Die Tränen der Götter
Roman
Südafrika: Die Familie Assmann ist im Besitz eines Diamanten von unsagbarem Wert. Doch dann wird der Stein eines Tages von einem Familienmitglied entwendet. Damit scheint sich ein Fluch über die gesamte Familie zu legen - und fortan beherrschen Hass, Intrigen und Rachsucht den Clan.
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Produktinformationen zu „Die Tränen der Götter “
Südafrika: Die Familie Assmann ist im Besitz eines Diamanten von unsagbarem Wert. Doch dann wird der Stein eines Tages von einem Familienmitglied entwendet. Damit scheint sich ein Fluch über die gesamte Familie zu legen - und fortan beherrschen Hass, Intrigen und Rachsucht den Clan.
Lese-Probe zu „Die Tränen der Götter “
Die Tränen der Götter von Barbara PiazzaPROLOG
IM SÜDLICHEN AFRIKA, 2011
Der Schein des Halbmonds war von einem scharfen Weiß und verwandelte die Sandhügel, die an wenigen Stellen mit stacheligen Büschen bewachsen waren, in eine utopisch wirkende Szenerie. Wind kam jetzt auf und fegte die oberste Schicht des Sands beiseite. Wie Nebel erhob sich der Staub, fast einen Meter über den Boden. Ein sonderbarer Ton lag in der Luft, einem Stöhnen gleich, dem sich das Seufzen vieler Gequälter anzuschließen schien.
»Die Götter und Ahnen sprechen zu uns«, sagten die Schwarzen des Kobrastamms, die von dem Geheule erwachten. Sie lauschten, um zu begreifen, was ihnen die Helfer hinter dem Horizont mitzuteilen versuchten, in der kurzen Frist, bevor der Mond sich verhüllen und der Sandsturm zu toben beginnen würde.
Der alte Schamane verstand ihre Botschaft, und er seufzte mit ihnen.
Dann aber verstummten sie plötzlich, und der Wind verlor seine Kraft. Etwas wie Hoffnung zog in das Herz des Alten, auch wenn er in seinem langen Leben gelernt hatte, dass Hoffnung die gefährlichste aller Drogen ist.
IDAR-OBERSTEIN
FRÜHSOMMER 2011
I
... mehr
Zita Assmann erwachte durch ihren eigenen Schrei.
Sie fuhr hoch und kam nur langsam zu sich. Ihr Blick glitt über die Kleidungsstücke auf dem Stuhl neben dem Bett, und sie atmete erleichtert auf. Es war nur wieder dieser Traum gewesen. Sie befand sich im Hier und Jetzt und nicht in jenem verhängnisvollen Sommer in Sambia.
Sie stand auf, ging ein paar Schritte und öffnete die Balkontür. Die frische Morgenluft drang so rasch in den Raum, als ob sie nur darauf gewartet hätte. Zita sog sie gierig ein, und die Gespenster der Nacht verließen sie vollends.
Wieder einmal pries sie ihren vor Jahren gefassten Entschluss, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen. Ihre nächtlichen Unruhen, die Heinrich nicht verstehen konnte, hatten immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt.
Sie wandte sich um und betrachtete sich im Spiegel des Kleiderschranks. Der Schein der Morgenröte zauberte die wenigen Falten von ihrem Gesicht und ließ sie so schön erscheinen, wie sie es in ihren besten Jahren gewesen war. Die schulterlangen Haare hatten das gleiche matt glänzende Blond wie eh und je, auch wenn dies, seit einigen Jahren schon, der Kunst ihres Friseurs zu verdanken war, und der dünne Pyjama bewies ihre untadelige Figur. Sie hatte stets darauf geachtet, Sport zu treiben und mit Überlegung zu essen. Man hätte sie ohne Weiteres für zehn Jahre jünger halten können, doch es war eine Tatsache, dass sie im April ihren dreiundfünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte.
Zita hatte eine ganze Anzahl von Problemen, das ihres Alters war ihr geringstes. Das größte von allen war am Tag und in der Nacht gegenwärtig. Es schwebte, stilisiert und kunstvoll beleuchtet, über dem benachbarten Firmengebäude und ließ keinen in ihrer Familie vergessen, wovon sie lebten.
