Die Spur der Katze / Ghostwalker Bd.1
Roman. Originalausgabe
Als Marisa den verletzten Coyle auf ihrer Terrasse findet, ahnt sie, dass er kein gewöhnlicher Mensch ist. Ungewollt wird sie in eine wilde Welt gezogen, denn Coyle ist einer Bande von Mördern auf der Spur, die in der Gegend ihr Unwesen treibt. Plötzlich ist auch Marisa in Gefahr.
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Produktinformationen zu „Die Spur der Katze / Ghostwalker Bd.1 “
Als Marisa den verletzten Coyle auf ihrer Terrasse findet, ahnt sie, dass er kein gewöhnlicher Mensch ist. Ungewollt wird sie in eine wilde Welt gezogen, denn Coyle ist einer Bande von Mördern auf der Spur, die in der Gegend ihr Unwesen treibt. Plötzlich ist auch Marisa in Gefahr.
Klappentext zu „Die Spur der Katze / Ghostwalker Bd.1 “
Die Journalistin Marisa Pérèz lebt nach einem Skandal zurückgezogen in den Bergen Kaliforniens. Eines Nachts findet sie einen verletzten nackten Mann auf ihrer Veranda. Sie nimmt sich seiner an und versorgt seine Wunden. Am nächsten Morgen steht die Polizei vor der Tür - in der Nachbarschaft wurde ein Mord verübt. Marisa ahnt nicht, dass der faszinierende Fremde ein Geheimnis hütet, das ihre Welt erschüttern wird ...
Lese-Probe zu „Die Spur der Katze / Ghostwalker Bd.1 “
Ghostwalker – Die Spur der Katze von Michelle Raven Außerhalb von Mariposa, Kalifornien
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Marisa sah von ihrem Buch auf, als Angus sich von seinem Platz zu ihren Füßen erhob und zur Tür lief. Die Nase witternd in die Luft gestreckt lehnte er sich an das Holz und grollte tief in der Kehle. Normalerweise ließ sich der alte Bloodhound durch nichts im Schlaf stören und reagierte äußerst empfindlich, wenn er sich bewegen sollte. Was konnte interessant genug sein, dass er so radikal mit seinen lieb gewonnenen Gewohnheiten brach? Das Grollen wurde lauter, stumpfe Krallen kratzten an der Tür. „Angus, lass das!“ Das Holz war ihr egal, aber erst neulich hatte sie mit ihm wegen einer ausgerissenen Kralle zum Tierarzt fahren müssen. Es gab vermutlich nichts Schlimmeres als einen leidenden Bloodhound – außer vielleicht die Arztrechnung. Angus blickte sie mit seinen triefenden Augen an, bevor er sich umdrehte und seine Tätigkeit wieder aufnahm. Diesmal begleitet von einem ohrenbetäubenden Bellen, das zwischen Winseln und Jaulen wechselte. Marisa legte das Buch beiseite und presste sich beide Hände auf die Ohren. „Angus, bist du wohl ruhig!“ Er drehte den Kopf zu ihr, ließ sich aber in seinem Konzert nicht stören. Im Gegenteil: kratzen, bellen, schnüffeln, winseln, jaulen wechselten sich in schneller Reihenfolge ab. Was um Himmels willen hatte dieser Köter? Mit einem tiefen Seufzer erhob sich Marisa und baute sich vor Angus auf. Die Augen auf sie gerichtet stieß er ein markerschütterndes Heulen aus. Sie zuckte erschrocken zusammen. Das hatte der Hund noch nie getan, seit sie ihn vor beinahe drei Monaten von ihrem Großonkel geerbt hatte. Wieder einmal fragte sie sich, wieso Juan Pérèz den Bloodhound gerade ihr anvertraut hatte. Sie hatte nie ein Tier besessen, nicht einmal ein Kaninchen, und dafür gab es gute Gründe. Aber eines Tages war ein Brief angekommen, in dem stand, dass Juan verstorben wäre und sie auserkoren hatte, sich um Angus zu kümmern. Es wäre gelogen zu sagen, sie hätte Luftsprünge vollführt, aber sie hatte es nicht über sich gebracht, den Hund im Tierheim zu lassen, wo er nach kurzer Zeit eingeschläfert worden wäre. Deshalb stand sie nun hier und fragte sich, in welcher Hautfalte der Ausschalter versteckt war. Sie beugte sich zu ihm hinunter und legte ihre Hand auf seinen massigen Kopf. „Ist ja gut, mein Junge, ganz ruhig.“ Genauso gut konnte sie mit einem der ausgestopften Tiere in Jack’s Superstore reden, so wenig reagierte Angus auf sie. „Komm mit, du bekommst auch ein Leckerli, wenn du brav bist.