Die Wandersängerin
"Eine farbenprächtige Reise durch das mittelalterliche Böhmen."
Ricarda Jordan
Für alle Fans von Iny Lorentz und Sabine Ebert.
Die schöne Kaufmannstochter Arigund wird mit dem Burgherrensohn Wirtho verheiratet,...
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
4.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Wandersängerin “
"Eine farbenprächtige Reise durch das mittelalterliche Böhmen."
Ricarda Jordan
Für alle Fans von Iny Lorentz und Sabine Ebert.
Die schöne Kaufmannstochter Arigund wird mit dem Burgherrensohn Wirtho verheiratet, einem gewalttätigen Säufer. Doch ihre Liebe gehört dessen jüngerem Bruder Reimar. Als Wirtho von der Liebe der beiden erfährt, tötet er seinen Bruder. Arigund flieht und gerät in die Hände einer Gruppe Räuber aus Böhmen. Und ausgerechnet ihre Stimme rettet Arigund das Leben: Während sie auf den Märkten für die Menschen singt, rauben die anderen die Zuhörer aus. Doch Arigund ist noch nicht in Sicherheit. Denn Wirtho hat sie nicht vergessen. Und er sinnt auf Rache.
Lese-Probe zu „Die Wandersängerin “
Die Wandersängerin von Karolina HalbachKapitel 1
November 1267
... mehr
Behutsam legte das Mädchen die Gänsefeder zur Seite und schüttelte das verkrampfte Handgelenk. Sie sah aus dem Doppelbogenfenster, das man schon in wenigen Wochen mit Stroh und hölzernen Läden gegen die Kälte des Winters abdichten würde, hinaus auf die Wahlenstraße. Ein Löwe mit Menschenkopf zierte den Schlussstein, das Wappen der Zandt, des Geschlechts ihrer Mutter. Pater David, eben noch tief über das Lesepult gebeugt und versunken in ein Pergament, hob den Kopf und sah zu ihr herüber. »Nun Arigund, ist es dir gelungen, die Schrift aus dem Griechischen zu übersetzen?«
Das Mädchen atmete tief durch und bemühte sich um einen bescheidenen Tonfall. Ihre Begeisterung für Griechisch und Latein hielt sich ziemlich in Grenzen. Sie mochte lebendige Sprachen, solche, die man auch sprechen konnte: Italienisch, Französisch oder Tschechisch. Die konnte man gut brauchen, wenn der Vater einmal Gäste aus den Städten beherbergte, mit denen er Handel betrieb. Was dagegen sollte sie mit Latein und Griechisch anfangen? Ihr Hauslehrer war in diesen Dingen leider unnachgiebig. Doch vielleicht konnte sie ihn diesmal überlisten?
»Pater, Ihr habt mir doch versprochen, dass wir heute diesen neuen Choral anstimmen - zum Lobpreis Christi.«
Der Prior sah sie aus ernsten blauen Augen an, strich sich die Kutte zurecht und runzelte die Stirn.
»Zum Lobpreis des Herrn, mein Kind, oder weil du erhoffst, der Weisheit des Aristoteles zu entgehen?«
»Ichhabe es so gut gemacht, wie ich konnte, doch die Übersetzung war ziemlich schwierig. Nach einem Lied würde es mir bestimmt leichter fallen, mich zu sammeln und die richtigen Worte zu finden.«
Der Mönch lächelte in seinen Bart hinein. Dieses DeCapella-Mädchen blieb selten eine Antwort schuldig. Wäre sie als Junge geboren, stünde ihr gewiss eine große Zukunft im Fernhandel offen. Fragend schaute das Mädchen den Prior an. Diese Augen, diese dunklen, fast schwarzen Augen, umrahmt von einem Kranz ungebärdiger, tief dunkelbrauner Haare, die einer Madonna würdig waren und die kleine, zierliche Statur waren ein Erbe von Arigunds Vater, dem Venezianer. Aber den klugen Kopf hatte das Kind eindeutig von der mütterlichen Seite. Das Geschlecht der Zandts war in Regensburg angesehen. Arigunds Großvater war ein außerordentlich einflussreicher Mann und hatte in seinem Leben wohl so alles erreicht, was ein Bürger Regensburgs mit Gottes Hilfe und einem schnellen Verstand erlangen konnte. Seine Tochter, Arigunds Mutter, hätte dem DeCapella sicher prächtige Söhne geschenkt. Aber leider hatte Gott der Herr in seinem unerforschlichen Ratschluss die Frau Anna Barbara schon kurz nach der Geburt ihrer Tochter zu sich genommen. Was für ein Verlust!
»Na gut«, gab der Priester nach. »Leg die Feder beiseite! Ich werde mir das Pergament später ansehen.«
Seine Sandalen schlurften über den Holzboden, als er zu ihr herüberkam. Für den hübschen Wandteppich und den venezianischen Spiegel hatte er keinen Blick übrig. Als Bettelmönch hatte er den weltlichen Dingen entsagt, und sie interessierten ihn tatsächlich nicht, außer sie hatten mit der
Entwicklung seines Minoritenklosters zu tun. Dies war auch der maßgebliche Grund, warum er sich die Mühe machte, das Patriziermädchen zu unterrichten. Schließlich zählte ihr Vater zu den wichtigsten Förderern seiner ständig wachsenden Bruderschaft.
Pater David von Augsburg liebte jedoch die Musik. Er war davon überzeugt, dass die menschliche Stimme, insbesondere wenn sie geschult und zu seinem Lobpreis angestimmt wurde, Gott den Herrn erfreue. Und hier war er auf eine unvermutete Begabung seiner jungen Schülerin gestoßen! Denn auch wenn natürlich Knabenchöre an Reinheit und Klang nicht zu übertreffen waren, musste er zugeben, dass dieses DeCapella-Mädchen eine angenehme Stimme besaß. Es machte Freude, mit ihr zu singen.