Adamas adamantes.
Der Unbezwingbare, der Diamant.
Der Stein, der nach einer indischen Überlieferung die göttliche Vollkommenheit in ihrer höchsten Form darstellt. Die Buddhisten verehrten ihn als Glücksstein und waren der Auffassung, dass er nur dort vorkomme, wo Buddha seinen Fuß auf die Erde gesetzt hatte, während die Araber glaubten, er mache unbesiegbar.
Zita lächelte.
Ihr Ehemann Heinrich glaubte dasselbe und Victor ebenfalls, obwohl beide derartige Behauptungen natürlich bestritten hätten.
Adamas adamantes - der Stein, der ihr Schicksal war. Der ihr gesamtes Leben beherrschte.
Ich bin dreiundfünfzig, dachte sie trotzig und schaute dabei in den Spiegel. Es musste noch ein Leben jenseits dieses Steins geben, und sie war gewillt, ein solches zu entdecken.
Nach dem Jubiläum, dachte sie. Danach werde ich es angehen.
Das Telefon auf dem Nachttisch läutete, und Zita war sicher, dass es wieder einmal ihr Sohn Ludwig sein würde, der mit ihr über den Fortschritt seiner Musicalkomposition sprechen wollte. Ludwig war - außer ihr - der einzige Frühaufsteher in der Familie, und so zeitig am Morgen war er sich der Aufmerksamkeit seiner Mutter am sichersten.
Zita hob den Hörer ab. »Assmann«, sagte sie und überlegte dabei, ob sie Ludwig zu einem kleinen Lunch einladen sollte, nachdem Heinrich heute auswärtige Termine wahrnehmen musste und über Mittag nicht anwesend sein würde.
Es war allerdings nicht Ludwig, der sie an diesem frühen Morgen anrief.
Es war der Atmer.
»Hallo«, sagte Zita und danach noch einmal, drängend: »Bitte, melden Sie sich endlich, und sagen Sie mir, weshalb Sie mich ständig belästigen!«
Doch wie immer in den letzten zwei Monaten, in denen es mehrere solcher Anrufe gegeben hatte - allerdings noch nie zu so früher Morgenstunde -, reagierte der oder die Unbekannte nicht. Zita konzentrierte sich darauf, dem Atmen etwas entnehmen zu können, das ihr vielleicht bekannt vorkäme, doch es gelang ihr auch dieses Mal nicht. Schließlich legte sie wieder auf.
Sie starrte auf den hellgrauen Telefonapparat, und dann kam die Angst wieder, die sich seit dem ersten dieser anonymen Anrufe ständig gesteigert hatte. Zita spürte sie körperlich, sie konnte sie beinahe greifen, diese dunkle Wolke, die sich ihr und ihrer Familie näherte und Unglück über sie bringen würde, das spürte sie mit jeder Faser ihres intuitiv begabten Wesens, das sie wohl von ihrer brasilianischen Mutter geerbt hatte. Sie hockte sich auf die Bettkante und versuchte, sich wieder zu beruhigen, sagte sich, diese Bedrückungen seien vermutlich Erscheinungen der Wechseljahre. Doch nein: Die Anrufe waren schließlich real und keine Einbildung, und wer so viel Zeit auf etwas verwendete, verfolgte irgendeine, wie auch immer geartete Absicht. Feine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, und sie beschloss, demnächst einmal mit Georg darüber zu sprechen. Georg war der Vernünftigste in der Familie und würde sie ihrer Ängste wegen nicht verspotten, sondern etwas unternehmen.
Nach dem Jubiläum, dachte Zita Assmann ein zweites Mal an diesem Morgen, und allein die gefasste Absicht hob ihre Stimmung wieder an.
2
Petra Eiler saß, ein hellgrünes Gummibärchen zwischen die Zähne geklemmt, vor ihrem Laptop und schrieb den Satz zu Ende, den Jakob Feldmann beim Interview eigentlich nicht hatte sagen wollen. Der Inhalt dieses Satzes war aufschlussreich und warf ein besonderes Licht auf seine Person, beleuchtete die Denkstrukturen dieses Geldmenschen auf ganz spezielle Weise.
