Drachentochter / EONA Bd.1
Eona will als Drachenauge auserwählt werden und schmuggelt sich als Junge verkleidet in die Auswahlzeremonie. Der Spiegeldrache erwählt sie zu seiner magischen Novizin. Doch Lord Ido, das mächtigste Drachenauge, erkennt ihre Verkleidung. Und Eona muss gegen ihn kämpfen.
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Produktinformationen zu „Drachentochter / EONA Bd.1 “
Eona will als Drachenauge auserwählt werden und schmuggelt sich als Junge verkleidet in die Auswahlzeremonie. Der Spiegeldrache erwählt sie zu seiner magischen Novizin. Doch Lord Ido, das mächtigste Drachenauge, erkennt ihre Verkleidung. Und Eona muss gegen ihn kämpfen.
Klappentext zu „Drachentochter / EONA Bd.1 “
Eine berührende Heldin im Kampf gegen mächtige DrachenmagierSeit Jahrhunderten herrschen sie neben dem Kaiser über das Reich: die Drachenaugen, Auserwählte der magischen Drachen und Träger ihrer Macht. Eona, das Mädchen aus den Salzminen, träumt davon, eine von ihnen zu sein, schließlich hat sie die seltene Gabe, die Drachen in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Aber Eonas Traum ist Frevel und Rebellion - ist es doch Mädchen und Frauen unter Todesstrafe verboten, Magie zu wirken. Als Eona sich als Junge verkleidet in die Auswahlzeremonie schmuggelt, geschieht das Unglaubliche: Der lange verschollene Spiegeldrache erwählt sie zu seiner magischen Novizin. Doch einer hat in ihr das Mädchen erkannt: der charismatische Lord Ido, erstes und mächtigstes Drachenauge. Als er Eonas besondere Kräfte für seine dunklen Pläne missbrauchen will, muss sie schneller lernen, ihre Magie zu beherrschen, als je ein Novize zuvor...
Eine berührende Heldin im Kampf gegen mächtige Drachenmagier Seit Jahrhunderten herrschen sie neben dem Kaiser über das Reich: die Drachenaugen, Auserwählte der magischen Drachen und Träger ihrer Macht. Eona, das Mädchen aus den Salzminen, träumt davon, eine von ihnen zu sein, schließlich hat sie die seltene Gabe, die Drachen in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Aber Eonas Traum ist Frevel und Rebellion - ist es doch Mädchen und Frauen unter Todesstrafe verboten, Magie zu wirken. Als Eona sich als Junge verkleidet in die Auswahlzeremonie schmuggelt, geschieht das Unglaubliche: Der lange verschollene Spiegeldrache erwählt sie zu seiner magischen Novizin. Doch einer hat in ihr das Mädchen erkannt: der charismatische Lord Ido, erstes und mächtigstes Drachenauge. Als er Eonas besondere Kräfte für seine dunklen Pläne missbrauchen will, muss sie schneller lernen, ihre Magie zu beherrschen, als je ein Novize zuvor ...
- Grandiose All-age-Fantasy rund um eine rebellische Novizin der Magie
- Leidenschaftlich wie Trudi Canavan, drachenmagisch wie Christopher Paolini, farbenprächtig wie Licia Troisi
- Grandiose All-age-Fantasy rund um eine rebellische Novizin der Magie
- Leidenschaftlich wie Trudi Canavan, drachenmagisch wie Christopher Paolini, farbenprächtig wie Licia Troisi
Lese-Probe zu „Drachentochter / EONA Bd.1 “
EONA Drachentochter von Alison Goodman Aus den Schriftrollen von Jion Tzu
Niemand weiß, wie die ersten Drachenaugen ihre gefährliche
Abmachung mit den zwölf Energiedrachen des Glücks trafen.
Die wenigen Schriftrollen und Gedichte, die die Jahrhunderte
überdauert haben, setzen erst weit nach Abschluss dieses Bündnisses
ein, das Menschen und Geisttiere zum Schutz unseres Landes
eingingen. Allerdings soll es noch immer ein schwarzes Buch geben,
das von den grausamen Anfängen der uralten Allianz berichtet
und ihr furchtbares Ende voraussagt.
Drachen sind Elementarwesen, die das Hua die natürliche
Energie in allen Dingen beeinflussen können. Jeder Drache ist
mit einem der zwölf Himmelstiere des Kreises der Macht verbunden,
der sich seit Anbeginn der Zeit in der ewig gleichen Reihenfolge
dreht: Ratte, Büffel,Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd,
Ziege, Affe, Hahn, Hund und Schwein. Jeder Drache ist zudem
Wächter einer der zwölf Himmelsrichtungen und Hüter einer der
Größeren Tugenden.
An jedem Neujahrstag rückt der Kreis voran das nächste Tierjahr
beginnt, und sein Drache übernimmt die Herrschaft, was
seine Macht für die nächsten zwölf Monate verdoppelt. Dieser
Drache vereint sich mit einem Lehrling der Drachenmagie, und
während der Junge in sein neues Leben eintritt, wird der alte Lehrling
zum Drachenauge erhoben. Das neue Drachenauge ersetzt
seinen Meister und Vorgänger, der sich von seiner vierundzwan
zigjährigen Vereinigung mit dem Drachen erschöpft und tödlich
geschwächt zurückzieht. Es ist ein brutales Tauschgeschäft, das
den Drachenaugen gewaltige Kräfte verleiht genug, um Monsunstürme
umzuleiten, Flüsse zu versetzen und Erdbeben Einhalt
zu gebieten. Im Gegenzug für diese Herrschaft über die Natur gibt
das Drachenauge sein Hua allmählich an seinen Drachen ab.
Nur die Jungen, die einen Energiedrachen sehen können, dürfen
hoffen, einst in den Rang eines Drachenauges erhoben zu
... mehr
werden.
Den Drachen seines Geburtsjahrs sehen zu können, ist eine seltene
Gabe, aber noch seltener kommt es vor, dass jemand einen anderen
Energiedrachen zu sehen vermag. An jedem Neujahrstag treten
zwölf Jungen, die zwölf Jahre zuvor geboren wurden, dem neuen
Jahresdrachen gegenüber und beten, dass sie mit ihrer Gabe vor
dem Tier bestehen können. Einer der Jungen wird erwählt, und im
Moment der Vereinigung und nur in diesem Moment können
alle Menschen den Drachen in seiner ganzen Herrlichkeit schauen.
Für Frauen ist in der Welt der Drachenmagie kein Platz. Man
sagt, sie entweihen die Magie und besitzen weder die körperliche
Kraft noch die charakterliche Stärke, die zur Zwiesprache mit einem
Energiedrachen nötig ist. Es heißt auch, das weibliche Auge
sei zu sehr gewöhnt, sich selbst zu betrachten, und könne daher die
Energiewelt nicht sehen.
1
Ich ließ die Spitzen meiner beiden Schwerter in den sandigen
Boden der Arena sinken. Das war die falsche Bewegung, doch
der ziehende Schmerz in meinem Unterleib zwang mich, in die
Hocke zu gehen. Ich sah, wie sich die nackten Füße von Schwertmeister
Ranne heranschoben und er das Gewicht verlagerte, um
mit Schwung auszuholen. Wenn ich mit ihm übte, verkrampften
sich meine Eingeweide immer vor Furcht, doch dies hier war anders
dies waren Blutungsschmerzen. Hatte ich mich bei den
Mondtagen verzählt?
'Was machst du da, Junge?', fragte er.
Ich sah auf. Ranne hatte seine beiden Schwerter zum eleganten
Kreuzstreich erhoben, mit dem er mich hätte enthaupten können.
Seine Hände umklammerten den Schwertgriff fester. Ich wusste,
dass er die Schule liebend gern von dem Krüppel befreit hätte.
Aber das wagte er nicht.
'Bist du schon erschöpft?', wollte er wissen. 'Deine dritte Sequenz
war noch schlechter als sonst.'
Ich schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen, als mich
eine neue Welle von Schmerz erfasste.
'Es ist nichts, Schwertmeister.' Ich erhob mich vorsichtig und
behielt die Waffen unten.
Ranne ließ die Arme sinken und trat einen Schritt zurück. 'Du
bist nicht bereit für die morgige Zeremonie. Du wirst nie dafür
bereit sein. Du schaffst es nicht einmal, die Angriffssequenz durchzuführen.
'
Er drehte sich im Kreis und funkelte die anderen Anwärter an,
die am Rand des sandigen Übungsplatzes knieten. 'Nur wenn ihr
diese Sequenz vollkommen beherrscht, dürft ihr euch den Spiegeln
nähern.Verstanden?'
'Ja, Schwertmeister', riefen elf Stimmen.
'Bitte wenn Ihr erlaubt, versuche ich es erneut', sagte ich.
Wieder durchfuhr mich der Schmerz, doch ich ließ es mir nicht
anmerken.
