Die Sekte
Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass auf Cuagach Eilean, genannt "Pig Island", ein grauenhaftes Wesen umgeht. Sogar Filmaufnahmen gibt es. Doch Genaues weiß niemand, denn seit Jahren durfte kein Fremder die Insel betreten. Plötzlich erhält der...
Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass auf Cuagach Eilean, genannt "Pig Island", ein grauenhaftes Wesen umgeht. Sogar Filmaufnahmen gibt es. Doch Genaues weiß niemand, denn seit Jahren durfte kein Fremder die Insel betreten. Plötzlich erhält der Journalist Joe Oakes die Einladung, ein Interview mit den auf Pig Island lebenden Mitgliedern einer Sekte zu führen. Er willigt ein, auch aus ganz persönlichen Gründen.
Von der Crime Writers' Association als bester Thriller des Jahres für den Ian Fleming Steel Dagger nominiert.
Die Sekte von Mo Hayder
LESEPROBE
Oakesy
1
Die ersten Alarmglocken schrilltenin meinem Kopf, als der
Wirt und der Hummerfischer mirzeigten, was da an den
Strand gespült worden war. Ich warfnur einen Blick auf die
Wellen, die sich dort brachen, undwusste sofort, dass es nicht
der erwartete Spaziergang werdenwürde, den Pig-Island-
Schwindel aufzudecken. Eine ganzeWeile sagte ich nichts,
stand einfach da, kratzte mich imNacken und glotzte, denn
so etwas na ja, es gibt einem zudenken, nicht wahr? Man
glaubt vielleicht, ein erwachsenerMann zu sein, denkt, im
Leben schon eine Menge gesehen zuhaben, und ist sehr misstrauisch
gegenüber den verrücktenGeschichten, die immer
wieder in Umlauf sind, aber wenn mandann sieht, wie einem
so etwas um die Schuhe plätschert,kratzt man sich eben doch
ein bisschen. Warum ich auf dieAlarmglocken nicht gehört
habe? Warum ich nicht auf der Stellekehrtgemacht habe und
weggegangen bin? Nicht. Fragen Sienicht. Ich habe schon vor
langer Zeit aufgehört, mir dieseFragen zu stellen.
In dem Sommer kursierte das Video,das »Der Teufel von
Pig Island« hieß, schon seit zweiJahren. Eine beunruhigende
Sache, ja. Ein genialer Schwindel.Und glauben Sie mir, ich
verstehe etwas von Schwindel. Es waran einem sonnigen Vormittag
von einem Touristen auf einerfeuchtfröhlichen Sightseeingtour
auf den SlateIslands gedreht worden, und als es an
die Öffentlichkeit kam, tuscheltedas ganze Land von Teufelsanbetung
und allgemein üblem Kram, der aufdieser abgelegenen
Insel vor der Küste Westschottlandsim Gange sei. Die
Geschichte wäre vielleicht ewigweitergelaufen, aber die geheimniskrämerische
religiöse Gruppe, die auf der Insellebte,
die Gemeinde für Psychogenes Heilen,gab der Presse keine
Interviews und reagierte auch nichtauf die Vorwürfe. Und da
die Geschichte keine weitere Nahrungerhielt, verlor die
Öffentlichkeit das Interesse - biszum August letzten Jahres,
als die Sekte nach zwei Jahrenplötzlich beschloss, ihr Schweigen
zu brechen. Ein auserwählterJournalist durfte sich eine
Woche lang auf der Insel aufhalten,wo die Gemeinschaft
lebte, und »über die weitverbreiteten Vorwürfe satanistischer
Rituale« diskutieren. Und wer wardieser gerissene alte Hund
von einem Journalisten? Ich selbst.Joe Oakes. Oakesy für
meine Freunde. Der alleinigeArchitekt des größten Selbstficks
der Geschichte.
2
Haben das alte Video gesehen, was?«, fragte der Hummerfischer.
Wir waren uns heute zum ersten Malbegegnet, und ich
wusste, er mochte mich nicht. Andiesem Abend waren wir
nur zu viert im Pub:ich, der Wirt, sein Hund und dieser launische
alte Scheißer. Er hockte in derEcke, an die Holzvertäfelung
gelehnt, paffte seineSelbstgedrehten und schüttelte den
Kopf, als ich anfing, mich nach Pig Island zu erkundigen.
