Die Schuld der Ökonomen
Was Mathematik und Ökonomie zur Krise beitrugen
Es kann jederzeit wieder passieren: Europäische Banken sind gesetzlich verpflichtet, bei ihren Geschäften strenge Regeln zur Risikoabwägung zu befolgen. Doch tatsächlich haben genau diese Regeln erst dazu geführt, dass die Finanzmärkte heiß liefen. Frank...
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Produktinformationen zu „Die Schuld der Ökonomen “
Es kann jederzeit wieder passieren: Europäische Banken sind gesetzlich verpflichtet, bei ihren Geschäften strenge Regeln zur Risikoabwägung zu befolgen. Doch tatsächlich haben genau diese Regeln erst dazu geführt, dass die Finanzmärkte heiß liefen. Frank Riedel, Professor für Finanzmathematik, erklärt, wie es passieren konnte, dass eine einfache Risikoformel ein Auslöser für den Riesencrash werden konnte. Durch eine fehlerhafte Konstruktion beschwor sie genau die Risiken herauf, die sie eigentlich disziplinieren sollte. Kombiniert mit Marktmacht und falsch regulierten Märkten entwickelte eine in Banken alltäglich eingesetzte Formel die Kraft einer Atombombe. Riedel nimmt die Ökonomen für die strukturellen Fehler ihrer Zunft in Haftung. Mit praktischen Konsequenzen, etwa einer intelligenten Bankensteuer, möchte er die Finanzmathematik wieder zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen.
Klappentext zu „Die Schuld der Ökonomen “
'Europäische Banken sind gesetzlich verpflichtet, bei ihren Geschäften strenge Regeln zur Risikoabwägung zu befolgen. Doch tatsächlich haben genau diese Regeln erst dazu geführt, dass die Finanzmärkte heiß liefen. Frank Riedel, Professor für Finanzmathematik, erklärt, wie es passieren konnte, dass eine einfache Risikoformel ein Auslöser für den Riesencrash werden konnte. Durch eine fehlerhafte Konstruktion beschwor sie genau die Risiken herauf, die sie eigentlich disziplinieren sollte. Kombiniert mit Marktmacht und falsch regulierten Märkten entwickelte eine in Banken alltäglich eingesetzte Formel die Kraft einer Atombombe.Riedel nimmt die Ökonomen für die strukturellen Fehler ihrer Zunft in Haftung. Mit praktischen Konsequenzen, etwa einer intelligenten Bankensteuer, möchte er die Finanzmathematik wieder zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen.
Lese-Probe zu „Die Schuld der Ökonomen “
Die Schuld der Ökonomen von Frank RiedelVorwort
Die Geschichte der wirtschaftlichen Verwerfungen der letzten Jahre ist inzwischen hinreichend beschrieben worden. Immobilien- und Hypothekenkrise, Verbriefungstricks und Staatsschulden sind uns so oft in den Medien begegnet, dass man kaum noch Lust hat, davon zu hören. Die strukturellen Ursachen all dessen sind aber noch nicht richtig aufgearbeitet. Es fehlt bei den beteiligten Akteuren - Banken, Politik und Wissenschaft - an Selbstkritik und Reflektion. Über Fragen der Schuld und der sich daraus ergebenden Konsequenzen auf Seiten der Banken, aber auch auf Seiten der Wissenschaft und der Politik, ging und geht man gerne zu eilig hinweg.
Auch wenn viele so schnell wie möglich zur Tagesordnung übergehen wollen, ist nicht zu leugnen, dass sich Wissenschaft, Banken und Politik neu aufstellen müssen. Wenn wir nicht rechtzeitig strukturelle Maßnahmen ergreifen, die das Banken- wesen neu strukturieren, Wirtschaftswissenschaft und Finanzmathematik eine neue Richtung geben und die Wirtschaftspolitik und ihre Beratung neu begreifen, wird aus der Krise dreier wichtiger Institutionen eine Krise, welche die Grundlagen unserer Gesellschaft erfasst und umwälzen kann.
Die Finanzmathematik spielt eine zentrale Rolle in der gegenwärtigen Misere. Wenn wir deren strukturelle Ursachen begreifen wollen, kommen wir daher nicht umhin, ein grundlegendes Verständnis für diese Wissenschaft zu entwickeln. Die Finanzmathematik gehört zu den großen wissenschaftlichen Errungenschaften der letzten fünfzig Jahre. Sie ist die erfolgreichste ökonomische Theorie, die je entwickelt wurde. Aber in Verbindung mit Marktmacht und falsch regulierten Märkten hat sie das Potenzial, uns in den Abgrund zu ziehen.
