Die Löwin von Kilima
Roman. Originalausgabe
Ein großes Frauenschicksal in einem faszinierenden Land
Kilima, die Farm ihrer Familie am Fuße des Mount Kenia, bedeutet Kim Knudsen mehr als alles andere. Dort verbrachte die studierte Artenschützerin ihre Kindheit, und dort hat sie...
Kilima, die Farm ihrer Familie am Fuße des Mount Kenia, bedeutet Kim Knudsen mehr als alles andere. Dort verbrachte die studierte Artenschützerin ihre Kindheit, und dort hat sie...
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Produktinformationen zu „Die Löwin von Kilima “
Ein großes Frauenschicksal in einem faszinierenden Land
Kilima, die Farm ihrer Familie am Fuße des Mount Kenia, bedeutet Kim Knudsen mehr als alles andere. Dort verbrachte die studierte Artenschützerin ihre Kindheit, und dort hat sie jetzt, nach zehn Jahren in Europa, mit dem Forscher Mark ihr Glück gefunden. Als Kim die Spur einer Löwin im Sand entdeckt, ahnt sie noch nicht, dass diese ihr ganzes Leben verändern wird. Doch dann fällt das Tier einen Gast der Farm an. Plötzlich steht nicht nur Kilima auf dem Spiel, sondern auch Kims große Liebe.
Kilima, die Farm ihrer Familie am Fuße des Mount Kenia, bedeutet Kim Knudsen mehr als alles andere. Dort verbrachte die studierte Artenschützerin ihre Kindheit, und dort hat sie jetzt, nach zehn Jahren in Europa, mit dem Forscher Mark ihr Glück gefunden. Als Kim die Spur einer Löwin im Sand entdeckt, ahnt sie noch nicht, dass diese ihr ganzes Leben verändern wird. Doch dann fällt das Tier einen Gast der Farm an. Plötzlich steht nicht nur Kilima auf dem Spiel, sondern auch Kims große Liebe.
Klappentext zu „Die Löwin von Kilima “
Ein großes Frauenschicksal in einem faszinierenden LandKilima, die Farm ihrer Familie am Fuße des Mount Kenia, bedeutet Kim Knudsen mehr als alles andere. Dort verbrachte die studierte Artenschützerin ihre Kindheit, und dort hat sie jetzt, nach zehn Jahren in Europa, mit dem Forscher Mark ihr Glück gefunden. Als Kim die Spur einer Löwin im Sand entdeckt, ahnt sie noch nicht, dass diese ihr ganzes Leben verändern wird. Doch dann fällt das Tier einen Gast der Farm an. Plötzlich steht nicht nur Kilima auf dem Spiel, sondern auch Kims große Liebe.
Lese-Probe zu „Die Löwin von Kilima “
Als Kim im Busch um die kleine Lichtung nach Feuerholz suchte, senkte sich die Sonne gerade über den drei Gipfeln des Mount Kenia. Die Bergspitze war nach dem Glauben der Kikuyu die Heimat der Wolken und der Sitz ihres Gottes Mungu. Das wusste Kim von ihrem Kindermädchen Juya, der weisen Frau des Stammes. Im Abendlicht färbte sich der graue Fels kupfern und die Ebene von Kilima wie auch der Busch um Kim glühten wie gebrannter Ton. Trotz all ihrer Gefahren war dies die einzige Heimat, die Kim kannte und die ihr ein Gefühl von Geborgenheit gab."Hast du noch was gefunden?", fragte ihr Vetter Chris sie, als sie wieder auf die Lichtung trat. "Warum hast du so lange gebraucht?"
"Ich habe mir den Berg angesehen und von ihm Abschied genommen", sagte Kim.
"Sieh dir nur alles an, bevor du morgen nach England fährst. Dort verschmelzen Himmel und Horizont zu einem einzigen Klumpen Blei", sagte ihr Nachbarssohn Patrick Miller.
"Ist deine Schule weit weg von meiner?", fragte Kim ihn und Patrick nickte mit bedrücktem Gesicht.
"Zwei Stunden Fahrzeit. Ohne eigenes Auto ist die Reise nicht zu machen."
"Ihr solltet euch mal jammern hören. Ich wäre froh, wenn ich nach England in die Schule dürfte", sagte Chris zu Patrick. "Ich darf nur nach Nairobi zu Tante Georgia ziehen und muss dort jeden Morgen ihre stinkenden Hunde striegeln, um mir meinen Unterhalt zu verdienen."
Kim lachte. "So schlimm wird es doch auch nicht sein. Wenigstens kannst du hierbleiben."
Sie versuchte Chris Worten die Spitze zu nehmen, denn sein Vater war der Verwalter der wohlhabenden Millers.
Moto, der junge Massai, hatte während der Unterhaltung zwischen Kim und den beiden Jungen geschwiegen und die Rebhühner auf Stecken gespießt.
"Ich beneide dich", wandte Kim sich an ihn, als er ihr die dünnen Hölzer abnahm und zu einem Haufen stapelte. Die Stecken waren feucht von der langen Regenzeit, aber Moto trug seinen Namen zu Recht und kannte alle Gesetze des Feuers. "Moto" bedeutete
... mehr
"Feuer" auf Swahili. Er rieb zwei Hölzer aneinander, bis Rauch zwischen ihnen aufstieg und er die ersten Funken mit einem trockenen Zweig auffangen konnte.
"Weshalb beneidest du mich?", fragte Moto, ohne den Blick von den Flammen zu lösen.
"Weil du hierbleiben kannst. Weil sich vielleicht etwas ändert, während ich weg bin, und ich Kilima dann nicht mehr verstehe."
Moto erhob sich und zog die rote Shuka fester um seinen sehnigen Körper. Er war in den letzten Monaten sehr gewachsen und überragte sowohl Chris als auch Patrick um Haupteslänge. In zwei Jahren würde er an seinem sechzehnten Geburtstag ein Moran werden, ein junger Krieger.
"Keine Angst. Ich passe gut auf Kilima auf. Du wirst alles hier wiedererkennen", sagte er.
Kilima, "Maulwurfshügel" auf Swahili, beschrieb treffend die Hügel der Farm gegenüber dem Mount Kenia, der die Landschaft beherrschte.
Sie würde ja wiederkommen, dachte Kim. Und eines Tages würde Kilima ihr gehören. Ihren Vater schien es nie gestört zu haben, dass sein einziges überlebendes Kind ein Mädchen war. Kims um eine Minute älterer Zwillingsbruder Ben war im Alter von nur vier Monaten gestorben. Soweit Kim wusste, lag er eines Morgens aus unerklärlichen Gründen tot in ihrem gemeinsamen Bettchen. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihren Eltern beide Kinder ersetzen zu müssen, und das vor allen Dingen für ihre Mutter.
Zu dieser Stunde des Wechsels zwischen Tag und Nacht war es still im Busch um die Kinder. Die kleinen harmlosen Tiere schliefen in der Abendkühle, während die großen Raubtiere sich auf die Nacht und ihre Jagd vorbereiteten. Die Zikaden sangen noch nicht. Moto nannte sie die "Jagdhunde der Sterne". Die Dunkelheit glitt zwischen Kim und ihre Freunde und sie rückten näher an das Feuer heran, das nun hell loderte. Ihre gegenseitige Nähe bildete einen Wall gegen die unberechenbare Welt um sie herum, deren Gefahren sie umso verlockender scheinen ließ.
"Brr. Wie kalt es ist", sagte Patrick Miller und schlang sich die mageren Arme um die Knie. Gänsehaut überzog seine braune Haut und die blonden Härchen richteten sich auf. "Ich habe meinen Pullover vergessen, zu dumm."
"Jetzt fängst du auch schon mit dem Vergessen an", bemerkte Chris.
Kim sah ihren Vetter überrascht an. Die Bemerkung war herzlos. Jeder wusste, dass sowohl Patricks Großvater als auch sein Vater an Huntington litten. Vergesslichkeit war nur eines der frühen Anzeichen dieser Erbkrankheit. Statt Chris zu antworten, hob Patrick Miller vorsichtig einen Käfer von seinem Arm und setzte ihn auf den staubigen Boden.
