Die sizilianische Heilerin
Roman. Originalausgabe
Catania 1282. Die Soldaten des französischen Königs Karl I. von Anjou konfiszieren Korn und Tierherden - und die Sizilianer wehren sich durch einen erbitterten Aufstand. Wundarzt Santino Cataliotti und seine hübsche Tochter Costanza haben...
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Produktinformationen zu „Die sizilianische Heilerin “
Catania 1282. Die Soldaten des französischen Königs Karl I. von Anjou konfiszieren Korn und Tierherden - und die Sizilianer wehren sich durch einen erbitterten Aufstand. Wundarzt Santino Cataliotti und seine hübsche Tochter Costanza haben reichlich zu tun. Ihre Spezialität: Das Ersetzen von im Kampf abgeschlagenen Nasen. Costanza darf erstmals selbständig Verwundete behandeln. Schon bald verbreitet sich ihr Ruhm bis ins Lager des Feindes - und immer mehr edle französische Ritter begehren, von ihr behandelt zu werden. Doch dann wird anonym Anzeige gegen sie erstattet: Sie hat sich ohne Diplom chirurgisch betätigt. Wer hat sie verraten? Und weswegen wird sie plötzlich von beängstigenden Geschehnissen verfolgt?
Klappentext zu „Die sizilianische Heilerin “
Catania 1282. Die Soldaten des französischen Königs Karl I. von Anjou konfiszieren Korn und Tierherden - und die Sizilianer wehren sich durch einen erbitterten Aufstand. Wundarzt Santino Cataliotti und seine hübsche Tochter Costanza haben reichlich zu tun. Ihre Spezialität: Das Ersetzen von im Kampf abgeschlagenen Nasen. Costanza darf erstmals selbständig Verwundete behandeln. Schon bald verbreitet sich ihr Ruhm bis ins Lager des Feindes - und immer mehr edle französische Ritter begehren, von ihr behandelt zu werden ...Doch dann wird anonym Anzeige gegen sie erstattet: Sie hat sich ohne Diplom chirurgisch betätigt. Wer hat sie verraten? Und weswegen wird sie plötzlich von beängstigenden Geschehnissen verfolgt?
Lese-Probe zu „Die sizilianische Heilerin “
Die sizilianische Heilerin von Kari Köster-LöscheKapitel 1
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Die Welt stand kopf. Catania, im Jahr des Herrn 1282, war von der Streitmacht des eigenen Königs besetzt, als
wären seine Bewohner Rebellen.
Seit dem Vortag richteten die erwachsenen Mitglieder der Familie Cataliotti, ihres Zeichens Wundheiler, alle Sinne auf ungewohnte Geräusche in der Stadtmitte, auf Waffenklirren womöglich oder Triumphgeschrei der französischen Plünderer. Nicht auf die Glocken der Kathedrale. Die schlugen nicht Alarm, wenn der rechtmäßige Herrscher oder seine Truppen in der Stadt waren.
Die Mutter, die sich beim Kochen auf stilles Beten verlegt hatte, sowie Vater Cataliotti tappten nur auf Zehenspitzen durch das Haus, den kleinen Kindern wurde Honig ums Maul geschmiert, um sie von Streit und Geheul abzulenken.
Und trotzdem hatte niemand den Kerl kommen hören, der jetzt vor Costanza, der zwanzigjährigen ältesten Tochter, stand. Sie fixierte den Fußknecht mit solch eisiger Wut und Empörung, dass er seinen Spieß senkte und mit offenem Mund im Durchgang zur Küche stehen blieb. Unschlüssig, fast ein wenig furchtsam, betrachtete er die junge Frau.
»Nein!«, rief Costanza, bis zum Äußersten entschlossen, ihr wichtigstes Besitztum zu verteidigen. »Hier wirst du nicht plündern! Diese Schweine sind keine Franzosenbeute!«
Hinter ihr grunzten und lärmten drei junge, nicht ausgewachsene Schweine im Küchenraum, drängten sich an die aus Lavasteinen aufgebaute halbhohe Mauer, stemmten die Klauen auf die Vorsprünge und erwarteten ihr Futter, ungeachtet der Tatsache, dass es gerade um ihr Leben ging.
»Costanza, versündige dich nicht!«, schrie der Vater, dessen Stimme sich vor Angst überschlug. »Er ist ein Anjou! Heilige Agata, hilf!«
Aus der Kochecke der Küche kam ein schriller Schrei. Costanzas Mutter, als wäre sie es, die gleich abgestochen werden würde. Um sie sorgte Costanza sich am wenigsten. Die Mutter war von ängstlicher Natur, aber robust.
