Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin
Die Hüterin
Sonea hat der Gilde versprochen, nur einem einzigen Magier das Geheimnis der Schwarzen Magie zu offenbaren: Kallen. Doch mit der Wahl ist sie nicht glücklich. Aber momentan hat sie andere Sorgen. Ihr Sohn Lorkin ist verschwunden. Und sie kann sich...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
19.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin “
Sonea hat der Gilde versprochen, nur einem einzigen Magier das Geheimnis der Schwarzen Magie zu offenbaren: Kallen. Doch mit der Wahl ist sie nicht glücklich. Aber momentan hat sie andere Sorgen. Ihr Sohn Lorkin ist verschwunden. Und sie kann sich nicht an der Suche beteiligen. Denn in Kyralia tobt ein bedrohlicher Krieg.
Klappentext zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin “
Die Rückkehr der schwarzen MagierinTrudi Canavan kehrt dorthin zurück, wo ihr Aufsehen erregender Erfolg begann - zu Sonea und der Gilde der Schwarzen Magier!
Zwanzig Jahre sind seit den Ereignissen in der Trilogie "Die Gilde der Schwarzen Magier" vergangen. Auf Wunsch der Gilde hat Sonea nur einem einzigen Magier das Geheimnis der Schwarzen Magie offenbart. Doch sie ist nicht glücklich mit der Wahl, die die Gilde dafür getroffen hat. Kallen ist zwar ein ehrenhafter, aber auch ein harter und zu schnell urteilender Mann. Vielmehr sorgt Sonea sich allerdings um ihren Sohn. Lorkin hat gerade die Abschlussprüfung hinter sich gebracht und brennt jetzt darauf, sich zu beweisen. Daher begleitet er den Botschafter der Gilde nach Sachaka, wo den Magiern Kyralias immer noch unzählige Gefahren drohen. Und tatsächlich verschwindet Lorkin eines Tages ohne ein Wort der Erklärung. Sonea ist beunruhigt, doch sie kann sich nicht einmal an der Suche nach Lorkin beteiligen. Denn in Kyralias Unterwelt tobt ein Krieg, in den auch Magier verwickelt zu sein scheinen - und der alles, was in den Jahren des Friedens aufgebaut wurde, gefährdet ...
Lese-Probe zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin “
Die Hüterin – Die Saga von Sonea 1 von Trudi Canavan 1 Das Alte und das Neue
Das erfolgreichste und meistzitierte Stück des Dichters Rewin, der größte Redefluss, der aus der Neuen
Stadt hervorgegangen war, hieß Stadtlied. Es fing ein, was man des Nachts in Imardin hörte, wenn man sich die Zeit nahm, inne zuhalten und zu lauschen: eine nie endende, gedämpfte und ferne Mischung von Geräuschen. Stimmen. Gesang. Ein Lachen. Ein Stöhnen. Ein Ächzen. Ein Schrei.
In der Dunkelheit von Imardins Neuem Südquartier erinnerte sich ein Mann des Gedichts. Er hielt inne, um zu lauschen, aber statt das Lied der Stadt in sich aufzunehmen, konzentrierte er sich auf ein einziges misstönendes Echo. Ein Geräusch, das nicht hierhergehörte. Ein Geräusch, das sich nicht wiederholte. Er schnaubte leise und setzte seinen Weg fort.
Einige Schritte später trat vor ihm eine Gestalt aus der Dunkelheit. Die Gestalt war männlich und ragte drohend über ihm auf. Licht fing sich auf der Schneide einer Klinge.
»Dein Geld«, sagte eine grobe Stimme, hart vor Entschlossenheit.
Der Mann erwiderte nichts und verharrte reglos. Vielleicht war er vor Entsetzen erstarrt. Vielleicht war er tief in Gedanken versunken.
... mehr
Als er sich dann doch bewegte, geschah es mit unheimlicher Geschwindigkeit. Ein Klicken, ein Rascheln des Ärmels, und der Räuber keuchte auf und sank auf die Knie. Ein Messer fiel klappernd zu Boden. Der Mann klopfte ihm auf die Schulter.
»Tut mir leid. Falsche Nacht, falsches Opfer, und ich habe keine Zeit zu erklären, warum.«
Als der Räuber mit dem Gesicht nach unten auf das Pflaster fiel, stieg der Mann über ihn hinweg und ging weiter. Dann blieb er stehen und blickte über die Schulter, auf die andere Seite der Straße.
»He! Gol. Du sollst doch angeblich mein Leibwächter sein.«
Aus der Dunkelheit tauchte eine weitere große Gestalt auf und eilte an die Seite des Mannes.
»Ich schätze, du brauchst eigentlich keinen, Cery. Ich werde langsam auf meine alten Tage. Ich sollte dich dafür bezahlen, mich zu beschützen.«
Cery runzelte die Stirn. »Deine Augen und Ohren sind immer noch scharf, nicht wahr?«
Gol zuckte zusammen. »So scharf wie deine«, erwiderte er mürrisch.
»Nur allzu wahr.« Cery seufzte. »Ich sollte in den Ruhestand gehen. Aber Diebe bekommen keine Gelegenheit, das zu tun.«
»Außer indem sie aufhören, Diebe zu sein.«
»Außer indem sie zu Leichen werden«, korrigierte ihn Cery.
»Aber du bist kein gewöhnlicher Dieb. Ich schätze, für dich gelten andere Regeln. Du hast nicht auf die übliche Art angefangen, warum solltest du also auf die übliche Art aufhören?«
»Ich wünschte, alle anderen wären der gleichen Meinung.«
»Das wünschte ich auch. Die Stadt wäre ein besserer Ort.«
»Wenn alle deiner Meinung wären? Ha!«
»Für mich wäre es besser.«
Cery lachte leise und setzte seinen Weg fort. Gol folgte in kurzem Abstand. Er verbirgt seine Furcht gut, dachte Cery. Hat es immer getan. Aber er muss denken, dass wir beide diese Nacht vielleicht nicht überstehen. Zu viele von den anderen sind bereits gestorben.
Mehr als die Hälfte der Diebe – der Anführer der kriminellen Gruppen in Imardins Unterwelt – war während der letzten Jahre umgekommen. Jeder auf eine andere Weise und die meisten durch unnatürliche Ursachen. Erstochen, vergiftet, von einem hohen Gebäude gestoßen, in einem Feuer verbrannt, ertrunken oder in einem eingestürzten Tunnel zerquetscht. Einige sagten, eine einzelne Person sei dafür verantwortlich, ein Freischärler, den man den Jäger der Diebe nannte. Andere glaubten, es seien die Diebe selbst, die alte Zwistigkeiten regelten.
Gol sagte, die Wetter setzten ihr Geld nicht darauf, wer als Nächster das Zeitliche segnen würde, sondern wie.
Natürlich hatten jüngere Diebe den Platz der alten eingenommen, manchmal friedlich, manchmal nach einem schnellen, blutigen Kampf. Das war zu erwarten. Aber selbst diese kühnen Neulinge waren nicht immun gegen den Jäger. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie das nächste Opfer wurden, war genauso groß wie bei einem älteren Dieb.
Es gab keine offenkundigen Verbindungen zwischen den Morden. Obwohl unter den Dieben jede Menge Streitigkeiten herrschten, konnte keine davon der Grund für so viele Morde sein. Und während Anschläge auf das Leben von Dieben nicht gar so ungewöhnlich waren – das war etwas, womit jeder Dieb rechnen musste –, war der Erfolg dieser Anschläge sehr wohl ungewöhnlich. Und dass der Mörder oder die Mörder weder damit geprahlt hatten noch dabei gesehen worden waren.
In der Vergangenheit hätten wir eine Zusammenkunft abgehalten. Strategien erörtert. Zusammengearbeitet. Aber es ist lange her, seit die Diebe Hand in Hand gearbeitet haben, und wir wüssten heutzutage vermutlich gar nicht mehr, wie wir das anstellen sollten.
Er hatte die Veränderung in den Tagen nach dem Sieg über die Ichani kommen sehen, aber nicht, wie schnell es gehen würde. Sobald die Säuberung – der alljährliche erzwungene Exodus der Obdachlosen aus der Stadt in die Elendsviertel – geendet hatte, waren die Elendsviertel zu einem Teil der Stadt erklärt worden, und die alten Grenzen waren seither Geschichte. Bündnisse zwischen Dieben erloschen, und neue Rivalitäten flammten auf. Diebe, die während der Invasion zusammengearbeitet hatten, um die Stadt zu retten, wandten sich gegeneinander, um ihre Territorien zu behaupten oder auszudehnen, um sich wiederzuholen, was sie an andere verloren hatten, und um neue Gelegenheiten auszunutzen.
