<
Dad kam mit dem großen Blechzuber zurück, den sie zum Baden benutzten, und einem Eimer, den sie zum Putzen der Böden hernahmen. Er stellte die Wanne auf den Ofen, legte Holz nach und schürte das Feuer. Dann ging er zur Pumpe am Spülbecken, füllte den Eimer und goss das Wasser in den Zuber, bis er fast voll war.
>>Ihr Mädchen geht jetzt nach oben. Della, du bringst Avis ins Bett. Tu, was deine Mutter sonst tut. Kommt j a nicht wie-der runter und stört die Frauen.<< Ein spitzer Schrei drang aus dem Schlafzimmer. >>Na los<<, sagte Dad. >>Raus!<<
Wenn Dad einen Befehl gab, wurde nicht lange gezögert. Die Mädchen rannten die Treppe hinauf und in ihr Schlafzimmer. Sie hörten die Tür zuknallen, als Dad in die Scheune ging.
>>Es tut weh, ein Baby zu kriegen.<< Avis rollte sich mit an-gewinkelten Knien auf dem Bett von einer Seite zur anderen und stöhnte jämmerlich. Idella setzte sich neben sie aufs Bett. »Hör auf, Avis.«
»Ich will zuhören.« Avis schlich aus dem Zimmer und kauerte sich auf dem oberen Treppenabsatz zusammen.
Da die Tür nun offen stand, konnte Idella hören, wie Mrs. Doncaster am Ofen herumhantierte. Auf einmal vernahm sie das rasche Klackern von Schritten. »Ich könnte schwören, ich hätte eine Maus gesehen.« Mrs. Doncaster stand unten an der Treppe. Avis huschte ins Zimmer und schloss die Tür.
»Wegen dir kriegen wir noch Ärger.«
Avis hüpfte ins Bett zurück.
»Komm her«, sagte Idella. »Ich bürste dir die Haare.«
Avis setzte sich still hin. Idella bürstete ihr die kastanien-braunen Haare, die denselben Farbton wie Mutters hatten.
»Ich habe eine Idee, wie wir es nennen könnten«, sagte Idella. »Wenn es ein Mädchen ist.«
»Wie meinst du das?«
»Mutter hat gesagt, dass ich vielleicht beim Aussuchen vom Namen helfen darf.« Avis drehte sich um und starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an, wie immer, wenn sie wütend war. »Wenn es morgen geboren wird, am Maifeiertag ... « Idella machte eine Pause und lächelte scheu. »Ich dachte, vielleicht ... Daisy May! Wie May Day rückwärts.«
Avis kniff die Lippen zusammen, dass sich ihr Mund kräuselte. »Daisy May! Das ist bescheuert! Das klingt wie der Name einer Kuh.«
»Nun, wie würdest du es denn nennen?«
»Dumpfbacke!« Avis gackerte.
»Jetzt im Ernst. Und hör auf, das Stroh aus der Matratze zu zupfen.«
»Wenn es ein Mädchen ist«, fragte Avis, legte sich auf den Rücken und ließ die Beine über den Bettrand baumeln, >>wird es dann hier bei uns schlafen?<<
>>Es bekommt kein eigenes Zimmer!<<
>>Drei in einem Zimmer.<< Avis stöhnte. >>Was auch immer es wird, ich finde, Dalton sollte seines mit ihm teilen.<<
Idella kletterte ins Bett. Die Mädchen verstummten und lauschten auf die Geräusche von unten.
>>Della<<, fragte Avis, >>denkst du, das Baby wird uns in die Quere kommen?<<
>>Wobei?<<
>>Dabei, ihr das Körbchen zu geben. Was, wenn sie es am Türknauf nicht bemerkt?<<
>>Sie wird es bemerken.<< Idella drehte sich zum Fenster. >>Das wird sie schon. Schlaf jetzt.<<
Sie war müde. Avis wälzte sich unruhig hin und her und weckte sie, kurz bevor sie in den Schlaf glitt, mit ihrem Flüstern: >>Schläfst du, Della?<< Sie gab keine Antwort und tat so, als wäre sie bereits eingeschlafen. Und wenig später war sie es auch.
