Die Tudors, Heinrich VIII. und seine Frauen
Mit gerade einmal 18 Jahren bestieg er den englischen Thron und wurde zum mächtigsten Mann seiner Zeit: Heinrich VIII. attraktiv, arrogant und machtbesessen. Ein Tyrann, der auf der Suche nach einer Ehefrau, die ihm den ersehnten Thronfolger schenkt, sechs Ehefrauen und mindestens ebenso viele Geliebte verschliss. Und der trotz privater Turbulenzen nicht nur die Geschicke der römisch-katholischen Kirche, sondern auch die Europas mit einem Handstreich entschied.
Die Tudors von Anne Gracie
LESEPROBE
Whitehall-Palast, London
»Es ist Krieg, haben Sie schon gehört?«
Thomas Tallis hob den Blick. Der Mann sprach wirklich zu ihm. »Nein, das habe ich noch nicht gehört.« Er hatte gerade über eine Melodie zu einem Stück nachgedacht, das ihm zu komponieren vorschwebte.
»Die Franzosen - sie haben den Herzog von Devon ermordet.«
»Oh.« Tallis blickte sich erschrocken um.
»Nicht hier, Mann. In Italien.«
»Ah.« Er nickte, noch immer ratlos.
»Sie haben den Herzog von Devon ermordet, den englischen Botschafter, Edward Courtenay - den Onkel des Königs! Kaltblütig und am helllichten
»Oh.« Tallis war jetzt ganz bei der Sache.
»Der König wird sich das nicht gefallen lassen. Es wird zum Krieg kommen! Das bedeutet, dass ich meine Petition niemals werde vorbringen können.«
Tallis hatte Mitleid mit dem Mann. Klatsch und Tratsch war alles, was den Bittstellern und Wartenden blieb ... nur Meldungen und Gerüchte vom Hofe, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen wurden.
»Wir armen Leute müssen die Nähe der großen Männer suchen«, hatte ein älterer Bittsteller ihm einmal gesagt, als Tallis zum ersten Mal bei Hof erschienen war. »Es ist unser Schicksal, genauso wie es das Schicksal der Motte ist, das Licht zu suchen.« Der Mann hatte ihm auf den Arm geklopft. »Aber wie für die Motte, junger Herr Tallis, gilt auch für uns: Wenn wir dem Licht zu nahe kommen, riskieren wir, dass wir uns die Flügel verbrennen.«
Tallis hatte die Worte des Mannes damals für sehr klug gehalten. Derzeit aber war seine Sorge weniger, dem Licht zu nahe zu kommen. Er hatte Hunger. Ordentliche Mahlzeiten gab es nur bei Hof. Die Bittsteller aßen das, was übrig blieb, und weil Thomas nicht besonders geschickt darin war, rechtzeitig zur Essensausgabe zu erscheinen, ging er oftmals leer aus.
Auch war er nicht besonders geschickt darin, die Aufmerksamkeit von Mr. Pace, dem Sekretär des Königs, auf sich zu ziehen. Tallis griff in sein Wams und hörte das Knistern des Empfehlungsschreibens, das er vom Dekan erhalten hatte. Sollte es wirklich Krieg gehen, würde ihm, dem unbedeutenden Musiker, aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin kein Gehör mehr geschenkt.
Die Tür neben ihm öffnete sich einen Spaltbreit, und Tallis hörte eine Stimme sagen: »Seine Majestät möchte, dass die Ratsversammlung heute Nachmittag nur kurz tagt, weil er sich zum Tennisspiel verabredet hat.« Es war Richard Pace, der Privatsekretär des Königs. Tallis beugte sich etwas vor.
»Wo ist der König denn?«
»In seinem Haus in Jericho«, antwortete Mr. Pace.
Tallis vernahm einen abfälligen Zischlaut, und dann: »Wie geht es ihm?«
»In Bezug auf ...?«
»In Bezug auf Italien. Was die Franzosen in Italien anstellen. Was sollte es sonst für einen Bezug geben?«, fragte der ältere Mann mit kaum gezügelter Ungeduld.
»Seine Majestät rät zu Geduld.«
»Ja, aber Sie sind sein Sekretär und sehen ihn täglich.«
»Er ist schier verrückt vor Kummer. Untröstlich.« Es entstand eine kurze Pause. »Schließlich haben sie seinen Onkel ermordet.« Die Türen öffneten sich.
»Da ist er!«, zischte es durch die Menge, als die große, selbstbewusste Gestalt von Richard Pace, dem Sekretär Seiner Majestät Heinrichs VIII., erschien. Hinter ihm stand ein älterer Mann, der vergleichsweise schlicht und in Schwarz gekleidet war. Es war der berühmte Humanist Thomas More, einer der dienstältesten Berater des Königs.
Für einen flüchtigen, hoffnungsvollen Augenblick gelang es Tallis, Paces Aufmerksamkeit zu erlangen. Er hielt die Empfehlungsschreiben fest umklammert, aber schon stürzten die lautstarken Bittsteller sich nach vorne, und Tallis und der Augenblick verloren sich in der Menge.
