Die Schlingen des Bösen
Dr. Earl Garnet, Chef der Notaufnahme des St. Paul's Hospitals in Buffalo, ist wie vor den Kopf geschlagen. Eine frühere Bekannte von ihm wurde ermordet. Bald zählt ihn die Polizei zum Verdächtigenkreis. Doch Dr. Garnet hat noch viel...
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Produktinformationen zu „Die Schlingen des Bösen “
Dr. Earl Garnet, Chef der Notaufnahme des St. Paul's Hospitals in Buffalo, ist wie vor den Kopf geschlagen. Eine frühere Bekannte von ihm wurde ermordet. Bald zählt ihn die Polizei zum Verdächtigenkreis. Doch Dr. Garnet hat noch viel mächtigere Gegner, als nur die Polizei.
"Peter Clement lehrt uns erneut das Fürchten."
The Washington Post
Lese-Probe zu „Die Schlingen des Bösen “
Die Schlingen des Bösen von Peter Clement 1Montag, 22. Oktober, 10.00 Uhr
In der Nähe von Hampton Junction
in den südlichen Adirondack Mountains
Mark Roper folgte Sheriff Dan Evans in die Tiefe und hielt sich so dicht hinter Dans Schwimmflossen, dass sie ab und zu seine Tauchermaske streiften. Aber er wollte nicht zu sehr hinter dem Lichttunnel von Dans Kopflampe zurückbleiben, der ihn immer tiefer in die Dunkelheit führte. Außerhalb der Lichtglocke war nichts als Schwärze, und Mark konnte nicht sagen, ob er sich aufwärts, abwärts oder zur Seite bewegte, es sei denn, er konzentrierte sich auf die erhellten Algenstreifen, die sich ihnen entgegenstreckten. Wie Schnee, der gegen eine Windschutzscheibe trieb, schärften sie sein Gefühl für die Geschwindigkeit.
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Die Kälte durchdrang seine Tauchermaske und verursachte ihm dumpfe Kopfschmerzen, als wäre sein Schädel mit Eiscreme gefüllt; sie wühlte sich durch das vulkanisierte Gummi seines Taucheranzugs und die doppelte Schicht Thermounterwäsche, durch Haut, Muskeln und Knochen, um sich direkt in seinem Knochenmark festzusetzen. Trotz der Taucherhandschuhe drohten selbst seine Finger einzufrieren, doch er behielt die Sicherheitsleine fest im Griff, schlug mit den Schwimmflossen und zog sich Hand über Hand immer weiter in die Tiefe. Verdammt, wann kommen wir endlich an?, fragte er sich, während er sich mehrfach durch die Maske die Nase zukneifen und dann kräftig blasen musste, um den schmerzhaften Druck in seinen Ohren auszugleichen.
Er war schon früher so tief getaucht, aber im warmen, blauen Meer vor Hawaii. Hier könnte er genauso gut in Tinte schwimmen. Zwar war das Wasser klar, doch der Bergsee, der sich in eine steile Schlucht schmiegte, war so schmal und tief, dass er den größten Teil des Sonnenlichts von der Oberfläche verschluckte. Andere Tauchgänge, die sie in diesem Gebiet gemacht hatten, waren flacher gewesen; diesmal stürmte die Klaustrophobie mit erdrückender Macht auf ihn ein. Er konnte sich nicht weit von Dan entfernen, der den großen Handscheinwerfer bei sich hatte. Wenn er allein bliebe, wäre seine eigene Kopflampe für diese Tiefe zu schwach, und Mark war sich keineswegs sicher, dass er in der Lage sein würde, seine Panik im Zaum zu halten. Eine gefährliche Situation, denn die Kälte und die Orientierungslosigkeit konnten hier unten tödlich sein. Schon atmete er zu heftig; der Atem rauschte laut in seinen Ohren, und er bemühte sich, die aufkeimende Furcht niederzukämpfen.
Ein weißes Seil erstreckte sich vor ihnen ins Nichts. Ohne dieses Seil, dessen Ende den Grund des Sees markierte, wären sie leicht auf die dicke Schicht aus Schlamm und Schlick gestoßen, die den Seeboden bedeckte, und hätten eine solche Wolke aus Schwebeteilchen aufgewirbelt, dass sie praktisch in einem lichtlosen Raum gewesen wären, den nicht einmal ein Scheinwerfer durchdringen konnte. Tatsächlich ließ ihre Ankunft Blumenkohlwolken aus Schmutz aufsteigen, die um sie herum im Wasser hingen wie riesige, graue Palmwedel.