Der Artikel würde Aufsehen erregen. Er würde auch ihre eigene Position als begabte Interviewerin festigen, würde ihr Respekt einbringen und sie ein paar Treppenstufen weiter nach oben befördern. Ihr Ziel war es, baldmöglichst zu dem großen Nachrichtenmagazin zu wechseln, das ebenfalls zur Familie des Verlags gehörte, der auch Lady herausbrachte.
Petra erlaubte sich eine kleine Pause und lutschte das Gummibärchen zu Ende.
Ihr Konsum dieser klebrigen Süßigkeiten war gewaltig gestiegen, seitdem sie sich vor einem Jahr um Mitternacht, zu Beginn ihres dreißigsten Lebensjahrs, das Rauchen abgewöhnt hatte.
Anfangs war es nur Ersatz und Ablenkung gewesen, inzwischen hatte sich der Verzehr zu einer regelrechten Manie entwickelt. Ein Tick, der ihr sogar ihren Spitznamen in der Redaktion eingetragen hatte.
Bärchen.
Er war nett und bewies die Sympathie, die ihr die Kollegen entgegenbrachten, allerdings war er total unangemessen. Nichts an ihr war knuddelig, rund oder plüschig. Und gegen Verkleinerungsformen war Petra ausgesprochen allergisch. Die nämlich trafen ins Herz. Mit ihren 1,63 Meter und ihrer zierlichen Figur wurde sie nicht selten als »Frauchen« betrachtet - und auch so behandelt.
Nicht nur von Männern, sondern leider auch von Kolleginnen wie Liane Dierolf, ihrer Chefredakteurin. Einer Frau, die gut zwanzig Zentimeter größer war als sie selbst, niemals ohne High Heels erschien und zudem ihren doppelten Doktortitel vorführte wie die Damen in Ascot die Hüte.
Nicht etwa, dass Petra neidisch war.
Liane hatte einfach andere Voraussetzungen gehabt: Ihr Vater war im diplomatischen Dienst gewesen, und Liane war von Sprachen befallen worden wie andere Kinder von Masern, Scharlach oder Windpocken. Ihre Schulfreunde in den internationalen Schulen verschiedener Länder - insgesamt elf an der Zahl, wie sie bei einer Redaktionsfeier einmal berichtet hatte - waren die Kinder der globalen Elite. Das Netzwerk dieser Leute hatte ihr rasch die Führungsposition der Frauenzeitschrift eingebracht, für die Petra arbeitete, doch die Wahrheit war, dass Liane tüchtig war und dies absolut verdiente.
Die Wahrheit war aber auch, dass Lianes Führungsstil erheblich zu wünschen übrig ließ, und dies lag weder an der Körpergröße noch an ihren unbestreitbaren Fähigkeiten, sondern an einem miesen Charakter. Wenn sie gut gelaunt war, versäumte sie nie, die Kollegen darauf hinzuweisen, dass Petra ein »Nudelabitur« an einem hauswirtschaftlichen Gymnasium gemacht, leider nur die Journalistenschule besucht und kein Vollstudium absolviert hatte. Weshalb es ihr am »philosophischen Hintergrund« fehle.
Einmal war Petra die Häme dann doch zu weit gegangen, und sie hatte sich erlaubt anzumerken, dass sie ihre Ausbildung und ihren Job ganz und gar sich selbst zu verdanken habe. Sie habe ihr eigenes Geld verdient, seitdem sie vierzehn Jahre alt gewesen sei, indem sie Zeitungen ausgetragen, Rasen gemäht, in Seniorenheimen ausgeholfen und später gekellnert hatte. Und sie halte dies für einen alternativen, aber wertvollen »philosophischen Hintergrund«. Außerdem sei sie nie, niemals von jemandem protegiert worden.
Die Tatsache, dass sie bei einer Großtante aufgewachsen war, weil ihre Eltern bei der Explosion einer defekten Gasleitung umgekommen waren, erwähnte sie nicht. Wer spricht schon von so etwas?