“ Normalerweise rannte der Hund sie fast über den Haufen, wenn sie Futter erwähnte, doch diesmal starrte er nur die Tür an, das Fell in seinem Nacken gesträubt. Also gut, dann eben mit Gewalt. Marisa griff nach seinem Halsband und versuchte, ihn von der Tür wegzuziehen. Angus bewegte seine über fünfzig Kilogramm keinen Millimeter. Beinahe hatte sie den Eindruck, er würde die Augenbraue hochziehen und sich fragen, was sie da eigentlich versuchte. Marisa verdrehte die Augen. Jetzt fing sie schon an, einem Tier menschliche Eigenschaften anzudichten, es wurde eindeutig Zeit, den Spuk zu beenden und ins Bett zu gehen. „Angus, wenn du jetzt nicht …“ Ein lautes Poltern auf der Veranda ließ sie verstummen. Ihr Blick wanderte zur Tür, als könnte sie durch das massive Holz erkennen, was das Geräusch verursacht hatte. Angus stand neben ihr, sein gesamter Körper angespannt, die langen Ohren zur Seite gedreht, die Nase witternd erhoben. Irgendetwas schien auf der Veranda zu sein. Furcht rieselte durch ihren Körper, während sie angestrengt lauschte. Es war totenstill. Anstatt mit dem Hund zu schimpfen, hätte sie sich vielleicht fragen sollen, weshalb er einen solchen Lärm veranstaltete. Erschrocken zuckte Marisa zusammen, als Angus erneut laut bellte. Eine Hand auf ihr hämmerndes Herz gepresst, versuchte sie, ihn zu beruhigen, damit sie etwas hören konnte. Sollte jemand versuchen einzubrechen, wurde er sicher von dem Radau abgeschreckt. Aber warum hörte der Hund dann nicht irgendwann auf zu bellen? Im Gegenteil, die Muskeln in seinem kräftigen Körper spannten sich an, als wartete er nur darauf, sich auf seine Beute stürzen zu können. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie einsam sie wohnte, auch wenn es nur wenige Meilen bis Mariposa waren. Die wenigen Nachbarn lebten weit verstreut und würden es nicht merken, wenn ihr etwas zustieße. Marisa richtete sich energisch auf. Sie hatte es so gewollt und brauchte die Einsamkeit und Ruhe, die sie hier fand. Es war ihr nur wichtig gewesen, so weit von allem, was in New York geschehen war, fortzukommen, wie es nur irgend ging. Und das hatte sie erreicht, sie lebte jetzt tatsächlich in Kalifornien am Ende der Welt. Vielleicht kam es ihr auch nur so vor, weil sie ein anderes Leben gewohnt war. Die Hektik in der Redaktion, die Aufregung, immer neuen Informationen nachzuspüren – und natürlich Ben. Mühsam schüttelte sie diesen Gedanken ab. Sie wollte und konnte nicht über diesen elenden, verlogenen … Ein erneutes Heulen von Angus brachte sie in die Gegenwart zurück. Sie musste unbedingt etwas unternehmen, doch was? Wenn sie die Polizei vergebens holte, würden ihre Nachbarn sie für eine hysterische Großstädterin halten. Außerdem hatte sie nach ihrer unliebsamen Erfahrung mit Ben ihre eigene Meinung über Gesetzeshüter. Und sie konnte durchaus auf sich alleine aufpassen, schließlich hatte sie ihr ganzes Leben in New York gewohnt. Sie trat zum Fenster, schob vorsichtig den Vorhang zur Seite und blickte auf die Veranda. Im fahlen Lichtschein war niemand zu sehen. Marisa wollte sich gerade abwenden, als sie eine Bewegung in der dunkelsten Ecke der Veranda wahrnahm. Von der Größe ausgehend konnte es nur ein Tier sein, das sich dort verkroch. Oder ein Kind. Der Gedanke setzte sie wirkungsvoll in Bewegung. Ihre Hand zitterte, als sie in der Kommodenschublade nach der Schreckschusspistole suchte, die sie für solche Fälle dort aufbewahrte. Sie trat zur Tür und schob ihre Hand unter Angus’ Halsband. Sollte dort draußen jemand herumlungern, würde sie ihn loslassen, aber sie wollte nicht, dass er in einen Kampf mit einem Tier geriet oder, noch schlimmer, ein Kind anfiel. Sie atmete noch einmal tief durch und öffnete rasch die Tür. Es gelang ihr kaum, den Bloodhound zu bändigen, der sofort zu der Ecke stürzen wollte, in der sie vorher die Bewegung gesehen hatte. Marisa stemmte