Schon im Gehen stimmte der Pater ein paar Töne an. Er hatte einen volltönenden Bariton, um den ihn viele Brüder beneideten, und er hatte gelernt, seinen ganzen Körper bei der Erzeugung der Töne zu nutzen. Arigund sang zwar noch im hellen Sopran eines Kindes, zart anzuhören und unschuldig wie eine Lerche am frühen Sommermorgen, aber es gelang ihr jetzt schon, die Technik seines Gesangs nachzuahmen. Zudem hatte sie ein gutes Gehör, und so dauerte es auch diesmal nicht lange, bis sie die Melodie erfasste. Gleich in der zweiten Strophe stimmte sie in seinen Gesang ein. Behutsam führte der Mönch das Mädchen durch die schwierigen Passagen des Liedes.
Doch dann hielt Arigund unvermutet inne.
»Pater David, ich bitte um Entschuldigung, aber ich glaube, wenn ich diese Stelle etwas tiefer singe, dann würde sie noch besser klingen. Und vor dem›Ave Maria‹ sollten wir eine kleine Pause einlegen. Der Lobpreis der Jungfrau fände dann mehr Beachtung.«
Lächelnd nickte der Mönch.
»Nun dann, versuche es. Ich werde lauschen und dir sagen, was ich darüber denke.«
Während Arigund sang, öffnete sich leise die Türe. Ein kleiner Mann trat vorsichtig in den Raum. Obwohl er sich schlicht kleidete, konnte niemand Zweifel an seinem Wohlstand hegen. Das Tuch war von einem Könner gewebt und von feiner Wolle. Und auch das Wohnhaus des Antonio DeCapella zeugte von Reichtum. Erst im letzten Jahr war der neue Turm seiner Residenz in der Wahlenstraße fertiggestellt worden. Fast wagemutig zog er so mit der Familie Zandt auf gleiche Höhe.
Der Kaufmann wartete, bis seine Tochter geendet hatte und begrüßte den Mönch dann freundlich: »Gott zum Gruße, Pater David. Wie ich höre, studiert ihr gerade mit meiner Tochter ein neues Lied ein.«
Der Mönch vernahm den etwas missbilligenden Unterton. In letzter Zeit schien der Kaufmann zunehmend unzufrieden mit den Fortschritten seiner Tochter, so als ginge ihm alles nicht schnell genug. Dabei lernte das Mädchen fleißig. Aber schließlich war sie noch ein Kind.
»Wir sind gerade mit den Übungsstunden fertig geworden. Arigunds Griechisch verbessert sich. Sie liest es flüssig und macht nur noch wenige Fehler beim Schreiben.«
»Das Griechische, aha, und wie steht es mit dem Rechnen?«
Wieder war der Tonfall bohrender, als es der Mönch von DeCapella gewohnt war.
»Eure Tochter, Herr, scheint mir ungewöhnliches Talent fürs Kaufmännische zu haben. Die Anzahl von Regensburger Pfennigen in einem Krug könnte sie allein an seinem Gewicht bestimmen.«
Zufrieden strich der Kaufmann seiner Tochter über den Lockenkopf. »Mia cara, deine Übungsstunden sind für heute beendet. Lass mich kurz mit dem Prior allein.«
Gehorsam packte das Mädchen seine Utensilien zusammen, knickste kurz und schloss dann die Türe hinter sich.
Antonio DeCapella wartete, bis er hörte, wie sich die Schritte seiner Tochter entfernten.
»Mein lieber Pater David«, hob er dann an, »ich möchte Euch um einen Dienst bitten.«
Der Pater runzelte die Stirn. Es kam nicht oft vor, dass ihn einer der reichen Kaufleute um etwas bat. Meistens war es eher umgekehrt.
DeCapella nagte an seiner Unterlippe, studierte fahrig das Pergament, in dem der Pater vorhin gelesen hatte, und meinte dann: »Ich werde mich erneut vermählen und möchte die Einsegnung gern in Eurer Klosterkirche vollziehen.«
Die Falten auf der Stirn des Paters glätteten sich. Eine Hochzeit - wie erfreulich!
»Es soll der Schaden der Bruderschaft nicht sein«, setzte der Kaufmann eilig hinzu.
Das klang nach einer großzügigen Spende. Im Geiste ging der Pater die notwendigen Renovierungsarbeiten an der Kapelle durch. Ihm fiel da so manches ein. »Selbstverständlich, Herr, wenn Ihr den Segen des Herrn wünscht, so werden wir ihn gern für Euch erbitten! Wann soll die Hochzeit denn stattfinden?«
»Im nächsten Jahr.«
»Und darf ich fragen, wen Ihr Euch zur Frau erkoren habt?«
Diesmal schien der Patrizier herumzudrucksen. Der Mönch wunderte sich. Ein Mann wie DeCapella würde sicher keine Ehe eingehen, die nicht standesgemäß wäre. Da gab es andere Möglichkeiten, sich die Gunst einer Frau zu erwerben. Selbst ein Bischof ging ins Frauenhaus, um sich seiner unguten Säfte zu entledigen. Pater David ließ dem Kaufmann Zeit und hob einen Becher frisches Brunnenwasser an die Lippen. Schließlich stieß DeCapella den Namen hervor: »Katharina Thundorf.«
Der Mönch hätte um ein Haar das Wasser wieder ausgespuckt. Das war wahrlich eine Überraschung.
»Katharina Thundorf ?«, wiederholte Pater David ungläubig. Er hätte weit eher angenommen, dass DeCapella sich erneut ein Weib aus der Familie Zandt suchen würde, was aus Sicht des Familienfriedens geschickter gewesen wäre. Eine Thundorferin zu heiraten, das war mutig, nein, waghalsig. Die Zandts und Thundorfs, obwohl beide im Rat vertreten, waren schon seit Generationen verfeindet.