Die Kollegen hatten ihr reichlich Beifall gespendet, und Liane war ein einziges Mal in den zwei Jahren, seitdem Petra Redaktionsmitglied war, bei einer Konferenz länger als zwei Minuten still gewesen. Natürlich war klar, dass sich eine solche Szene nicht wiederholen durfte. Liane war nicht direkt nachtragend, aber allzu sehr reizen durfte sie niemand.
Petra seufzte, und in diesem Moment klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.
Wenn man an den Teufel denkt, ging es ihr durch den Sinn, als sie die helle, schneidende Stimme ihrer Chefin hörte. Was auch immer sie sagte, es klang stets nach Abmahnung.
»Mach mal Tempo mit Feldmann«, verlangte sie dieses Mal. »Ich hab was Neues für dich - und es eilt!«
Es eilte immer, wenn Liane ein Telefon zur Hand nahm.
»Und worum handelt es sich?«, fragte Petra und versuchte, ihren Unwillen nicht durchklingen zu lassen. Immerhin hatte sie Feldmanns Geldturm gerade mal vor zwei Stunden verlassen.
»Die Assmanns haben hundertjähriges Jubiläum. Ich denke, es ist eine gute Idee, wenn wir dazu ein Interview mit dem Firmenchef bringen. Schließlich sind wir eine Frauenzeitschrift und: ›Diamonds are a girls best friends‹, you know!«
Petra war in Wiesbaden aufgewachsen, und es war unmöglich, in Wiesbaden zu wohnen und noch nie von den Assmanns gehört zu haben. ASSMANN stand für Edelsteine wie Maggi oder Knorr für Suppen und Müller für Milch und Joghurt.
Petra war Heinrich Assmann, dem Firmenchef, schon mehrmals begegnet. Er war ein Mann wie ein Baum, mit dem Körper eines Ringers, gute 1,90 Meter groß, um die siebzig, mit einem fotogenen schneeweißen Schopf, und soweit sie wusste, hatte er noch nie einen Reporter empfangen.
Eine ganze Anzahl von Anekdoten rankten sich allerdings um sein cholerisches Temperament. Besonders bekannt war die Episode, als er einen allzu nervigen Steuerprüfer geohrfeigt hatte. Es war nach einer förmlichen Entschuldigung Assmanns bei dem Beamten sowie einer Spende für den Personalrat der Behörde zu keiner Anzeige gekommen, aber es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass die Frau des Prüfers bald danach mit einer beeindruckenden Brillantbrosche geschmückt war. Ein Geburtstagsgeschenk ihres Vaters und ganz legal erworben, wie die Dame gerne und eifrig erzählte, was allerdings auch nichts half.
Auf jeden Fall war dieses neue Interview reizvoll und würde bestimmt etwas hergeben. Und anders als der Großbanker wäre der Edelsteinkönig wohl rasch aus seiner Reserve zu locken.
Liane hatte inzwischen ununterbrochen weitergeredet, aber im Filter von Petras Kopf war nichts hängen geblieben, was merkenswert schien.
»Alles klar, Liane«, sagte sie deshalb, als ihre Chefin zwischendurch einmal Luft holte. »Ich bin praktisch schon dort!«
Dort war in Idar-Oberstein, wo sich die deutsche Niederlassung des Assmann-Konzerns befand. Etwa eine Autostunde von Frankfurt entfernt.
»Du beabsichtigst doch nicht etwa, auf gut Glück dorthin zu fahren?«, erkundigte sich Liane ätzend.
»Natürlich mach ich das«, erwiderte Petra zuckersüß. »Heinrich Assmann ist mein Patenonkel. Der schließt mich mit Freuden in die Arme, wann immer ich auftauche, mit oder ohne Termin!«
Einen Moment lang war es still am anderen Ende der Leitung.
Petra grinste und sagte dann rasch: »Du, entschuldige, Liane, aber ich sehe gerade, dass Feldmann mich auf dem Handy anruft!«
»Dann nimm ab, verdammt noch mal«, zischte Liane und legte auf.
