Die Tore des Himmels
Historischer Roman
Regentin, Rebellin, Heilige: wer war Elisabeth von Thüringen wirklich? Sabine Weigands Roman um die berühmteste Frau des deutschen Mittelalters. Seit ihrer Kindheit ist die junge Adlige Gisa die Vertraute von Elisabeth, der Landgräfin von...
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Produktinformationen zu „Die Tore des Himmels “
Regentin, Rebellin, Heilige: wer war Elisabeth von Thüringen wirklich? Sabine Weigands Roman um die berühmteste Frau des deutschen Mittelalters. Seit ihrer Kindheit ist die junge Adlige Gisa die Vertraute von Elisabeth, der Landgräfin von Thüringen. Sie weiß, wie zerrissen Elisabeth ist zwischen ihrer Liebe zum machtbewussten Landgrafen Ludwig und ihrer Suche nach einem gottgefälligen, einfachen Leben. Gisa erlebt, wie Elisabeth gegen den Hof aufbegehrt, welche Unruhe ihre Spenden, ihre Fürsorge für die Armen auslöst. Sie sieht auch, wie der jüngere Bruder des Landgrafen mit unzufriedenen Adligen paktiert und sie gegen den Stauferkaiser Friedrich II. aufbringen will. Gisas drückendstes Geheimnis dreht sich um die verbotenen Treffen einer Ketzersekte, die sie belauscht hat. Als Elisabeth 1226 dem fanatischen Inquisitor Konrad von Marburg begegnet und ihr Leben radikal strengsten Glaubensregeln unterwirft, gerät Gisas Welt völlig aus den Fugen. Wie weit kann sie Elisabeth zur Seite stehen, ohne selbst unterzugehen?
Klappentext zu „Die Tore des Himmels “
Regentin, Rebellin, Heilige: wer war Elisabeth von Thüringen wirklich?Sabine Weigands Roman um die berühmteste Frau des deutschen Mittelalters.
Seit ihrer Kindheit ist die junge Adlige Gisa die Vertraute von Elisabeth, der Landgräfin von Thüringen. Sie weiß, wie zerrissen Elisabeth ist zwischen ihrer Liebe zum machtbewussten Landgrafen Ludwig und ihrer Suche nach einem gottgefälligen, einfachen Leben. Gisa erlebt, wie Elisabeth gegen den Hof aufbegehrt, welche Unruhe ihre Spenden, ihre Fürsorge für die Armen auslöst. Sie sieht auch, wie der jüngere Bruder des Landgrafen mit unzufriedenen Adligen paktiert und sie gegen den Stauferkaiser Friedrich II. aufbringen will. Gisas drückendstes Geheimnis dreht sich um die verbotenen Treffen einer Ketzersekte, die sie belauscht hat. Als Elisabeth 1226 dem fanatischen Inquisitor Konrad von Marburg begegnet und ihr Leben radikal strengsten Glaubensregeln unterwirft, gerät Gisas Welt völlig aus den Fugen. Wie weit kann sie Elisabeth zur Seitestehen, ohne selbst unterzugehen?
Lese-Probe zu „Die Tore des Himmels “
Die Tore des Himmels von Sabine WeigandGisa
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Sie kommen! Sie kommen!« Die Kinder der Hofdienerschaft verkündeten die Neuigkeit als Erste. Ich drängte mich mit Agnes, Konrad und Heinrich im Steinrahmen der schmalen Fensteröffnung zusammen, um ja nichts zu verpassen. Es muss irgendwann im Spätherbst des Jahres 1211 gewesen sein, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, nur, dass die Bäume längst kahl waren und Martini schon vorbei.