'Nein, Eon-jah.Tritt zurück in den Kreis.'
Ich konnte sehen, dass sich die übrigen elf Anwärter vor Unbehagen
wanden. Ranne hatte meinem Namen ein -jah angefügt,
die alte Schutzformel gegen das Böse. Ich verbeugte mich, kreuzte
die Schwerter zum Gruß und stellte mir dabei vor, sie ihm in die
Brust zu stoßen. Hinter Ranne nahm der riesige Tigerdrache Gestalt
an und musterte mich. Er schien stets zu erwachen, wenn ich
mich ärgerte. Ich konzentrierte mich auf den Hasendrachen, bis er
strahlend vor mir stand, und hoffte, der Hüter des Friedens würde
meinen Zorn besänftigen.
Von den Anwärtern blickte sich nur Dillon in der Arena um.
Hatte er die Drachen gespürt? Seine Sinne waren feiner als die der
anderen Jungen, doch auch er musste stundenlang meditieren, um
einen Energiedrachen zu sehen. Ich war der einzige Anwärter, der
die Drachen jederzeit herbeirufen konnte alle, bis auf den Spiegeldrachen
natürlich, der vor langer Zeit verloren gegangen war.
Es brauchte meine ganze Konzentration, um die Geisttiere aufsteigen
zu lassen, und schwächte mich, aber es war das Einzige, was
die letzten zwei Jahre harten Trainings erträglich gemacht hatte. Es
war auch der einzige Grund, warum ein Krüppel wie ich als Anwärter
zugelassen worden war: die reine Drachensicht war selten,
allerdings wie Schwertmeister Ranne nicht müde wurde, mich
zu erinnern keine Garantie auf Erfolg.
'Zurück in den Kreis. Sofort!', brüllte er nun.
Ich richtete mich auf und trat zurück. Zu schnell. Der Sand unter
meinem kaputten Bein sackte weg und schob es nach rechts.
Ich schlug hart auf dem Boden auf. Einen Herzschlag lang war ich
vor Schreck betäubt. Dann kam der Schmerz in Schulter, Hüfte
und Knie. Meine Hüfte! Hatte ich mir die kaputte Hüfte verletzt?
Ich tastete durch Haut und Muskeln nach dem verwachsenen
Knochen. Nein, er tat nicht weh. Er war ganz geblieben. Und
auch die anderen Schmerzen ließen bereits nach.
Dillon schob sich so rasch auf Knien in die Arena, dass Sand aufflog.
Seine Augen waren vor Sorge geweitet. Dieser kleine Narr
würde die Dinge nur schlimmer machen.
'Eon, bist du ?'
'Im Kreis bleiben!', herrschte Ranne ihn an. Dann trat er mich.
'Steh auf, Eon-jah. Du bist eine Schande für die Zunft der Drachenaugen.
Steh auf!'
Ich erhob mich mühsam auf alle viere, bereit, mich abzurollen,
falls er wieder zutrat. Doch der Tritt blieb aus. Ich nahm meine
Schwerter und stemmte mich auf die Beine, wobei die Krämpfe erneut
einsetzten. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern; ich musste
zu meinem Meister zurück, ehe die Blutung begann. Seit mein
Körper uns vor einem halben Jahr das erste Mal beinahe verraten
hätte, hortete mein Meister weiche Tücher und Schwämme in seiner
Bibliothek, wo sie vor neugierigen Blicken geschützt waren.
Die Halbstundenglocke hatte gerade geläutet falls Ranne mich
entließ, konnte ich es bis zur vollen Stunde zum Haus meines
Meisters und zurück schaffen.
'Schwertmeister, darf ich mich bis zum nächsten Glockenschlag
entfernen?', fragte ich. Dabei hielt ich den Kopf ehrerbietig gesenkt,
sah Ranne aber dennoch in seine ebenso stumpfe wie sture
Miene.Vermutlich war er in einem Büffeljahr geboren worden.
Oder in einem Ziegenjahr.
Ranne zuckte die Achseln. 'Gib deine Schwerter in der Waffenkammer
ab, Eon-jah, und mach dir nicht die Mühe zurückzukommen.
Ein paar Übungsstunden mehr werden deine Chancen
morgen nicht erhöhen.' Er wandte mir den Rücken zu, rief seinen
Liebling Baret auf und ließ ihn meinen Platz in der Arena einnehmen.
Ich war verabschiedet.
Dillon sah besorgt zu mir herüber.Wir zwei waren die schwächsten
Anwärter. Er war zwölf, also so alt wie die übrigen Jungen,
aber so klein wie ein Achtjähriger; und ich war lahm. Früher wären
wir nicht einmal in den Kreis der Anwärter aufgenommen
worden, und niemand rechnete damit, dass der Rattendrache einen
von uns beiden in der morgigen Zeremonie erwählen würde. Die
Wetten auf Dillon standen bei eins zu dreißig, während mir nur
eine Chance von eins zu tausend eingeräumt wurde. Zwar sprach
alles gegen uns, doch selbst der Drachenrat wusste nicht, wie ein
Drache seine Wahl traf. Ich tat, als gähnte ich Rannes Rücken an,
und wartete auf Dillons Lächeln. Seine Mundwinkel zuckten aufwärts,
doch das Gesicht blieb angespannt.
Wieder dieser ziehende Schmerz im Unterleib. Ich hielt die Luft
an, wandte mich ab und ging vorsichtig auf die kleine Waffenkammer
zu, wobei ich das lahme Bein durch den feinen Sand zog. Dillon
hatte allen Grund zur Sorge. Die Anwärter bekämpften sich
zwar nicht länger um die Ehre, sich den Spiegeln zu nähern, doch
wir mussten unsere Stärke und unser Stehvermögen noch in den
zeremoniellen Schwertvorführungen beweisen. Immerhin konnte
Dillon die Angriffssequenz vollenden, wenn auch mehr schlecht als
recht. Ich dagegen hatte die komplizierten Bewegungsabfolgen des
Dritten Spiegeldrachen kein einziges Mal geschafft.
Es hieß, man brauche große körperliche und geistige Kraft, um
mit den Energiedrachen zu verhandeln und die Kräfte der Erde
zu beeinflussen. Unter den Anwärtern wurde sogar geflüstert, ein
Drachenauge übertrage seine Lebenskraft allmählich ganz auf seinen
Drachen, um dafür die Energien beherrschen zu können, und
dieser Pakt lasse ihn vorzeitig altern. Mein Meister war während
des letzten Kreislaufs das Tigerdrachenauge gewesen und nach
meiner Einschätzung kaum mehr als vierzig Jahre alt. Dennoch sah
er aus wie ein Greis und verhielt sich auch so.Vielleicht stimmte
es ja und die Drachenaugen gaben tatsächlich ihre Lebenskraft
ab.Vielleicht war mein Meister aber auch nur unter der Last der
Armut und des Unglücks gealtert. Und nun riskierte er alles um
der bloßen Möglichkeit meines Erfolgs willen.
Ich blickte zurück. Ranne beobachtete, wie Baret die erste Sequenz
durchführte.Würde der Rattendrache aus all den starken und
gesunden Jungen, die darum buhlten, ihm zu dienen, ausgerechnet
mich wählen? Er war der Hüter des Ehrgeizes möglicherweise
würden ihn körperliche Fähigkeiten also nicht beeindrucken. Ich
wandte mich nach Nordnordwesten und konzentrierte mich, bis
ich den Rattendrachen wie eine Fata Morgana über dem Sand
schimmern sah.Als würde er meinen Blick bemerken, bog er den
Hals und schüttelte seine dichte Mähne.
Sollte er mich wirklich erwählen, würde ich vierundzwanzig
Jahre lang Ansehen und Wohlstand genießen: zunächst als Lehrling
des gegenwärtigen Drachenauges und dann, wenn er abdankte,
als Gebieter über die Energien meines Drachen.Trotz der zwanzigprozentigen
Abgabe an meinen Meister würde ich gewaltige
Reichtümer anhäufen. Niemand würde es wagen, mich anzuspucken,
sich angewidert von mir abzuwenden oder das Zeichen zur
Abwehr des Bösen zu machen.
Sollte mich der Drache nicht erwählen, könnte ich von Glück
sagen, wenn mein Meister mich als Diener in seinem Haus behielte.
Ich würde wie Chart sein, unser Toilettenjunge, dessen Körper für
immer zu einer grausamen Parodie seiner selbst verdreht war.Vor
vierzehn Jahren hatte Rilla, eine der unverheirateten Mägde, Chart
zur Welt gebracht, und obwohl meinen Meister die Missbildungen
des Jungen anwiderten, hatte er ihm erlaubt, in seinem Haus zu
wohnen. Chart hatte den Dienstbotentrakt nie verlassen und lebte
auf einer Strohmatte neben den Küchenherden. Sollte ich morgen
scheitern, konnte ich nur hoffen, dass mein Meister mir dieselbe
Gnade erweisen würde. Ehe er mich vor vier Jahren fand, hatte
ich in einer Saline gearbeitet. Ich würde mir lieber mit Chart die
Strohmatte bei den Küchenherden teilen, als in dieses Elend zurückzukehren.
