Die Jagd auf Osama bin Laden
Eine Enthüllungsgeschichte
Gut zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde Osama Bin Laden von US-Spezialeinheiten in seinem Versteck in Pakistan aufgespürt. Peter L. Bergen enthüllt die Hintergründe der Jagd auf den größten...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
19.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Jagd auf Osama bin Laden “
Gut zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde Osama Bin Laden von US-Spezialeinheiten in seinem Versteck in Pakistan aufgespürt. Peter L. Bergen enthüllt die Hintergründe der Jagd auf den größten Terroristen unserer Zeit. Warum dauerte es so lange, Bin Laden zu finden?
Klappentext zu „Die Jagd auf Osama bin Laden “
Enthüllt erstmals die Hintergründe der lange vergeblichen Suche nach Osama Bin LadenBeinahe zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde Osama Bin Laden endlich von amerikanischen Spezialeinheiten in seinem Versteck in Pakistan aufgespürt. Peter L. Bergen hat 1997 als erster westlicher Journalist ein Interview mit Osama Bin Laden geführt, das den Terroristen einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. In diesem aktuell recherchierten Buch enthüllt er die Hintergründe der Jagd auf den größten Terroristen unserer Zeit. Warum dauerte es so lange, Bin Laden zu finden, wer deckte ihn und half ihm? Genoss er die Unterstützung Pakistans? Wie organisierte sich al-Qaida unter dem Druck der Verfolgung? Warum versagten wiederholt westliche Geheimdienste und Spezialeinheiten? Und, nicht zuletzt, was geschah wirklich bei der Tötung Bin Ladens in Abbottabad?
Lese-Probe zu „Die Jagd auf Osama bin Laden “
Die Jagd auf Osama Bin Laden von Peter L. Bergen Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Norbert Juraschitz, Thomas Pfeiffer, Heike Schlatterer und Karin Schuler
Über dieses Buch
Ich traf Osama Bin Laden das erste Mal im März 1997 nachts in einer Lehmhütte in den ostafghanischen Bergen. Ich war gekommen, um für CNN sein erstes Fernsehinterview überhaupt aufzuzeichnen. In natura erwies sich Bin Laden nicht als der polternde Revoluzzer, den ich erwartet hatte, sondern präsentierte sich als einfacher Geistlicher. Doch so sanft seine Art auch gewesen sein mochte, seine Worte trieften vor Hass auf die Vereinigten Staaten. Bin Laden überraschte uns damit, den Vereinigten Staaten vor laufender Kamera den Krieg zu erklären - es war das erste Mal, dass er das vor einem westlichen Publikum tat. Eine Warnung, die, wie wir alle wissen, zu der Zeit nicht ernst genug genommen wurde. Die Quittung folgte vier Jahre später am 11. September 2001.
In gewisser Hinsicht habe ich mich seitdem darauf vorbereitet, dieses Buch zu schreiben. Sowenig der exakte Zeitpunkt von Bin Ladens Gefangennahme oder seines Todes vorhergesagt werden konnte, sowenig Zweifel konnten daran bestehen, dass er früher oder später zur Strecke gebracht werden würde. Das Buch, das Sie gerade in Händen halten, erzählt die Geschichte dieser Jagd.
Nach Bin Ladens Tod flog ich drei Mal nach Pakistan. Bei meinem letzten Aufenthalt erhielt ich die Erlaubnis zu einer ausführlichen Besichtigung des Gebäudekomplexes in Abbottabad, in dem Bin Laden die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Ich war der erste Außenstehende überhaupt, dem das pakistanische Militär den Zugang gewährte. Zwei Wochen nach meinem Besuch, Ende Februar 2012, wurde der Komplex abgerissen.
... mehr
Die Besichtigung des Anwesens verschaffte mir einen guten Einblick darin, wie der Al-Qaida-Führer, seine Familienangehörigen und seine Gefolgsleute dort über Jahre hinaus hatten unbemerkt leben können - und wie das Kommandounternehmen der Navy SEALs ablief, bei dem Bin Laden getötet wurde. Ich stand in dem Raum, in dem Bin Laden fast sechs Jahre seines Lebens verbrachte und schließlich den Tod fand. Ich unterhielt mich mit einer Vielzahl pakistanischer Sicherheitsbeamter und Militärs, die mit den Ermittlungen zu dem Überraschungsangriff der Navy SEALs befasst und an der Befragung von Bin Ladens Frauen beteiligt waren.
Auf der amerikanischen Seite sprach ich mit nahezu allen hochrangigen Mitarbeitern im Weißen Haus, Verteidigungsministerium, State Department, National Counterterrorism Center und im Büro des Director of National Intelligence, die für die Beschaffung und Auswertung der nachrichtendienstlichen Informationen zu Osama Bin Laden verantwortlich waren. Sie hatten die verschiedenen Handlungsoptionen nach Bekanntwerden seines wahrscheinlichen Aufenthaltsorts abzuwägen und die Ausführung des geheimen Kommandounternehmens zu überwachen. Viele dieser Personen sind hier im Buch namentlich erwähnt, aber aufgrund der Geheimhaltungsstufe, der zahlreiche Aspekte dieser Mission unterliegen, konnte ich nicht alle direkt zitieren. In den Fällen, in denen der Name eines CIA-Beamten nicht öffentlich bekannt ist, habe ich Pseudonyme verwendet. (Die Navy SEALs, die an der Mission beteiligt waren, hat bisher niemand interviewt, auch ich nicht.)
Die Enthüllungsplattform Wikileaks erwies sich als eine weitere sehr nützliche Informationsquelle. Der Einblick in die dort veröffentlichten geheimen Dokumente über Guantánamo erlaubte mir, die Bewegungen Bin Ladens nach 9/11 besser nachzuzeichnen und zu rekonstruieren, wie die CIA dem Kurier auf die Spur kam, der sie schlussendlich bis vor die Haustür des Al-Qaida-Führers brachte. Dass Dokumente der US-Regierung der Geheimhaltung unterliegen, garantiert natürlich noch lange nicht ihre Richtigkeit, und so tat ich mein Bestes, die Informationen aus diesen Unterlagen mit einer Vielzahl anderer Berichte und Quellen abzugleichen.