Übersetzung: Beate Brammertz
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Sie hatten ihre Schuhe mit den Schnürsenkeln an eine einsame Ulme gehängt, bevor sie in den Wald hinterm Feld gingen. Beide Mädchen waren froh, sie los zu sein und den kühlen Morast des Frühlings unter ihren nackten Fußsohlen zu spüren. Während des langen kanadischen Winters waren ihre Füße gewachsen. Ihre Schuhe, abgelegte Kleidungsstücke entfernter Cousinen, waren immer noch von den Abdrücken der fremden Füße geformt und engten ihre Zehen ein.
»Wie weit wollen wir noch reingehen, Della? Meine Füße frieren.«
»Du möchtest doch Maiblumen für Mutter pflücken, oder?«
»Ja.« Avis hatte sich auf einen morschen Baumstamm gehockt, die Knie gespreizt wie die Beine eines Grashüpfers.
»Dann los.« Idella schob sich einen Himbeerzweig aus dem Gesicht und ging weiter.
»An mir kleben überall diese verdammten Kletten.«
Idella drehte sich um. »Gott, du siehst aus wie ein Stachelschwein.« Sie begann, die dornigen Büschel aus den Falten von Avis' Kleid zu zupfen.
Auch das Kleid war schon von irgendeiner Cousine getragen - wahrscheinlich von einem der Mädchen von Tante Eva aus Maine. Avis wrang den Rock wie einen Waschlappen aus, um an die Stacheln zu gelangen, die sich in ihre mageren Beine bohrten. »Ich hab genug an mir, um einen ganzen Kübel vollzubekommen.<<
»Du hast sogar welche im Haar.<<
»Wie kommt es, dass du keine hast?<<
»Ich pass auf, wo ich hintrete.<< Idella blickte nach vorne. »Komm weiter. Es ist schon bald Zeit zum Abendessen.<< »Wird Mutter noch viel runder?<<
»Ich glaube, das geht gar nicht. Das Baby kommt jeden Augenblick.<<
»Dann werde ich nicht länger das Baby sein<<, sagte Avis. »Du bist fast sechs. Du bist kein Baby mehr.<<
Sie marschierten nebeneinanderher, schoben buschige Sträucher zurück, stiegen über Wurzeln und umgestürzte Bäume und matschige Pfützen, von denen der Geruch nach Frühling aufstieg, bis sie eine kleine Lichtung erreichten. Avis lehnte sich gegen einen großen, moosbedeckten Stein. Idella ging in die Hocke und suchte unter den raschelnden Pflanzenresten des Vorjahres nach grünen Trieben.
»Mutter hat gesagt, man soll am Rand von Lichtungen nach ihnen suchen.<<
Avis rümpfte die Nase. »Irgendwas ist hier in der Nähe gestorben. Es stinkt.<<
»Deine Füße. Du bist in was getreten.<<
Avis hob den Fuß an die Nase und lachte. » Oh, stimmt. Willst du mal riechen?<< Sie streckte das Bein in Idellas Richtung.
»Hör auf!<< Idella ließ den Blick über die Lichtung schweifen, die fast vollständig von Himbeersträuchern bedeckt war. Sie ging am Rand entlang zu etwas, das zwischen den niedrigen Steinen wie ein Blaubeerbusch aussah. Da bemerkte sie die kleinen weißen Blüten. »Avis, da sind Maiblumen! «
Avis rannte ihr hinterher. »Wo? Wo sind welche?«
Beide Mädchen beugten sich über die kleine Stelle mit Blumen, die wie winzige Motten zwischen den Rankgewächsen herumflatterten. »Mutter sagt, wenn sie etwas Sonne abkriegen, öffnen sie sich zum Maifeiertag. Jetzt sind sie zu, weil kein Licht da ist.« Sanft betastete Idella eine Blüte. »Ganz kleine weiße Dinger ... «
Avis streckte sich, um einen Stängel abzubrechen. »Lass uns welche pflücken.«
»Nein!« Idella packte ihre Hand. »Sie würden verwelken. Wir holen sie morgen früh. Dann ist Maifeiertag.«
»Was, wenn sie fort sind? Was, wenn sie jemand pflückt?« »Wer soll sie denn pflücken?« Idella stand auf. »Und tritt nicht drauf. Es sind nicht viele.«
»Wofür hältst du mich, für ein Pferd?«
»Manchmal schon.«
Avis lachte, hielt einen Fuß über die Blumen und streckte das Bein zur Seite. »Pssssss!«
»Avis! « Idella kicherte und hob ihren Rocksaum. Sie galoppierte voraus. »Oder vielleicht auch für einen Hornochsen!«
Avis prustete. Wenn sie über etwas lachte, platzte es einfach so aus ihr heraus. Dad nannte es »Nasenpupse«, und wenn er das sagte, prustete Avis noch lauter.