Ich blieb stehen und dehnte meinen Geist weiter aus, bis meine
Energien den Rattendrachen erreichten und ich versuchen konnte,
das Bewusstsein des gewaltigen Wesens zu berühren. Ich spürte
seine Kraft durch meinen Körper blitzen. Sprich mit mir, bat ich.
Sprich mit mir. Erwähle mich morgen. Bitte erwähle mich.
Keine Reaktion.
Ein dumpfer Schmerz in der Schläfe schwoll zu greller Qual. Ich
konnte die Drachensicht nicht länger aufrechterhalten. Die Anstrengung
war zu groß. Er entglitt meinem geistigen Auge und
nahm meine Energie mit. Ich stieß ein Schwert in den Sand, um
nicht zu stürzen, und rang nach Luft. Ich Narr! Würde ich es denn
nie lernen? Ein Drache sprach einzig und allein mit seinem Drachenauge
und dessen Lehrling. Ich holte tief Luft und zog das
Schwert aus dem Boden. Warum aber konnte ich dann alle elf
Drachen sehen? Schon immer hatte ich meinen Geist auf die
Energiewelt richten und die riesigen, halbdurchsichtigen Umrisse
der Drachen erkennen können.Warum war mir eine solche Gabe
in einem derart hässlichen Körper geschenkt worden?
Ich war erleichtert, den Sand zu verlassen und in den gepflasterten
Hof der Waffenkammer zu treten. Die heftigen Krämpfe
in meinem Unterleib waren endlich einem leichten Ziehen gewichen.
Hian, der alte Waffenmeister, saß auf einer Kiste neben
der Tür zur Waffenkammer und polierte einen kleinen, frisch geschmiedeten
Dolch.
'Haben sie dich wieder rausgeworfen?', fragte er, als ich an ihm
vorbeiging.
Ich blieb stehen. Hian hatte noch nie mit mir gesprochen.
'Ja, Waffenmeister', sagte ich und senkte das Kinn, um seinen
Hohn über mich hinwegspülen zu lassen.
Er hielt den Dolch vor sich in die Höhe und prüfte die Schneide.
'Ich habe den Eindruck, du hast dich ganz gut geschlagen.'
Ich blickte ihm in die Augen; das Weiße erschien gegen die vom
Schmiedeofen gerötete Haut fast gelblich.
'Mit deinem Bein wirst du den Dritten Spiegeldrachen nie richtig
hinbekommen', sagte er. 'Versuch es stattdessen mit einer anderen
Sequenz, mit dem Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen. Das
haben schon andere vor dir getan. Ranne hätte dir das sagen sollen.'
Ich verzog keine Miene, konnte aber den Funken Hoffnung, der
in mir aufkeimte, nicht ganz unterdrücken. War das wahr? Aber
warum erzählte er es mir? Vielleicht machte er sich bloß über den
Krüppel lustig.
Er stand auf und stützte sich dabei am Türpfosten ab. 'Ich werfe
dir dein Misstrauen nicht vor, Junge.Aber frag deinen Meister. Er
ist einer der besten Geschichtskenner und wird dir bestätigen, dass
ich recht habe.'
'Ja, Waffenmeister. Danke.'
Auf einen Schrei hin drehten wir uns nach den Anwärtern in
der Arena um. Baret lag vor Ranne auf den Knien.
'Schwertmeister Louan galt als einer der besten Lehrer, was die
Eröffnungszeremonie angeht. Es ist schade, dass er sich zur Ruhe
gesetzt hat', sagte Hian ungerührt. 'Hast du Übungsschwerter zu
Hause?'
Ich nickte.
'Dann trainiere heute Abend den Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen,
bevor du mit dem Reinigungsritual beginnst.' Er stieg
steif die beiden Treppenstufen hinunter und sah sich noch mal nach
mir um. 'Und bestell deinem Meister Grüße vom alten Hian.'
Ich sah ihn langsam zum Tor gehen, das zum Schmiedeofen
führte. Das ferne Klirren von Hammer und Amboss begleitete seinen
Abgang.Wenn er recht hatte und ich den Dritten Spiegeldrachen
durch den Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen ersetzen
konnte, würde ich keine Schwierigkeiten haben, die Angriffssequenz
zu beenden.
Ich trat in die kühle, halbdunkle Waffenkammer und wartete, bis
meine Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten. Ich war
weniger überzeugt als der Waffenmeister, dass der Drachenrat eine
Abwandlung der Zeremonie erlauben würde, besonders in der
Spiegeldrachensequenz. Dieser Drache war schließlich das Symbol
des Kaisers und der Legende nach stammte die Kaiserliche Fa
milie von Drachen ab und hatte noch immer Drachenblut in den
Adern.
Andererseits war der Spiegeldrache seit über fünfhundert Jahren
verschwunden. Niemand wusste genau, wie und warum das
geschehen war. Eine Geschichte besagte, vor langer Zeit habe ein
Kaiser ihn beleidigt; eine andere berichtete, in einem schrecklichen
Kampf zwischen den Geisttieren sei es zur Vernichtung des Spiegeldrachen
gekommen. Mein Meister sagte, all diese Geschichten
seien bloße Hirngespinste, die die Leute sich am Herdfeuer ausgedacht
hätten; die Wahrheit dagegen sei zusammen mit allen Aufzeichnungen
dem Vergessen anheim und dem Brand der Spiegeldrachenhalle
zum Opfer gefallen. Und er musste es wissen, denn er
war wie der Waffenmeister gesagt hatte ein großer Geschichtskenner.
Sollte es eine alte Variante der Angriffssequenz geben, dann
würde er es herausfinden.
Aber zunächst musste ich ihm einen Tag vor der Zeremonie sagen,
dass ich die Spiegeldrachensequenz nicht vollenden konnte.
Ich zitterte bei dem Gedanken an all die Striemen und blauen Flecke,
die mir sein letzter Wutausbruch eingebracht hatte. Ich wusste,
dass Verzweiflung ihn dazu verleitete, die Hand gegen mich zu erheben
im letzten Jahrzehnt hatte mein Meister sechs Anwärter
ausgebildet und alle waren gescheitert , doch ich sehnte mich
nicht nach seinem Zorn. Ich umklammerte meine Schwerter fester.
Ich musste herausfinden, ob der Umgekehrte Zweite Pferdedrachen
erlaubt war. Er war meine einzige Chance.
Mein Meister war kein Narr; er würde mich vor der Zeremonie
sicher nicht zu hart bestrafen. Zu viel hing davon ab. Und
falls seine Schriftrollen bestätigten, was Hian gesagt hatte, blieben
mir vor dem Reinigungsritual gut vier Stunden, um die neuen
Bewegungen und Übergänge zu trainieren. Das war nicht lange,
sollte aber genügen. Ich hob die Schwerter zum über den Kopf
geführten Streich, mit dem der Umgekehrte Zweite Pferdedrache
begann, und führte das linke Schwert flach nach unten, um nirgendwo
anzustoßen.
'He, fuchtele mit den Dingern nicht hier drinnen herum!',
herrschte mich der Wächter an.
Ich trat zu ihm und senkte dabei die Schwerter.
'Verzeihung,Wächter', sagte ich eilig zu dem bleichen, dünnen
Mann, der es liebte, uns Vorträge zu halten. Ich reichte ihm die
Griffe mit zu Boden weisenden Klingen und sah, wie seine Faust
sich kurz zum Zeichen gegen das Böse ballte, ehe er die Schwerter
nahm.
'Irgendwelche Beschädigungen?', fragte er und hielt eine Waffe
flach vor sich hin, um die Klinge zu prüfen.
'Nein, Wächter.'
'Das sind nämlich kostbare Instrumente, keine Spielsachen. Die
musst du mit Respekt behandeln, statt drinnen mit ihnen herumzufuhrwerken.
Wenn das jeder '
'Danke,Wächter', sagte ich und zog mich zurück, ehe er richtig
in Fahrt kommen konnte. Er redete noch, als ich die Stufen bereits
erklommen hatte.
Der einfachste Weg, um die Schule zu verlassen, führte zurück
über die Arena und durchs Haupttor, doch ich wollte nicht noch
einmal durch den Sand laufen oder Rannes Aufmerksamkeit auf
mich ziehen. Stattdessen nahm ich den steilen Pfad zum Südtor
der Schule hinunter. Meine linke Hüfte schmerzte vom Training
und das Ziehen in meinem Unterleib raubte mir den Atem.Als ich
das Südtor erreichte und von dem gelangweilten Wächter durchgelassen
wurde, schwitzte ich, weil ich mich so anstrengen musste,
um nicht laut aufzuschreien.