DeCapella knetete nervös seine Finger. »Ja.«
Es entstand eine weitere Pause. »Wisst Ihr, Pater, es ist eine gute Frau, eine Witwe.«
»Sicher. Sie ist das älteste der Thundorf-Kinder und heiratete mit dreizehn einen Fernhandelskaufmann in Augsburg. Im letzten Jahr raffte ihn die Schwindsucht dahin.«
»Das Trauerjahr ist bereits verstrichen.«
»Aber es könnte andere Probleme geben. Die Zandts ...«
»Das lasst meine Sorge sein!«, unterbrach ihn DeCapella hastig. »Ich mache mir Gedanken um Arigund. Was wird sie zu einer Stiefmutter sagen?«
»Es ehrt Euch, Herr, dass Ihr Euch Gedanken um das Wohl Eurer Tochter macht. Andererseits, sie ist ein Mädchen und wird das Haus über kurz oder lang sowieso verlassen.«
»Sie wird vierzehn.«
»Richtig, vielleicht ein wenig zu alt, um sie zur Erziehung fortzugeben.« Der Pater kraulte nachdenklich seinen Bart und fuhr dann fort: »Und noch nicht alt genug für eine Heirat.«
Der Kaufmann nickte. »Selbst wenn: Die Ehe müsste wohlbedacht sein. Der alte Zandt steht ihr sehr nah. Es wird schwierig werden, seinen Ansprüchen zu genügen.«
»Dann lasst ihn doch die Ehe arrangieren.«
»Himmel, nein! Ich habe nur dieses Kind. Die Ehe muss wohlbedacht sein. Falls mir die Thundorferin keinen Sohn schenkt, darf das Haus DeCapella nicht in falsche Hände geraten.«
Unschlüssig wiegte der Pater den Kopf und begann auf und ab zu schreiten. Die Ledersandalen klatschten auf den Holzboden.
»Arrangiert eine Ehe, die über ihrem Stand ist, möglichst mit einem Adelsherrn.«
DeCapella lächelte. »Gegen so eine Hochzeit könnte der alte Zandt tatsächlich kaum Einwände vorbringen. Der Kaufmann kratzte sich am Kinn und fuhr dann nachdenklich fort: »Aber welcher Edelfreie will schon unter Stand heiraten, auch wenn man es mit dem Verlust der Titel und Güter nicht mehr so streng nimmt wie früher?«
»Für einen reichen Fernhandelskaufmann wäre es zu bewerkstelligen, wenn man es geschickt einfädelt. Die Herren Ritter neigen zur Völlerei und haben kein rechtes Verhältnis zum Geld ... «
»Und der Fürstbischof?«, wandte DeCapella ein.
»Ich als Prior könnte ein gutes Wort für Euch einlegen, Herr. Schließlich seid Ihr ein bedeutender Gönner unseres Klosters.«
Ein wohlwollendes Lächeln huschte über DeCapellas Gesicht. Er schien genau auf diese Zusage gehofft zu haben. Doch dann verdunkelte sich seine Miene erneut.
»Wird man sie denn gut behandeln? Die Ritter scheinen mir recht raubeinig. Sie ist ein Stadtkind und an Freiheit gewöhnt.«
Pater David zuckte die Schultern. »Sie ist ein Mädchen und wird sich ihrem Schicksal fügen. Es wäre allerdings von Vorteil, ein Haus zu wählen, mit dem wir Regensburger in Burgfrieden leben. Nicht, dass aus einer Zwistigkeit der Adelsherren am Ende Euer Fleisch und Blut zu einem Unterpfand würde.«
DeCapella winkte ab. Als hätte er vor, seine Tochter einem dieser Raubritter zu geben, die ständig versuchten, seine Agenten zu erschlagen!
»Ich werde einen Gefallen einfordern«, erklärte er dem Abt. »Die Brennberger stehen in meiner Schuld - und meine Tochter ist nicht schlechter als jedes der adligen Mädchen, das an ihrem Hof erzogen wird ... «
»Die Burg der Truchsesse?«, fragte der Mönch streng. »Aber die Herrin der Burg ... führt einen Minnehof ! «
DeCapella fuhr auf. »Und was ist daran schlecht? Ich hörte, sie empfängt die berühmtesten Troubadoure. Arigund wird ihren musikalischen Neigungen weiter nachgehen können.«
»Aber ... aber ... sie wird nicht nur singen und die Laute schlagen lernen. Sie wird ... tanzen! Und sie wird mit ... äh ... mit Männern zusammenkommen.«
Pater David druckste herum. Wie viele Kirchenmänner missbilligte er die neue Mode, die Edelfräulein und jungen Ritter an den Fürstenhöfen nicht mehr streng voneinander getrennt aufwachsen und lernen zu lassen. Adelsfreie wie die Herrin von Burg Brennberg unterwiesen Mädchen und Jungen im höfischen - minniglichen - Umgang miteinander. Dazu gehörten der gemeinsame Genuss von Musik, Tanz und Dichtung. An Minnehöfen waren Troubadoure ebenso willkommen wie starke Kämpfer - und das Idealbild des modernen Ritters vereinigte beide Tugenden. Doch DeCapella ließ keinen Einwand gelten.
»Die Herrin von Brennberg wird es wohl schaffen, diese Kontakte im Rahmen schicklicher Formen zu halten«, bemerkte DeCapella streng. »Ihr wollt sicher weder meiner Tochter noch der Edelfrau mangelnde Tugend unterstellen?«
Der Pater schüttelte den Kopf. Die Sache war offensichtlich sowieso schon beschlossen.
»Dann werde ich die Hochzeitszeremonie mit meinen Brüdern besprechen.« Er machte eine segnende Geste und schritt zur Tür. Er hatte sie fast erreicht, als ihm der Kaufmann nachrief: »Prior, ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet, dass ihr Euch in den letzten Jahren so hingebungsvoll der Ausbildung meiner Tochter gewidmet habt, und ich würde - wenn Eure Zeit es erlaubt - sie bis zu Arigunds Abreise, sagen wir zu Mariä Himmelfahrt, auch gerne weiterführen. Danach..., nun, ich hoffe, ich kann für einen möglichen Erben mit meiner neuen Frau auf Euch zählen?«
»Gewiss«, antwortete der Geistliche knapp. Doch dann wandte er sich noch einmal um: »Ihr müsst mir nicht danken. Ich habe Arigund gern unterrichtet, für ein Mädchen ist sie ein aufgewecktes Kind. Ich hoffe, Gott wird auch weiterhin über sie wachen.«
Kapitel 2
März 1268
Annelies fand Arigund mit hochrotem Kopf in einer Ecke ihrer Kammer kauernd.
