Die StPO in Fällen
Angesichts der enormen Fülle des Stoffes verlieren die Examenskandidaten häufig die Grundlagen aus dem Blick, auf die es zu einem großen Teil vor allem in der zweiten Juristischen Staatsprüfung ankommt. Die Autoren vermitteln Studierenden und...
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Produktinformationen zu „Die StPO in Fällen “
Klappentext zu „Die StPO in Fällen “
Angesichts der enormen Fülle des Stoffes verlieren die Examenskandidaten häufig die Grundlagen aus dem Blick, auf die es zu einem großen Teil vor allem in der zweiten Juristischen Staatsprüfung ankommt. Die Autoren vermitteln Studierenden und Rechtsreferendaren anhand von ca. 100 praxisorientierten und auf höchstrichterlicher Rechtsprechung beruhenden kurzen Fällen die Grundlagen der StPO. Dabei werden dem Leser die Strukturen des Strafprozessrechts und Kenntnisse der praktischen Fallbearbeitung zusätzlich in ca. 60 Übersichten, Tabellen und Musterentscheidungen nähergebracht. Dadurch deckt das Werk die gesamte examensrelevante Materie des Strafprozessrechts ab.
Lese-Probe zu „Die StPO in Fällen “
Die StPO in Fällen von Peter Schweikart1. Kapitel: Das Ermittlungsverfahren
I. Die wichtigsten Beteiligten des Ermittlungsverfahrens
1. Die Ermittlungsbehörden: Staatsanwaltschaft und Polizei
Fall 1: Beginn eines Ermittlungsverfahrens
Nach einem Ladendiebstahl im Elektromarkt wird der 22 Jahre alte A von dem
Kaufhausdetektiv D, der über eine in den Verkaufsräumen montierte Fernsehka-
mera beobachtet hatte, wie A eine CD im Wert von 14,99 € in seine Jackeninnen-
tasche schob, festgehalten. Im Büro des Marktleiters werden die Personalien des A
aufgenommen und die Polizei wird gerufen. D stellt als Vertreter des Elektromarktes
Strafantrag gegen A, der von dem sachbearbeitenden Polizeibeamten P zur Kenntnis
genommen wird.
A ist schon mehrfach wegen Diebstählen in Erscheinung getreten und vom AG be-
reits ein Jahr zuvor wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe
von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt
worden.
Welche Behörden sind zur Durchführung des Ermittlungsverfahrens berufen, und
welche Maßnahmen sind zu ergreifen?
Problemstellung
Anhand dieses Eingangsfalles sollen der Beginn eines Ermittlungsverfahrens mit den 1
unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten sowie die Aufgaben und Stellung der Ermittlungsbehörden
anhand der Regelungen in der StPO und des GVG erörtert werden.
Weiterhin ist zu untersuchen, welche Rolle die im Sachverhalt genannten Personen im
Ermittlungsverfahren spielen.
Lösung
... mehr
Folgende Institutionen/Behörden sind zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens 2
berufen:
Die Polizei führt gemäß § 163 Abs. 1 StPO den ersten Zugriff durch. Sie verschafft
sich einen Überblick über den Sachverhalt, nimmt gemäß § 163b StPO die Personalien
des Beschuldigten auf (und führt ggf. erkennungsdienstliche Maßnahmen wie z.B. das
Erstellen von Fingerabdrücken, durch), belehrt ihn als Beschuldigten1 und nimmt eine
erste Vernehmung zur Person und zum Tatvorwurf vor (§ 163a Abs. 1 StPO). Sie vernimmt
Zeugen am Tatort, wie den Detektiv D, der den Diebstahl beobachtet hatte,
und nimmt Anzeigen und Strafanträge entgegen.
Bestimmte Dienstränge der Polizei sind sog. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.
Sie können von der Staatsanwaltschaft beauftragt werden, bestimmte Maß-
nahmen durchzuführen. Den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft stehen besondere
Befugnisse im Vergleich zu anderen Polizeibeamten zu. Der wichtigste Fall ist
das Handeln bei Gefahr im Verzuge, wenn der Erfolg einer Ermittlungsmaßnahme
durch Zeitablauf gefährdet würde, falls eine richterliche Entscheidung eingeholt werden
müsste (§§ 105 Abs. 1, 98 Abs. 1, 81a Abs. 2, 81 Abs. 5 StPO).
