Die Tochter der Midgardschlange / Die Asgard Saga Bd.2
Roman aus der Welt der Asgard-Saga
Die junge Katharina fällt den Wikingern in die Hände. Als kurz darauf das Lager überfallen wird, gelingt ihr mit dem Wikingerjungen Ansga die Flucht. Die beiden müssen das Geheimnis der Midgardschlange lösen sonst geschieht eine Katastrophe.
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Produktinformationen zu „Die Tochter der Midgardschlange / Die Asgard Saga Bd.2 “
Die junge Katharina fällt den Wikingern in die Hände. Als kurz darauf das Lager überfallen wird, gelingt ihr mit dem Wikingerjungen Ansga die Flucht. Die beiden müssen das Geheimnis der Midgardschlange lösen sonst geschieht eine Katastrophe.
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Die Tochter der Midgardschlange von Wolfgang Hohlbein... mehr
Die Festung brannte wie eine riesige Fackel. Dabei sollte sie doch eigentlich unbesiegbar sein.
Wenigstens war Katharina im festen Glauben an die Unbezwingbarkeit von Burg Ellsbusch aufgewachsen, und noch vor einer Stunde hätte keine Macht des Himmels und der Erde ihren Glauben an diese Unbesiegbarkeit erschüttern können. Burg Ellsbusch war das gewaltigste Bauwerk, das sie jemals gesehen hatte, und sie vermutete sogar, das gewaltigste des ganzen Landes, wenn nicht gar der ganzen Welt. Allein der riesige Donjon mit seinen vier Stockwerken maß gut und gerne zehn Manneslängen, und die Palisadenwand, die die Hügelkuppe umgab, war beinahe halb so hoch. Graf Ellsbusch hatte eine Armee von zwei Dutzend Männern ständig unter Waffen, mächtige Krieger mit Kettenhemden, Helmen und Schwertern, und obwohl Katharina gehört hatte, dass manche der Fürsten im Osten über noch größere Heere und reichere Ländereien mit mehr Leibeigenen geboten, so hatte doch zweifellos keiner von ihnen etwas wie Burg Ellsbusch, die mit ihrer doppelten Palisaden-wand und den vier mächtigen hölzernen Wachtürmen das Land in weitem Umkreis beherrschte und sowohl seinen als auch den Bewohnern des gleichnamigen Dorfes Sicherheit und Schutz vor jeder nur vorstellbaren Gefahr bot. Selbst der schlimme Sturm, den Gott im vergangen Winter geschickt hatte, um die Menschen im Dorf für ihr ausschweifendes Leben und ihre Missachtung seines Willens zu bestrafen und der jedes dritte Haus im Dorf zerstört und selbst die aus festem Stein erbaute Kirche beschädigt hatte, hatte dieser gewaltigen Festung nichts anhaben können.
Jetzt aber hatte sich Burg Ellsbusch in einen gewaltigen Scheiterhaufen verwandelt, dessen Flammen hoch genug zu schlagen schienen, um den Himmel selbst zu versengen. Vor wenigen Augenblicken erst war der Donjon mit einem Getöse zusammengebrochen, das noch bis ins Dorf hinunter zu hören gewesen sein musste, und einen Funkenschauer speiend, der einfach nicht aufhören wollte zu wachsen, bis es aussah, als wäre das ganze Firmament durchlöchert, und als regne Feuer aus unzähligen Nadelstichen.
Vielleicht hatten Himmel und Hölle ja ihren Platz getauscht, dachte Katharina, und dieser Feuerregen würde nie mehr aufhören, sondern immer nur noch schlimmer und schlimmer werden, bis er am Schluss die ganze Welt in Brand gesetzt hätte. Und vielleicht würde auch diese Nacht nie wieder enden, weil es in Wahrheit gar keine Nacht war, sondern der Beginn des Jüngsten Tages, von dem Vater Cedric erzählt hatte.
Und das alles war ihre Schuld.
Als wenn aus diesem schrecklichen Gedanken Gewissheit werden sollte, taumelte in diesem Moment eine brennende Gestalt auf sie zu, kein Mensch, sondern ein Dämon aus den tiefsten Tiefen der Hölle, vielleicht sogar der Teufel selbst, der gekommen war, um sie für ihr schreckliches Tun zu bestrafen. Katharinas Herz setzte aus, um dann rasend schnell und so laut in ihrer Brust weiterzuhämmern, dass es sich wie der dröhnende Hufschlag eines ganzen Dutzends durchgehender Pferde anhörte. Angst schnürte ihr die Kehle zu wie eine eisige Hand, größere und schlimmere Angst, als sie je zuvor in ihrem ganzen Leben gespürt hatte. Sie lähmte sie, sodass sie einfach reglos stehenblieb und der lodernden Gestalt entgegensah. Wozu sollte sie auch weglaufen, wo es doch der Teufel persönlich war, der kam, um sie zu holen?
Die Gestalt torkelte weiter auf sie zu, schreiend und mit den Armen wedelnd wie ein brennender Engel, der seine Flügel entfaltete, und sie konnte die Hitze spüren, und in ihre Nase stieg der schreckliche Geruch von brennendem Haar und schmelzendem Fleisch.
Nur einen halben Atemzug, bevor diese grausame Gestalt sie erreichte und mit ihren grässlichen brennenden Armen umschlingen konnte, tauchte eine zweite Gestalt wie aus dem Nichts neben ihr auf, sprang sie an und riss sie mit solcher Gewalt von den Füßen, dass sie aneinandergeklammert zu Boden stürzten und sich ein halbes Dutzend mal überschlugen.
Katharina prallte so heftig gegen einen verkohlten Balken, dass ihr auch noch das letzte bisschen Luft aus den Lungen gepresst wurde und sie benommen liegen blieb.
Als ihre Sinne zurückkehrten, taten sie es mit der Wucht eines Fausthiebes, aber der gegenteiligen Wirkung. Von einem Atemzug auf den anderen nahm sie ihre Umgebung mit schon beinahe unnatürlicher Klarheit und Schärfe war, als versuchten ihre Sinne ihr Fehlen von gerade eben nun mit um so größerer Emsigkeit wieder wettzumachen. Sie hörte das Prasseln und Brüllen der Flammen, Schatten und grelles rotes und gelbes Licht führten einen immer schneller werdenden Veitstanz rings um sie herum auf, und da war ein Chor gellender Schmerz- und Todesschreie überall. Der Dämon war immer noch da, nur dass es kein Dämon war, sondern etwas viel Schlimmeres: Einer von Graf Ellsbuschs Soldaten, dessen Kleider und Haut Feuer gefangen hatten und der nun nur wenige Schritte neben ihr auf die Knie sank, durch ein grausames Schicksal immer noch am Leben, und immer noch vor Qual schreiend, obwohl er doch mit jedem Atemzug pures Feuer einatmete, das seine Lungen weiter verbrannte.