»Herrin, was ist denn passiert?«, fragte die Zofe besorgt, doch sie ahnte bereits, dass es wieder Ärger mit dem Herrn DeCapella gegeben hatte. In den vergangenen Wochen war er oft ungeduldig mit seiner Tochter und fuhr sie wegen jeder Kleinigkeit an.
»Ich habe mich verrechnet, nur um einen einzigen Pfennig!«, zischte die Patriziertochter gekränkt. »Weißt du, was er gesagt hat?«
Annelies schüttelte den Kopf.
»Fehler können sich nur die Bettler vor dem Dom erlauben. Mach so weiter, und du landest genau da!«
Im nächsten Moment begann das Mädchen hemmungslos zu weinen. Hilflos stand Annelies daneben und wusste nicht, ob sie Trost spenden oder Aufmunterung geben sollte. In letzter Zeit war Arigund schwer einzuschätzen. Die Köchin meinte, das läge daran, dass die junge Herrin zur Frau reifte. Dann hatte Annelies eine Idee. Auf flinken Füßen eilte sie in die Küche hinunter und erbat von der Köchin ein Glas warmer, mit Honig gesüßter Milch. Sie fand Arigund bei ihrer Rückkehr regungslos an derselben Stelle, noch immer in Tränen aufgelöst. Behutsam berührte die Zofe ihre junge Herrin an der Schulter.
»Schaut einmal, was ich Euch gebracht habe. Süße Milch, die mögt Ihr doch so gerne.«
Arigund sah auf. Ihre Augen waren rot und verquollen, aus ihrer Nase lief der Rotz. Die Zofe stellte den Becher neben ihrer Herrin ab, sprang auf und fischte nach einem Stofftaschentuch aus der Truhe neben Arigunds Bettstatt. Sie reichte es ihrer Herrin. Die griff nach dem fein bestickten Leinentuch und schnäuzte zweimal kräftig hinein, dann nahm sie einen tiefen Schluck aus dem Becher. Annelies hockte sich neben sie. Unaufgefordert begann sie Arigunds Haar zu bürsten. Das beruhigte ihre Herrin normalerweise immer.
»Das war so gemein«, flüsterte Arigund nach einer Weile des Schweigens, »und man konnte es bis in die Schreibstube hören. Das hat er mit Absicht gemacht. Bestimmt lachen dort jetzt alle über mich.«
»Aber nein«, versicherte Annelies. »Schaut einmal, der Herr DeCapella liebt Euch mehr als sein Leben. Er will nur Euer Bestes. Deshalb ist er so streng.«
»Aber ich gebe mir wirklich Mühe, und trotzdem mache ich alles falsch«, seufzte Arigund.
»Schaut, Ihr seid doch noch jung. Es ist ganz unmöglich, dass Ihr genauso gut schreibt und rechnet wie die Männer der Schreibstube. Die machen das schon seit vielen Jahren. Zudem höre ich von denen nur anerkennende Worte über Euch.«
»Und Pater David ist auch dauernd unzufrieden mit mir. In der letzten Schrift sind mir drei Fehler unterlaufen. Er war so wütend, dass die Ader auf seiner Stirn ganz dick geworden ist. Ich fürchtete beinahe, sie würde platzen.«
»Pater David gibt Euch aber auch viel zu schwierige Texte.«
Unglücklich schüttelte das Mädchen den Kopf. »Nein, ich habe einfach kein Talent fürs Griechische.«
»Dafür habt Ihr die Stimme einer Nachtigall. Ihr könnt jeden jungen Herren in Regensburg mit Eurem Gesang verzaubern und ins Paradies entführen.«
Sofort begannen Arigunds Tränen zu trocknen und ihre Augen wieder zu leuchten. »Du meinst wie Circe, die Tochter des Sonnengottes, die es vermochte, mit ihrer Stimme Wölfe und Bären zu zähmen?«
Annelies nickte eifrig, auch wenn sie sich schwerlich vorstellen konnte, dass ein hungriger Wolf sich ernsthaft von bloßem Gesang besänftigen ließ. Bei Männern dagegen mochte das Arigund schon gelingen - vorausgesetzt, sie schwenkte dabei ein wenig die Hüften. Das jedenfalls behauptete Anne-lies' Cousine Magda, die im Hause DeCapella als Küchenmagd diente.
»Ach, ich wünschte, ich würde tatsächlich auf Circes Insel leben, das wäre ein Traum! Du würdest doch mitkommen, oder?«
»Natürlich, wer würde nicht gerne Männer, wenn sie unliebsam werden, in Schweine verwandeln?«
Annelies kannte die Geschichte, die Arigund mit dem Prior studiert hatte. Noch gestern hatten die beiden darüber gekichert. Die Zofe musste bei dem Gedanken wieder schmunzeln und steckte Arigund mit ihrer Fröhlichkeit an.