Die denkt jetzt den restlichen Tag darüber nach, ob das mit dem Paten Spaß war oder nicht, dachte Petra genüsslich. Denn genau das war die Schwäche der toughen Liane: einen Scherz nicht sofort als solchen erkennen zu können, gepaart mit mangelnder Schlagfertigkeit. Da halfen auch vier flüssig gesprochene Fremdsprachen und zwei Doktortitel nichts. Immerhin war die Frau sich ihrer Mängel bewusst, weshalb sie es bisher beharrlich abgelehnt hatte, in Talkshows aufzutreten - oder gar eine solche als Moderatorin zu übernehmen. Und Angebote dafür hatte es durchaus gegeben, wie Petra wusste.
Egal. Sie schob Liane auf ihre innere Warteschleife und griff erneut nach dem Telefonhörer, um Assmanns Diamanthandel und -schleiferei in Idar-Oberstein anzurufen.
© der Originalausgabe 2011 by Barbara Piazza
und Limes Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Zita Assmann erwachte durch ihren eigenen Schrei.
Sie fuhr hoch und kam nur langsam zu sich. Ihr Blick glitt über die Kleidungsstücke auf dem Stuhl neben dem Bett, und sie atmete erleichtert auf. Es war nur wieder dieser Traum gewesen. Sie befand sich im Hier und Jetzt und nicht in jenem verhängnisvollen Sommer in Sambia.
Sie stand auf, ging ein paar Schritte und öffnete die Balkontür. Die frische Morgenluft drang so rasch in den Raum, als ob sie nur darauf gewartet hätte. Zita sog sie gierig ein, und die Gespenster der Nacht verließen sie vollends.
Wieder einmal pries sie ihren vor Jahren gefassten Entschluss, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen. Ihre nächtlichen Unruhen, die Heinrich nicht verstehen konnte, hatten immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt.
Sie wandte sich um und betrachtete sich im Spiegel des Kleiderschranks. Der Schein der Morgenröte zauberte die wenigen Falten von ihrem Gesicht und ließ sie so schön erscheinen, wie sie es in ihren besten Jahren gewesen war. Die schulterlangen Haare hatten das gleiche matt glänzende Blond wie eh und je, auch wenn dies, seit einigen Jahren schon, der Kunst ihres Friseurs zu verdanken war, und der dünne Pyjama bewies ihre untadelige Figur. Sie hatte stets darauf geachtet, Sport zu treiben und mit Überlegung zu essen. Man hätte sie ohne Weiteres für zehn Jahre jünger halten können, doch es war eine Tatsache, dass sie im April ihren dreiundfünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte.
Zita hatte eine ganze Anzahl von Problemen, das ihres Alters war ihr geringstes. Das größte von allen war am Tag und in der Nacht gegenwärtig. Es schwebte, stilisiert und kunstvoll beleuchtet, über dem benachbarten Firmengebäude und ließ keinen in ihrer Familie vergessen, wovon sie lebten.
Adamas adamantes.
Der Unbezwingbare, der Diamant.
Der Stein, der nach einer indischen Überlieferung die göttliche Vollkommenheit in ihrer höchsten Form darstellt. Die Buddhisten verehrten ihn als Glücksstein und waren der Auffassung, dass er nur dort vorkomme, wo Buddha seinen Fuß auf die Erde gesetzt hatte, während die Araber glaubten, er mache unbesiegbar.
Zita lächelte.
Ihr Ehemann Heinrich glaubte dasselbe und Victor ebenfalls, obwohl beide derartige Behauptungen natürlich bestritten hätten.
Adamas adamantes - der Stein, der ihr Schicksal war. Der ihr gesamtes Leben beherrschte.
Ich bin dreiundfünfzig, dachte sie trotzig und schaute dabei in den Spiegel. Es musste noch ein Leben jenseits dieses Steins geben, und sie war gewillt, ein solches zu entdecken.
Nach dem Jubiläum, dachte sie. Danach werde ich es angehen.
Das Telefon auf dem Nachttisch läutete, und Zita war sicher, dass es wieder einmal ihr Sohn Ludwig sein würde, der mit ihr über den Fortschritt seiner Musicalkomposition sprechen wollte. Ludwig war - außer ihr - der einzige Frühaufsteher in der Familie, und so zeitig am Morgen war er sich der Aufmerksamkeit seiner Mutter am sichersten.