Und auch das war ihre Schuld, dachte sie entsetzt. Nichts von alledem wäre geschehen, hätte sie ihre Pflicht erfüllt und wäre nicht -
Eine Hand packte sie an der Schulter und riss sie nicht nur so grob auf die Füße, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen und zu schmerzen begannen, sondern auch endgültig in die Wirklichkeit zurück. Hitze und Lärm nahmen noch einmal zu und steigerten sich zu einem irrsinnigen Crescendo, und erst jetzt erkannte sie den Mann, der sie von den Beinen gerissen und ihr damit vermutlich das Leben gerettet hatte. Auch wenn sein Gesicht so mit Blut und Ruß besudelt war, dass er kaum noch Ähnlichkeit mit sich selbst zu haben schien.
»Herr!«, rief sie erschrocken. »Ihr -«
Graf Ellsbusch versetzte ihr einen Stoß vor die Brust, der sie um ein Haar schon wieder zu Boden geschleudert hätte. »Was tust du hier, Junge?«, fuhr er sie an. »Bist du verrückt? Willst du, dass sie dich umbringen?«
»Herr!«, stammelte Katharina noch einmal. Ihre Augen füllten sich schlagartig mit Tränen, von denen sie sich vergeblich einzureden versuchte, dass sie nur von Hitze und Qualm stammten. »Bitte ... bitte verzeiht mir! Ich wollte das alles nicht, und -«
Graf Ellsbusch hörte ihr gar nicht zu, sondern ergriff sie nur noch fester am Arm und zerrte sie einfach mit sich; während er so schnell losrannte, dass Katharina alle Mühe hatte, nicht schon wieder von den Beinen gerissen zu werden. »Weg hier!«, keuchte er. »Schnell! Bleib hinter mir, Junge, ganz egal was passiert!«
Katharina hätte auch gar nichts anderes tun können, selbst wenn sie es gewollt hätte, denn Ellsbusch zerrte sie unbarmherzig weiter hinter sich her. Katharina hätte nicht einmal genau sagen können, in welche Richtung.
Wohin sie auch blickte, brannte es. Die Luft war so heiß, dass das Atmen wehtat, und es fiel ihr immer schwerer, klar zu sehen. Hinter ihnen erscholl ein gewaltiges Poltern und Krachen, als auch noch der Rest des Donjon zusammenbrach und sich endgültig in einen gewaltigen Scheiterhaufen verwandelte, ein riesiges glühendes Grab für die unglückseligen Männer, die den Fehler begangen hatten, sich auf den vermeintlichen Schutz seiner Wände zu verlassen. Und auf sie.
Graf Ellsbusch stieß plötzlich ein erschrockenes Keuchen aus, machte einen raschen Schritt zur Seite und duckte sich hinter die qualmenden Reste eines zweirädrigen Karrens, der auf die Seite gefallen war. Der Esel, der ihn gezogen hatte, war noch angespannt und lag tot daneben, von gleich vier Pfeilen getroffenen, deren abgebrochene Schäfte noch aus seinem Hals und seiner Flanke ragten. Der Anblick versetzte Katharina einen neuerlichen tiefen Stich, denn sie selbst hatte den Karren am Tag zuvor beladen und hier heraufgebracht.
Sie hatte jetzt kaum noch die Kraft, die Tränen zurückzuhalten. War denn wirklich alles, was sie berührte, zum Untergang verdammt?
»Still!«, zischte Graf Ellsbusch, obwohl sie weder etwas gesagt noch den geringsten Laut von sich gegeben hatte. »Wenn sie uns sehen, sind wir tot! « Seine Stimme klang rau von all dem Rauch, den er eingeatmet hatte, und bebte vor Anstrengung.
War das Angst, was sie darin hörte?, dachte Katharina. Aber das war unmöglich! Er war der Herr von Burg Ellsbusch, ihr aller Beschützer, der nichts und niemanden fürchtete!
Aber vielleicht galt das ja nur für die Gefahren dieser Welt. Die Festung jedoch wurde von Dämonen gestürmt, die direkt aus der Hölle kamen. Vater Cedric hatte Recht gehabt, dachte sie entsetzt. Das Jüngste Gericht stand bevor, und die Hölle hatte ihre Tore geöffnet, um ihre schlimmsten Dämonen auf die Menschen loszulassen. Sie konnte sie sehen, ein gutes halbes Dutzend von ihnen, die sich vor dem gewaltsam aus den Angeln gerissenen Tor versammelt hatten und brüllten und kreischten, mehr als mannsgroße, struppige Riesen, so groß und scheinbar schwerfällig wie Bären, aber tausendmal gefährlicher. Sie hatten Waffen und Helme, und einige von ihnen schienen auch Hörner zu haben. Katharina war sich nicht sicher, ob sie das Peitschen eines Schwanzes sah, oder nur einen flatternden Mantel, doch ihre Stimmen waren ganz eindeutig die von Dämonen; guttural, laut und bellend konnten sie unmöglich aus menschlichen Kehlen stammen. Katharina begann zu weinen.
»Ich weiß, dass du Angst hast, Junge«, sagte Ellsbusch. »Ich habe auch Angst. Aber wir müssen still sein. Wenn sie uns sehen, bringen sie uns um! «
»Das ... das ist es nicht, Herr«, stammelte Katharina. »Es ist meine Schuld. Das ... das alles ist nur passiert, weil ich -«
»Red nicht so einen Unsinn«, unterbrach sie der Edelmann, im Flüsterton, aber scharf. »Wenn überhaupt, dann ist es die dieses verdammten Pfaffen, der ... « Er sprach nicht weiter, sondern presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, der in seinem rußgeschwärzten Gesicht wie ein dünner Schnitt wirkte. Katharina sah erst jetzt, dass sein Wappenrock und auch das schwere Kettenhemd darunter zerrissen waren. Blut sickerte durch das Geflecht aus winzigen metallenen Ringen und ließ den Wappenrock dunkel und schwer werden.
»Gut«, sagte er schließlich. »Dafür ist später noch Zeit ... falls wir dann noch leben. Du musst mir helfen, Junge. Kannst du reiten? Und kennst du den Weg zu Burg Pardeville?«
Katharina schüttelte den Kopf, was als Antwort auf beide Fragen galt. Sie fragte sich, ob sie Ellsbusch sagen sollte, dass sie gar kein Junge war ... aber welchen Unterschied hätte das schon gemacht?