»Männer können aber auch ganz schön verlockend sein«, meinte das Kaufmannsmädchen. Es zwinkerte Annelies zu, und die wusste genau, auf was - beziehungsweise auf wen - ihre Herrin anspielte. Annelies aber tat ganz unschuldig und meinte: »Das kann ich mir kaum vorstellen. Die meisten Männer, die ich kenne, hätte Circe augenblicklich verzaubert.«
»Also, der Mann, den ich mal heirate, der muss von nobler Gesinnung sein, gerecht und aufrecht. So jemand wie König Artus, ein Ritter. Aber natürlich muss er auch Geld haben.«
»Ich fürchte, da werden wir noch eine Weile warten müssen, bis uns so einer angetragen wird. Und bis dahin könnt Ihr Euch von Eurem Vater verwöhnen lassen.«
Annelies deutete auf das Kleid aus feinstem byzantinischen Tuch, das Herr DeCapella von seinem italienischen Hausschneider für seine Tochter hatte anfertigen lassen. Doch Arigund zeigte sich nach wie vor unversöhnlich. »Das hat er doch nur gemacht, damit ich die Kröte mit seiner Hochzeit schlucke.«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Behutsam legte das Mädchen die Gänsefeder zur Seite und schüttelte das verkrampfte Handgelenk. Sie sah aus dem Doppelbogenfenster, das man schon in wenigen Wochen mit Stroh und hölzernen Läden gegen die Kälte des Winters abdichten würde, hinaus auf die Wahlenstraße. Ein Löwe mit Menschenkopf zierte den Schlussstein, das Wappen der Zandt, des Geschlechts ihrer Mutter. Pater David, eben noch tief über das Lesepult gebeugt und versunken in ein Pergament, hob den Kopf und sah zu ihr herüber. »Nun Arigund, ist es dir gelungen, die Schrift aus dem Griechischen zu übersetzen?«
Das Mädchen atmete tief durch und bemühte sich um einen bescheidenen Tonfall. Ihre Begeisterung für Griechisch und Latein hielt sich ziemlich in Grenzen. Sie mochte lebendige Sprachen, solche, die man auch sprechen konnte: Italienisch, Französisch oder Tschechisch. Die konnte man gut brauchen, wenn der Vater einmal Gäste aus den Städten beherbergte, mit denen er Handel betrieb. Was dagegen sollte sie mit Latein und Griechisch anfangen? Ihr Hauslehrer war in diesen Dingen leider unnachgiebig. Doch vielleicht konnte sie ihn diesmal überlisten?
»Pater, Ihr habt mir doch versprochen, dass wir heute diesen neuen Choral anstimmen - zum Lobpreis Christi.«
Der Prior sah sie aus ernsten blauen Augen an, strich sich die Kutte zurecht und runzelte die Stirn.
»Zum Lobpreis des Herrn, mein Kind, oder weil du erhoffst, der Weisheit des Aristoteles zu entgehen?«
»Ichhabe es so gut gemacht, wie ich konnte, doch die Übersetzung war ziemlich schwierig. Nach einem Lied würde es mir bestimmt leichter fallen, mich zu sammeln und die richtigen Worte zu finden.«
Der Mönch lächelte in seinen Bart hinein. Dieses DeCapella-Mädchen blieb selten eine Antwort schuldig. Wäre sie als Junge geboren, stünde ihr gewiss eine große Zukunft im Fernhandel offen. Fragend schaute das Mädchen den Prior an. Diese Augen, diese dunklen, fast schwarzen Augen, umrahmt von einem Kranz ungebärdiger, tief dunkelbrauner Haare, die einer Madonna würdig waren und die kleine, zierliche Statur waren ein Erbe von Arigunds Vater, dem Venezianer. Aber den klugen Kopf hatte das Kind eindeutig von der mütterlichen Seite. Das Geschlecht der Zandts war in Regensburg angesehen. Arigunds Großvater war ein außerordentlich einflussreicher Mann und hatte in seinem Leben wohl so alles erreicht, was ein Bürger Regensburgs mit Gottes Hilfe und einem schnellen Verstand erlangen konnte. Seine Tochter, Arigunds Mutter, hätte dem DeCapella sicher prächtige Söhne geschenkt. Aber leider hatte Gott der Herr in seinem unerforschlichen Ratschluss die Frau Anna Barbara schon kurz nach der Geburt ihrer Tochter zu sich genommen. Was für ein Verlust!
»Na gut«, gab der Priester nach. »Leg die Feder beiseite! Ich werde mir das Pergament später ansehen.«
Seine Sandalen schlurften über den Holzboden, als er zu ihr herüberkam. Für den hübschen Wandteppich und den venezianischen Spiegel hatte er keinen Blick übrig. Als Bettelmönch hatte er den weltlichen Dingen entsagt, und sie interessierten ihn tatsächlich nicht, außer sie hatten mit der
Entwicklung seines Minoritenklosters zu tun. Dies war auch der maßgebliche Grund, warum er sich die Mühe machte, das Patriziermädchen zu unterrichten. Schließlich zählte ihr Vater zu den wichtigsten Förderern seiner ständig wachsenden Bruderschaft.
Pater David von Augsburg liebte jedoch die Musik. Er war davon überzeugt, dass die menschliche Stimme, insbesondere wenn sie geschult und zu seinem Lobpreis angestimmt wurde, Gott den Herrn erfreue. Und hier war er auf eine unvermutete Begabung seiner jungen Schülerin gestoßen! Denn auch wenn natürlich Knabenchöre an Reinheit und Klang nicht zu übertreffen waren, musste er zugeben, dass dieses DeCapella-Mädchen eine angenehme Stimme besaß. Es machte Freude, mit ihr zu singen.
Schon im Gehen stimmte der Pater ein paar Töne an. Er hatte einen volltönenden Bariton, um den ihn viele Brüder beneideten, und er hatte gelernt, seinen ganzen Körper bei der Erzeugung der Töne zu nutzen. Arigund sang zwar noch im hellen Sopran eines Kindes, zart anzuhören und unschuldig wie eine Lerche am frühen Sommermorgen, aber es gelang ihr jetzt schon, die Technik seines Gesangs nachzuahmen. Zudem hatte sie ein gutes Gehör, und so dauerte es auch diesmal nicht lange, bis sie die Melodie erfasste. Gleich in der zweiten Strophe stimmte sie in seinen Gesang ein. Behutsam führte der Mönch das Mädchen durch die schwierigen Passagen des Liedes.
Doch dann hielt Arigund unvermutet inne.
»Pater David, ich bitte um Entschuldigung, aber ich glaube, wenn ich diese Stelle etwas tiefer singe, dann würde sie noch besser klingen. Und vor dem›Ave Maria‹ sollten wir eine kleine Pause einlegen. Der Lobpreis der Jungfrau fände dann mehr Beachtung.«
Lächelnd nickte der Mönch.
