Die Schreckenskammer
Das Böse ist allgegenwärtig! Es mag zwar immer wieder neue Gesichter tragen, aber seine Motive bleiben von der Zeit unberührt. Und so geschieht es, dass eine bretonische Äbtissin in der Mitte des 15. Jahrhunderts und eine...
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Das Böse ist allgegenwärtig! Es mag zwar immer wieder neue Gesichter tragen, aber seine Motive bleiben von der Zeit unberührt. Und so geschieht es, dass eine bretonische Äbtissin in der Mitte des 15. Jahrhunderts und eine Polizeibeamtin im Los Angeles unserer Tage genau das gleiche Grauen erblicken: in der Seele einer unmenschlichen Bestie, für die Schmerz und Tod die höchste Befriedigung bedeuten.
Ann Benson war bereits eine erfolgreiche Sachbuchautorin, als sie beschloss, ihre Begeisterung für Wissenschaft und mittelalterliche Geschichten in einem großen Roman einzubringen: Ihr Thrillerdebüt ''Die siebte Geißel'' war weltweit ein riesiger Erfolg. Ann Benson, die ausgebildete Musikerin ist, lebt mit ihrer Familie in Amherst, Massachusetts.
Die Schreckenskammer von Ann Benson
LESEPROBE
1
Die heimeligen kleinen Hütten,welche die Torwächter von Nantes darstellten, entschwanden schnell, als ich indas Dickicht der Bäume eintauchte - der schlimmste Teil der Reise nach Machecoul. Aus dem Licht und hinein in die Dunkelheit. Mankann nicht anders, als sich sehr klein zu fühlen inmitten dieser berindeten Riesen, deren knotige, tief hängende Zweigejeden Augenblick wie die Finger des Teufels nach mir greifen und mich in dendunklen Schlund eines Astlochs stopfen konnten, wo ich dahinsiechen würde inder ewigen Pein meiner Sünden.
So bete ich, wie ich es immer tue.denn sonst bleibt kaum etwas zu tun. Lieber Gott, lass nicht zu, dass sie meineDaumen nehmen, denn ohne Daumen kann ich die Nadel nicht fassen, und ein Lebenohne Sticken ist unvorstellbar.
Bei jedem Schritt schiebe ich dieHände weiter in die Falten meiner Ärmeltaschen: meine kostbaren Fingerverschwinden völlig in der Sicherheit ihrer Tiefen.
Sie finden den Brief. DieFingerspitzen ertasten kleine, durchgescheuerte Stellen an den Knicken imPergament, obwohl er erst kürzliche aus Avignon eintraf. Er kam zusammen mitandern wichtigen Papieren, die von Seiner Heiligkeit an meinen maître gesandt wurden, Jean de Malestroit, der als Bischof von Nantes eingeweiht ist in soviele von Gottes tiefsten Geheimnissen. Obwohl ich seine engste Vertraute bin,würde ich niemals auf den Gedanken kommen, jene gewichtigen Angelegenheitenbegreifen zu wollen, die zu erwägen Seine Heiligkeit Seiner Eminenz aufgetragenhat, und in Wahrheit will ich es auch gar nicht. Es drängt mich, alleweltlichen Belange beiseite zu lassen zu Gunsten der köstlichen Gedanken meinesErstgeborenen. Das Datum in der einen Ecke, geschrieben in der liebenswerten,kräftigen Handschrift meines Sohnes, lautet 10. März 1440, sieben Tage zuvor.Ich überfliege seine langatmigen Segenssprüche - schließlich ist er Priester - undsage mir den Rest vor.
Es gibt ganz ausgezeichneteNeuigkeiten, abrupt und unerwartet. Ich hin jetzt ein richtiger SchreiberSeiner Gnaden; nicht länger muss ich unter einem anderen Bruder arbeiten,sondern unterstehe direkt dem Kardinal selbst. Immer häufiger werde ich inseine Gemächer gerufen, um wichtige Angelegenheiten niederzuschreiben. Wiedurch ein Wunder scheint er mich unter seine Fittiche genommen zu haben, auchwenn ich nicht verstehe, warum er mich einer solchenEhre für würdig erachtet. Es gibt mir die Hoffnung, dass ich eher früher alsspäter mit einer Beförderung gesalbt werde...
Wie wunderbar, wie kostbar... aberauch wie abgrundtief unbefriedigend, denn viel lieber hätte ich den Mannselbst an meiner Seite. Aber Seine Eminenz Jean de Malestroitverabscheut Klagen, ich werde mich ihnen deshalb nicht hingeben, möge Gott michdavor bewahren, dass er mich wegen einer solchen Schwäche verabscheute. Ichfahre fort in meiner Rezitation, was von den Eichhörnchen und Füchsen, diemeine einzigen Zuhörer sind, wohl nicht gewürdigt wird. Doch es schenkt meinenSehritten eine beruhigende Festigkeit, wie trügerisch diese auch sein mag.