Ein Wind kam auf und brachte Bewegung in die Wolken und Kim sah nach oben. Mitte August schoss gewöhnlich eine Unzahl an Sternschnuppen über den Kenianischen Himmel. Das Feuer brannte nun hell und Moto stand auf, um aus dem Busch zwei passende Stecken zu brechen, die er als Gabeln rechts und links der Flammen in den Boden steckte. Darauf legte er die beiden Spieße mit den Rebhühnern, die er mit einem einzigen Schuss seiner Steinschleuder erlegt hatte. Das Fleisch begann zu garen. Funken sprühten und Kim wich etwas von dem Lagerfeuer zurück. Moto aber stand auf, sah in die Flammen und begann das Lied der Löwen zu singen, das eigentlich nur die jungen Massai-Krieger lernen durften. Kim lächelte unwillkürlich. Moto machte ihr damit zum Abschied das größte Geschenk, das ihm zu geben möglich war.
Als er zu Ende gesungen hatte, kniete er wieder nieder und drehte die Vögel über den Flammen um. Selbst bei dieser Tätigkeit setzte er seinen Fuß wie ein Jäger auf: Die Zehen hatte er tief in die rote Erde gedrückt, während die Ferse vom Boden zu schnellen schien. Kims eigene Fußspur wirkte flach dagegen. "Du läufst wie ein dicker, müder Pavian, Kim", sagte Moto immer. "Patsch, patsch, patsch."
In der Stille, die dem Lied folgte, hörte Kim Vögel zwitschern. Wie seltsam, es war doch schon dunkel. Normalerweise steckten alle Vögel um diese Zeit bereits ihre Köpfe unter die Flügel und schwiegen bis zum Morgengrauen. Sie ließ ihre Taschenlampe aufflammen und suchte die Zweige der umliegenden Fieberbäume ab. Der Lichtstrahl traf eine Gruppe von Vögeln, wie Kim sie noch nie gesehen hatte. Ihr Gefieder war von intensivem Blau und ihr Gesang war süß und melodisch. Kim wollte sie nicht durch das Licht aufschrecken und so schaltete sie die Taschenlampe aus und die Dunkelheit verschluckte die Vögel wieder. Man hörte nur noch ihr Gezwitscher, als Kim sich wieder dem Lagerfeuer zuwandte.
"Brate sie gar, Moto. Kein Blut bitte", sagte Chris gerade. "Uns schmeckt nicht allen, was dir schmeckt."
Was war heute Abend nur in ihren Vetter gefahren? So kannte Kim ihn gar nicht. Was sollte diese Anspielung auf die Sitte der Massai, Ochsenblut mit Milch zu einer gallertartigen, süßen Masse zu vermischen und zu trinken? Das war ihre Hauptnahrung und das machte sie ihrer eigenen Überzeugung nach zu den schönsten Menschen der Welt.
Doch ehe Kim etwas erwidern konnte, zerriss ein Geräusch die Stille um sie herum. Es klang rau und ursprünglich.
Moto sprang auf und griff nach seinem langen Stecken, während Patrick den Atem anzuhalten schien und Chris Moto gespannt ansah. Der legte einen Zeigefinger auf die Lippen.
"Simba", flüsterte er. Ein Löwe. Er blickte in die Richtung des dornigen Busches. Patrick rutschte näher an die Flammen heran, entzündete einen Zweig am Lagerfeuer und ließ damit eine der Gaslampen aufflammen. Motten flatterten herbei und verglühten mit einem leisen Zischen im Licht.
"Hat der Löwe keine Angst vor dem Feuer?", fragte er leise.
"Das kommt darauf an, wie hungrig er ist", sagte Chris. Er griff nach seiner Panga, einer leicht gebogenen und scharf geschliffenen Machete, und stellte sich neben Moto.
Die Katze rief wieder. Es klang nahe und drohend. Kim sprang auf und drückte sich an Moto. Seine Haut roch nach einer Paste aus Fett, Asche und Ocker. Der Duft beruhigte sie ein wenig, obwohl ihr die Gefahr mehr als bewusst war. Was, wenn dort in der Dunkelheit ein ganzes Rudel Löwen unterwegs war, die ihre Witterung aufgenommen hatten? Kims kleine doppelläufige Holland & Holland-Flinte, die sie von ihrer Urgroßmutter geerbt hatte, lag neben ihr im Sand und sie bückte sich vorsichtig nach ihr. Wenigstens etwas.
"Das ist hier eigentlich kein Gebiet für Löwen", flüsterte Chris.
"Woher willst du das wissen?", fragte Kim.
"Weil ich jeden Krumen Erde hier kenne. Weil ich ebenso wie du mein Leben hier verbracht habe. Weil ich hierher gehöre, so wie du."
"Löwen haben vier Pfoten. Daher können sie bekanntermaßen eine vor die andere setzen und wandern", entgegnete Kim.
"Still", befahl Moto. Kim und Chris verstummten sofort. Sie alle waren schließlich hier aufgewachsen und konnten das Ausmaß der Bedrohung einschätzen. Sie waren bewaffnet und sie wussten, was zu tun war. Nun hieß es, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Der Löwe rief wieder, jedoch diesmal aus größerer Entfernung, wie es schien. Es klang missmutig, als müsse er einen gefassten Plan fallen lassen.
"Das Tier jagt alleine", sagte Moto heiser. "und es entfernt sich von uns."
Kim war erleichtert. Chris ging in die Knie und Patrick wollte die Lampe in Richtung des Busches anheben. Moto aber legte ihm die Hand auf den Arm.
"Pst. Rührt euch nicht. Noch nicht. Vielleicht ist es ein Simba Mtu", flüsterte er.
"Ein Simba Mtu? Was soll das heißen, ein Löwenmensch?", fragte Kim.
"Eine jagende, getriebene Seele", sagte Moto leise. Er schien sich etwas zu entspannen. "Er ist verzaubert worden."
"Du meinst, verflucht?", fragte Kim.
Moto schüttelte den Kopf. "Nicht unbedingt. Viele halten einen Simba Mtu auch für auserwählt. Tagsüber sind sie Menschen wie wir. Aber in der Nacht gleiten sie in das Fell der Löwen. Es ist ein mächtiges Tier mit langen Klauen und einer schwarzen Mähne, wenn es ein Männchen ist. Die Weibchen dagegen jagen schneller als der Wind und töten mit einem Schlag. Sie nehmen Rache für getanes Unrecht oder schützen einen geliebten Menschen. Doch manchmal schlagen sie auch ohne einen für uns ersichtlichen Grund zu. Ihre Wege sind undurchschaubar."
"Na, du musst das ja wissen", sagte Chris. Er kauerte sich vor das Feuer. "Ein Massai, der nicht mehr jagen darf, ist auch so eine verfluchte Seele. Du wirst auch mal ein Simba Mtu, Moto." Der ausgestandene Schrecken machte ihn wagemutig. Er nahm einen der Spieße vom Feuer und hielt das duftende Fleisch in die Dunkelheit.
"He, Simba Mtu. Komm essen. Chakulla, Chakulla mingi sana, Essen, ganz viel Essen", rief er.
Moto nahm ihm den Spieß aus der Hand und legte ihn wieder über die Flammen. "Wie kannst du nur so dumm sein? Willst du uns alle umbringen? Der Duft wird ihn wieder anlocken."
"Sprich nicht so mit mir", warnte Chris ihn. "Dein Simba Mtu kann meinethalben mit den bluttrinkenden Fledermäusen des Mount Kenia Versteck spielen. Das sind doch alles Hirngespinste."
Moto und Chris fixierten einander. Keiner wollte den Blick zuerst senken und damit nachgeben. Chris sagte leise etwas zu Moto. Kim versuchte ihn zu verstehen, aber es war Maa, die subtile und doppeldeutige Sprache der Massai, die er so gut wie akzentfrei sprach.
"Schluss jetzt", sagte Patrick. Er ließ die Klinge an seinem Taschenmesser aufspringen und stach prüfend in die beiden Vögel. "Das Essen ist fertig."
Er begann, die Vögel zu zerlegen.
"Ich nehme einen Flügel", kündigte Kim an.
"Simba Mtu. Da lachen ja die Hühner", murrte Chris noch, als er sich neben Kim setzte.