Ich schob meine vorwitzige Nasenspitze so weit nach draußen, wie ich konnte. Seit Wochen schon platzte ich vor Neugier, seit meine Ziehmutter Sophia erzählt hatte, dass die zukünftige Landgräfin von Thüringen zu uns unterwegs war. »Freut euch«, hatte sie gelächelt, »die Tochter des ungarischen Königs wird an den Hof kommen. Sie heißt Elisabeth, und es ist ausgemacht, dass sie einmal unseren Hermann heiratet.« Die Landgräfin erklärte uns gleich, dass die kleine Braut natürlich noch viel zu jung zum Heiraten war. »Ihre Eltern schicken sie so früh an den Hof ihres zukünftigen Gatten, damit sie sich an die fremde Sprache, die anderen Sitten und überhaupt an ihr neues Land und seine Menschen gewöhnen kann. Sie soll noch vor der Heirat zu einer rechten Thüringerin werden. Das macht man immer so, es ist nur vernünftig.« Sophia sah Agnes mit ernstem Blick an. »Ich möchte, dass sie dir wie eine Schwester ist. Du bist die Ältere und hier zu Hause, also wirst du dich vor allen anderen um sie kümmern.«
Agnes nickte folgsam, aber ich sah ihren finsteren Blick, als sie sich umdrehte. Nun ja, das hatte ich erwartet. Agnes war immer ein verwöhntes Ding gewesen, eigensinnig und eitel. Wenn sie etwas haben wollte, konnte sie schmeicheln wie ein Kätzchen, aber wehe, sie bekam es nicht. Dann funkelte sie einen mit solcher Wut in den Augen an, dass einem ganz angst und bang wurde. Sie war die Einzige unter den Kindern des Landgrafen, die mich spüren ließ, dass ich eigentlich nicht dazugehörte. Wenn sie böse auf mich war - und das war sie oft - , behandelte sie mich wie eine vom Gesinde, was ich im Grunde genommen ja auch war. Als Spielgefährtin taugte ich, solange ich tat, was sie wollte. Und ich nahm ihre Launen stets hin, was hätte ich auch sonst tun sollen?
Jetzt hörten wir schon von draußen die Rufe der Eisenacher Bürger. Sie jubelten ihrer zukünftigen Landesherrin zu, während die ungarische Reisegesellschaft durch die Gassen des Städtchens fuhr. Unsere Spannung wuchs, bis endlich das Tor aufging und die Ankömmlinge einließ. Voran trabten zwei Herren auf edlen Pferden, deren Schabracken in den Thüringer Farben gehalten waren. Das waren wohl der Ritter Walter von Vargula und der Herr von Schlotheim. Ihre Reisemäntel waren voller Dreckspritzer, die Stiefel durchnässt. Dann kamen zwei schwarzgekleidete Herren, vermutlich ungarische Geistliche, zusammen mit einem Ehepaar mittleren Alters in fremdartiger Tracht. Das Kleid der Frau war vom pelzverbrämten Saum bis zu den Knien klatschnass. Ihnen folgten zwei große, von Planen überspannte Wagen, dann eine bequeme Kutsche und danach ein kleiner, feiner, geschlossener Reisewagen, den zwei hübsche Rotfüchse zogen. Den Schluss bildeten die Bewacher der kostbaren Fracht, wohl an die zwanzig bis an die Zähne bewaffnete Männer aus ungarischem und einheimischem Adel. Drei von ihnen trugen Fahnen, die im Herbstwind flatterten. »Andechs, Ungarn, Thüringen«, flüsterte mir der Hofpfaffe von hinten ins Ohr. Andechs, so dozierte er, hieß das mächtige Geschlecht, aus dem die Mutter der ungarischen Prinzessin stammte, verwandt und verschwägert mit den hervorragendsten Familien in aller Herren Länder, von Frankreich bis Schlesien. Aber ich hörte Meister Igilbert kaum zu, denn jetzt wurde das Türchen des kleinen Reisewagens geöffnet. Eine Amme von beträchtlicher Leibesfülle quälte sich heraus und winkte einen Diener herbei, der sich in die Kutsche beugte und ein vermummtes Etwas herausholte. Das Etwas regte sich nicht. Es war in eine Decke gewickelt, die auch den Kopf verhüllte, der nun an der Schulter des Lakaien lehnte. Ganz offensichtlich schlief die Braut! Wie langweilig! Da kam sie am glorreichen Hof der Landgrafen von Thüringen an, wo ihr Prinz auf sie wartete, und war nicht einmal wach! Der Mann trug seine reglose Last ohne Anstrengung über den Hof. Dabei baumelten zwei Füßchen unter der Decke hervor, die in leuchtendgrünen Schuhen steckten. Dann war die sehnlichst erwartete ungarische Braut auch schon im Eingang zum Herrschaftstrakt verschwunden.