Die Straße hinter der Schule lag am Rand des Marktes. Gut ein
Dutzend Läden befanden sich hier. Der Geruch von brutzelndem
Schweinefett und kross gebratener Ente lag schwer in der Luft.
Ich lehnte mich an die Schulmauer, ließ die Steine meinen Rü
cken kühlen und beobachtete, wie sich ein Mädchen in der blauen
Schürze einer Küchenmagd durch Trauben plaudernder Marktbesucher
drängte und am Tresen des Schweinefleischverkäufers stehen
blieb. Sie war etwa sechzehn Jahre alt also in meinem wahren
Alter , und ihr dunkles Haar war zu jenem einfach gedrehten
Zopf aufgesteckt, der sie als unverheiratetes Mädchen auswies. Ich
griff nach meinem kurzen schwarzen, auf Anwärterlänge gestutzten
Zopf. Sollte ich am nächsten Tag erwählt werden, würde ich
mir die Haare bis zur Taille wachsen lassen, um sie zu dem doppelt
gedrehten Zopf binden zu können, wie die Drachenaugen ihn
trugen.
Das Mädchen zeigte mit noch immer gesenktem Blick auf eine
geräucherte Keule in der Auslage. Der junge Lehrling packte das
Fleisch ein und legte es auf die Theke. Erst als er einen Schritt zurückgetreten
war, legte das Mädchen die Münze neben das Päckchen
und nahm das Fleisch. Keine Unterhaltung, kein Blickkontakt,
keine Berührung es verlief alles sehr sittsam. Und doch
spürte ich, dass zwischen den beiden etwas war.
Obwohl ich wusste, dass es sich nicht gehörte, kniff ich die Augen
zusammen und konzentrierte mich auf die beiden, wie ich es
auch mit den Drachen tat. Erst merkte ich nichts. Dann fühlte ich
eine seltsame Veränderung in meinem geistigen Auge, als würde
ich näher treten, und dann leuchtete ein Schwall orangefarbener
Energie zwischen dem Mädchen und dem Jungen auf und umwirbelte
die beiden wie ein kleiner Monsun. Etwas schlug mir auf
den Magen und aufs Gemüt. Ich blickte zu Boden, fühlte mich
wie ein Eindringling und blinzelte meine Vision weg.Als ich wieder
zu den beiden hinsah, wandte sich das Mädchen bereits zum
Gehen.Von der Energie, die die beiden eben noch umgeben und
deren pulsierendes Licht in meinem Geist ein gleißendes Nachbild
hinterlassen hatte, war nichts mehr zu sehen.Warum konnte
ich plötzlich derart intime menschliche Energien wahrnehmen?
Weder mein Meister noch meine Lehrer hatten je davon gesprochen.
Um Gefühle ging es nicht bei der Drachenmagie. Es überlief
mich heiß; wieder ein Geheimnis, das es vor der Welt zu verbergen
galt. Ich drückte mich von der Wand ab, um mir Bewegung zu
verschaffen und den Nachgeschmack von Macht und Scham loszuwerden.
Das Haus meines Meisters lag drei Straßen weit entfernt und
der Weg führte ständig bergauf. Das vertraute Ziehen in der Hüfte,
wie ich es immer hatte, wenn ich mich zu sehr anstrengte, war
stärker geworden und warnte mich. Ich brauchte ein heißes Bad,
falls ich die Angriffssequenz noch trainieren wollte. Der Gang neben
dem Laden des Fleischverkäufers war eine gute Abkürzung.
Sofern er leer war. Ich legte die Hand an die Augen, um das Sonnenlicht
abzuschirmen, und musterte die schmale Gasse. Sie schien
sicher zu sein, keine Hafenjungen, die sich eine eilige Pfeife teilten
oder zum Zeitvertreib einen Humpelnden jagen wollten. Ich
machte einen Schritt auf die Gasse zu, zögerte dann aber, weil eine
vertraute Bewegung durch die Menge ging: Leute drängten zum
Straßenrand und fielen dort auf die Knie und das Gerede verstummte
plötzlich.
'Macht Platz für Lady Jila. Platz für Lady Jila.'
Die Stimme war hoch, doch es war ein Mann, der da rief. Eine
kunstvoll geschnitzte Sänfte bewegte sich auf den Schultern von
acht schwitzenden Männern die Straße hinunter; ihr Passagier war
hinter violetten Seidenvorhängen verborgen. Zwölf Wächter in
violetten Gewändern und mit gebogenen Schwertern bildeten
ein schützendes Viereck um die Sänfte: die Schattenmänner, die
Soldaten-Eunuchen des Kaiserhofs. Sie waren stets bereit, Leute,
die nicht schnell genug beiseitegesprungen waren oder sich nicht
rasch genug verbeugt hatten, niederzuschlagen. Ich ließ mich auf
mein gesundes Knie sinken und zog mein lahmes Bein unter mich.
Lady Jila? Sie musste sich der besonderen Gunst des Kaisers er
freuen, sonst hätte sie den Palastbezirk nicht verlassen dürfen. Ich
senkte den Oberkörper zur höfischen Verbeugung.
Ein stämmiger Mann in Beinlingen und dem Ölzeug eines Seefahrers
richtete sich neben mir auf und beobachtete den nahenden
Zug.Wenn er sich nicht verneigte, würde er die Aufmerksamkeit
der Wächter erregen. Und die achteten nicht weiter darauf, wen sie
beim Zuschlagen trafen.
'Das ist eine Hofdame, Sir', flüsterte ich ihm dringlich zu. 'Ihr
müsst Euch verbeugen. So wie ich.'
Er warf mir einen Seitenblick zu. 'Denkst du, sie verdient unseren
Respekt?', fragte er.
Ich runzelte die Stirn. 'Wie meint Ihr das? Sie ist eine Hofdame
da kommt es nicht darauf an, was sie verdient.Wenn Ihr
Euch nicht verbeugt, wird man Euch bestrafen.'
Der Seefahrer lachte. 'Du hast eine sehr sachliche Art, das Leben
zu sehen. Ich werde deinen Rat annehmen.' Er senkte die Schultern
und lächelte dabei noch immer.
Ich hielt den Atem an, als die Sänfte vorbeiglitt, und der aufwirbelnde
Staub ließ mich blinzeln. Ein wenig weiter hörte ich ein
Schwert auf Haut klatschten: Der voranschreitende Wächter hatte
einen Kaufmann, der zu langsam gewesen war, niedergeschlagen.
Die Sänfte verschwand hinter der nächsten Ecke und ein allgemeines
Aufatmen und Schütteln der Glieder lief durch die Menge.
Die Gespräche wurden lauter, als die Menschen sich erhoben und
sich den Staub von den Gewändern strichen. Ich stützte die Hände
auf den Boden, zog mein Bein hervor und machte mich daran aufzustehen.
Plötzlich spürte ich unter jeder Achsel eine große Hand,
die mich hochzog.
'Bitte sehr, Junge.'
'Fasst mich nicht an!' Ich sprang mit verschränkten Armen zurück.
'Schon gut', sagte er und hob beschwichtigend die Hände. 'Ich
wollte mich bloß für deinen Gefallen revanchieren. Du hast mich
vor einem Schwertschlag auf den Rücken bewahrt.'
Er roch nach Tran, altem Schweiß und Seetang. Eine Erinnerung
durchzuckte mich: Ich sah mich ein langes Band schwarz schillernden
Tangs hochheben und meine Mutter nicken, lächeln, den
Tang aufwickeln und ihn in den Korb legen, den sie sich an den
schlanken Leib gebunden hatte. Dann war das Bild wieder verschwunden.
Wie alle anderen Erinnerungen an die Familie war
es so flüchtig aufgetaucht, dass ich es nicht hatte festhalten können.
'Es tut mir leid, Sir, aber Ihr habt mich überrascht', sagte ich und
schlang mir die Arme noch fester um den Leib. 'Danke für Eure
Hilfe.' Ich verbeugte mich höflich und schritt davon. Noch immer
spürte ich seine zupackenden Hände auf meiner Haut.
Die Gasse auf der anderen Straßenseite war nun nicht mehr leer.
Ein paar Hafenjungen hatten sich am anderen Ende versammelt
und sich zu einem Würfelspiel niedergehockt. Ich würde den längeren
Weg nehmen müssen. Wie aus Protest wurde mein Hüft-
schmerz stärker.
Der Seefahrer trat erneut neben mich. 'Vielleicht hilfst du mir
noch ein zweites Mal', sagte er höflich. 'Kannst du mir sagen, wie
ich zum Tor der Beamten komme?'
Er sah mich fragend an, seine Miene war frei von Argwohn. Ich
schaute erneut zu den Hafenjungen hinüber, dann wieder zu dem
Seefahrer. Er war nicht übermäßig groß, hatte aber einen kräftigen
Brustkorb und starke Schultern, und in seinem gebräunten
Gesicht standen ernste Falten. Ich vergewisserte mich mit einem
raschen Blick, ob er bewaffnet war: Er trug ein Messer am Gürtel.