»Sind Sie deshalb hier? Halten sichfür n Teufelsbändiger?«
»Ich halte mich für einenJournalisten.«
»Ein Journalist sogar!«
Er lachte und sah den Wirt an. »Hastdu das gehört? Hält
sich für n Journalisten!«
In dem Lokal herrschte die lauerndeAtmosphäre, die man
in diesen ums Dasein kämpfendenDorfkneipen manchmal
findet - als ob hinter einem derSpielautomaten jeden Augenblick
eine Prügelei losgehen könnte,obwohl der Laden fast
leer ist. Das Dorf hatte zwei Kneipen,eine für Touristen, mit
einem Panoramafenster und Blick aufden Yachthafen, und
die hier für die Einheimischen, aneinem Küstenpfad unter
triefendnassen Bäumen. FleckigePutzwände, stinkender Teppichboden
und vom Seewasser trübe Fenster, dienach Pig
Island hinausstarrten, das stumm und dunkel fast zwei Meilen
weit draußen vor der Küste lag.
»Die werden Sie nicht auf die Insellassen«, sagte der Wirt
und wischte über seinen Tresen. »Daswissen Sie, oder? Da
war seit Jahren kein Journalist mehrauf der Insel. Das sind
Irre da draußen auf Pig Island - lassen keine Menschenseele
auf die Insel, und schon gar keinenJournalisten.«
»Und wenn sie Sie doch ließen«,sagte der Hummerfischer,
»Gott, da würden Sie aber in ganz Craignish keinen finden,
der Sie hinbringt. Das werden Sienicht erleben, dass einer von
uns nach PigIsland fährt.« Blinzelnd spähte er durch die
Rauchschwaden zum Fenster hinaus zuden dunklen Umrissen
der Insel im Zwielicht derDämmerung. Sein weißer Bart
war nikotinfleckig, als hätte erjahrelang hineingesabbert.
»Nein. Ich jedenfalls nicht. Ichfahre durch jeden Hexenkessel,
auch wenn er noch so mörderisch ist,aber nicht rüber
nach PigIsland zum Gottseibeiuns.«
Eins habe ich in achtzehn Jahren indiesem Geschäft gelernt:
Es gibt immer jemanden, der ausübernatürlichen Phänomenen
seinen Profit zieht. Ich war bereitsin Bolton gewesen
und hatte den Touristen interviewt,von dem das Video
stammte. Er hatte mit dem Schwindelnichts zu tun: ein armes,
bierbäuchiges Schwein, das nichtüber die Fußballtabellen
vom nächsten Samstag hinausgucken,geschweige denn so
etwas auf die Beine stellen konnte.Wer also profitierte von
dem Pig-Island-Film?
»Denen gehört die Insel, stimmt s?« Ich drehte mein Pint
Newcastle Brown in dem feuchten Kringel aufder Theke und
betrachtete es gedankenverloren.»Der Gemeinde für Psychogenes
Heilen. Das hab ich irgendwo gelesen- sie haben sie in
den achtziger Jahren gekauft.«
»Gekauft oder gestohlen - das ist Ansichtssache.«
»War ein ziemlicher Trottel, derEigentümer.« Der Wirt
stützte sich mit beiden Ellbogen aufdie Theke. »Ein ziemlicher
Trottel. Die Schweinefarm geht pleite, und was macht
er? Lässtsämtliche Bauern von Argyll ihre heiklen Chemikalien
da draußen abkippen. War am Endeeine Todesgrube, die
Insel - Schweine überall, alteBergwerksschächte, Chemikalien.
Schließlich musste er praktischalles verschenken. Zehntausend
Pfund! Da hätten sie ihm die Inselauch stehlen können,
das wäre ehrlicher gewesen.«
»Ihnen hier wird das nichtgefallen«, sagte ich in gleichmütigem
Ton. »Dass die Leute aus dem Südenheraufkommen
und überall Grund und Bodenaufkaufen.«
Der Hummerfischer rümpfte die Nase.»Macht uns nichts
aus. Was wir nicht akzeptieren,ist, wenn sie Land kaufen, sich
dann einschließen und ihre komischenRituale ausführen.
Dann fängt san, uns zu stören - die verkriechen sich da draußen,
treiben s mit dem Teufel, fressen Babys undverpassen
sich gegenseitig ne ordentlicheTracht Prügel, wenn sie Lust
dazu haben.«
»Aye«,sagte der Wirt. »Und dann ist da noch der Geruch.«
Ich sah ihn an und versuchte zulächeln. »Der Geruch? Von
der Insel?«
»Ah!« Er warf sich das Geschirrtuchüber die Schulter.