»Sir, Sir! Sir«, riefen die Männer und schwenkten ihre Papiere, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber Richard Pace gelang es mühelos, zu entschlüpfen und in den Privatgemächern des Königs zu verschwinden. Die königlichen Leibgardisten, mit langen Streitäxten bewaffnet, schlugen die Eichentüren hinter ihm zu.
Tallis knurrte der Magen.
»Mylords.« Henry, König von England, sprach in seinen Privatgemächern zu dem guten Dutzend Mitglieder seines Rates. »Wir sind zusammengekommen, um äußerst wichtige Fragen zu besprechen.«
Die Ratsmitglieder standen im Halbkreis um den sitzenden König herum - die Lords von England, die adeligen Oberhäupter der reichsten Familien im Königreich.
Neben dem König stand Kardinal Wolsey und beobachtete aufmerksam, was um ihn herum vor sich ging. Wissen war Macht. Wolsey entstammte zwar keiner Adelsfamilie - obschon niemand wagte, ihm das ins Gesicht zu sagen -, er war der Nachkomme eines Viehhändlers und Schlachters. Und doch gehörte er inzwischen zu den reichsten und mächtigsten Männern im ganzen Land. Das hatte er aus eigener Kraft geschafft.
Der König fuhr fort: »Der König von Frankreich hat der Welt gezeigt, zu welch aggressiver Politik er fähig ist. Seine Streitkräfte sind bereits in fünf oder sechs italienische Stadtstaaten eingefallen. Er ist eine Bedrohung für ein jedes christliche Land in Europa - und der Papst ist derart eingeschüchtert, dass er ihn nichtsdestotrotz zum Verteidiger des Glaubens erklärt!« Er machte eine Pause, damit die Anwesenden seine Worte verdauen konnten.
»Um überdies zu beweisen, dass niemand ihn angreifen kann, hat er unseren Botschafter in Urbino - meinen Onkel! - kaltblütig ermorden lassen.«
Die versammelten Männer nickten einvernehmlich. »Mylords, meiner Meinung nach sind all diese Taten
Grund genug, ihm den Krieg zu erklären«, schloss Henry. »Jawohl«, kam es einhellig zurück.
»Vollkommen richtig!«
»Es gibt mehr als genug Gründe, die das rechtfertigen, Majestät!«
Der König wandte sich an den Herzog von Buckingham, der nicht in den zustimmenden Reigen der anderen eingefallen war. »Buckingham, wie ist Ihre Meinung in dieser Angelegenheit?«
Wenn irgendjemand wie der Sohn eines Schlachters aussah, dachte Wolsey, dann war es Englands höchstrangiger Adeliger, Buckingham, mit seinem fetten roten Gesicht - Buckingham, dessen Anspruch auf den Thron aufgrund seiner Abstammung sogar größer war als der des Königs.
Wolsey beäugte Buckinghams protzige Kleidung. Ein Gewand zu tragen, das so viel prachtvoller und mit mehr Juwelen geschmückt war als das des Königs, war wirklich töricht. Henry war es gewohnt, anderen überlegen zu sein.
In allen Dingen. Aber Seine Hoheit, der I Herzog von Buckingham, gleichermaßen, schoss es Wolsey durch den Kopf.
Nach einigem Zögern sagte Buckingham schließlich: »Euer Majestät hat sicherlich jeden Grund, einen Krieg zu beginnen. Ich habe Sie schon vor einem Jahr vor den Bestrebungen Frankreichs gewarnt - obwohl es erst dieser persönlichen Tragödie bedurfte, damit Euer Majestät meinen Rat akzeptiert!«
Angesichts dieser offenen Kritik runzelte Henry irritiert die Stirn. Er wandte sich an einen weiteren vertrauten Berater, den I Herzog von Norfolk und Oberhaupt der einflussreichen Howard-Familie. »Norfolk? Was meinen Sie?«
Norfolk nickte begeistert. »Ich stimme Euer Majestät vollkommen zu. Wir sollten Frankreich mit unserer ganzen Macht angreifen. Der König von England hat einen historischen Anspruch auf den französischen Thron, den derzeit die Valois besetzen. Es wird Zeit, dass wir sie vom Thron verdrängen!«
Gelächter entstand, und weitere Ratsmitglieder nickten zustimmend. Zufrieden blickte Henry von einem Ratsmitglied zum anderen. Dann blieb sein Blick bei Thomas More hängen, der sich gerade eine Notiz machte. Oder vielleicht nur so tat, dachte Wolsey.
Der König unterbrach seine Gedanken: »Und was meinen Sie, Wolsey?«
»Ich stimme Euer Majestät zu. Es bestehen berechtigte Gründe für einen Krieg.«
Der König lächelte und klatschte in die Hände. »Gut! Es ist also besiegelt. Wir werden in den Krieg mit Frankreich ziehen. Eure Eminenz wird alles Weitere veranlassen.«
Wolsey neigte den Kopf. »Majestät.« (…)
© Blanvalet Verlag
Übersetzung: Marion Gieseke
- Autor: Anne Gracie
- 2008, 383 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Gieseke, Marion
- Übersetzer: Marion Gieseke
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442370582
- ISBN-13: 9783442370580
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