Das würde reichen.
'Ich bin in die gleiche Richtung unterwegs, Sir', sagte ich und
wies in die Gasse auf der anderen Straßenseite. Es war nicht genau
die Richtung, in die er wollte, dieser Weg würde ihn aber immer
UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Alison Goodman
EONA -Drachentochter
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 512 Seiten, 15,0 x 22,7 cm
ISBN: 978-3-570-13565-5
cbj
Erscheinungstermin: Februar 2010
Eine berührende Heldin im Kampf gegen mächtige Drachenmagier
Seit Jahrhunderten herrschen sie neben dem Kaiser über das Reich: die Drachenaugen,
Auserwählte der magischen Drachen und Träger ihrer Macht. Eona, das Mädchen aus den
Salzminen, träumt davon, eine von ihnen zu sein, schließlich hat sie die seltene Gabe, die
Drachen in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Aber Eonas Traum ist Frevel und Rebellion ist
es doch Mädchen und Frauen unter Todesstrafe verboten, Magie zu wirken. Als Eona sich als
Junge verkleidet in die Auswahlzeremonie schmuggelt, geschieht das Unglaubliche: Der lange
verschollene Spiegeldrache erwählt sie zu seiner magischen Novizin. Doch einer hat in ihr das
Mädchen erkannt: der charismatische Lord Ido, erstes und mächtigstes Drachenauge. Als er
Eonas besondere Kräfte für seine dunklen Pläne missbrauchen will, muss sie schneller lernen,
ihre Magie zu beherrschen, als je ein Novize zuvor ...
Grandiose All-age-Fantasy rund um eine rebellische Novizin der Magie
Leidenschaftlich wie Trudi Canavan, drachenmagisch wie Christopher Paolini, farbenprächtig
wie Licia Troisi
cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House
SGS-COC-1940
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifzierte Papier
München Super Extra liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
1. Auflage 2010
© 2010 für die deutschsprachige Ausgabe
cbj, München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 2008 by Alison Goodman
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
'EON Dragoneye Reborn' bei Viking/Penguin Group, New York
Aus dem australischen Englisch von Andreas Heckmann
Umschlagillustration: Jacopo Bruno
Umschlaggestaltung: Hilden Design, München
SK · Herstellung:WM
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-570-13565-5
Printed in Germany
www.cbj-verlag.de
Den Drachen seines Geburtsjahrs sehen zu können, ist eine seltene
Gabe, aber noch seltener kommt es vor, dass jemand einen anderen
Energiedrachen zu sehen vermag. An jedem Neujahrstag treten
zwölf Jungen, die zwölf Jahre zuvor geboren wurden, dem neuen
Jahresdrachen gegenüber und beten, dass sie mit ihrer Gabe vor
dem Tier bestehen können. Einer der Jungen wird erwählt, und im
Moment der Vereinigung und nur in diesem Moment können
alle Menschen den Drachen in seiner ganzen Herrlichkeit schauen.
Für Frauen ist in der Welt der Drachenmagie kein Platz. Man
sagt, sie entweihen die Magie und besitzen weder die körperliche
Kraft noch die charakterliche Stärke, die zur Zwiesprache mit einem
Energiedrachen nötig ist. Es heißt auch, das weibliche Auge
sei zu sehr gewöhnt, sich selbst zu betrachten, und könne daher die
Energiewelt nicht sehen.
1
Ich ließ die Spitzen meiner beiden Schwerter in den sandigen
Boden der Arena sinken. Das war die falsche Bewegung, doch
der ziehende Schmerz in meinem Unterleib zwang mich, in die
Hocke zu gehen. Ich sah, wie sich die nackten Füße von Schwertmeister
Ranne heranschoben und er das Gewicht verlagerte, um
mit Schwung auszuholen. Wenn ich mit ihm übte, verkrampften
sich meine Eingeweide immer vor Furcht, doch dies hier war anders
dies waren Blutungsschmerzen. Hatte ich mich bei den
Mondtagen verzählt?
'Was machst du da, Junge?', fragte er.
Ich sah auf. Ranne hatte seine beiden Schwerter zum eleganten
Kreuzstreich erhoben, mit dem er mich hätte enthaupten können.
Seine Hände umklammerten den Schwertgriff fester. Ich wusste,
dass er die Schule liebend gern von dem Krüppel befreit hätte.
Aber das wagte er nicht.
'Bist du schon erschöpft?', wollte er wissen. 'Deine dritte Sequenz
war noch schlechter als sonst.'
Ich schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen, als mich
eine neue Welle von Schmerz erfasste.
'Es ist nichts, Schwertmeister.' Ich erhob mich vorsichtig und
behielt die Waffen unten.
Ranne ließ die Arme sinken und trat einen Schritt zurück. 'Du
bist nicht bereit für die morgige Zeremonie. Du wirst nie dafür
bereit sein. Du schaffst es nicht einmal, die Angriffssequenz durchzuführen.
'
Er drehte sich im Kreis und funkelte die anderen Anwärter an,
die am Rand des sandigen Übungsplatzes knieten. 'Nur wenn ihr
diese Sequenz vollkommen beherrscht, dürft ihr euch den Spiegeln
nähern.Verstanden?'
'Ja, Schwertmeister', riefen elf Stimmen.
'Bitte wenn Ihr erlaubt, versuche ich es erneut', sagte ich.
Wieder durchfuhr mich der Schmerz, doch ich ließ es mir nicht
anmerken.
'Nein, Eon-jah.Tritt zurück in den Kreis.'
Ich konnte sehen, dass sich die übrigen elf Anwärter vor Unbehagen
wanden. Ranne hatte meinem Namen ein -jah angefügt,
die alte Schutzformel gegen das Böse. Ich verbeugte mich, kreuzte
die Schwerter zum Gruß und stellte mir dabei vor, sie ihm in die
Brust zu stoßen. Hinter Ranne nahm der riesige Tigerdrache Gestalt
an und musterte mich. Er schien stets zu erwachen, wenn ich
mich ärgerte. Ich konzentrierte mich auf den Hasendrachen, bis er
strahlend vor mir stand, und hoffte, der Hüter des Friedens würde
meinen Zorn besänftigen.
Von den Anwärtern blickte sich nur Dillon in der Arena um.
Hatte er die Drachen gespürt? Seine Sinne waren feiner als die der
anderen Jungen, doch auch er musste stundenlang meditieren, um
einen Energiedrachen zu sehen. Ich war der einzige Anwärter, der
die Drachen jederzeit herbeirufen konnte alle, bis auf den Spiegeldrachen
natürlich, der vor langer Zeit verloren gegangen war.
Es brauchte meine ganze Konzentration, um die Geisttiere aufsteigen
zu lassen, und schwächte mich, aber es war das Einzige, was
die letzten zwei Jahre harten Trainings erträglich gemacht hatte. Es
war auch der einzige Grund, warum ein Krüppel wie ich als Anwärter
zugelassen worden war: die reine Drachensicht war selten,
allerdings wie Schwertmeister Ranne nicht müde wurde, mich
zu erinnern keine Garantie auf Erfolg.
'Zurück in den Kreis. Sofort!', brüllte er nun.
Ich richtete mich auf und trat zurück. Zu schnell. Der Sand unter
meinem kaputten Bein sackte weg und schob es nach rechts.
Ich schlug hart auf dem Boden auf. Einen Herzschlag lang war ich
vor Schreck betäubt. Dann kam der Schmerz in Schulter, Hüfte
und Knie. Meine Hüfte! Hatte ich mir die kaputte Hüfte verletzt?
Ich tastete durch Haut und Muskeln nach dem verwachsenen
Knochen. Nein, er tat nicht weh. Er war ganz geblieben. Und
auch die anderen Schmerzen ließen bereits nach.
Dillon schob sich so rasch auf Knien in die Arena, dass Sand aufflog.
Seine Augen waren vor Sorge geweitet. Dieser kleine Narr
würde die Dinge nur schlimmer machen.
'Eon, bist du ?'
'Im Kreis bleiben!', herrschte Ranne ihn an. Dann trat er mich.
'Steh auf, Eon-jah. Du bist eine Schande für die Zunft der Drachenaugen.
Steh auf!'
Ich erhob mich mühsam auf alle viere, bereit, mich abzurollen,
falls er wieder zutrat. Doch der Tritt blieb aus. Ich nahm meine
Schwerter und stemmte mich auf die Beine, wobei die Krämpfe erneut
einsetzten. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern; ich musste
zu meinem Meister zurück, ehe die Blutung begann. Seit mein
Körper uns vor einem halben Jahr das erste Mal beinahe verraten
hätte, hortete mein Meister weiche Tücher und Schwämme in seiner
Bibliothek, wo sie vor neugierigen Blicken geschützt waren.