"Du wirst schon sehen", meinte Moto und ließ sich ihnen gegenüber am Feuer nieder. "Ihr werdet alle noch sehen. Es gibt den Simba Mtu."
"Schluss mit dem Streit. Das ist unser letzter gemeinsamer Abend für sehr lange Zeit", sagte Kim bestimmt. "Gott sei Dank ist der Löwe weg, verzauberte Seele oder nicht."
"Du hast Recht", stimmte Chris zu. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. "Du wirst mir und Kilima fehlen. Darf ich dir ein Gedicht aufsagen?"
"Welches denn?", fragte sie erfreut. Chris liebte Poesie und lernte Gedichte akzentfrei, selbst in Sprachen, die er nicht verstand. Die Schönheit der Worte, sagte er, war dennoch offensichtlich.
"Es geht darin nicht um einen Simba Mtu, sondern um einen Panther."
"Ich höre dir zu", erklärte Kim erwartungsvoll.
Chris stand auf, räusperte sich und legte sich eine Hand auf die Brust, ehe er mit voller Stimme deklamierte:
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe So müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und Hinter tausend Stäben keine Welt.
Er stockte, ehe er zuversichtlich fortfuhr: "Vielleicht wird es dir im Internat auch so gehen, denn Kilima wird dir furchtbar fehlen. Aber hinter deinen Stäben gibt es eine Welt, und der Käfig wird sich wieder öffnen."
Kim streckte stumm ihre Hand nach der seinen aus und spürte den freundschaftlichen Druck seiner Finger. Im Haupthaus arbeitete ihre Mutter wohl noch in ihrem Atelier und sie würde sich morgen von ihr verabschieden können. Ihr Vater schlief sicher irgendwo, wo er es ganz gewiss nicht sollte. Sie selbst aber saß hier bei den Menschen, die immer für sie da sein würden. Daran konnte nichts und niemand etwas ändern. Sie würden, wenn sie aus England zurückkehrte, alle in Frieden auf Kilima leben. So sollte es immer sein.
Kapitel 1 Als Kim die Spur der Löwin zum ersten Mal sah, wusste sie nicht, was dies für sie alle auf Kilima bedeuten würde. Der schwache Abdruck im sandigen Erdboden, nahe einem der letzten Wasserlöcher während der Trockenzeit auf der Farm, veränderte ihr Leben für immer.
Vor zehn Jahren hatte sie Kilima als junges Mädchen verlassen und war nur in den Ferien auf die Farm zurückgekehrt. Nun aber war sie gekommen, um zu bleiben. Das Studium des Artenschutzes und die Leitung von Wildreservaten in Canterbury hatten ihr Spaß gemacht, und die Zeit in der kleinen Stadt mit ihrer weltbekannten Kathedrale war schön gewesen. Vielleicht aber, dachte Kim später, hatten die Jahre dort sie etwas Wesentliches vergessen lassen: In Afrika waren die Dinge selten so, wie sie zu sein schienen. In der Mittagshitze hielt einen die flirrende Luft zum Narren. Wo nur trockener Sand war, glitzerte ein See. Wo kein Leben war, zogen Herden von Tieren vorbei. Genauso war es andersherum: Aus der Entfernung konnte einem die Steppe leer vorkommen. Aber wenn das Auge sich an den Anblick gewöhnt hatte, wimmelte es dort vor Leben.
Kim hatte die Löwin in den frühen Morgenstunden rufen hören. Das Tier musste am Wasserloch gelauert haben, das unweit des Hauses auf einer kleinen Lichtung im Busch lag. Trotz der langen Trockenzeit konnten sich die Tiere dort noch erfrischen und sie sammelten sich in den kühlen Abendstunden in großer Zahl. Idealere Jagdbedingungen konnte sich eine große, hungrige Katze kaum wünschen. Vor Aufregung vermochte Kim nicht mehr einzuschlafen und stand nun auf der Terrasse des kleinen Bungalows, den ihr Vater ihr als Willkommensgeschenk gebaut hatte. Es war ihr eigenes Reich, das zum Schutz gegen Schlangen und Skorpione nach Art der ersten Siedlerhäuser auf Stelzen inmitten der gut dreißigtausend Hektar von Kilima stand. Kim hatte sich die Stelle in den letzten Semesterferien selbst ausgesucht und ihrem Vater und dem Architekten dabei geholfen, den Grundriss zu entwerfen. Das Herzstück war das geräumige Wohnzimmer, das man über wenige Stufen und eine langgezogene Veranda betrat, und von dem die Küche und ein Gang zum Schlafzimmer und Bad abgingen. Insgesamt war der Bungalow nicht groß, aber Kim war das gerade recht. Gäste konnten im Haupthaus bei ihren Eltern unterkommen.
Sie hatte sich einen Tee nach Art der Kikuyu zubereitet: Die Teeblätter kamen direkt in die kochende Milch und dann wurde soviel Zucker dazu gelöffelt, wie Kim es vor ihrem Zahnarzt verantworten konnte. Das weiße Licht des Morgens wich gerade erst den Farben. Es musste kurz nach sieben sein. Kim brauchte keine uhr, der Ablauf der Tage und der Jahreszeiten am Äquator war so gleichmäßig, dass man die Zeit ziemlich genau schätzen konnte.
War es wirklich eine Löwin gewesen, die sie gehört hatte? Wenn ja, so musste sie Spuren im Busch um das Wasserloch hinterlassen haben. Oder sie lauerte noch im hohen Gras. Die großen Katzen waren selten hier oben um den Mount Kenia. Sie konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, entschied Kim, und stellte die Tasse auf dem Verandatisch ab. Sollte sie Moto anrufen, damit er sie begleitete? Nein. Sie würde es alleine wagen. Vielleicht spürte sie die Löwin ja tatsächlich auf und konnte Moto und ihrem Vater stolz von ihrem Erfolg berichten.
"Bis später, Misty", sagte sie zu ihrem zahmen Affen. Dieser griff gerade nach der Tasse und schüttete den Inhalt auf den Boden, ehe Kim einschreiten konnte.
"Du machst deinem Namen wieder alle Ehre", schimpfte sie. Sie hatte den jungen verwaisten Colabusaffen an den unteren Hängen des Mount Kenia gefunden, aber sein Name leitete sich nicht vom Nebel des Berges ab, sondern von der Tatsache, dass er ein richtiges Miststück war. Der Tee, der noch in der Tasse gewesen war, formte eine Lache auf dem Zement, die in Windeseile alle Siafu-Ameisen der Umgebung anziehen würde. Die bissigen, roten und mehr als zentimeterlangen Ameisen suchten sich an Mensch oder Tier immer die weichste und wärmste Stelle aus, wo sie ihrem Opfer dann ganze Stücke Fleisch ausrissen. Kim zog das bunt gestreifte Kikoituch vom Verandatisch und ging in die Knie.
"Das Letzte, was ich hier im Haus brauche, sind Siafus. Erwachsene Männer springen schreiend aus ihren Hosen, weil sie Siafus zwischen den Beinen hatten, merk dir das", schimpfte sie mit Misty, der ungerührt keckerte.
"Ich gehe jetzt los", sagte Kim, nachdem sie die Lache aufgewischt hatte. Es war tröstlich, sich wenigstens von einem Affen verabschieden zu können, selbst wenn er einen schlechten Charakter hatte. Was ihr Verhältnis zu Männern anging, hatte Kim bislang keine besonderen Erfolge vorzuweisen. Aber sie machte sich keine Sorgen, der Richtige würde selbst hier auf der abgelegenen Farm schon noch kommen.
Kim schulterte die kleine, doppelläufige Holland & Holland, die sie von ihrer dänischen Urgroßmutter, der Gründerin von Kilima, die ebenfalls Kim hieß, geerbt hatte, zog sich die dicken Socken zum Schutz gegen die Dornen über die Schienbeine und ging los. Eidechsen klebten noch starr auf den Steinen des Gartens, als Kim vor das Gatter trat, das das Wild aus ihren Gemüsebeeten fernhalten sollte. Sie sah kurz hinüber zum Mount Kenia, aus dessen dicht bewaldeten Hängen Nebel stieg, der sich weiter oben mit graugescheckten Wolken vermischte. Sie waren ein leeres Versprechen: Die Trockenzeit dauerte schon zu lange an und ihre gnadenlose Hitze schien allen hier im Hochland buchstäblich das Hirn aus dem Kopf zu brennen. Kilimas Böden hatten die Farbe von gebranntem Ton angenommen und die Welt schien ohne Gerüche.