Und sie wäre auch gar nicht dazu gekommen. »Dann wirst du es lernen«, sagte Ellsbusch grimmig. »Und der Weg zur Burg ist ganz einfach. Drei Stunden die Küste entlang, und wenn du daran denkst, dass diese Kerle hinter dir her sein könnten, schaffst du es wahrscheinlich in zwei. Aber zuerst müssen wir hier raus, ohne dass sie uns sehen.« Einen Moment lang blickte er wieder zu der Dämonenhorde vor dem Tor. Sie brüllten und schnatterten noch immer wild durcheinander. Vielleicht hatten sie ja Gefangene gemacht, dachte Katharina schaudernd, und beratschlagten jetzt über die schrecklichsten Foltermethoden, um sie möglichst qualvoll vom Leben zum Tode zu befördern.
»Gut«, murmelte Graf Ellsbusch schwer atmend. »Komm mit. Bleib immer dicht hinter mir. Und keinen Laut, ganz egal, was auch passiert, hast du das verstanden?«
Katharina nickte stumm, und Graf Ellsbusch sah noch einmal kurz zu der schnatternden Dämonenhorde hin und huschte dann geduckt los - zu Katharinas Entsetzen nicht zum Ausgang, sondern zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Katharina vermied es, den Leichnam des Mannes anzusehen, der gerade vor ihren Augen verbrannt war, aber das fettige Prasseln und Zischen der Flammen und der grässliche Geruch drangen trotzdem zu ihr durch.
Geschickt jeden Schatten und jedes noch so kleine Hindernis als Deckung nutzend, führte sie Graf Ellsbusch um den zusammengebrochenen Donjon herum zu einem kleinen Schuppen auf der anderen Seite. Mehrmals mussten sie reglosen Körpern ausweichen und einmal sogar darüber hinwegsteigen, um nicht in das verräterische Licht der Flammen zu geraten. Die Spuren der Kämpfe waren hier nicht ganz so schlimm wie auf der anderen Seite, aber dennoch unübersehbar - überall brannte und schwelte es, Funken erfüllten die Luft wie Schwärme aus unzähligen glühenden Insekten, und das Atmen geriet mit jedem Moment mehr zur Qual. Auch der Schuppen, zu dem Ellsbusch sie führte, war nicht unbeschädigt geblieben. Sein Strohdach war weggebrannt, und gleich hinter der Tür trat sie in eine klebrige Pfütze, die nach heißem Blut stank. Es war so dunkel, dass man nicht einmal mehr die sprichwörtliche Hand vor Augen sehen konnte, und es verging eine Weile, in der Ellsbusch gedämpft und hektisch in der Dunkelheit hantierte, bevor er zurückkam und Katharina unsanft am Arm packte und in die Schwärze hineinzerrte. Verbranntes Holz schrammte über ihren Nacken und den schmerzenden Rücken, und ein gutes Stück musste sie auf Händen und Knien kriechen, und das durch so vollkommene Dunkelheit, dass ihr Herz noch schneller schlug und die Angst fast übermächtig wurde.
Gerade als sie glaubte, es nun gar nicht mehr auszuhalten, waren sie hindurch, und es wurde wieder hell. Rotes Licht hüllte sie ein, aber auch ein neuerlicher Funkenschwarm, der sich auf ihr Haar und jedes Fleckchen ungeschützte Haut herabsenkte und wie mit tausend winzigen glühenden Zähnen hineinbiss.
Sie waren jetzt außerhalb der inneren Palisade. Der Himmel über ihnen loderte noch immer in einem düsteren Höllenrot, und der Gestank nach brennendem Holz und verschmortem Fleisch war überwältigend. Zu Angst und Schmerzen und allem anderen gesellte sich jetzt auch noch Übelkeit, die in Wellen aus ihrem Magen emporstieg, und unter ihrer Zunge sammelte sich saurer Speichel, und das beinahe schneller, als sie ihn herunterschlucken konnte.
»Spuck es aus«, sagte Ellsbusch. »So machst du es nur schlimmer.«
Katharina sah ihn einen Moment lang irritiert an. Las Ellsbusch ihre Gedanken?
Sie gehorchte widerwillig und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass es tatsächlich half. Die Übelkeit verschwand nicht, wurde aber wenigstens nicht noch schlimmer.
»Hör mir zu, Junge«, fuhr Graf Ellsbusch fort. »Das ist jetzt wichtig! Lauf ins Dorf hinunter. Besorg dir ein Pferd oder meinetwegen einen Esel und reite zu Burg Pardeville. Sag dort Bescheid, was hier geschehen ist. Sie sollen alle Männer zusammentrommeln, die sie finden können, und herkommen! Kannst du dir das merken?«
Katharina nickte zwar, aber sie versuchte jetzt erst gar nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. Sie fühlte sich unbeschreiblich elend. »Wollt Ihr mir wirklich noch einmal vertrauen, Herr?«, brachte sie irgendwie heraus.
Ellsbusch runzelte die Stirn, legte den Kopf auf die Seite und sah sie auf eine neue Art an. »Du bist aus dem Dorf, nicht wahr?«
Katharina nickte. Wie konnte es sein, dass Graf Ellsbusch sie nicht erkannte, wo er sie doch selbst vor wenigen Stunden erst zur Wache eingeteilt und die Katastrophe damit zumindest indirekt selbst ausgelöst hatte?
»Wir reden später über alles«, fuhr er fort. »Aber nun komm! Uns rennt die Zeit davon!«
Wahrscheinlich wollte er nicht darüber reden, dachte Katharina, weil er sich wohl selbst einen Teil der Schuld gab. Geduckt und ein wenig humpelnd huschte er los, und Katharina folgte ihm.
Von der nahezu totalen Zerstörung, der Burg Ellsbusch an-heimgefallen war, war hier draußen kaum etwas zu sehen. Das äußere Tor stand weit offen, aber die Palisade selbst war vollkommen unversehrt. Ohne die beiden erschlagenen Wachen neben dem Tor wäre der Anblick beinahe friedlich gewesen.
Um so gefährlicher war es, den Raum zwischen den beiden Palisaden zu überwinden. Der Boden war so abschüssig, dass es sie ihr gesamtes Geschick kostete, sich auf den Beinen zu halten. Zu allem Überfluss wuchs dort nasses Gras, was den Boden kaum weniger schlüpfrig als Schmierseife werden ließ. Und es gab nicht die geringste Deckung. Wenn sich auch nur einer der Dämonen zu ihnen herumdrehte, dann musste er sie einfach sehen.
