Die Kündigung
Roman
'Simon Kannstatt ist Top-Manager einer internationalen Investmentfirma. Das heißt, er war. Man hat ihm gekündigt. Für Kannstatt brechen sämtliche Koordinaten zusammen. Er weiß nicht mehr, wohin. Gewohnt, über den Wolken in der Business Class zu leben, ist...
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Produktinformationen zu „Die Kündigung “
'Simon Kannstatt ist Top-Manager einer internationalen Investmentfirma. Das heißt, er war. Man hat ihm gekündigt. Für Kannstatt brechen sämtliche Koordinaten zusammen. Er weiß nicht mehr, wohin. Gewohnt, über den Wolken in der Business Class zu leben, ist er plötzlich nicht mehr fähig, eine Entscheidung zu treffen. Deshalb macht er erstmal weiter, als wäre nichts geschehen. Irgendwann bleibt er dann einfach dort, wo er ist: In der Vielflieger-Lounge des Zürcher Flughafens. Und hebt doch wieder ab, diesmal in Richtung New York und zurück in jene Zeit des Rock n Roll, in der alles noch offen war für ihn. Hubertus Meyer-Burckhardt erzählt in seinem ersten Roman vom Selbstverlust eines Menschen, der nur noch für seine Arbeit lebt. Ironisch gebrochen und mit dem Blick von heute holt er dabei die Ideale der Beat-Generation zurück.
Lese-Probe zu „Die Kündigung “
Die Kündigung von Hubertus Meyer-BurckhardtPROLOG
Altmann wusste, dass die Kündigung Kannstatts im September nicht korrekt abgelaufen war. Es gab juristische Formfehler, die er zu verantworten hatte. Die Motivation für die Trennung hatte er ihm ebenfalls nicht wirklich klar darlegen können. Monate waren seitdem vergangen. Jetzt stand ihm ein abschließendes Treffen mit Kannstatt am Züricher Flughafen bevor. Die Anwälte hatten noch keine endgültige Einigung erzielt. Altmann hatte die Hoffnung, bei einem Treffen mit Kannstatt zwischen den Jahren in Zürich-Kloten, also auf neutralem Boden, die Wogen glätten zu können. Vielleicht schaffte er es diesmal, endlich mit dem Mann ins Gespräch zu kommen, vor dessen Scharfsinn und rücksichtlosem Vorgehen er sich stets gefürchtet hatte.
Kannstatt hingegen dachte darüber nach, das Reden überhaupt einzustellen. Nicht etwa nur für ein paar Tage oder Wochen, sondern für immer. Nach seinem Empfinden leistete die Sprache keinen hilfreichen Beitrag zum Verständnis der Menschen untereinander. Er vermochte sich ohnehin nicht mit Feuilletonisten zu unterhalten, die sich in Konjunktiven und Nebensätzen auslebten. Subjekt, Prädikat, Objekt. Das war seine Welt.
Altmann war in seinen Augen einer dieser Feuilletonisten. Er verstand ihn nicht. Altmanns Worte waren keine Botschaften, die IHN meinten, sondern Waffen, denen er nichts entgegenzusetzen hatte. Hat Jean Gabin in seinen Filmen etwa viel gesprochen? Oder Ventura? Oder John Wayne? Wenn Filmstars in ihren Rollen Projektionsflächen von Sehnsüchten sind, dann kann man sich der Erkenntnis nicht verweigern, dass der Mensch sich nach Entscheidern sehnt, die ihr Handwerk beherrschen und die Welt nicht mit Belanglosigkeiten belästigen.
... mehr
Das Treffen mit Altmann am Flughafen in Zürich sollte schließlich Kannstatts schlimmste Befürchtungen bestätigen (die er bis dahin imstande gewesen war zu unterdrücken): Der Feuilletonist Altmann verpackte in seiner Sonntagsrede die Botschaft, dass er, Kannstatt, zwar noch einmal weitere sechs Monate vom Unternehmen bezahlt werden würde; auch die Abfindung, die anschließend zur Auszahlung kommen solle, sei unstrittig. Jedoch sehe sich der Vorstand derzeit nicht in der Lage, Kannstatt seinen zweifellos bemerkenswerten Fähigkeiten entsprechend weiterhin einzusetzen.
Als Einziger durchgefallen im Abitur.
Simon Kannstatt war niemand, der sich beklagte. Er pflegte sich zusammenzureißen, seit die Trade Winds unberechenbarer waren.