Nach wenigen Schritten bog Kim von der groben Piste, die zu ihrem Haus führte, in den Busch hinein ab, wo das Wasserloch ungefähr zehn Minuten Fußmarsch von ihrem Haus entfernt verborgen lag. Die trockenen Zweige der Bäume hingen voll dorniger, hohler Früchte, in denen sich der Wind fing und ein pfeifendes Geräusch verursachte.
Mehr und mehr kam ihr der Ruf der Löwin nun wie einer der lebhaften Träume vor, wie die dünne Luft sie verursachen konnte. Kim hielt ihren Blick aufmerksam auf den unebenen Boden geheftet, je weiter sie sich vom Haus entfernte. Die Spur konnte überall zwischen den vertrockneten Grasbüscheln und knorrigen Wurzeln sein, die sich wie Adern durch den Sand zogen. Zuerst war der Busch noch voller Leben. Kleine Vögel mit leuchtend blauen Federn saßen in den Zweigen der Büsche und zwitscherten melodisch. Im Unterholz konnte Kim zwei Dikdik ausmachen, Zwergantilopen, die perfekt getarnt waren. Zikaden, Schmetterlinge und schillernde Käfer hingen an den Gräsern. Je weiter Kim jedoch ging und je mehr sie sich dem Wasserloch näherte, um so mehr ließen auch die Geräusche nach.
Sie verlangsamte ihren Schritt und lauschte in die Stille, die im Busch keinen Frieden, sondern eine Warnung bedeutete. Sogar die Vögel mit dem blauen Gefieder waren verstummt. Ihr Blick suchte weiter den Boden ab, während sich auf ihren Armen eine Gänsehaut bildete. Sie spürte, dass sie gleich etwas finden würde. Bei unzähligen Pirschgängen mit Moto hatte sich dieser Instinkt entwickelt und die Vorahnung verursachte ihr ein Kribbeln im Nacken. Sie setzte behutsam einen Fuß vor den anderen, als vor ihr eine Wolke von Fliegen aus dem hohen Gras aufstieg. Kim erschrak und verjagte die Insekten mit schnellen Handbewegungen. Das konnte nur eines bedeuten: Sie machte noch einen Schritt und sah zu ihren Füßen einen blutigen Kadaver liegen. Kim zog scharf die Luft ein, ging in die Knie und untersuchte ihn.
"Hm. Ein junges Zebra", murmelte sie und der Laut ihrer eigenen Stimme erschreckte sie. Ihr wurde bewusst, wie alleine sie hier draußen war und dass sie mit dem Busch nicht mehr so vertraut war wie früher. Die Löwin könnte hier in der Nähe sein und sie im hohen Gras belauern.
Sie betastete den Kadaver. Nein, das Blut an dem Fell des toten Tieres war beinahe getrocknet. Es musste also in der Nacht gerissen worden sein, entschied sie, stand wieder auf und nahm das Gewehr von ihrer Schulter, ließ es jedoch noch gesichert.
Da sah sie zwischen den von der Sonne verbrannten Gräsern im sandigen Grund die erste Spur. Es war der Abdruck von drei ganzen Pfoten und einer halben, die zu schleifen schien. Offenbar war die Löwin verletzt und trat nicht voll auf. Vielleicht war sie in einen Dorn getreten und die Wunde hatte sich infiziert. Ihre Verwundung machte für die Katze die leichte Beute, die am Wasserloch zu erwarten war, noch attraktiver. Kim folgte der Spur mit den Augen, bis sie sich im Busch verlor. Unwillkürlich wurde ihre Kehle trocken und die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Wenn doch Moto bei ihr wäre! Sie hätte auf ihn warten sollen, schalt sie sich und ging doch, wie einem stummen Ruf folgend, weiter in den Busch hinein, wo sich die unregelmäßige Spur verlor.
Unter Kims Fuß knackte ein Zweig, und sie fuhr herum. Ihr Herz schlug hart in der Brust, als sie die Waffe in Anschlag nahm und sie entsicherte. Die Löwin konnte ohne jede Warnung aus dem Busch hervorbrechen und sie mit ihrem schieren Gewicht zu Boden reißen. Verletzt waren die Tiere aggressiv und mutiger als sonst und Kim hätte trotz ihrer Waffe keine Chance gegen sie. Doch sie nahm allen Mut zusammen und bog die Zweige beiseite. Auf dem sandigen Boden zu ihren Füßen konnte sie deutlich eine Kuhle erkennen, wo die Löwin wohl gelegen hatte, und sie legte die flache Hand in die Mulde. Der Sand war kühl und wirkte unberührt, doch ein Baumstumpf, der in der letzten Regenzeit vom Blitz getroffen und gespalten worden war, glänzte feucht neben dem Abdruck des Tierkörpers. War es Tau, Harz oder etwas anderes, das den Glanz erzeugte? Kim legte ihre Waffe neben sich in den Sand und presste ihre Nase an den Stamm, um seinen Geruch tief einzusaugen. Er roch scharf nach Ammoniak.
"Katzenpisse", entfuhr es ihr.
Allzu weit konnte die Löwin nicht gekommen sein, wenn der Stamm noch feucht war. Sie wollte gerade wieder aufstehen, da fragte eine männliche Stimme hinter ihr:
"Riecht das gut?"
Kim fuhr herum. Hinter ihr stand ein Mann, den sie nicht kannte.
"Habe ich Sie erschreckt? Entschuldigung. Ich dachte, eine Frau, die hier alleine herumgeht, wäre nicht besonders furchtsam."
Er schob sich seinen ausgebeulten Filzhut in den Nacken. Seine Haare, die ihm über die Ohren fielen, waren fast so schwarz wie ihre eigenen. Seine Haut war dunkel und er wirkte wie ein Indianer. Federn im Haar hätten ihm sicher gut gestanden. Er rückte den Hut wieder zurecht, so dass sie im Schatten der Krempe seine Augen nicht erkennen konnte.
Kim griff nach ihrer Waffe, sicherte sie wieder und stand auf. Das Gewehr des Fremden steckte in einem Futteral auf seinem Rücken, während er um seinen Hals ein Fernglas trug. An ihren Knien klebte noch der vom Katzenurin feuchte Sand, wie sich Kim plötzlich unter seinem prüfenden Blick bewusst wurde.
"Ich suche nach Spuren", sagte sie so selbstsicher wie möglich und spürte dennoch, wie sie rot wurde. Das war auch ein Erbe ihrer Urgroßmutter: Ihre sehr helle Haut, die sie vor der Sonne schützen musste und die sich bei jeder Gelegenheit, oder eher Verlegenheit, rötete. Sie ließ sich ihre halblangen, dunklen Haare vor das Gesicht fallen und versuchte gleichzeitig, sich den klebrigen Sand von ihren Knien zu klopfen.
"und wie gründlich Sie das tun", entgegnete der Mann. Er kam näher, und Kim bemerkte, wie groß er war. Sie reichte ihm in ihren flachen Bata Boots gerade mal bis zum Oberarm.
"Sie haben mich nicht erschreckt", sagte sie, aber ihre Stimme klang seltsam zittrig. "Ich habe bloß nicht erwartet, jemanden zu treffen."
"Und, haben Sie die Spuren gefunden, die Sie gesucht haben?"
"Ja. Den Urin einer Löwin."
Kim hob den Kopf, um ihm ins Gesicht zu blicken. Er lachte, und Kim bemerkte seine weißen Eckzähne, die so spitz wie bei einem Wolf aussahen. Es war ein angenehmes Lachen, das tief aus seiner Brust kam.
"So, so. Den Urin einer Löwin also", wiederholte er.
Kim errötete zu ihrem Ärger noch mehr. Unter dem Schatten seiner Hutkrempe konnte sie nun seine grünen Augen erkennen, die spöttisch funkelten. Ihre Farbe erinnerten sie an Blätter nach dem Regen.