»Nun dann, versuche es. Ich werde lauschen und dir sagen, was ich darüber denke.«
Während Arigund sang, öffnete sich leise die Türe. Ein kleiner Mann trat vorsichtig in den Raum. Obwohl er sich schlicht kleidete, konnte niemand Zweifel an seinem Wohlstand hegen. Das Tuch war von einem Könner gewebt und von feiner Wolle. Und auch das Wohnhaus des Antonio DeCapella zeugte von Reichtum. Erst im letzten Jahr war der neue Turm seiner Residenz in der Wahlenstraße fertiggestellt worden. Fast wagemutig zog er so mit der Familie Zandt auf gleiche Höhe.
Der Kaufmann wartete, bis seine Tochter geendet hatte und begrüßte den Mönch dann freundlich: »Gott zum Gruße, Pater David. Wie ich höre, studiert ihr gerade mit meiner Tochter ein neues Lied ein.«
Der Mönch vernahm den etwas missbilligenden Unterton. In letzter Zeit schien der Kaufmann zunehmend unzufrieden mit den Fortschritten seiner Tochter, so als ginge ihm alles nicht schnell genug. Dabei lernte das Mädchen fleißig. Aber schließlich war sie noch ein Kind.
»Wir sind gerade mit den Übungsstunden fertig geworden. Arigunds Griechisch verbessert sich. Sie liest es flüssig und macht nur noch wenige Fehler beim Schreiben.«
»Das Griechische, aha, und wie steht es mit dem Rechnen?«
Wieder war der Tonfall bohrender, als es der Mönch von DeCapella gewohnt war.
»Eure Tochter, Herr, scheint mir ungewöhnliches Talent fürs Kaufmännische zu haben. Die Anzahl von Regensburger Pfennigen in einem Krug könnte sie allein an seinem Gewicht bestimmen.«
Zufrieden strich der Kaufmann seiner Tochter über den Lockenkopf. »Mia cara, deine Übungsstunden sind für heute beendet. Lass mich kurz mit dem Prior allein.«
Gehorsam packte das Mädchen seine Utensilien zusammen, knickste kurz und schloss dann die Türe hinter sich.
Antonio DeCapella wartete, bis er hörte, wie sich die Schritte seiner Tochter entfernten.
»Mein lieber Pater David«, hob er dann an, »ich möchte Euch um einen Dienst bitten.«
Der Pater runzelte die Stirn. Es kam nicht oft vor, dass ihn einer der reichen Kaufleute um etwas bat. Meistens war es eher umgekehrt.
DeCapella nagte an seiner Unterlippe, studierte fahrig das Pergament, in dem der Pater vorhin gelesen hatte, und meinte dann: »Ich werde mich erneut vermählen und möchte die Einsegnung gern in Eurer Klosterkirche vollziehen.«
Die Falten auf der Stirn des Paters glätteten sich. Eine Hochzeit - wie erfreulich!
»Es soll der Schaden der Bruderschaft nicht sein«, setzte der Kaufmann eilig hinzu.
Das klang nach einer großzügigen Spende. Im Geiste ging der Pater die notwendigen Renovierungsarbeiten an der Kapelle durch. Ihm fiel da so manches ein. »Selbstverständlich, Herr, wenn Ihr den Segen des Herrn wünscht, so werden wir ihn gern für Euch erbitten! Wann soll die Hochzeit denn stattfinden?«
»Im nächsten Jahr.«
»Und darf ich fragen, wen Ihr Euch zur Frau erkoren habt?«
Diesmal schien der Patrizier herumzudrucksen. Der Mönch wunderte sich. Ein Mann wie DeCapella würde sicher keine Ehe eingehen, die nicht standesgemäß wäre. Da gab es andere Möglichkeiten, sich die Gunst einer Frau zu erwerben. Selbst ein Bischof ging ins Frauenhaus, um sich seiner unguten Säfte zu entledigen. Pater David ließ dem Kaufmann Zeit und hob einen Becher frisches Brunnenwasser an die Lippen. Schließlich stieß DeCapella den Namen hervor: »Katharina Thundorf.«
Der Mönch hätte um ein Haar das Wasser wieder ausgespuckt. Das war wahrlich eine Überraschung.
»Katharina Thundorf ?«, wiederholte Pater David ungläubig. Er hätte weit eher angenommen, dass DeCapella sich erneut ein Weib aus der Familie Zandt suchen würde, was aus Sicht des Familienfriedens geschickter gewesen wäre. Eine Thundorferin zu heiraten, das war mutig, nein, waghalsig. Die Zandts und Thundorfs, obwohl beide im Rat vertreten, waren schon seit Generationen verfeindet.
DeCapella knetete nervös seine Finger. »Ja.«
Es entstand eine weitere Pause. »Wisst Ihr, Pater, es ist eine gute Frau, eine Witwe.«
»Sicher. Sie ist das älteste der Thundorf-Kinder und heiratete mit dreizehn einen Fernhandelskaufmann in Augsburg. Im letzten Jahr raffte ihn die Schwindsucht dahin.«
»Das Trauerjahr ist bereits verstrichen.«
»Aber es könnte andere Probleme geben. Die Zandts ...«
»Das lasst meine Sorge sein!«, unterbrach ihn DeCapella hastig. »Ich mache mir Gedanken um Arigund. Was wird sie zu einer Stiefmutter sagen?«
»Es ehrt Euch, Herr, dass Ihr Euch Gedanken um das Wohl Eurer Tochter macht. Andererseits, sie ist ein Mädchen und wird das Haus über kurz oder lang sowieso verlassen.«
»Sie wird vierzehn.«
»Richtig, vielleicht ein wenig zu alt, um sie zur Erziehung fortzugeben.« Der Pater kraulte nachdenklich seinen Bart und fuhr dann fort: »Und noch nicht alt genug für eine Heirat.«
Der Kaufmann nickte. »Selbst wenn: Die Ehe müsste wohlbedacht sein. Der alte Zandt steht ihr sehr nah. Es wird schwierig werden, seinen Ansprüchen zu genügen.«
»Dann lasst ihn doch die Ehe arrangieren.«
»Himmel, nein! Ich habe nur dieses Kind. Die Ehe muss wohlbedacht sein. Falls mir die Thundorferin keinen Sohn schenkt, darf das Haus DeCapella nicht in falsche Hände geraten.«
Unschlüssig wiegte der Pater den Kopf und begann auf und ab zu schreiten. Die Ledersandalen klatschten auf den Holzboden.