Umso erschütterter war er jetzt, dass Altmann offenbar schon wieder auf dem Weg zu seiner Frau in den Urlaub war, so als wäre nichts passiert. Er umklammerte, im Flughafenrestaurant von Zürich sitzend, einen Becher Kaffee, hielt den Henkel mit den Fingern so fest, dass sie zu schmerzen begannen, und tat dann das, was ihm in den französischen Filmen der 60er Jahre immer so imponierte: Er bestellte mit einer gewissen Beiläufigkeit einen Cognac zum Kaffee. Kannstatt nippte am Glas und ließ die Vermutung zur Gewissheit werden. Er ließ zu, dass dieses Gefühl, ja diese Überzeugung, seinen Kopf, seine Seele, seinen Körper durchflutete: »Mein Chef, immerhin Finanzvorstand eines an der Börse gehandelten Unternehmens, ist eine Niete.«
Kannstatt brach der Schweiß aus. Er erinnerte sich dar an, wie er im Konfirmandenunterricht einmal einem Mädchen imponieren wollte, indem er dem Pfarrer den Satz um die Ohren haute: »Ich glaube nicht an Gott, denn gäbe es ihn, hätte er die Nazis verhindert!« Er erinnerte sich auch daran, dass ihm, obwohl er nichts zu befürchten hatte, in der Stille danach schwarz vor Augen geworden war, dass der Boden zu schwanken schien. Er hatte ein Gesetz gebrochen, das Gesetz der Gefolgschaft. Heute aber wollte er nicht provozieren und auch nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Er wusste, er würde wie jede Woche seine Frau anrufen, um ihr zu berichten, aber er scheute diesen Pflichtanruf. Wie sollte er ihr vermitteln, dass der Mann, der ihr bei der letzten Führungskräftetagung einige Aufmerksamkeit geschenkt hatte, eine Pfeife war? Würde sie ihn zur Loyalität er mahnen? Oder ihn erneut mit einem Sarkasmus, den er hasste, daran erinnern, dass die effektivste Art, den Chef loszuwerden, die berufliche Selbständigkeit sei? Sein Schwager habe ja auf beeindruckende Weise gezeigt, wie weit man es als Unternehmer bringen könne. Weit bringen, eine Formulierung, die ihm so sehr zuwider war, dass er langfristig Hautreaktionen wie etwa Rötungen oder Schuppenflechte nicht mehr ausschließen zu können glaubte. Weit bringen, diese Worte aus dem Munde einer Frau zu hören, die es bis zur medizinisch-technischen Assistentin gebracht hatte und keinen Meter weiter!
Auf gar keinen Fall aber konnte er ihr erzählen, dass ihm gekündigt worden war. Denn erst wenn seine Frau es wüsste, hätte Altmann über ihn gesiegt.
Simon Kannstatt verstand sich als Steuermann der ersten Kategorie, der imstande war, einen Kapitän gleicher Güte zu akzeptieren. »Ein erster Zweiter ist besser als ein zweiter Erster«, pflegte sein früherer Vorgesetzter in Leverkusen zu äußern, wenn er versuchte, den Trainees die Sinnhaftigkeit von Hierarchien in einem international operierenden Konzern zu vermitteln.
Er beschloss, seine Frau erst von London Heathrow aus anzurufen. Dann wären die Kinder vermutlich im Bett. Er wusste, dass der Satz »Mein Chef ist eine Flasche, ein durch und durch überforderter Mann« nicht folgenlos bleiben würde. Nicht an Gott zu glauben, im Alter von sechzehn Jahren, mag verzeihlich sein. Nicht mehr an seinen Vorstand zu glauben, das setzte eine Entwicklung in Gang, die unabsehbar war: Die Loyalität war aufgekündigt!
Er nahm sich vor, von nun an nichts mehr dem Zufall zu überlassen. Er zahlte und ging zur Abflughalle. Dass die Bedienung vergaß, ihm den Cognac zu berechnen, gab ihm das Gefühl, die Dinge wendeten sich zumindest nicht ständig gegen ihn.
Die Business-Class glich einem Feldherrenhügel, auf dem man die Geräusche der Schlacht von ferne wahrnahm. Früher schien sie exterritoriales Gebiet zu sein, sicheres Terrain, auf dem man durchatmen konnte. Später gelangte er zu der Überzeugung, dass die Zeiten sich stetig verschlechterten, und die Business-Class löste bei ihm nur noch die Assoziation Kampfpause aus. Gefechtsstillstand. Aber auch diese Phase war nun vorbei. Er hatte sich angewöhnt, während der Reise strategisch und durchaus kriegerisch zu denken. Das schlug sich selbst in seiner Sprache nieder, mit der er den Wettbewerb erläuterte, dem er sich täglich aussetzte.