die Füße auf den Boden, trotzdem rutschte sie mit den Hausschuhen über die glatten Holzdielen und hatte Mühe, die Schreckschusspistole nicht zu verlieren. Etwas Helles stach auf dem dunkelbraunen Holz hervor, vermutlich das, was sie vom Fenster aus gesehen hatte. Die Nase auf dem Boden zog Angus sie hinter sich her. Nach einigen Schritten blieb er abrupt stehen und knurrte. Das Geräusch drang ihr durch Mark und Bein, mühsam drängte sie das Unbehagen zurück. Erneut schnüffelte Angus auf dem Boden, dann drehte er seinen Kopf zu ihr und sah sie augenscheinlich verwirrt an, so als habe er die Spur, die ihn gerade noch so aufgeregt hatte, mit einem Mal verloren. Marisa nutzte die Gelegenheit und schob sich vor ihn. Vorsichtig näherte sie sich der Ecke und entdeckte auf dem Boden dunkle Flecken. Bemüht, nicht hineinzutreten, solange sie nicht wusste, was zum Teufel hier eigentlich vorging, stieg sie darüber. Da sich das, was dort kauerte, nicht bewegte und auch keine Anstalten machte, sie anzugreifen, ging Marisa in die Hocke, um es besser sehen zu können, hielt sich aber weit genug entfernt, um im Notfall aufspringen zu können. Entsetzt keuchte sie auf. Es war ein Mensch, der dort zusammengekrümmt lag, der Lichtschein aus dem Fenster traf auf die nackte Haut eines Arms. Marisa vergaß die Vorsicht und kniete sich neben ihn. Sie streckte die Hand aus, zögerte dann aber. Was, wenn er tot war? Ein Zittern lief durch ihren Körper, als sie sich daran erinnerte, wie sich ein Toter anfühlte. Niemals würde sie das vergessen. Die Haut noch warm, aber bereits von der Blässe des Todes gezeichnet, die Glieder verrenkt … Hier in der Gegend gibt es keine Morde – und schon gar nicht auf deiner Veranda, also reiß dich zusammen, Pérèz, ermahnte sie sich. Leichter gesagt, als getan. Am liebsten wäre sie ins Haus geflüchtet, doch sie konnte diesen armen Menschen nicht einfach hier liegen lassen. Erneut erschauderte sie, diesmal vor Kälte. Zögernd legte Marisa ihre Hand auf den Arm und atmete erleichtert auf, als sie eine leichte Bewegung spürte. Sie setzte sich auf die Hacken zurück. Was sollte sie jetzt tun? Ihn mit Decken wärmen und einen Arzt rufen? Oder die Polizei? Marisa verzog den Mund. Nein, ganz sicher keine Polizei, wenn sie es vermeiden konnte. Also musste sie irgendwie versuchen, ihn zu wecken, damit er nach Hause gehen konnte. Marisa berührte seine Schulter und rüttelte ihn sanft. „Hallo? Wachen Sie auf!“ Ein tiefes Stöhnen ertönte, Muskeln zuckten unter ihrer Hand. Eindeutig ein Mann, auch wenn sie bisher nur den Arm sah und der Rest von ihm im Dunklen verborgen lag. Etwas stieß sie von hinten an. Einem Herzinfarkt nahe, ruckte sie herum. Angus! Sie schob seine Schnauze beiseite. „Geh zurück ins Haus, ich komme gleich.“ Wie immer dachte der Bloodhound erst einmal über den Befehl nach, bevor er sich zurückzog und neben der Tür auf den Boden legte. Ausnahmsweise war ihr sein Ungehorsam recht, sie fühlte sich beschützter, wenn er in der Nähe war. Widerstrebend wandte sie sich wieder dem Mann und damit dem drängenderen Problem zu. Die Lippen zusammengepresst ließ sie ihre Hand über seine Schulter dorthin gleiten, wo der Kopf sein musste. Bartstoppeln kratzten über ihre Fingerspitzen, geleiteten sie zu seinem Gesicht. Diesmal war sie etwas weniger sanft, als sie seine Wange tätschelte. „Wachen Sie auf!“ Der Mann drehte sich so schnell um, dass sie nicht mehr reagieren konnte, das Gleichgewicht verlor und auf ihrem Hinterteil landete. Ungläubig starrte sie ihn an, wie er im Lichtschein vor ihr lag. Er war völlig und komplett nackt. Und als wäre das nicht schlimm genug, bedeckten blutende Wunden seinen Körper. Marisa betrachtete ihre Hand, mit der sie ihn berührt hatte, und erkannte unbehaglich, dass sie blutig war. Rasch wischte sie sie an ihrer Hose ab, was die Sache aber auch nicht besser machte. Was sollte sie tun? Der Mann brauchte Hilfe, soviel war klar. Mühsam rappelte sie sich auf und legte ihm erneut die Hand auf die Wange. „Können Sie mich hören?