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In den Medien und selbst in vielen gut recherchierten Berichten und kenntnisreich geschriebenen Büchern von Wirtschaftsjournalisten und Volkswirten tritt die Finanzmathematik nur als mystisches Wesen komplexer mathematischer Formeln und Tricksereien auf. Das ist falsch, denn die Prinzipien der Finanzmathematik sind nicht übermäßig komplex und unverständlich, sondern eigentlich recht einfach.
In diesem Buch biete ich eine allgemein verständliche Darstellung der Finanzmathematik und erkläre ihre eigentliche, richtige Verwendung. Ferner zeige ich die natürlichen Grenzen der Theorie auf und erläutere, wie sie von Wissenschaftlern und Banken weiter und weiter überdehnt wurde. Zusammen mit einer letztlich fatalen Regulierung des Eigenkapitals wirkte sie als Katalysator des Bankenzusammenbruchs.
Ein großes Problem entsteht, wenn die Finanzmathematik, die implizit einen freien, gut funktionierenden Wettbewerb unterstellt, auf Marktmacht trifft. Wenn eine Bank Produkte selbst erstellen und bewerten kann, deren Wert wiederum von Parametern abhängt, die sie selbst beeinflusst, ist der Anreiz zur Manipulation unermesslich. Ich erläutere dies am Beispiel des LIBOR-Skandals: Hier trifft ein Konstrukt aus den Zeiten des Gentleman-Bankings auf die moderne Wissenschaft. Dass es nicht schon viel früher Manipulationsversuche gab, ist eigentlich aus strategischer Sicht ein Wunder.
Ein gewisser Kulturverlust hat sich ebenfalls bei den Banken breitgemacht. Ich sehe ihn allerdings weniger als ein Charakteristikum gieriger Banker per se oder als Ausfluss des kapitalistischen Menschenbilds, sondern eher als Folge der systematischen Fehler des Bankenwesens, welche die Entwicklung gewisser Produkte beförderten wie auch eine irrationale Nachfrage auf Seiten der Gesellschaft erzeugten. Dies erläutere ich am Beispiel gewisser Zinsderivate, die unverantwortlicherweise an viele Kommunen verkauft wurden und große Verluste verursachten. Das zeigt, dass die Institutionen der Finanzmärkte allesamt unter dem Aspekt strategischer Manipulationsmöglichkeiten durchleuchtet werden müssen.
Die gegenwärtige Krise ist auch eine Krise der Wissenschaft und ihrer Politikberatung. Ich erkläre, warum die Modelle der Wirtschaftsforschungsinstitute grundsätzlich nicht in der Lage waren, die Finanzkrise vorherzusagen oder auch nur zu erahnen. Ich diskutiere grundsätzliche Grenzen der (gegenwärtigen) globalen Wirtschaftsmodelle; hier ist auch eine Reform der wissenschaftlichen Politikberatung nötig.
Jede Krise bietet aber auch Chancen. Für die Wissenschaft besteht sie in einer Neuorientierung von Finanzmathematik und Volkswirtschaftslehre und einem entsprechenden Forschungsprogramm, das die wissenschaftliche Analyse von strategischen Konflikten und Marktmacht mit der Finanzmathematik vereint. Die wissenschaftlichen Grundlagen hierfür bietet die Spieltheorie. Daraus ergibt sich ein faszinierendes Forschungsprogramm, das ich kurz skizziere.
Was die Politikberatung betrifft, so müssen wir meiner Ansicht nach fort von den heroischen, aber letztlich zum Scheitern verurteilten Versuchen, komplexe Wirtschaftsgebilde wie Deutschland oder die Europäische Union exakt vorhersagen zu wollen. Stattdessen sollte sich wissenschaftliche
Politikberatung auf die Lösung konkreter gesellschaftlicher Einzelprobleme konzentrieren, die mit den gegenwärtigen Methoden beherrschbar sind.