"Urin ist ein wesentlicher Dünger für viele Pflanzen und Nahrung für kleine Insekten", sagte sie heftig. Endlich war es ihr gelungen, sich die Knie mit der Seite ihre Schuhsohle zu reinigen, aber sie verlor dabei beinahe ihr Gleichgewicht. Der Mann stützte sie gerade noch mit einem festen Griff um ihren Unterarm. Seine Hand fühlte sich warm und stark an. Kim hielt ob der plötzlichen Berührung die Luft an und auch der Fremde blickte kurz verwirrt auf seine Hand, ehe er sie zurückzog und sie sich dann wie zum Schwur auf die Brust legte.
"Ich verehre Insekten. Vor allen Dingen kleine", verkündete er feierlich.
Ja, ganz sicher, er machte sich über sie lustig, dachte Kim. Ehe sie ihm jedoch eine schnippische Antwort geben konnte, streckte er seine Hand wieder aus und Kim ergriff sie überrascht. Sein Händedruck war fest, aber nicht zu fest.
"Ich heiße Mark. Ich arbeite seit einigen Wochen bei Rosie am Fluss."
Er musste ungefähr zur selben Zeit wie Kim auf Kilima angekommen sein. Bei Rosie, die eigentlich Maria-Agneta Rosenkranz hieß, aber deren Name allen viel zu kompliziert war, arbeiteten immer mehrere Forscher gleichzeitig und blieben zumeist etwas über ein Jahr. Rosie hatte auf Kilima ein Reservat für Schimpansen aufgebaut, die in Kenia nicht heimisch waren. Sie reiste durch ganz Afrika, rettete die Tiere aus zu engen Käfigen in verrauchten Restaurants oder zahlte Tierfängern dank großzügiger Spenden aus Amerika das Doppelte von dem, was ihre Auftraggeber ihnen boten. Mittlerweile hausten in ihrem weitläufigen Gelände unten am Fluss an die dreißig Affen und die jährliche Ankunft der neuen Mitarbeiter sorgte immer für Trubel auf Kilima.
"Mein Name ist Kim", sagte sie und musterte ihn dabei. Er wirkte eigentlich schon zu alt, um noch bei Rosie anzuheuern. In dem Alter hatten andere Wissenschaftler schon lange ihr eigenes Projekt und ihre eigenen Mittel.
"Kim. Das ist ein schöner Name. Ungewöhnlich."
"Weshalb beneidest du mich?", fragte Moto, ohne den Blick von den Flammen zu lösen.
"Weil du hierbleiben kannst. Weil sich vielleicht etwas ändert, während ich weg bin, und ich Kilima dann nicht mehr verstehe."
Moto erhob sich und zog die rote Shuka fester um seinen sehnigen Körper. Er war in den letzten Monaten sehr gewachsen und überragte sowohl Chris als auch Patrick um Haupteslänge. In zwei Jahren würde er an seinem sechzehnten Geburtstag ein Moran werden, ein junger Krieger.
"Keine Angst. Ich passe gut auf Kilima auf. Du wirst alles hier wiedererkennen", sagte er.
Kilima, "Maulwurfshügel" auf Swahili, beschrieb treffend die Hügel der Farm gegenüber dem Mount Kenia, der die Landschaft beherrschte.
Sie würde ja wiederkommen, dachte Kim. Und eines Tages würde Kilima ihr gehören. Ihren Vater schien es nie gestört zu haben, dass sein einziges überlebendes Kind ein Mädchen war. Kims um eine Minute älterer Zwillingsbruder Ben war im Alter von nur vier Monaten gestorben. Soweit Kim wusste, lag er eines Morgens aus unerklärlichen Gründen tot in ihrem gemeinsamen Bettchen. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihren Eltern beide Kinder ersetzen zu müssen, und das vor allen Dingen für ihre Mutter.
Zu dieser Stunde des Wechsels zwischen Tag und Nacht war es still im Busch um die Kinder. Die kleinen harmlosen Tiere schliefen in der Abendkühle, während die großen Raubtiere sich auf die Nacht und ihre Jagd vorbereiteten. Die Zikaden sangen noch nicht. Moto nannte sie die "Jagdhunde der Sterne". Die Dunkelheit glitt zwischen Kim und ihre Freunde und sie rückten näher an das Feuer heran, das nun hell loderte. Ihre gegenseitige Nähe bildete einen Wall gegen die unberechenbare Welt um sie herum, deren Gefahren sie umso verlockender scheinen ließ.
"Brr. Wie kalt es ist", sagte Patrick Miller und schlang sich die mageren Arme um die Knie. Gänsehaut überzog seine braune Haut und die blonden Härchen richteten sich auf. "Ich habe meinen Pullover vergessen, zu dumm."
"Jetzt fängst du auch schon mit dem Vergessen an", bemerkte Chris.
Kim sah ihren Vetter überrascht an. Die Bemerkung war herzlos. Jeder wusste, dass sowohl Patricks Großvater als auch sein Vater an Huntington litten. Vergesslichkeit war nur eines der frühen Anzeichen dieser Erbkrankheit. Statt Chris zu antworten, hob Patrick Miller vorsichtig einen Käfer von seinem Arm und setzte ihn auf den staubigen Boden.
Ein Wind kam auf und brachte Bewegung in die Wolken und Kim sah nach oben. Mitte August schoss gewöhnlich eine Unzahl an Sternschnuppen über den Kenianischen Himmel. Das Feuer brannte nun hell und Moto stand auf, um aus dem Busch zwei passende Stecken zu brechen, die er als Gabeln rechts und links der Flammen in den Boden steckte. Darauf legte er die beiden Spieße mit den Rebhühnern, die er mit einem einzigen Schuss seiner Steinschleuder erlegt hatte. Das Fleisch begann zu garen. Funken sprühten und Kim wich etwas von dem Lagerfeuer zurück. Moto aber stand auf, sah in die Flammen und begann das Lied der Löwen zu singen, das eigentlich nur die jungen Massai-Krieger lernen durften. Kim lächelte unwillkürlich. Moto machte ihr damit zum Abschied das größte Geschenk, das ihm zu geben möglich war.
Als er zu Ende gesungen hatte, kniete er wieder nieder und drehte die Vögel über den Flammen um. Selbst bei dieser Tätigkeit setzte er seinen Fuß wie ein Jäger auf: Die Zehen hatte er tief in die rote Erde gedrückt, während die Ferse vom Boden zu schnellen schien. Kims eigene Fußspur wirkte flach dagegen. "Du läufst wie ein dicker, müder Pavian, Kim", sagte Moto immer. "Patsch, patsch, patsch."
In der Stille, die dem Lied folgte, hörte Kim Vögel zwitschern. Wie seltsam, es war doch schon dunkel. Normalerweise steckten alle Vögel um diese Zeit bereits ihre Köpfe unter die Flügel und schwiegen bis zum Morgengrauen. Sie ließ ihre Taschenlampe aufflammen und suchte die Zweige der umliegenden Fieberbäume ab. Der Lichtstrahl traf eine Gruppe von Vögeln, wie Kim sie noch nie gesehen hatte. Ihr Gefieder war von intensivem Blau und ihr Gesang war süß und melodisch. Kim wollte sie nicht durch das Licht aufschrecken und so schaltete sie die Taschenlampe aus und die Dunkelheit verschluckte die Vögel wieder. Man hörte nur noch ihr Gezwitscher, als Kim sich wieder dem Lagerfeuer zuwandte.
"Brate sie gar, Moto. Kein Blut bitte", sagte Chris gerade. "Uns schmeckt nicht allen, was dir schmeckt."
Was war heute Abend nur in ihren Vetter gefahren? So kannte Kim ihn gar nicht. Was sollte diese Anspielung auf die Sitte der Massai, Ochsenblut mit Milch zu einer gallertartigen, süßen Masse zu vermischen und zu trinken? Das war ihre Hauptnahrung und das machte sie ihrer eigenen Überzeugung nach zu den schönsten Menschen der Welt.
Doch ehe Kim etwas erwidern konnte, zerriss ein Geräusch die Stille um sie herum. Es klang rau und ursprünglich.