»Jetzt komm schon!«, rief Idella über die Schulter. »Das Abendessen, wir sind spät dran.«
Atemlos und lachend, sich gegenseitig zwickend und kneifend und mit Wörtern beschimpfend, die sie die Männer hatten benutzen hören - - » verfluchte Scheiße«, » Armleuchter«, »verdammter Franzmann« -, tauchten die Mädchen triumphierend aus dem Wald auf. Der Himmel dehnte sich milchig weiß. Es dämmerte. Licht sickerte durch die Wolken, hinterließ sanfte graue Streifen und blauschwarze Kleckse. Die Mädchen hasteten weiter, um vor der Dunkelheit zu Hause zu sein. Sie fanden ihre zurückgelassenen Schuhe, die wie betrunkene Krähen an ihren Schnürsenkeln baumelten, und rannten über die flachen, kratzigen Felder zum Abendessen nach Hause.
»Wo zum Teufel habt ihr beide gesteckt?« Dad stand mitten in der Küche, groß und aufrecht wie eine Heugabel. Sie waren viel zu spät. »Noch fünf Minuten länger, und es würde kein Abendessen für euch zwei geben, verdammt noch mal.«
»Lass sie in Ruhe, Bill.« Mutter trug langsam die Teller zum Tisch. Sie musste sie weit vor sich halten, so groß war ihr Bauch. »Della, du deckst den Tisch zu Ende.«
Mutters Stimme klang erschöpft. Dad setzte sich an den Tisch. Dalton, mit zwölf der Älteste und der einzige Junge, saß bereits auf seinem Platz, starrte nach unten, obwohl nichts vor ihm stand. Niemand sagte etwas. Jeder spürte, dass es besser wäre zu schweigen. Immer noch schwer atmend vom Laufen, verteilte Idella die Teller und setzte sich auf ihren Stuhl. Mutter, die vor dem Ofen stand, drehte sich zu Dad um. »Bring bitte den Topf für mich zum Tisch, Bill.«
Dann ging sie in ihre Vorratskammer, eine kleine Nische, die vom Hauptraum abging, und kam mit Dads großem Messer zurück. »Hier ist dein verdammtes Messer.« Sie legte es vor ihn hin. »Und jetzt gib mir deinen Teller, Della - den von Avis auch.« Idella reichte Mutter die Teller, und diese schöpfte Eintopf erst auf den einen, dann auf den anderen und reichte sie zurück. Es war Hühncheneintopf mit Karotten und Kartoffeln. Das war etwas Besonderes, ein Huhn zu schlachten. »Und jetzt, Dalton, gib mir deinen.«
Dad schnappte sich den Teller, als er bei ihm ankam. »Ich arbeite den ganzen verfluchten Tag, rei8e mir den Arsch auf und muss wie ein gottverdammter Hund warten? Du würdest diesen faulen Bastard füttern, bevor du mir einen Topf zum Pissen gibst.«
»Beruhig dich, du wirst schon nicht verhungern.« Am Abend musste es einen Streit gegeben haben. Mutter nahm Dad Daltons Teller ab und häufte Eintopf darauf. Idella fürchtete, dass ihr Zuspätkommen der Auslöser gewesen war.
»Jetzt reich mir deinen Teller, Bill.« Sie gab eine Schöpfkelle nach der anderen auf Dads Teller. »Du verdammter Spinner.«
Sie a8en schweigend. Die einzigen Geräusche waren Dads und Daltons Kauen und das Kratzen ihrer Gabeln auf den Tellern.
»Nun iss schon, Della«, sagte Mutter leise.
Idella spie8te ein Stück Karotte auf. Sie konnte nie viel essen, wenn Dad schlechte Laune hatte. Dann versuchte sie sich völlig still zu verhalten.
»Wo zum Teufel seid ihr zwei gewesen?«
»Mach doch kein Fass auf, Bill.« Mutters Stimme war müde.