Später, nachdem es früher als sonst die Abendmahlzeit gegeben hatte, rief man uns Kinder hinüber in die Herrenkemenate. Im Gänsemarsch liefen wir über den gepflasterten Hof zum Hauptflügel, Agnes und die Buben voraus, ich wie immer hinterher. Wenn es schnell gehen musste, hinkte ich ja ein bisschen und kam den anderen nicht nach. Da sah ich etwas Buntes in einer Pfütze schimmern. Ich bückte mich - es war eines der winzigen Schühchen, die das ungarische Mädchen getragen hatte. Schnell hob ich es auf und nahm es mit.
In der Hofstube war schon alles versammelt. Vorne saßen und standen die Vornehmen, und hinten drückten und drängelten sich die vom Gesinde. Es roch nach dem nassen Stroh, das den Boden bedeckte, nach Essen und nach den Ausdünstungen der vielen Leute. Man machte uns Platz, als wir, angeführt von der Kinderfrau, durch den Saal gingen. Und vorne, vor dem Kamin, da sahen wir sie endlich! Sie saß aufrecht und steif auf einem Scherenstuhl, ganz still und stumm. Man hatte sie in ein Kleid gesteckt, das zumindest uns Mädchen den Atem raubte: Der Surkot ganz aus golddurchwirktem Stoff, mit glänzenden Edelsteinen bestickt und am Hals mit Perlen umsäumt. Das Unterkleid klatschmohnrot, genau wie die Ärmel. Ein Gürtel raffte alles zusammen, aber was für einer! Lauter viereckige gehämmerte Goldplättchen, jedes mit einem roten Stein in der Mitte, verbunden durch dünne Kettchen! Ich sehe Elisabeth heute noch vor mir, wie sie, geschmückt wie eine große Braut, nur eben ganz winzig, auf dem viel zu hohen Stuhl thronte, die Füße ein ganzes Stück über dem Boden, verlegen an ihren Fingernägeln kauend. Zwei riesige Kerzenleuchter warfen ihr Licht auf die märchenhafte Braut und ließen die Steine an ihren Kleidern glitzern und glänzen. Ich war völlig gefesselt von dieser beinahe unwirklichen Erscheinung, bis mich Agnes unsanft mit dem Ellbogen in die Seite stieß. Und da sah ich der Neuen endlich ins Gesicht. Mir blieb der Mund offen stehen. Lieber Himmel, so hatte ich mir die zukünftige Beherrscherin Thüringens nicht vorgestellt! Ihre Haut war trotz des Kerzenlichts ganz dunkel getönt, die Augen wie Kohle und das Haar schwarz wie die Nacht!
Endlich nahm uns meine Ziehmutter bei den Händen und trat mit uns vor die ungarische Braut. »Das hier«, sagte sie und schob Agnes ein Stück vor, »ist deine Schwägerin Agnes. Und dies«, damit deutete sie auf mich, »ist Gisa, deine Freundin und Dienerin. Agnes, gib Elisabeth einen Kuss.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn ein Kuss war bestimmt das Letzte, was Agnes jetzt Vergnügen bereiten würde. Aber sie wagte keinen Widerspruch, trat zu dem fremden Mädchen, kniff die Augen zu und berührte mit spitzen Lippen ihre Wange.
»Brav, meine Kleine«, lobte Sophia. Was die Landgräfin nicht gesehen hatte, war, dass ihre Tochter die zukünftige Schwägerin kräftig in den Arm gezwickt hatte. Agnes war Meisterin im Zwicken; ich konnte ein Liedchen davon singen. Jetzt warf sie mir einen triumphierenden Blick zu. Der Schmerz hatte Elisabeth die Tränen in die Augen getrieben, aber sie beklagte sich nicht. Sie tat mir leid, schließlich war sie ganz fremd und neu, und sie konnte ja nichts dafür, dass sie so schwarz und hässlich war. Ich wollte irgendetwas Freundliches zu ihr sagen, aber mir fiel nichts ein. Schließlich hielt ich ihr wortlos den tropfnassen Schuh hin, den ich im Hof aufgelesen hatte. Verwundert blickte sie mich an mit ihren Kohleaugen, dann nahm sie das grasgrüne Ding und lächelte schüchtern. Wir wussten es damals nicht, aber dies war der Beginn einer Freundschaft, die ein Leben lang halten sollte.