Moto sprang auf und griff nach seinem langen Stecken, während Patrick den Atem anzuhalten schien und Chris Moto gespannt ansah. Der legte einen Zeigefinger auf die Lippen.
"Simba", flüsterte er. Ein Löwe. Er blickte in die Richtung des dornigen Busches. Patrick rutschte näher an die Flammen heran, entzündete einen Zweig am Lagerfeuer und ließ damit eine der Gaslampen aufflammen. Motten flatterten herbei und verglühten mit einem leisen Zischen im Licht.
"Hat der Löwe keine Angst vor dem Feuer?", fragte er leise.
"Das kommt darauf an, wie hungrig er ist", sagte Chris. Er griff nach seiner Panga, einer leicht gebogenen und scharf geschliffenen Machete, und stellte sich neben Moto.
Die Katze rief wieder. Es klang nahe und drohend. Kim sprang auf und drückte sich an Moto. Seine Haut roch nach einer Paste aus Fett, Asche und Ocker. Der Duft beruhigte sie ein wenig, obwohl ihr die Gefahr mehr als bewusst war. Was, wenn dort in der Dunkelheit ein ganzes Rudel Löwen unterwegs war, die ihre Witterung aufgenommen hatten? Kims kleine doppelläufige Holland & Holland-Flinte, die sie von ihrer Urgroßmutter geerbt hatte, lag neben ihr im Sand und sie bückte sich vorsichtig nach ihr. Wenigstens etwas.
"Das ist hier eigentlich kein Gebiet für Löwen", flüsterte Chris.
"Woher willst du das wissen?", fragte Kim.
"Weil ich jeden Krumen Erde hier kenne. Weil ich ebenso wie du mein Leben hier verbracht habe. Weil ich hierher gehöre, so wie du."
"Löwen haben vier Pfoten. Daher können sie bekanntermaßen eine vor die andere setzen und wandern", entgegnete Kim.
"Still", befahl Moto. Kim und Chris verstummten sofort. Sie alle waren schließlich hier aufgewachsen und konnten das Ausmaß der Bedrohung einschätzen. Sie waren bewaffnet und sie wussten, was zu tun war. Nun hieß es, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Der Löwe rief wieder, jedoch diesmal aus größerer Entfernung, wie es schien. Es klang missmutig, als müsse er einen gefassten Plan fallen lassen.
"Das Tier jagt alleine", sagte Moto heiser. "und es entfernt sich von uns."
Kim war erleichtert. Chris ging in die Knie und Patrick wollte die Lampe in Richtung des Busches anheben. Moto aber legte ihm die Hand auf den Arm.
"Pst. Rührt euch nicht. Noch nicht. Vielleicht ist es ein Simba Mtu", flüsterte er.
"Ein Simba Mtu? Was soll das heißen, ein Löwenmensch?", fragte Kim.
"Eine jagende, getriebene Seele", sagte Moto leise. Er schien sich etwas zu entspannen. "Er ist verzaubert worden."
"Du meinst, verflucht?", fragte Kim.
Moto schüttelte den Kopf. "Nicht unbedingt. Viele halten einen Simba Mtu auch für auserwählt. Tagsüber sind sie Menschen wie wir. Aber in der Nacht gleiten sie in das Fell der Löwen. Es ist ein mächtiges Tier mit langen Klauen und einer schwarzen Mähne, wenn es ein Männchen ist. Die Weibchen dagegen jagen schneller als der Wind und töten mit einem Schlag. Sie nehmen Rache für getanes Unrecht oder schützen einen geliebten Menschen. Doch manchmal schlagen sie auch ohne einen für uns ersichtlichen Grund zu. Ihre Wege sind undurchschaubar."
"Na, du musst das ja wissen", sagte Chris. Er kauerte sich vor das Feuer. "Ein Massai, der nicht mehr jagen darf, ist auch so eine verfluchte Seele. Du wirst auch mal ein Simba Mtu, Moto." Der ausgestandene Schrecken machte ihn wagemutig. Er nahm einen der Spieße vom Feuer und hielt das duftende Fleisch in die Dunkelheit.
"He, Simba Mtu. Komm essen. Chakulla, Chakulla mingi sana, Essen, ganz viel Essen", rief er.
Moto nahm ihm den Spieß aus der Hand und legte ihn wieder über die Flammen. "Wie kannst du nur so dumm sein? Willst du uns alle umbringen? Der Duft wird ihn wieder anlocken."
"Sprich nicht so mit mir", warnte Chris ihn. "Dein Simba Mtu kann meinethalben mit den bluttrinkenden Fledermäusen des Mount Kenia Versteck spielen. Das sind doch alles Hirngespinste."
Moto und Chris fixierten einander. Keiner wollte den Blick zuerst senken und damit nachgeben. Chris sagte leise etwas zu Moto. Kim versuchte ihn zu verstehen, aber es war Maa, die subtile und doppeldeutige Sprache der Massai, die er so gut wie akzentfrei sprach.
"Schluss jetzt", sagte Patrick. Er ließ die Klinge an seinem Taschenmesser aufspringen und stach prüfend in die beiden Vögel. "Das Essen ist fertig."
Er begann, die Vögel zu zerlegen.
"Ich nehme einen Flügel", kündigte Kim an.
"Simba Mtu. Da lachen ja die Hühner", murrte Chris noch, als er sich neben Kim setzte.
"Du wirst schon sehen", meinte Moto und ließ sich ihnen gegenüber am Feuer nieder. "Ihr werdet alle noch sehen. Es gibt den Simba Mtu."
"Schluss mit dem Streit. Das ist unser letzter gemeinsamer Abend für sehr lange Zeit", sagte Kim bestimmt. "Gott sei Dank ist der Löwe weg, verzauberte Seele oder nicht."
"Du hast Recht", stimmte Chris zu. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. "Du wirst mir und Kilima fehlen. Darf ich dir ein Gedicht aufsagen?"
"Welches denn?", fragte sie erfreut. Chris liebte Poesie und lernte Gedichte akzentfrei, selbst in Sprachen, die er nicht verstand. Die Schönheit der Worte, sagte er, war dennoch offensichtlich.
"Es geht darin nicht um einen Simba Mtu, sondern um einen Panther."
"Ich höre dir zu", erklärte Kim erwartungsvoll.
Chris stand auf, räusperte sich und legte sich eine Hand auf die Brust, ehe er mit voller Stimme deklamierte:
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe So müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und Hinter tausend Stäben keine Welt.
Er stockte, ehe er zuversichtlich fortfuhr: "Vielleicht wird es dir im Internat auch so gehen, denn Kilima wird dir furchtbar fehlen. Aber hinter deinen Stäben gibt es eine Welt, und der Käfig wird sich wieder öffnen."
Kim streckte stumm ihre Hand nach der seinen aus und spürte den freundschaftlichen Druck seiner Finger. Im Haupthaus arbeitete ihre Mutter wohl noch in ihrem Atelier und sie würde sich morgen von ihr verabschieden können. Ihr Vater schlief sicher irgendwo, wo er es ganz gewiss nicht sollte. Sie selbst aber saß hier bei den Menschen, die immer für sie da sein würden. Daran konnte nichts und niemand etwas ändern. Sie würden, wenn sie aus England zurückkehrte, alle in Frieden auf Kilima leben. So sollte es immer sein.
Kapitel 1 Als Kim die Spur der Löwin zum ersten Mal sah, wusste sie nicht, was dies für sie alle auf Kilima bedeuten würde. Der schwache Abdruck im sandigen Erdboden, nahe einem der letzten Wasserlöcher während der Trockenzeit auf der Farm, veränderte ihr Leben für immer.
Vor zehn Jahren hatte sie Kilima als junges Mädchen verlassen und war nur in den Ferien auf die Farm zurückgekehrt. Nun aber war sie gekommen, um zu bleiben. Das Studium des Artenschutzes und die Leitung von Wildreservaten in Canterbury hatten ihr Spaß gemacht, und die Zeit in der kleinen Stadt mit ihrer weltbekannten Kathedrale war schön gewesen. Vielleicht aber, dachte Kim später, hatten die Jahre dort sie etwas Wesentliches vergessen lassen: In Afrika waren die Dinge selten so, wie sie zu sein schienen. In der Mittagshitze hielt einen die flirrende Luft zum Narren. Wo nur trockener Sand war, glitzerte ein See. Wo kein Leben war, zogen Herden von Tieren vorbei. Genauso war es andersherum: Aus der Entfernung konnte einem die Steppe leer vorkommen. Aber wenn das Auge sich an den Anblick gewöhnt hatte, wimmelte es dort vor Leben.