“ Ein Stöhnen, die Augenlider zitterten. „Genau, sehen Sie mich an. Sie sind in Sicherheit.“ Jedenfalls hoffte sie das. Wer immer ihm das angetan hatte, konnte durchaus noch in der Nähe sein. „Sie müssen mir ein wenig helfen, alleine bekomme ich Sie nicht ins Haus.“ Sie strich über seine Wange, als er nicht reagierte. „Nicht wieder einschlafen, bleiben Sie bei mir.“ Langsam öffneten sich seine Augen, und er sah sie direkt an. Marisas Herz setzte für einen Moment aus. Es kam ihr vor, als würde sie in die Seele eines Tieres blicken, wild, ungebändigt und zum Töten bereit. Marisa unterdrückte ein Zittern und ärgerte sich über ihre lächerliche Reaktion. Es lag sicher nur am ungewöhnlichen Aussehen seiner Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umrandet waren und ein wenig schräg standen, die äußeren Augenwinkel höher als die inneren. In der Dunkelheit konnte sie die Farbe nicht richtig erkennen, doch sie schienen hell zu sein, die Pupillen nur kleine Punkte, umgeben von der riesigen Iris, die das Weiße fast verdrängte. Beängstigend. Faszinierend. Aber das war bestimmt nur eine durch das schwache Licht auf der Veranda bedingte Täuschung. Im Haus würde sie sehen, dass seine Augen ganz normal waren. Im Moment hatte sie ohnehin andere Sorgen: Irgendwie musste sie ihn ins Haus bringen, möglichst ohne dass sie beide dabei auf die Nase fielen. Denn wenn sie noch länger zögerte, war er entweder erfroren oder verblutet. „Können Sie aufstehen?“ Schweigend sah er sie so lange mit diesen seltsamen Augen an, bis sie glaubte, dass er vielleicht gar nicht sprechen konnte. „Ja.“ Seine Antwort klang wie ein tiefes Grollen, das eher aus seiner Kehle als aus seinem Mund zu kommen schien. Marisa bemühte sich, ihren Mund wieder zu schließen und einen klaren Gedanken zu fassen. „Ähm … gut, sehr gut.“ Ihr Blick glitt an seinem Körper hinab. Er war schlank, aber an den richtigen Stellen muskulös und sicher um einiges größer als sie. Hoffentlich konnte er wirklich gehen, sonst würde sie ihn nie ins Haus bekommen. „Ich werde meinen Arm um Sie legen, und Sie stützen sich auf meine Schultern, okay? So sollten wir Sie hochbekommen.“ Ein knappes Nicken war seine einzige Antwort. Er schien nicht sonderlich gesprächig zu sein, aber das war Marisa nur recht, so konnte sie sich ganz darauf konzentrieren, ihn so schnell wie möglich wieder fit zu kriegen, damit er weiterziehen konnte. Marisa schob ihren Arm um seinen Rücken und half ihm, sich aufzusetzen. Sein schweres Atmen zeigte, dass ihm die Bewegung wehtat. Seine Rippen hoben sich unter ihrer Hand, die Muskeln in seinem Brustkorb spannten sich an, als er seinen Arm um ihre Schultern legte. Schwer stützte er sich auf sie, während er langsam auf die Füße kam. Angus hatte sich auch erhoben und sah ihnen mit schräg gelegtem Kopf entgegen. So etwas hatte er vermutlich auch noch nicht gesehen. Schritt für Schritt bewegten sie sich auf die Tür zu, wobei der Mann von Sekunde zu Sekunde schwerer zu werden schien. Er strauchelte, und Marisa schaffte es gerade noch, ihn vor einem Sturz zu bewahren. Ihre Wange lag an seiner mit Schweiß und Blut bedeckten Brust, während ihr freier Arm sich automatisch um seine Taille geschlungen hatte. Wundervoll, jetzt standen sie hier wie ein betrunkenes Liebespaar, und sie wusste nicht, wie sie ihn aufrecht halten sollte, wenn sie sich von ihm löste. Er würde schon ein wenig mithelfen müssen. „Alles in Ordnung?