Und schon zog mich die Kinderfrau fort, denn nun kam die wichtigste Sache des Abends. Erst hielt der Landgraf eine Rede, von der ich mir nur merkte, dass er ständig vom »teuren Schatz aus Ungarland« sprach. Dann führte man die kleine Braut feierlich ins Nebenzimmer, wohin auch die Edelleute folgten. Wir Kinder durften ebenfalls hinein, waren wir doch die jüngsten Zeugen. Ich sah ein kostbares, geschnitztes Himmelbett mit zurückgeschlagenen Laken. Davor wartete ein halbwüchsiger, schlaksiger Junge, von dem ich annahm, dass es Hermann war. Der gerade erst aus dem Orlamünderland angekommene Bräutigam! Sein pickeliges Gesicht hatte einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Ausdruck - er war schließlich in einem Alter, in dem alle Jungen Mädchen albern fanden. Was sollte er nur mit so einem kleinen Ding anfangen? Aber er kannte seine Rolle. Mit einem gottergebenen Schnaufer legte er sich nun mitsamt seinen Stiefeln ins Bett und verschränkte die Arme über der Brust. Die Landgräfin stupste Elisabeth aufmunternd an und deutete auf den Platz neben Hermann. Aber die Braut stand stocksteif und rührte sich nicht. Noch einmal stupste Sophia - ihre zukünftige Schwiegertochter bewegte sich nicht. Da hob der Landgraf die verdutzte Kleine kurzerhand hoch und packte sie ins Bett. Jubel brandete auf. Die Verlobung war vollzogen und rechtskräftig.
Danach sahen wir dann den echten »Schatz« aus Ungarland. Man hatte die Mitgift Elisabeths in der Ecke des Schlafzimmers aufgebaut, und nun wurde das Tuch fortgezogen, das die Kostbarkeiten bisher verhüllt hatte. Wir alle hielten den Atem an. Wohl niemand von der ganzen Hofgesellschaft hatte jemals dergleichen gesehen: goldene und silberne Trinkgefäße, Schalen und Teller. Kronen, Ringe, Spangen und Gürtel. Herrliche Gewänder aus Seide und Brokat, golddurchwirkte Stoffe, Baldachine, Tischteppiche. Kassetten mit Schmuckknöpfen und Perlen. Ein Bettchen und ein Badekübel aus purem Silber. Pelze und Bänder. Bettzeug, Hausrat, Edelsteine. Eine Truhe voller Münzen, man raunte, es seien wohl zweitausend Mark feinsten Silbers. Und das sei nur die erste Rate des Brautschatzes. Es war unfassbar. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich eine Vorstellung davon, was wirklicher Reichtum bedeutete. Und dem Mädchen, dem dies alles gehörte, hatte ich soeben einen nassen Schuh überreicht!
Kaum hatten wir uns sattgesehen an all der Pracht, brachte man uns zu Bett. In der Kinderstube wartete die nächste Überraschung auf uns: Guda. Denn der »ungarische Schatz« war nicht allein gekommen; man hatte ihr eine Freundin mitgegeben, damit sie in ihrer neuen Umgebung nicht so ganz einsam sei. Guda war vielleicht so alt wie Agnes, ein farbloses, unscheinbares Ding und so schüchtern wie ängstlich. Sie stammte, wie sich später herausstellte, aus deutschem Adel in Ungarn; ihre Eltern zählten zu den engsten Vertrauten der Königin Gertrud. Wir bestürmten sie sofort mit Fragen, aber sie sagte kaum etwas, obwohl Deutsch ihre Muttersprache war und sie uns ganz gut verstand.