Ihre Aufmerksamkeit teilte sich. Sie beobachtete den Franzosen und fragte sich gleichzeitig, was es zu bedeuten hatte, dass sie sich nicht versündigen sollte? Wie so oft, verstand Costanza ihren Vater nicht. Wenn sich einer hier versündigen wollte, war es der Kerl mit dem Spieß.
Der französische König Karl von Anjou, der sich Sizilien gekauft hatte, wie es hieß, ließ seit Wochen seine Krieger über die Insel wie Heuschreckenschwärme herfallen. Derzeit raubten sie die Catanesi aus, nannten es aber konfiszieren, als ob es ihr gutes Recht sei, den Einwohnern Korn, Viehherden und Futtermittel zu stehlen.
Mit plötzlichen Windstößen vom Ätna herab drang Geschrei an Costanzas Ohr. Die Krieger waren anscheinend bei den Reichen, die jenseits des elterlichen Gartens in der Straße an der Kathedrale wohnten, angekommen. Was wohl mochten sie dort gerade von den schmalen Balkonen hinunterwerfen? Jedenfalls keine Schweine.
Der Fußknecht hatte seine Verblüffung überwunden. Mit erhobenem Spieß rückte er bedächtig vor, die Augen halb zusammengekniffen, als gelte es, sich vor dem bösen Blick Costanzas zu bewahren.
Hätte sie gekonnt, sie hätte ihn in den Lavaboden zu ihren Füßen gerammt. Ihre Schweine waren zu wichtig, um als Franzosenfraß zu dienen!
Nebenher registrierte sie, dass der Kerl nur ein einfaches gestepptes Wams trug, keinen Lederrock oder gar einen geschuppten Panzer. Seine rotgeäderte knollige Nase unter dem runden Eisenhut ließ sie vermuten, dass der Soldat ein ganz bedeutungsloses Mitglied der französischen Kriegsmacht war. Solche Leute waren auf Beute aus, mit ihnen war kein Verhandeln möglich.
Der Spieß zeigte direkt auf ihr Herz. Costanza schnaubte verächtlich und trat ihm entgegen.
»Costanza!«, rief die Mutter und sank inmitten ihrer schwarzen Röcke zu Boden, wo sie kraftlos hocken blieb und sich unermüdlich bekreuzigte, während sie mit hoher Stimme den immer gleichen Teil des Vaterunsers herunterbrabbelte.
Patri nostru, chi siti 'n celu,
Sia santificatu lu vostru nomu,
Vinissi prestu lu vostru regnu,
Sempri sia fatta la vostra divina vuluntati Comu 'n celu accussì 'n terra.
Die Augen des Franzosen wanderten misstrauisch von Costanza zum schwarzen Kleiderhaufen, womöglich dachte er an Verwünschungen. Jedenfalls wich er zurück, Schritt um Schritt, und Costanza folgte ihm hartnäckig in des Vaters Behandlungsraum und von dort in den Garten vor dem Haus. Ein Blumenkübel stürzte unter seiner Sandale um, lenkte Costanza von seinem Gesicht mit dem primitiven, gierigen Ausdruck ab, und sie entdeckte Turi.
Gottlob! Turi war da. Als hätte er es geahnt, war er genau zur richtigen Zeit eingetroffen.
Turi war der Sohn des Wundarztes Branca aus der Nachbarschaft, wie sie noch ein Lernender in diesem Handwerk, und so oft es ging, tauschten sie neue Erfahrungen aus. Sie mochten sich sehr, und nun war er gekommen, um ihr beizustehen. Costanza atmete auf.
Der Franzose war allein, der gedrungene, kräftige Turi und ihr Vater Santino mussten es trotz des Spießes mit ihm aufnehmen können. Siegesgewiss versuchte Costanza die beiden zum Kampf zu ermuntern, doch der Vater fixierte eine Stelle der Mauer und bemerkte es nicht. Und Turi rührte sich nicht. Mit hängenden Armen, die Augen wachsam abwechselnd auf den Fußknecht und auf die Umgebung gerichtet, wartete er ab, was geschehen würde.
Costanza stockte der Atem. Warum tat er nichts? Er als Einziger hätte ahnen können, warum es so wichtig war, die Schweine zu verteidigen. Warum verstand er denn nicht, was sie vorhatte? Die Erkenntnis, wie unbeweglich sein Geist war, enttäuschte Costanza tief und lähmte sie.
Plötzlich verabscheute sie Turi.
