Die Vier
Eine Intrige
Keine politische Affäre der letzten zwanzig Jahre hat so viel Aufsehen erregt wie der Fall jener vier hessischen Landtagsabgeordneten, die sich im November 2008 weigerten, ihre eigene Parteivorsitzende zur Ministerpräsidentin zu wählen. Diese Geschichte,...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Taschenbuch
19.90 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Vier “
Klappentext zu „Die Vier “
Keine politische Affäre der letzten zwanzig Jahre hat so viel Aufsehen erregt wie der Fall jener vier hessischen Landtagsabgeordneten, die sich im November 2008 weigerten, ihre eigene Parteivorsitzende zur Ministerpräsidentin zu wählen. Diese Geschichte, die wie keine zweite die innere Zerrissenheit der SPD offenbart, beschäftigt die Öffentlichkeit bis heute.Wer sind die Vier?
Was trieb sie an?
Dieses Buch enthüllt ein Geheimnis.
Lese-Probe zu „Die Vier “
DIE VIER von Volker Zastrow 1.Im Hotel
Ypsilanti wählen, Ypsilanti nicht wählen?
Roland Koch hatte gepackt. Nach bald zehn Jahren im Amt, die letzten sieben Monate nur mehr als geschäftsführender Ministerpräsident einer Regierung ohne parlamentarische Mehrheit, machte er sich bereit, beiseitezutreten für Andrea Ypsilanti. In Kochs Amtsräumen in der neuen Staatskanzlei in Wiesbaden waren Schubladen und Regale schon ausgeräumt, stapelten sich braune Umzugskartons. Nicht anders bei Regierungssprecher Dirk Metz, Kochs langjährigem Vertrauten. Wenn die sozialdemokratische Parteichefin am morgigen Dienstag im Landtag gewählt werden würde, wollte man imstande sein, den Zauberberg zügig zu räumen. Jedenfalls sollte es so aussehen.
... mehr
Das gewaltige Gründerzeitgebäude hat beinah die Anmutung eines Schlosses. Einst das Hotel Rose, war es aus der Konkursmasse des Frankfurter Baulöwen Schneider an das Land Hessen gegangen und hatte trotz vorzüglicher Lage mitten in der Landeshauptstadt lange Zeit leer gestanden, bis die Koch-Regierung es Anfang des neuen Jahrtausends elegant modernisieren ließ. 2004 war dann der zuvor auf mehrere Lie- 16 genschaften verteilte Verwaltungsapparat des Ministerpräsidenten dort eingezogen. Und wie bei jedem Hotel heißt es irgendwann wieder ausziehen; das Vorgespräch mit Andrea Ypsilanti für den Regierungswechsel hatte bereits stattgefunden. Auch Ypsilantis Superschattenminister Hermann Scheer war schon in der vermeintlichen Stätte seines künftigen Wirkens aufgekreuzt, dem Wirtschaftsministerium. Der neobarocke Bau mit der eindrucksvollen Fassade beherbergte einst den kommunalen Landtag der preußischen Provinz Hessen- Nassau. Auch dieses Gebäude ist imposant, es spiegelt wider, dass der hessische Wirtschaftsminister etwas zu sagen hat. Andrea Ypsilanti wollte seine Kompetenzen ursprünglich noch um den Umweltschutz erweitern, genau wie Scheer es sich gewünscht hatte. Das aber ließen die Grünen nicht zu, die das Umweltressort für ihren Vorsitzenden Tarek Al-Wazir verlangten. Am Ende sollte das Ministerium auf Scheer neu zugeschnitten werden, die Verkehrspolitik verlieren, aber um jene umfassenden Zuständigkeiten erweitert werden, mit denen die angestrebte «Energiewende» in Hessen verwirklicht werden konnte. Damit wäre, trotz aller Einschränkungen, so etwas wie eine planwirtschaftliche Kommandobrücke entstanden, und dieses Superministerium sollte der Mann, der schon Ypsilantis Wahlprogramm maßgeblich bestimmt hatte, in die Hände bekommen. Am Freitag hatte Scheer seine neue Unterkunft am Kaiser-Friedrich-Ring aufgesucht und besichtigt. Er entdeckte ein Nebenzimmer, das er sich zum Ruheraum ausgestalten lassen wollte, und fällte auch gleich die ersten Grundsatzentscheidungen für den Einbau einer Solardusche gleich nebenan. Die Pläne waren am Freitag nicht zur Hand, also hatte er sie sich für diesen Montag bestellt und sollte sie gegen Mittag erhalten.
Ein Tag noch.