Cery ging an vier jungen Männern vorbei, die an einer Mauer lehnten, wo die Gasse auf eine breitere Straße stieß. Sie musterten ihn, und ihr Blick fiel auf das kleine Medaillon, das an Cerys Mantel steckte und ihn als einen Mann der Diebe auswies. Alle drei nickten respektvoll. Cery nickte knapp zurück, dann blieb er am Ende der Gasse stehen und wartete, bis Gol an den Männern vorbei war und zu ihm aufschloss. Der Leibwächter war vor Jahren zu dem Schluss gekommen, dass er mögliche Gefahren besser ausmachen konnte, wenn er nicht direkt neben Cery her - ging – und mit den meisten brenzligen Situationen wurde Cery sehr gut selbst fertig.
Quer über den Eingang der Gasse war eine rote Linie gemalt; bei ihrem Anblick lächelte Cery erheitert. Nachdem der König die Hüttenviertel zu einem Teil der Stadt erklärt hatte, hatte er mit wechselndem Erfolg versucht, die Kontrolle darüber zu erlangen. Verbesserte Bedingungen in einigen Gegenden führten zu erhöhten Mieten, was ebenso wie der Abriss unsicherer Häuser die Armen in noch ärmlichere Stadtteile zwang. Sie setzten sich dort fest und machten sich diese Orte zu eigen, und wie in die Enge getriebene Tiere verteidigten sie sie mit grimmiger Entschlossenheit und gaben ihren Nachbarschaften Namen wie Finstergassen und Wohnfeste. Es gab inzwischen Grenzen, einige markiert, andere nur nach Namen und ungefährer Lage, die kein Stadtwächter zu übertreten wagte, es sei denn, er befand sich in Gesellschaft mehrerer Kollegen – und selbst dann mussten sie mit einem Kampf rechnen. Einzig die Anwesenheit eines Magiers war eine wirkliche Garantie für ihre Sicherheit.
Als sein Leibwächter zu ihm aufschloss, wandte Cery sich ab, und sie überquerten gemeinsam die breitere Straße. Eine Kutsche rollte vorbei, beleuchtet von zwei hin und her schwingenden Laternen. Die allgegenwärtigen Wachsoldaten der Stadt schlenderten paarweise mit Laternen umher, niemals außer Sichtweite anderer Wachen vor oder hinter ihnen.
Dies war eine neue Durchgangsstraße, die den gefährlichen Stadtteil Wildwegen querte. Cery hatte sich zuerst gefragt, warum der König sich Mühe gemacht hatte, diese Straße bauen zu lassen. Jeder, der allein unterwegs war, lief Gefahr, von den Bewohnern links oder rechts der Straße überfallen zu werden und dabei wahrscheinlich ein Messer in den Leib gerammt zu bekommen. Aber andererseits war die Straße breit und bot Räubern wenig Deckung, und die Tunnel darunter, einst ein Teil des Untergrundnetzwerkes, das allenthalben die Straße der Diebe genannt wurde, waren während des Baus verfüllt und verschüttet worden. Manche der alten, von viel zu vielen Menschen bewohnten Gebäude zu beiden Seiten waren abgerissen und durch große, sichere Häuser ersetzt worden, die sich im Besitz von Kaufleuten befanden.
Die neue Straße hatte wichtige Verbindungen des alten Wild wegen zerschnitten. Es würden sicherlich bereits Anstren gungen unternommen, neue Tunnel zu bauen – davon war Cery überzeugt –, aber das würde seine Zeit dauern, und da fast die Hälfte der ehemals ansässigen Bevölkerung zum Wegzug gezwungen worden war, schien sich der Charakter des Viertels bereits unwiderruflich geändert zu haben.
Cery fühlte sich im Freien wie immer unbehaglich. Und nach der Begegnung mit dem Räuber war seine Unruhe noch gewachsen.
»Denkst du, er ist ausgeschickt worden, um mich zu prüfen?«, fragte er Gol.
Gol antwortete nicht sofort, und sein langes Schweigen sagte Cery, dass er gründlich über die Frage nachdachte.
»Ich bezweifle es. Höchstwahrscheinlich hatte er lediglich fatales Pech.«
Cery nickte. Ich bin seiner Meinung, aber die Zeiten haben sich verändert. Die Stadt hat sich verändert. Manchmal ist es so, als lebe man in einem fremden Land. Oder so, wie ich mir das Leben in einer anderen Stadt vorstelle, da ich Imardin niemals verlassen habe. Unvertraut. Andere Regeln. Gefahren, wo man sie nicht erwartet. Man kann gar nicht genug aufpassen. Und ich stehe schließlich vor der Begegnung mit dem meistgefürchteten Dieb in Imardin.
»Ihr da«, erklang eine laute Stimme. Zwei Wachsoldaten kamen auf sie zu; einer von ihnen hielt seine Laterne hoch. Cery berechnete die Entfernung zur anderen Straßenseite, dann seufzte er und blieb stehen.
»Ich?«, fragte er und wandte sich den Wachsoldaten zu. Gol sagte nichts.
Der größere der beiden Männer blieb einen Schritt hinter seinem untersetzten Gefährten stehen. Er antwortete nicht, sondern schaute einige Male zwischen Gol und Cery hin und her, bis sein Blick schließlich auf Cery ruhen blieb.
»Nennt eure Adresse und eure Namen«, befahl er.
»Cery von der Flussstraße, Nordseite«, antwortete Cery.
»Ihr beide?«
»Ja. Gol ist mein Diener. Und Leibwächter.«
Der Wachmann nickte und würdigte Gol kaum eines Blickes. »Euer Ziel?«
»Eine Besprechung mit dem König.«
Der stillere Wachsoldat sog scharf den Atem ein, was ihm einen Blick von seinem Vorgesetzten eintrug. Cery beobachtete die Männer, und es erheiterte ihn, dass beide – erfolglos – versuchten, ihr Entsetzen und ihre Furcht zu verbergen. Man hatte ihm aufgetragen, ihnen diese Information zu geben, und obwohl es eine geradezu lächerliche Behauptung war, machte der Wachmann den Anschein, als glaube er ihm. Oder – was wahrscheinlicher war – er verstand, dass es sich um eine verschlüsselte Nachricht handelte.
Der größere Wachmann straffte die Schultern. »Dann setzt euren Weg fort. Und ... gebt auf euch acht.«
Cery drehte sich um und ging, dicht gefolgt von Gol, über die Straße. Er fragte sich, ob die Nachricht ihnen verraten hatte, mit wem genau Cery sich traf, oder ob sie nur wussten, dass jemand, der diese Worte sagte, nicht aufgehalten werden durfte.
So oder so, er bezweifelte, dass er und Gol zufällig auf eine korrupte Wache gestoßen waren. Es hatte schon immer Wachsoldaten gegeben, die bereit waren, mit den Dieben zusammenzuarbeiten, aber der Hang zur Korruption hatte zugenommen und war allgegenwärtiger denn je. Es gab noch ehrliche, anständige Männer in der Wache, die danach trachteten, schwarze Schafe in ihren Reihen bloßzustellen und zu bestrafen, aber sie standen in einer Schlacht, die eigentlich schon seit einiger Zeit verloren war.
Alle sind mit der einen oder anderen Form von internen Streitigkeiten beschäftigt. Die Wache kämpft gegen die Korruption in ihren Reihen, die Häuser liegen untereinander in Fehde, die reichen und armen Novizen und Magier in der Gilde hacken aufeinander herum, die Verbündeten Länder können sich in der Sachaka-Frage nicht einigen, und die Diebe liegen miteinander im Krieg. Faren hätte das alles sehr unterhaltsam gefunden.
Aber Faren war tot. Im Gegensatz zu den übrigen Dieben war er im Winter vor fünf Jahren an einer vollkommen normalen Lungenentzündung gestorben. Cery hatte zuvor schon jahrelang nicht mit ihm gesprochen. Der Mann, den Faren zu seinem Nachfolger ausgebildet hatte, hatte die Zügel seines kriminellen Reiches ohne Wettbewerb oder Blut vergießen übernommen. Der Mann, der sich Skellin nannte.
Der Mann, mit dem Cery sich heute Nacht treffen würde.