Doch sie hatten Glück. Gott und das Schicksal - oder einfach nur der Zufall - waren ausnahmsweise auf ihrer Seite. Sie erreichten das Tor unbehelligt und huschten hindurch, und Ellsbusch schubste sie unsanft in den schwarzen Schlagschatten neben dem Tor. Katharina hörte ein gedämpftes Scharren, als er sein Schwert zog.
»Du hast alles verstanden, was ich dir gesagt habe?«
Katharina nickte, und Ellsbusch wedelte ungeduldig mit seinem Schwert. »Lauf los! Ich bleibe hier und sehe, ob noch ein paar von meinen Männern am Leben sind. Vielleicht können wir sie aufhalten, bis Pardeville mit seinen Soldaten hier ist! «
Vielleicht hätte er noch mehr gesagt, doch er kam nicht mehr dazu, denn plötzlich spie die Dunkelheit hinter ihm einen riesigen struppigen Schatten aus, der sich unverzüglich auf ihn warf. Ein tierisches Brüllen erklang, und das rote Licht vom Himmel spiegelte sich auf der Schneide einer gewaltigen doppelklingigen Axt. Ellsbusch registrierte die Gefahr im allerletzten Moment, fuhr herum und riss das Schwert in die Höhe, doch er war nicht schnell genug. Mit einem grässlichen Knirschen grub sich die Axt tief in seine Schulter, und aus dem überraschten Keuchen des Burgherrn wurde ein gequälter Schrei. Er brach in die Knie, aber sein Schwert bewegte sich weiter und durchbohrte den Unterleib des Angreifers. Der Dämon grunzte überrascht, ließ seine Axt los und stolperte zwei oder drei Schritte zurück, bevor er langsam in die Knie ging und dann auf die Seite fiel.
Auch Graf Ellsbusch stürzte, rollte mit einem dumpfen Stöhnen auf die Seite und presste die Hand auf die klaffende Wunde in seiner Schulter. Blut sprudelte wie rot gefärbtes Wasser zwischen seinen Fingern hervor, und er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass Katharina seine Zähne knirschen hörte.
Mit einem einzigen Satz war sie neben ihm und auf den Knien. »Herr!«, keuchte sie. »Um Gottes willen! Was ist denn mit -?«
»Geh! «, stöhnte Ellsbusch. »Tu was ... ich dir gesagt ... habe!«
Katharina beugte sich nur weiter über ihn, griff nach seiner Schulter und prallte entsetzt zurück, als Ellsbusch vor Schmerz aufschrie und sich wand. Verzweiflung ergriff sie, und sie fühlte sich so hilflos, dass es beinahe körperlich wehtat.
»Geh! «, wimmerte Ellsbusch. »Warne ... die anderen!« Und endlich schüttelte Katharina ihre Starre ab, sprang auf und rannte los, so schnell sie nur konnte.
Im allerersten Moment stürmte sie einfach blindlings drauflos, ganz egal in welche Richtung, nur fort von diesem Ort des Schreckens und tiefer hinein in die beschützende Dunkelheit. Mindestens ein halbes Dutzend mal stolperte sie über ein Hindernis, das sie in der Dunkelheit zu spät sah, und zweimal stürzte sie, rappelte sich aber sofort wieder auf und stolperte weiter.
Der dritte Sturz schließlich war so hart, dass eine Woge aus reinem Schmerz hinter ihren Augen explodierte und sie beinahe das Bewusstsein verloren hätte.
Vielleicht geschah es sogar, denn als sie wieder imstande war, mehr als Schmerzen und das rasende Hämmern ihres Pulsschlags wahrzunehmen, spürte sie, dass Zeit vergangen war, auch wenn sie nicht sagen konnte, wie viel. Stöhnend setzte sie sich auf, fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht und registrierte erschrocken das warme Blut, das sie sich über Stirn und Wange schmierte. Sie musste sich verletzt haben.
Dann durchfuhr sie ein heißer Schrecken, als sie begriff, dass es Graf Ellsbuschs Blut war, dessen klebrige Wärme sie auf dem Gesicht spürte, nicht ihres.
War er tot? Ein Teil von ihr weigerte sich einfach, diesen Gedanken auch nur zu denken, denn der Herr von Burg Ellsbusch konnte nicht sterben, nicht ein so mächtiger Krieger, der siegreich aus zahllosen Schlachten heimgekehrt und sicher schon schlimmer verwundet worden war. Aber da war auch all das Blut an ihren Händen, und sie konnte auch das schreckliche Geräusch einfach nicht vergessen, mit dem die Axt des Dämons seine Schulter gespalten hatte ...
Sie schüttelte den Gedanken ab, setzte sich weiter auf und wischte sich die Hände im Gras sauber, so gut sie konnte, bevor sie ganz aufstand und sich umsah, um sich zu orientieren.
Katharina erschrak, als sie sah, wie nahe sie der brennenden Burg noch war. Ihr Gefühl wollte ihr weismachen, dass sie meilenweit gerannt war, doch in Wahrheit hatte sie kaum den Hügel hinter sich gelassen, auf dem Burg Ellsbusch thronte - oder um genauer zu sein: loderte. Von hier aus betrachtet gab es keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Inbegriff von Stolz und Wehrhaftigkeit, als die sie die Burg zeit ihres Lebens gesehen hatte. Die Flammen griffen jetzt immer schneller um sich und hatten inzwischen auch von der Palisadenwand Besitz ergriffen, und Katharina wurde mit einem Gefühl sonderbar benommenen Schreckens klar, dass Burg Ellsbusch nicht mehr existierte. Falls die Sonne noch einmal aufging, würde ihr Licht nicht mehr als einen brandgeschwärzten Hügel bescheinen.
Und vielleicht ihren eigenen Leichnam, wenn sie nicht bald verschwand.
Katharina erinnerte sich an Graf Ellsbuschs letzte Worte, und plötzlich wurde ihr klar, dass ihr der Herr von Burg Ellsbusch nicht einfach nur einen Auftrag erteilt, sondern ihr eine Möglichkeit gegeben hatte, ihren schrecklichen Fehler wiedergutzumachen. Sie musste Lord Pardeville und seine Soldaten alarmieren, und vor allem das Dorf warnen. Wenn die Dämonen diese gewaltige Burg einfach überrannt hatten, welche Chance hatten dann die ahnungslosen Dorfbewohner?
Copyright © 2010 by Baumhaus Verlag, Köln
Die Festung brannte wie eine riesige Fackel. Dabei sollte sie doch eigentlich unbesiegbar sein.