Am nächsten Morgen wurden wir unsanft aus dem Schlaf gerissen. Alles war in größter Unruhe, offensichtlich wurde gepackt. Natürlich sagte uns niemand etwas, aber ich erfuhr von einem der Stalljungen, dass König Otto der Welfe mit seinen Truppen ins Land eingefallen war und nun auf Eisenach zumarschierte. Der Landgraf zählte inzwischen zu den Anhängern des Stauferkönigs Friedrich, der, wie wir gehört hatten, zwar weit weg auf Sizilien wohnte, aber auch hierzulande Anspruch auf die Herrschaft erhob. König Otto wollte aber nicht klein beigeben, er kämpfte um die Macht und suchte bei Friedrichs Anhängern Rache, zuallererst bei Landgraf Hermann. Die Hofhaltung musste deshalb so schnell wie möglich auf die Wartburg fliehen, den wohl sichersten Ort in ganz Thüringen. In strömendem Regen zogen wir hinauf zur Burg. Elisabeth saß auf ihrem Platz, mit großen, angstvollen Augen und stumm wie ein Fisch. Seit sie angekommen war, hatte sie noch kein Wort gesprochen.
Zusammen mit der Braut hatte der Krieg Einzug im Land gehalten.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Sie kommen! Sie kommen!« Die Kinder der Hofdienerschaft verkündeten die Neuigkeit als Erste. Ich drängte mich mit Agnes, Konrad und Heinrich im Steinrahmen der schmalen Fensteröffnung zusammen, um ja nichts zu verpassen. Es muss irgendwann im Spätherbst des Jahres 1211 gewesen sein, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, nur, dass die Bäume längst kahl waren und Martini schon vorbei.
Ich schob meine vorwitzige Nasenspitze so weit nach draußen, wie ich konnte. Seit Wochen schon platzte ich vor Neugier, seit meine Ziehmutter Sophia erzählt hatte, dass die zukünftige Landgräfin von Thüringen zu uns unterwegs war. »Freut euch«, hatte sie gelächelt, »die Tochter des ungarischen Königs wird an den Hof kommen. Sie heißt Elisabeth, und es ist ausgemacht, dass sie einmal unseren Hermann heiratet.« Die Landgräfin erklärte uns gleich, dass die kleine Braut natürlich noch viel zu jung zum Heiraten war. »Ihre Eltern schicken sie so früh an den Hof ihres zukünftigen Gatten, damit sie sich an die fremde Sprache, die anderen Sitten und überhaupt an ihr neues Land und seine Menschen gewöhnen kann. Sie soll noch vor der Heirat zu einer rechten Thüringerin werden. Das macht man immer so, es ist nur vernünftig.« Sophia sah Agnes mit ernstem Blick an. »Ich möchte, dass sie dir wie eine Schwester ist. Du bist die Ältere und hier zu Hause, also wirst du dich vor allen anderen um sie kümmern.«
Agnes nickte folgsam, aber ich sah ihren finsteren Blick, als sie sich umdrehte. Nun ja, das hatte ich erwartet. Agnes war immer ein verwöhntes Ding gewesen, eigensinnig und eitel. Wenn sie etwas haben wollte, konnte sie schmeicheln wie ein Kätzchen, aber wehe, sie bekam es nicht. Dann funkelte sie einen mit solcher Wut in den Augen an, dass einem ganz angst und bang wurde. Sie war die Einzige unter den Kindern des Landgrafen, die mich spüren ließ, dass ich eigentlich nicht dazugehörte. Wenn sie böse auf mich war - und das war sie oft - , behandelte sie mich wie eine vom Gesinde, was ich im Grunde genommen ja auch war. Als Spielgefährtin taugte ich, solange ich tat, was sie wollte. Und ich nahm ihre Launen stets hin, was hätte ich auch sonst tun sollen?