Ergänzt wurden diese Recherchen durch zusätzliche Gespräche mit ehemaligen CIA-Mitarbeitern und US-Militärs, die in dem Jahrzehnt nach 9/11 an der Jagd auf Bin Laden beteiligt waren, sowie durch mehrere Reisen nach Afghanistan, wo ich unter anderem Bin Ladens Spuren bei der Schlacht um Tora Bora nachspürte, bei der ihm im Winter 2001 mit knapper Not die Flucht gelang.
Mein Treffen mit Osama Bin Laden im Jahr 1997 fand außerhalb der afghanischen Stadt Dschalalabad in der Nähe der Berge von Tora Bora statt - ebender Region, in der er vier Jahre später und nur ein paar Monate nach den Anschlägen vom 11. September einen der spektakulärsten »Entfesselungszauber« der Geschichte inszenieren und sich damit zum Ziel einer der intensivsten und kostspieligsten Menschenjagden aller Zeit machen sollte. So war es vielleicht nicht unpassend, dass ein Jahrzehnt später, in der mondlosen Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011, Bin Ladens Tag der Abrechnung damit seinen Anfang nahm, dass auf dem Dschalalabad Airfield mehrere US-Hubschrauber mit Ziel Pakistan abhoben. Während die Hubschrauber an Höhe gewannen, konnten die Navy SEALs an Bord durch das verpixelte Grün ihrer Nachtsichtbrillen die Weißen Berge mit dem Höhlensystem von Tora Bora sehen, die knapp 50 Kilometer südlich der Stadt bis 4250 Meter in den Himmel ragen: den letzten Ort, an dem anno 2001 eine kleine Einheit amerikanischer Special Operations Forces Bin Laden zu Gesicht bekommen hatte. Dieses Mal, schworen sich die Soldaten, würde Bin Laden ihnen nicht entwischen.
Prolog
Eine komfortable Zuflucht
ES WAR DAS perfekte Versteck.
Man muss nur die Augen ein bisschen zusammenkneifen, und die hübschen Häuser, die sich an die grünen Flanken der Hügel und Berge in der Umgebung von Abbottabad schmiegen, könnten auch in der Schweiz oder vielleicht in Bayern stehen. Die 500000-Einwohner-Stadt liegt in der pakistanischen Nordwestprovinz auf 1250 Metern Höhe in den Ausläufern des Himalaja, die zur chinesischen Grenze beständig ansteigen. Gegründet wurde die Stadt 1853 von James Abbott, einem britischen Major, der als Randfigur in dem großen Kampf der Briten und Russen um die Vorherrschaft in Zentralasien teilnahm. Der Major wurde - nicht gerade die Norm für einen Verwalter im britischen Indien - von den Einwohnern Abbottabads geliebt. Er selbst verfasste anlässlich seiner Rückkehr nach England ein wiewohl unbeholfenes, so doch tief empfundenes Gedicht auf die Stadt:
Ich erinnere mich an den Tag, als ich erstmals hierher kam
und den süßen Duft von Abbottabad vernahm ...
Der Abschied von dir macht das Herz mir schwer,
dich vergessen werd' gewiss ich nimmermehr.
Zu den Erinnerungsstücken an die koloniale Vergangenheit der Stadt gehören die anglikanische St.-Lukas-Kirche, die aussieht, als hätte man sie per Flugzeug direkt aus Sussex hierher verpflanzt, und die Ensembles niedriger Gebäude aus dem 19. Jahrhundert entlang der Hauptstraßen, in denen einst die Verwalter des britischen Empire logierten.
Heute gilt Abbottabad als »Stadt der Schulen« und beherbergt neben einer ganzen Reihe erstklassiger Vorbereitungsschulen auch die führende pakistanische Militärakademie. 2008 waren hier Soldaten der U.S. Special Forces stationiert, die bei der Ausbildung von Rekruten mitwirkten.
Mit ihren vergleichsweise kühlen Sommern und der vernachlässigbaren Kriminalitätsrate hat die Stadt nicht nur viele pensionierte Armeeoffiziere und Beamte angelockt, sondern auch etliche Pakistani, die als Gastarbeiter in den Golfstaaten zu Wohlstand gekommen sind. Die Hochsaison für Urlauber beginnt im Juni, wenn aus dem heißen Tiefland scharenweise ganze Familien zur Abkühlung nach Abbottabad mit seinen sanften, von den Bergen herabwehenden Brisen strömen. Auch abgesehen davon, dass die Golfspieler unter den Gästen hier ihrem Hobby auf einem der besten Golfplätze des Landes frönen können, kommt man sich in Abbottabad vor wie in einem Country Club - ganz anders als in den typischen rastlosen, überfüllten und smoggeplagten pakistanischen Städten.
Auch wenn Abbottabad im Ausland relativ unbekannt ist, sind Ausländer hier kein ungewöhnlicher Anblick. Abenteuertouristen aus dem Westen, die auf dem legendären Karakorum Highway unterwegs sind, der sich durch die Stadt windet, bevor er in nördliche Richtung ins knapp 500 Kilometer entfernte China führt, machen hier gelegentlich halt, um sich mit Campingzubehör einzudecken oder sich eine Pause in einer Eisdiele zu gönnen. Und nicht wenige reiche Afghanen, die vor der Instabilität in ihrem Land geflohen sind, haben hier große, von Mauern umgebene Anwesen errichtet, in denen sie ihre Frauen verbergen.