Die Halbstundenglocke hatte gerade geläutet falls Ranne mich
entließ, konnte ich es bis zur vollen Stunde zum Haus meines
Meisters und zurück schaffen.
'Schwertmeister, darf ich mich bis zum nächsten Glockenschlag
entfernen?', fragte ich. Dabei hielt ich den Kopf ehrerbietig gesenkt,
sah Ranne aber dennoch in seine ebenso stumpfe wie sture
Miene.Vermutlich war er in einem Büffeljahr geboren worden.
Oder in einem Ziegenjahr.
Ranne zuckte die Achseln. 'Gib deine Schwerter in der Waffenkammer
ab, Eon-jah, und mach dir nicht die Mühe zurückzukommen.
Ein paar Übungsstunden mehr werden deine Chancen
morgen nicht erhöhen.' Er wandte mir den Rücken zu, rief seinen
Liebling Baret auf und ließ ihn meinen Platz in der Arena einnehmen.
Ich war verabschiedet.
Dillon sah besorgt zu mir herüber.Wir zwei waren die schwächsten
Anwärter. Er war zwölf, also so alt wie die übrigen Jungen,
aber so klein wie ein Achtjähriger; und ich war lahm. Früher wären
wir nicht einmal in den Kreis der Anwärter aufgenommen
worden, und niemand rechnete damit, dass der Rattendrache einen
von uns beiden in der morgigen Zeremonie erwählen würde. Die
Wetten auf Dillon standen bei eins zu dreißig, während mir nur
eine Chance von eins zu tausend eingeräumt wurde. Zwar sprach
alles gegen uns, doch selbst der Drachenrat wusste nicht, wie ein
Drache seine Wahl traf. Ich tat, als gähnte ich Rannes Rücken an,
und wartete auf Dillons Lächeln. Seine Mundwinkel zuckten aufwärts,
doch das Gesicht blieb angespannt.
Wieder dieser ziehende Schmerz im Unterleib. Ich hielt die Luft
an, wandte mich ab und ging vorsichtig auf die kleine Waffenkammer
zu, wobei ich das lahme Bein durch den feinen Sand zog. Dillon
hatte allen Grund zur Sorge. Die Anwärter bekämpften sich
zwar nicht länger um die Ehre, sich den Spiegeln zu nähern, doch
wir mussten unsere Stärke und unser Stehvermögen noch in den
zeremoniellen Schwertvorführungen beweisen. Immerhin konnte
Dillon die Angriffssequenz vollenden, wenn auch mehr schlecht als
recht. Ich dagegen hatte die komplizierten Bewegungsabfolgen des
Dritten Spiegeldrachen kein einziges Mal geschafft.
Es hieß, man brauche große körperliche und geistige Kraft, um
mit den Energiedrachen zu verhandeln und die Kräfte der Erde
zu beeinflussen. Unter den Anwärtern wurde sogar geflüstert, ein
Drachenauge übertrage seine Lebenskraft allmählich ganz auf seinen
Drachen, um dafür die Energien beherrschen zu können, und
dieser Pakt lasse ihn vorzeitig altern. Mein Meister war während
des letzten Kreislaufs das Tigerdrachenauge gewesen und nach
meiner Einschätzung kaum mehr als vierzig Jahre alt. Dennoch sah
er aus wie ein Greis und verhielt sich auch so.Vielleicht stimmte
es ja und die Drachenaugen gaben tatsächlich ihre Lebenskraft
ab.Vielleicht war mein Meister aber auch nur unter der Last der
Armut und des Unglücks gealtert. Und nun riskierte er alles um
der bloßen Möglichkeit meines Erfolgs willen.
Ich blickte zurück. Ranne beobachtete, wie Baret die erste Sequenz
durchführte.Würde der Rattendrache aus all den starken und
gesunden Jungen, die darum buhlten, ihm zu dienen, ausgerechnet
mich wählen? Er war der Hüter des Ehrgeizes möglicherweise
würden ihn körperliche Fähigkeiten also nicht beeindrucken. Ich
wandte mich nach Nordnordwesten und konzentrierte mich, bis
ich den Rattendrachen wie eine Fata Morgana über dem Sand
schimmern sah.Als würde er meinen Blick bemerken, bog er den
Hals und schüttelte seine dichte Mähne.
Sollte er mich wirklich erwählen, würde ich vierundzwanzig
Jahre lang Ansehen und Wohlstand genießen: zunächst als Lehrling
des gegenwärtigen Drachenauges und dann, wenn er abdankte,
als Gebieter über die Energien meines Drachen.Trotz der zwanzigprozentigen
Abgabe an meinen Meister würde ich gewaltige
Reichtümer anhäufen. Niemand würde es wagen, mich anzuspucken,
sich angewidert von mir abzuwenden oder das Zeichen zur
Abwehr des Bösen zu machen.
Sollte mich der Drache nicht erwählen, könnte ich von Glück
sagen, wenn mein Meister mich als Diener in seinem Haus behielte.
Ich würde wie Chart sein, unser Toilettenjunge, dessen Körper für
immer zu einer grausamen Parodie seiner selbst verdreht war.Vor
vierzehn Jahren hatte Rilla, eine der unverheirateten Mägde, Chart
zur Welt gebracht, und obwohl meinen Meister die Missbildungen
des Jungen anwiderten, hatte er ihm erlaubt, in seinem Haus zu
wohnen. Chart hatte den Dienstbotentrakt nie verlassen und lebte
auf einer Strohmatte neben den Küchenherden. Sollte ich morgen
scheitern, konnte ich nur hoffen, dass mein Meister mir dieselbe
Gnade erweisen würde. Ehe er mich vor vier Jahren fand, hatte
ich in einer Saline gearbeitet. Ich würde mir lieber mit Chart die
Strohmatte bei den Küchenherden teilen, als in dieses Elend zurückzukehren.
Ich blieb stehen und dehnte meinen Geist weiter aus, bis meine
Energien den Rattendrachen erreichten und ich versuchen konnte,
das Bewusstsein des gewaltigen Wesens zu berühren. Ich spürte
seine Kraft durch meinen Körper blitzen. Sprich mit mir, bat ich.
Sprich mit mir. Erwähle mich morgen. Bitte erwähle mich.
Keine Reaktion.
Ein dumpfer Schmerz in der Schläfe schwoll zu greller Qual. Ich
konnte die Drachensicht nicht länger aufrechterhalten. Die Anstrengung
war zu groß. Er entglitt meinem geistigen Auge und
nahm meine Energie mit. Ich stieß ein Schwert in den Sand, um
nicht zu stürzen, und rang nach Luft. Ich Narr! Würde ich es denn
nie lernen? Ein Drache sprach einzig und allein mit seinem Drachenauge
und dessen Lehrling. Ich holte tief Luft und zog das
Schwert aus dem Boden. Warum aber konnte ich dann alle elf
Drachen sehen? Schon immer hatte ich meinen Geist auf die
Energiewelt richten und die riesigen, halbdurchsichtigen Umrisse
der Drachen erkennen können.Warum war mir eine solche Gabe
in einem derart hässlichen Körper geschenkt worden?
Ich war erleichtert, den Sand zu verlassen und in den gepflasterten
Hof der Waffenkammer zu treten. Die heftigen Krämpfe
in meinem Unterleib waren endlich einem leichten Ziehen gewichen.
Hian, der alte Waffenmeister, saß auf einer Kiste neben
der Tür zur Waffenkammer und polierte einen kleinen, frisch geschmiedeten
Dolch.
'Haben sie dich wieder rausgeworfen?', fragte er, als ich an ihm
vorbeiging.
Ich blieb stehen. Hian hatte noch nie mit mir gesprochen.
'Ja, Waffenmeister', sagte ich und senkte das Kinn, um seinen
Hohn über mich hinwegspülen zu lassen.
Er hielt den Dolch vor sich in die Höhe und prüfte die Schneide.
'Ich habe den Eindruck, du hast dich ganz gut geschlagen.'
Ich blickte ihm in die Augen; das Weiße erschien gegen die vom
Schmiedeofen gerötete Haut fast gelblich.
'Mit deinem Bein wirst du den Dritten Spiegeldrachen nie richtig
hinbekommen', sagte er. 'Versuch es stattdessen mit einer anderen
Sequenz, mit dem Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen. Das
haben schon andere vor dir getan. Ranne hätte dir das sagen sollen.'
Ich verzog keine Miene, konnte aber den Funken Hoffnung, der
in mir aufkeimte, nicht ganz unterdrücken. War das wahr? Aber
warum erzählte er es mir? Vielleicht machte er sich bloß über den
Krüppel lustig.
Er stand auf und stützte sich dabei am Türpfosten ab. 'Ich werfe
dir dein Misstrauen nicht vor, Junge.Aber frag deinen Meister. Er
ist einer der besten Geschichtskenner und wird dir bestätigen, dass
ich recht habe.'