Zita hob den Hörer ab. »Assmann«, sagte sie und überlegte dabei, ob sie Ludwig zu einem kleinen Lunch einladen sollte, nachdem Heinrich heute auswärtige Termine wahrnehmen musste und über Mittag nicht anwesend sein würde.
Es war allerdings nicht Ludwig, der sie an diesem frühen Morgen anrief.
Es war der Atmer.
»Hallo«, sagte Zita und danach noch einmal, drängend: »Bitte, melden Sie sich endlich, und sagen Sie mir, weshalb Sie mich ständig belästigen!«
Doch wie immer in den letzten zwei Monaten, in denen es mehrere solcher Anrufe gegeben hatte - allerdings noch nie zu so früher Morgenstunde -, reagierte der oder die Unbekannte nicht. Zita konzentrierte sich darauf, dem Atmen etwas entnehmen zu können, das ihr vielleicht bekannt vorkäme, doch es gelang ihr auch dieses Mal nicht. Schließlich legte sie wieder auf.
Sie starrte auf den hellgrauen Telefonapparat, und dann kam die Angst wieder, die sich seit dem ersten dieser anonymen Anrufe ständig gesteigert hatte. Zita spürte sie körperlich, sie konnte sie beinahe greifen, diese dunkle Wolke, die sich ihr und ihrer Familie näherte und Unglück über sie bringen würde, das spürte sie mit jeder Faser ihres intuitiv begabten Wesens, das sie wohl von ihrer brasilianischen Mutter geerbt hatte. Sie hockte sich auf die Bettkante und versuchte, sich wieder zu beruhigen, sagte sich, diese Bedrückungen seien vermutlich Erscheinungen der Wechseljahre. Doch nein: Die Anrufe waren schließlich real und keine Einbildung, und wer so viel Zeit auf etwas verwendete, verfolgte irgendeine, wie auch immer geartete Absicht. Feine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, und sie beschloss, demnächst einmal mit Georg darüber zu sprechen. Georg war der Vernünftigste in der Familie und würde sie ihrer Ängste wegen nicht verspotten, sondern etwas unternehmen.
Nach dem Jubiläum, dachte Zita Assmann ein zweites Mal an diesem Morgen, und allein die gefasste Absicht hob ihre Stimmung wieder an.
2
Petra Eiler saß, ein hellgrünes Gummibärchen zwischen die Zähne geklemmt, vor ihrem Laptop und schrieb den Satz zu Ende, den Jakob Feldmann beim Interview eigentlich nicht hatte sagen wollen. Der Inhalt dieses Satzes war aufschlussreich und warf ein besonderes Licht auf seine Person, beleuchtete die Denkstrukturen dieses Geldmenschen auf ganz spezielle Weise.
Der Artikel würde Aufsehen erregen. Er würde auch ihre eigene Position als begabte Interviewerin festigen, würde ihr Respekt einbringen und sie ein paar Treppenstufen weiter nach oben befördern. Ihr Ziel war es, baldmöglichst zu dem großen Nachrichtenmagazin zu wechseln, das ebenfalls zur Familie des Verlags gehörte, der auch Lady herausbrachte.
Petra erlaubte sich eine kleine Pause und lutschte das Gummibärchen zu Ende.
Ihr Konsum dieser klebrigen Süßigkeiten war gewaltig gestiegen, seitdem sie sich vor einem Jahr um Mitternacht, zu Beginn ihres dreißigsten Lebensjahrs, das Rauchen abgewöhnt hatte.
Anfangs war es nur Ersatz und Ablenkung gewesen, inzwischen hatte sich der Verzehr zu einer regelrechten Manie entwickelt. Ein Tick, der ihr sogar ihren Spitznamen in der Redaktion eingetragen hatte.
Bärchen.
Er war nett und bewies die Sympathie, die ihr die Kollegen entgegenbrachten, allerdings war er total unangemessen. Nichts an ihr war knuddelig, rund oder plüschig. Und gegen Verkleinerungsformen war Petra ausgesprochen allergisch. Die nämlich trafen ins Herz. Mit ihren 1,63 Meter und ihrer zierlichen Figur wurde sie nicht selten als »Frauchen« betrachtet - und auch so behandelt.