Wenigstens war Katharina im festen Glauben an die Unbezwingbarkeit von Burg Ellsbusch aufgewachsen, und noch vor einer Stunde hätte keine Macht des Himmels und der Erde ihren Glauben an diese Unbesiegbarkeit erschüttern können. Burg Ellsbusch war das gewaltigste Bauwerk, das sie jemals gesehen hatte, und sie vermutete sogar, das gewaltigste des ganzen Landes, wenn nicht gar der ganzen Welt. Allein der riesige Donjon mit seinen vier Stockwerken maß gut und gerne zehn Manneslängen, und die Palisadenwand, die die Hügelkuppe umgab, war beinahe halb so hoch. Graf Ellsbusch hatte eine Armee von zwei Dutzend Männern ständig unter Waffen, mächtige Krieger mit Kettenhemden, Helmen und Schwertern, und obwohl Katharina gehört hatte, dass manche der Fürsten im Osten über noch größere Heere und reichere Ländereien mit mehr Leibeigenen geboten, so hatte doch zweifellos keiner von ihnen etwas wie Burg Ellsbusch, die mit ihrer doppelten Palisaden-wand und den vier mächtigen hölzernen Wachtürmen das Land in weitem Umkreis beherrschte und sowohl seinen als auch den Bewohnern des gleichnamigen Dorfes Sicherheit und Schutz vor jeder nur vorstellbaren Gefahr bot. Selbst der schlimme Sturm, den Gott im vergangen Winter geschickt hatte, um die Menschen im Dorf für ihr ausschweifendes Leben und ihre Missachtung seines Willens zu bestrafen und der jedes dritte Haus im Dorf zerstört und selbst die aus festem Stein erbaute Kirche beschädigt hatte, hatte dieser gewaltigen Festung nichts anhaben können.
Jetzt aber hatte sich Burg Ellsbusch in einen gewaltigen Scheiterhaufen verwandelt, dessen Flammen hoch genug zu schlagen schienen, um den Himmel selbst zu versengen. Vor wenigen Augenblicken erst war der Donjon mit einem Getöse zusammengebrochen, das noch bis ins Dorf hinunter zu hören gewesen sein musste, und einen Funkenschauer speiend, der einfach nicht aufhören wollte zu wachsen, bis es aussah, als wäre das ganze Firmament durchlöchert, und als regne Feuer aus unzähligen Nadelstichen.
Vielleicht hatten Himmel und Hölle ja ihren Platz getauscht, dachte Katharina, und dieser Feuerregen würde nie mehr aufhören, sondern immer nur noch schlimmer und schlimmer werden, bis er am Schluss die ganze Welt in Brand gesetzt hätte. Und vielleicht würde auch diese Nacht nie wieder enden, weil es in Wahrheit gar keine Nacht war, sondern der Beginn des Jüngsten Tages, von dem Vater Cedric erzählt hatte.
Und das alles war ihre Schuld.
Als wenn aus diesem schrecklichen Gedanken Gewissheit werden sollte, taumelte in diesem Moment eine brennende Gestalt auf sie zu, kein Mensch, sondern ein Dämon aus den tiefsten Tiefen der Hölle, vielleicht sogar der Teufel selbst, der gekommen war, um sie für ihr schreckliches Tun zu bestrafen. Katharinas Herz setzte aus, um dann rasend schnell und so laut in ihrer Brust weiterzuhämmern, dass es sich wie der dröhnende Hufschlag eines ganzen Dutzends durchgehender Pferde anhörte. Angst schnürte ihr die Kehle zu wie eine eisige Hand, größere und schlimmere Angst, als sie je zuvor in ihrem ganzen Leben gespürt hatte. Sie lähmte sie, sodass sie einfach reglos stehenblieb und der lodernden Gestalt entgegensah. Wozu sollte sie auch weglaufen, wo es doch der Teufel persönlich war, der kam, um sie zu holen?
Die Gestalt torkelte weiter auf sie zu, schreiend und mit den Armen wedelnd wie ein brennender Engel, der seine Flügel entfaltete, und sie konnte die Hitze spüren, und in ihre Nase stieg der schreckliche Geruch von brennendem Haar und schmelzendem Fleisch.
Nur einen halben Atemzug, bevor diese grausame Gestalt sie erreichte und mit ihren grässlichen brennenden Armen umschlingen konnte, tauchte eine zweite Gestalt wie aus dem Nichts neben ihr auf, sprang sie an und riss sie mit solcher Gewalt von den Füßen, dass sie aneinandergeklammert zu Boden stürzten und sich ein halbes Dutzend mal überschlugen.
Katharina prallte so heftig gegen einen verkohlten Balken, dass ihr auch noch das letzte bisschen Luft aus den Lungen gepresst wurde und sie benommen liegen blieb.
Als ihre Sinne zurückkehrten, taten sie es mit der Wucht eines Fausthiebes, aber der gegenteiligen Wirkung. Von einem Atemzug auf den anderen nahm sie ihre Umgebung mit schon beinahe unnatürlicher Klarheit und Schärfe war, als versuchten ihre Sinne ihr Fehlen von gerade eben nun mit um so größerer Emsigkeit wieder wettzumachen. Sie hörte das Prasseln und Brüllen der Flammen, Schatten und grelles rotes und gelbes Licht führten einen immer schneller werdenden Veitstanz rings um sie herum auf, und da war ein Chor gellender Schmerz- und Todesschreie überall. Der Dämon war immer noch da, nur dass es kein Dämon war, sondern etwas viel Schlimmeres: Einer von Graf Ellsbuschs Soldaten, dessen Kleider und Haut Feuer gefangen hatten und der nun nur wenige Schritte neben ihr auf die Knie sank, durch ein grausames Schicksal immer noch am Leben, und immer noch vor Qual schreiend, obwohl er doch mit jedem Atemzug pures Feuer einatmete, das seine Lungen weiter verbrannte.
Und auch das war ihre Schuld, dachte sie entsetzt. Nichts von alledem wäre geschehen, hätte sie ihre Pflicht erfüllt und wäre nicht -
Eine Hand packte sie an der Schulter und riss sie nicht nur so grob auf die Füße, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen und zu schmerzen begannen, sondern auch endgültig in die Wirklichkeit zurück. Hitze und Lärm nahmen noch einmal zu und steigerten sich zu einem irrsinnigen Crescendo, und erst jetzt erkannte sie den Mann, der sie von den Beinen gerissen und ihr damit vermutlich das Leben gerettet hatte. Auch wenn sein Gesicht so mit Blut und Ruß besudelt war, dass er kaum noch Ähnlichkeit mit sich selbst zu haben schien.