Die Reihen waren gut besetzt. Das Management ging offenbar für eine Nacht auf Fronturlaub nach Hause oder ins Hotel. Auch zu dieser späten Stunde irgendwo zwischen Zürich und London entstand kein Gespräch zwischen den Söldnern der Großkonzerne. Kannstatt dachte eine Weile darüber nach, warum die Armeen der Zukunft nicht mehr wie Fußballteams am Trikot zu erkennen sein würden, das angestellte Management aber zunehmend dazu neigte, sich am Revers des Sakkos zu bekennen. Zur Company, zur Nation.
Die Formel 1 der Geschäftswelt benutzte dazu Anstecknadeln. Immerhin. Simon Kannstatt aß nichts und trank nur ein Bier. Um alles in der Welt jetzt einen klaren Kopf behalten! Das niederschmetternde Gefühl und nun die bestätigte Gewissheit, gekündigt worden zu sein. Wie konnte man verhindern, dass es einem unwiederbringlich die Zuversicht nahm? Nein, es galt, die Figuren anzugreifen, die ihm im System am nächsten standen. Wie bei einem Militärputsch: Kommandeur gegen General, den Dolch im Gewand. Das Leben schreibt Geschichte, die berufliche wie die private. Ist die Geschichte unterbrochen, sei es durch Kündigung, sei es durch Scheidung, dann läuft der Gedemütigte Amok. Kannstatt würde jetzt eine Kriegserklärung formulieren. Er stand der Überzeugung nahe, dass Kriege bis zum Ende geführt werden müssen, nicht vorzeitig abgebrochen werden dürfen, denn sonst ist keine Versöhnung möglich.
Die Swiss landete pünktlich in London. Die Maschine entließ die Passagiere ins Flughafengebäude, das man zügig durchquerte, um ein Taxi oder die nächste Underground zu erwischen.
Simon Kannstatt jedoch blieb regungslos in einem der Gänge zum Gepäckband stehen und staunte. Staunte, als sei er zum ersten Mal hier. Die karge Schönheit des Gebäudes hatte er noch nie wahrgenommen. Im Vergleich selbst mit dem kläglichsten Provinzflughafen Deutschlands wirkten die Flughäfen Londons in ihrer Bauweise ärmlich. Betrachtete jedes deutsche Regionalparlament den Flughafen als Visitenkarte seiner Region, so war die englische Regierung ausschließlich an Gewinnmaximierung interessiert. Heathrow war keine Visitenkarte. Heathrow war ein Profitcenter. Kannstatt mochte es, wenn der Kapitalismus sich nicht im Sonntagsstaat lächerlich, sich nicht zum Affen machte. Er hatte gelernt, jedes Unternehmen sofort einzuschätzen. Gewinn- und Verlustrechnung. Deckungsbeiträge. Sie sprangen ihn an. Er mochte es nicht, wenn Investitionen keine vernünftige Absatzbetrachtung zugrunde lagen. Sein Blick wanderte über die unverkleideten Decken des Heathrow Airport, und er nickte anerkennend.
»Sir, hey, Sir ...«
Yes, ja, ja. Er stand im Weg.
Kannstatt nahm in einer ruhigen Ecke des Gebäudes Platz. Er nutzte die Kurzwahl, um seine Frau anzurufen, und es geschah das, womit er gerechnet hatte: Anrufbeantworter. »Hier ist der Anschluss von Lisa, Yvonne und Irene Kannstatt ...«
Er legte auf. Sollte er eine Nachricht dieser Tragweite auf dem Anrufbeantworter hinterlassen? Er wählte erneut, hörte die Stimme seiner Frau, wartete auf die Worte: »Sprechen Sie nach dem Piepton.«
»Irene, bist du da?« - Pause - »Ich will dir sagen, dass ich heute Mittag in Zürich Altmann getroffen habe. Ich soll dich grüßen, übrigens. Er sprach von einer schwierigen Gefechtslage, davon, dass es nötig sei, die Truppenstärke zu reduzieren, das müsse ich verstehen. Und dann, dann habe ich ihn mir zum ersten Mal mit deutlichen Worten zur Brust genommen. Habe ihn gefragt nach all den Deckungsbeiträgen der verschiedenen Konzernbereiche, wollte von ihm wissen, wie sich die Geschäftsentwicklung zum Plan verhält, warum sich gerade sein eigener Vorstandsbereich negativ entwickelt. Die Abweichung ist ja nicht unerheblich. Ich hatte den letzten Geschäftsbericht dabei. Position für Position habe ich abgefragt. Was soll ich dir sagen, Irene? Er hatte die Zahlen nicht mehr präsent. Das gab er auch zu. Niemand habe ihm je so transparent ein wöchentliches Dossier zusammengestellt wie ich. Niemand. Und jetzt lässt er zu, dass das Schiff in rauer See ohne mich, also orientierungslos, vor sich hin schlingert. Ich muss etwas tun, Irene! Ich bin es der Mannschaft schuldig. Manchmal muss man einen Mann opfern, damit alle anderen ...« Kannstatt atmete tief durch.