Nicht nur von Männern, sondern leider auch von Kolleginnen wie Liane Dierolf, ihrer Chefredakteurin. Einer Frau, die gut zwanzig Zentimeter größer war als sie selbst, niemals ohne High Heels erschien und zudem ihren doppelten Doktortitel vorführte wie die Damen in Ascot die Hüte.
Nicht etwa, dass Petra neidisch war.
Liane hatte einfach andere Voraussetzungen gehabt: Ihr Vater war im diplomatischen Dienst gewesen, und Liane war von Sprachen befallen worden wie andere Kinder von Masern, Scharlach oder Windpocken. Ihre Schulfreunde in den internationalen Schulen verschiedener Länder - insgesamt elf an der Zahl, wie sie bei einer Redaktionsfeier einmal berichtet hatte - waren die Kinder der globalen Elite. Das Netzwerk dieser Leute hatte ihr rasch die Führungsposition der Frauenzeitschrift eingebracht, für die Petra arbeitete, doch die Wahrheit war, dass Liane tüchtig war und dies absolut verdiente.
Die Wahrheit war aber auch, dass Lianes Führungsstil erheblich zu wünschen übrig ließ, und dies lag weder an der Körpergröße noch an ihren unbestreitbaren Fähigkeiten, sondern an einem miesen Charakter. Wenn sie gut gelaunt war, versäumte sie nie, die Kollegen darauf hinzuweisen, dass Petra ein »Nudelabitur« an einem hauswirtschaftlichen Gymnasium gemacht, leider nur die Journalistenschule besucht und kein Vollstudium absolviert hatte. Weshalb es ihr am »philosophischen Hintergrund« fehle.
Einmal war Petra die Häme dann doch zu weit gegangen, und sie hatte sich erlaubt anzumerken, dass sie ihre Ausbildung und ihren Job ganz und gar sich selbst zu verdanken habe. Sie habe ihr eigenes Geld verdient, seitdem sie vierzehn Jahre alt gewesen sei, indem sie Zeitungen ausgetragen, Rasen gemäht, in Seniorenheimen ausgeholfen und später gekellnert hatte. Und sie halte dies für einen alternativen, aber wertvollen »philosophischen Hintergrund«. Außerdem sei sie nie, niemals von jemandem protegiert worden.
Die Tatsache, dass sie bei einer Großtante aufgewachsen war, weil ihre Eltern bei der Explosion einer defekten Gasleitung umgekommen waren, erwähnte sie nicht. Wer spricht schon von so etwas?
Die Kollegen hatten ihr reichlich Beifall gespendet, und Liane war ein einziges Mal in den zwei Jahren, seitdem Petra Redaktionsmitglied war, bei einer Konferenz länger als zwei Minuten still gewesen. Natürlich war klar, dass sich eine solche Szene nicht wiederholen durfte. Liane war nicht direkt nachtragend, aber allzu sehr reizen durfte sie niemand.
Petra seufzte, und in diesem Moment klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.
Wenn man an den Teufel denkt, ging es ihr durch den Sinn, als sie die helle, schneidende Stimme ihrer Chefin hörte. Was auch immer sie sagte, es klang stets nach Abmahnung.
»Mach mal Tempo mit Feldmann«, verlangte sie dieses Mal. »Ich hab was Neues für dich - und es eilt!«
Es eilte immer, wenn Liane ein Telefon zur Hand nahm.
»Und worum handelt es sich?«, fragte Petra und versuchte, ihren Unwillen nicht durchklingen zu lassen. Immerhin hatte sie Feldmanns Geldturm gerade mal vor zwei Stunden verlassen.
»Die Assmanns haben hundertjähriges Jubiläum. Ich denke, es ist eine gute Idee, wenn wir dazu ein Interview mit dem Firmenchef bringen. Schließlich sind wir eine Frauenzeitschrift und: ›Diamonds are a girls best friends‹, you know!«
Petra war in Wiesbaden aufgewachsen, und es war unmöglich, in Wiesbaden zu wohnen und noch nie von den Assmanns gehört zu haben. ASSMANN stand für Edelsteine wie Maggi oder Knorr für Suppen und Müller für Milch und Joghurt.