Es war sicher die friedliche Umgebung, die Osama Bin Laden ein halbes Jahrzehnt nach seinem großen Sieg am 11. September 2001 Abbottabad als Zufluchtsort wählen ließ. Die Stadt war einer der letzten Orte in Pakistan, an denen man ihn vermuten würde - weit genug entfernt von den Stammesgebieten des Landes, wo nahezu jedermann seine Basis vermutete und man nach ihm suchte, aber auch nicht so weit von ihnen entfernt, als dass er nicht relativ problemlos per Kurier mit seinen wichtigsten Anführern kommunizieren konnte, von denen sich viele in den Stammesgebieten verbargen. Außerdem war die Stadt nicht allzu weit vom pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs und den dort aktiven militanten Gruppierungen entfernt, zu denen Bin Laden schon seit langem gute Beziehungen unterhielt, ein Netzwerk, das sich unter Umständen als sehr nützlich erweisen konnte.
Im Frühjahr 2011 lebte der Terrorchef schon im sechsten Jahr in seinem Versteck im Stadtteil Bilal Town. Das Viertel ist nicht gerade die beste Adresse, aber mit seinen weißen, mit Säulenvorbauten geschmückten Villen und den kleinen Obst- und Gemüsegeschäften bietet es zweifelsohne ein angenehmes Umfeld.
Sieben Jahre zuvor hatte der Mann, dem Bin Laden sein Leben anvertraut hatte, ein Mann, der innerhalb von al-Qaida unter dem Decknamen Abu Ahmed al-Kuwaiti - wörtlich: »der Kuwaiter, der der Vater von Ahmed ist« - bekannt war, sich darangemacht, am Rand von Bilal Town nach und nach Land zu erwerben. In vier auf die Jahre 2004 und 2005 verteilten Transaktionen kaufte er mehrere kleine Ackergrundstücke, für die er insgesamt rund 50 000 Dollar bezahlte. Die meisten Grundstücke erwarb er von einem lokalen Arzt namens Qazi Mahfooz ul-Haq, der den Kuwaiter als einen »sehr einfachen, zurückhaltenden und bescheidenen Mann« beschreibt, der Paschtu sprach, ein traditionelles paschtunisches Gewand trug und vorgab, die Grundstücke für einen Onkel zu kaufen.
Der Kuwaiter beauftragte einen Architekten von Modern Associates, einem örtlichen, in Familienbesitz befindlichen Architekturbüro, eine Wohnanlage mit Platz für eine Familie mit zwölf oder mehr Mitgliedern zu entwerfen. Die Vorgaben für das Gebäude waren nicht ungewöhnlich für die Region: zwei Geschosse mit je vier Schlafzimmern, davon jedes mit einem eigenen Badezimmer. »Einer meiner Studenten hätte den Entwurf anfertigen können«, erinnert sich Junaid Younis, der Eigentümer von Modern Associates. Das Architekturbüro reichte die Pläne für das Haus beim städtischen Bauamt ein, das die Genehmigung denn auch problemlos gewährte.
Irgendwann 2005 wuchs auf dem vormals offenen Land, das der Kuwaiter gekauft hatte, Bin Ladens künftiger Wohnsitz in die Höhe. Nachbarn schätzen die Baukosten für den weitläufigen, 40 Ar umfassenden Komplex auf einen niedrigen Hunderttausenddollarbetrag. Ohne Baugenehmigung wurde dann dem Gebäude noch ein drittes Geschoss aufgesetzt, kein unübliches Vorgehen für eine Gegend, in der das Entrichten von Grundsteuern gemeinhin als Zeichen mangelnder Intelligenz gilt. Aber dass die Aufstockung zumindest den Behörden gegenüber verheimlicht wurde, hatte auch einen triftigeren Grund: Das auf den Plänen nicht vorhandene Stockwerk war für die ausschließliche Nutzung durch Osama Bin Laden und seine neueste und jüngste Frau vorgesehen, die temperamentvolle Jemeniterin Amal.
Dieses dritte Geschoss unterschied sich vom Grundriss her etwas von den anderen Stockwerken. So gab es nur Fenster zu einer Seite hin, und diese Fenster waren von außen her undurchsichtig. Bei vier der insgesamt fünf Fenster handelte es sich genau genommen um schmale, deutlich über Augenhöhe eingefügte Schlitze. Eine winzige Dachterrasse war von einer 2,15 Meter hohen Mauer umgeben, ausreichend also, um auch jemanden vor neugierigen Blicken zu schützen, der wie Bin Laden 1,93 Meter groß war.
Bin Laden, der für gewöhnlich ein helles Gewand, eine dunkle Weste und eine Gebetsmütze trug, wagte sich in den über fünf Jahren, die er in dem Haus verbrachte, nur selten aus dem zweiten oder ersten Stock hinaus ins Freie. Wenn doch, dann nur, um in dem kleinen Küchengarten des Komplexes ein paar Schritte zu gehen. Eine eigens über den Garten gespannte Plane sollte selbst diese Spaziergänge vor den Kameras der alles sehenden amerikanischen Spionagesatelliten geheim halten, die auch am Himmel über Abbottabad ihre Bahnen zogen.
Einem Mann wie Bin Laden, der das Leben draußen in der Natur liebte und gerne damit prahlte, dass er 60 Kilometer am Stück auf dem Rücken eines Pferdes reiten könne, ohne auch nur eine einzige Pause einzulegen, einem Mann, der mit seinen Söhnen regelmäßig anstrengende Märsche über mehr als zwölf Stunden durch die afghanischen Berge unternommen hatte, muss das sehr einengend vorgekommen sein. Nicht zu vergessen, Bin Laden war auch ein leidenschaftlicher Fußball- und ein recht guter Volleyballspieler. Vor dem Sturz der Taliban hatte es ihm immer großes Vergnügen bereitet, mit seinen diversen Frauen und Kindern Ausflüge in die weiten Wüsten im Süden Afghanistans zu unternehmen, um ihnen das Schießen beizubringen und sie für das Leben auf der Flucht abzuhärten, von dem er fest überzeugt war, dass es eines Tages ihr gemeinsames Los sein würde.