»Der Geruch.« Er fischte eineRiesentüte Chips unter dem
Tresen hervor, riss sie auf undstopfte sich eine Handvoll in
den Mund. »Wissen Sie, was man sosagt? Was der Erkennungsgeruch
des Teufels ist? Der Geruch desTeufels ist der
Geruch von Scheiße. So ist das. Dakönnen Sie zu jedem da
draußen gehen« - er deutete miteinem Chipsfinger zum
Fenster, Krümel rieselten wieKonfetti auf sein T-Shirt -, »da
draußen auf Jura oder in Arduaine, und die werden Ihnen alle
dasselbe sagen. Der Scheißegeruchkommt von Pig Island.
Einen besseren Beweis für ihreRituale gibt es nicht.«
Ich betrachtete ihn nachdenklich.Dann drehte ich mich
um und schaute hinaus auf das dunkleMeer. Der Mond stand
am Himmel, und Wind war aufgekommenund peitschte die
Zweige gegen die Fensterscheiben.Hinter unserem Spiegelbild,
hinter dem des Wirts, der unter denLampen stand, sah
ich ein dunkles Loch vor demNachthimmel: Pig Island.
»Die machen Sie sauer, was?« Ich versuchte mir die rund
dreißig Leute vorzustellen, die dadraußen wohnten. »Die
machen Sie alle hier gründlich sauer.«
»Das können Sie laut sagen.« Der Wirt kam zum Tisch,
setzte sich und legte die Chipstüte vor sich hin. »Sie machen
uns gründlich sauer. Sie sind nichtbeliebt - nicht, seit sie das
hübsche Stückchen Strand an derSüdwestseite der Insel eingezäunt
haben, sodass die jungen Leute aus Arduaine nicht
mehr mit ihren Booten rüberfahren können. Die wollen nur
ein bisschen Ball spielen, da aufdem Sand. Herrgott, das
braucht man doch nicht so streng zusehen. Das ist meine Meinung.«
»Nicht gerade ideale Nachbarn.«
»Nein«, sagte er. »Das sind dienicht.«
»Da, wo ich herkomme, gibt s leichtmal eins auf die Nase,
wenn einer sich so benimmt.«
»Allmählich verstehen Sie, was ichmeine.«
»Ich glaube, ich würde mir in einemsolchen Fall überlegen,
wie ich denen das Leben schwermachenkönnte.«
»Lust dazu hätten wir schon!« Der Wirt lachte. Er leckte
sich sorgfältig die Finger ab undstrich sich dann damit über
die Augen, als müsste er Lachtränenwegwischen. »Das will
ich nicht bestreiten. Gute Lust.Vielleicht ein bisschen Paraffin
in ihre Getränkeflaschen zu schütten.«
»Wissen Sie, ich an Ihrer Stelle,ich würde - ich würde ich
weiß nicht.«Ich schüttelte den Kopf und schaute zur Decke,
als suchte ich nach einerInspiration. »Ich würde wahrscheinlich
versuchen, irgendein schrägesGerücht zu verbreiten.
Ja.« Ich nickte. »Irgendeine Ente indie Welt setzen. Ein paar
Geschichten in Umlauf bringen.«
Der Wirt hörte auf zu lachen undrieb sich die Nase. »Wollen
Sie damit sagen, dass wir das alleserfinden?«
»Aye. Siemachen sich über uns lustig, was?« Der Hummerfischer
beugte sich vor. Er klang plötzlichangriffslustig.
»Machen Sie sich lustig? Ist es das,was Sie sagen wollen?«
»Ich will nur sagen, dass es sichein bisschen merkwürdig
anhört.«Mir ernstem Gesicht sah ich abwechselnd ihn und
den Wirt an. »Ich meine - Teufelsanbeter?Der Satan am
Strand von PigIsland?«
Der Hummerfischer wurde eine Ideeblasser. Er drückte
seine Zigarette im Aschenbecher aus,stand auf und richtete
sich zu voller Größe auf.Streitsüchtig atmete er ein paarmal
tief durch und musterte mich mitunsicherem Blick. »Sagen
Sie mir eins, mein Junge. Sind Sieein Mann, der leicht zu erschrecken
ist? Sie sind n kräftiger Kerl,aber ich schätze, Sie
sind leicht zu erschrecken. Wasmeinst du?«, fragte er den
Wirt. »Ist er das? Ist er ein Mann,der sich in die Hose macht,
wenn er was Fieses zu sehen kriegt?Denn für mich sieht er
ganz so aus.«
»Warum?« Langsam stellte ich meinGlas hin. »Warum?