Die eigentliche praktische Ermittlungstätigkeit wird von der Polizei weitgehend unter
eigener Verantwortung durchgeführt.
Der Kaufhausdetektiv spielt im nunmehr „öffentlichen" Ermittlungsverfahren nur
noch die Rolle eines Zeugen mit den in den §§ 48ff. StPO normierten Rechten und
Pflichten. Der Zeuge hat vor allem folgende Pflichten:
• Erscheinenspflicht vor Gericht, § 51 StPO, mit den Folgen des Ausbleibens
• Aussage - und Wahrheitspflicht, § 57 StPO
• Eidespflicht, §§ 59ff. StPO.
Die Aussage - und Eidespflicht entfällt, wenn der Zeuge ein Zeugnisverweigerungsrecht
gemäß §§ 52ff. StPO hat.2 Ein weiteres Recht des Zeugen ist das Auskunftsverweigerungsrecht
gemäß § 55 StPO. Dieses gewährt dem Zeugen das Recht, einzelne
Fragen, deren Beantwortung ihn selbst (§ 55 Abs. 1, 1. Alt. StPO) oder einen nahen
Angehörigen (§ 55 Abs. 1, 2. Alt. StPO) belasten würden, nicht zu beantworten.
Die Polizei legt der Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte vor, wenn die Sache „ausermittelt"
3 ist.
Im vorliegenden Fall wird der Polizeibeamte P folgende Ermittlungsmaßnahmen
durchführen:
• Aufnahme der Anzeige nebst Strafantrag
• Vernehmung des Kaufhausdetektivs D als Zeugen
• Belehrung und Vernehmung des Beschuldigten A
• Vermerk über den Wert des Diebesgutes.
Die Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen so weit führen, dass geklärt ist, ob hinreichender
Tatverdacht besteht (§ 160 StPO). Sie ist gemäß § 150 GVG eine hierarchisch
aufgebaute und von den Gerichten unabhängige Justizbehörde.4 Die Staatsanwaltschaft
unterliegt grundsätzlich dem Legalitätsprinzip (§§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 1
StPO), wonach sie gesetzlich dazu verpflichtet ist, bei Anhaltspunkten für das Vorliegen
einer Straftat ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und bei hinreichendem Tatverdacht
Anklage zu erheben.5 Nach § 146 GVG haben die Beamten der Staatsanwaltschaft
den Weisungen ihrer Dienstvorgesetzten nachzukommen.
Die Staatsanwaltschaft wird als „Herrin des Ermittlungsverfahrens" dem Ermittlungsvorgang
ein Js-Aktenzeichen zuweisen, entscheiden, ob noch weitere Ermittlungen
erforderlich sind, einen Auszug aus dem Bundeszentralregister (hinsichtlich möglicher
Vorstrafen) einholen, ggf. einen Bericht des Bewährungshelfers des A und
frühere Urteile anfordern. Schließlich wird der sachbearbeitende Staatsanwalt entscheiden,
ob und ggf. vor welchem Gericht er Anklage erhebt oder ob er von der
2 Vgl. Übersicht 31 zu den zeugnisverweigerungsberechtigten Personen.
3 In komplizierten und umfangreicheren Ermittlungsverfahren findet ein regelmäßiger Austausch
zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft über die weitere Vorgehensweise statt, bei dem
die Staatsanwaltschaft im Laufe der Ermittlungen auch bestimmte Ermittlungsmaßnahmen
anordnet.
4 Vgl. nachfolgende Übersicht.
5 Ausnahme: Opportunitätsentscheidungen, vgl. Übersicht 21.
I. Die wichtigsten Beteiligten
Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach Opportunitätsgrundsätzen Gebrauch
macht.
Hier war ist Wert des Diebesgutes mit ca. 15 € zwar als geringfügig anzusehen, bei
dem Beschuldigten handelt es sich jedoch um einen einschlägig vorbestraften Bewährungsbrecher.
Deshalb wird der Staatsanwalt Anklage vor dem Amtsgericht, hier dem
Einzelrichter gemäß § 24 Abs. 1, 25 GVG, erheben. Bei einer rechtskräftigen Verurteilung
hat die Staatsanwaltschaft später die Funktion der Vollstreckungsbehörde (§ 451
StPO).