»Arrangiert eine Ehe, die über ihrem Stand ist, möglichst mit einem Adelsherrn.«
DeCapella lächelte. »Gegen so eine Hochzeit könnte der alte Zandt tatsächlich kaum Einwände vorbringen. Der Kaufmann kratzte sich am Kinn und fuhr dann nachdenklich fort: »Aber welcher Edelfreie will schon unter Stand heiraten, auch wenn man es mit dem Verlust der Titel und Güter nicht mehr so streng nimmt wie früher?«
»Für einen reichen Fernhandelskaufmann wäre es zu bewerkstelligen, wenn man es geschickt einfädelt. Die Herren Ritter neigen zur Völlerei und haben kein rechtes Verhältnis zum Geld ... «
»Und der Fürstbischof?«, wandte DeCapella ein.
»Ich als Prior könnte ein gutes Wort für Euch einlegen, Herr. Schließlich seid Ihr ein bedeutender Gönner unseres Klosters.«
Ein wohlwollendes Lächeln huschte über DeCapellas Gesicht. Er schien genau auf diese Zusage gehofft zu haben. Doch dann verdunkelte sich seine Miene erneut.
»Wird man sie denn gut behandeln? Die Ritter scheinen mir recht raubeinig. Sie ist ein Stadtkind und an Freiheit gewöhnt.«
Pater David zuckte die Schultern. »Sie ist ein Mädchen und wird sich ihrem Schicksal fügen. Es wäre allerdings von Vorteil, ein Haus zu wählen, mit dem wir Regensburger in Burgfrieden leben. Nicht, dass aus einer Zwistigkeit der Adelsherren am Ende Euer Fleisch und Blut zu einem Unterpfand würde.«
DeCapella winkte ab. Als hätte er vor, seine Tochter einem dieser Raubritter zu geben, die ständig versuchten, seine Agenten zu erschlagen!
»Ich werde einen Gefallen einfordern«, erklärte er dem Abt. »Die Brennberger stehen in meiner Schuld - und meine Tochter ist nicht schlechter als jedes der adligen Mädchen, das an ihrem Hof erzogen wird ... «
»Die Burg der Truchsesse?«, fragte der Mönch streng. »Aber die Herrin der Burg ... führt einen Minnehof ! «
DeCapella fuhr auf. »Und was ist daran schlecht? Ich hörte, sie empfängt die berühmtesten Troubadoure. Arigund wird ihren musikalischen Neigungen weiter nachgehen können.«
»Aber ... aber ... sie wird nicht nur singen und die Laute schlagen lernen. Sie wird ... tanzen! Und sie wird mit ... äh ... mit Männern zusammenkommen.«
Pater David druckste herum. Wie viele Kirchenmänner missbilligte er die neue Mode, die Edelfräulein und jungen Ritter an den Fürstenhöfen nicht mehr streng voneinander getrennt aufwachsen und lernen zu lassen. Adelsfreie wie die Herrin von Burg Brennberg unterwiesen Mädchen und Jungen im höfischen - minniglichen - Umgang miteinander. Dazu gehörten der gemeinsame Genuss von Musik, Tanz und Dichtung. An Minnehöfen waren Troubadoure ebenso willkommen wie starke Kämpfer - und das Idealbild des modernen Ritters vereinigte beide Tugenden. Doch DeCapella ließ keinen Einwand gelten.
»Die Herrin von Brennberg wird es wohl schaffen, diese Kontakte im Rahmen schicklicher Formen zu halten«, bemerkte DeCapella streng. »Ihr wollt sicher weder meiner Tochter noch der Edelfrau mangelnde Tugend unterstellen?«
Der Pater schüttelte den Kopf. Die Sache war offensichtlich sowieso schon beschlossen.
»Dann werde ich die Hochzeitszeremonie mit meinen Brüdern besprechen.« Er machte eine segnende Geste und schritt zur Tür. Er hatte sie fast erreicht, als ihm der Kaufmann nachrief: »Prior, ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet, dass ihr Euch in den letzten Jahren so hingebungsvoll der Ausbildung meiner Tochter gewidmet habt, und ich würde - wenn Eure Zeit es erlaubt - sie bis zu Arigunds Abreise, sagen wir zu Mariä Himmelfahrt, auch gerne weiterführen. Danach..., nun, ich hoffe, ich kann für einen möglichen Erben mit meiner neuen Frau auf Euch zählen?«
»Gewiss«, antwortete der Geistliche knapp. Doch dann wandte er sich noch einmal um: »Ihr müsst mir nicht danken. Ich habe Arigund gern unterrichtet, für ein Mädchen ist sie ein aufgewecktes Kind. Ich hoffe, Gott wird auch weiterhin über sie wachen.«
Kapitel 2
März 1268
Annelies fand Arigund mit hochrotem Kopf in einer Ecke ihrer Kammer kauernd.
»Herrin, was ist denn passiert?«, fragte die Zofe besorgt, doch sie ahnte bereits, dass es wieder Ärger mit dem Herrn DeCapella gegeben hatte. In den vergangenen Wochen war er oft ungeduldig mit seiner Tochter und fuhr sie wegen jeder Kleinigkeit an.
»Ich habe mich verrechnet, nur um einen einzigen Pfennig!«, zischte die Patriziertochter gekränkt. »Weißt du, was er gesagt hat?«
Annelies schüttelte den Kopf.
»Fehler können sich nur die Bettler vor dem Dom erlauben. Mach so weiter, und du landest genau da!«
Im nächsten Moment begann das Mädchen hemmungslos zu weinen. Hilflos stand Annelies daneben und wusste nicht, ob sie Trost spenden oder Aufmunterung geben sollte. In letzter Zeit war Arigund schwer einzuschätzen. Die Köchin meinte, das läge daran, dass die junge Herrin zur Frau reifte. Dann hatte Annelies eine Idee. Auf flinken Füßen eilte sie in die Küche hinunter und erbat von der Köchin ein Glas warmer, mit Honig gesüßter Milch. Sie fand Arigund bei ihrer Rückkehr regungslos an derselben Stelle, noch immer in Tränen aufgelöst. Behutsam berührte die Zofe ihre junge Herrin an der Schulter.