Während Cery durch den kleineren der beiden noch erhaltenen Teile von Wildwegen ging und dabei die Rufe von Huren und Buchmacherjungen ignorierte, überdachte er, was er über Skellin wusste. Faren hatte die Mutter seines Nachfolgers bei sich aufgenommen, als Skellin noch ein Kind gewesen war, aber ob die Frau Farens Geliebte oder seine Ehefrau gewesen war oder ob sie nur für ihn gearbeitet hatte, war unbekannt. Der alte Dieb hatte die beiden abgeschirmt und geheim gehalten, wie die meisten Diebe es mit Menschen, die sie liebten, tun mussten. Skellin hatte sich als ein talentierter Mann erwiesen. Er hatte viele Unternehmen der Unterwelt übernommen und etliche selbst ins Leben gerufen, und dabei hatte es nur wenige Fehlschläge gegeben. Er stand in dem Ruf, gerissen und kompromisslos zu sein. Cery glaubte nicht, dass Faren Skellins absolute Skrupellosigkeit gebilligt hätte. Doch die Geschichten waren wahrscheinlich im Laufe der Zeit ausgeschmückt worden, so dass man nicht beurteilen konnte, wie verdient der Ruf des Mannes war.
Cery kannte kein Tier, das als »Skellin« bezeichnet wurde. Farens Nachfolger war der erste neue Dieb gewesen, der mit der Tradition, Tiernamen zu benutzen, gebrochen hatte. Es bedeutete natürlich nicht, dass »Skellin« zwangsläufig sein richtiger Name war. Jene, die das glaubten, hielten es für mutig von ihm, seinen Namen zu enthüllen. Jene, die es nicht glaubten, scherten sich nicht darum.
Sie bogen in eine andere Straße ein und gelangten in einen sauberen Teil des Bezirks. Sauber jedoch nur dem Anschein nach. Hinter den Türen dieser respektabel aussehenden Häuser lebten lediglich wohlhabendere Huren, Hehler und Auftragsmörder. Die Diebe hatten in Erfahrung gebracht, dass die – zu dünn besetzte – Wache nicht so genau hinsah, wenn nur der äußere Anschein respektabel war. Und im Zweifelsfall konnten auch ein paar kleine Spenden für die bevorzugten Wohltätigkeitsprojekte in der Stadt dem guten Ruf sehr förderlich sein.
Wie zum Beispiel die Hospitäler, die Sonea leitete, immer noch eine Heldin der Armen, obwohl die Reichen nur von Akkarins Bemühungen und Opfern während der Ichani-Invasion sprachen. Cery fragte sich häufig, ob sie ahnte, wie viel von dem Geld, das ihrer Sache gespendet wurde, aus korrupten Quellen kam. Und wenn sie es ahnte, kümmerte es sie?
Er und Gol verlangsamten ihr Tempo, als sie die Kreuzung erreichten, die Cery als Treffpunkt genannt worden war. Dort bot sich ihnen ein seltsamer Anblick.
Wo einst ein Haus gestanden hatte, füllte ein grüner, mit bunten Farben gesprenkelter Grasteppich die Lücke in der Bebauung. Zwischen den alten Grundfesten und eingestürzten Mauern wuchsen Pflanzen aller Größen. Und alle wurden von Hunderten von Lampen beleuchtet. Das »Sonnenhaus« war während der Ichani-Invasion zerstört worden, und der Besitzer hatte es sich nicht leisten können, es wieder aufzubauen. Er hatte sich im Keller der Ruine eingerichtet und seine Tage damit verbracht, seinen geliebten Garten dazu zu ermutigen, das Anwesen in Besitz zu nehmen – und die Einheimischen, ihn zu besuchen und sich daran zu erfreuen.
Es war ein seltsamer Treffpunkt für Diebe, aber Cery sah durchaus seine Vorteile. Das Grundstück war relativ offen – niemand konnte sich unbemerkt nähern oder lauschen – und doch öffentlich genug, dass jeder Kampf oder Überfall beobachtet werden würde, was hoffentlich Verrat und Gewalt vorbeugte.
Die Anweisungen hatten besagt, dass er neben der Statue warten solle. Als Cery und Gol den Garten betraten, sahen sie in der Mitte der Ruine eine steinerne Gestalt auf einem Sockel. Die Statue war aus schwarzem, mit grauen und weißen Adern durchzogenem Stein. Sie zeigte einen mit einem Umhang bekleideten Mann, der nach Osten gewandt war, dabei aber nach Norden blickte. Als er näher kam, stellte Cery fest, dass die Gestalt etwas Vertrautes hatte.
Es soll Akkarin sein, erkannte er mit einem leichten Schock. Er hat sich der Gilde zugewandt, blickt aber nach Sachaka. Er trat näher heran und betrachtete die Züge der Statur. Aber es ist kein gutes Abbild.
Gol stieß ein leises, warnendes Geräusch aus, und Cery konzentrierte sich sofort wieder auf seine Umgebung. Ein Mann kam auf sie zu, und ein anderer folgte ihm mit einigen Schritten Abstand.
Ist das Skellin? Er sieht definitiv fremdländisch aus. Aber dieser Mann stammte von keiner Rasse ab, der Cery bisher begegnet war. Sein Gesicht war lang und schmal mit hohen Wangenknochen und spitzem Kinn. Dies ließ den stark geschwungenen Mund zu groß für sein Gesicht wirken. Aber seine Augen und seine dichten Brauen passten gut zueinander – fast hätte man sie als schön bezeichnen können. Seine Haut war dunkler als die der Bewohner Elynes oder Sachakas, aber nicht bläulich schwarz wie die der Leute aus Lonmar, sondern leicht rötlich getönt. Und das dunkle Rot seines Haares würde man bei anderen Bewohnern dieser drei Länder lange suchen.
Er sieht aus, als sei er in ein Fass mit Farbe gefallen, die noch nicht ganz herausgewaschen ist, ging es Cery durch den Kopf. Ich würde sagen, er ist etwa fünfundzwanzig.
»Willkommen bei mir zu Hause, Cery von der Nordseite«, sagte der Mann, in dessen Stimme kein Anflug eines fremdländischen Akzents lag. »Ich bin Skellin. Skellin, der Dieb, oder Skellin, der Schmutzige Ausländer, je nachdem, mit wem du redest und wie berauscht der Betreffende ist.«
Cery war sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte. »Wie soll ich dich nennen?«
Skellins Lächeln wurde breiter. »Skellin genügt. Ich habe nichts übrig für fantastische Titel.« Sein Blick wanderte zu Gol hinüber.
»Mein Leibwächter«, erklärte Cery.
Skellin nickte Gol einmal knapp zu, dann wandte er sich wieder an Cery. »Können wir unter vier Augen reden?«
»Natürlich«, antwortete Cery. Er nickte Gol zu, der sich außer Hörweite begab. Auch Skellins Mann zog sich zurück.
Der andere Dieb ging zu einer der niedrigen Mauern der Ruine und setzte sich. »Es ist eine Schande, dass die Diebe dieser Stadt sich nicht mehr treffen und zusammenarbeiten«, begann er. »Wie in alten Tagen.« Er sah Cery an. »Du kennst die alten Traditionen und bist früher einmal den alten Regeln gefolgt. Vermisst du sie?«
Cery zuckte die Achseln. »Veränderungen passieren ständig. Man verliert etwas und gewinnt etwas anderes.«
Skellin zog eine seiner elegant geschwungenen Augenbrauen hoch. »Wiegen die Gewinne schwerer als die Verluste?«
»Für manche mehr als für andere. Ich habe nicht viel von der Spaltung profitiert, aber ich habe immer noch einige Übereinkünfte mit anderen Dieben.«
»Das ist gut zu hören. Denkst du, es besteht eine Chance, dass wir zu einer Übereinkunft kommen könnten?«
»Eine Chance besteht immer.« Cery lächelte. »Es hängt davon ab, worin wir deiner Meinung nach übereinkommen sollen.«
Skellin nickte. »Natürlich.« Er hielt inne, und seine Miene wurde ernst. »Es gibt zwei Angebote, die ich dir gern machen würde. Das erste ist eins, das ich bereits einigen anderen Dieben unterbreitet habe, und sie waren alle damit einverstanden.«
Ein Prickeln überlief Cery. Alle? Aber andererseits sagt er auch nicht, wie viele »einige« sind.
»Du hast von dem Jäger gehört?«, fragte Skellin. »Wer hat nicht von ihm gehört?«
»Ich glaube, dass es ihn tatsächlich gibt.«
»Eine einzige Person hat all diese Diebe getötet?« Cery zog die Augenbrauen hoch; er machte sich nicht die Mühe, seine Ungläubigkeit zu verbergen.
»Ja«, sagte Skellin entschieden und hielt Cerys Blick stand. »Wenn du dich umhörst – die Leute fragst, die etwas gesehen haben –, weisen die Morde Ähnlichkeiten auf.«
Ich werde Gol der Sache noch einmal nachgehen lassen müssen, überlegte Cery. Dann kam ihm ein Gedanke. Ich hoffe, Skellin glaubt nicht, dass ich diesen Jäger der Diebe für ihn finden kann, nur weil ich dem Hohen Lord Akkarin bei der Suche nach den sachakanischen Spionen geholfen habe.