»Irene, wenn eine bestimmte Entscheidung nicht von Altmann korrigiert wird, muss dieser Mann eliminiert werden. Ich bin zu allem entschlossen. Ende.«
Er hörte den Worten hinterher, die er atemlos auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Er war zufrieden. Nun war es raus. Einen Rückruf erwartete er nicht.
Das Treffen mit Altmann am Flughafen in Zürich sollte schließlich Kannstatts schlimmste Befürchtungen bestätigen (die er bis dahin imstande gewesen war zu unterdrücken): Der Feuilletonist Altmann verpackte in seiner Sonntagsrede die Botschaft, dass er, Kannstatt, zwar noch einmal weitere sechs Monate vom Unternehmen bezahlt werden würde; auch die Abfindung, die anschließend zur Auszahlung kommen solle, sei unstrittig. Jedoch sehe sich der Vorstand derzeit nicht in der Lage, Kannstatt seinen zweifellos bemerkenswerten Fähigkeiten entsprechend weiterhin einzusetzen.
Als Einziger durchgefallen im Abitur.
Simon Kannstatt war niemand, der sich beklagte. Er pflegte sich zusammenzureißen, seit die Trade Winds unberechenbarer waren.
Umso erschütterter war er jetzt, dass Altmann offenbar schon wieder auf dem Weg zu seiner Frau in den Urlaub war, so als wäre nichts passiert. Er umklammerte, im Flughafenrestaurant von Zürich sitzend, einen Becher Kaffee, hielt den Henkel mit den Fingern so fest, dass sie zu schmerzen begannen, und tat dann das, was ihm in den französischen Filmen der 60er Jahre immer so imponierte: Er bestellte mit einer gewissen Beiläufigkeit einen Cognac zum Kaffee. Kannstatt nippte am Glas und ließ die Vermutung zur Gewissheit werden. Er ließ zu, dass dieses Gefühl, ja diese Überzeugung, seinen Kopf, seine Seele, seinen Körper durchflutete: »Mein Chef, immerhin Finanzvorstand eines an der Börse gehandelten Unternehmens, ist eine Niete.«
Kannstatt brach der Schweiß aus. Er erinnerte sich dar an, wie er im Konfirmandenunterricht einmal einem Mädchen imponieren wollte, indem er dem Pfarrer den Satz um die Ohren haute: »Ich glaube nicht an Gott, denn gäbe es ihn, hätte er die Nazis verhindert!« Er erinnerte sich auch daran, dass ihm, obwohl er nichts zu befürchten hatte, in der Stille danach schwarz vor Augen geworden war, dass der Boden zu schwanken schien. Er hatte ein Gesetz gebrochen, das Gesetz der Gefolgschaft. Heute aber wollte er nicht provozieren und auch nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Er wusste, er würde wie jede Woche seine Frau anrufen, um ihr zu berichten, aber er scheute diesen Pflichtanruf. Wie sollte er ihr vermitteln, dass der Mann, der ihr bei der letzten Führungskräftetagung einige Aufmerksamkeit geschenkt hatte, eine Pfeife war? Würde sie ihn zur Loyalität er mahnen? Oder ihn erneut mit einem Sarkasmus, den er hasste, daran erinnern, dass die effektivste Art, den Chef loszuwerden, die berufliche Selbständigkeit sei? Sein Schwager habe ja auf beeindruckende Weise gezeigt, wie weit man es als Unternehmer bringen könne. Weit bringen, eine Formulierung, die ihm so sehr zuwider war, dass er langfristig Hautreaktionen wie etwa Rötungen oder Schuppenflechte nicht mehr ausschließen zu können glaubte. Weit bringen, diese Worte aus dem Munde einer Frau zu hören, die es bis zur medizinisch-technischen Assistentin gebracht hatte und keinen Meter weiter!