Wie eine praktische Anwendung solcher Theorien aussehen könnte, zeige ich an Hand von zwei Beispielen. Ich diskutiere eine Bankensteuer, die nur die gesellschaftlich unerwünschte Spekulation bestraft, nicht aber den Mittelstand trifft oder die wirtschaftlich sinnvollen Aktivitäten der Banken erschwert. Ferner schlage ich eine Lizenzierung der Investmentbanken vor, wie dies auch in anderen Bereichen wie dem Mobilfunkmarkt erfolgreich geschehen ist. Marktmacht und Finanzmathematik erlauben es, hohe Renditen zu erzielen. Eine Lizenzierung durch Auktionen ermöglicht das Abschöpfen der Gewinne, ohne die eigentlich gewünschten Aktivitäten der Investmentbanken zu verzerren.
ERSTES KAPITEL
Reich durch Mathematik
Lassen Sie mich unsere Reise durch die Welt der Finanzmathematik und Wirtschaftswissenschaften mit einer persönlichen Anekdote beginnen. Als ich Ende der achtziger Jahre, noch vor der Wende und der Globalisierung, beschloss, Mathematik und Philosophie zu studieren, sagten mir viele, dass ich mich später bitte nicht ärgern möge, wenn andere im Alter von vierzig Jahren mehr Geld verdienten. Damals wies ich jeden Gedanken an das Studieren um des lieben Geldes willen empört von mir. Ich wollte kein »Brotstudent« sein, um Schillers Unterscheidung aufzunehmen, sondern um der Sache selbst willen studieren. Natürlich geht es für die meisten irgendwann doch auch um das liebe Geld oder die Brötchen, die sie für sich selbst und ihre Familie verdienen müssen, aber daran wollte ich damals nicht denken.
Wie das Leben so spielt, ergab es sich, dass man mit Mathematik reich werden konnte. Einige meiner Kommilitonen konnten sich inzwischen zur Ruhe setzen und sind als ehemalige Trader, »Quants« oder »Goldmänner« nun Privatiers. Die anderen Finanzmathematiker aus der Gruppe von Studenten der Humboldt-Universität Ende des letzten Jahrhunderts, zu der ich gehörte, sind Professoren für Finanzmathematik oder mathematische Wirtschaftstheorie geworden: Wir kommen durch. Natürlich ist nicht allen vergönnt, Professor zu werden, und es ist seit jeher eine Lebensweise für Mathematiker, bei der man ein gutes Auskommen hat. Aber wir sind eben auf einem neuen Gebiet Professoren geworden, einem Gebiet, das es vielleicht in der Form der Zins- und Lebensversicherungsmathematik schon vorher gab, das aber an ernsthaften Forschungsuniversitäten kaum eine Rolle spielte.
In den letzten fünfzig Jahren ist eine eigene Wissenschaft der Finanzmathematik entstanden, welche die Welt ähnlich stark verändert hat wie die Atomphysik hundert Jahre zuvor. Finanzen, finanzielle Anlageformen, »komplexe Derivate«, wie man gerne liest, wurden verstanden, entwickelt und leider auch missbraucht.
Der Nobelpreisträger Paul Samuelson, der in diesem Buch noch des Öfteren zu Wort kommen wird, sagte einmal: »When today's associate professor of security analysis is asked, ›Young man, if you're so smart, why ain't you rich?‹, he replies by laughing all the way to the bank or to his appointment as a high-paid consultant to Wall Street.« In der Tat: Während der praktische veranlagte Unternehmer den akademischen Elfenbeintürmler früher gerne spöttisch fragte, warum er denn nicht reich sei, wo er doch so schlau sei, lacht ihn der Finanzmathematiker heute aus und lässt ihn stehen auf seinem Weg in die Londoner City oder die New Yorker Wall Street.
Andererseits mag so manchem inzwischen das Lachen im Halse stecken geblieben sein. Zumindest die besseren unter meinen ehemaligen Kommilitonen fragen sich, warum es mit den Banken, die sie so gut bezahlten, so schieflaufen konnte, und welche Rolle sie selbst eigentlich dabei spielten. Andere fragen sich, warum die Wirtschaftsforschungsinstitute und hochrangigen Berater der Politik die Probleme nicht haben kommen sehen. Die angebliche »Blindheit« der Ökonomen wird gern, und nicht immer zu Unrecht, verspottet.