Am Wochenende allerdings hatte in den Zeitungen gestan- 17 den, dass Ypsilantis größter Konkurrent in der eigenen Partei, ihr Stellvertreter Jürgen Walter, den Koalitionsvertrag mit den Grünen nun doch ablehnte. Das hatte er den Delegierten am Samstag auf einem Sonderparteitag in Fulda erläutert. Seine vorherige Ankündigung, Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen, hatte er dennoch nicht zurückgenommen. Er wurde danach gefragt, gab aber ausweichende Antworten – und damit ein Bild merkwürdiger Unschlüssigkeit. Wenn die Folgen einer rotgrünen Regierung für die Wirtschaft in Hessen wirklich so verheerend sein würden, wie Walter es auf dem Parteitag dargestellt hatte, wie konnte er dieser Regierung dann in den Sattel helfen? Darüber rätselten viele.
Der Herr, der an diesem Montagvormittag den Vorraum einer Sparkassenfiliale in Wiesbaden betrat, staunte daher nicht schlecht, als er dort an einem Geldautomaten ausgerechnet den Mann erkannte, von dem am Wochenende so viel die Rede gewesen war – auch wenn er etwas jungenhafter aussah als im Fernsehen. Er sprach ihn an: «Sie sind doch Jürgen Walter, der SPD-Politiker?» Walter bejahte, und der Mann sagte: «Ich teile ja Ihre Kritik. Aber morgen: Sie dürfen die Ypsilanti nicht wählen. Das würde unserem Land schaden.» Walter dachte: «Wenn du wüsstest .. .» Er antwortete ausweichend. Er konnte einem Fremden nicht auf die Nase binden, dass er Ypsilanti nicht wählen würde.
Aber sein Entschluss stand fest, und ihm war zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass die Landtagssitzung am nächsten Tag gar nicht mehr stattfinden würde. Bald würde das ganz Deutschland wissen, sicher auch dieser freundliche, besorgte Sparkassenkunde; jetzt aber musste Walter noch eine Weile schweigen. Drei Stunden, die sich anfühlten wie sechs. Von der Sparkasse war es nicht mehr weit zum Dorint Hotel. Walter ging zu Fuß, er hatte den Wagen am Bahnhof abgestellt. Er machte sich Sorgen, ob er nach der Pressekonferenz 18 mit seinem schwarzen Fünfer BMW mit Friedberger Kennzeichen heil davonkommen würde. Es war schon zehn vorbei, als er schließlich in der Auguste-Viktoria-Straße durch die Drehtür ins Hotelfoyer trat.
Niemand nahm groß Notiz davon.
Zum selben Zeitpunkt trat in Berlin das SPD-Präsidium unter dem Vorsitz von Franz Müntefering zusammen. Auf der Tagesordnung stand die Finanzmarktkrise mit ihren allwöchentlichen Hiobsbotschaften – Münteferings 2005 gebrauchtes Wort von den «Heuschrecken» hatte dadurch unliebsame Anschaulichkeit gewonnen. Im Präsidium wollten die Genossen darüber diskutieren, wie man einen Schutzschirm über die deutschen Arbeitsplätze spannen könnte. Da kam, etwa eine Viertelstunde vor Beginn der Sitzung, der Hinweis, dass in Hessen wieder irgendetwas passierte. Wie damals im März. Ypsilantis zweiter Anlauf würde ebenfalls scheitern, wie es sich anhörte.
Drei Frauen
Der Novembertag hatte kühl und klar begonnen. Im Lauf des Vormittags, hieß es, sollten die Temperaturen in Wiesbaden an diesem Montag auf zwölf Grad ansteigen. Carmen Everts stand in ihrer Neubauwohnung im südhessischen Erfelden vor dem Spiegel und machte sich für den mutmaßlich größten Auftritt ihres bisherigen Lebens zurecht. Nein: ohne jeden Zweifel für den größten Auftritt ihres Lebens. Nicht dass sie sich darauf freute. Aber Angst hatte sie seltsamerweise auch nicht.
Im Fernsehen möchte man gut aussehen – schon gar in einem Zeitalter, in dem sogar Bundeskanzler vor Gericht erstreiten, dass ihre Schläfen nicht mehr grau sind. Aber so ein- 19 fach war das an diesem Morgen nicht. Hinter Carmen Everts lagen harte Wochen und ein noch härteres Wochenende. Sie hatte in letzter Zeit ungeheuer abgenommen, was ja zunächst erfreulich sein mochte. Aber jetzt hatte sie seit Tagen Magenprobleme.