»Also ... was willst du seinetwegen unternehmen?«
»Ich hätte gern dein Wort, dass du mir davon berichtest, falls du etwas über den Jäger hören solltest. Ich habe mir sagen lassen, dass viele Diebe nicht miteinander reden, daher biete ich mich stattdessen selbst als Empfänger für Informationen über den Jäger an. Wenn alle zusammenarbeiten, werde ich ihn euch vielleicht vom Hals schaffen können. Oder ich werde zumindest in der Lage sein, diejenigen zu warnen, die angegriffen werden sollen.«
Cery lächelte. »Letzteres ist eine Spur optimistisch.«
Skellin zuckte die Achseln. »Ja, es besteht immer die Chance, dass ein Dieb eine Warnung nicht weitergibt, wenn er weiß, dass der Jäger einen Rivalen töten wird. Aber vergiss nicht, dass jeder getötete Dieb eine Informationsquelle weniger bedeutet, die uns helfen könnte, uns des Jägers zu entledigen und unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten.«
»Sie würden schnell genug durch andere ersetzt werden.«
Skellin runzelte die Stirn. »Von jemandem, der vielleicht nicht so viel weiß wie sein Vorgänger.«
»Kein Sorge.« Cery lächelte. »Im Augenblick gibt es niemanden, den ich genug hasse, um das zu tun.«
Der andere Mann lächelte ebenfalls. »Also sind wir uns einig?«
Cery dachte nach. Obwohl ihn die Art von Gewerbe, die Skellin betrieb, nicht gefiel, wäre es dumm gewesen, dieses Angebot abzulehnen. Die einzigen Informationen, die der Mann wollte, bezogen sich auf den Jäger der Diebe, auf nichts sonst. Und er bat nicht um einen Pakt oder ein Versprechen – wenn Cery außerstande war, Informationen weiterzugeben, weil sie seine Sicherheit oder sein Geschäft
gefährdeten, konnte niemand behaupten, er habe sein Wort gebrochen.
»Ja«, antwortete er.
»Dann haben wir schon eine Übereinkunft erzielt«, sagte Skellin lächelnd. »Jetzt lass uns sehen, ob wir nicht zwei daraus machen können.« Er rieb sich die Hände. »Du weißt sicher, welches das wichtigste Produkt ist, das ich importiere und verkaufe.«
Cery machte sich nicht die Mühe, seinen Abscheu zu verbergen, und nickte. »Feuel oder ›Fäule‹, wie manche es nennen. Nichts, woran ich Interesse hätte. Und wie ich höre, hast du das Geschäft fest in der Hand.«
Skellin nickte. »Allerdings. Als Faren starb, hinterließ er mir ein schrumpfendes Territorium. Ich brauchte eine Möglichkeit, mir Geltung zu verschaffen und meine Macht zu stärken. Ich habe es mit verschiedenen Gewerben versucht. Die Beschaffung von Feuel war neu und unerprobt. Es hat mich erstaunt, wie schnell die Kyralier sich dafür erwärmt haben. Es hat sich als sehr profitabel erwiesen, und nicht nur für mich. Die Häuser beziehen ein hübsches kleines Einkommen aus der Miete für die Glühhäuser.« Skellin hielt inne. »Du könntest ebenfalls Gewinn aus dieser kleinen Industrie ziehen, Cery von der Nordseite.«
»Nenn mich einfach Cery.« Cery lächelte, dann ließ er seine Miene wieder ernst werden. »Ich fühle mich geschmeichelt, aber die Nordseite ist die Heimat von Menschen, die größtenteils zu arm sind, um Feuel bezahlen zu können. Es ist eine Gewohnheit für die Reichen.«
»Aber die Nordseite wird immer wohlhabender, dank deiner Bemühungen, und Feuel wird billiger, je mehr davon auf den Markt kommt.«
Cery verkniff sich ein zynisches Lächeln angesichts der Schmei chelei. »Aber noch nicht billig genug. Der Handel würde aufhören zu wachsen, wenn man zu viel Feuel zu schnell ins Land brächte.« Und ich käme zurecht, auch wenn wir überhaupt keine Fäule hätten. Er hatte gesehen, was Feuel mit Männern und Frauen machte, die sich ihm hingaben – sie vergaßen, zu essen oder zu trinken, vergaßen, ihre Kinder zu füttern, es sei denn, um ihnen etwas von der Droge zu geben, damit sie aufhörten, über Hunger zu klagen. Aber ich bin nicht töricht genug zu denken, ich könnte es für immer von der Nordseite fernhalten. Wenn ich es nicht beschaffe, wird jemand anders es machen. Ich werde einen Weg finden müs - sen, um es zu tun, ohne allzu großen Schaden anzurichten. »Es wird einen richtigen Zeitpunkt geben, um Feuel auf die Nordseite zu bringen«, sagte Cery. »Und wenn dieser Zeitpunkt kommt, werde ich wissen, an wen ich mich wenden muss.«
»Warte nicht zu lange damit, Cery«, warnte Skellin. »Feuel ist beliebt, weil es neu und modisch ist, aber schließlich wird es so sein wie Bol – einfach eine weitere Last der Stadt, angebaut und zubereitet von jedem. Ich hoffe, dass ich bis dahin neue Gewerbe aufgebaut habe, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen.« Er hielt inne und wandte den Blick ab. »Eins der alten, ehrenwerten Diebesgewerbe. Oder vielleicht sogar etwas Gesetzliches.«
Er drehte sich wieder um und lächelte, aber in seinen Zügen lag ein Anflug von Traurigkeit und Unzufriedenheit. Vielleicht steckt in dieser Haut ein ehrlicher Kerl, dachte Cery. Wenn er nicht erwartet hat, dass Feuel sich so schnell ausbreitet, hat er vielleicht auch nicht erwartet, dass es so große Schäden anrichten würde ... Aber das wird mich nicht dazu bewegen, selbst in das Gewerbe einzusteigen.
Skellins Lächeln verblasste, und an seine Stelle trat ein ernstes Stirnrunzeln. »Es gibt Leute, die gern deinen Platz einnehmen würden, Cery. Feuel könnte deine beste Verteidigung gegen sie sein, wie es das auch für mich war.«
»Es gibt immer Leute, die mich von meinem Platz vertreiben wollen«, erwiderte Cery. »Ich werde gehen, wenn ich so weit bin.«
Der andere Dieb wirkte erheitert. »Du glaubst wirklich, dass du die Zeit und den Ort wirst wählen können?«»Ja.«
»Und deinen Nachfolger?«»Ja.«
Skellin lachte leise. »Mir gefällt dein Selbstbewusstsein. Faren war sich seiner selbst ebenfalls sicher. Er hatte zumindest zur Hälfte recht: Er konnte seinen Nachfolger wählen.«
»Er war ein kluger Mann.«
»Er hat mir viel von dir erzählt.« Ein neugieriger Ausdruck trat in Skellins Augen. »Dass du nicht auf die gewohnte Weise zum Dieb geworden bist. Dass der berüchtigte Hohe Lord Akkarin es arrangiert hat.«
Cery widerstand dem Drang, zu der Statue hinüberzusehen. »Alle Diebe gewinnen Macht durch mächtigen Leuten erwiesene Gefälligkeiten. Ich habe zufällig mit einem sehr mächtigen Mann Gefälligkeiten ausgetauscht.«
Skellin zog die Augenbrauen hoch. »Hat er dich jemals Magie gelehrt?«
Cery lachte auf. »Schön wär’s!«
»Aber du bist mit einer Magierin aufgewachsen und hast deine Position mithilfe des ehemaligen Hohen Lords errungen. Gewiss hast du etwas aufgeschnappt.«
»So funktioniert Magie nicht«, erklärte Cery. Aber das weiß er gewiss. »Man braucht die Gabe dazu und einen Lehrer, der einem beibringt, sie zu kontrollieren und zu benutzen. Man kann es nicht lernen, indem man jemanden beobachtet.«
Skellin nickte, einen Finger ans Kinn, und musterte Cery nachdenklich. »Aber du hast immer noch Verbindungen in die Gilde, nicht wahr?«
Cery schüttelte den Kopf. »Ich habe Sonea seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wie enttäuschend nach allem, was du getan hast – was alle Diebe getan haben –, um ihnen zu helfen.« Skellin lächelte schief. Ich fürchte, dein Ruf als Freund von Magiern ist nicht annähernd so aufregend wie die Realität, Cery.«
»So ist das mit dem Ruf. Im Allgemeinen.«
Skellin nickte. »In der Tat. Nun, ich habe unser Gespräch genossen und meine Angebote gemacht. Wir sind zumindest zu einer Übereinkunft gelangt. Ich hoffe, wir werden mit der Zeit zu einer weiteren kommen.« Er stand auf. »Danke, dass du dich mit mir getroffen hast, Cery von der Nordseite.«
»Danke für die Einladung. Viel Glück bei der Suche nach dem Jäger.«
Skellin lächelte, nickte höflich, drehte sich dann um und schlenderte den gleichen Weg zurück, über den er gekommen war. Cery beobachtete ihn einen Moment lang, dann warf er noch einen schnellen Blick auf die Statue. Es war wirklich kein gutes Abbild.