Es ist also an der Zeit, sich Gedanken über die Rolle der Wissenschaft in der Krise zu machen, wobei ich hier durchaus eine gewisse Doppeldeutigkeit intendiere: Einerseits wollen wir untersuchen, welche Rolle Mathematik und Wirtschaftswissenschaften bei der Entstehung der gegenwärtigen Finanz-, Banken-, Immobilien-, Staats- und all der anderen Krisen spielen, andererseits sind zumindest Teile der Wirtschaftswissenschaften selbst in der Krise, gerade dort, wo sie eigentlich gesellschaftlich relevant werden sollen: in der Prognose und Beratung von Politik.
Wir werden zunächst einen etwas anderen Blick auf die Finanzkrise werfen, als Sie es bisher gewohnt sind. Wir beginnen nicht mit den großen Zahlen, die meist zuerst genannt werden. Milliarden und Billionen verwirren den Geist nur unnötig, wenn man die Prinzipien verstehen will. Also blenden wir zunächst einmal Banken und Immobilien sowie Staaten und Eurokrisen aus.
Wir gehen anders vor. Wir stellen uns vor, dass wir vor der Titanic stehen, wie sie im Hafen von Southampton liegt. Aber im Gegensatz zu allen anderen staunenden Zuschauern versuchen wir, uns nicht von den Superlativen und den Schönheiten des neuesten und größten Schiffes aller Zeiten blenden zu lassen, sondern wir bitten darum, über die Reiseroute und den Wetterbericht zu reden. Das wird natürlich in der allgemeinen Begeisterung niemanden kümmern.
Für unser Buch werden die Rolle von Reiseroute und Wetterbericht von gewissen technischen Details der Regulierung übernommen. Während des Booms der Finanzmärkte war es in ganz ähnlicher Weise schwer, Banken und Politiker für diese technischen Seiten zu interessieren. Solange die Aktienmärkte und Immobiliengeschäfte blendend liefen, bestand wenig Bedarf, sich mit scheinbar schwierigen Details auseinanderzusetzen; für diese Dinge hatte man ja die Mathematiker und Physiker in den Banken und wollte ansonsten aber seine Ruhe haben.
© Econ Verlag
In den Medien und selbst in vielen gut recherchierten Berichten und kenntnisreich geschriebenen Büchern von Wirtschaftsjournalisten und Volkswirten tritt die Finanzmathematik nur als mystisches Wesen komplexer mathematischer Formeln und Tricksereien auf. Das ist falsch, denn die Prinzipien der Finanzmathematik sind nicht übermäßig komplex und unverständlich, sondern eigentlich recht einfach.
In diesem Buch biete ich eine allgemein verständliche Darstellung der Finanzmathematik und erkläre ihre eigentliche, richtige Verwendung. Ferner zeige ich die natürlichen Grenzen der Theorie auf und erläutere, wie sie von Wissenschaftlern und Banken weiter und weiter überdehnt wurde. Zusammen mit einer letztlich fatalen Regulierung des Eigenkapitals wirkte sie als Katalysator des Bankenzusammenbruchs.
Ein großes Problem entsteht, wenn die Finanzmathematik, die implizit einen freien, gut funktionierenden Wettbewerb unterstellt, auf Marktmacht trifft. Wenn eine Bank Produkte selbst erstellen und bewerten kann, deren Wert wiederum von Parametern abhängt, die sie selbst beeinflusst, ist der Anreiz zur Manipulation unermesslich. Ich erläutere dies am Beispiel des LIBOR-Skandals: Hier trifft ein Konstrukt aus den Zeiten des Gentleman-Bankings auf die moderne Wissenschaft. Dass es nicht schon viel früher Manipulationsversuche gab, ist eigentlich aus strategischer Sicht ein Wunder.
Ein gewisser Kulturverlust hat sich ebenfalls bei den Banken breitgemacht. Ich sehe ihn allerdings weniger als ein Charakteristikum gieriger Banker per se oder als Ausfluss des kapitalistischen Menschenbilds, sondern eher als Folge der systematischen Fehler des Bankenwesens, welche die Entwicklung gewisser Produkte beförderten wie auch eine irrationale Nachfrage auf Seiten der Gesellschaft erzeugten. Dies erläutere ich am Beispiel gewisser Zinsderivate, die unverantwortlicherweise an viele Kommunen verkauft wurden und große Verluste verursachten. Das zeigt, dass die Institutionen der Finanzmärkte allesamt unter dem Aspekt strategischer Manipulationsmöglichkeiten durchleuchtet werden müssen.