Ich denke jeden Tag an dich underquicke mich an dem Wissen. dass du in nicht allzu vielen Monaten hier inAvignon sein wirst, um mit eigenen Augen zu sehen, wie reich mein Lebengeworden ist. Auf ewig dankbar hin ich Milord de Rais für seinen Einfluss, der mir diese Stellungverschaffte, als ich nichts als ein junger Bruder mit beschränkten Aussichtenwar...
Meine eigene Dankbarkeit hat einenAnflug von Bitterkeit. Milord Gilles de Rais' Wohltätigkeit war dergestalt, dass ich, einst seineAmme, hier in der Bretagne bleiben muss, während mein Sohn, der fast wie seineigener Bruder ist, viele Tagesritte entfernt in Avignon weilt. Fast scheintes, als verfolgte er einen bestimmten Zweck, als er uns trennte.
Doch wie könnte das sein?
In deinem nächsten Brief musst dumir von den Vorgängen in Nantes berichten, Maman; wir hatten jüngst einen Pilgerhier, der von Ereignissen im Norden berichtete. Von den Leiden dieses Edelmannesund den Triumphen jenes Herrn und der Liebschaft jener Dame; wir sind begierigauf diese Art von Neuigkeiten. Vor allein aber möchte ich wissen, was einLiedchen, das er vortrug, zu bedeuten hat - die Gesamtheit des Textes ist mirentfallen, doch in Teilen lautet er: »Sur ce, I'on luiavait dit, en se merveillant, qu'on
y mangeoutles petits enfants.«
... und was das angeht, so hatte ihmjemand verwundert berichtet, dass sie dort kleine Kinder essen ...
Ich wusste nicht, was das zubedeuten hatte, und in Wahrheit wollte ich es auch gar nicht wissen. Auf jedenFall nicht in diesem Augenblick, da ich selbst in Gefahr war, gefressen zuwerden, von wer weiß was für einem abscheulichen und grässlichen Untier. Ich weißbesser als die meisten, dass solche Untiere hier lauern, oft unsichtbar, dasböse Maul geduldig aufgerissen.
Ein gesegneter Lichtstrahl schlich siehdurch die Bäume und flackerte- hatte ein Vogel sieh auf einen Ast gesetzt,oder war es nur mein eigener, zu lange angehaltener Atem, den ich jetzt zuschnell ausstieß? Ich sehne mich immer verzweifelt nach Licht; die ganze Weltspricht voll Hoffnung von der Zeit nach dem Ende der Kriege, falls diese jeanbrechen sollte, wenn Beleuchtung kein solcher Luxus mehr sein wird, wie siees jetzt ist. Nur selten vergeuden wir künstliches Licht zur gegenseitigenBetrachtung, wenn auch nur noch der dünnste Faden Tageslicht vorhanden ist,denn es gibt weisere Verwendungen - wie es für all die kleinen Gnaden desLebens weisere Verwendungen gibt als die, welche wir so töricht erwählen.
Früher war Lieht im Überflussvorhanden, ganz nach dem Belieben von Milord de Rais in seiner Residenz in Champtocé,und ich - in diesen Tagen Madame Guillemette la Drappière, Eheweib von Milordstreuem Gefolgsmann Etienne - konnte beinahe nach Lust und Laune darin baden.Jetzt bin ich auf Gott angewiesen, dass er mir Helligkeit schenkt, obwohl ichGott heutzutage nicht mehr so liebe, wie ich es tat, bevor ich La Mère Supérieure wurde, oder,wie der gestrenge Jean de Malestroit mich zu nennenbeliebt, ma sœuren Dieu. Eine bessere Frau als ich würde dieWohltat angemessener - nein, sogar üppiger - Lebensumstände wohl zu schätzenwissen. Bei so vielen Frauen, die wegen mangelnder Ernährung nach und nachihre Zähne ausspucken, sollte ich mehr als dankbar sein für mein großes Glück.Doch es ist nicht das Leben, nach dem ich mich sehne, nicht das, welches ichhatte und liebte. Dennoch waren sich nach dem Tode meines geliebten Gatten alleaußer mir selbst einig, dass es das Beste für mich sei.