»Wie ist es gelaufen?«, murmelte Gol, als Cery sich wieder zu ihm gesellte.
»Wie erwartet«, antwortete Cery. »Nur dass ... «
»Nur dass?«, wiederholte Gol, als Cery den Satz nicht beendete.
»Wir sind übereingekommen, Informationen über den Jäger der Diebe auszutauschen.«
»Dann gibt es ihn also wirklich?«
»Das glaubt Skellin.« Cery zuckte die Achseln. Sie überquerten die Straße und gingen auf Wildwegen zu. »Das war jedoch nicht das Seltsamste.«»Tatsächlich?«
»Er hat gefragt, ob Akkarin mich Magie gelehrt habe.« Gol schwieg einen Moment lang. »Aber das ist eigentlich
Copyright © der Originalausgabe 2010 by Trudi Canavan
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Penhaligon Verlag
Übersetzung:»Michaela Link«
»Tut mir leid. Falsche Nacht, falsches Opfer, und ich habe keine Zeit zu erklären, warum.«
Als der Räuber mit dem Gesicht nach unten auf das Pflaster fiel, stieg der Mann über ihn hinweg und ging weiter. Dann blieb er stehen und blickte über die Schulter, auf die andere Seite der Straße.
»He! Gol. Du sollst doch angeblich mein Leibwächter sein.«
Aus der Dunkelheit tauchte eine weitere große Gestalt auf und eilte an die Seite des Mannes.
»Ich schätze, du brauchst eigentlich keinen, Cery. Ich werde langsam auf meine alten Tage. Ich sollte dich dafür bezahlen, mich zu beschützen.«
Cery runzelte die Stirn. »Deine Augen und Ohren sind immer noch scharf, nicht wahr?«
Gol zuckte zusammen. »So scharf wie deine«, erwiderte er mürrisch.
»Nur allzu wahr.« Cery seufzte. »Ich sollte in den Ruhestand gehen. Aber Diebe bekommen keine Gelegenheit, das zu tun.«
»Außer indem sie aufhören, Diebe zu sein.«
»Außer indem sie zu Leichen werden«, korrigierte ihn Cery.
»Aber du bist kein gewöhnlicher Dieb. Ich schätze, für dich gelten andere Regeln. Du hast nicht auf die übliche Art angefangen, warum solltest du also auf die übliche Art aufhören?«
»Ich wünschte, alle anderen wären der gleichen Meinung.«
»Das wünschte ich auch. Die Stadt wäre ein besserer Ort.«
»Wenn alle deiner Meinung wären? Ha!«
»Für mich wäre es besser.«
Cery lachte leise und setzte seinen Weg fort. Gol folgte in kurzem Abstand. Er verbirgt seine Furcht gut, dachte Cery. Hat es immer getan. Aber er muss denken, dass wir beide diese Nacht vielleicht nicht überstehen. Zu viele von den anderen sind bereits gestorben.
Mehr als die Hälfte der Diebe – der Anführer der kriminellen Gruppen in Imardins Unterwelt – war während der letzten Jahre umgekommen. Jeder auf eine andere Weise und die meisten durch unnatürliche Ursachen. Erstochen, vergiftet, von einem hohen Gebäude gestoßen, in einem Feuer verbrannt, ertrunken oder in einem eingestürzten Tunnel zerquetscht. Einige sagten, eine einzelne Person sei dafür verantwortlich, ein Freischärler, den man den Jäger der Diebe nannte. Andere glaubten, es seien die Diebe selbst, die alte Zwistigkeiten regelten.
Gol sagte, die Wetter setzten ihr Geld nicht darauf, wer als Nächster das Zeitliche segnen würde, sondern wie.
Natürlich hatten jüngere Diebe den Platz der alten eingenommen, manchmal friedlich, manchmal nach einem schnellen, blutigen Kampf. Das war zu erwarten. Aber selbst diese kühnen Neulinge waren nicht immun gegen den Jäger. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie das nächste Opfer wurden, war genauso groß wie bei einem älteren Dieb.
Es gab keine offenkundigen Verbindungen zwischen den Morden. Obwohl unter den Dieben jede Menge Streitigkeiten herrschten, konnte keine davon der Grund für so viele Morde sein. Und während Anschläge auf das Leben von Dieben nicht gar so ungewöhnlich waren – das war etwas, womit jeder Dieb rechnen musste –, war der Erfolg dieser Anschläge sehr wohl ungewöhnlich. Und dass der Mörder oder die Mörder weder damit geprahlt hatten noch dabei gesehen worden waren.
In der Vergangenheit hätten wir eine Zusammenkunft abgehalten. Strategien erörtert. Zusammengearbeitet. Aber es ist lange her, seit die Diebe Hand in Hand gearbeitet haben, und wir wüssten heutzutage vermutlich gar nicht mehr, wie wir das anstellen sollten.
Er hatte die Veränderung in den Tagen nach dem Sieg über die Ichani kommen sehen, aber nicht, wie schnell es gehen würde. Sobald die Säuberung – der alljährliche erzwungene Exodus der Obdachlosen aus der Stadt in die Elendsviertel – geendet hatte, waren die Elendsviertel zu einem Teil der Stadt erklärt worden, und die alten Grenzen waren seither Geschichte. Bündnisse zwischen Dieben erloschen, und neue Rivalitäten flammten auf. Diebe, die während der Invasion zusammengearbeitet hatten, um die Stadt zu retten, wandten sich gegeneinander, um ihre Territorien zu behaupten oder auszudehnen, um sich wiederzuholen, was sie an andere verloren hatten, und um neue Gelegenheiten auszunutzen.
Cery ging an vier jungen Männern vorbei, die an einer Mauer lehnten, wo die Gasse auf eine breitere Straße stieß. Sie musterten ihn, und ihr Blick fiel auf das kleine Medaillon, das an Cerys Mantel steckte und ihn als einen Mann der Diebe auswies. Alle drei nickten respektvoll. Cery nickte knapp zurück, dann blieb er am Ende der Gasse stehen und wartete, bis Gol an den Männern vorbei war und zu ihm aufschloss. Der Leibwächter war vor Jahren zu dem Schluss gekommen, dass er mögliche Gefahren besser ausmachen konnte, wenn er nicht direkt neben Cery her - ging – und mit den meisten brenzligen Situationen wurde Cery sehr gut selbst fertig.
Quer über den Eingang der Gasse war eine rote Linie gemalt; bei ihrem Anblick lächelte Cery erheitert. Nachdem der König die Hüttenviertel zu einem Teil der Stadt erklärt hatte, hatte er mit wechselndem Erfolg versucht, die Kontrolle darüber zu erlangen. Verbesserte Bedingungen in einigen Gegenden führten zu erhöhten Mieten, was ebenso wie der Abriss unsicherer Häuser die Armen in noch ärmlichere Stadtteile zwang. Sie setzten sich dort fest und machten sich diese Orte zu eigen, und wie in die Enge getriebene Tiere verteidigten sie sie mit grimmiger Entschlossenheit und gaben ihren Nachbarschaften Namen wie Finstergassen und Wohnfeste. Es gab inzwischen Grenzen, einige markiert, andere nur nach Namen und ungefährer Lage, die kein Stadtwächter zu übertreten wagte, es sei denn, er befand sich in Gesellschaft mehrerer Kollegen – und selbst dann mussten sie mit einem Kampf rechnen. Einzig die Anwesenheit eines Magiers war eine wirkliche Garantie für ihre Sicherheit.
Als sein Leibwächter zu ihm aufschloss, wandte Cery sich ab, und sie überquerten gemeinsam die breitere Straße. Eine Kutsche rollte vorbei, beleuchtet von zwei hin und her schwingenden Laternen. Die allgegenwärtigen Wachsoldaten der Stadt schlenderten paarweise mit Laternen umher, niemals außer Sichtweite anderer Wachen vor oder hinter ihnen.