Bin Laden lebte in Abbottabad in einem von ihm selbst errichteten Gefängnis. Aber dieses Leben hatte durchaus Vorteile. Zum einen war er weit weg von den Zielgebieten der amerikanischen Drohnen, die in den rund 300 Kilometer weiter westlich gelegenen pakistanischen Stammesgebieten viele seiner einstmaligen Kampfgefährten, die Creme von al-Qaida, ins Jenseits beförderten. Er versteckte sich auch nicht in irgendeiner muffigen Höhle, wie es viele »ungläubige« sich gerne vorstellten. Und er litt nicht, wie in den westlichen Medien immer wieder berichtet wurde, unter einem auszehrenden Nierenleiden. Tatsächlich war er dafür, dass er auf Mitte 50 zuging, gut in Form, auch wenn er ein bisschen ergraute und behäbiger wurde. Vor allem aber war für den familiensinnigen Bin Laden wichtig, dass drei seiner Frauen und ein Dutzend Kinder und Enkelkinder bei ihm lebten.
Bin Ladens erste Ehefrau, seine groß gewachsene und hübsche syrische Cousine Najwa, war nicht darunter. Die beiden hatten 1974 geheiratet, als er 17 und sie 15 war, und sie hatte ihn voller Ergebenheit auf seinem Weg in den Dschihad begleitet, der ihn in den Achtzigerjahren nach Pakistan und Afghanistan, dann in den Sudan und Ende der Neunzigerjahre zurück nach Afghanistan führte. Doch nachdem sie fünf Jahre im harschen, von den Taliban beherrschten Afghanistan ausgehalten hatte, verlangte Najwa im Sommer 2001 immer nachdrücklicher, nach Hause zurückkehren und ihre Familie in Syrien besuchen zu dürfen. Immerhin hatte sie Bin Laden elf Kinder und fast drei Jahrzehnte ihres Lebens geschenkt, die sie zum Großteil mit ihm im Exil verbracht hatte, und schließlich gab er ihrem Drängen nach. Allerdings erlaubte er ihr, nur drei ihrer noch unverheirateten Kinder mit nach Syrien zu nehmen; die elfjährige Iman und der sieben Jahre alte Ladin mussten bei ihm bleiben.
Bin Laden war der unumschränkte Monarch in seinem Haushalt, und Najwa hatte keinerlei Möglichkeit, seine Entscheidung anzufechten. Als sie aus Afghanistan abreiste, sagte Bin Laden, der womöglich ahnte, dass er sie nicht wiedersehen würde, zu ihr: »Ich werde mich nicht von dir scheiden lassen, Najwa. Auch wenn du hören solltest, dass ich mich von dir habe scheiden lassen, es wird nicht wahr sein.«
Najwa verließ Afghanistan am 9. September 2001, am selben Tag, als Bin Ladens Männer Ahmed Schah Massud ermordeten, den Anführer der wenigen afghanischen Gruppen, die zu der Zeit noch gegen die Taliban kämpften, und nur 48 Stunden vor den Angriffen der al-Qaida auf Washington und New York. Vielleicht wusste Bin Laden, dass die sanfte Najwa, die ihn geheiratet hatte, lange bevor er sein Leben dem Heiligen Krieg und den damit verbundenen Entsagungen widmete, mit den Auswirkungen der Anschläge auf Amerika auf ihr Leben nicht zurechtkommen würde.
Dennoch, ein Jahrzehnt nach 9/11 konnte sich Bin Laden immerhin der Tatsache erfreuen, dass seine drei anderen Frauen mit ihm in seinem Versteck in Abbottabad lebten. Vom Alter her reichten sie von der 29 Jahre alten Amal bis zur 62 Jahre alten Khairiah Sabar, die im Spätsommer 2010 nach neunjähriger Abwesenheit höchst unerwartet und gesund und munter in Abbottabad aufgetaucht war.
Bin Laden hatte Khairiah 1985 geheiratet. Damals war er 28 und sie 35, in Saudi-Arabien ein extrem hohes Alter für eine Braut. Die Entscheidung, Khairiah zu heiraten, traf Bin Laden aus religiösen Motiven heraus. Er glaubte, Allah würde es gutheißen, wenn er eine alte Jungfer heiratete. Sollte er mit ihr Kinder bekommen, würde das nämlich die Zahl der Muslime auf der Welt erhöhen. Vor ihrer Ehe hatte sich Khairiah nach der Promotion an der Universität als Lehrerin für taubstumme Kinder so etwas wie eine unabhängige Existenz aufgebaut. Khairiah, die einer wohlhabenden und sehr angesehenen Familie entstammte, die ihren Stammbaum bis auf den Propheten zurückführt, hatte nur deshalb die Stellung als Bin Ladens Zweitfrau akzeptiert, weil sie mit einem Mann verheiratet sein wollte, den sie für einen wahrhaft heiligen Krieger hielt - Mitte der Achtzigerjahre hatten sich Bin Ladens Heldentaten im Kampf gegen die russischen Besatzer Afghanistans längst bis nach Saudi-Arabien herumgesprochen. Vier Jahre nach ihrer Hochzeit bekamen die beiden einen Sohn, Hamza, und seit dieser Zeit wurde Khairiah umm Hamza, »Mutter des Hamza«, genannt.
Als das Talibanregime im Herbst 2001 in sich zusammenbrach, floh Khairiah zusammen mit ihrem geliebten Hamza und mehreren anderen Kindern Bin Ladens von seinen anderen Frauen über die Grenze in den Iran. In den folgenden Jahren lebten sie unter einer Art Hausarrest in Teheran. Sie führten ein angenehmes Leben, unternahmen Shoppingtouren, die Kinder hatten Playstations, es gab Swimmingpools. Der Käfig, in dem sie lebten, mochte golden sein, aber es war ein Käfig. Höchstwahrscheinlich betrachtete das iranische Regime Bin Ladens Frau und seine Kinder als wertvolle Verhandlungsmasse, sollte es irgendwann zu einem Deal mit den Vereinigten Staaten kommen.