Auf gar keinen Fall aber konnte er ihr erzählen, dass ihm gekündigt worden war. Denn erst wenn seine Frau es wüsste, hätte Altmann über ihn gesiegt.
Simon Kannstatt verstand sich als Steuermann der ersten Kategorie, der imstande war, einen Kapitän gleicher Güte zu akzeptieren. »Ein erster Zweiter ist besser als ein zweiter Erster«, pflegte sein früherer Vorgesetzter in Leverkusen zu äußern, wenn er versuchte, den Trainees die Sinnhaftigkeit von Hierarchien in einem international operierenden Konzern zu vermitteln.
Er beschloss, seine Frau erst von London Heathrow aus anzurufen. Dann wären die Kinder vermutlich im Bett. Er wusste, dass der Satz »Mein Chef ist eine Flasche, ein durch und durch überforderter Mann« nicht folgenlos bleiben würde. Nicht an Gott zu glauben, im Alter von sechzehn Jahren, mag verzeihlich sein. Nicht mehr an seinen Vorstand zu glauben, das setzte eine Entwicklung in Gang, die unabsehbar war: Die Loyalität war aufgekündigt!
Er nahm sich vor, von nun an nichts mehr dem Zufall zu überlassen. Er zahlte und ging zur Abflughalle. Dass die Bedienung vergaß, ihm den Cognac zu berechnen, gab ihm das Gefühl, die Dinge wendeten sich zumindest nicht ständig gegen ihn.
Die Business-Class glich einem Feldherrenhügel, auf dem man die Geräusche der Schlacht von ferne wahrnahm. Früher schien sie exterritoriales Gebiet zu sein, sicheres Terrain, auf dem man durchatmen konnte. Später gelangte er zu der Überzeugung, dass die Zeiten sich stetig verschlechterten, und die Business-Class löste bei ihm nur noch die Assoziation Kampfpause aus. Gefechtsstillstand. Aber auch diese Phase war nun vorbei. Er hatte sich angewöhnt, während der Reise strategisch und durchaus kriegerisch zu denken. Das schlug sich selbst in seiner Sprache nieder, mit der er den Wettbewerb erläuterte, dem er sich täglich aussetzte.
Die Reihen waren gut besetzt. Das Management ging offenbar für eine Nacht auf Fronturlaub nach Hause oder ins Hotel. Auch zu dieser späten Stunde irgendwo zwischen Zürich und London entstand kein Gespräch zwischen den Söldnern der Großkonzerne. Kannstatt dachte eine Weile darüber nach, warum die Armeen der Zukunft nicht mehr wie Fußballteams am Trikot zu erkennen sein würden, das angestellte Management aber zunehmend dazu neigte, sich am Revers des Sakkos zu bekennen. Zur Company, zur Nation.
Die Formel 1 der Geschäftswelt benutzte dazu Anstecknadeln. Immerhin. Simon Kannstatt aß nichts und trank nur ein Bier. Um alles in der Welt jetzt einen klaren Kopf behalten! Das niederschmetternde Gefühl und nun die bestätigte Gewissheit, gekündigt worden zu sein. Wie konnte man verhindern, dass es einem unwiederbringlich die Zuversicht nahm? Nein, es galt, die Figuren anzugreifen, die ihm im System am nächsten standen. Wie bei einem Militärputsch: Kommandeur gegen General, den Dolch im Gewand. Das Leben schreibt Geschichte, die berufliche wie die private. Ist die Geschichte unterbrochen, sei es durch Kündigung, sei es durch Scheidung, dann läuft der Gedemütigte Amok. Kannstatt würde jetzt eine Kriegserklärung formulieren. Er stand der Überzeugung nahe, dass Kriege bis zum Ende geführt werden müssen, nicht vorzeitig abgebrochen werden dürfen, denn sonst ist keine Versöhnung möglich.
Die Swiss landete pünktlich in London. Die Maschine entließ die Passagiere ins Flughafengebäude, das man zügig durchquerte, um ein Taxi oder die nächste Underground zu erwischen.