Turi verstand sie anscheinend genauso wenig wie ihre Eltern. Fassungslos wurde ihr wieder einmal bewusst, wie hinderlich ihr Dasein als Kuckuck im Nest ihrer sizilianischen Familie war. Alle, Eltern, Schwestern und Brüder, waren dunkelhaarig und braunäugig, sie als Einzige war geschlagen mit dem Fluch blonder Haare und blauer Augen, von denen niemand wusste, wo sie herkamen, genauso wenig wie ihr ungebärdiges Wesen. Der Franzose bemerkte entweder Turi nicht, oder er kümmerte ihn nicht. Costanzas Enttäuschung und nachlassende Widerstandskraft offensichtlich spürend, hatte augenscheinlich ein ganz anderer Gedanke von ihm Besitz ergriffen. Grinsend zog er mit der freien Hand sein Wams nach oben, löste die Verschnürung der braunen Beinkleider und wartete in aller Ruhe ab, dass die Beinlinge herabrutschten. Dann stieg er aus dem steifen, speckigen Kleidungsstück heraus, dessen Beine sich auf dem Boden wie zwei Stapel Fassdauben ringelten.
Wie gelähmt sah Costanza ihm entgegen.
Sein Geschlecht schwoll an, schnellte in die Höhe und schob das Wams noch höher. Langsam kam er auf sie zu. »Ti piacio?«, fragte er eitel auf Italienisch. Gefalle ich dir?
Entsetzt drückte sich Costanza gegen die Hauswand. Entkommen konnte sie dem kräftig gebauten Krieger nicht. Sie starrte den Spieß an, der in Augenhöhe immer näher kam. Ein rostiger eiserner Spieß und einer aus Fleisch und Blut.
Die Panik drohte Costanza zu überwältigen, als sie die Konsequenzen ihres unvernünftigen Widerstands erkannte. Sie presste die Faust zwischen die Zähne, um nicht laut zu schreien, und ließ die Augen Hilfe suchend umherwandern.
Erstmals bemerkte sie, wie still es geworden war. Die Schweine hatte ihr Grunzen eingestellt, von Mutter und Vater war nichts zu hören, und Turi stand wie festgefroren. Nur das Schlurfen der Sandalen des Kriegers, der Costanza mit einem Ausdruck bestialischer Vorfreude entgegenkam, war zu hören.
In die atemlose Stille hinein prallte das Hoftor lärmend gegen die Mauer aus Lavasteinen. Costanza schaute unwillkürlich über die Schulter des Franzosen auf das Ende des schnurgeraden Gartenweges. Ein Ritter im blanken Kettenhemd war eingetreten. Breitbeinig blieb er stehen, eine Hand am Schwert, und sah sich ohne Hast um.
Noch einer! Noch beunruhigender als ein Marodeur mit Spieß. Von anderem Schlag, führte er eine kleine Streitmacht mit sich. Wenn er mit dem ersten Kerl in Konkurrenz treten wollte, würde er gewinnen. Und anschließend kämen alle Krieger an die Reihe, die einstweilen auf der Gasse stehen blieben.
Verzweifelt sah sie ihm entgegen.
Gemessenen Schrittes näherte er sich dem Haus, das sich aufgrund seiner zweistöckigen Bauweise und der Lage in einem Zitronenhain wie ein uralter ländlicher Palast ausnahm, den es schon gegeben hatte, bevor Catania zur mauerbewehrten Stadt wurde. Der Ritter würde sich von einer derart behausten gut bürgerlichen Familie mehr Beute versprechen als von den Hüttenbewohnern am anderen Ende der Gasse.
Der Spießträger blickte sich verunsichert um, erkannte den Ritter offenbar und fuhr in rasender Fahrt in seine Beinlinge. Die Verschnürungen nestelte er mit zitternden Händen an der bruoche fest. Er gab auf. Costanzas Jungfräulichkeit gehörte nun einem französischen Ritter, und ihre Schweine waren so gut wie geschlachtet.
Der Neuankömmling war einer, der Befehle zu geben gewohnt war, ein Ritter mit einer goldenen Lilie auf dem Wappenrock, die bestimmt seine Zugehörigkeit zum hohen Adel zu bedeuten hatte. Er würde den Kerl in Sandalen anweisen, die Schweine, die Hühner, Eier, Honig, den Weizenvorrat und das Dörrfleisch einzusammeln und zum Sammelplatz des französischen Heeres zu bringen.