Als Al-Qaida-Angehörige Ende 2008 den iranischen Diplomaten Heshmatollah Attarzadeh-Niyaki unweit seines Hauses in der westpakistanischen Stadt Peschawar entführten, hatte die iranische Führung die Hoffnung auf eine Aussöhnung mit den Vereinigten Staaten schon längst aufgegeben.30 Nach über einem Jahr in Geiselhaft entließen die Entführer im Frühjahr 2010 Attarzadeh- Niyaki. Dies geschah ohne großes Aufheben und war wohl Teil eines Deals, der Khairiah und Bin Ladens Kindern die Ausreise aus dem Iran ermöglichte.
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Die Besichtigung des Anwesens verschaffte mir einen guten Einblick darin, wie der Al-Qaida-Führer, seine Familienangehörigen und seine Gefolgsleute dort über Jahre hinaus hatten unbemerkt leben können - und wie das Kommandounternehmen der Navy SEALs ablief, bei dem Bin Laden getötet wurde. Ich stand in dem Raum, in dem Bin Laden fast sechs Jahre seines Lebens verbrachte und schließlich den Tod fand. Ich unterhielt mich mit einer Vielzahl pakistanischer Sicherheitsbeamter und Militärs, die mit den Ermittlungen zu dem Überraschungsangriff der Navy SEALs befasst und an der Befragung von Bin Ladens Frauen beteiligt waren.
Auf der amerikanischen Seite sprach ich mit nahezu allen hochrangigen Mitarbeitern im Weißen Haus, Verteidigungsministerium, State Department, National Counterterrorism Center und im Büro des Director of National Intelligence, die für die Beschaffung und Auswertung der nachrichtendienstlichen Informationen zu Osama Bin Laden verantwortlich waren. Sie hatten die verschiedenen Handlungsoptionen nach Bekanntwerden seines wahrscheinlichen Aufenthaltsorts abzuwägen und die Ausführung des geheimen Kommandounternehmens zu überwachen. Viele dieser Personen sind hier im Buch namentlich erwähnt, aber aufgrund der Geheimhaltungsstufe, der zahlreiche Aspekte dieser Mission unterliegen, konnte ich nicht alle direkt zitieren. In den Fällen, in denen der Name eines CIA-Beamten nicht öffentlich bekannt ist, habe ich Pseudonyme verwendet. (Die Navy SEALs, die an der Mission beteiligt waren, hat bisher niemand interviewt, auch ich nicht.)
Die Enthüllungsplattform Wikileaks erwies sich als eine weitere sehr nützliche Informationsquelle. Der Einblick in die dort veröffentlichten geheimen Dokumente über Guantánamo erlaubte mir, die Bewegungen Bin Ladens nach 9/11 besser nachzuzeichnen und zu rekonstruieren, wie die CIA dem Kurier auf die Spur kam, der sie schlussendlich bis vor die Haustür des Al-Qaida-Führers brachte. Dass Dokumente der US-Regierung der Geheimhaltung unterliegen, garantiert natürlich noch lange nicht ihre Richtigkeit, und so tat ich mein Bestes, die Informationen aus diesen Unterlagen mit einer Vielzahl anderer Berichte und Quellen abzugleichen.
Ergänzt wurden diese Recherchen durch zusätzliche Gespräche mit ehemaligen CIA-Mitarbeitern und US-Militärs, die in dem Jahrzehnt nach 9/11 an der Jagd auf Bin Laden beteiligt waren, sowie durch mehrere Reisen nach Afghanistan, wo ich unter anderem Bin Ladens Spuren bei der Schlacht um Tora Bora nachspürte, bei der ihm im Winter 2001 mit knapper Not die Flucht gelang.
Mein Treffen mit Osama Bin Laden im Jahr 1997 fand außerhalb der afghanischen Stadt Dschalalabad in der Nähe der Berge von Tora Bora statt - ebender Region, in der er vier Jahre später und nur ein paar Monate nach den Anschlägen vom 11. September einen der spektakulärsten »Entfesselungszauber« der Geschichte inszenieren und sich damit zum Ziel einer der intensivsten und kostspieligsten Menschenjagden aller Zeit machen sollte. So war es vielleicht nicht unpassend, dass ein Jahrzehnt später, in der mondlosen Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011, Bin Ladens Tag der Abrechnung damit seinen Anfang nahm, dass auf dem Dschalalabad Airfield mehrere US-Hubschrauber mit Ziel Pakistan abhoben. Während die Hubschrauber an Höhe gewannen, konnten die Navy SEALs an Bord durch das verpixelte Grün ihrer Nachtsichtbrillen die Weißen Berge mit dem Höhlensystem von Tora Bora sehen, die knapp 50 Kilometer südlich der Stadt bis 4250 Meter in den Himmel ragen: den letzten Ort, an dem anno 2001 eine kleine Einheit amerikanischer Special Operations Forces Bin Laden zu Gesicht bekommen hatte. Dieses Mal, schworen sich die Soldaten, würde Bin Laden ihnen nicht entwischen.
Prolog
Eine komfortable Zuflucht
ES WAR DAS perfekte Versteck.