Übersicht 2: Aufbau der Staatsanwaltschaft auf Länderebene7
Justizminister des Landes
Dienstaufsicht und Weisungsrecht gemäß §§ 146, 147 Nr. 2 GVG
Generalstaatsanwalt
Behördenleiter der Generalstaatsanwaltschaft am Oberlandesgericht, § 142
Abs. 1 Nr. 2 GVG
Leitender Oberstaatsanwalt
Behördenleiter der Staatsanwaltschaft am Landgericht, § 142 Abs. 1 Nr. 2
GVG, mit Dienstaufsicht und Weisungsrecht innerhalb der Behörde
(§§ 146, 147 Nr. 3 GVG) hinsichtlich:
• Staatsanwälten
• Amtsanwälten
• Referendaren
2. Beschuldigter
Fall 2: Die Belehrung des Beschuldigten
Nach einem Bundesliga-Fußballspiel werden auf dem Stadion-Parkplatz Fahrzeuge,
mit denen die Fans der Gastmannschaft angereist sind, mit Hakenkreuzen in den
Vereinsfarben der Heimmannschaft besprüht. Die sofort herbeigerufenen Polizeibeamten
fragen eine in Parkplatznähe stehende Personengruppe, ob sie gesehen hätte,
wer die geparkten Fahrzeuge besprüht habe. Dabei belehren die Polizeibeamten die
befragten Personen nicht als Beschuldigte. B, der sich in der Gruppe befindet, antwortet
dem Polizeibeamten P in aggressivem Ton: „Jeder Kanake, der hier parkt und nicht zu uns gehört, kriegt von uns ein Andenken auf sein Auto." B wird wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) angeklagt und verurteilt. Im schriftlichen Urteil stützt das Gericht seine Überzeugung von der Täterschaft des - nicht vorbestraften und in der Hauptverhandlung schweigenden - B auch auf dessen Äußerung gegen über dem Polizeibeamten P, die dieser als Zeuge in der Hauptverhandlung mitgeteilt hat. Verteidiger V, der in der Hauptverhandlung gleich nach Ps Zeugenvernehmung Widerspruch gegen die Verwertung der Äußerung des B erhoben hat, legt gegen das Urteil Revision ein. Mit einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge beanstandet er die Verwertung der Äußerung des B im Urteil.
Ist die Revision begründet?
Problemstellung
Nur dann, wenn eine Person Beschuldigter ist, muss sie im Ermittlungsverfahren vor
einer Befragung belehrt werden, und zwar
•
bei einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gemäß §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1
StPO,
•
bei einer staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmung gemäß §§ 163a
Abs. 3, 136 Abs. 1 StPO und
•
bei einer Beschuldigtenvernehmung durch den Ermittlungsrichter gemäß § 136
Abs. 1 StPO oder gemäß §§ 115 Abs. 3, 115a Abs. 2 StPO.
Zum Beschuldigten wird eine Person
•
entweder durch ein Verhalten der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder des Ermittlungsrichters,
aus dem sich deren Wille zur Verfolgung dieser Person wegen einer Straftat ergibt
(!. Variante) oder
•
durch das Vorliegen eines ernsthaften Tatverdachts gegen die Person (2. Variante).
Zur 1. Variante:
Unabhängig von der Frage, ob gegen eine Person ein ernsthafter Tatverdacht besteht,
wird eine Person allein schon durch ein Verhalten der Polizei, der Staatsanwaltschaft
oder des Ermittlungsrichters zum Beschuldigten, wenn sich aus dem äußeren Verhalten
der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder des Ermittlungsrichters deutlich deren
Verfolgungswille ergibt, gegen die Person wegen einer Straftat vorzugehen.8
Ein solches die Beschuldigteneigenschaft begründendes Verhalten der Polizei, der
Staatsanwaltschaft oder des Ermittlungsrichters liegt z.B. dann vor,
a) wenn gegen die Person eine Maßnahme ergriffen wird, die in der StPO als Maßnahme
gegen den Beschuldigten vorgesehen ist, wie etwa
•
die vorläufige Festnahme, § 127 StPO,
• der Erlass eines Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter, § 112 StPO,
• oder der Antrag der Staatsanwaltschaft hierzu
oder die Anregung der Polizei an die Staatsanwaltschaft, beim Ermittlungsrichter
einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zu stellen,
• die auf § 81a StPO (und nicht auf § 81c Abs. 2 StPO) gestützte Blutentnahme,
• die auf § 102 StPO (und nicht auf § 103 StPO) gestützte Wohnungsdurchsuchung.