Dan sah auf den Tauchcomputer an seinem Handgelenk. Mark tat dasselbe, aber sie konnten kaum die Displays ablesen. Die Messwerte Temperatur, Druck, Tauchtiefe, Tiefe des Sees verrieten ihnen, dass sie nur ungefähr fünfzehn Minuten unten bleiben konnten, bevor sie wieder auftauchen mussten. Ihr Aufstieg würde nicht schneller als etwa fünfzehn Zentimeter pro Sekunde sein, und sie würden in knapp fünf Meter Tiefe unter der Wasseroberfläche eine Sicherheitspause von drei Minuten einlegen müssen, damit überschüssiger Stickstoff aus ihrem Blutkreislauf ausgeschieden werden konnte. Andernfalls drohten multiple Embolien, Pneumothorax, mediastinale und subkutane Emphyseme, Gasblasen an Stellen, wo sie nicht sein sollten mit derart grässlichen Folgen, dass er schreiend sterben würde. Als Coroner von Saratoga County, der für alle rechtsmedizinischen Fragen einschließlich der Obduktionen zuständig war, hatte Mark in den letzten vier Jahren drei Tauchopfer mit genau diesen Schäden gesehen, und schon deshalb würde er verdammt vorsichtig sein.
Da sie so wenig Zeit hatten, wollte er vorankommen. Aber die Trübung blieb tatsächlich schien sie sogar stärker zu werden und machte es unmöglich, überhaupt etwas zu erkennen, denn sie trennte ihn von Dan. Darauf zu warten, dass die Wolke sich setzte, kam ihm wie eine Ewigkeit vor, und da er nicht einmal seine eigenen Luftblasen sehen oder sagen konnte, ob das Seil in seiner Hand zur Oberfläche oder auf den Boden führte, zweifelte er an seiner Sinneswahrnehmung.
Stopp! Denk nach! Handle!, sagte er sich. Das war das Glaubensbekenntnis der Taucher, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Er atmete tief und langsam, um die Kontrolle zu behalten. Dann passte er mit einem kleinen Schwall Druckluft den Druck in seinem Taucheranzug an, um seinen neutralen Auftrieb zu stabilisieren.
Dan, der direkt unter ihm trieb, kam in Sicht. Mark vermutete, dass auch er versuchte, das Gefühl der Panik zu besiegen, und dass er wahrscheinlich den Tag verfluchte, als sie zusammen für eine Woche nach Hawaii geflogen waren, um an einem Tauchlehrgang teilzunehmen, der sie für forensische Tauchgänge wie diesen qualifizierte. Doch Mark hatte darauf gedrängt, damit sie nicht jedes Mal auf ein auswärtiges Team warten mussten, wenn jemand ertrank.
Endlich setzten die Schwebeteilchen sich im Wasser ab.
Das Gebiet um sie herum war nur von einem Streifen Seegras bedeckt. Aber nachdem Mark betrachtet hatte, was er vom nicht bewachsenen Boden sehen konnte, wusste er, dass es nicht einfach sein würde zu finden, was sie suchten. Die Haken des Such- und Rettungsbootes mussten ihre Beute tief in diesem weichen Schlamm aufgespießt haben, weil alles von einigem Gewicht unter seiner Oberfläche vergraben sein würde. Mark wusste, dass sie den Rest der sterblichen Überreste niemals finden würden, es sei denn, die Zugbewegungen hätten sie aus dem Schlick befreit, bevor der Körperteil abgerissen war. Dan drehte sich währenddessen langsam um und streifte das umliegende Gebiet mit dem Lichtstrahl seiner Lampe. Er drang kaum drei Meter weit, bevor die tiefe, absolute Dunkelheit jede Helligkeit verschluckte.
Hoffnungslos, dachte Mark und las seinen Kompass ab. Die Leute von der Suchmannschaft hatten ihm gesagt, dass das Zielobjekt ungefähr nördlich bis nordöstlich des Ankertaues liegen müsse. Er orientierte sich so, dass das, wonach sie suchten, vor ihm sein müsste, wenn die Männer oben bei ihrer groben Schätzung richtig gelegen hatten. Mark reichte Dan seine Kopflampe, nahm den starken Handscheinwerfer und bewegte sich vorwärts.
Er war nur sechs Meter weit geschwommen, als er vor ihm auftauchte.