Man muss nur die Augen ein bisschen zusammenkneifen, und die hübschen Häuser, die sich an die grünen Flanken der Hügel und Berge in der Umgebung von Abbottabad schmiegen, könnten auch in der Schweiz oder vielleicht in Bayern stehen. Die 500000-Einwohner-Stadt liegt in der pakistanischen Nordwestprovinz auf 1250 Metern Höhe in den Ausläufern des Himalaja, die zur chinesischen Grenze beständig ansteigen. Gegründet wurde die Stadt 1853 von James Abbott, einem britischen Major, der als Randfigur in dem großen Kampf der Briten und Russen um die Vorherrschaft in Zentralasien teilnahm. Der Major wurde - nicht gerade die Norm für einen Verwalter im britischen Indien - von den Einwohnern Abbottabads geliebt. Er selbst verfasste anlässlich seiner Rückkehr nach England ein wiewohl unbeholfenes, so doch tief empfundenes Gedicht auf die Stadt:
Ich erinnere mich an den Tag, als ich erstmals hierher kam
und den süßen Duft von Abbottabad vernahm ...
Der Abschied von dir macht das Herz mir schwer,
dich vergessen werd' gewiss ich nimmermehr.
Zu den Erinnerungsstücken an die koloniale Vergangenheit der Stadt gehören die anglikanische St.-Lukas-Kirche, die aussieht, als hätte man sie per Flugzeug direkt aus Sussex hierher verpflanzt, und die Ensembles niedriger Gebäude aus dem 19. Jahrhundert entlang der Hauptstraßen, in denen einst die Verwalter des britischen Empire logierten.
Heute gilt Abbottabad als »Stadt der Schulen« und beherbergt neben einer ganzen Reihe erstklassiger Vorbereitungsschulen auch die führende pakistanische Militärakademie. 2008 waren hier Soldaten der U.S. Special Forces stationiert, die bei der Ausbildung von Rekruten mitwirkten.
Mit ihren vergleichsweise kühlen Sommern und der vernachlässigbaren Kriminalitätsrate hat die Stadt nicht nur viele pensionierte Armeeoffiziere und Beamte angelockt, sondern auch etliche Pakistani, die als Gastarbeiter in den Golfstaaten zu Wohlstand gekommen sind. Die Hochsaison für Urlauber beginnt im Juni, wenn aus dem heißen Tiefland scharenweise ganze Familien zur Abkühlung nach Abbottabad mit seinen sanften, von den Bergen herabwehenden Brisen strömen. Auch abgesehen davon, dass die Golfspieler unter den Gästen hier ihrem Hobby auf einem der besten Golfplätze des Landes frönen können, kommt man sich in Abbottabad vor wie in einem Country Club - ganz anders als in den typischen rastlosen, überfüllten und smoggeplagten pakistanischen Städten.
Auch wenn Abbottabad im Ausland relativ unbekannt ist, sind Ausländer hier kein ungewöhnlicher Anblick. Abenteuertouristen aus dem Westen, die auf dem legendären Karakorum Highway unterwegs sind, der sich durch die Stadt windet, bevor er in nördliche Richtung ins knapp 500 Kilometer entfernte China führt, machen hier gelegentlich halt, um sich mit Campingzubehör einzudecken oder sich eine Pause in einer Eisdiele zu gönnen. Und nicht wenige reiche Afghanen, die vor der Instabilität in ihrem Land geflohen sind, haben hier große, von Mauern umgebene Anwesen errichtet, in denen sie ihre Frauen verbergen.
Es war sicher die friedliche Umgebung, die Osama Bin Laden ein halbes Jahrzehnt nach seinem großen Sieg am 11. September 2001 Abbottabad als Zufluchtsort wählen ließ. Die Stadt war einer der letzten Orte in Pakistan, an denen man ihn vermuten würde - weit genug entfernt von den Stammesgebieten des Landes, wo nahezu jedermann seine Basis vermutete und man nach ihm suchte, aber auch nicht so weit von ihnen entfernt, als dass er nicht relativ problemlos per Kurier mit seinen wichtigsten Anführern kommunizieren konnte, von denen sich viele in den Stammesgebieten verbargen. Außerdem war die Stadt nicht allzu weit vom pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs und den dort aktiven militanten Gruppierungen entfernt, zu denen Bin Laden schon seit langem gute Beziehungen unterhielt, ein Netzwerk, das sich unter Umständen als sehr nützlich erweisen konnte.
Im Frühjahr 2011 lebte der Terrorchef schon im sechsten Jahr in seinem Versteck im Stadtteil Bilal Town. Das Viertel ist nicht gerade die beste Adresse, aber mit seinen weißen, mit Säulenvorbauten geschmückten Villen und den kleinen Obst- und Gemüsegeschäften bietet es zweifelsohne ein angenehmes Umfeld.
Sieben Jahre zuvor hatte der Mann, dem Bin Laden sein Leben anvertraut hatte, ein Mann, der innerhalb von al-Qaida unter dem Decknamen Abu Ahmed al-Kuwaiti - wörtlich: »der Kuwaiter, der der Vater von Ahmed ist« - bekannt war, sich darangemacht, am Rand von Bilal Town nach und nach Land zu erwerben. In vier auf die Jahre 2004 und 2005 verteilten Transaktionen kaufte er mehrere kleine Ackergrundstücke, für die er insgesamt rund 50 000 Dollar bezahlte. Die meisten Grundstücke erwarb er von einem lokalen Arzt namens Qazi Mahfooz ul-Haq, der den Kuwaiter als einen »sehr einfachen, zurückhaltenden und bescheidenen Mann« beschreibt, der Paschtu sprach, ein traditionelles paschtunisches Gewand trug und vorgab, die Grundstücke für einen Onkel zu kaufen.
Der Kuwaiter beauftragte einen Architekten von Modern Associates, einem örtlichen, in Familienbesitz befindlichen Architekturbüro, eine Wohnanlage mit Platz für eine Familie mit zwölf oder mehr Mitgliedern zu entwerfen. Die Vorgaben für das Gebäude waren nicht ungewöhnlich für die Region: zwei Geschosse mit je vier Schlafzimmern, davon jedes mit einem eigenen Badezimmer. »Einer meiner Studenten hätte den Entwurf anfertigen können«, erinnert sich Junaid Younis, der Eigentümer von Modern Associates. Das Architekturbüro reichte die Pläne für das Haus beim städtischen Bauamt ein, das die Genehmigung denn auch problemlos gewährte.