Jetzt hörten wir schon von draußen die Rufe der Eisenacher Bürger. Sie jubelten ihrer zukünftigen Landesherrin zu, während die ungarische Reisegesellschaft durch die Gassen des Städtchens fuhr. Unsere Spannung wuchs, bis endlich das Tor aufging und die Ankömmlinge einließ. Voran trabten zwei Herren auf edlen Pferden, deren Schabracken in den Thüringer Farben gehalten waren. Das waren wohl der Ritter Walter von Vargula und der Herr von Schlotheim. Ihre Reisemäntel waren voller Dreckspritzer, die Stiefel durchnässt. Dann kamen zwei schwarzgekleidete Herren, vermutlich ungarische Geistliche, zusammen mit einem Ehepaar mittleren Alters in fremdartiger Tracht. Das Kleid der Frau war vom pelzverbrämten Saum bis zu den Knien klatschnass. Ihnen folgten zwei große, von Planen überspannte Wagen, dann eine bequeme Kutsche und danach ein kleiner, feiner, geschlossener Reisewagen, den zwei hübsche Rotfüchse zogen. Den Schluss bildeten die Bewacher der kostbaren Fracht, wohl an die zwanzig bis an die Zähne bewaffnete Männer aus ungarischem und einheimischem Adel. Drei von ihnen trugen Fahnen, die im Herbstwind flatterten. »Andechs, Ungarn, Thüringen«, flüsterte mir der Hofpfaffe von hinten ins Ohr. Andechs, so dozierte er, hieß das mächtige Geschlecht, aus dem die Mutter der ungarischen Prinzessin stammte, verwandt und verschwägert mit den hervorragendsten Familien in aller Herren Länder, von Frankreich bis Schlesien. Aber ich hörte Meister Igilbert kaum zu, denn jetzt wurde das Türchen des kleinen Reisewagens geöffnet. Eine Amme von beträchtlicher Leibesfülle quälte sich heraus und winkte einen Diener herbei, der sich in die Kutsche beugte und ein vermummtes Etwas herausholte. Das Etwas regte sich nicht. Es war in eine Decke gewickelt, die auch den Kopf verhüllte, der nun an der Schulter des Lakaien lehnte. Ganz offensichtlich schlief die Braut! Wie langweilig! Da kam sie am glorreichen Hof der Landgrafen von Thüringen an, wo ihr Prinz auf sie wartete, und war nicht einmal wach! Der Mann trug seine reglose Last ohne Anstrengung über den Hof. Dabei baumelten zwei Füßchen unter der Decke hervor, die in leuchtendgrünen Schuhen steckten. Dann war die sehnlichst erwartete ungarische Braut auch schon im Eingang zum Herrschaftstrakt verschwunden.
Später, nachdem es früher als sonst die Abendmahlzeit gegeben hatte, rief man uns Kinder hinüber in die Herrenkemenate. Im Gänsemarsch liefen wir über den gepflasterten Hof zum Hauptflügel, Agnes und die Buben voraus, ich wie immer hinterher. Wenn es schnell gehen musste, hinkte ich ja ein bisschen und kam den anderen nicht nach. Da sah ich etwas Buntes in einer Pfütze schimmern. Ich bückte mich - es war eines der winzigen Schühchen, die das ungarische Mädchen getragen hatte. Schnell hob ich es auf und nahm es mit.
In der Hofstube war schon alles versammelt. Vorne saßen und standen die Vornehmen, und hinten drückten und drängelten sich die vom Gesinde. Es roch nach dem nassen Stroh, das den Boden bedeckte, nach Essen und nach den Ausdünstungen der vielen Leute. Man machte uns Platz, als wir, angeführt von der Kinderfrau, durch den Saal gingen. Und vorne, vor dem Kamin, da sahen wir sie endlich! Sie saß aufrecht und steif auf einem Scherenstuhl, ganz still und stumm. Man hatte sie in ein Kleid gesteckt, das zumindest uns Mädchen den Atem raubte: Der Surkot ganz aus golddurchwirktem Stoff, mit glänzenden Edelsteinen bestickt und am Hals mit Perlen umsäumt. Das Unterkleid klatschmohnrot, genau wie die Ärmel. Ein Gürtel raffte alles zusammen, aber was für einer! Lauter viereckige gehämmerte Goldplättchen, jedes mit einem roten Stein in der Mitte, verbunden durch dünne Kettchen! Ich sehe Elisabeth heute noch vor mir, wie sie, geschmückt wie eine große Braut, nur eben ganz winzig, auf dem viel zu hohen Stuhl thronte, die Füße ein ganzes Stück über dem Boden, verlegen an ihren Fingernägeln kauend. Zwei riesige Kerzenleuchter warfen ihr Licht auf die märchenhafte Braut und ließen die Steine an ihren Kleidern glitzern und glänzen. Ich war völlig gefesselt von dieser beinahe unwirklichen Erscheinung, bis mich Agnes unsanft mit dem Ellbogen in die Seite stieß. Und da sah ich der Neuen endlich ins Gesicht. Mir blieb der Mund offen stehen. Lieber Himmel, so hatte ich mir die zukünftige Beherrscherin Thüringens nicht vorgestellt! Ihre Haut war trotz des Kerzenlichts ganz dunkel getönt, die Augen wie Kohle und das Haar schwarz wie die Nacht!