8 BGH NStZ 1997, 398 (unter Hinweis auf die Formulierung in § 397 Abs. 1 AO); BGH NJW 2007, 2706, 2707.
I. Die wichtigsten Beteiligten
b) wenn die Person zwar als Zeuge vernommen wird, das Verhalten des Verneh-11
mungsbeamten bei dieser Zeugenvernehmung aber deutlich ergibt, dass der Vernehmungsbeamte
den Zeugen einer Straftat überführen will, etwa durch Drängen zu einem
Geständnis oder durch Äußerungen wie „Sie machen sich durch Ihre Aussage
immer verdächtiger."
Aber: Allein die Belehrung des Zeugen gemäß § 55 Abs. 2 StPO macht diesen noch
nicht zum Beschuldigten.
Zur 2. Variante 12
Unabhängig davon, ob die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder der Ermittlungsrichters
gegen eine Person schon eine Strafverfolgungsmaßnahme ergriffen hat, wird eine Person
auch dann zum Beschuldigten, wenn gegen die Person ein ernsthafter Tatverdacht
besteht, der auf Tatsachen beruht.10
Bloße Vermutungen oder ein nur vager Verdacht, dass die Person eine Straftat begangen
haben könnte, begründen die Beschuldigteneigenschaft noch nicht.
Lösung
Die Revision ist gemäß § 337 StPO begründet, wenn 13
• eine Gesetzesverletzung vorliegt und
• das Urteil auf dieser Gesetzesverletzung auch beruht.
Als mögliche Gesetzesverletzung kommt ein Verstoß gegen §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1
StPO (Unterlassen der Beschuldigtenbelehrung des B, insbesondere Unterlassen des
Hinweises auf sein Schweigerecht) in Betracht. §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 StPO sind
aber nur verletzt, wenn B zum Zeitpunkt der Befragung durch die Polizeibeamten
schon Beschuldigter war. Zu diesem Zeitpunkt lag jedoch noch kein Anhaltspunkt dafür
vor, dass B als Täter ernstlich in Betracht kam. Aus dem Umstand, dass sich B zusammen
mit anderen Personen in Parkplatznähe (= Tatortnähe) aufhielt, ergibt sich
nur eine Vermutung oder ein vager Tatverdacht, aber noch kein verdichteter ernstlicher
Verdacht der Täterschaft.
Da B zum Zeitpunkt der Befragung durch die Polizeibeamten noch nicht Beschuldigter
war, musste er vor der Befragung auch nicht als Beschuldigter belehrt werden. Die
Polizeibeamten haben damit nicht gegen §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 StPO verstoßen.
Die Revision ist deshalb wegen Fehlens einer Gesetzesverletzung unbegründet.
Fall 3: Belehrung (Abwandlung Fall 2)
Wie vorheriger Fall, jedoch sieht der Polizeibeamte P vor der Befragung des B, dass sich an Bs Händen die gleiche Farbe befindet, die auch die aufgesprühten Hakenkreuze haben.
Folgende Institutionen/Behörden sind zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens 2
berufen:
Die Polizei führt gemäß § 163 Abs. 1 StPO den ersten Zugriff durch. Sie verschafft
sich einen Überblick über den Sachverhalt, nimmt gemäß § 163b StPO die Personalien
des Beschuldigten auf (und führt ggf. erkennungsdienstliche Maßnahmen wie z.B. das
Erstellen von Fingerabdrücken, durch), belehrt ihn als Beschuldigten1 und nimmt eine
erste Vernehmung zur Person und zum Tatvorwurf vor (§ 163a Abs. 1 StPO). Sie vernimmt
Zeugen am Tatort, wie den Detektiv D, der den Diebstahl beobachtet hatte,
und nimmt Anzeigen und Strafanträge entgegen.
Bestimmte Dienstränge der Polizei sind sog. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.
Sie können von der Staatsanwaltschaft beauftragt werden, bestimmte Maß-
nahmen durchzuführen. Den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft stehen besondere
Befugnisse im Vergleich zu anderen Polizeibeamten zu. Der wichtigste Fall ist
das Handeln bei Gefahr im Verzuge, wenn der Erfolg einer Ermittlungsmaßnahme
durch Zeitablauf gefährdet würde, falls eine richterliche Entscheidung eingeholt werden
müsste (§§ 105 Abs. 1, 98 Abs. 1, 81a Abs. 2, 81 Abs. 5 StPO).