»Schaut einmal, was ich Euch gebracht habe. Süße Milch, die mögt Ihr doch so gerne.«
Arigund sah auf. Ihre Augen waren rot und verquollen, aus ihrer Nase lief der Rotz. Die Zofe stellte den Becher neben ihrer Herrin ab, sprang auf und fischte nach einem Stofftaschentuch aus der Truhe neben Arigunds Bettstatt. Sie reichte es ihrer Herrin. Die griff nach dem fein bestickten Leinentuch und schnäuzte zweimal kräftig hinein, dann nahm sie einen tiefen Schluck aus dem Becher. Annelies hockte sich neben sie. Unaufgefordert begann sie Arigunds Haar zu bürsten. Das beruhigte ihre Herrin normalerweise immer.
»Das war so gemein«, flüsterte Arigund nach einer Weile des Schweigens, »und man konnte es bis in die Schreibstube hören. Das hat er mit Absicht gemacht. Bestimmt lachen dort jetzt alle über mich.«
»Aber nein«, versicherte Annelies. »Schaut einmal, der Herr DeCapella liebt Euch mehr als sein Leben. Er will nur Euer Bestes. Deshalb ist er so streng.«
»Aber ich gebe mir wirklich Mühe, und trotzdem mache ich alles falsch«, seufzte Arigund.
»Schaut, Ihr seid doch noch jung. Es ist ganz unmöglich, dass Ihr genauso gut schreibt und rechnet wie die Männer der Schreibstube. Die machen das schon seit vielen Jahren. Zudem höre ich von denen nur anerkennende Worte über Euch.«
»Und Pater David ist auch dauernd unzufrieden mit mir. In der letzten Schrift sind mir drei Fehler unterlaufen. Er war so wütend, dass die Ader auf seiner Stirn ganz dick geworden ist. Ich fürchtete beinahe, sie würde platzen.«
»Pater David gibt Euch aber auch viel zu schwierige Texte.«
Unglücklich schüttelte das Mädchen den Kopf. »Nein, ich habe einfach kein Talent fürs Griechische.«
»Dafür habt Ihr die Stimme einer Nachtigall. Ihr könnt jeden jungen Herren in Regensburg mit Eurem Gesang verzaubern und ins Paradies entführen.«
Sofort begannen Arigunds Tränen zu trocknen und ihre Augen wieder zu leuchten. »Du meinst wie Circe, die Tochter des Sonnengottes, die es vermochte, mit ihrer Stimme Wölfe und Bären zu zähmen?«
Annelies nickte eifrig, auch wenn sie sich schwerlich vorstellen konnte, dass ein hungriger Wolf sich ernsthaft von bloßem Gesang besänftigen ließ. Bei Männern dagegen mochte das Arigund schon gelingen - vorausgesetzt, sie schwenkte dabei ein wenig die Hüften. Das jedenfalls behauptete Anne-lies' Cousine Magda, die im Hause DeCapella als Küchenmagd diente.
»Ach, ich wünschte, ich würde tatsächlich auf Circes Insel leben, das wäre ein Traum! Du würdest doch mitkommen, oder?«
»Natürlich, wer würde nicht gerne Männer, wenn sie unliebsam werden, in Schweine verwandeln?«
Annelies kannte die Geschichte, die Arigund mit dem Prior studiert hatte. Noch gestern hatten die beiden darüber gekichert. Die Zofe musste bei dem Gedanken wieder schmunzeln und steckte Arigund mit ihrer Fröhlichkeit an.
»Männer können aber auch ganz schön verlockend sein«, meinte das Kaufmannsmädchen. Es zwinkerte Annelies zu, und die wusste genau, auf was - beziehungsweise auf wen - ihre Herrin anspielte. Annelies aber tat ganz unschuldig und meinte: »Das kann ich mir kaum vorstellen. Die meisten Männer, die ich kenne, hätte Circe augenblicklich verzaubert.«
»Also, der Mann, den ich mal heirate, der muss von nobler Gesinnung sein, gerecht und aufrecht. So jemand wie König Artus, ein Ritter. Aber natürlich muss er auch Geld haben.«
»Ich fürchte, da werden wir noch eine Weile warten müssen, bis uns so einer angetragen wird. Und bis dahin könnt Ihr Euch von Eurem Vater verwöhnen lassen.«
Annelies deutete auf das Kleid aus feinstem byzantinischen Tuch, das Herr DeCapella von seinem italienischen Hausschneider für seine Tochter hatte anfertigen lassen. Doch Arigund zeigte sich nach wie vor unversöhnlich. »Das hat er doch nur gemacht, damit ich die Kröte mit seiner Hochzeit schlucke.«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
... weniger
Autoren-Porträt von Karolina Halbach
Karolina Halbach wurde 1962 in Neustadt an der Waldnaab geboren und kennt Regensburg schon aus ihren Kindertagen. Schon damals hat sie sich in das »bayerische Venedig« verliebt. Mehrere Jahre war es ihr vergönnt, mit Blick auf Burg Brennberg zu wohnen, was sie zu diesem Roman inspirierte. Viele der beschriebenen Örtlichkeiten, wie etwa das Höllbachtal, Falkenstein und den »Goldenen Steig« kennt sie als begeisterte Freizeitreiterin vom Pferdesattel aus. Die promovierte Naturwissenschaftlerin lebt heute mit ihrer Familie in der Nähe von Passau. Sie liebt die Natur, ihre Familie, zwei Hunde und drei Ponys.
Bibliographische Angaben
- Autor: Karolina Halbach
- 704 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868009477
- ISBN-13: 9783868009477
Kommentare zu "Die Wandersängerin"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Wandersängerin“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 6Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Wandersängerin".
Kommentar verfassen