Endlich nahm uns meine Ziehmutter bei den Händen und trat mit uns vor die ungarische Braut. »Das hier«, sagte sie und schob Agnes ein Stück vor, »ist deine Schwägerin Agnes. Und dies«, damit deutete sie auf mich, »ist Gisa, deine Freundin und Dienerin. Agnes, gib Elisabeth einen Kuss.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn ein Kuss war bestimmt das Letzte, was Agnes jetzt Vergnügen bereiten würde. Aber sie wagte keinen Widerspruch, trat zu dem fremden Mädchen, kniff die Augen zu und berührte mit spitzen Lippen ihre Wange.
»Brav, meine Kleine«, lobte Sophia. Was die Landgräfin nicht gesehen hatte, war, dass ihre Tochter die zukünftige Schwägerin kräftig in den Arm gezwickt hatte. Agnes war Meisterin im Zwicken; ich konnte ein Liedchen davon singen. Jetzt warf sie mir einen triumphierenden Blick zu. Der Schmerz hatte Elisabeth die Tränen in die Augen getrieben, aber sie beklagte sich nicht. Sie tat mir leid, schließlich war sie ganz fremd und neu, und sie konnte ja nichts dafür, dass sie so schwarz und hässlich war. Ich wollte irgendetwas Freundliches zu ihr sagen, aber mir fiel nichts ein. Schließlich hielt ich ihr wortlos den tropfnassen Schuh hin, den ich im Hof aufgelesen hatte. Verwundert blickte sie mich an mit ihren Kohleaugen, dann nahm sie das grasgrüne Ding und lächelte schüchtern. Wir wussten es damals nicht, aber dies war der Beginn einer Freundschaft, die ein Leben lang halten sollte.
Und schon zog mich die Kinderfrau fort, denn nun kam die wichtigste Sache des Abends. Erst hielt der Landgraf eine Rede, von der ich mir nur merkte, dass er ständig vom »teuren Schatz aus Ungarland« sprach. Dann führte man die kleine Braut feierlich ins Nebenzimmer, wohin auch die Edelleute folgten. Wir Kinder durften ebenfalls hinein, waren wir doch die jüngsten Zeugen. Ich sah ein kostbares, geschnitztes Himmelbett mit zurückgeschlagenen Laken. Davor wartete ein halbwüchsiger, schlaksiger Junge, von dem ich annahm, dass es Hermann war. Der gerade erst aus dem Orlamünderland angekommene Bräutigam! Sein pickeliges Gesicht hatte einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Ausdruck - er war schließlich in einem Alter, in dem alle Jungen Mädchen albern fanden. Was sollte er nur mit so einem kleinen Ding anfangen? Aber er kannte seine Rolle. Mit einem gottergebenen Schnaufer legte er sich nun mitsamt seinen Stiefeln ins Bett und verschränkte die Arme über der Brust. Die Landgräfin stupste Elisabeth aufmunternd an und deutete auf den Platz neben Hermann. Aber die Braut stand stocksteif und rührte sich nicht. Noch einmal stupste Sophia - ihre zukünftige Schwiegertochter bewegte sich nicht. Da hob der Landgraf die verdutzte Kleine kurzerhand hoch und packte sie ins Bett. Jubel brandete auf. Die Verlobung war vollzogen und rechtskräftig.