Voll Wut beim Anblick eines noch stärkeren Feindes streckte Costanza ihm die geballten Fäuste entgegen. Diese Männer wollten die Landesherren sein? Sie zischte wie eine Schlange.
Der Ritter musterte sie erstaunt. Sein Gesicht blieb unbewegt, aber für einen Augenblick hatte Costanza das seltsame Gefühl, dass er versucht war, auf ein Knie zu sinken. Seine Hand rutschte schon hinunter zur Schwertscheide, um diese aus dem Weg zu befördern.
Ein Irrtum, eine von Hoffnung getragene Gaukelei ihrer Sinne! Schön wäre es gewesen! Was verstand sie schon von Waffen und Kämpfen? Mit dem Krieg hatte sie noch nichts zu tun gehabt, nur mit seinen gewalttätigen Auswirkungen in Gestalt der Verletzten, die zu ihrem Vater kamen, um zusammengeflickt zu werden. Es war abzusehen, dass er sich auf sie stürzen würde, dann auf ihre jüngere Schwester Mariannina.
Aber er tat es nicht. Er war anders. Ein stattlicher Mann, mit breiten Schultern, einem sonnenverbrannten, aber sehr hellen Gesicht und sehr ebenmäßigen Zähnen. Er lächelte auf sie herunter, wiewohl sie für eine Sizilianerin ziemlich groß war.
»Cavaliere Guy Le Brun«, sagte er mit einer knappen Verneigung, und Costanza begriff, dass er sich ihr vorgestellt hatte. Wollte er ihr nicht Gewalt antun?
Noch jedenfalls nicht.
Denn er wandte sich dem Fußknecht zu und ließ ein Schimpfgewitter auf ihn hinunterprasseln, das sie auch ohne Französischkenntnisse verstand.
Den stammelnden Kerl verstand Costanza hingegen nicht, aber sie sah, dass er sich wand wie ein getretener Wurm. Mehrmals richtete er mit unterwürfiger Miene schmutzige Finger auf sie und dann wieder auf den Eingang ins Untergeschoss. Es ging um die Schweine.
Le Brun nickte und schritt ohne Hast ins Haus, wobei Costanza ihm auf Zehenspitzen folgte. Nebeneinander spähten sie eine Weile in die Küche, bis sich ihre Augen gewöhnt hatten. Die schwarzen Lavasteine der Wände schluckten das Licht. Und davor kauerte die Mutter auf der Schlafbank, eingehüllt in ihre schwarzen Röcke, das Kopftuch vor dem Gesicht.
»Mutter«, stellte Costanza vor und versuchte, sich trotz ihrer irrlichternden Gedanken zu fassen. Der Ritter wollte etwas, die Gefahr war nicht überstanden.
Er nickte. Gegenüber grunzten die Läufer, und in der anderen Ecke brannte auf mehreren Kochstellen neben- und übereinander das Feuer. In einem Topf simmerte Wasser.
Der Ritter betrachtete die gesamte Einrichtung sorgfältig, bis er sich offenbar davon überzeugt hatte, dass der Soldat die Wahrheit gesprochen hatte.
»Sind es deine Schweine?«, erkundigte er sich schließlich, zu Costanzas Überraschung in italienischer Sprache.
»Ja«, nickte Costanza blindlings, obwohl es genau genommen nicht stimmte, denn sie gehörten ihrem Vater. Aber aus irgendeinem Grund schien der Franzose auf diese Zusicherung Wert zu legen, und sie war es ja auch, die die Tiere um den Preis ihres Lebens verteidigt hatte.
»Warum haltet ihr im Haus Schweine und keine Schafe und Ziegen wie andere Leute?«
»Die Schafe vertragen sich nicht mit den Schweinen. Die sind im hinteren Garten eingepfercht.«
»Das war keine Antwort auf meine Frage.«
Costanza schluckte. Mit Oberflächlichkeit ließ er sich nicht abspeisen. Aber auf keinen Fall würde jemand ihr entlocken, warum sie diese Schweine hielt. Mit einer wahrheitsgemäßen Antwort würde sie Gelächter, Hohn und Spott ernten. »Es sind besondere Schweine«, murmelte sie.
»Ich weiß. Französische. Hast du sie gestohlen?«
Verzweifelt schüttelte Costanza den Kopf.
»Und du willst sie um jeden Preis behalten?«
Costanza nickte störrisch.
Wider Erwarten schien er sich damit zufriedenzugeben und wandte sich zum Gehen. Costanza hielt den Atem an.
»Wie heißt du?«, fragte er.