»Herr!«, rief sie erschrocken. »Ihr -«
Graf Ellsbusch versetzte ihr einen Stoß vor die Brust, der sie um ein Haar schon wieder zu Boden geschleudert hätte. »Was tust du hier, Junge?«, fuhr er sie an. »Bist du verrückt? Willst du, dass sie dich umbringen?«
»Herr!«, stammelte Katharina noch einmal. Ihre Augen füllten sich schlagartig mit Tränen, von denen sie sich vergeblich einzureden versuchte, dass sie nur von Hitze und Qualm stammten. »Bitte ... bitte verzeiht mir! Ich wollte das alles nicht, und -«
Graf Ellsbusch hörte ihr gar nicht zu, sondern ergriff sie nur noch fester am Arm und zerrte sie einfach mit sich; während er so schnell losrannte, dass Katharina alle Mühe hatte, nicht schon wieder von den Beinen gerissen zu werden. »Weg hier!«, keuchte er. »Schnell! Bleib hinter mir, Junge, ganz egal was passiert!«
Katharina hätte auch gar nichts anderes tun können, selbst wenn sie es gewollt hätte, denn Ellsbusch zerrte sie unbarmherzig weiter hinter sich her. Katharina hätte nicht einmal genau sagen können, in welche Richtung.
Wohin sie auch blickte, brannte es. Die Luft war so heiß, dass das Atmen wehtat, und es fiel ihr immer schwerer, klar zu sehen. Hinter ihnen erscholl ein gewaltiges Poltern und Krachen, als auch noch der Rest des Donjon zusammenbrach und sich endgültig in einen gewaltigen Scheiterhaufen verwandelte, ein riesiges glühendes Grab für die unglückseligen Männer, die den Fehler begangen hatten, sich auf den vermeintlichen Schutz seiner Wände zu verlassen. Und auf sie.
Graf Ellsbusch stieß plötzlich ein erschrockenes Keuchen aus, machte einen raschen Schritt zur Seite und duckte sich hinter die qualmenden Reste eines zweirädrigen Karrens, der auf die Seite gefallen war. Der Esel, der ihn gezogen hatte, war noch angespannt und lag tot daneben, von gleich vier Pfeilen getroffenen, deren abgebrochene Schäfte noch aus seinem Hals und seiner Flanke ragten. Der Anblick versetzte Katharina einen neuerlichen tiefen Stich, denn sie selbst hatte den Karren am Tag zuvor beladen und hier heraufgebracht.
Sie hatte jetzt kaum noch die Kraft, die Tränen zurückzuhalten. War denn wirklich alles, was sie berührte, zum Untergang verdammt?
»Still!«, zischte Graf Ellsbusch, obwohl sie weder etwas gesagt noch den geringsten Laut von sich gegeben hatte. »Wenn sie uns sehen, sind wir tot! « Seine Stimme klang rau von all dem Rauch, den er eingeatmet hatte, und bebte vor Anstrengung.
War das Angst, was sie darin hörte?, dachte Katharina. Aber das war unmöglich! Er war der Herr von Burg Ellsbusch, ihr aller Beschützer, der nichts und niemanden fürchtete!
Aber vielleicht galt das ja nur für die Gefahren dieser Welt. Die Festung jedoch wurde von Dämonen gestürmt, die direkt aus der Hölle kamen. Vater Cedric hatte Recht gehabt, dachte sie entsetzt. Das Jüngste Gericht stand bevor, und die Hölle hatte ihre Tore geöffnet, um ihre schlimmsten Dämonen auf die Menschen loszulassen. Sie konnte sie sehen, ein gutes halbes Dutzend von ihnen, die sich vor dem gewaltsam aus den Angeln gerissenen Tor versammelt hatten und brüllten und kreischten, mehr als mannsgroße, struppige Riesen, so groß und scheinbar schwerfällig wie Bären, aber tausendmal gefährlicher. Sie hatten Waffen und Helme, und einige von ihnen schienen auch Hörner zu haben. Katharina war sich nicht sicher, ob sie das Peitschen eines Schwanzes sah, oder nur einen flatternden Mantel, doch ihre Stimmen waren ganz eindeutig die von Dämonen; guttural, laut und bellend konnten sie unmöglich aus menschlichen Kehlen stammen. Katharina begann zu weinen.
»Ich weiß, dass du Angst hast, Junge«, sagte Ellsbusch. »Ich habe auch Angst. Aber wir müssen still sein. Wenn sie uns sehen, bringen sie uns um! «
»Das ... das ist es nicht, Herr«, stammelte Katharina. »Es ist meine Schuld. Das ... das alles ist nur passiert, weil ich -«
»Red nicht so einen Unsinn«, unterbrach sie der Edelmann, im Flüsterton, aber scharf. »Wenn überhaupt, dann ist es die dieses verdammten Pfaffen, der ... « Er sprach nicht weiter, sondern presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, der in seinem rußgeschwärzten Gesicht wie ein dünner Schnitt wirkte. Katharina sah erst jetzt, dass sein Wappenrock und auch das schwere Kettenhemd darunter zerrissen waren. Blut sickerte durch das Geflecht aus winzigen metallenen Ringen und ließ den Wappenrock dunkel und schwer werden.
»Gut«, sagte er schließlich. »Dafür ist später noch Zeit ... falls wir dann noch leben. Du musst mir helfen, Junge. Kannst du reiten? Und kennst du den Weg zu Burg Pardeville?«
Katharina schüttelte den Kopf, was als Antwort auf beide Fragen galt. Sie fragte sich, ob sie Ellsbusch sagen sollte, dass sie gar kein Junge war ... aber welchen Unterschied hätte das schon gemacht?
Und sie wäre auch gar nicht dazu gekommen. »Dann wirst du es lernen«, sagte Ellsbusch grimmig. »Und der Weg zur Burg ist ganz einfach. Drei Stunden die Küste entlang, und wenn du daran denkst, dass diese Kerle hinter dir her sein könnten, schaffst du es wahrscheinlich in zwei. Aber zuerst müssen wir hier raus, ohne dass sie uns sehen.« Einen Moment lang blickte er wieder zu der Dämonenhorde vor dem Tor. Sie brüllten und schnatterten noch immer wild durcheinander. Vielleicht hatten sie ja Gefangene gemacht, dachte Katharina schaudernd, und beratschlagten jetzt über die schrecklichsten Foltermethoden, um sie möglichst qualvoll vom Leben zum Tode zu befördern.
»Gut«, murmelte Graf Ellsbusch schwer atmend. »Komm mit. Bleib immer dicht hinter mir. Und keinen Laut, ganz egal, was auch passiert, hast du das verstanden?«
Katharina nickte stumm, und Graf Ellsbusch sah noch einmal kurz zu der schnatternden Dämonenhorde hin und huschte dann geduckt los - zu Katharinas Entsetzen nicht zum Ausgang, sondern zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Katharina vermied es, den Leichnam des Mannes anzusehen, der gerade vor ihren Augen verbrannt war, aber das fettige Prasseln und Zischen der Flammen und der grässliche Geruch drangen trotzdem zu ihr durch.