Die eigentliche praktische Ermittlungstätigkeit wird von der Polizei weitgehend unter
eigener Verantwortung durchgeführt.
Der Kaufhausdetektiv spielt im nunmehr „öffentlichen" Ermittlungsverfahren nur
noch die Rolle eines Zeugen mit den in den §§ 48ff. StPO normierten Rechten und
Pflichten. Der Zeuge hat vor allem folgende Pflichten:
• Erscheinenspflicht vor Gericht, § 51 StPO, mit den Folgen des Ausbleibens
• Aussage - und Wahrheitspflicht, § 57 StPO
• Eidespflicht, §§ 59ff. StPO.
Die Aussage - und Eidespflicht entfällt, wenn der Zeuge ein Zeugnisverweigerungsrecht
gemäß §§ 52ff. StPO hat.2 Ein weiteres Recht des Zeugen ist das Auskunftsverweigerungsrecht
gemäß § 55 StPO. Dieses gewährt dem Zeugen das Recht, einzelne
Fragen, deren Beantwortung ihn selbst (§ 55 Abs. 1, 1. Alt. StPO) oder einen nahen
Angehörigen (§ 55 Abs. 1, 2. Alt. StPO) belasten würden, nicht zu beantworten.
Die Polizei legt der Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte vor, wenn die Sache „ausermittelt"
3 ist.
Im vorliegenden Fall wird der Polizeibeamte P folgende Ermittlungsmaßnahmen
durchführen:
• Aufnahme der Anzeige nebst Strafantrag
• Vernehmung des Kaufhausdetektivs D als Zeugen
• Belehrung und Vernehmung des Beschuldigten A
• Vermerk über den Wert des Diebesgutes.
Die Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen so weit führen, dass geklärt ist, ob hinreichender
Tatverdacht besteht (§ 160 StPO). Sie ist gemäß § 150 GVG eine hierarchisch
aufgebaute und von den Gerichten unabhängige Justizbehörde.4 Die Staatsanwaltschaft
unterliegt grundsätzlich dem Legalitätsprinzip (§§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 1
StPO), wonach sie gesetzlich dazu verpflichtet ist, bei Anhaltspunkten für das Vorliegen
einer Straftat ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und bei hinreichendem Tatverdacht
Anklage zu erheben.5 Nach § 146 GVG haben die Beamten der Staatsanwaltschaft
den Weisungen ihrer Dienstvorgesetzten nachzukommen.
Die Staatsanwaltschaft wird als „Herrin des Ermittlungsverfahrens" dem Ermittlungsvorgang
ein Js-Aktenzeichen zuweisen, entscheiden, ob noch weitere Ermittlungen
erforderlich sind, einen Auszug aus dem Bundeszentralregister (hinsichtlich möglicher
Vorstrafen) einholen, ggf. einen Bericht des Bewährungshelfers des A und
frühere Urteile anfordern. Schließlich wird der sachbearbeitende Staatsanwalt entscheiden,
ob und ggf. vor welchem Gericht er Anklage erhebt oder ob er von der
2 Vgl. Übersicht 31 zu den zeugnisverweigerungsberechtigten Personen.
3 In komplizierten und umfangreicheren Ermittlungsverfahren findet ein regelmäßiger Austausch
zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft über die weitere Vorgehensweise statt, bei dem
die Staatsanwaltschaft im Laufe der Ermittlungen auch bestimmte Ermittlungsmaßnahmen
anordnet.
4 Vgl. nachfolgende Übersicht.
5 Ausnahme: Opportunitätsentscheidungen, vgl. Übersicht 21.
I. Die wichtigsten Beteiligten
Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach Opportunitätsgrundsätzen Gebrauch
macht.
Hier war ist Wert des Diebesgutes mit ca. 15 € zwar als geringfügig anzusehen, bei
dem Beschuldigten handelt es sich jedoch um einen einschlägig vorbestraften Bewährungsbrecher.
Deshalb wird der Staatsanwalt Anklage vor dem Amtsgericht, hier dem
Einzelrichter gemäß § 24 Abs. 1, 25 GVG, erheben. Bei einer rechtskräftigen Verurteilung
hat die Staatsanwaltschaft später die Funktion der Vollstreckungsbehörde (§ 451
StPO).