Die gegenwärtige Krise ist auch eine Krise der Wissenschaft und ihrer Politikberatung. Ich erkläre, warum die Modelle der Wirtschaftsforschungsinstitute grundsätzlich nicht in der Lage waren, die Finanzkrise vorherzusagen oder auch nur zu erahnen. Ich diskutiere grundsätzliche Grenzen der (gegenwärtigen) globalen Wirtschaftsmodelle; hier ist auch eine Reform der wissenschaftlichen Politikberatung nötig.
Jede Krise bietet aber auch Chancen. Für die Wissenschaft besteht sie in einer Neuorientierung von Finanzmathematik und Volkswirtschaftslehre und einem entsprechenden Forschungsprogramm, das die wissenschaftliche Analyse von strategischen Konflikten und Marktmacht mit der Finanzmathematik vereint. Die wissenschaftlichen Grundlagen hierfür bietet die Spieltheorie. Daraus ergibt sich ein faszinierendes Forschungsprogramm, das ich kurz skizziere.
Was die Politikberatung betrifft, so müssen wir meiner Ansicht nach fort von den heroischen, aber letztlich zum Scheitern verurteilten Versuchen, komplexe Wirtschaftsgebilde wie Deutschland oder die Europäische Union exakt vorhersagen zu wollen. Stattdessen sollte sich wissenschaftliche
Politikberatung auf die Lösung konkreter gesellschaftlicher Einzelprobleme konzentrieren, die mit den gegenwärtigen Methoden beherrschbar sind.
Wie eine praktische Anwendung solcher Theorien aussehen könnte, zeige ich an Hand von zwei Beispielen. Ich diskutiere eine Bankensteuer, die nur die gesellschaftlich unerwünschte Spekulation bestraft, nicht aber den Mittelstand trifft oder die wirtschaftlich sinnvollen Aktivitäten der Banken erschwert. Ferner schlage ich eine Lizenzierung der Investmentbanken vor, wie dies auch in anderen Bereichen wie dem Mobilfunkmarkt erfolgreich geschehen ist. Marktmacht und Finanzmathematik erlauben es, hohe Renditen zu erzielen. Eine Lizenzierung durch Auktionen ermöglicht das Abschöpfen der Gewinne, ohne die eigentlich gewünschten Aktivitäten der Investmentbanken zu verzerren.
ERSTES KAPITEL
Reich durch Mathematik
Lassen Sie mich unsere Reise durch die Welt der Finanzmathematik und Wirtschaftswissenschaften mit einer persönlichen Anekdote beginnen. Als ich Ende der achtziger Jahre, noch vor der Wende und der Globalisierung, beschloss, Mathematik und Philosophie zu studieren, sagten mir viele, dass ich mich später bitte nicht ärgern möge, wenn andere im Alter von vierzig Jahren mehr Geld verdienten. Damals wies ich jeden Gedanken an das Studieren um des lieben Geldes willen empört von mir. Ich wollte kein »Brotstudent« sein, um Schillers Unterscheidung aufzunehmen, sondern um der Sache selbst willen studieren. Natürlich geht es für die meisten irgendwann doch auch um das liebe Geld oder die Brötchen, die sie für sich selbst und ihre Familie verdienen müssen, aber daran wollte ich damals nicht denken.
Wie das Leben so spielt, ergab es sich, dass man mit Mathematik reich werden konnte. Einige meiner Kommilitonen konnten sich inzwischen zur Ruhe setzen und sind als ehemalige Trader, »Quants« oder »Goldmänner« nun Privatiers. Die anderen Finanzmathematiker aus der Gruppe von Studenten der Humboldt-Universität Ende des letzten Jahrhunderts, zu der ich gehörte, sind Professoren für Finanzmathematik oder mathematische Wirtschaftstheorie geworden: Wir kommen durch. Natürlich ist nicht allen vergönnt, Professor zu werden, und es ist seit jeher eine Lebensweise für Mathematiker, bei der man ein gutes Auskommen hat. Aber wir sind eben auf einem neuen Gebiet Professoren geworden, einem Gebiet, das es vielleicht in der Form der Zins- und Lebensversicherungsmathematik schon vorher gab, das aber an ernsthaften Forschungsuniversitäten kaum eine Rolle spielte.