'Ja, Waffenmeister. Danke.'
Auf einen Schrei hin drehten wir uns nach den Anwärtern in
der Arena um. Baret lag vor Ranne auf den Knien.
'Schwertmeister Louan galt als einer der besten Lehrer, was die
Eröffnungszeremonie angeht. Es ist schade, dass er sich zur Ruhe
gesetzt hat', sagte Hian ungerührt. 'Hast du Übungsschwerter zu
Hause?'
Ich nickte.
'Dann trainiere heute Abend den Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen,
bevor du mit dem Reinigungsritual beginnst.' Er stieg
steif die beiden Treppenstufen hinunter und sah sich noch mal nach
mir um. 'Und bestell deinem Meister Grüße vom alten Hian.'
Ich sah ihn langsam zum Tor gehen, das zum Schmiedeofen
führte. Das ferne Klirren von Hammer und Amboss begleitete seinen
Abgang.Wenn er recht hatte und ich den Dritten Spiegeldrachen
durch den Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen ersetzen
konnte, würde ich keine Schwierigkeiten haben, die Angriffssequenz
zu beenden.
Ich trat in die kühle, halbdunkle Waffenkammer und wartete, bis
meine Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten. Ich war
weniger überzeugt als der Waffenmeister, dass der Drachenrat eine
Abwandlung der Zeremonie erlauben würde, besonders in der
Spiegeldrachensequenz. Dieser Drache war schließlich das Symbol
des Kaisers und der Legende nach stammte die Kaiserliche Fa
milie von Drachen ab und hatte noch immer Drachenblut in den
Adern.
Andererseits war der Spiegeldrache seit über fünfhundert Jahren
verschwunden. Niemand wusste genau, wie und warum das
geschehen war. Eine Geschichte besagte, vor langer Zeit habe ein
Kaiser ihn beleidigt; eine andere berichtete, in einem schrecklichen
Kampf zwischen den Geisttieren sei es zur Vernichtung des Spiegeldrachen
gekommen. Mein Meister sagte, all diese Geschichten
seien bloße Hirngespinste, die die Leute sich am Herdfeuer ausgedacht
hätten; die Wahrheit dagegen sei zusammen mit allen Aufzeichnungen
dem Vergessen anheim und dem Brand der Spiegeldrachenhalle
zum Opfer gefallen. Und er musste es wissen, denn er
war wie der Waffenmeister gesagt hatte ein großer Geschichtskenner.
Sollte es eine alte Variante der Angriffssequenz geben, dann
würde er es herausfinden.
Aber zunächst musste ich ihm einen Tag vor der Zeremonie sagen,
dass ich die Spiegeldrachensequenz nicht vollenden konnte.
Ich zitterte bei dem Gedanken an all die Striemen und blauen Flecke,
die mir sein letzter Wutausbruch eingebracht hatte. Ich wusste,
dass Verzweiflung ihn dazu verleitete, die Hand gegen mich zu erheben
im letzten Jahrzehnt hatte mein Meister sechs Anwärter
ausgebildet und alle waren gescheitert , doch ich sehnte mich
nicht nach seinem Zorn. Ich umklammerte meine Schwerter fester.
Ich musste herausfinden, ob der Umgekehrte Zweite Pferdedrachen
erlaubt war. Er war meine einzige Chance.
Mein Meister war kein Narr; er würde mich vor der Zeremonie
sicher nicht zu hart bestrafen. Zu viel hing davon ab. Und
falls seine Schriftrollen bestätigten, was Hian gesagt hatte, blieben
mir vor dem Reinigungsritual gut vier Stunden, um die neuen
Bewegungen und Übergänge zu trainieren. Das war nicht lange,
sollte aber genügen. Ich hob die Schwerter zum über den Kopf
geführten Streich, mit dem der Umgekehrte Zweite Pferdedrache
begann, und führte das linke Schwert flach nach unten, um nirgendwo
anzustoßen.
'He, fuchtele mit den Dingern nicht hier drinnen herum!',
herrschte mich der Wächter an.
Ich trat zu ihm und senkte dabei die Schwerter.
'Verzeihung,Wächter', sagte ich eilig zu dem bleichen, dünnen
Mann, der es liebte, uns Vorträge zu halten. Ich reichte ihm die
Griffe mit zu Boden weisenden Klingen und sah, wie seine Faust
sich kurz zum Zeichen gegen das Böse ballte, ehe er die Schwerter
nahm.
'Irgendwelche Beschädigungen?', fragte er und hielt eine Waffe
flach vor sich hin, um die Klinge zu prüfen.
'Nein, Wächter.'
'Das sind nämlich kostbare Instrumente, keine Spielsachen. Die
musst du mit Respekt behandeln, statt drinnen mit ihnen herumzufuhrwerken.
Wenn das jeder '
'Danke,Wächter', sagte ich und zog mich zurück, ehe er richtig
in Fahrt kommen konnte. Er redete noch, als ich die Stufen bereits
erklommen hatte.
Der einfachste Weg, um die Schule zu verlassen, führte zurück
über die Arena und durchs Haupttor, doch ich wollte nicht noch
einmal durch den Sand laufen oder Rannes Aufmerksamkeit auf
mich ziehen. Stattdessen nahm ich den steilen Pfad zum Südtor
der Schule hinunter. Meine linke Hüfte schmerzte vom Training
und das Ziehen in meinem Unterleib raubte mir den Atem.Als ich
das Südtor erreichte und von dem gelangweilten Wächter durchgelassen
wurde, schwitzte ich, weil ich mich so anstrengen musste,
um nicht laut aufzuschreien.
Die Straße hinter der Schule lag am Rand des Marktes. Gut ein
Dutzend Läden befanden sich hier. Der Geruch von brutzelndem
Schweinefett und kross gebratener Ente lag schwer in der Luft.
Ich lehnte mich an die Schulmauer, ließ die Steine meinen Rü
cken kühlen und beobachtete, wie sich ein Mädchen in der blauen
Schürze einer Küchenmagd durch Trauben plaudernder Marktbesucher
drängte und am Tresen des Schweinefleischverkäufers stehen
blieb. Sie war etwa sechzehn Jahre alt also in meinem wahren
Alter , und ihr dunkles Haar war zu jenem einfach gedrehten
Zopf aufgesteckt, der sie als unverheiratetes Mädchen auswies. Ich
griff nach meinem kurzen schwarzen, auf Anwärterlänge gestutzten
Zopf. Sollte ich am nächsten Tag erwählt werden, würde ich
mir die Haare bis zur Taille wachsen lassen, um sie zu dem doppelt
gedrehten Zopf binden zu können, wie die Drachenaugen ihn
trugen.
Das Mädchen zeigte mit noch immer gesenktem Blick auf eine
geräucherte Keule in der Auslage. Der junge Lehrling packte das
Fleisch ein und legte es auf die Theke. Erst als er einen Schritt zurückgetreten
war, legte das Mädchen die Münze neben das Päckchen
und nahm das Fleisch. Keine Unterhaltung, kein Blickkontakt,
keine Berührung es verlief alles sehr sittsam. Und doch
spürte ich, dass zwischen den beiden etwas war.
Obwohl ich wusste, dass es sich nicht gehörte, kniff ich die Augen
zusammen und konzentrierte mich auf die beiden, wie ich es
auch mit den Drachen tat. Erst merkte ich nichts. Dann fühlte ich
eine seltsame Veränderung in meinem geistigen Auge, als würde
ich näher treten, und dann leuchtete ein Schwall orangefarbener
Energie zwischen dem Mädchen und dem Jungen auf und umwirbelte
die beiden wie ein kleiner Monsun. Etwas schlug mir auf
den Magen und aufs Gemüt. Ich blickte zu Boden, fühlte mich
wie ein Eindringling und blinzelte meine Vision weg.Als ich wieder
zu den beiden hinsah, wandte sich das Mädchen bereits zum
Gehen.Von der Energie, die die beiden eben noch umgeben und
deren pulsierendes Licht in meinem Geist ein gleißendes Nachbild
hinterlassen hatte, war nichts mehr zu sehen.Warum konnte
ich plötzlich derart intime menschliche Energien wahrnehmen?
Weder mein Meister noch meine Lehrer hatten je davon gesprochen.
Um Gefühle ging es nicht bei der Drachenmagie. Es überlief
mich heiß; wieder ein Geheimnis, das es vor der Welt zu verbergen
galt. Ich drückte mich von der Wand ab, um mir Bewegung zu
verschaffen und den Nachgeschmack von Macht und Scham loszuwerden.
Das Haus meines Meisters lag drei Straßen weit entfernt und
der Weg führte ständig bergauf. Das vertraute Ziehen in der Hüfte,
wie ich es immer hatte, wenn ich mich zu sehr anstrengte, war
stärker geworden und warnte mich. Ich brauchte ein heißes Bad,
falls ich die Angriffssequenz noch trainieren wollte. Der Gang neben
dem Laden des Fleischverkäufers war eine gute Abkürzung.