Ein kopfloser Oberkörper mit grün und braun verfärbten Rippen ragte leicht geneigt aus dem weichen Schlamm. Der linke Oberarmknochen und ein mehr oder weniger intakter rechter Arm hingen in das schwarze Sediment herab, sodass es so aussah, als würde das Skelett versuchen, sich selbst aus seinem Grab zu stemmen. Die untere Hälfte, das Becken und die Beine, blieb unsichtbar. Vom Schädel war nichts zu sehen.
Früher am Morgen hatten Dans Freiwillige den See nach der Leiche eines neunundsiebzigjährigen Mannes mit Alzheimer abgesucht, der am Wochenende zuvor davongelaufen und verschwunden war. Hätten sie ihn gefunden, hätte man ihn nur zum Bestatter in Saratoga Springs bringen und den unvermeidlichen Papierkram erledigen müssen. Stattdessen hatten sie die Knochen eines linken Unterarms an die Oberfläche befördert, an denen nur noch die Überreste einer Hand ohne Finger hingen. Die Männer hatten einen Anker mit Markierungsleine ausgelegt und Mark und Dan alarmiert. Oben an Land hatte Dan den Unterarm Mark gezeigt, während sie sich auf den Tauchgang vorbereiteten. Das Fleisch war weitgehend verschwunden, doch der Unterarm wurde noch von genügend Knorpel und Bindegewebe zusammengehalten, dass einer der Zähne des Schleppankers sich zwischen Elle und Speiche verfangen hatte, dem langen Knochen zwischen Ellbogen und Handgelenk.
Zu Marks Erstaunen schien der Körper, zu dem die Knochen gehörten, ebenso intakt zu sein. Nur dass hier unten die Streifen des noch vorhandenen Gewebes im Wasser hin und her wogten wie zerfetzte Kleider. Mit dem Lichtstrahl signalisierte er Dan herüberzuschwimmen.
Alles war von einer dicken Schicht Algen überwachsen und grün und braun verfärbt. Dass das Fleisch und die Organe ansonsten weitgehend verschwunden waren, bedeutete, dass es Jahre her war, seitdem diese Person im Wasser geendet hatte. Dass manche der Knochen überhaupt noch miteinander verbunden waren, musste an der konservierenden Wirkung liegen, die Kälte und Schlamm auf Knorpel hatten. Sicherlich war es keine Überraschung, dass der Kopf fehlte. Der knöcherne Teil, der den Kopf mit dem oberen Ende der Wirbelsäule verband, war ein kleiner Pflock, nicht größer als das letzte Fingerglied des kleinen Fingers. Im lebendigen Körper war ein ganzer Nacken voller Muskeln, Sehnen und Knorpel erforderlich, um alles zusammenzuhalten, mehr als bei jedem anderen Gelenk. Doch Bindegewebe konnte noch so viel kalter Schlamm nicht ausreichend konservieren, sodass der Schädel sich wohl schon beim ersten Rucken der Zähne des Schleppankers von der Wirbelsäule gelöst hatte und im Modder versunken war. Es war auch besser, nicht lange danach zu suchen. Im Sediment würden noch andere, viel kleinere Knochen verstreut sein, etwa die Finger. Auf einem davon steckte vielleicht ein Ring, der bei der Identifizierung nützlich sein könnte. Sie würden ein forensisches Tauchteam mit speziell isolierten Tauchanzügen anfordern müssen, das den Schlamm systematisch durchkämmen und mit einem modifizierten Förderkorb eine gründliche Suche vornehmen würde. Und sie würden es umgehend tun müssen, wenn sie fertig werden wollten oder bis zum nächsten Frühjahr warten. Der See konnte in dieser Gegend gegen Ende Oktober, Anfang November zufrieren, und niemand, der bei klarem Verstand war, würde nach einem Skelett tauchen, wenn man erst mit einer Kettensäge das Eis aufschneiden musste.
Nachdem er Dan den Scheinwerfer zurückgegeben hatte, löste Mark eine Unterwasser-Tafel vom Gürtel und fertigte eine einfache Skizze des Fundes an, auf der er dessen Entfernung von der Markierung einzeichnete. Dann benutzte er sein Lieblingswerkzeug zum Sammeln von Unterwasser-Beweismitteln, eine Olympus-Kamera in einem speziellen Gehäuse mit eingebautem Stroboskop.
Die Lichtblitze, die einmal pro Sekunde aufleuchteten, belebten das Skelett und ließen es so aussehen, als bewege es sich und verändere seine Position, während Mark um das Gerippe herumtrieb und Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln machte.