“ Marisa verzog den Mund. Sehr intelligente Frage. Sein schwerer Atem und die Art, wie er sie als Kleiderständer benutzte, zeigten deutlich, dass er nicht in Ordnung war. Und Kleiderständer war vermutlich auch der falsche Ausdruck, zumal er gar keine Kleidung trug. Es war nicht unbedingt ein angenehmes Gefühl, so dicht an einen nackten Unbekannten gepresst zu sein, dessen Blut gerade ihr Lieblingsgammeloutfit durchtränkte. Sie musste etwas tun, wenn sie ihn heute noch loswerden wollte, und das möglichst, bevor ihr Rücken durchbrach. In Ermangelung einer besseren Idee kniff sie ihn kräftig in die Kehrseite. Sein Körper zuckte gegen ihren, sein Kopf hob sich abrupt, ein Geräusch fast wie ein Fauchen entfuhr ihm. Marisa versuchte, sich von ihm zu lösen, doch sein Arm schlang sich fester um ihren Nacken. Ihr wurde bewusst, wie groß und kräftig er war und wie einfach er sie überwältigen konnte, wenn er es sich in den Kopf setzte. Ein scharfes Bellen erinnerte sie daran, dass Angus sich noch in der Nähe aufhielt. Sie war also nicht völlig schutzlos. „Lassen Sie los, sonst hetze ich den Hund auf Sie.“ Der Körper des Mannes versteifte sich, sein Griff lockerte sich. Gut, immerhin schien er jetzt wach genug zu sein, dass sie den Rest des Weges zurücklegen konnten. Marisa löste sich von ihm, bis er sich nur noch auf ihre Schulter stützte. „Okay, noch ein paar Meter, dann können Sie sich ausruhen.“ Sie spürte eine Berührung an ihrem Knie. „Angus, ins Haus!“ Nach kurzem Zögern klackten seine Krallen über das Holz in Richtung Tür. Wunderbar, eine Sorge weniger. Der kalte Wind ließ sie frösteln, obwohl sie durch die Aufregung und Anstrengung erhitzt war. Seltsamerweise strahlte der Fremde trotz seiner Nacktheit eine Wärme ab, die durch ihre Kleidung drang. Marisa biss sich auf die Lippe. Sie hoffte inständig, dass er nicht ernsthaft krank war, denn sonst konnte sie ihn nicht guten Gewissens vor die Tür setzen, sobald er dazu in der Lage war. Sie mochte keine Fremden – eigentlich niemanden –, aber trotzdem war sie gerade dabei, einen sehr seltsamen nackten Mann durch ihre Haustür zu bugsieren. Aber sein erschreckender Zustand ließ ihr keine Wahl. Außerdem machten sich Tote nicht gut im Lebenslauf, wie sie in New York bereits hatte feststellen müssen. Marisa schnitt eine Grimasse, als ihr klar wurde, dass sie ihr Bett würde hergeben müssen. Eine sehr unangenehme Vorstellung. Aber es half nichts, sie hatte kein Gästezimmer und verfügte nicht mal über ein Klappbett oder eine Luftmatratze. Mit letzter Kraft schleppte sie den Mann ins Schlafzimmer. Ursprünglich war die Idee gewesen, ihn langsam und vorsichtig ins Bett zu legen, doch beim letzten Schritt ließ er sich einfach nach vorne fallen und zog sie mit sich. Sein Oberkörper lag halb auf ihr und drohte, ihr die Luft abzuschnüren. Mühsam rutschte Marisa unter ihm hervor und landete schmerzhaft auf dem Boden. „Autsch.“ Für einen Moment lehnte sie sich an das hölzerne Bettgestell und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Schließlich rappelte sie sich auf. Der Mann lag bäuchlings quer über dem Bett, die Beine ragten heraus. Das konnte nicht wirklich bequem sein. Marisa schloss für einen Moment die Augen, bevor sie mit der Arbeit begann, den Mann so zu drehen, dass er vernünftig im Bett lag. Schließlich trat sie zurück. Okay, das wäre geschafft. Ängstlich wartete Marisa darauf, dass er die Augen öffnete, doch sie blieben geschlossen. Ein Blick auf die klaffende Wunde unter seinem Schulterblatt überzeugte sie davon, dass sie besser gleich mit dem Verarzten beginnen sollte. Schnell holte sie eine Schüssel voll lauwarmem Wasser und den Verbandskasten und kehrte damit ins Schlafzimmer zurück. Der Mann schien sich nicht bewegt zu haben. Für einen winzigen Moment dachte sie, er wäre tot, doch dann sah sie das langsame Heben und Senken seines Brustkorbs. Unentschlossen, wo sie beginnen sollte, stellte Marisa die Schüssel auf den Nachttisch, zog die Latexhandschuhe über, tauchte einen Waschlappen ins Wasser und begann, die Haut um die Verletzung herum zu waschen. Übelkeit stieg in ihr auf, als sie die tiefe Wunde sah. Was konnte das für eine Waffe gewesen sein? Es