Was wollen Sie mir denn zeigen?«
»Wenn Sie so schlau sind, dass Siemir nicht glauben, was
ich sage, dann kommen Sie mal mit.Wir werden schon sehen,
was für eine Ente wir da in die Weltgesetzt haben.«
Pig Island - oder CuagachEilean, wie sie auf Gälisch heißt -
liegt in dem kleinen Meeresbecken amRande des Firth of
Lorn, eingefasst wie ein Edelsteinzwischen Luing, Jura und
der Halbinsel Craignish,als sollte es die Einfahrt in den Sound
of Jura blockieren. Die Insel hateine merkwürdige Form: Von
oben sieht sie aus wie eine Erdnuss,bedeckt von Gras und
dichtem Wald, durchzogen von einerbreiten Felsschlucht.
Früher, vor der Schweinefarm und derGiftmülldeponie, war
am Südendeder Insel ein Schieferbergwerk in Betrieb gewesen;
es hatte eine Bergarbeitersiedlungund eine regelmäßig
verkehrende Fähre gegeben. Aber alsich dort hinkam, war
Pig Island beinahe vollständigabgeschnitten. Einmal in der
Woche schickte die Gemeinde fürPsychogenes Heilen ein
Boot, das Lebensmittel und Materialauf die Insel brachte.
Das war ihr einziger Kontakt zurAußenwelt.
Ich kannte mich in diesem TeilSchottlands ein bisschen aus;
ich hatte von Zeit zu Zeit dies undjenes darüber geschrieben.
Aber mein Brotjob war dieEntzauberung von Mythen. Eins
der Dinge, die einem Liverpooler indie Wiege gelegt sind, ist
die Fähigkeit, Bullshit schon an derFarbe zu erkennen, und
ich bin von Natur aus ein Skeptiker,ein ausgewachsener ungläubiger
Thomas. Ein Agent Scully, ein JamesRandi, ein
hundertprozentiger Ghostbuster. Ich bin um die ganze Welt
geflogen und habe Zombies und Chupacabras, philippinische
Geistheiler und Riesenkatzen in Bodmin Moor gejagt, und ich
habe die Milch, die aus den Brüstenmexikanischer Marienstatuen
tröpfelt, in Glasphiolen gesammelt -und im Lauf der
Zeit habe ich mir ein dickes Fellzugelegt. Aber selbst ich
musste zugeben, dass der Insel derPsychogenen Heiler etwas
Sonderbares anhaftete. Wenn manüberhaupt an Teufelsanbe-
tung glaubte, lag die Vorstellung nahe,dass sie an einem entlegenen,
meerumschlungenen Ort wie Pig Island stattfand.
Als wir an jenem Abend holpernd undrumpelnd auf einem
finsteren Weg zum Ende der Halbinselfuhren, ließ ich meinen
Blick zu den dunklen Umrissen wandern, und es gab einen
Augenblick, da musste ich mich amRiemen reißen, mich
nicht wie ein altes Weib zubenehmen.
Der Wirt hatte mich auf den Rücksitzder ramponierten
Rostlaube gezwängt, die demHummerfischer gehörte. Den
Hund hatten wir im Pub zurückgelassen. »Der schwirrt ab
wie eine Rakete, wenn er hierrauskommt«, sagte der Wirt, als
der Wagen von der Straße herunterauf einen schmalen,
schlammigen Strand fuhr. »Irgendwasmacht ihn verrückt,
und ich will nicht, dass er einenKoller kriegt, bloß weil Sie
mir nicht glauben wollen.«
Wir stiegen aus, und ich bliebstehen. Ich war nicht betrunken
oder so was, aber im Pub hatte ich doch ein paar Glas Bier
getankt, und es tat gut, meine Lungeeinen Moment lang mit
der Nachtluft zu füllen. Am Strandwar es still; in der Luft lag
schon ein Hauch von Herbst. Es warnach elf, aber Craignish
befand sich so hoch im Norden, dassder Himmel immer noch
blau gesäumt war. Es schien, alsbrauchte man sich nur auf die
Zehenspitzen zu stellen und zuschauen, und dann könnte
man das Land der Mitternachtssonnehinter dem Horizont erkennen,
und vielleicht auch ein Rentier odereinen Eisbären
auf einem riesigenPfefferminzbonbon.
»Sehen Sie das Rohr?« Der Hummerfischer ging in Richtung
Süden davon; trotz des Whiskys warsein Gang sicher.