»Costanza, Tochter des Wundarztes Santino Cataliotti.« »Und wie lange lebst du schon hier?«
»Schon immer, Herr Cavaliere«, erwiderte Costanza. Mit jeder Frage wurde sie vorsichtiger. Dass sich die Krieger für das Hab und Gut der wehrlosen Einheimischen interessierten, war allmählich selbstverständlich geworden. Aber nur als Beute. Was wollte ein französischer Ritter von ihr? »Meine Familie war hier zu Hause, bevor die Normannen die Kathedrale gebaut haben.«
»Es ist gut. Sollte jemand anders deine Schweine beschlagnahmen wollen, sage ihm, dass sie dir auf meinen Befehl hin belassen werden. Das gilt für die ganze Kriegsmacht. Zwei eurer Schafe nehmen wir mit.«
Copyright © 2010 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Die Welt stand kopf. Catania, im Jahr des Herrn 1282, war von der Streitmacht des eigenen Königs besetzt, als
wären seine Bewohner Rebellen.
Seit dem Vortag richteten die erwachsenen Mitglieder der Familie Cataliotti, ihres Zeichens Wundheiler, alle Sinne auf ungewohnte Geräusche in der Stadtmitte, auf Waffenklirren womöglich oder Triumphgeschrei der französischen Plünderer. Nicht auf die Glocken der Kathedrale. Die schlugen nicht Alarm, wenn der rechtmäßige Herrscher oder seine Truppen in der Stadt waren.
Die Mutter, die sich beim Kochen auf stilles Beten verlegt hatte, sowie Vater Cataliotti tappten nur auf Zehenspitzen durch das Haus, den kleinen Kindern wurde Honig ums Maul geschmiert, um sie von Streit und Geheul abzulenken.
Und trotzdem hatte niemand den Kerl kommen hören, der jetzt vor Costanza, der zwanzigjährigen ältesten Tochter, stand. Sie fixierte den Fußknecht mit solch eisiger Wut und Empörung, dass er seinen Spieß senkte und mit offenem Mund im Durchgang zur Küche stehen blieb. Unschlüssig, fast ein wenig furchtsam, betrachtete er die junge Frau.
»Nein!«, rief Costanza, bis zum Äußersten entschlossen, ihr wichtigstes Besitztum zu verteidigen. »Hier wirst du nicht plündern! Diese Schweine sind keine Franzosenbeute!«
Hinter ihr grunzten und lärmten drei junge, nicht ausgewachsene Schweine im Küchenraum, drängten sich an die aus Lavasteinen aufgebaute halbhohe Mauer, stemmten die Klauen auf die Vorsprünge und erwarteten ihr Futter, ungeachtet der Tatsache, dass es gerade um ihr Leben ging.
»Costanza, versündige dich nicht!«, schrie der Vater, dessen Stimme sich vor Angst überschlug. »Er ist ein Anjou! Heilige Agata, hilf!«
Aus der Kochecke der Küche kam ein schriller Schrei. Costanzas Mutter, als wäre sie es, die gleich abgestochen werden würde. Um sie sorgte Costanza sich am wenigsten. Die Mutter war von ängstlicher Natur, aber robust.
Ihre Aufmerksamkeit teilte sich. Sie beobachtete den Franzosen und fragte sich gleichzeitig, was es zu bedeuten hatte, dass sie sich nicht versündigen sollte? Wie so oft, verstand Costanza ihren Vater nicht. Wenn sich einer hier versündigen wollte, war es der Kerl mit dem Spieß.
Der französische König Karl von Anjou, der sich Sizilien gekauft hatte, wie es hieß, ließ seit Wochen seine Krieger über die Insel wie Heuschreckenschwärme herfallen. Derzeit raubten sie die Catanesi aus, nannten es aber konfiszieren, als ob es ihr gutes Recht sei, den Einwohnern Korn, Viehherden und Futtermittel zu stehlen.
Mit plötzlichen Windstößen vom Ätna herab drang Geschrei an Costanzas Ohr. Die Krieger waren anscheinend bei den Reichen, die jenseits des elterlichen Gartens in der Straße an der Kathedrale wohnten, angekommen. Was wohl mochten sie dort gerade von den schmalen Balkonen hinunterwerfen? Jedenfalls keine Schweine.
Der Fußknecht hatte seine Verblüffung überwunden. Mit erhobenem Spieß rückte er bedächtig vor, die Augen halb zusammengekniffen, als gelte es, sich vor dem bösen Blick Costanzas zu bewahren.
Hätte sie gekonnt, sie hätte ihn in den Lavaboden zu ihren Füßen gerammt. Ihre Schweine waren zu wichtig, um als Franzosenfraß zu dienen!