Kim hatte die Löwin in den frühen Morgenstunden rufen hören. Das Tier musste am Wasserloch gelauert haben, das unweit des Hauses auf einer kleinen Lichtung im Busch lag. Trotz der langen Trockenzeit konnten sich die Tiere dort noch erfrischen und sie sammelten sich in den kühlen Abendstunden in großer Zahl. Idealere Jagdbedingungen konnte sich eine große, hungrige Katze kaum wünschen. Vor Aufregung vermochte Kim nicht mehr einzuschlafen und stand nun auf der Terrasse des kleinen Bungalows, den ihr Vater ihr als Willkommensgeschenk gebaut hatte. Es war ihr eigenes Reich, das zum Schutz gegen Schlangen und Skorpione nach Art der ersten Siedlerhäuser auf Stelzen inmitten der gut dreißigtausend Hektar von Kilima stand. Kim hatte sich die Stelle in den letzten Semesterferien selbst ausgesucht und ihrem Vater und dem Architekten dabei geholfen, den Grundriss zu entwerfen. Das Herzstück war das geräumige Wohnzimmer, das man über wenige Stufen und eine langgezogene Veranda betrat, und von dem die Küche und ein Gang zum Schlafzimmer und Bad abgingen. Insgesamt war der Bungalow nicht groß, aber Kim war das gerade recht. Gäste konnten im Haupthaus bei ihren Eltern unterkommen.
Sie hatte sich einen Tee nach Art der Kikuyu zubereitet: Die Teeblätter kamen direkt in die kochende Milch und dann wurde soviel Zucker dazu gelöffelt, wie Kim es vor ihrem Zahnarzt verantworten konnte. Das weiße Licht des Morgens wich gerade erst den Farben. Es musste kurz nach sieben sein. Kim brauchte keine uhr, der Ablauf der Tage und der Jahreszeiten am Äquator war so gleichmäßig, dass man die Zeit ziemlich genau schätzen konnte.
War es wirklich eine Löwin gewesen, die sie gehört hatte? Wenn ja, so musste sie Spuren im Busch um das Wasserloch hinterlassen haben. Oder sie lauerte noch im hohen Gras. Die großen Katzen waren selten hier oben um den Mount Kenia. Sie konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, entschied Kim, und stellte die Tasse auf dem Verandatisch ab. Sollte sie Moto anrufen, damit er sie begleitete? Nein. Sie würde es alleine wagen. Vielleicht spürte sie die Löwin ja tatsächlich auf und konnte Moto und ihrem Vater stolz von ihrem Erfolg berichten.
"Bis später, Misty", sagte sie zu ihrem zahmen Affen. Dieser griff gerade nach der Tasse und schüttete den Inhalt auf den Boden, ehe Kim einschreiten konnte.
"Du machst deinem Namen wieder alle Ehre", schimpfte sie. Sie hatte den jungen verwaisten Colabusaffen an den unteren Hängen des Mount Kenia gefunden, aber sein Name leitete sich nicht vom Nebel des Berges ab, sondern von der Tatsache, dass er ein richtiges Miststück war. Der Tee, der noch in der Tasse gewesen war, formte eine Lache auf dem Zement, die in Windeseile alle Siafu-Ameisen der Umgebung anziehen würde. Die bissigen, roten und mehr als zentimeterlangen Ameisen suchten sich an Mensch oder Tier immer die weichste und wärmste Stelle aus, wo sie ihrem Opfer dann ganze Stücke Fleisch ausrissen. Kim zog das bunt gestreifte Kikoituch vom Verandatisch und ging in die Knie.
"Das Letzte, was ich hier im Haus brauche, sind Siafus. Erwachsene Männer springen schreiend aus ihren Hosen, weil sie Siafus zwischen den Beinen hatten, merk dir das", schimpfte sie mit Misty, der ungerührt keckerte.
"Ich gehe jetzt los", sagte Kim, nachdem sie die Lache aufgewischt hatte. Es war tröstlich, sich wenigstens von einem Affen verabschieden zu können, selbst wenn er einen schlechten Charakter hatte. Was ihr Verhältnis zu Männern anging, hatte Kim bislang keine besonderen Erfolge vorzuweisen. Aber sie machte sich keine Sorgen, der Richtige würde selbst hier auf der abgelegenen Farm schon noch kommen.
Kim schulterte die kleine, doppelläufige Holland & Holland, die sie von ihrer dänischen Urgroßmutter, der Gründerin von Kilima, die ebenfalls Kim hieß, geerbt hatte, zog sich die dicken Socken zum Schutz gegen die Dornen über die Schienbeine und ging los. Eidechsen klebten noch starr auf den Steinen des Gartens, als Kim vor das Gatter trat, das das Wild aus ihren Gemüsebeeten fernhalten sollte. Sie sah kurz hinüber zum Mount Kenia, aus dessen dicht bewaldeten Hängen Nebel stieg, der sich weiter oben mit graugescheckten Wolken vermischte. Sie waren ein leeres Versprechen: Die Trockenzeit dauerte schon zu lange an und ihre gnadenlose Hitze schien allen hier im Hochland buchstäblich das Hirn aus dem Kopf zu brennen. Kilimas Böden hatten die Farbe von gebranntem Ton angenommen und die Welt schien ohne Gerüche.
Nach wenigen Schritten bog Kim von der groben Piste, die zu ihrem Haus führte, in den Busch hinein ab, wo das Wasserloch ungefähr zehn Minuten Fußmarsch von ihrem Haus entfernt verborgen lag. Die trockenen Zweige der Bäume hingen voll dorniger, hohler Früchte, in denen sich der Wind fing und ein pfeifendes Geräusch verursachte.
Mehr und mehr kam ihr der Ruf der Löwin nun wie einer der lebhaften Träume vor, wie die dünne Luft sie verursachen konnte. Kim hielt ihren Blick aufmerksam auf den unebenen Boden geheftet, je weiter sie sich vom Haus entfernte. Die Spur konnte überall zwischen den vertrockneten Grasbüscheln und knorrigen Wurzeln sein, die sich wie Adern durch den Sand zogen. Zuerst war der Busch noch voller Leben. Kleine Vögel mit leuchtend blauen Federn saßen in den Zweigen der Büsche und zwitscherten melodisch. Im Unterholz konnte Kim zwei Dikdik ausmachen, Zwergantilopen, die perfekt getarnt waren. Zikaden, Schmetterlinge und schillernde Käfer hingen an den Gräsern. Je weiter Kim jedoch ging und je mehr sie sich dem Wasserloch näherte, um so mehr ließen auch die Geräusche nach.
Sie verlangsamte ihren Schritt und lauschte in die Stille, die im Busch keinen Frieden, sondern eine Warnung bedeutete. Sogar die Vögel mit dem blauen Gefieder waren verstummt. Ihr Blick suchte weiter den Boden ab, während sich auf ihren Armen eine Gänsehaut bildete. Sie spürte, dass sie gleich etwas finden würde. Bei unzähligen Pirschgängen mit Moto hatte sich dieser Instinkt entwickelt und die Vorahnung verursachte ihr ein Kribbeln im Nacken. Sie setzte behutsam einen Fuß vor den anderen, als vor ihr eine Wolke von Fliegen aus dem hohen Gras aufstieg. Kim erschrak und verjagte die Insekten mit schnellen Handbewegungen. Das konnte nur eines bedeuten: Sie machte noch einen Schritt und sah zu ihren Füßen einen blutigen Kadaver liegen. Kim zog scharf die Luft ein, ging in die Knie und untersuchte ihn.
"Hm. Ein junges Zebra", murmelte sie und der Laut ihrer eigenen Stimme erschreckte sie. Ihr wurde bewusst, wie alleine sie hier draußen war und dass sie mit dem Busch nicht mehr so vertraut war wie früher. Die Löwin könnte hier in der Nähe sein und sie im hohen Gras belauern.