In den letzten fünfzig Jahren ist eine eigene Wissenschaft der Finanzmathematik entstanden, welche die Welt ähnlich stark verändert hat wie die Atomphysik hundert Jahre zuvor. Finanzen, finanzielle Anlageformen, »komplexe Derivate«, wie man gerne liest, wurden verstanden, entwickelt und leider auch missbraucht.
Der Nobelpreisträger Paul Samuelson, der in diesem Buch noch des Öfteren zu Wort kommen wird, sagte einmal: »When today's associate professor of security analysis is asked, ›Young man, if you're so smart, why ain't you rich?‹, he replies by laughing all the way to the bank or to his appointment as a high-paid consultant to Wall Street.« In der Tat: Während der praktische veranlagte Unternehmer den akademischen Elfenbeintürmler früher gerne spöttisch fragte, warum er denn nicht reich sei, wo er doch so schlau sei, lacht ihn der Finanzmathematiker heute aus und lässt ihn stehen auf seinem Weg in die Londoner City oder die New Yorker Wall Street.
Andererseits mag so manchem inzwischen das Lachen im Halse stecken geblieben sein. Zumindest die besseren unter meinen ehemaligen Kommilitonen fragen sich, warum es mit den Banken, die sie so gut bezahlten, so schieflaufen konnte, und welche Rolle sie selbst eigentlich dabei spielten. Andere fragen sich, warum die Wirtschaftsforschungsinstitute und hochrangigen Berater der Politik die Probleme nicht haben kommen sehen. Die angebliche »Blindheit« der Ökonomen wird gern, und nicht immer zu Unrecht, verspottet.
Es ist also an der Zeit, sich Gedanken über die Rolle der Wissenschaft in der Krise zu machen, wobei ich hier durchaus eine gewisse Doppeldeutigkeit intendiere: Einerseits wollen wir untersuchen, welche Rolle Mathematik und Wirtschaftswissenschaften bei der Entstehung der gegenwärtigen Finanz-, Banken-, Immobilien-, Staats- und all der anderen Krisen spielen, andererseits sind zumindest Teile der Wirtschaftswissenschaften selbst in der Krise, gerade dort, wo sie eigentlich gesellschaftlich relevant werden sollen: in der Prognose und Beratung von Politik.
Wir werden zunächst einen etwas anderen Blick auf die Finanzkrise werfen, als Sie es bisher gewohnt sind. Wir beginnen nicht mit den großen Zahlen, die meist zuerst genannt werden. Milliarden und Billionen verwirren den Geist nur unnötig, wenn man die Prinzipien verstehen will. Also blenden wir zunächst einmal Banken und Immobilien sowie Staaten und Eurokrisen aus.
Wir gehen anders vor. Wir stellen uns vor, dass wir vor der Titanic stehen, wie sie im Hafen von Southampton liegt. Aber im Gegensatz zu allen anderen staunenden Zuschauern versuchen wir, uns nicht von den Superlativen und den Schönheiten des neuesten und größten Schiffes aller Zeiten blenden zu lassen, sondern wir bitten darum, über die Reiseroute und den Wetterbericht zu reden. Das wird natürlich in der allgemeinen Begeisterung niemanden kümmern.
Für unser Buch werden die Rolle von Reiseroute und Wetterbericht von gewissen technischen Details der Regulierung übernommen. Während des Booms der Finanzmärkte war es in ganz ähnlicher Weise schwer, Banken und Politiker für diese technischen Seiten zu interessieren. Solange die Aktienmärkte und Immobiliengeschäfte blendend liefen, bestand wenig Bedarf, sich mit scheinbar schwierigen Details auseinanderzusetzen; für diese Dinge hatte man ja die Mathematiker und Physiker in den Banken und wollte ansonsten aber seine Ruhe haben.
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Autoren-Porträt von Frank Riedel
Professor Frank Riedel, 1968, studierte Mathematik und Philosophie in Freiburg und promovierte in Wirtschaftstheorie in Berlin. Anschließend arbeitete er in Berkeley, Stanford und Bonn. Seit 2009 leitet er das Institut für mathematische Wirtschaftsforschung in Bielefeld und ist Gastprofessor in Princeton und an der Sorbonne.
Bibliographische Angaben
- Autor: Frank Riedel
- 2013, 208 Seiten, Maße: 13,8 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ECON
- ISBN-10: 343020156X
- ISBN-13: 9783430201568
- Erscheinungsdatum: 13.09.2013
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