Übersicht 2: Aufbau der Staatsanwaltschaft auf Länderebene7
Justizminister des Landes
Dienstaufsicht und Weisungsrecht gemäß §§ 146, 147 Nr. 2 GVG
Generalstaatsanwalt
Behördenleiter der Generalstaatsanwaltschaft am Oberlandesgericht, § 142
Abs. 1 Nr. 2 GVG
Leitender Oberstaatsanwalt
Behördenleiter der Staatsanwaltschaft am Landgericht, § 142 Abs. 1 Nr. 2
GVG, mit Dienstaufsicht und Weisungsrecht innerhalb der Behörde
(§§ 146, 147 Nr. 3 GVG) hinsichtlich:
• Staatsanwälten
• Amtsanwälten
• Referendaren
2. Beschuldigter
Fall 2: Die Belehrung des Beschuldigten
Nach einem Bundesliga-Fußballspiel werden auf dem Stadion-Parkplatz Fahrzeuge,
mit denen die Fans der Gastmannschaft angereist sind, mit Hakenkreuzen in den
Vereinsfarben der Heimmannschaft besprüht. Die sofort herbeigerufenen Polizeibeamten
fragen eine in Parkplatznähe stehende Personengruppe, ob sie gesehen hätte,
wer die geparkten Fahrzeuge besprüht habe. Dabei belehren die Polizeibeamten die
befragten Personen nicht als Beschuldigte. B, der sich in der Gruppe befindet, antwortet
dem Polizeibeamten P in aggressivem Ton: „Jeder Kanake, der hier parkt und nicht zu uns gehört, kriegt von uns ein Andenken auf sein Auto." B wird wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) angeklagt und verurteilt. Im schriftlichen Urteil stützt das Gericht seine Überzeugung von der Täterschaft des - nicht vorbestraften und in der Hauptverhandlung schweigenden - B auch auf dessen Äußerung gegen über dem Polizeibeamten P, die dieser als Zeuge in der Hauptverhandlung mitgeteilt hat. Verteidiger V, der in der Hauptverhandlung gleich nach Ps Zeugenvernehmung Widerspruch gegen die Verwertung der Äußerung des B erhoben hat, legt gegen das Urteil Revision ein. Mit einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge beanstandet er die Verwertung der Äußerung des B im Urteil.
Ist die Revision begründet?
Problemstellung
Nur dann, wenn eine Person Beschuldigter ist, muss sie im Ermittlungsverfahren vor
einer Befragung belehrt werden, und zwar
•
bei einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gemäß §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1
StPO,
•
bei einer staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmung gemäß §§ 163a
Abs. 3, 136 Abs. 1 StPO und
•
bei einer Beschuldigtenvernehmung durch den Ermittlungsrichter gemäß § 136
Abs. 1 StPO oder gemäß §§ 115 Abs. 3, 115a Abs. 2 StPO.
Zum Beschuldigten wird eine Person
•
entweder durch ein Verhalten der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder des Ermittlungsrichters,
aus dem sich deren Wille zur Verfolgung dieser Person wegen einer Straftat ergibt
(!. Variante) oder
•
durch das Vorliegen eines ernsthaften Tatverdachts gegen die Person (2. Variante).
Zur 1. Variante:
Unabhängig von der Frage, ob gegen eine Person ein ernsthafter Tatverdacht besteht,
wird eine Person allein schon durch ein Verhalten der Polizei, der Staatsanwaltschaft
oder des Ermittlungsrichters zum Beschuldigten, wenn sich aus dem äußeren Verhalten
der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder des Ermittlungsrichters deutlich deren
Verfolgungswille ergibt, gegen die Person wegen einer Straftat vorzugehen.8
Ein solches die Beschuldigteneigenschaft begründendes Verhalten der Polizei, der
Staatsanwaltschaft oder des Ermittlungsrichters liegt z.B. dann vor,
a) wenn gegen die Person eine Maßnahme ergriffen wird, die in der StPO als Maßnahme
gegen den Beschuldigten vorgesehen ist, wie etwa
•
die vorläufige Festnahme, § 127 StPO,
• der Erlass eines Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter, § 112 StPO,
• oder der Antrag der Staatsanwaltschaft hierzu
oder die Anregung der Polizei an die Staatsanwaltschaft, beim Ermittlungsrichter
einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zu stellen,
• die auf § 81a StPO (und nicht auf § 81c Abs. 2 StPO) gestützte Blutentnahme,
• die auf § 102 StPO (und nicht auf § 103 StPO) gestützte Wohnungsdurchsuchung.