war weder eine Schusswunde, noch sah es nach einem Messerangriff aus. Eher als hätte ihn ein Tier angefallen … Nein, das konnte nicht sein, dann wäre er nicht nackt. Vielleicht war er irgendwo gestürzt und hatte sich an Felsen verletzt? Aber auch dann verstand sie nicht, warum er keine Kleidung trug und wie er auf ihre Veranda gekommen war. Sie würde ihn fragen, sobald er zu sich kam, jetzt sollte sie sich darauf konzentrieren, ihn zu verbinden. Methodisch reinigte sie die Wunden, desinfizierte sie und verband sie notdürftig. Sie war nicht darauf vorbereitet, einen Mann auf ihrer Veranda zu finden, der wie angestochen blutete und ihren gesamten Vorrat an Verbandsmaterial aufbrauchen würde, aber schließlich waren alle Wunden versorgt, die sie in seiner jetzigen Lage erreichen konnte. Sie richtete sich auf und rieb sich über ihren Rücken, der von der gebückten Haltung schmerzte. Nachdenklich betrachtete sie den Fremden. Wie sollte sie ihn umdrehen, ohne die Wunden wieder aufzureißen und ihm womöglich noch weitere Schmerzen zuzufügen? Sie würde einfach vorsichtig sein müssen, denn schließlich konnte sie ihn nicht liegen lassen und hoffen, dass er nicht aus einer verdeckten Wunde verblutete. Marisa trat auf die andere Seite des Bettes, packte seine Schulter und die Hüfte und zog, einen Fuß gegen die Bettkante gestemmt, mit aller Kraft. Erst passierte gar nichts, dann rollte sein Körper schließlich herum, wobei sie allerdings erneut auf dem Boden landete. Leise fluchend kam sie wieder auf die Füße und erstarrte. Nicht, dass sie nicht wusste, wie ein nackter Mann aussah. Aber dieser war schon ein besonders gelungenes Exemplar. Die breiten Schultern reichten beinahe von einer Bettseite zur anderen, der behaarte Oberkörper war kräftig, die schmale Hüfte ging in lange muskulöse Beine über. Marisa weigerte sich, das, was dazwischenlag, näher in Augenschein zu nehmen. Es reichte, wenn sie aus den Augenwinkeln den Streifen dunkelblonder Haare sah, der von der Brust abwärts verlief. Nach einem tiefen Atemzug konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe. Glücklicherweise hatte er auf der Vorderseite nur eine Wunde am Oberarm und eine kleinere über den Rippen. Dafür würde ihr Verbandszeug gerade noch ausreichen. Es bereitete ihr mehr Sorgen, dass er nicht wieder aufwachte. Vielleicht hatte er zu viel Blut verloren und lag nun im Koma. Nein, eigentlich war keine der Wunden so ernst, dass er dadurch verbluten konnte. Allerdings glaubte sie auch nicht mehr, dass er betrunken war, denn er roch nicht nach Alkohol. Eine Gehirnerschütterung oder sogar ein Schädelbruch wären auch eine Möglichkeit. Zögernd schob Marisa ihre Hände in seine Haare und tastete seinen Kopf ab. Die dunkelblonden Strähnen waren seltsam weich, fast als würde sie Fell berühren. Marisa verzog den Mund. Sie war eindeutig übermüdet. Sorgfältig forschte sie nach Beulen oder offenen Wunden, fand aber nichts. Erleichtert trat sie zurück. Gut, das schien nicht der Grund für seine tiefe Bewusstlosigkeit zu sein. Also wohl doch Drogen. Vermutlich würde sie einfach warten müssen, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Sie würde seine übrigen Wunden verbinden und ihm dann den Rest der Nacht Zeit geben, sich zu erholen. Wenn er morgen nicht aufwachte, würde sie wohl oder übel einen Arzt und die Polizei informieren müssen. Sicher wurde er auch schon vermisst, von seiner Frau oder Freundin … Marisa schüttelte den Gedanken ab. Das war nicht ihr Problem, sondern seines. Sollte er denen erklären, warum er nackt draußen herumlief und was passiert war. Mit inzwischen routinierten Bewegungen säuberte sie die Armwunde und desinfizierte sie. Auch diese Verletzung wirkte eher wie eine Risswunde und nicht wie ein Messerstich. Nun, er würde ihr hoffentlich morgen erklären können, was passiert war. Andererseits, vermutlich wäre es besser, wenn er einfach