Geschickt jeden Schatten und jedes noch so kleine Hindernis als Deckung nutzend, führte sie Graf Ellsbusch um den zusammengebrochenen Donjon herum zu einem kleinen Schuppen auf der anderen Seite. Mehrmals mussten sie reglosen Körpern ausweichen und einmal sogar darüber hinwegsteigen, um nicht in das verräterische Licht der Flammen zu geraten. Die Spuren der Kämpfe waren hier nicht ganz so schlimm wie auf der anderen Seite, aber dennoch unübersehbar - überall brannte und schwelte es, Funken erfüllten die Luft wie Schwärme aus unzähligen glühenden Insekten, und das Atmen geriet mit jedem Moment mehr zur Qual. Auch der Schuppen, zu dem Ellsbusch sie führte, war nicht unbeschädigt geblieben. Sein Strohdach war weggebrannt, und gleich hinter der Tür trat sie in eine klebrige Pfütze, die nach heißem Blut stank. Es war so dunkel, dass man nicht einmal mehr die sprichwörtliche Hand vor Augen sehen konnte, und es verging eine Weile, in der Ellsbusch gedämpft und hektisch in der Dunkelheit hantierte, bevor er zurückkam und Katharina unsanft am Arm packte und in die Schwärze hineinzerrte. Verbranntes Holz schrammte über ihren Nacken und den schmerzenden Rücken, und ein gutes Stück musste sie auf Händen und Knien kriechen, und das durch so vollkommene Dunkelheit, dass ihr Herz noch schneller schlug und die Angst fast übermächtig wurde.
Gerade als sie glaubte, es nun gar nicht mehr auszuhalten, waren sie hindurch, und es wurde wieder hell. Rotes Licht hüllte sie ein, aber auch ein neuerlicher Funkenschwarm, der sich auf ihr Haar und jedes Fleckchen ungeschützte Haut herabsenkte und wie mit tausend winzigen glühenden Zähnen hineinbiss.
Sie waren jetzt außerhalb der inneren Palisade. Der Himmel über ihnen loderte noch immer in einem düsteren Höllenrot, und der Gestank nach brennendem Holz und verschmortem Fleisch war überwältigend. Zu Angst und Schmerzen und allem anderen gesellte sich jetzt auch noch Übelkeit, die in Wellen aus ihrem Magen emporstieg, und unter ihrer Zunge sammelte sich saurer Speichel, und das beinahe schneller, als sie ihn herunterschlucken konnte.
»Spuck es aus«, sagte Ellsbusch. »So machst du es nur schlimmer.«
Katharina sah ihn einen Moment lang irritiert an. Las Ellsbusch ihre Gedanken?
Sie gehorchte widerwillig und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass es tatsächlich half. Die Übelkeit verschwand nicht, wurde aber wenigstens nicht noch schlimmer.
»Hör mir zu, Junge«, fuhr Graf Ellsbusch fort. »Das ist jetzt wichtig! Lauf ins Dorf hinunter. Besorg dir ein Pferd oder meinetwegen einen Esel und reite zu Burg Pardeville. Sag dort Bescheid, was hier geschehen ist. Sie sollen alle Männer zusammentrommeln, die sie finden können, und herkommen! Kannst du dir das merken?«
Katharina nickte zwar, aber sie versuchte jetzt erst gar nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. Sie fühlte sich unbeschreiblich elend. »Wollt Ihr mir wirklich noch einmal vertrauen, Herr?«, brachte sie irgendwie heraus.
Ellsbusch runzelte die Stirn, legte den Kopf auf die Seite und sah sie auf eine neue Art an. »Du bist aus dem Dorf, nicht wahr?«
Katharina nickte. Wie konnte es sein, dass Graf Ellsbusch sie nicht erkannte, wo er sie doch selbst vor wenigen Stunden erst zur Wache eingeteilt und die Katastrophe damit zumindest indirekt selbst ausgelöst hatte?
»Wir reden später über alles«, fuhr er fort. »Aber nun komm! Uns rennt die Zeit davon!«
Wahrscheinlich wollte er nicht darüber reden, dachte Katharina, weil er sich wohl selbst einen Teil der Schuld gab. Geduckt und ein wenig humpelnd huschte er los, und Katharina folgte ihm.
Von der nahezu totalen Zerstörung, der Burg Ellsbusch an-heimgefallen war, war hier draußen kaum etwas zu sehen. Das äußere Tor stand weit offen, aber die Palisade selbst war vollkommen unversehrt. Ohne die beiden erschlagenen Wachen neben dem Tor wäre der Anblick beinahe friedlich gewesen.
Um so gefährlicher war es, den Raum zwischen den beiden Palisaden zu überwinden. Der Boden war so abschüssig, dass es sie ihr gesamtes Geschick kostete, sich auf den Beinen zu halten. Zu allem Überfluss wuchs dort nasses Gras, was den Boden kaum weniger schlüpfrig als Schmierseife werden ließ. Und es gab nicht die geringste Deckung. Wenn sich auch nur einer der Dämonen zu ihnen herumdrehte, dann musste er sie einfach sehen.
Doch sie hatten Glück. Gott und das Schicksal - oder einfach nur der Zufall - waren ausnahmsweise auf ihrer Seite. Sie erreichten das Tor unbehelligt und huschten hindurch, und Ellsbusch schubste sie unsanft in den schwarzen Schlagschatten neben dem Tor. Katharina hörte ein gedämpftes Scharren, als er sein Schwert zog.
»Du hast alles verstanden, was ich dir gesagt habe?«
Katharina nickte, und Ellsbusch wedelte ungeduldig mit seinem Schwert. »Lauf los! Ich bleibe hier und sehe, ob noch ein paar von meinen Männern am Leben sind. Vielleicht können wir sie aufhalten, bis Pardeville mit seinen Soldaten hier ist! «
Vielleicht hätte er noch mehr gesagt, doch er kam nicht mehr dazu, denn plötzlich spie die Dunkelheit hinter ihm einen riesigen struppigen Schatten aus, der sich unverzüglich auf ihn warf. Ein tierisches Brüllen erklang, und das rote Licht vom Himmel spiegelte sich auf der Schneide einer gewaltigen doppelklingigen Axt. Ellsbusch registrierte die Gefahr im allerletzten Moment, fuhr herum und riss das Schwert in die Höhe, doch er war nicht schnell genug. Mit einem grässlichen Knirschen grub sich die Axt tief in seine Schulter, und aus dem überraschten Keuchen des Burgherrn wurde ein gequälter Schrei. Er brach in die Knie, aber sein Schwert bewegte sich weiter und durchbohrte den Unterleib des Angreifers. Der Dämon grunzte überrascht, ließ seine Axt los und stolperte zwei oder drei Schritte zurück, bevor er langsam in die Knie ging und dann auf die Seite fiel.