Danach sahen wir dann den echten »Schatz« aus Ungarland. Man hatte die Mitgift Elisabeths in der Ecke des Schlafzimmers aufgebaut, und nun wurde das Tuch fortgezogen, das die Kostbarkeiten bisher verhüllt hatte. Wir alle hielten den Atem an. Wohl niemand von der ganzen Hofgesellschaft hatte jemals dergleichen gesehen: goldene und silberne Trinkgefäße, Schalen und Teller. Kronen, Ringe, Spangen und Gürtel. Herrliche Gewänder aus Seide und Brokat, golddurchwirkte Stoffe, Baldachine, Tischteppiche. Kassetten mit Schmuckknöpfen und Perlen. Ein Bettchen und ein Badekübel aus purem Silber. Pelze und Bänder. Bettzeug, Hausrat, Edelsteine. Eine Truhe voller Münzen, man raunte, es seien wohl zweitausend Mark feinsten Silbers. Und das sei nur die erste Rate des Brautschatzes. Es war unfassbar. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich eine Vorstellung davon, was wirklicher Reichtum bedeutete. Und dem Mädchen, dem dies alles gehörte, hatte ich soeben einen nassen Schuh überreicht!
Kaum hatten wir uns sattgesehen an all der Pracht, brachte man uns zu Bett. In der Kinderstube wartete die nächste Überraschung auf uns: Guda. Denn der »ungarische Schatz« war nicht allein gekommen; man hatte ihr eine Freundin mitgegeben, damit sie in ihrer neuen Umgebung nicht so ganz einsam sei. Guda war vielleicht so alt wie Agnes, ein farbloses, unscheinbares Ding und so schüchtern wie ängstlich. Sie stammte, wie sich später herausstellte, aus deutschem Adel in Ungarn; ihre Eltern zählten zu den engsten Vertrauten der Königin Gertrud. Wir bestürmten sie sofort mit Fragen, aber sie sagte kaum etwas, obwohl Deutsch ihre Muttersprache war und sie uns ganz gut verstand.
Am nächsten Morgen wurden wir unsanft aus dem Schlaf gerissen. Alles war in größter Unruhe, offensichtlich wurde gepackt. Natürlich sagte uns niemand etwas, aber ich erfuhr von einem der Stalljungen, dass König Otto der Welfe mit seinen Truppen ins Land eingefallen war und nun auf Eisenach zumarschierte. Der Landgraf zählte inzwischen zu den Anhängern des Stauferkönigs Friedrich, der, wie wir gehört hatten, zwar weit weg auf Sizilien wohnte, aber auch hierzulande Anspruch auf die Herrschaft erhob. König Otto wollte aber nicht klein beigeben, er kämpfte um die Macht und suchte bei Friedrichs Anhängern Rache, zuallererst bei Landgraf Hermann. Die Hofhaltung musste deshalb so schnell wie möglich auf die Wartburg fliehen, den wohl sichersten Ort in ganz Thüringen. In strömendem Regen zogen wir hinauf zur Burg. Elisabeth saß auf ihrem Platz, mit großen, angstvollen Augen und stumm wie ein Fisch. Seit sie angekommen war, hatte sie noch kein Wort gesprochen.
Zusammen mit der Braut hatte der Krieg Einzug im Land gehalten.
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Autoren-Porträt von Sabine Weigand
Weigand, SabineSabine Weigand stammt aus Franken. Sie ist promovierte Historikerin, arbeitete als Ausstellungsplanerin für Museen und ist nun Abgeordnete im bayerischen Landtag. Historische Originaldokumente sind der Ausgangspunkt vieler ihrer Romane, wie 'Die Markgräfin', 'Das Perlenmedaillon', 'Die Königsdame', 'Die Seelen im Feuer' und 'Die silberne Burg'. In 'Die Tore des Himmels' gestaltet sie das Leben der Hl. Elisabeth, in 'Das Buch der Königin' das Schicksal der deutschen Kaiserin Konstanze, in 'Ich, Eleonore. Königin zweier Reiche' der europäischen Skandalherrscherin. Ihr neuer Roman 'Die Manufaktur der Düfte' schildert das Schicksal einer Seifenfabrikantendynastie. Literaturpreise:»Kulturmeter« Stadt Schwabach, Kulturpreis der Kulturstiftung IHK Franken
Bibliographische Angaben
- Autor: Sabine Weigand
- 2012, 2. Aufl., 608 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810526657
- ISBN-13: 9783810526656
- Erscheinungsdatum: 09.10.2012
Rezension zu „Die Tore des Himmels “
Eine faszinierende Biografie und ein Roman, der beeindruckt. Für Sie
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