Simon Kannstatt jedoch blieb regungslos in einem der Gänge zum Gepäckband stehen und staunte. Staunte, als sei er zum ersten Mal hier. Die karge Schönheit des Gebäudes hatte er noch nie wahrgenommen. Im Vergleich selbst mit dem kläglichsten Provinzflughafen Deutschlands wirkten die Flughäfen Londons in ihrer Bauweise ärmlich. Betrachtete jedes deutsche Regionalparlament den Flughafen als Visitenkarte seiner Region, so war die englische Regierung ausschließlich an Gewinnmaximierung interessiert. Heathrow war keine Visitenkarte. Heathrow war ein Profitcenter. Kannstatt mochte es, wenn der Kapitalismus sich nicht im Sonntagsstaat lächerlich, sich nicht zum Affen machte. Er hatte gelernt, jedes Unternehmen sofort einzuschätzen. Gewinn- und Verlustrechnung. Deckungsbeiträge. Sie sprangen ihn an. Er mochte es nicht, wenn Investitionen keine vernünftige Absatzbetrachtung zugrunde lagen. Sein Blick wanderte über die unverkleideten Decken des Heathrow Airport, und er nickte anerkennend.
»Sir, hey, Sir ...«
Yes, ja, ja. Er stand im Weg.
Kannstatt nahm in einer ruhigen Ecke des Gebäudes Platz. Er nutzte die Kurzwahl, um seine Frau anzurufen, und es geschah das, womit er gerechnet hatte: Anrufbeantworter. »Hier ist der Anschluss von Lisa, Yvonne und Irene Kannstatt ...«
Er legte auf. Sollte er eine Nachricht dieser Tragweite auf dem Anrufbeantworter hinterlassen? Er wählte erneut, hörte die Stimme seiner Frau, wartete auf die Worte: »Sprechen Sie nach dem Piepton.«
»Irene, bist du da?« - Pause - »Ich will dir sagen, dass ich heute Mittag in Zürich Altmann getroffen habe. Ich soll dich grüßen, übrigens. Er sprach von einer schwierigen Gefechtslage, davon, dass es nötig sei, die Truppenstärke zu reduzieren, das müsse ich verstehen. Und dann, dann habe ich ihn mir zum ersten Mal mit deutlichen Worten zur Brust genommen. Habe ihn gefragt nach all den Deckungsbeiträgen der verschiedenen Konzernbereiche, wollte von ihm wissen, wie sich die Geschäftsentwicklung zum Plan verhält, warum sich gerade sein eigener Vorstandsbereich negativ entwickelt. Die Abweichung ist ja nicht unerheblich. Ich hatte den letzten Geschäftsbericht dabei. Position für Position habe ich abgefragt. Was soll ich dir sagen, Irene? Er hatte die Zahlen nicht mehr präsent. Das gab er auch zu. Niemand habe ihm je so transparent ein wöchentliches Dossier zusammengestellt wie ich. Niemand. Und jetzt lässt er zu, dass das Schiff in rauer See ohne mich, also orientierungslos, vor sich hin schlingert. Ich muss etwas tun, Irene! Ich bin es der Mannschaft schuldig. Manchmal muss man einen Mann opfern, damit alle anderen ...« Kannstatt atmete tief durch.
»Irene, wenn eine bestimmte Entscheidung nicht von Altmann korrigiert wird, muss dieser Mann eliminiert werden. Ich bin zu allem entschlossen. Ende.«
Er hörte den Worten hinterher, die er atemlos auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Er war zufrieden. Nun war es raus. Einen Rückruf erwartete er nicht.
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Autoren-Porträt von Hubertus Meyer-Burckhardt
Hubertus Meyer-Burckhardt, geboren 1956 in Kassel, ist Filmproduzent, Journalist und Medienmanager. Seit 2005 hält er eine Professur an der Hamburg Media School. Gemeinsam mit Barbara Schöneberger ist er Gastgeber der NDR-Talkshow. Er lebt in Hamburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hubertus Meyer-Burckhardt
- 2011, 160 Seiten, Maße: 13,6 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ullstein HC
- ISBN-10: 3550088493
- ISBN-13: 9783550088490
Rezension zu „Die Kündigung “
»Prägnant, berührend und mit feiner Ironie« Börsenblatt »Der TV-Profi versteht auch das Handwerk des Schreibens, führt den Leser immer wieder auf¿s Glatteis, indem er Realität und Traum vermengt und mit Lust an ironischen Zwischentönen davon erzählt, wie es ist, noch einmal ganz neu anzufangen.« Buchjournal, 01/11 »Mit einer Mischung aus Nachdenklichkeit und Witz ein lesenswerter Roman« Financial Times Deutschland, Anja Tiedge, 04.03.11
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