Irgendwann 2005 wuchs auf dem vormals offenen Land, das der Kuwaiter gekauft hatte, Bin Ladens künftiger Wohnsitz in die Höhe. Nachbarn schätzen die Baukosten für den weitläufigen, 40 Ar umfassenden Komplex auf einen niedrigen Hunderttausenddollarbetrag. Ohne Baugenehmigung wurde dann dem Gebäude noch ein drittes Geschoss aufgesetzt, kein unübliches Vorgehen für eine Gegend, in der das Entrichten von Grundsteuern gemeinhin als Zeichen mangelnder Intelligenz gilt. Aber dass die Aufstockung zumindest den Behörden gegenüber verheimlicht wurde, hatte auch einen triftigeren Grund: Das auf den Plänen nicht vorhandene Stockwerk war für die ausschließliche Nutzung durch Osama Bin Laden und seine neueste und jüngste Frau vorgesehen, die temperamentvolle Jemeniterin Amal.
Dieses dritte Geschoss unterschied sich vom Grundriss her etwas von den anderen Stockwerken. So gab es nur Fenster zu einer Seite hin, und diese Fenster waren von außen her undurchsichtig. Bei vier der insgesamt fünf Fenster handelte es sich genau genommen um schmale, deutlich über Augenhöhe eingefügte Schlitze. Eine winzige Dachterrasse war von einer 2,15 Meter hohen Mauer umgeben, ausreichend also, um auch jemanden vor neugierigen Blicken zu schützen, der wie Bin Laden 1,93 Meter groß war.
Bin Laden, der für gewöhnlich ein helles Gewand, eine dunkle Weste und eine Gebetsmütze trug, wagte sich in den über fünf Jahren, die er in dem Haus verbrachte, nur selten aus dem zweiten oder ersten Stock hinaus ins Freie. Wenn doch, dann nur, um in dem kleinen Küchengarten des Komplexes ein paar Schritte zu gehen. Eine eigens über den Garten gespannte Plane sollte selbst diese Spaziergänge vor den Kameras der alles sehenden amerikanischen Spionagesatelliten geheim halten, die auch am Himmel über Abbottabad ihre Bahnen zogen.
Einem Mann wie Bin Laden, der das Leben draußen in der Natur liebte und gerne damit prahlte, dass er 60 Kilometer am Stück auf dem Rücken eines Pferdes reiten könne, ohne auch nur eine einzige Pause einzulegen, einem Mann, der mit seinen Söhnen regelmäßig anstrengende Märsche über mehr als zwölf Stunden durch die afghanischen Berge unternommen hatte, muss das sehr einengend vorgekommen sein. Nicht zu vergessen, Bin Laden war auch ein leidenschaftlicher Fußball- und ein recht guter Volleyballspieler. Vor dem Sturz der Taliban hatte es ihm immer großes Vergnügen bereitet, mit seinen diversen Frauen und Kindern Ausflüge in die weiten Wüsten im Süden Afghanistans zu unternehmen, um ihnen das Schießen beizubringen und sie für das Leben auf der Flucht abzuhärten, von dem er fest überzeugt war, dass es eines Tages ihr gemeinsames Los sein würde.
Bin Laden lebte in Abbottabad in einem von ihm selbst errichteten Gefängnis. Aber dieses Leben hatte durchaus Vorteile. Zum einen war er weit weg von den Zielgebieten der amerikanischen Drohnen, die in den rund 300 Kilometer weiter westlich gelegenen pakistanischen Stammesgebieten viele seiner einstmaligen Kampfgefährten, die Creme von al-Qaida, ins Jenseits beförderten. Er versteckte sich auch nicht in irgendeiner muffigen Höhle, wie es viele »ungläubige« sich gerne vorstellten. Und er litt nicht, wie in den westlichen Medien immer wieder berichtet wurde, unter einem auszehrenden Nierenleiden. Tatsächlich war er dafür, dass er auf Mitte 50 zuging, gut in Form, auch wenn er ein bisschen ergraute und behäbiger wurde. Vor allem aber war für den familiensinnigen Bin Laden wichtig, dass drei seiner Frauen und ein Dutzend Kinder und Enkelkinder bei ihm lebten.
Bin Ladens erste Ehefrau, seine groß gewachsene und hübsche syrische Cousine Najwa, war nicht darunter. Die beiden hatten 1974 geheiratet, als er 17 und sie 15 war, und sie hatte ihn voller Ergebenheit auf seinem Weg in den Dschihad begleitet, der ihn in den Achtzigerjahren nach Pakistan und Afghanistan, dann in den Sudan und Ende der Neunzigerjahre zurück nach Afghanistan führte. Doch nachdem sie fünf Jahre im harschen, von den Taliban beherrschten Afghanistan ausgehalten hatte, verlangte Najwa im Sommer 2001 immer nachdrücklicher, nach Hause zurückkehren und ihre Familie in Syrien besuchen zu dürfen. Immerhin hatte sie Bin Laden elf Kinder und fast drei Jahrzehnte ihres Lebens geschenkt, die sie zum Großteil mit ihm im Exil verbracht hatte, und schließlich gab er ihrem Drängen nach. Allerdings erlaubte er ihr, nur drei ihrer noch unverheirateten Kinder mit nach Syrien zu nehmen; die elfjährige Iman und der sieben Jahre alte Ladin mussten bei ihm bleiben.