»Ich frag doch blo8, was in Herrgotts Namen sie gemacht haben, während wir hier gesessen und auf sie gewartet haben.« Dad wandte sich an Idella. »Wo seid ihr gewesen, Della?«
»Wir waren spazieren. Im Wald.« Je länger Dad sie ansah, desto mehr beschlich sie das Gefühl, weiterreden zu müssen. »Wir haben ... Wir haben etwas gesucht.«
»Es ist ein Geheimnis«, sagte Avis, den Mund voll Eintopf, da sie nicht zu kauen gewagt hatte, seit Dad sie angesprochen hatte. »Es ist ein Geheimnis.<<
»Ein Geheimnis?<< Dad wandte sich an Avis. »Was für ein Geheimnis?<< Idella war unsicher, ob Dad sie jetzt auf den Arm nahm, aber das vermochte sie nie genau zu sagen. Das war es, was es so schwierig machte. Avis gelang es besser als jedem anderen, ihn aus seiner schlechten Laune zu reißen. »Von wem habt ihr das Geheimnis?<<
Mutter stand auf. »Lass sie in Ruhe, Bill. Wenn sie ein Geheimnis haben, lass es ihnen. Sie haben weiß Gott sonst nicht viel.<< Sie ging zur Speisekammer und kam mit einem Laib Brot zurück.
Auf einmal veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie gab ein erschrockenes Geräusch von sich. Langsam legte sie das Brot ab, löste die Schürze, faltete sie und legte sie über den Stuhl. Sie blickte zu Dad, die Hand auf ihrem geschwollenen Bauch. »Bill, meine Fruchtblase ist geplatzt.<< Sie drehte sich zu Idella um. »Della, Liebling, du und Avis beendet euer Abendessen und geht dann ins Bett. Das Baby wird bald kommen.<< Idella nickte. Mutter ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür. Idella sah eine klare Pfütze an der Stelle, wo Mutter gerade noch gestanden hatte, und eine Tropfspur hinter ihr. Sie hatte ein Leck. Irgendwo in ihr drinnen musste ein Beutel mit Wasser gewesen sein, und der war gerade geplatzt. Dad stand auf, folgte Mutter ins Zimmer und schloss die Tür.
»Es dauert nicht mehr lange. Noch ein hungriges Maul, das gestopft werden muss.<< Dalton streckte sich und nahm das Brot. Er riss sich ein großes Stück ab.
Dad kam aus dem Schlafzimmer. »Dalton, geh und hol Elsie. Sag ihr, das Baby kommt. Ich hole Mrs. Jaegel.<< Ausnahmsweise rannte Dalton einmal, um einer Anordnung seines Vaters Folge zu leisten. Dad ging hinaus, um das Pferd vor den Wagen zu spannen und die Hebamme zu holen. Mrs. Jaegel wohnte ein Stück weiter die Straße hinauf.
Die Schwestern saßen am Tisch, wagten nicht, sich von ihren Stühlen zu rühren. Mrs. Doncaster, die auf der angrenzenden Farm lebte, kam mit Dalton zurückgerannt. In den Armen hatte sie Stoffreste und Laken. Die Säume von alten Kleidern und zerrissene Arbeitshemden waren vor ihrem breiten Oberkörper zusammengerafft. Sie sah aus, als würde sie die Kleidung zum Waschen tragen, doch Idella wusste, dass sie für das Baby waren. Fürs Fruchtwasser.
Mrs. Doncaster lächelte. »Gerade eben habe ich ein Baby zum Schlafen gebracht, und jetzt muss ich mich um das nächste kümmern.<< Ihr Baby, Austin, war drei Monate alt. Mutter war mitten in der Nacht zu ihr hinübergegangen und hatte bei seiner Geburt geholfen.
Mrs. Doncaster sah die Pfütze, die Mutter auf dem Boden hinterlassen hatte. »Della, Süße, nimm den Lumpen hier und wisch das auf. Du bist ein großes Mädchen.<< Sie warf einen Lappen auf den Boden und nahm den Rest des Bündels mit ins Schlafzimmer.
Das Fruchtwasser färbte den Lumpen blassgelb. Es war warm und roch süßlich.
»Wofür ist eigentlich das Wasser?<<, fragte Avis, die immer noch am Tisch saß.