8 BGH NStZ 1997, 398 (unter Hinweis auf die Formulierung in § 397 Abs. 1 AO); BGH NJW 2007, 2706, 2707.
I. Die wichtigsten Beteiligten
b) wenn die Person zwar als Zeuge vernommen wird, das Verhalten des Verneh-11
mungsbeamten bei dieser Zeugenvernehmung aber deutlich ergibt, dass der Vernehmungsbeamte
den Zeugen einer Straftat überführen will, etwa durch Drängen zu einem
Geständnis oder durch Äußerungen wie „Sie machen sich durch Ihre Aussage
immer verdächtiger."
Aber: Allein die Belehrung des Zeugen gemäß § 55 Abs. 2 StPO macht diesen noch
nicht zum Beschuldigten.
Zur 2. Variante 12
Unabhängig davon, ob die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder der Ermittlungsrichters
gegen eine Person schon eine Strafverfolgungsmaßnahme ergriffen hat, wird eine Person
auch dann zum Beschuldigten, wenn gegen die Person ein ernsthafter Tatverdacht
besteht, der auf Tatsachen beruht.10
Bloße Vermutungen oder ein nur vager Verdacht, dass die Person eine Straftat begangen
haben könnte, begründen die Beschuldigteneigenschaft noch nicht.
Lösung
Die Revision ist gemäß § 337 StPO begründet, wenn 13
• eine Gesetzesverletzung vorliegt und
• das Urteil auf dieser Gesetzesverletzung auch beruht.
Als mögliche Gesetzesverletzung kommt ein Verstoß gegen §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1
StPO (Unterlassen der Beschuldigtenbelehrung des B, insbesondere Unterlassen des
Hinweises auf sein Schweigerecht) in Betracht. §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 StPO sind
aber nur verletzt, wenn B zum Zeitpunkt der Befragung durch die Polizeibeamten
schon Beschuldigter war. Zu diesem Zeitpunkt lag jedoch noch kein Anhaltspunkt dafür
vor, dass B als Täter ernstlich in Betracht kam. Aus dem Umstand, dass sich B zusammen
mit anderen Personen in Parkplatznähe (= Tatortnähe) aufhielt, ergibt sich
nur eine Vermutung oder ein vager Tatverdacht, aber noch kein verdichteter ernstlicher
Verdacht der Täterschaft.
Da B zum Zeitpunkt der Befragung durch die Polizeibeamten noch nicht Beschuldigter
war, musste er vor der Befragung auch nicht als Beschuldigter belehrt werden. Die
Polizeibeamten haben damit nicht gegen §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 StPO verstoßen.
Die Revision ist deshalb wegen Fehlens einer Gesetzesverletzung unbegründet.
Fall 3: Belehrung (Abwandlung Fall 2)
Wie vorheriger Fall, jedoch sieht der Polizeibeamte P vor der Befragung des B, dass sich an Bs Händen die gleiche Farbe befindet, die auch die aufgesprühten Hakenkreuze haben.
... weniger
Autoren-Porträt von Fernando Sanchez-Hermosilla, Peter Schweikart
Fernando Sanchez-Hermosilla ist Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe. Peter Schweikart ist Vorsitzender Richter am Landgericht Karlsruhe.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Fernando Sanchez-Hermosilla , Peter Schweikart
- 2008, XXI, 219 Seiten, Maße: 15,5 x 23,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Kohlhammer
- ISBN-10: 3170197851
- ISBN-13: 9783170197855
- Erscheinungsdatum: 11.12.2008
Rezension zu „Die StPO in Fällen “
"(...) eignet sich gut, um strafprozessuales Examenswissen anhand von (vielen) praktischen Fällen und hilfreichen Übersichten auf die Probe zu stellen und zu vertiefen. (...) Die 91 Fälle und 53 Übersichten ergeben (...) einen ausgewogenen Querschnitt der examens- und praxisrelevanten Fragen des Strafprozessrechts. (...) kann diese Neuerscheinung guten Gewissens empfohlen werden." (JK, in: JuS Magazin 4/2009)
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