verschwand, ohne dass sie irgendetwas über ihn wusste. Schon jetzt spürte sie, wie sich die Reporterin in ihr zu regen begann. Nein, diesmal würde sie ihre Neugier unterdrücken und sich nicht in Schwierigkeiten bringen. Außerdem war sie sich fast sicher, dass sie nicht wissen wollte, was der Fremde hier getrieben hatte. Leben und leben lassen, das war ihre neue Devise. Sie hatte genug damit zu tun, sich selbst über Wasser zu halten, sie konnte sich nicht auch noch um die Probleme anderer kümmern. Erst recht wenn es sich um einen Mann handelte. Einen kräftigen, gut aussehenden Mann. Die Erinnerung an Ben wirkte wie eine kalte Dusche. Es gab zwei feste Regeln in ihrem neuen Leben: keine Schlagzeilen und keine Männer. Beide waren erstaunlich leicht einzuhalten gewesen, zumindest bis heute Abend. Heftiger als nötig wickelte Marisa den Verband um den Oberarm und befestigte ihn mit einem Klebestreifen. Die kleinere Rippenwunde war schnell versorgt, sodass Marisa sich kurz darauf aufrichtete, die Handschuhe auszog und einen Schritt zurücktrat. Ihr Rücken knackte protestierend und ein scharfer Schmerz breitete sich aus. Marisa unterdrückte gerade noch ein Stöhnen und presste ihre Fäuste in den unteren Rücken. Natürlich musste ihr nach der Anstrengung und dem gebückten Stehen der Ischiasnerv wieder Probleme bereiten, sie hätte es sich denken können. Andererseits hatte sie nicht wirklich eine Wahl gehabt, oder? Bemüht, keine falsche Bewegung zu machen, ging sie zum Schrank und zog ein Laken und eine Decke hervor. Sie legte beides über den Fremden und steckte die Enden zwischen Bettkante und Matratze. Dann ging sie vorsichtig in die Hocke und hob ihr eigenes Bettzeug vom Boden auf. Angus zog es gerne vom Bett, eine dumme Angewohnheit, für die sie ihn schon oft – vergeblich – ausgeschimpft hatte. Aber diesmal war sie ihm dankbar dafür, denn dadurch lag es jetzt nicht vollgeblutet unter dem Fremden. Müde schleppte sie sich ins Wohnzimmer und blieb einen Moment lang unschlüssig stehen. Okay, als Erstes ein Drink, dann eine heiße Dusche, und danach würde sie versuchen, es sich im Sessel so bequem wie möglich zu machen. Was im Grunde unmöglich war, besonders wenn ihr Rücken sich jetzt schon meldete, aber sie würde es zumindest versuchen. Ihre Hand zitterte, als sie den Whiskey eingoss, der Flaschenhals klickte ans Glas. Marisa verzog den Mund. Fast wie eine Alkoholikerin vor dem ersten Schluck. Sie schloss die Augen und trank das Glas in einem Zug aus. Der Whiskey brannte in ihrer Kehle und entflammte kurz darauf ihren Magen. Automatisch unterdrückte sie den Drang, zu husten. Ja, richtig, eine Säuferin, die nicht mal einen kleinen Schluck vertrug. In der ersten Zeit nach dem schrecklichen Vorfall in New York hatte sie versucht, durch den Alkohol alles zu vergessen, doch es war genau daran gescheitert. Davon abgesehen war ihr schnell klar geworden, dass es mehr brauchte als nur Hochprozentiges, um die Gedanken zu unterdrücken, die immer wieder durch ihren Kopf gingen, bis sie glaubte, schreien zu müssen. Es hatte auch nicht geholfen, hierherzukommen und ihr bisheriges Leben abzustreifen. Die Vergangenheit war in ihr, etwas, das sie mit sich herumtragen würde, solange sie lebte. Marisa schnaubte. Und jetzt hatte sie nicht nur einen sabbernden alten Hund, sondern auch noch einen nackten verletzten Mann am Hals. Wundervoll, mit ihrem Leben ging es eindeutig aufwärts. Noch eine unangenehme Nebenwirkung des Whiskeys: Man versank im Selbstmitleid. Fester als nötig stellte sie das Glas auf den Tisch zurück. Es wurde Zeit für die Dusche, sie fühlte sich schmutzig, physisch und psychisch erschöpft. Angus öffnete ein Auge, als sie an ihm vorbeiging. „Pass gut auf, okay? Nicht, dass wir noch weitere ungeladene Gäste bekommen.