»Keine Ahnung.<< Idella wischte die dünne Spur auf, die zum Schlafzimmer führte. »Vielleicht für das Baby, zum Trinken.<<
»Es sieht aus wie Pipi.<< Avis lachte. »Als würde es Pipi trinken.<<
Mrs. Doncaster kam aus dem Schlafzimmer. »Wir werden um Mitternacht ein neues Baby haben.<< Sie bückte sich und nahm Idella den Lappen aus der Hand. >>Und jetzt esst euer Abendessen auf. Eure Mom wird beschäftigt sein. Vielleicht ist das die letzte anständige Mahlzeit, die ihr in nächster Zeit auf den Tisch bekommt, wenn ich mich in eurem Vater nicht täusche.<< Sie legte alle benutzten Lappen in die blecherne Abwaschschüssel und rollte die Ärmel hoch.
>>Ich kann kochen.<< Idella setzte sich wieder an den Tisch. >>Ich kann Parker House Rolls machen.<<
>>Was du nicht sagst.<< Mrs. Doncaster war mit der Küchenpumpe beschäftigt. Sie füllte die Schüssel mit Wasser, schrubbte dann ihre Hände mit der Laugenseife.
>>Ich werde im Juli acht. Ich bin jetzt schon mehr acht als sieben.<<
>>Aber du bist dürr wie ein Grashalm, also werdet ihr Mädchen jetzt das Abendessen aufessen.<< Sie beobachteten, wie Mrs. Doncaster ihre Arme bis hoch zu den Ellbogen ab-schrubbte und dann im Schlafzimmer verschwand. Ihre muntere Stimme drang durch die geschlossene Tür.
Niemand bekam einen weiteren Bissen herunter. Es war einfach zu aufregend.
Der Wagen fuhr vor dem Haus vor. Dad kam herein, gefolgt von Mrs. Jaegel, einer kleinen, gedrungenen Frau. Sie hatte einen schwarzen Koffer bei sich, der dieselbe quadratische Form hatte wie sie, nur kleiner. Mrs. Jaeger ging geradewegs ins Schlafzimmer, wobei sie Mrs. Doncaster zunickte, die in die Küche zurückgekehrt war.
>>Ihr geht's gut, Bill.<< Mrs. Doncaster lächelte Dad zu.
>>Du bist ein Geschenk des Himmels, Elsie.<< Dad ging zum Tisch, nahm seinen Teller und aß seinen Eintopf im Stehen auf. >>Das verfluchte Baby stört mich schon jetzt beim Essen. Und heute Nacht werde ich wahrscheinlich auch noch wenig Schlaf bekommen.<< Er brach sich ein großes Stück Brot ab und eilte zur Tür. >>Du weißt, wo ich zu finden bin.<<
>>Nicht so schnell, mein Lieber. Füll die Waschzuber und kümmere dich ums Feuer. Wenigstens ein bisschen Hilfe soll-test du sein.<<
>>Na komm schon, Elsie, lass mich verflucht noch mal in die Scheune. Ihr Frauen kümmert euch doch am besten selber um alles.<<
>>Himmelherrgott, Bill, das ist jetzt das vierte Mal, und du bist immer noch zu nichts nütze.<<
>>Ich hab am Anfang meinen Teil beigetragen.<< Beide lach-ten.
>>Das zumindest ist dir gelungen. Und jetzt kümmere dich ums Wasser, dann kannst du in die Scheune verschwinden.<<
Dad kam mit dem großen Blechzuber zurück, den sie zum Baden benutzten, und einem Eimer, den sie zum Putzen der Böden hernahmen. Er stellte die Wanne auf den Ofen, legte Holz nach und schürte das Feuer. Dann ging er zur Pumpe am Spülbecken, füllte den Eimer und goss das Wasser in den Zuber, bis er fast voll war.
>>Ihr Mädchen geht jetzt nach oben. Della, du bringst Avis ins Bett. Tu, was deine Mutter sonst tut. Kommt j a nicht wie-der runter und stört die Frauen.<< Ein spitzer Schrei drang aus dem Schlafzimmer. >>Na los<<, sagte Dad. >>Raus!<<
Wenn Dad einen Befehl gab, wurde nicht lange gezögert. Die Mädchen rannten die Treppe hinauf und in ihr Schlafzimmer. Sie hörten die Tür zuknallen, als Dad in die Scheune ging.