Mark blickte auf die Stelle, wo das Becken im Schlamm verschwand. Er überzeugte sich davon, dass die untere Hälfte vollständig war, denn er wollte nicht die wenn auch sehr unwahrscheinliche Möglichkeit außer Acht lassen, dass er es mit einer verstümmelten Leiche zu tun hatte.
Sanft glitt er über den oberen Rand der Hüftknochen und tauchte auf beiden Seiten mit den Händen ein Stückchen hinunter zu der Stelle, wo die Beine sein sollten. Der Sand unter ihm wurde explosionsartig lebendig, und ein gut anderthalb Meter langes schwarzes Band schlängelte sich aus dem Modder. Mark schrie in sein Mundstück, wich abrupt zurück und rempelte Evans an, der einen Fuß über ihm im Wasser schwebte.
Der schwarze Umriss wand sich zwischen seinen Armen hindurch und schoss in die Dunkelheit davon. Ein Aal.
Nicht ungewöhnlich in den Seen dieser Gegend. Es waren sogar Fälle bekannt, dass sie sich nachts um die Beine von Badenden gewickelt hatten.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg Copyright der Originalausgabe © 2003 by Peter Clement Duffy. Published by arrangement with Peter Duffy.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Übesetzung: »Dr. Rolf Tatje«
Er war schon früher so tief getaucht, aber im warmen, blauen Meer vor Hawaii. Hier könnte er genauso gut in Tinte schwimmen. Zwar war das Wasser klar, doch der Bergsee, der sich in eine steile Schlucht schmiegte, war so schmal und tief, dass er den größten Teil des Sonnenlichts von der Oberfläche verschluckte. Andere Tauchgänge, die sie in diesem Gebiet gemacht hatten, waren flacher gewesen; diesmal stürmte die Klaustrophobie mit erdrückender Macht auf ihn ein. Er konnte sich nicht weit von Dan entfernen, der den großen Handscheinwerfer bei sich hatte. Wenn er allein bliebe, wäre seine eigene Kopflampe für diese Tiefe zu schwach, und Mark war sich keineswegs sicher, dass er in der Lage sein würde, seine Panik im Zaum zu halten. Eine gefährliche Situation, denn die Kälte und die Orientierungslosigkeit konnten hier unten tödlich sein. Schon atmete er zu heftig; der Atem rauschte laut in seinen Ohren, und er bemühte sich, die aufkeimende Furcht niederzukämpfen.
Ein weißes Seil erstreckte sich vor ihnen ins Nichts. Ohne dieses Seil, dessen Ende den Grund des Sees markierte, wären sie leicht auf die dicke Schicht aus Schlamm und Schlick gestoßen, die den Seeboden bedeckte, und hätten eine solche Wolke aus Schwebeteilchen aufgewirbelt, dass sie praktisch in einem lichtlosen Raum gewesen wären, den nicht einmal ein Scheinwerfer durchdringen konnte. Tatsächlich ließ ihre Ankunft Blumenkohlwolken aus Schmutz aufsteigen, die um sie herum im Wasser hingen wie riesige, graue Palmwedel.
Dan sah auf den Tauchcomputer an seinem Handgelenk. Mark tat dasselbe, aber sie konnten kaum die Displays ablesen. Die Messwerte Temperatur, Druck, Tauchtiefe, Tiefe des Sees verrieten ihnen, dass sie nur ungefähr fünfzehn Minuten unten bleiben konnten, bevor sie wieder auftauchen mussten. Ihr Aufstieg würde nicht schneller als etwa fünfzehn Zentimeter pro Sekunde sein, und sie würden in knapp fünf Meter Tiefe unter der Wasseroberfläche eine Sicherheitspause von drei Minuten einlegen müssen, damit überschüssiger Stickstoff aus ihrem Blutkreislauf ausgeschieden werden konnte. Andernfalls drohten multiple Embolien, Pneumothorax, mediastinale und subkutane Emphyseme, Gasblasen an Stellen, wo sie nicht sein sollten mit derart grässlichen Folgen, dass er schreiend sterben würde. Als Coroner von Saratoga County, der für alle rechtsmedizinischen Fragen einschließlich der Obduktionen zuständig war, hatte Mark in den letzten vier Jahren drei Tauchopfer mit genau diesen Schäden gesehen, und schon deshalb würde er verdammt vorsichtig sein.