Nebenher registrierte sie, dass der Kerl nur ein einfaches gestepptes Wams trug, keinen Lederrock oder gar einen geschuppten Panzer. Seine rotgeäderte knollige Nase unter dem runden Eisenhut ließ sie vermuten, dass der Soldat ein ganz bedeutungsloses Mitglied der französischen Kriegsmacht war. Solche Leute waren auf Beute aus, mit ihnen war kein Verhandeln möglich.
Der Spieß zeigte direkt auf ihr Herz. Costanza schnaubte verächtlich und trat ihm entgegen.
»Costanza!«, rief die Mutter und sank inmitten ihrer schwarzen Röcke zu Boden, wo sie kraftlos hocken blieb und sich unermüdlich bekreuzigte, während sie mit hoher Stimme den immer gleichen Teil des Vaterunsers herunterbrabbelte.
Patri nostru, chi siti 'n celu,
Sia santificatu lu vostru nomu,
Vinissi prestu lu vostru regnu,
Sempri sia fatta la vostra divina vuluntati Comu 'n celu accussì 'n terra.
Die Augen des Franzosen wanderten misstrauisch von Costanza zum schwarzen Kleiderhaufen, womöglich dachte er an Verwünschungen. Jedenfalls wich er zurück, Schritt um Schritt, und Costanza folgte ihm hartnäckig in des Vaters Behandlungsraum und von dort in den Garten vor dem Haus. Ein Blumenkübel stürzte unter seiner Sandale um, lenkte Costanza von seinem Gesicht mit dem primitiven, gierigen Ausdruck ab, und sie entdeckte Turi.
Gottlob! Turi war da. Als hätte er es geahnt, war er genau zur richtigen Zeit eingetroffen.
Turi war der Sohn des Wundarztes Branca aus der Nachbarschaft, wie sie noch ein Lernender in diesem Handwerk, und so oft es ging, tauschten sie neue Erfahrungen aus. Sie mochten sich sehr, und nun war er gekommen, um ihr beizustehen. Costanza atmete auf.
Der Franzose war allein, der gedrungene, kräftige Turi und ihr Vater Santino mussten es trotz des Spießes mit ihm aufnehmen können. Siegesgewiss versuchte Costanza die beiden zum Kampf zu ermuntern, doch der Vater fixierte eine Stelle der Mauer und bemerkte es nicht. Und Turi rührte sich nicht. Mit hängenden Armen, die Augen wachsam abwechselnd auf den Fußknecht und auf die Umgebung gerichtet, wartete er ab, was geschehen würde.
Costanza stockte der Atem. Warum tat er nichts? Er als Einziger hätte ahnen können, warum es so wichtig war, die Schweine zu verteidigen. Warum verstand er denn nicht, was sie vorhatte? Die Erkenntnis, wie unbeweglich sein Geist war, enttäuschte Costanza tief und lähmte sie.
Plötzlich verabscheute sie Turi.
Turi verstand sie anscheinend genauso wenig wie ihre Eltern. Fassungslos wurde ihr wieder einmal bewusst, wie hinderlich ihr Dasein als Kuckuck im Nest ihrer sizilianischen Familie war. Alle, Eltern, Schwestern und Brüder, waren dunkelhaarig und braunäugig, sie als Einzige war geschlagen mit dem Fluch blonder Haare und blauer Augen, von denen niemand wusste, wo sie herkamen, genauso wenig wie ihr ungebärdiges Wesen. Der Franzose bemerkte entweder Turi nicht, oder er kümmerte ihn nicht. Costanzas Enttäuschung und nachlassende Widerstandskraft offensichtlich spürend, hatte augenscheinlich ein ganz anderer Gedanke von ihm Besitz ergriffen. Grinsend zog er mit der freien Hand sein Wams nach oben, löste die Verschnürung der braunen Beinkleider und wartete in aller Ruhe ab, dass die Beinlinge herabrutschten. Dann stieg er aus dem steifen, speckigen Kleidungsstück heraus, dessen Beine sich auf dem Boden wie zwei Stapel Fassdauben ringelten.
Wie gelähmt sah Costanza ihm entgegen.
Sein Geschlecht schwoll an, schnellte in die Höhe und schob das Wams noch höher. Langsam kam er auf sie zu. »Ti piacio?«, fragte er eitel auf Italienisch. Gefalle ich dir?