Dies war eine neue Durchgangsstraße, die den gefährlichen Stadtteil Wildwegen querte. Cery hatte sich zuerst gefragt, warum der König sich Mühe gemacht hatte, diese Straße bauen zu lassen. Jeder, der allein unterwegs war, lief Gefahr, von den Bewohnern links oder rechts der Straße überfallen zu werden und dabei wahrscheinlich ein Messer in den Leib gerammt zu bekommen. Aber andererseits war die Straße breit und bot Räubern wenig Deckung, und die Tunnel darunter, einst ein Teil des Untergrundnetzwerkes, das allenthalben die Straße der Diebe genannt wurde, waren während des Baus verfüllt und verschüttet worden. Manche der alten, von viel zu vielen Menschen bewohnten Gebäude zu beiden Seiten waren abgerissen und durch große, sichere Häuser ersetzt worden, die sich im Besitz von Kaufleuten befanden.
Die neue Straße hatte wichtige Verbindungen des alten Wild wegen zerschnitten. Es würden sicherlich bereits Anstren gungen unternommen, neue Tunnel zu bauen – davon war Cery überzeugt –, aber das würde seine Zeit dauern, und da fast die Hälfte der ehemals ansässigen Bevölkerung zum Wegzug gezwungen worden war, schien sich der Charakter des Viertels bereits unwiderruflich geändert zu haben.
Cery fühlte sich im Freien wie immer unbehaglich. Und nach der Begegnung mit dem Räuber war seine Unruhe noch gewachsen.
»Denkst du, er ist ausgeschickt worden, um mich zu prüfen?«, fragte er Gol.
Gol antwortete nicht sofort, und sein langes Schweigen sagte Cery, dass er gründlich über die Frage nachdachte.
»Ich bezweifle es. Höchstwahrscheinlich hatte er lediglich fatales Pech.«
Cery nickte. Ich bin seiner Meinung, aber die Zeiten haben sich verändert. Die Stadt hat sich verändert. Manchmal ist es so, als lebe man in einem fremden Land. Oder so, wie ich mir das Leben in einer anderen Stadt vorstelle, da ich Imardin niemals verlassen habe. Unvertraut. Andere Regeln. Gefahren, wo man sie nicht erwartet. Man kann gar nicht genug aufpassen. Und ich stehe schließlich vor der Begegnung mit dem meistgefürchteten Dieb in Imardin.
»Ihr da«, erklang eine laute Stimme. Zwei Wachsoldaten kamen auf sie zu; einer von ihnen hielt seine Laterne hoch. Cery berechnete die Entfernung zur anderen Straßenseite, dann seufzte er und blieb stehen.
»Ich?«, fragte er und wandte sich den Wachsoldaten zu. Gol sagte nichts.
Der größere der beiden Männer blieb einen Schritt hinter seinem untersetzten Gefährten stehen. Er antwortete nicht, sondern schaute einige Male zwischen Gol und Cery hin und her, bis sein Blick schließlich auf Cery ruhen blieb.
»Nennt eure Adresse und eure Namen«, befahl er.
»Cery von der Flussstraße, Nordseite«, antwortete Cery.
»Ihr beide?«
»Ja. Gol ist mein Diener. Und Leibwächter.«
Der Wachmann nickte und würdigte Gol kaum eines Blickes. »Euer Ziel?«
»Eine Besprechung mit dem König.«
Der stillere Wachsoldat sog scharf den Atem ein, was ihm einen Blick von seinem Vorgesetzten eintrug. Cery beobachtete die Männer, und es erheiterte ihn, dass beide – erfolglos – versuchten, ihr Entsetzen und ihre Furcht zu verbergen. Man hatte ihm aufgetragen, ihnen diese Information zu geben, und obwohl es eine geradezu lächerliche Behauptung war, machte der Wachmann den Anschein, als glaube er ihm. Oder – was wahrscheinlicher war – er verstand, dass es sich um eine verschlüsselte Nachricht handelte.
Der größere Wachmann straffte die Schultern. »Dann setzt euren Weg fort. Und ... gebt auf euch acht.«
Cery drehte sich um und ging, dicht gefolgt von Gol, über die Straße. Er fragte sich, ob die Nachricht ihnen verraten hatte, mit wem genau Cery sich traf, oder ob sie nur wussten, dass jemand, der diese Worte sagte, nicht aufgehalten werden durfte.
So oder so, er bezweifelte, dass er und Gol zufällig auf eine korrupte Wache gestoßen waren. Es hatte schon immer Wachsoldaten gegeben, die bereit waren, mit den Dieben zusammenzuarbeiten, aber der Hang zur Korruption hatte zugenommen und war allgegenwärtiger denn je. Es gab noch ehrliche, anständige Männer in der Wache, die danach trachteten, schwarze Schafe in ihren Reihen bloßzustellen und zu bestrafen, aber sie standen in einer Schlacht, die eigentlich schon seit einiger Zeit verloren war.
Alle sind mit der einen oder anderen Form von internen Streitigkeiten beschäftigt. Die Wache kämpft gegen die Korruption in ihren Reihen, die Häuser liegen untereinander in Fehde, die reichen und armen Novizen und Magier in der Gilde hacken aufeinander herum, die Verbündeten Länder können sich in der Sachaka-Frage nicht einigen, und die Diebe liegen miteinander im Krieg. Faren hätte das alles sehr unterhaltsam gefunden.
Aber Faren war tot. Im Gegensatz zu den übrigen Dieben war er im Winter vor fünf Jahren an einer vollkommen normalen Lungenentzündung gestorben. Cery hatte zuvor schon jahrelang nicht mit ihm gesprochen. Der Mann, den Faren zu seinem Nachfolger ausgebildet hatte, hatte die Zügel seines kriminellen Reiches ohne Wettbewerb oder Blut vergießen übernommen. Der Mann, der sich Skellin nannte.
Der Mann, mit dem Cery sich heute Nacht treffen würde.
Während Cery durch den kleineren der beiden noch erhaltenen Teile von Wildwegen ging und dabei die Rufe von Huren und Buchmacherjungen ignorierte, überdachte er, was er über Skellin wusste. Faren hatte die Mutter seines Nachfolgers bei sich aufgenommen, als Skellin noch ein Kind gewesen war, aber ob die Frau Farens Geliebte oder seine Ehefrau gewesen war oder ob sie nur für ihn gearbeitet hatte, war unbekannt. Der alte Dieb hatte die beiden abgeschirmt und geheim gehalten, wie die meisten Diebe es mit Menschen, die sie liebten, tun mussten. Skellin hatte sich als ein talentierter Mann erwiesen. Er hatte viele Unternehmen der Unterwelt übernommen und etliche selbst ins Leben gerufen, und dabei hatte es nur wenige Fehlschläge gegeben. Er stand in dem Ruf, gerissen und kompromisslos zu sein. Cery glaubte nicht, dass Faren Skellins absolute Skrupellosigkeit gebilligt hätte. Doch die Geschichten waren wahrscheinlich im Laufe der Zeit ausgeschmückt worden, so dass man nicht beurteilen konnte, wie verdient der Ruf des Mannes war.
Cery kannte kein Tier, das als »Skellin« bezeichnet wurde. Farens Nachfolger war der erste neue Dieb gewesen, der mit der Tradition, Tiernamen zu benutzen, gebrochen hatte. Es bedeutete natürlich nicht, dass »Skellin« zwangsläufig sein richtiger Name war. Jene, die das glaubten, hielten es für mutig von ihm, seinen Namen zu enthüllen. Jene, die es nicht glaubten, scherten sich nicht darum.
Sie bogen in eine andere Straße ein und gelangten in einen sauberen Teil des Bezirks. Sauber jedoch nur dem Anschein nach. Hinter den Türen dieser respektabel aussehenden Häuser lebten lediglich wohlhabendere Huren, Hehler und Auftragsmörder. Die Diebe hatten in Erfahrung gebracht, dass die – zu dünn besetzte – Wache nicht so genau hinsah, wenn nur der äußere Anschein respektabel war. Und im Zweifelsfall konnten auch ein paar kleine Spenden für die bevorzugten Wohltätigkeitsprojekte in der Stadt dem guten Ruf sehr förderlich sein.
Wie zum Beispiel die Hospitäler, die Sonea leitete, immer noch eine Heldin der Armen, obwohl die Reichen nur von Akkarins Bemühungen und Opfern während der Ichani-Invasion sprachen. Cery fragte sich häufig, ob sie ahnte, wie viel von dem Geld, das ihrer Sache gespendet wurde, aus korrupten Quellen kam. Und wenn sie es ahnte, kümmerte es sie?
Er und Gol verlangsamten ihr Tempo, als sie die Kreuzung erreichten, die Cery als Treffpunkt genannt worden war. Dort bot sich ihnen ein seltsamer Anblick.