Da sie so wenig Zeit hatten, wollte er vorankommen. Aber die Trübung blieb tatsächlich schien sie sogar stärker zu werden und machte es unmöglich, überhaupt etwas zu erkennen, denn sie trennte ihn von Dan. Darauf zu warten, dass die Wolke sich setzte, kam ihm wie eine Ewigkeit vor, und da er nicht einmal seine eigenen Luftblasen sehen oder sagen konnte, ob das Seil in seiner Hand zur Oberfläche oder auf den Boden führte, zweifelte er an seiner Sinneswahrnehmung.
Stopp! Denk nach! Handle!, sagte er sich. Das war das Glaubensbekenntnis der Taucher, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Er atmete tief und langsam, um die Kontrolle zu behalten. Dann passte er mit einem kleinen Schwall Druckluft den Druck in seinem Taucheranzug an, um seinen neutralen Auftrieb zu stabilisieren.
Dan, der direkt unter ihm trieb, kam in Sicht. Mark vermutete, dass auch er versuchte, das Gefühl der Panik zu besiegen, und dass er wahrscheinlich den Tag verfluchte, als sie zusammen für eine Woche nach Hawaii geflogen waren, um an einem Tauchlehrgang teilzunehmen, der sie für forensische Tauchgänge wie diesen qualifizierte. Doch Mark hatte darauf gedrängt, damit sie nicht jedes Mal auf ein auswärtiges Team warten mussten, wenn jemand ertrank.
Endlich setzten die Schwebeteilchen sich im Wasser ab.
Das Gebiet um sie herum war nur von einem Streifen Seegras bedeckt. Aber nachdem Mark betrachtet hatte, was er vom nicht bewachsenen Boden sehen konnte, wusste er, dass es nicht einfach sein würde zu finden, was sie suchten. Die Haken des Such- und Rettungsbootes mussten ihre Beute tief in diesem weichen Schlamm aufgespießt haben, weil alles von einigem Gewicht unter seiner Oberfläche vergraben sein würde. Mark wusste, dass sie den Rest der sterblichen Überreste niemals finden würden, es sei denn, die Zugbewegungen hätten sie aus dem Schlick befreit, bevor der Körperteil abgerissen war. Dan drehte sich währenddessen langsam um und streifte das umliegende Gebiet mit dem Lichtstrahl seiner Lampe. Er drang kaum drei Meter weit, bevor die tiefe, absolute Dunkelheit jede Helligkeit verschluckte.
Hoffnungslos, dachte Mark und las seinen Kompass ab. Die Leute von der Suchmannschaft hatten ihm gesagt, dass das Zielobjekt ungefähr nördlich bis nordöstlich des Ankertaues liegen müsse. Er orientierte sich so, dass das, wonach sie suchten, vor ihm sein müsste, wenn die Männer oben bei ihrer groben Schätzung richtig gelegen hatten. Mark reichte Dan seine Kopflampe, nahm den starken Handscheinwerfer und bewegte sich vorwärts.
Er war nur sechs Meter weit geschwommen, als er vor ihm auftauchte.
Ein kopfloser Oberkörper mit grün und braun verfärbten Rippen ragte leicht geneigt aus dem weichen Schlamm. Der linke Oberarmknochen und ein mehr oder weniger intakter rechter Arm hingen in das schwarze Sediment herab, sodass es so aussah, als würde das Skelett versuchen, sich selbst aus seinem Grab zu stemmen. Die untere Hälfte, das Becken und die Beine, blieb unsichtbar. Vom Schädel war nichts zu sehen.
Früher am Morgen hatten Dans Freiwillige den See nach der Leiche eines neunundsiebzigjährigen Mannes mit Alzheimer abgesucht, der am Wochenende zuvor davongelaufen und verschwunden war. Hätten sie ihn gefunden, hätte man ihn nur zum Bestatter in Saratoga Springs bringen und den unvermeidlichen Papierkram erledigen müssen. Stattdessen hatten sie die Knochen eines linken Unterarms an die Oberfläche befördert, an denen nur noch die Überreste einer Hand ohne Finger hingen. Die Männer hatten einen Anker mit Markierungsleine ausgelegt und Mark und Dan alarmiert. Oben an Land hatte Dan den Unterarm Mark gezeigt, während sie sich auf den Tauchgang vorbereiteten. Das Fleisch war weitgehend verschwunden, doch der Unterarm wurde noch von genügend Knorpel und Bindegewebe zusammengehalten, dass einer der Zähne des Schleppankers sich zwischen Elle und Speiche verfangen hatte, dem langen Knochen zwischen Ellbogen und Handgelenk.