Entsetzt drückte sich Costanza gegen die Hauswand. Entkommen konnte sie dem kräftig gebauten Krieger nicht. Sie starrte den Spieß an, der in Augenhöhe immer näher kam. Ein rostiger eiserner Spieß und einer aus Fleisch und Blut.
Die Panik drohte Costanza zu überwältigen, als sie die Konsequenzen ihres unvernünftigen Widerstands erkannte. Sie presste die Faust zwischen die Zähne, um nicht laut zu schreien, und ließ die Augen Hilfe suchend umherwandern.
Erstmals bemerkte sie, wie still es geworden war. Die Schweine hatte ihr Grunzen eingestellt, von Mutter und Vater war nichts zu hören, und Turi stand wie festgefroren. Nur das Schlurfen der Sandalen des Kriegers, der Costanza mit einem Ausdruck bestialischer Vorfreude entgegenkam, war zu hören.
In die atemlose Stille hinein prallte das Hoftor lärmend gegen die Mauer aus Lavasteinen. Costanza schaute unwillkürlich über die Schulter des Franzosen auf das Ende des schnurgeraden Gartenweges. Ein Ritter im blanken Kettenhemd war eingetreten. Breitbeinig blieb er stehen, eine Hand am Schwert, und sah sich ohne Hast um.
Noch einer! Noch beunruhigender als ein Marodeur mit Spieß. Von anderem Schlag, führte er eine kleine Streitmacht mit sich. Wenn er mit dem ersten Kerl in Konkurrenz treten wollte, würde er gewinnen. Und anschließend kämen alle Krieger an die Reihe, die einstweilen auf der Gasse stehen blieben.
Verzweifelt sah sie ihm entgegen.
Gemessenen Schrittes näherte er sich dem Haus, das sich aufgrund seiner zweistöckigen Bauweise und der Lage in einem Zitronenhain wie ein uralter ländlicher Palast ausnahm, den es schon gegeben hatte, bevor Catania zur mauerbewehrten Stadt wurde. Der Ritter würde sich von einer derart behausten gut bürgerlichen Familie mehr Beute versprechen als von den Hüttenbewohnern am anderen Ende der Gasse.
Der Spießträger blickte sich verunsichert um, erkannte den Ritter offenbar und fuhr in rasender Fahrt in seine Beinlinge. Die Verschnürungen nestelte er mit zitternden Händen an der bruoche fest. Er gab auf. Costanzas Jungfräulichkeit gehörte nun einem französischen Ritter, und ihre Schweine waren so gut wie geschlachtet.
Der Neuankömmling war einer, der Befehle zu geben gewohnt war, ein Ritter mit einer goldenen Lilie auf dem Wappenrock, die bestimmt seine Zugehörigkeit zum hohen Adel zu bedeuten hatte. Er würde den Kerl in Sandalen anweisen, die Schweine, die Hühner, Eier, Honig, den Weizenvorrat und das Dörrfleisch einzusammeln und zum Sammelplatz des französischen Heeres zu bringen.
Voll Wut beim Anblick eines noch stärkeren Feindes streckte Costanza ihm die geballten Fäuste entgegen. Diese Männer wollten die Landesherren sein? Sie zischte wie eine Schlange.
Der Ritter musterte sie erstaunt. Sein Gesicht blieb unbewegt, aber für einen Augenblick hatte Costanza das seltsame Gefühl, dass er versucht war, auf ein Knie zu sinken. Seine Hand rutschte schon hinunter zur Schwertscheide, um diese aus dem Weg zu befördern.
Ein Irrtum, eine von Hoffnung getragene Gaukelei ihrer Sinne! Schön wäre es gewesen! Was verstand sie schon von Waffen und Kämpfen? Mit dem Krieg hatte sie noch nichts zu tun gehabt, nur mit seinen gewalttätigen Auswirkungen in Gestalt der Verletzten, die zu ihrem Vater kamen, um zusammengeflickt zu werden. Es war abzusehen, dass er sich auf sie stürzen würde, dann auf ihre jüngere Schwester Mariannina.
Aber er tat es nicht. Er war anders. Ein stattlicher Mann, mit breiten Schultern, einem sonnenverbrannten, aber sehr hellen Gesicht und sehr ebenmäßigen Zähnen. Er lächelte auf sie herunter, wiewohl sie für eine Sizilianerin ziemlich groß war.
»Cavaliere Guy Le Brun«, sagte er mit einer knappen Verneigung, und Costanza begriff, dass er sich ihr vorgestellt hatte. Wollte er ihr nicht Gewalt antun?
Noch jedenfalls nicht.