Petra war Heinrich Assmann, dem Firmenchef, schon mehrmals begegnet. Er war ein Mann wie ein Baum, mit dem Körper eines Ringers, gute 1,90 Meter groß, um die siebzig, mit einem fotogenen schneeweißen Schopf, und soweit sie wusste, hatte er noch nie einen Reporter empfangen.
Eine ganze Anzahl von Anekdoten rankten sich allerdings um sein cholerisches Temperament. Besonders bekannt war die Episode, als er einen allzu nervigen Steuerprüfer geohrfeigt hatte. Es war nach einer förmlichen Entschuldigung Assmanns bei dem Beamten sowie einer Spende für den Personalrat der Behörde zu keiner Anzeige gekommen, aber es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass die Frau des Prüfers bald danach mit einer beeindruckenden Brillantbrosche geschmückt war. Ein Geburtstagsgeschenk ihres Vaters und ganz legal erworben, wie die Dame gerne und eifrig erzählte, was allerdings auch nichts half.
Auf jeden Fall war dieses neue Interview reizvoll und würde bestimmt etwas hergeben. Und anders als der Großbanker wäre der Edelsteinkönig wohl rasch aus seiner Reserve zu locken.
Liane hatte inzwischen ununterbrochen weitergeredet, aber im Filter von Petras Kopf war nichts hängen geblieben, was merkenswert schien.
»Alles klar, Liane«, sagte sie deshalb, als ihre Chefin zwischendurch einmal Luft holte. »Ich bin praktisch schon dort!«
Dort war in Idar-Oberstein, wo sich die deutsche Niederlassung des Assmann-Konzerns befand. Etwa eine Autostunde von Frankfurt entfernt.
»Du beabsichtigst doch nicht etwa, auf gut Glück dorthin zu fahren?«, erkundigte sich Liane ätzend.
»Natürlich mach ich das«, erwiderte Petra zuckersüß. »Heinrich Assmann ist mein Patenonkel. Der schließt mich mit Freuden in die Arme, wann immer ich auftauche, mit oder ohne Termin!«
Einen Moment lang war es still am anderen Ende der Leitung.
Petra grinste und sagte dann rasch: »Du, entschuldige, Liane, aber ich sehe gerade, dass Feldmann mich auf dem Handy anruft!«
»Dann nimm ab, verdammt noch mal«, zischte Liane und legte auf.
Die denkt jetzt den restlichen Tag darüber nach, ob das mit dem Paten Spaß war oder nicht, dachte Petra genüsslich. Denn genau das war die Schwäche der toughen Liane: einen Scherz nicht sofort als solchen erkennen zu können, gepaart mit mangelnder Schlagfertigkeit. Da halfen auch vier flüssig gesprochene Fremdsprachen und zwei Doktortitel nichts. Immerhin war die Frau sich ihrer Mängel bewusst, weshalb sie es bisher beharrlich abgelehnt hatte, in Talkshows aufzutreten - oder gar eine solche als Moderatorin zu übernehmen. Und Angebote dafür hatte es durchaus gegeben, wie Petra wusste.
Egal. Sie schob Liane auf ihre innere Warteschleife und griff erneut nach dem Telefonhörer, um Assmanns Diamanthandel und -schleiferei in Idar-Oberstein anzurufen.
© der Originalausgabe 2011 by Barbara Piazza
und Limes Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Barbara Piazza
Barbara Piazza wurde 1945 in Eislingen/Fils geboren. Nach einer Verwaltungsausbildung hat sie über viele Jahre erfolgreich als Drehbuchautorin für viele Fernsehfilme und Serien gearbeitet. Barbara Piazza ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Oberschwaben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Piazza
- 2011, 511 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Limes
- ISBN-10: 3809025941
- ISBN-13: 9783809025948
Rezension zu „Die Tränen der Götter “
"Die Tränen der Götter ist erst der zweite Roman von Barbara Piazza. Und dennoch merkt man ihr an, dass sie eine sehr erfahrene Autorin ist.
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