Mein süßer Etienne kämpfte tapfermit Milord de Rais unterdem Banner der Jungfrau in der großen Schlacht von Orleans an einem Tag, alsviele tapfere Männer ihr Leben ließen. Sein Oberschenkel wurde durchbohrt vomPfeil eines englischen Bogenschützen. Gott verfluchederen unheimliche Geschicklichkeit. Sein Bein schwärte,wie es bei tiefen Wunden oft geschieht. Die Hebamme - leider hatten wir keinenArzt, obwohl niemand daran zweifeln sollte, dass sie beinahe so gut war wieeiner - bestand darauf, dass, um ihm sein Leben zu retten, das Bein abgenommenwerden müsse. Doch er willigte nicht ein.
Wie kann ich, als Soldat undFörster, meinem Herrn de Rais anständig dienen, wennich ein Krüppel bin?, sagte er zu mir.
Ihm war also nicht der ehrenvolleTod auf dem Schlachtfeld vergönnt, nach dem alle Krieger sich insgeheimsehnen, sondern ein langsames Dahinsiechen in Schmerz und Verfall. Als erschließlich doch abberufen wurde, um den Soldatenlohn zu empfangen, war meineStellung in Milord de Rais'Haushalt längst einer weniger abgelenkten Frau übergeben worden. Hätte ichBesitz geerbt, hätte ich mir eines anderen Gatten gewiss sein können. So aberbekam mich Gott.
Jetzt ist es mir ein Anliegen, michnützlich zu machen, denn ich könnte es nicht ertragen, noch einmal vertriebenzu werden. Ich bin ein stiller Schatten Seiner Eminenz, der als Bischof vonNantes und als Kanzler der Bretagne zwei anspruchsvollen Herren dient: der eineunsagbar göttlich, der andere grausam sterblich. Welcher Herr ihn vollkommenerbeherrscht, hängt oft davon ab, wessen Interessen eher seinen eigenen indiesem Augenblick entsprechen, aber in den dreizehn Jahren meines Dienstes hierhabe ich ihn, trotz dieses bedauerlichen Makels in seinem Wesen - den außer mirnur wenige kennen -, sehr zu schätzen gelernt.
Dennoch ist dies nicht das Leben,nach dem ich mich sehne. »Ich muss nach Machecoul«,sagte ich ihm an diesem Morgen.
»Ein paar kleine Erledigungen,einige Vorräte ...«, erklärte ich ihm. »Es ist alles auf dem dortigen Markt zufinden.«
»Nun ja, es ist keine übermäßiglange Reise nach Machecoul, aber vielleicht solltetIhr doch überlegen, eine der jüngeren Frauen zu schicken.«
Es gelang mir, meine Verärgerung zuverbergen. »Ein solider Marsch, fürwahr, aber es wird ein schöner Tag, und eswird mir gut ergehen, da bin ich mir sicher. Und ich möchte gern die Dinge, dieich brauche, selbst auswählen, anstatt mich auf die Augen einer anderen zuverlassen.«
»Frère Demien kann für heute von seinen gewohntenPflichten entbunden werden... Er könnte Euch beim Tragen Eurer Einkäufe helfen.«
Ich hatte genug Ärmeltaschen füralles, was ich kaufen mochte. »Er lässt sich nicht gerne von seinen Bäumenwegholen. Und nichts wird schwer sein - ich brauche Nadeln und ein paar Garne.Einige Eurer Chorröcke erfordern Ausbesserungen in gewissen Farben, und zwar insolchen, die wir anscheinend selbst nicht anständig herstellen können.«
»Ach ja, das sind Dinge, von denenich nur sehr wenig verstehe, Gott sei's gedankt. Die überlasse ich gerne Euch.« Er hob eine Seite seiner durchgehenden Augenbraue. »Undwas immer Ihr neben Euren Einkäufen sonst noch zu erledigen habt,«
Er wartete auf meine Reaktion. Ichkonnte sein Verlangen, in dieser Hinsicht weiter in mich zu dringen, beinahemit Händen greifen, aber ich reagierte nur mit einem knappen Nicken.
»Nun, dann macht Euch auf den Weg,aber achtet darauf, Euch nicht zu überanstrengen.«
»Selbstverständlich, Euer Eminenz.Ich werde mich nicht für meine Pflichten hier unbrauchbar machen.«
»Allerdings«, grummelte er. Erentließ mich, indem er sich wieder dem Text vor ihm zuwandte, doch als ichschon halb bei der Tür draußen war, hörte ich: »Möge Gott mit Euch sein.« Das brachte ein Lächeln auf mein Gesicht. ( )
© Weltbild
Übersetzung: Klaus Berr
- Autor: Ann Benson
- 2007, 1, 570 Seiten, Maße: 13,5 x 19,5 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828990401
- ISBN-13: 9783828990401
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