Sie war sehr blass. Die Haut ihrer Unterarme und Hände war heller als das Gesicht, fast so weiß wie Schnee. Everts hatte sich schön zurechtgemacht. Sie pflegte Kleidung, Schmuck und Make-up mit Sorgfalt aufeinander abzustimmen. An diesem Montag trug sie ein kurzes schwarzes Etuikleid und darunter eine grüne Bluse, am Hals eine Kette aus verschieden grünen Steinen und Ohrstecker mit dunkelgrünen, sattleuchtenden Kristallen. Zusammen mit dem kurzen roten Haar, dem Lippenstift und der natürlichen Blässe ihres schmalen Gesichts schuf das einen hübschen Kontrast. Doch beim Blick in den Spiegel bewegte sie ein anderer Gedanke – ein Gedanke wie ein Gefäß, in das die Hoffnungen und Sorgen dieses Morgens immer wieder strömten: als sie die Wohnung aufräumte, in der alles so vertraut war, als sie den Koffer für ihre Reise in die Schweiz packte, als sie den Arztbrief des Internisten aus Biedenkopf bereitlegte, um ihn anschließend in ihrer Hausarztpraxis abzugeben und die Überweisungen abzuholen, und auch jetzt, beim Blick in den Spiegel: Ihre Welt würde nicht mehr dieselbe sein, wenn sie hierher zurückkehrte. Das ging ihr an diesem Morgen unzählige Male durch den Kopf.
1. Auflage August 2009
Copyright © 2009 by Rowohlt · BerlinVerlag GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehalten
Schrift aus der Caecila und Strada PostScript
Gesamtherstellung CPI – Clausen & Bosse, LeckPrinted in GermanyISBN 978 3 87134 659 0
Ein Tag noch.
Am Wochenende allerdings hatte in den Zeitungen gestan- 17 den, dass Ypsilantis größter Konkurrent in der eigenen Partei, ihr Stellvertreter Jürgen Walter, den Koalitionsvertrag mit den Grünen nun doch ablehnte. Das hatte er den Delegierten am Samstag auf einem Sonderparteitag in Fulda erläutert. Seine vorherige Ankündigung, Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen, hatte er dennoch nicht zurückgenommen. Er wurde danach gefragt, gab aber ausweichende Antworten – und damit ein Bild merkwürdiger Unschlüssigkeit. Wenn die Folgen einer rotgrünen Regierung für die Wirtschaft in Hessen wirklich so verheerend sein würden, wie Walter es auf dem Parteitag dargestellt hatte, wie konnte er dieser Regierung dann in den Sattel helfen? Darüber rätselten viele.
Der Herr, der an diesem Montagvormittag den Vorraum einer Sparkassenfiliale in Wiesbaden betrat, staunte daher nicht schlecht, als er dort an einem Geldautomaten ausgerechnet den Mann erkannte, von dem am Wochenende so viel die Rede gewesen war – auch wenn er etwas jungenhafter aussah als im Fernsehen. Er sprach ihn an: «Sie sind doch Jürgen Walter, der SPD-Politiker?» Walter bejahte, und der Mann sagte: «Ich teile ja Ihre Kritik. Aber morgen: Sie dürfen die Ypsilanti nicht wählen. Das würde unserem Land schaden.» Walter dachte: «Wenn du wüsstest .. .» Er antwortete ausweichend. Er konnte einem Fremden nicht auf die Nase binden, dass er Ypsilanti nicht wählen würde.
Aber sein Entschluss stand fest, und ihm war zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass die Landtagssitzung am nächsten Tag gar nicht mehr stattfinden würde. Bald würde das ganz Deutschland wissen, sicher auch dieser freundliche, besorgte Sparkassenkunde; jetzt aber musste Walter noch eine Weile schweigen. Drei Stunden, die sich anfühlten wie sechs. Von der Sparkasse war es nicht mehr weit zum Dorint Hotel. Walter ging zu Fuß, er hatte den Wagen am Bahnhof abgestellt. Er machte sich Sorgen, ob er nach der Pressekonferenz 18 mit seinem schwarzen Fünfer BMW mit Friedberger Kennzeichen heil davonkommen würde. Es war schon zehn vorbei, als er schließlich in der Auguste-Viktoria-Straße durch die Drehtür ins Hotelfoyer trat.
Niemand nahm groß Notiz davon.
Zum selben Zeitpunkt trat in Berlin das SPD-Präsidium unter dem Vorsitz von Franz Müntefering zusammen. Auf der Tagesordnung stand die Finanzmarktkrise mit ihren allwöchentlichen Hiobsbotschaften – Münteferings 2005 gebrauchtes Wort von den «Heuschrecken» hatte dadurch unliebsame Anschaulichkeit gewonnen. Im Präsidium wollten die Genossen darüber diskutieren, wie man einen Schutzschirm über die deutschen Arbeitsplätze spannen könnte. Da kam, etwa eine Viertelstunde vor Beginn der Sitzung, der Hinweis, dass in Hessen wieder irgendetwas passierte. Wie damals im März. Ypsilantis zweiter Anlauf würde ebenfalls scheitern, wie es sich anhörte.