Sofern er leer war. Ich legte die Hand an die Augen, um das Sonnenlicht
abzuschirmen, und musterte die schmale Gasse. Sie schien
sicher zu sein, keine Hafenjungen, die sich eine eilige Pfeife teilten
oder zum Zeitvertreib einen Humpelnden jagen wollten. Ich
machte einen Schritt auf die Gasse zu, zögerte dann aber, weil eine
vertraute Bewegung durch die Menge ging: Leute drängten zum
Straßenrand und fielen dort auf die Knie und das Gerede verstummte
plötzlich.
'Macht Platz für Lady Jila. Platz für Lady Jila.'
Die Stimme war hoch, doch es war ein Mann, der da rief. Eine
kunstvoll geschnitzte Sänfte bewegte sich auf den Schultern von
acht schwitzenden Männern die Straße hinunter; ihr Passagier war
hinter violetten Seidenvorhängen verborgen. Zwölf Wächter in
violetten Gewändern und mit gebogenen Schwertern bildeten
ein schützendes Viereck um die Sänfte: die Schattenmänner, die
Soldaten-Eunuchen des Kaiserhofs. Sie waren stets bereit, Leute,
die nicht schnell genug beiseitegesprungen waren oder sich nicht
rasch genug verbeugt hatten, niederzuschlagen. Ich ließ mich auf
mein gesundes Knie sinken und zog mein lahmes Bein unter mich.
Lady Jila? Sie musste sich der besonderen Gunst des Kaisers er
freuen, sonst hätte sie den Palastbezirk nicht verlassen dürfen. Ich
senkte den Oberkörper zur höfischen Verbeugung.
Ein stämmiger Mann in Beinlingen und dem Ölzeug eines Seefahrers
richtete sich neben mir auf und beobachtete den nahenden
Zug.Wenn er sich nicht verneigte, würde er die Aufmerksamkeit
der Wächter erregen. Und die achteten nicht weiter darauf, wen sie
beim Zuschlagen trafen.
'Das ist eine Hofdame, Sir', flüsterte ich ihm dringlich zu. 'Ihr
müsst Euch verbeugen. So wie ich.'
Er warf mir einen Seitenblick zu. 'Denkst du, sie verdient unseren
Respekt?', fragte er.
Ich runzelte die Stirn. 'Wie meint Ihr das? Sie ist eine Hofdame
da kommt es nicht darauf an, was sie verdient.Wenn Ihr
Euch nicht verbeugt, wird man Euch bestrafen.'
Der Seefahrer lachte. 'Du hast eine sehr sachliche Art, das Leben
zu sehen. Ich werde deinen Rat annehmen.' Er senkte die Schultern
und lächelte dabei noch immer.
Ich hielt den Atem an, als die Sänfte vorbeiglitt, und der aufwirbelnde
Staub ließ mich blinzeln. Ein wenig weiter hörte ich ein
Schwert auf Haut klatschten: Der voranschreitende Wächter hatte
einen Kaufmann, der zu langsam gewesen war, niedergeschlagen.
Die Sänfte verschwand hinter der nächsten Ecke und ein allgemeines
Aufatmen und Schütteln der Glieder lief durch die Menge.
Die Gespräche wurden lauter, als die Menschen sich erhoben und
sich den Staub von den Gewändern strichen. Ich stützte die Hände
auf den Boden, zog mein Bein hervor und machte mich daran aufzustehen.
Plötzlich spürte ich unter jeder Achsel eine große Hand,
die mich hochzog.
'Bitte sehr, Junge.'
'Fasst mich nicht an!' Ich sprang mit verschränkten Armen zurück.
'Schon gut', sagte er und hob beschwichtigend die Hände. 'Ich
wollte mich bloß für deinen Gefallen revanchieren. Du hast mich
vor einem Schwertschlag auf den Rücken bewahrt.'
Er roch nach Tran, altem Schweiß und Seetang. Eine Erinnerung
durchzuckte mich: Ich sah mich ein langes Band schwarz schillernden
Tangs hochheben und meine Mutter nicken, lächeln, den
Tang aufwickeln und ihn in den Korb legen, den sie sich an den
schlanken Leib gebunden hatte. Dann war das Bild wieder verschwunden.
Wie alle anderen Erinnerungen an die Familie war
es so flüchtig aufgetaucht, dass ich es nicht hatte festhalten können.
'Es tut mir leid, Sir, aber Ihr habt mich überrascht', sagte ich und
schlang mir die Arme noch fester um den Leib. 'Danke für Eure
Hilfe.' Ich verbeugte mich höflich und schritt davon. Noch immer
spürte ich seine zupackenden Hände auf meiner Haut.
Die Gasse auf der anderen Straßenseite war nun nicht mehr leer.
Ein paar Hafenjungen hatten sich am anderen Ende versammelt
und sich zu einem Würfelspiel niedergehockt. Ich würde den längeren
Weg nehmen müssen. Wie aus Protest wurde mein Hüft-
schmerz stärker.
Der Seefahrer trat erneut neben mich. 'Vielleicht hilfst du mir
noch ein zweites Mal', sagte er höflich. 'Kannst du mir sagen, wie
ich zum Tor der Beamten komme?'
Er sah mich fragend an, seine Miene war frei von Argwohn. Ich
schaute erneut zu den Hafenjungen hinüber, dann wieder zu dem
Seefahrer. Er war nicht übermäßig groß, hatte aber einen kräftigen
Brustkorb und starke Schultern, und in seinem gebräunten
Gesicht standen ernste Falten. Ich vergewisserte mich mit einem
raschen Blick, ob er bewaffnet war: Er trug ein Messer am Gürtel.
Das würde reichen.
'Ich bin in die gleiche Richtung unterwegs, Sir', sagte ich und
wies in die Gasse auf der anderen Straßenseite. Es war nicht genau
die Richtung, in die er wollte, dieser Weg würde ihn aber immer
UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Alison Goodman
EONA -Drachentochter
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 512 Seiten, 15,0 x 22,7 cm
ISBN: 978-3-570-13565-5
cbj
Erscheinungstermin: Februar 2010
Eine berührende Heldin im Kampf gegen mächtige Drachenmagier
Seit Jahrhunderten herrschen sie neben dem Kaiser über das Reich: die Drachenaugen,
Auserwählte der magischen Drachen und Träger ihrer Macht. Eona, das Mädchen aus den
Salzminen, träumt davon, eine von ihnen zu sein, schließlich hat sie die seltene Gabe, die
Drachen in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Aber Eonas Traum ist Frevel und Rebellion ist
es doch Mädchen und Frauen unter Todesstrafe verboten, Magie zu wirken. Als Eona sich als
Junge verkleidet in die Auswahlzeremonie schmuggelt, geschieht das Unglaubliche: Der lange
verschollene Spiegeldrache erwählt sie zu seiner magischen Novizin. Doch einer hat in ihr das
Mädchen erkannt: der charismatische Lord Ido, erstes und mächtigstes Drachenauge. Als er
Eonas besondere Kräfte für seine dunklen Pläne missbrauchen will, muss sie schneller lernen,
ihre Magie zu beherrschen, als je ein Novize zuvor ...
Grandiose All-age-Fantasy rund um eine rebellische Novizin der Magie
Leidenschaftlich wie Trudi Canavan, drachenmagisch wie Christopher Paolini, farbenprächtig
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cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag
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München Super Extra liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
1. Auflage 2010
© 2010 für die deutschsprachige Ausgabe
cbj, München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 2008 by Alison Goodman
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
'EON Dragoneye Reborn' bei Viking/Penguin Group, New York
Aus dem australischen Englisch von Andreas Heckmann
Umschlagillustration: Jacopo Bruno
Umschlaggestaltung: Hilden Design, München
SK · Herstellung:WM
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-570-13565-5
Printed in Germany
www.cbj-verlag.de
... weniger
Autoren-Porträt von Alison Goodman
Alison Goodman wurde 1966 geboren und lebt heute, nach vielen Reisen, wieder in ihrer geliebten Heimat Melbourne, wo sie kreatives Schreiben unterrichtet und Jugendbücher schreibt. EONA - Drachentochter, der erste Teil ihrer neuen Fantasy-Saga, wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem begehrten Aurealis Award 2008 für den besten Fantasyroman. Inzwischen ist der zweite Teil erschienen, EONA - Das letzte Drachenauge.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alison Goodman
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2010, 512 Seiten, Maße: 15,6 x 23,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Heckmann, Andreas
- Übersetzer: Andreas Heckmann
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570135659
- ISBN-13: 9783570135655
Rezension zu „Drachentochter / EONA Bd.1 “
"Die Leser werden sich jedem der schillernden und trotzdem realistischen Charaktere unglaublich nahe fühlen."
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