Auch Graf Ellsbusch stürzte, rollte mit einem dumpfen Stöhnen auf die Seite und presste die Hand auf die klaffende Wunde in seiner Schulter. Blut sprudelte wie rot gefärbtes Wasser zwischen seinen Fingern hervor, und er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass Katharina seine Zähne knirschen hörte.
Mit einem einzigen Satz war sie neben ihm und auf den Knien. »Herr!«, keuchte sie. »Um Gottes willen! Was ist denn mit -?«
»Geh! «, stöhnte Ellsbusch. »Tu was ... ich dir gesagt ... habe!«
Katharina beugte sich nur weiter über ihn, griff nach seiner Schulter und prallte entsetzt zurück, als Ellsbusch vor Schmerz aufschrie und sich wand. Verzweiflung ergriff sie, und sie fühlte sich so hilflos, dass es beinahe körperlich wehtat.
»Geh! «, wimmerte Ellsbusch. »Warne ... die anderen!« Und endlich schüttelte Katharina ihre Starre ab, sprang auf und rannte los, so schnell sie nur konnte.
Im allerersten Moment stürmte sie einfach blindlings drauflos, ganz egal in welche Richtung, nur fort von diesem Ort des Schreckens und tiefer hinein in die beschützende Dunkelheit. Mindestens ein halbes Dutzend mal stolperte sie über ein Hindernis, das sie in der Dunkelheit zu spät sah, und zweimal stürzte sie, rappelte sich aber sofort wieder auf und stolperte weiter.
Der dritte Sturz schließlich war so hart, dass eine Woge aus reinem Schmerz hinter ihren Augen explodierte und sie beinahe das Bewusstsein verloren hätte.
Vielleicht geschah es sogar, denn als sie wieder imstande war, mehr als Schmerzen und das rasende Hämmern ihres Pulsschlags wahrzunehmen, spürte sie, dass Zeit vergangen war, auch wenn sie nicht sagen konnte, wie viel. Stöhnend setzte sie sich auf, fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht und registrierte erschrocken das warme Blut, das sie sich über Stirn und Wange schmierte. Sie musste sich verletzt haben.
Dann durchfuhr sie ein heißer Schrecken, als sie begriff, dass es Graf Ellsbuschs Blut war, dessen klebrige Wärme sie auf dem Gesicht spürte, nicht ihres.
War er tot? Ein Teil von ihr weigerte sich einfach, diesen Gedanken auch nur zu denken, denn der Herr von Burg Ellsbusch konnte nicht sterben, nicht ein so mächtiger Krieger, der siegreich aus zahllosen Schlachten heimgekehrt und sicher schon schlimmer verwundet worden war. Aber da war auch all das Blut an ihren Händen, und sie konnte auch das schreckliche Geräusch einfach nicht vergessen, mit dem die Axt des Dämons seine Schulter gespalten hatte ...
Sie schüttelte den Gedanken ab, setzte sich weiter auf und wischte sich die Hände im Gras sauber, so gut sie konnte, bevor sie ganz aufstand und sich umsah, um sich zu orientieren.
Katharina erschrak, als sie sah, wie nahe sie der brennenden Burg noch war. Ihr Gefühl wollte ihr weismachen, dass sie meilenweit gerannt war, doch in Wahrheit hatte sie kaum den Hügel hinter sich gelassen, auf dem Burg Ellsbusch thronte - oder um genauer zu sein: loderte. Von hier aus betrachtet gab es keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Inbegriff von Stolz und Wehrhaftigkeit, als die sie die Burg zeit ihres Lebens gesehen hatte. Die Flammen griffen jetzt immer schneller um sich und hatten inzwischen auch von der Palisadenwand Besitz ergriffen, und Katharina wurde mit einem Gefühl sonderbar benommenen Schreckens klar, dass Burg Ellsbusch nicht mehr existierte. Falls die Sonne noch einmal aufging, würde ihr Licht nicht mehr als einen brandgeschwärzten Hügel bescheinen.
Und vielleicht ihren eigenen Leichnam, wenn sie nicht bald verschwand.
Katharina erinnerte sich an Graf Ellsbuschs letzte Worte, und plötzlich wurde ihr klar, dass ihr der Herr von Burg Ellsbusch nicht einfach nur einen Auftrag erteilt, sondern ihr eine Möglichkeit gegeben hatte, ihren schrecklichen Fehler wiedergutzumachen. Sie musste Lord Pardeville und seine Soldaten alarmieren, und vor allem das Dorf warnen. Wenn die Dämonen diese gewaltige Burg einfach überrannt hatten, welche Chance hatten dann die ahnungslosen Dorfbewohner?
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Autoren-Porträt von Wolfgang Hohlbein
Wolfgang Hohlbein, geb. 1953 in Weimar geboren, ist der meistgelesene und erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor. Seine Bücher decken die ganze Palette der Unterhaltungsliteratur ab von Kinder- und Jugendbüchern über Romane und Drehbücher zu Filmen, von Fantasy über Sciencefiction bis hin zum Horror. Der Durchbruch gelang ihm 1982 mit dem Jugendbuch 'Märchenmond', für das er mit dem Fantastik-Preis der Stadt Wetzlar ausgezeichnet wurde. 1993 schaffte er mit seinem phantastischen Thriller 'Das Druidentor' im Hardcover für Erwachsene den Sprung auf die Spiegel-Bestsellerliste. Die Auflagen seiner Bücher gehen in die Millionen und immer noch wird seine Fangemeinde Tag für Tag größer. Der passionierte Motorradfahrer und Zinnfigurensammler lebt zusammen mit seiner Frau und Co-Autorin Heike, seinen Kindern und zahlreichen Hunden und Katzen am Niederrhein.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolfgang Hohlbein
- 2010, 2. Aufl., 558 Seiten, Maße: 15,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Baumhaus Medien
- ISBN-10: 383393901X
- ISBN-13: 9783833939013
- Erscheinungsdatum: 11.10.2010
Rezension zu „Die Tochter der Midgardschlange / Die Asgard Saga Bd.2 “
"Hohlbeins große Stärke sind die Bilder, die er heraufbeschwört. Fast meint man beim Lesen einen Film zu sehen ..." (Die Welt)
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