>>Es tut weh, ein Baby zu kriegen.<< Avis rollte sich mit an-gewinkelten Knien auf dem Bett von einer Seite zur anderen und stöhnte jämmerlich. Idella setzte sich neben sie aufs Bett. »Hör auf, Avis.«
»Ich will zuhören.« Avis schlich aus dem Zimmer und kauerte sich auf dem oberen Treppenabsatz zusammen.
Da die Tür nun offen stand, konnte Idella hören, wie Mrs. Doncaster am Ofen herumhantierte. Auf einmal vernahm sie das rasche Klackern von Schritten. »Ich könnte schwören, ich hätte eine Maus gesehen.« Mrs. Doncaster stand unten an der Treppe. Avis huschte ins Zimmer und schloss die Tür.
»Wegen dir kriegen wir noch Ärger.«
Avis hüpfte ins Bett zurück.
»Komm her«, sagte Idella. »Ich bürste dir die Haare.«
Avis setzte sich still hin. Idella bürstete ihr die kastanien-braunen Haare, die denselben Farbton wie Mutters hatten.
»Ich habe eine Idee, wie wir es nennen könnten«, sagte Idella. »Wenn es ein Mädchen ist.«
»Wie meinst du das?«
»Mutter hat gesagt, dass ich vielleicht beim Aussuchen vom Namen helfen darf.« Avis drehte sich um und starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an, wie immer, wenn sie wütend war. »Wenn es morgen geboren wird, am Maifeiertag ... « Idella machte eine Pause und lächelte scheu. »Ich dachte, vielleicht ... Daisy May! Wie May Day rückwärts.«
Avis kniff die Lippen zusammen, dass sich ihr Mund kräuselte. »Daisy May! Das ist bescheuert! Das klingt wie der Name einer Kuh.«
»Nun, wie würdest du es denn nennen?«
»Dumpfbacke!« Avis gackerte.
»Jetzt im Ernst. Und hör auf, das Stroh aus der Matratze zu zupfen.«
»Wenn es ein Mädchen ist«, fragte Avis, legte sich auf den Rücken und ließ die Beine über den Bettrand baumeln, >>wird es dann hier bei uns schlafen?<<
>>Es bekommt kein eigenes Zimmer!<<
>>Drei in einem Zimmer.<< Avis stöhnte. >>Was auch immer es wird, ich finde, Dalton sollte seines mit ihm teilen.<<
Idella kletterte ins Bett. Die Mädchen verstummten und lauschten auf die Geräusche von unten.
>>Della<<, fragte Avis, >>denkst du, das Baby wird uns in die Quere kommen?<<
>>Wobei?<<
>>Dabei, ihr das Körbchen zu geben. Was, wenn sie es am Türknauf nicht bemerkt?<<
>>Sie wird es bemerken.<< Idella drehte sich zum Fenster. >>Das wird sie schon. Schlaf jetzt.<<
Sie war müde. Avis wälzte sich unruhig hin und her und weckte sie, kurz bevor sie in den Schlaf glitt, mit ihrem Flüstern: >>Schläfst du, Della?<< Sie gab keine Antwort und tat so, als wäre sie bereits eingeschlafen. Und wenig später war sie es auch.
Übersetzung: Beate Brammertz
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Beverly Jensen
Beverly Jensen wurde in Westbrook, Maine, geboren. Bevor sie mit dem Schreiben begann, studierte sie Schauspiel an der Southern Methodist University. Zwischen 1986 und 2003 schrieb sie mit Hingabe an einem Roman, während sie gemeinsam mit ihrem Mann Jay ihre beiden Kinder großzog und halbtags in einem Büro in New York City arbeitete. Als Beverly Jensen im Alter von neunundvierzig an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb, hatte sie noch kein Wort ihres Textes publiziert. Es waren ihre Familie und einige begeisterte Unterstützer, die ihren Roman schließlich als Buch veröffentlichten. Und die so dazu beitrugen, dass Beverly Jensen nach ihrem Tod der literarische Ruhm zuteil wurde, der ihr schon zu Lebzeiten gebührt hätte.
Bibliographische Angaben
- Autor: Beverly Jensen
- 2012, 2, 479 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Brammertz, Beate
- Übersetzer: Beate Brammertz
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442753317
- ISBN-13: 9783442753314
Rezension zu „Die Hummerschwestern “
»Sie werden diese Frauen lieben!«
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