Denn er wandte sich dem Fußknecht zu und ließ ein Schimpfgewitter auf ihn hinunterprasseln, das sie auch ohne Französischkenntnisse verstand.
Den stammelnden Kerl verstand Costanza hingegen nicht, aber sie sah, dass er sich wand wie ein getretener Wurm. Mehrmals richtete er mit unterwürfiger Miene schmutzige Finger auf sie und dann wieder auf den Eingang ins Untergeschoss. Es ging um die Schweine.
Le Brun nickte und schritt ohne Hast ins Haus, wobei Costanza ihm auf Zehenspitzen folgte. Nebeneinander spähten sie eine Weile in die Küche, bis sich ihre Augen gewöhnt hatten. Die schwarzen Lavasteine der Wände schluckten das Licht. Und davor kauerte die Mutter auf der Schlafbank, eingehüllt in ihre schwarzen Röcke, das Kopftuch vor dem Gesicht.
»Mutter«, stellte Costanza vor und versuchte, sich trotz ihrer irrlichternden Gedanken zu fassen. Der Ritter wollte etwas, die Gefahr war nicht überstanden.
Er nickte. Gegenüber grunzten die Läufer, und in der anderen Ecke brannte auf mehreren Kochstellen neben- und übereinander das Feuer. In einem Topf simmerte Wasser.
Der Ritter betrachtete die gesamte Einrichtung sorgfältig, bis er sich offenbar davon überzeugt hatte, dass der Soldat die Wahrheit gesprochen hatte.
»Sind es deine Schweine?«, erkundigte er sich schließlich, zu Costanzas Überraschung in italienischer Sprache.
»Ja«, nickte Costanza blindlings, obwohl es genau genommen nicht stimmte, denn sie gehörten ihrem Vater. Aber aus irgendeinem Grund schien der Franzose auf diese Zusicherung Wert zu legen, und sie war es ja auch, die die Tiere um den Preis ihres Lebens verteidigt hatte.
»Warum haltet ihr im Haus Schweine und keine Schafe und Ziegen wie andere Leute?«
»Die Schafe vertragen sich nicht mit den Schweinen. Die sind im hinteren Garten eingepfercht.«
»Das war keine Antwort auf meine Frage.«
Costanza schluckte. Mit Oberflächlichkeit ließ er sich nicht abspeisen. Aber auf keinen Fall würde jemand ihr entlocken, warum sie diese Schweine hielt. Mit einer wahrheitsgemäßen Antwort würde sie Gelächter, Hohn und Spott ernten. »Es sind besondere Schweine«, murmelte sie.
»Ich weiß. Französische. Hast du sie gestohlen?«
Verzweifelt schüttelte Costanza den Kopf.
»Und du willst sie um jeden Preis behalten?«
Costanza nickte störrisch.
Wider Erwarten schien er sich damit zufriedenzugeben und wandte sich zum Gehen. Costanza hielt den Atem an.
»Wie heißt du?«, fragte er.
»Costanza, Tochter des Wundarztes Santino Cataliotti.« »Und wie lange lebst du schon hier?«
»Schon immer, Herr Cavaliere«, erwiderte Costanza. Mit jeder Frage wurde sie vorsichtiger. Dass sich die Krieger für das Hab und Gut der wehrlosen Einheimischen interessierten, war allmählich selbstverständlich geworden. Aber nur als Beute. Was wollte ein französischer Ritter von ihr? »Meine Familie war hier zu Hause, bevor die Normannen die Kathedrale gebaut haben.«
»Es ist gut. Sollte jemand anders deine Schweine beschlagnahmen wollen, sage ihm, dass sie dir auf meinen Befehl hin belassen werden. Das gilt für die ganze Kriegsmacht. Zwei eurer Schafe nehmen wir mit.«
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Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
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Autoren-Porträt von Kari Köster-Lösche
Köster-Lösche, KariKari Köster-Lösche, geboren 1946, wuchs in Schweden am Meer auf und lebt heute in Norddeutschland. Nach einem Studium der Tiermedizin promovierte sie in Bakteriologie. Seit 1985 arbeitet sie als freie Autorin. Bekannt wurde Kari Köster-Lösche mit ihren zahlreichen historischen Romanen, darunter der Bestseller "Die Hakima". Zuletzt erschien von ihr "Die Heilerin von Lübeck" im Knaur Taschenbuch Verlag.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kari Köster-Lösche
- 2010, 3. Aufl., 540 Seiten, Maße: 12,5 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426503891
- ISBN-13: 9783426503898
- Erscheinungsdatum: 08.11.2010
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