Wo einst ein Haus gestanden hatte, füllte ein grüner, mit bunten Farben gesprenkelter Grasteppich die Lücke in der Bebauung. Zwischen den alten Grundfesten und eingestürzten Mauern wuchsen Pflanzen aller Größen. Und alle wurden von Hunderten von Lampen beleuchtet. Das »Sonnenhaus« war während der Ichani-Invasion zerstört worden, und der Besitzer hatte es sich nicht leisten können, es wieder aufzubauen. Er hatte sich im Keller der Ruine eingerichtet und seine Tage damit verbracht, seinen geliebten Garten dazu zu ermutigen, das Anwesen in Besitz zu nehmen – und die Einheimischen, ihn zu besuchen und sich daran zu erfreuen.
Es war ein seltsamer Treffpunkt für Diebe, aber Cery sah durchaus seine Vorteile. Das Grundstück war relativ offen – niemand konnte sich unbemerkt nähern oder lauschen – und doch öffentlich genug, dass jeder Kampf oder Überfall beobachtet werden würde, was hoffentlich Verrat und Gewalt vorbeugte.
Die Anweisungen hatten besagt, dass er neben der Statue warten solle. Als Cery und Gol den Garten betraten, sahen sie in der Mitte der Ruine eine steinerne Gestalt auf einem Sockel. Die Statue war aus schwarzem, mit grauen und weißen Adern durchzogenem Stein. Sie zeigte einen mit einem Umhang bekleideten Mann, der nach Osten gewandt war, dabei aber nach Norden blickte. Als er näher kam, stellte Cery fest, dass die Gestalt etwas Vertrautes hatte.
Es soll Akkarin sein, erkannte er mit einem leichten Schock. Er hat sich der Gilde zugewandt, blickt aber nach Sachaka. Er trat näher heran und betrachtete die Züge der Statur. Aber es ist kein gutes Abbild.
Gol stieß ein leises, warnendes Geräusch aus, und Cery konzentrierte sich sofort wieder auf seine Umgebung. Ein Mann kam auf sie zu, und ein anderer folgte ihm mit einigen Schritten Abstand.
Ist das Skellin? Er sieht definitiv fremdländisch aus. Aber dieser Mann stammte von keiner Rasse ab, der Cery bisher begegnet war. Sein Gesicht war lang und schmal mit hohen Wangenknochen und spitzem Kinn. Dies ließ den stark geschwungenen Mund zu groß für sein Gesicht wirken. Aber seine Augen und seine dichten Brauen passten gut zueinander – fast hätte man sie als schön bezeichnen können. Seine Haut war dunkler als die der Bewohner Elynes oder Sachakas, aber nicht bläulich schwarz wie die der Leute aus Lonmar, sondern leicht rötlich getönt. Und das dunkle Rot seines Haares würde man bei anderen Bewohnern dieser drei Länder lange suchen.
Er sieht aus, als sei er in ein Fass mit Farbe gefallen, die noch nicht ganz herausgewaschen ist, ging es Cery durch den Kopf. Ich würde sagen, er ist etwa fünfundzwanzig.
»Willkommen bei mir zu Hause, Cery von der Nordseite«, sagte der Mann, in dessen Stimme kein Anflug eines fremdländischen Akzents lag. »Ich bin Skellin. Skellin, der Dieb, oder Skellin, der Schmutzige Ausländer, je nachdem, mit wem du redest und wie berauscht der Betreffende ist.«
Cery war sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte. »Wie soll ich dich nennen?«
Skellins Lächeln wurde breiter. »Skellin genügt. Ich habe nichts übrig für fantastische Titel.« Sein Blick wanderte zu Gol hinüber.
»Mein Leibwächter«, erklärte Cery.
Skellin nickte Gol einmal knapp zu, dann wandte er sich wieder an Cery. »Können wir unter vier Augen reden?«
»Natürlich«, antwortete Cery. Er nickte Gol zu, der sich außer Hörweite begab. Auch Skellins Mann zog sich zurück.
Der andere Dieb ging zu einer der niedrigen Mauern der Ruine und setzte sich. »Es ist eine Schande, dass die Diebe dieser Stadt sich nicht mehr treffen und zusammenarbeiten«, begann er. »Wie in alten Tagen.« Er sah Cery an. »Du kennst die alten Traditionen und bist früher einmal den alten Regeln gefolgt. Vermisst du sie?«
Cery zuckte die Achseln. »Veränderungen passieren ständig. Man verliert etwas und gewinnt etwas anderes.«
Skellin zog eine seiner elegant geschwungenen Augenbrauen hoch. »Wiegen die Gewinne schwerer als die Verluste?«
»Für manche mehr als für andere. Ich habe nicht viel von der Spaltung profitiert, aber ich habe immer noch einige Übereinkünfte mit anderen Dieben.«
»Das ist gut zu hören. Denkst du, es besteht eine Chance, dass wir zu einer Übereinkunft kommen könnten?«
»Eine Chance besteht immer.« Cery lächelte. »Es hängt davon ab, worin wir deiner Meinung nach übereinkommen sollen.«
Skellin nickte. »Natürlich.« Er hielt inne, und seine Miene wurde ernst. »Es gibt zwei Angebote, die ich dir gern machen würde. Das erste ist eins, das ich bereits einigen anderen Dieben unterbreitet habe, und sie waren alle damit einverstanden.«
Ein Prickeln überlief Cery. Alle? Aber andererseits sagt er auch nicht, wie viele »einige« sind.
»Du hast von dem Jäger gehört?«, fragte Skellin. »Wer hat nicht von ihm gehört?«
»Ich glaube, dass es ihn tatsächlich gibt.«
»Eine einzige Person hat all diese Diebe getötet?« Cery zog die Augenbrauen hoch; er machte sich nicht die Mühe, seine Ungläubigkeit zu verbergen.
»Ja«, sagte Skellin entschieden und hielt Cerys Blick stand. »Wenn du dich umhörst – die Leute fragst, die etwas gesehen haben –, weisen die Morde Ähnlichkeiten auf.«
Ich werde Gol der Sache noch einmal nachgehen lassen müssen, überlegte Cery. Dann kam ihm ein Gedanke. Ich hoffe, Skellin glaubt nicht, dass ich diesen Jäger der Diebe für ihn finden kann, nur weil ich dem Hohen Lord Akkarin bei der Suche nach den sachakanischen Spionen geholfen habe.
»Also ... was willst du seinetwegen unternehmen?«
»Ich hätte gern dein Wort, dass du mir davon berichtest, falls du etwas über den Jäger hören solltest. Ich habe mir sagen lassen, dass viele Diebe nicht miteinander reden, daher biete ich mich stattdessen selbst als Empfänger für Informationen über den Jäger an. Wenn alle zusammenarbeiten, werde ich ihn euch vielleicht vom Hals schaffen können. Oder ich werde zumindest in der Lage sein, diejenigen zu warnen, die angegriffen werden sollen.«
Cery lächelte. »Letzteres ist eine Spur optimistisch.«
Skellin zuckte die Achseln. »Ja, es besteht immer die Chance, dass ein Dieb eine Warnung nicht weitergibt, wenn er weiß, dass der Jäger einen Rivalen töten wird. Aber vergiss nicht, dass jeder getötete Dieb eine Informationsquelle weniger bedeutet, die uns helfen könnte, uns des Jägers zu entledigen und unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten.«
»Sie würden schnell genug durch andere ersetzt werden.«
Skellin runzelte die Stirn. »Von jemandem, der vielleicht nicht so viel weiß wie sein Vorgänger.«
»Kein Sorge.« Cery lächelte. »Im Augenblick gibt es niemanden, den ich genug hasse, um das zu tun.«
Der andere Mann lächelte ebenfalls. »Also sind wir uns einig?«
Cery dachte nach. Obwohl ihn die Art von Gewerbe, die Skellin betrieb, nicht gefiel, wäre es dumm gewesen, dieses Angebot abzulehnen. Die einzigen Informationen, die der Mann wollte, bezogen sich auf den Jäger der Diebe, auf nichts sonst. Und er bat nicht um einen Pakt oder ein Versprechen – wenn Cery außerstande war, Informationen weiterzugeben, weil sie seine Sicherheit oder sein Geschäft
gefährdeten, konnte niemand behaupten, er habe sein Wort gebrochen.
»Ja«, antwortete er.