Sie betastete den Kadaver. Nein, das Blut an dem Fell des toten Tieres war beinahe getrocknet. Es musste also in der Nacht gerissen worden sein, entschied sie, stand wieder auf und nahm das Gewehr von ihrer Schulter, ließ es jedoch noch gesichert.
Da sah sie zwischen den von der Sonne verbrannten Gräsern im sandigen Grund die erste Spur. Es war der Abdruck von drei ganzen Pfoten und einer halben, die zu schleifen schien. Offenbar war die Löwin verletzt und trat nicht voll auf. Vielleicht war sie in einen Dorn getreten und die Wunde hatte sich infiziert. Ihre Verwundung machte für die Katze die leichte Beute, die am Wasserloch zu erwarten war, noch attraktiver. Kim folgte der Spur mit den Augen, bis sie sich im Busch verlor. Unwillkürlich wurde ihre Kehle trocken und die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Wenn doch Moto bei ihr wäre! Sie hätte auf ihn warten sollen, schalt sie sich und ging doch, wie einem stummen Ruf folgend, weiter in den Busch hinein, wo sich die unregelmäßige Spur verlor.
Unter Kims Fuß knackte ein Zweig, und sie fuhr herum. Ihr Herz schlug hart in der Brust, als sie die Waffe in Anschlag nahm und sie entsicherte. Die Löwin konnte ohne jede Warnung aus dem Busch hervorbrechen und sie mit ihrem schieren Gewicht zu Boden reißen. Verletzt waren die Tiere aggressiv und mutiger als sonst und Kim hätte trotz ihrer Waffe keine Chance gegen sie. Doch sie nahm allen Mut zusammen und bog die Zweige beiseite. Auf dem sandigen Boden zu ihren Füßen konnte sie deutlich eine Kuhle erkennen, wo die Löwin wohl gelegen hatte, und sie legte die flache Hand in die Mulde. Der Sand war kühl und wirkte unberührt, doch ein Baumstumpf, der in der letzten Regenzeit vom Blitz getroffen und gespalten worden war, glänzte feucht neben dem Abdruck des Tierkörpers. War es Tau, Harz oder etwas anderes, das den Glanz erzeugte? Kim legte ihre Waffe neben sich in den Sand und presste ihre Nase an den Stamm, um seinen Geruch tief einzusaugen. Er roch scharf nach Ammoniak.
"Katzenpisse", entfuhr es ihr.
Allzu weit konnte die Löwin nicht gekommen sein, wenn der Stamm noch feucht war. Sie wollte gerade wieder aufstehen, da fragte eine männliche Stimme hinter ihr:
"Riecht das gut?"
Kim fuhr herum. Hinter ihr stand ein Mann, den sie nicht kannte.
"Habe ich Sie erschreckt? Entschuldigung. Ich dachte, eine Frau, die hier alleine herumgeht, wäre nicht besonders furchtsam."
Er schob sich seinen ausgebeulten Filzhut in den Nacken. Seine Haare, die ihm über die Ohren fielen, waren fast so schwarz wie ihre eigenen. Seine Haut war dunkel und er wirkte wie ein Indianer. Federn im Haar hätten ihm sicher gut gestanden. Er rückte den Hut wieder zurecht, so dass sie im Schatten der Krempe seine Augen nicht erkennen konnte.
Kim griff nach ihrer Waffe, sicherte sie wieder und stand auf. Das Gewehr des Fremden steckte in einem Futteral auf seinem Rücken, während er um seinen Hals ein Fernglas trug. An ihren Knien klebte noch der vom Katzenurin feuchte Sand, wie sich Kim plötzlich unter seinem prüfenden Blick bewusst wurde.
"Ich suche nach Spuren", sagte sie so selbstsicher wie möglich und spürte dennoch, wie sie rot wurde. Das war auch ein Erbe ihrer Urgroßmutter: Ihre sehr helle Haut, die sie vor der Sonne schützen musste und die sich bei jeder Gelegenheit, oder eher Verlegenheit, rötete. Sie ließ sich ihre halblangen, dunklen Haare vor das Gesicht fallen und versuchte gleichzeitig, sich den klebrigen Sand von ihren Knien zu klopfen.
"und wie gründlich Sie das tun", entgegnete der Mann. Er kam näher, und Kim bemerkte, wie groß er war. Sie reichte ihm in ihren flachen Bata Boots gerade mal bis zum Oberarm.
"Sie haben mich nicht erschreckt", sagte sie, aber ihre Stimme klang seltsam zittrig. "Ich habe bloß nicht erwartet, jemanden zu treffen."
"Und, haben Sie die Spuren gefunden, die Sie gesucht haben?"
"Ja. Den Urin einer Löwin."
Kim hob den Kopf, um ihm ins Gesicht zu blicken. Er lachte, und Kim bemerkte seine weißen Eckzähne, die so spitz wie bei einem Wolf aussahen. Es war ein angenehmes Lachen, das tief aus seiner Brust kam.
"So, so. Den Urin einer Löwin also", wiederholte er.
Kim errötete zu ihrem Ärger noch mehr. Unter dem Schatten seiner Hutkrempe konnte sie nun seine grünen Augen erkennen, die spöttisch funkelten. Ihre Farbe erinnerten sie an Blätter nach dem Regen.
"Urin ist ein wesentlicher Dünger für viele Pflanzen und Nahrung für kleine Insekten", sagte sie heftig. Endlich war es ihr gelungen, sich die Knie mit der Seite ihre Schuhsohle zu reinigen, aber sie verlor dabei beinahe ihr Gleichgewicht. Der Mann stützte sie gerade noch mit einem festen Griff um ihren Unterarm. Seine Hand fühlte sich warm und stark an. Kim hielt ob der plötzlichen Berührung die Luft an und auch der Fremde blickte kurz verwirrt auf seine Hand, ehe er sie zurückzog und sie sich dann wie zum Schwur auf die Brust legte.
"Ich verehre Insekten. Vor allen Dingen kleine", verkündete er feierlich.
Ja, ganz sicher, er machte sich über sie lustig, dachte Kim. Ehe sie ihm jedoch eine schnippische Antwort geben konnte, streckte er seine Hand wieder aus und Kim ergriff sie überrascht. Sein Händedruck war fest, aber nicht zu fest.
"Ich heiße Mark. Ich arbeite seit einigen Wochen bei Rosie am Fluss."
Er musste ungefähr zur selben Zeit wie Kim auf Kilima angekommen sein. Bei Rosie, die eigentlich Maria-Agneta Rosenkranz hieß, aber deren Name allen viel zu kompliziert war, arbeiteten immer mehrere Forscher gleichzeitig und blieben zumeist etwas über ein Jahr. Rosie hatte auf Kilima ein Reservat für Schimpansen aufgebaut, die in Kenia nicht heimisch waren. Sie reiste durch ganz Afrika, rettete die Tiere aus zu engen Käfigen in verrauchten Restaurants oder zahlte Tierfängern dank großzügiger Spenden aus Amerika das Doppelte von dem, was ihre Auftraggeber ihnen boten. Mittlerweile hausten in ihrem weitläufigen Gelände unten am Fluss an die dreißig Affen und die jährliche Ankunft der neuen Mitarbeiter sorgte immer für Trubel auf Kilima.
"Mein Name ist Kim", sagte sie und musterte ihn dabei. Er wirkte eigentlich schon zu alt, um noch bei Rosie anzuheuern. In dem Alter hatten andere Wissenschaftler schon lange ihr eigenes Projekt und ihre eigenen Mittel.
"Kim. Das ist ein schöner Name. Ungewöhnlich."
... weniger
Autoren-Porträt von Ellen Alpsten
Ellen Alpsten wurde 1971 in Kenia geboren und verbrachte dort ihre Kindheit und Jugend. Ende der siebziger Jahre kehrte sie mit ihrer Familie nach Deutschland zurück und studierte Jura, Philosophie, Politik und Wirtschaft in Köln und Paris. Neben dem Schreiben war sie schon als Journalistin, Botschaftsmitarbeiterin, TV-Produzentin und Moderatorin tätig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ellen Alpsten
- 2011, 477 Seiten, Maße: 11,8 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453407539
- ISBN-13: 9783453407534
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