Zu Marks Erstaunen schien der Körper, zu dem die Knochen gehörten, ebenso intakt zu sein. Nur dass hier unten die Streifen des noch vorhandenen Gewebes im Wasser hin und her wogten wie zerfetzte Kleider. Mit dem Lichtstrahl signalisierte er Dan herüberzuschwimmen.
Alles war von einer dicken Schicht Algen überwachsen und grün und braun verfärbt. Dass das Fleisch und die Organe ansonsten weitgehend verschwunden waren, bedeutete, dass es Jahre her war, seitdem diese Person im Wasser geendet hatte. Dass manche der Knochen überhaupt noch miteinander verbunden waren, musste an der konservierenden Wirkung liegen, die Kälte und Schlamm auf Knorpel hatten. Sicherlich war es keine Überraschung, dass der Kopf fehlte. Der knöcherne Teil, der den Kopf mit dem oberen Ende der Wirbelsäule verband, war ein kleiner Pflock, nicht größer als das letzte Fingerglied des kleinen Fingers. Im lebendigen Körper war ein ganzer Nacken voller Muskeln, Sehnen und Knorpel erforderlich, um alles zusammenzuhalten, mehr als bei jedem anderen Gelenk. Doch Bindegewebe konnte noch so viel kalter Schlamm nicht ausreichend konservieren, sodass der Schädel sich wohl schon beim ersten Rucken der Zähne des Schleppankers von der Wirbelsäule gelöst hatte und im Modder versunken war. Es war auch besser, nicht lange danach zu suchen. Im Sediment würden noch andere, viel kleinere Knochen verstreut sein, etwa die Finger. Auf einem davon steckte vielleicht ein Ring, der bei der Identifizierung nützlich sein könnte. Sie würden ein forensisches Tauchteam mit speziell isolierten Tauchanzügen anfordern müssen, das den Schlamm systematisch durchkämmen und mit einem modifizierten Förderkorb eine gründliche Suche vornehmen würde. Und sie würden es umgehend tun müssen, wenn sie fertig werden wollten oder bis zum nächsten Frühjahr warten. Der See konnte in dieser Gegend gegen Ende Oktober, Anfang November zufrieren, und niemand, der bei klarem Verstand war, würde nach einem Skelett tauchen, wenn man erst mit einer Kettensäge das Eis aufschneiden musste.
Nachdem er Dan den Scheinwerfer zurückgegeben hatte, löste Mark eine Unterwasser-Tafel vom Gürtel und fertigte eine einfache Skizze des Fundes an, auf der er dessen Entfernung von der Markierung einzeichnete. Dann benutzte er sein Lieblingswerkzeug zum Sammeln von Unterwasser-Beweismitteln, eine Olympus-Kamera in einem speziellen Gehäuse mit eingebautem Stroboskop.
Die Lichtblitze, die einmal pro Sekunde aufleuchteten, belebten das Skelett und ließen es so aussehen, als bewege es sich und verändere seine Position, während Mark um das Gerippe herumtrieb und Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln machte.
Mark blickte auf die Stelle, wo das Becken im Schlamm verschwand. Er überzeugte sich davon, dass die untere Hälfte vollständig war, denn er wollte nicht die wenn auch sehr unwahrscheinliche Möglichkeit außer Acht lassen, dass er es mit einer verstümmelten Leiche zu tun hatte.
Sanft glitt er über den oberen Rand der Hüftknochen und tauchte auf beiden Seiten mit den Händen ein Stückchen hinunter zu der Stelle, wo die Beine sein sollten. Der Sand unter ihm wurde explosionsartig lebendig, und ein gut anderthalb Meter langes schwarzes Band schlängelte sich aus dem Modder. Mark schrie in sein Mundstück, wich abrupt zurück und rempelte Evans an, der einen Fuß über ihm im Wasser schwebte.
Der schwarze Umriss wand sich zwischen seinen Armen hindurch und schoss in die Dunkelheit davon. Ein Aal.
Nicht ungewöhnlich in den Seen dieser Gegend. Es waren sogar Fälle bekannt, dass sie sich nachts um die Beine von Badenden gewickelt hatten.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg Copyright der Originalausgabe © 2003 by Peter Clement Duffy. Published by arrangement with Peter Duffy.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Übesetzung: »Dr. Rolf Tatje«
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Bibliographische Angaben
- Autor: Peter Clement
- 2010, 1, 509 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386800176X
- ISBN-13: 9783868001761
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