Drei Frauen
Der Novembertag hatte kühl und klar begonnen. Im Lauf des Vormittags, hieß es, sollten die Temperaturen in Wiesbaden an diesem Montag auf zwölf Grad ansteigen. Carmen Everts stand in ihrer Neubauwohnung im südhessischen Erfelden vor dem Spiegel und machte sich für den mutmaßlich größten Auftritt ihres bisherigen Lebens zurecht. Nein: ohne jeden Zweifel für den größten Auftritt ihres Lebens. Nicht dass sie sich darauf freute. Aber Angst hatte sie seltsamerweise auch nicht.
Im Fernsehen möchte man gut aussehen – schon gar in einem Zeitalter, in dem sogar Bundeskanzler vor Gericht erstreiten, dass ihre Schläfen nicht mehr grau sind. Aber so ein- 19 fach war das an diesem Morgen nicht. Hinter Carmen Everts lagen harte Wochen und ein noch härteres Wochenende. Sie hatte in letzter Zeit ungeheuer abgenommen, was ja zunächst erfreulich sein mochte. Aber jetzt hatte sie seit Tagen Magenprobleme.
Sie war sehr blass. Die Haut ihrer Unterarme und Hände war heller als das Gesicht, fast so weiß wie Schnee. Everts hatte sich schön zurechtgemacht. Sie pflegte Kleidung, Schmuck und Make-up mit Sorgfalt aufeinander abzustimmen. An diesem Montag trug sie ein kurzes schwarzes Etuikleid und darunter eine grüne Bluse, am Hals eine Kette aus verschieden grünen Steinen und Ohrstecker mit dunkelgrünen, sattleuchtenden Kristallen. Zusammen mit dem kurzen roten Haar, dem Lippenstift und der natürlichen Blässe ihres schmalen Gesichts schuf das einen hübschen Kontrast. Doch beim Blick in den Spiegel bewegte sie ein anderer Gedanke – ein Gedanke wie ein Gefäß, in das die Hoffnungen und Sorgen dieses Morgens immer wieder strömten: als sie die Wohnung aufräumte, in der alles so vertraut war, als sie den Koffer für ihre Reise in die Schweiz packte, als sie den Arztbrief des Internisten aus Biedenkopf bereitlegte, um ihn anschließend in ihrer Hausarztpraxis abzugeben und die Überweisungen abzuholen, und auch jetzt, beim Blick in den Spiegel: Ihre Welt würde nicht mehr dieselbe sein, wenn sie hierher zurückkehrte. Das ging ihr an diesem Morgen unzählige Male durch den Kopf.
1. Auflage August 2009
Copyright © 2009 by Rowohlt · BerlinVerlag GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehalten
Schrift aus der Caecila und Strada PostScript
Gesamtherstellung CPI – Clausen & Bosse, LeckPrinted in GermanyISBN 978 3 87134 659 0
... weniger
Autoren-Porträt von Volker Zastrow
Volker Zastrow, geboren 1958, hat Geschichte in Berlin studiert. Seit 1990 arbeitet er als politischer Redakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", ab 2000 war er verantwortlich für das Ressort "Die Gegenwart". Seit 2006 ist er Politikchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Bibliographische Angaben
- Autor: Volker Zastrow
- 2009, 2. Aufl., 416 Seiten, Maße: 14 x 21,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871346594
- ISBN-13: 9783871346590
- Erscheinungsdatum: 11.08.2009
Rezension zu „Die Vier “
Der Journalist Volker Zastrow hat eine ungewöhnlich spannende und minutiös recherchierte Reportage über die vier SPD-Landtagsabgeordneten geschrieben, die Andrea Ypsilanti als hessische Ministerpräsidentin von der Linkspartei Gnaden verhinderten. Statt Helden fand Zastrow Menschen. Aus einem davon versucht er aus dramaturgischen Gründen einen Shakespearschen Bösewicht zu konstruieren: da übertreibt Zastrow in meinen Augen ein wenig: auf der Bühne in Hessen stand kein Richard III., nur ein Tartuffe.(Denis Scheck in der ARD-Sendung "Druckfrisch vom 6 .9.09)
Kommentar zu "Die Vier"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Vier“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Vier".
Kommentar verfassen