“ Sie beschloss, sein zuckendes Ohr als Zeichen der Zustimmung zu nehmen, griff sich ihr Nachthemd und verschwand im Bad. Zum ersten Mal, seit sie hier eingezogen war, schloss sie die Tür ab. So schnell wie möglich entledigte sie sich der blutigen, verschmutzten Kleidung und stopfte sie in einen Müllbeutel. Es tat ihr weh, ihre Lieblingssachen wegzuwerfen, aber sie würde sie sowieso nicht mehr anziehen können. Und wollen. Damals in New York war ihre Kleidung als Beweismittel konfisziert worden, ohne dass sie es hätte verhindern können. Keine Erfahrung, die sie wiederholen wollte. Marisa erkannte, dass sie erneut in die Vergangenheit zurückfiel, und riss sich aus ihren Gedanken. Duschen, dann schlafen. Rasch trat sie in die Duschkabine und drehte das heiße Wasser auf. Viel zu früh musste sie die Oase der Ruhe jedoch wieder verlassen, denn für lange Körperpflege fehlte ihr die Ruhe. Als sie sich das Nachthemd über den Kopf gezogen hatte und automatisch zum Fön greifen wollte, fiel ihr Blick in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Erschrocken hielt sie inne. Die Dusche mochte das Blut von ihrer Haut und aus ihrem schwarzen langen Haar gewaschen haben, doch der Schreck über die unerwartete Begegnung mit dem Fremden war ihr immer noch deutlich anzusehen. Ihre dunklen Augen sahen ihr aus einem unnatürlich blassen Gesicht entgegen, und es lag ein angespannter Zug um ihre Lippen. Marisa ließ den Fön wieder sinken. Irgendwie fühlte sie sich plötzlich zu müde, sich das Haar zu trocknen. Außerdem war das Ding so laut, und der Gedanke, dass sie dann nicht hören konnte, was im Haus passierte, machte sie nervös. Sie lauschte auf Geräusche aus den anderen Zimmern, doch es war immer noch ruhig. Sehr gut, sie hatte wirklich keine Kraft mehr, sich um irgendwelche größeren oder kleineren Probleme zu kümmern. Sie drehte den Schlüssel herum und stieß die Badezimmertür auf. Die Hand am Lichtschalter hielt sie inne. Irgendetwas stimmte nicht. Behutsam schob sie den Kopf vor und sah um die Ecke. Nichts. Es war immer noch still im Haus, beinahe zu still. Sie tappte barfuß durch den kleinen Flur und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Der Mann lag so da, wie sie ihn verlassen hatte. Dann waren es wohl nur ihre angespannten Nerven, die ihr einen Streich spielten. Beruhigt schaltete sie das Licht aus und ging ins Wohnzimmer. Angus hatte es sich neben ihrem Sessel bequem gemacht und den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt. Als eine Holzbohle unter ihrem Fuß quietschte, hob er ein Augenlid, blinzelte sie verschlafen an und schloss es wieder. Kopfschüttelnd rückte Marisa den Fußhocker zurecht und schüttelte ihr Kissen aus. Mit einem unterdrückten Stöhnen sank sie in den Sessel, breitete die Decke über sich und versuchte, eine halbwegs bequeme Stellung zu finden. Schließlich gab sie seufzend auf und löschte das Licht. Mit Angus’ leichtem Schnarchen als Geräuschkulisse schlief sie kurz darauf ein.
© 2009 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
© 2009 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Michelle Raven
Michaela Rabe wurde 1972 in Hannover geboren und studierte Bibliothekswesen. Sie arbeitet als Bibliotheksleiterin in Niedersachsen. 2002 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Michelle Raven ihren ersten Roman. Inzwischen gehört sie zu Deutschlands erfolgreichsten Autorinnen im Bereich Romantic Fantasy und Romantic Thrill.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michelle Raven
- 2009, 3. Aufl., 512 Seiten, Maße: 12,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802582225
- ISBN-13: 9783802582226
Rezension zu „Die Spur der Katze / Ghostwalker Bd.1 “
"Michaela Rabe hat es verstanden, die Spannung in ihrem Buch von Anfang bis Ende konstant zu halten. Großartig geschrieben, reiht sie sich ein in die Riege der bekanntesten internationalen Thriller-Autorinnen." (Rheinische Post)
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