»Dann haben wir schon eine Übereinkunft erzielt«, sagte Skellin lächelnd. »Jetzt lass uns sehen, ob wir nicht zwei daraus machen können.« Er rieb sich die Hände. »Du weißt sicher, welches das wichtigste Produkt ist, das ich importiere und verkaufe.«
Cery machte sich nicht die Mühe, seinen Abscheu zu verbergen, und nickte. »Feuel oder ›Fäule‹, wie manche es nennen. Nichts, woran ich Interesse hätte. Und wie ich höre, hast du das Geschäft fest in der Hand.«
Skellin nickte. »Allerdings. Als Faren starb, hinterließ er mir ein schrumpfendes Territorium. Ich brauchte eine Möglichkeit, mir Geltung zu verschaffen und meine Macht zu stärken. Ich habe es mit verschiedenen Gewerben versucht. Die Beschaffung von Feuel war neu und unerprobt. Es hat mich erstaunt, wie schnell die Kyralier sich dafür erwärmt haben. Es hat sich als sehr profitabel erwiesen, und nicht nur für mich. Die Häuser beziehen ein hübsches kleines Einkommen aus der Miete für die Glühhäuser.« Skellin hielt inne. »Du könntest ebenfalls Gewinn aus dieser kleinen Industrie ziehen, Cery von der Nordseite.«
»Nenn mich einfach Cery.« Cery lächelte, dann ließ er seine Miene wieder ernst werden. »Ich fühle mich geschmeichelt, aber die Nordseite ist die Heimat von Menschen, die größtenteils zu arm sind, um Feuel bezahlen zu können. Es ist eine Gewohnheit für die Reichen.«
»Aber die Nordseite wird immer wohlhabender, dank deiner Bemühungen, und Feuel wird billiger, je mehr davon auf den Markt kommt.«
Cery verkniff sich ein zynisches Lächeln angesichts der Schmei chelei. »Aber noch nicht billig genug. Der Handel würde aufhören zu wachsen, wenn man zu viel Feuel zu schnell ins Land brächte.« Und ich käme zurecht, auch wenn wir überhaupt keine Fäule hätten. Er hatte gesehen, was Feuel mit Männern und Frauen machte, die sich ihm hingaben – sie vergaßen, zu essen oder zu trinken, vergaßen, ihre Kinder zu füttern, es sei denn, um ihnen etwas von der Droge zu geben, damit sie aufhörten, über Hunger zu klagen. Aber ich bin nicht töricht genug zu denken, ich könnte es für immer von der Nordseite fernhalten. Wenn ich es nicht beschaffe, wird jemand anders es machen. Ich werde einen Weg finden müs - sen, um es zu tun, ohne allzu großen Schaden anzurichten. »Es wird einen richtigen Zeitpunkt geben, um Feuel auf die Nordseite zu bringen«, sagte Cery. »Und wenn dieser Zeitpunkt kommt, werde ich wissen, an wen ich mich wenden muss.«
»Warte nicht zu lange damit, Cery«, warnte Skellin. »Feuel ist beliebt, weil es neu und modisch ist, aber schließlich wird es so sein wie Bol – einfach eine weitere Last der Stadt, angebaut und zubereitet von jedem. Ich hoffe, dass ich bis dahin neue Gewerbe aufgebaut habe, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen.« Er hielt inne und wandte den Blick ab. »Eins der alten, ehrenwerten Diebesgewerbe. Oder vielleicht sogar etwas Gesetzliches.«
Er drehte sich wieder um und lächelte, aber in seinen Zügen lag ein Anflug von Traurigkeit und Unzufriedenheit. Vielleicht steckt in dieser Haut ein ehrlicher Kerl, dachte Cery. Wenn er nicht erwartet hat, dass Feuel sich so schnell ausbreitet, hat er vielleicht auch nicht erwartet, dass es so große Schäden anrichten würde ... Aber das wird mich nicht dazu bewegen, selbst in das Gewerbe einzusteigen.
Skellins Lächeln verblasste, und an seine Stelle trat ein ernstes Stirnrunzeln. »Es gibt Leute, die gern deinen Platz einnehmen würden, Cery. Feuel könnte deine beste Verteidigung gegen sie sein, wie es das auch für mich war.«
»Es gibt immer Leute, die mich von meinem Platz vertreiben wollen«, erwiderte Cery. »Ich werde gehen, wenn ich so weit bin.«
Der andere Dieb wirkte erheitert. »Du glaubst wirklich, dass du die Zeit und den Ort wirst wählen können?«»Ja.«
»Und deinen Nachfolger?«»Ja.«
Skellin lachte leise. »Mir gefällt dein Selbstbewusstsein. Faren war sich seiner selbst ebenfalls sicher. Er hatte zumindest zur Hälfte recht: Er konnte seinen Nachfolger wählen.«
»Er war ein kluger Mann.«
»Er hat mir viel von dir erzählt.« Ein neugieriger Ausdruck trat in Skellins Augen. »Dass du nicht auf die gewohnte Weise zum Dieb geworden bist. Dass der berüchtigte Hohe Lord Akkarin es arrangiert hat.«
Cery widerstand dem Drang, zu der Statue hinüberzusehen. »Alle Diebe gewinnen Macht durch mächtigen Leuten erwiesene Gefälligkeiten. Ich habe zufällig mit einem sehr mächtigen Mann Gefälligkeiten ausgetauscht.«
Skellin zog die Augenbrauen hoch. »Hat er dich jemals Magie gelehrt?«
Cery lachte auf. »Schön wär’s!«
»Aber du bist mit einer Magierin aufgewachsen und hast deine Position mithilfe des ehemaligen Hohen Lords errungen. Gewiss hast du etwas aufgeschnappt.«
»So funktioniert Magie nicht«, erklärte Cery. Aber das weiß er gewiss. »Man braucht die Gabe dazu und einen Lehrer, der einem beibringt, sie zu kontrollieren und zu benutzen. Man kann es nicht lernen, indem man jemanden beobachtet.«
Skellin nickte, einen Finger ans Kinn, und musterte Cery nachdenklich. »Aber du hast immer noch Verbindungen in die Gilde, nicht wahr?«
Cery schüttelte den Kopf. »Ich habe Sonea seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wie enttäuschend nach allem, was du getan hast – was alle Diebe getan haben –, um ihnen zu helfen.« Skellin lächelte schief. Ich fürchte, dein Ruf als Freund von Magiern ist nicht annähernd so aufregend wie die Realität, Cery.«
»So ist das mit dem Ruf. Im Allgemeinen.«
Skellin nickte. »In der Tat. Nun, ich habe unser Gespräch genossen und meine Angebote gemacht. Wir sind zumindest zu einer Übereinkunft gelangt. Ich hoffe, wir werden mit der Zeit zu einer weiteren kommen.« Er stand auf. »Danke, dass du dich mit mir getroffen hast, Cery von der Nordseite.«
»Danke für die Einladung. Viel Glück bei der Suche nach dem Jäger.«
Skellin lächelte, nickte höflich, drehte sich dann um und schlenderte den gleichen Weg zurück, über den er gekommen war. Cery beobachtete ihn einen Moment lang, dann warf er noch einen schnellen Blick auf die Statue. Es war wirklich kein gutes Abbild.
»Wie ist es gelaufen?«, murmelte Gol, als Cery sich wieder zu ihm gesellte.
»Wie erwartet«, antwortete Cery. »Nur dass ... «
»Nur dass?«, wiederholte Gol, als Cery den Satz nicht beendete.
»Wir sind übereingekommen, Informationen über den Jäger der Diebe auszutauschen.«
»Dann gibt es ihn also wirklich?«
»Das glaubt Skellin.« Cery zuckte die Achseln. Sie überquerten die Straße und gingen auf Wildwegen zu. »Das war jedoch nicht das Seltsamste.«»Tatsächlich?«
»Er hat gefragt, ob Akkarin mich Magie gelehrt habe.« Gol schwieg einen Moment lang. »Aber das ist eigentlich
Copyright © der Originalausgabe 2010 by Trudi Canavan
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Penhaligon Verlag
Übersetzung:»Michaela Link«
... weniger
Autoren-Porträt von Trudi Canavan
Trudi Canavan wurde 1969 im australischen Melbourne geboren. Sie arbeitete als Grafikerin und Designerin für verschiedene Verlage und begann nebenbei zu schreiben. 1999 gewann sie den Aurealis Award für die beste Fantasy-Kurzgeschichte. Ihr Debütroman wurde weltweit ein riesiger Erfolg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Trudi Canavan
- 2010, 1, 576 Seiten, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Link, Michaela
- Übersetzer: Michaela Link
- Verlag: Penhaligon
- ISBN-10: 3764530413
- ISBN-13: 9783764530419
Rezension zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin “
»Mit wachsendem Spannungspotenzial treibt die Autorin die Geschichte voran und bringt uch gekonnt mystische Elemente unter.«
Kommentar zu "Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Saga von Sonea Trilogie Band 1: Sonea - Die Hüterin".
Kommentar verfassen