Seine alten Schuhe hinterließenschwache Abdrücke im
Schlick. Im Mondlicht warf er einenlangen Schatten. »Die
kleine Leitung da drüben?« Erdeutete auf ein Abwasserrohr,
das sich dicht am Boden quer überden Strand zog. »Wenn die
Bedingungen stimmen - ein ordentlicherWestwind, Ebbe,
Springtide -, wird alles von Pig Island hier angeschwemmt,
nicht im Loch oder bei Luing, wo man s erwarten würde, sondern
hier auf dieser Seite der Halbinsel.Und das meiste verfängt
sich auf der anderen Seite desRohrs.«
Der Wirt hielt sich zurück und sahmich zweifelnd an. Sein
Gesicht wirkte im Mondlicht einwenig verkniffen. Er schlug
sich den Kragen hoch, als wäre esplötzlich bitterkalt geworden.
»Sind Sie sicher, dass Sie dazubereit sind?«
»Ja. Wieso nicht?«
»Ist nichts für Zimperliche, was daunter dem Rohr hängt.«
»Ich bin nicht zimperlich«,entgegnete ich und schaute am
Strand entlang zu dem Hummerfischer.»Ich habe schon alles
gesehen, was man sehen kann.«
Wir gingen eine Zeitlang schweigend;man hörte nur das
Rauschen der Wellen, die sich amStrand brachen, und das
Klimpern einer Fallleine an einemBoot, das irgendwo draußen
auf dem Wasser ankerte. Den Geruchbemerkte ich als
Erstes. Schon bevor ich denHummerfischer an dem Rohr zögernd
auf die andere Seite spähen sah,bevor ich sah, wie er den
Kopf schüttelte und sich vorbeugte,um in den Sand zu spucken,
wusste ich, dass dies so ein Anblicksein würde, bei dem
sich mir der Magen umdrehte. Einedieser Gelegenheiten, bei
denen ich mein letztes Glas Bierbereuen würde. Ich atmete
tief durch und schluckte, und im Näherkommen klopfte ich
meine Taschen ab und hoffte, einenverirrten Kaugummi oder
sonst etwas zu finden, das denGeschmack vertreiben würde.
»Schlimmer, was?«,fragte der Wirt und ging auf den Hummerfischer
zu. »Ist es schlimmer geworden?«
»Aye -sind noch mehr. Mehr als letzte Woche.«
Ich drückte mir das T-Shirt an dieNase und schaute über
das Rohr hinweg auf die andereSeite. Dunkle Umrisse dümpelten
und schaukelten in einem gelblichenSchaum. Fleisch.
Verwesende Fleischklumpen. In demSchleim war es unmög-
lich zu erkennen, wo ein Stück aufhörteund das nächste anfing.
Die heranrollenden Wellen drücktensie in den Spalt
unter dem Abflussrohr undverhedderten sie in Tangsträhnen.
Verwesungsgase blubberten unteraufgeblähten Hautlappen
und stiegen in Blasen an dieOberfläche.
»Fuck,was ist das?«
»Schweinefleisch«, sagte derHummerfischer. »Tote Schweine.
Geschlachtet bei einem von diesenRitualen auf Pig Island
und von der Inselherübergeschwemmt.«
»Die Polizei hat s schon gesehen«,erklärte der Wirt, »aber
sie hatten keine Lust, was zuunternehmen. Können ja nicht
beweisen, wo es herkommt - undüberhaupt, ein paar tote
Schweine schaden ja niemandem,denken die sich.«
»Tote Schweine?« Ich schaute hinaufzur Mündung des
Firth. Der Mond glitzerte auf densilbrigen Spitzen der Wellen,
so weit das Auge reichte - bishinüber nach Pig Island, das
um das Ende der Insel Luing lugte, geduckt wie eine dösende
Bestie. »Das alles sind toteSchweine?«
»Aye. Dassagen sie wenigstens.« Der Wirt lachte kurz und
trocken, als ob die Welt ihn immerwieder in Erstaunen versetzte.
»Das sagt die Polizei. Das alleshier ist bloß Schweinefleisch.
Aber wissen Sie, was ich denke?«
»Was denken Sie?«
»Ich denke, wenn es um Satansverehrergeht, kann man nie
allzu sicher sein.«
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Rainer Schmidt
- Autor: Mo Hayder
- 2007, 383 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Rainer
- Übersetzer: Rainer Schmidt
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10:
- ISBN-13: 2000000011738
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