Bin Laden war der unumschränkte Monarch in seinem Haushalt, und Najwa hatte keinerlei Möglichkeit, seine Entscheidung anzufechten. Als sie aus Afghanistan abreiste, sagte Bin Laden, der womöglich ahnte, dass er sie nicht wiedersehen würde, zu ihr: »Ich werde mich nicht von dir scheiden lassen, Najwa. Auch wenn du hören solltest, dass ich mich von dir habe scheiden lassen, es wird nicht wahr sein.«
Najwa verließ Afghanistan am 9. September 2001, am selben Tag, als Bin Ladens Männer Ahmed Schah Massud ermordeten, den Anführer der wenigen afghanischen Gruppen, die zu der Zeit noch gegen die Taliban kämpften, und nur 48 Stunden vor den Angriffen der al-Qaida auf Washington und New York. Vielleicht wusste Bin Laden, dass die sanfte Najwa, die ihn geheiratet hatte, lange bevor er sein Leben dem Heiligen Krieg und den damit verbundenen Entsagungen widmete, mit den Auswirkungen der Anschläge auf Amerika auf ihr Leben nicht zurechtkommen würde.
Dennoch, ein Jahrzehnt nach 9/11 konnte sich Bin Laden immerhin der Tatsache erfreuen, dass seine drei anderen Frauen mit ihm in seinem Versteck in Abbottabad lebten. Vom Alter her reichten sie von der 29 Jahre alten Amal bis zur 62 Jahre alten Khairiah Sabar, die im Spätsommer 2010 nach neunjähriger Abwesenheit höchst unerwartet und gesund und munter in Abbottabad aufgetaucht war.
Bin Laden hatte Khairiah 1985 geheiratet. Damals war er 28 und sie 35, in Saudi-Arabien ein extrem hohes Alter für eine Braut. Die Entscheidung, Khairiah zu heiraten, traf Bin Laden aus religiösen Motiven heraus. Er glaubte, Allah würde es gutheißen, wenn er eine alte Jungfer heiratete. Sollte er mit ihr Kinder bekommen, würde das nämlich die Zahl der Muslime auf der Welt erhöhen. Vor ihrer Ehe hatte sich Khairiah nach der Promotion an der Universität als Lehrerin für taubstumme Kinder so etwas wie eine unabhängige Existenz aufgebaut. Khairiah, die einer wohlhabenden und sehr angesehenen Familie entstammte, die ihren Stammbaum bis auf den Propheten zurückführt, hatte nur deshalb die Stellung als Bin Ladens Zweitfrau akzeptiert, weil sie mit einem Mann verheiratet sein wollte, den sie für einen wahrhaft heiligen Krieger hielt - Mitte der Achtzigerjahre hatten sich Bin Ladens Heldentaten im Kampf gegen die russischen Besatzer Afghanistans längst bis nach Saudi-Arabien herumgesprochen. Vier Jahre nach ihrer Hochzeit bekamen die beiden einen Sohn, Hamza, und seit dieser Zeit wurde Khairiah umm Hamza, »Mutter des Hamza«, genannt.
Als das Talibanregime im Herbst 2001 in sich zusammenbrach, floh Khairiah zusammen mit ihrem geliebten Hamza und mehreren anderen Kindern Bin Ladens von seinen anderen Frauen über die Grenze in den Iran. In den folgenden Jahren lebten sie unter einer Art Hausarrest in Teheran. Sie führten ein angenehmes Leben, unternahmen Shoppingtouren, die Kinder hatten Playstations, es gab Swimmingpools. Der Käfig, in dem sie lebten, mochte golden sein, aber es war ein Käfig. Höchstwahrscheinlich betrachtete das iranische Regime Bin Ladens Frau und seine Kinder als wertvolle Verhandlungsmasse, sollte es irgendwann zu einem Deal mit den Vereinigten Staaten kommen.
Als Al-Qaida-Angehörige Ende 2008 den iranischen Diplomaten Heshmatollah Attarzadeh-Niyaki unweit seines Hauses in der westpakistanischen Stadt Peschawar entführten, hatte die iranische Führung die Hoffnung auf eine Aussöhnung mit den Vereinigten Staaten schon längst aufgegeben.30 Nach über einem Jahr in Geiselhaft entließen die Entführer im Frühjahr 2010 Attarzadeh- Niyaki. Dies geschah ohne großes Aufheben und war wohl Teil eines Deals, der Khairiah und Bin Ladens Kindern die Ausreise aus dem Iran ermöglichte.
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Peter L. Bergen
Der Brite Peter L. Bergen, geboren 1962, ist einer der führenden Terrorismusexperten der Welt. Er hat mehrere Bücher zu al-Qaida veröffentlicht, darunter das Standardwerk "Heiliger Krieg Inc." Heute ist Bergen Leiter eines Forschungsprogramms bei der überparteilichen Denkfabrik New America Foundation.Helmut Dierlamm, geboren 1955, übersetzt vor allem Sachbücher und Biografien aus dem Englischen, darunter Werke von Francis Fukuyama, Barack Obama, Desmond Tutu, Henry Kissinger und Tony Blair.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter L. Bergen
- 2012, 366 Seiten, 8 farbige Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Dierlamm, Helmut; Juraschitz, Norbert; Pfeiffer, Thomas
- Übersetzer: Helmut Dierlamm, Norbert Juraschitz, Thomas Pfeiffer, Heike Schlatterer, Karin Schuler
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421045518
- ISBN-13: 9783421045515
Rezension zu „Die Jagd auf Osama bin Laden “
»(Peter Bergen) hat mit Mitarbeitern des Planungsstabs gesprochen, die auf Bin Laden Jagd machten, Einblicke in Dokumente genommen, die man in dessen Versteck im pakistanischen Abottabad gefunden hat, US-Regierungsmitglieder interviewt, beteiligte Spezialsoldaten getroffen und auch vor Ort in Pakistan recherchiert. Daraus ergibt sich eine spannende Geschichte, die zwei Schwerpunkte aufweist: die Entwicklung von Al-Kaida und die Jagd auf deren Chef.«
Kommentar zu "Die Jagd auf Osama bin Laden"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Jagd auf Osama bin Laden“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Jagd auf Osama bin Laden".
Kommentar verfassen