Ein Fest der Liebe / McKettrick Bd.5
Winter der Zärtlichkeit; Nacht der Wunder. Deutsche Erstausgabe. 2 Romane in einem Band
- Winter der Zärtlichkeit: Sierra hat es endlich zur McKettrick-Ranch geschafft. Dort wartet schon der gut aussehende Travis auf sie.
- Nacht der Wunder: Kurz vor Weihnachten lernt Lizzie bei einem Unfall den jungen Doktor Morgan Shane kennen.
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Produktinformationen zu „Ein Fest der Liebe / McKettrick Bd.5 “
- Winter der Zärtlichkeit: Sierra hat es endlich zur McKettrick-Ranch geschafft. Dort wartet schon der gut aussehende Travis auf sie.
- Nacht der Wunder: Kurz vor Weihnachten lernt Lizzie bei einem Unfall den jungen Doktor Morgan Shane kennen.
Klappentext zu „Ein Fest der Liebe / McKettrick Bd.5 “
1. Winter der Zärtlichkeit:Endlich daheim! Es ist klirrend kalt, als Sierra die tief verschneite McKettrick-Ranch erreicht. Und sie wird bereits erwartet von dem gut aussehenden und schweigsamen Travis Reid. Magisch fühlt Sierra sich zu diesem verschlossenen Mann hingezogen, träumt von Küssen, so sacht wie Schneeflocken der Beginn vieler kleiner und großer Wunder in diesem Winter der Zärtlichkeit.
2. Nacht der Wunder:
Arizona, 1896. Eine Schneelawine reißt den Zug von den Schienen und zerstört Lizzies McKettricks Plan: Zum Fest wollte sie bei ihren Eltern sein und ihnen Whitley vorstellen. Verlobung nicht ausgeschlossen! Doch nicht Whitley hilft den Verletzten, macht den Verzweifelten Mut, sondern der attraktive junge Doktor Morgan Shane. Und weckt so in Lizzies Herzen das helle Licht wahrer Liebe
1. Winter der Zärtlichkeit: Endlich daheim! Es ist klirrend kalt, als Sierra die tief verschneite McKettrick-Ranch erreicht. Und sie wird bereits erwartet - von dem gut aussehenden und schweigsamen Travis Reid. Magisch fühlt Sierra sich zu diesem verschlossenen Mann hingezogen, träumt von Küssen, so sacht wie Schneeflocken - der Beginn vieler kleiner und großer Wunder in diesem Winter der Zärtlichkeit.
2. Nacht der Wunder: Arizona, 1896. Eine Schneelawine reißt den Zug von den Schienen - und zerstört Lizzies McKettricks Plan: Zum Fest wollte sie bei ihren Eltern sein und ihnen Whitley vorstellen. Verlobung nicht ausgeschlossen! Doch nicht Whitley hilft den Verletzten, macht den Verzweifelten Mut, sondern der attraktive junge Doktor Morgan Shane. Und weckt so in Lizzies Herzen das helle Licht wahrer Liebe ...
2. Nacht der Wunder: Arizona, 1896. Eine Schneelawine reißt den Zug von den Schienen - und zerstört Lizzies McKettricks Plan: Zum Fest wollte sie bei ihren Eltern sein und ihnen Whitley vorstellen. Verlobung nicht ausgeschlossen! Doch nicht Whitley hilft den Verletzten, macht den Verzweifelten Mut, sondern der attraktive junge Doktor Morgan Shane. Und weckt so in Lizzies Herzen das helle Licht wahrer Liebe ...
Lese-Probe zu „Ein Fest der Liebe / McKettrick Bd.5 “
Die McKettricks - Ein Fest der Liebe von Linda L. MillerWinter der Zärtlichkeit
1. KAPITEL
Heute
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"Bleib im Auto", befahl Sierra McKettrick ihrem siebenjährigen Sohn Liam.
Mit großen Augen fixierte er sie durch seine Brille. "Ich möchte auch die Gräber sehen." Entschlossen legte er eine Hand an den Türgriff.
"Ein andermal", antwortete sie mit fester Stimme. Es war zwar übertrieben, zu befürchten, dass der Besuch eines Friedhofs eine Asthma-Attacke auslösen konnte, aber was Liams Gesundheit betraf, wollte sie kein Risiko eingehen. Sie setzte sich mit einem langen strengen Blick durch, allerdings nur mit Mühe und Not.
"Das ist nicht fair", seufzte Liam, er klang resigniert. Normalerweise gab er nicht so schnell auf, doch nach der langen Fahrt von Florida nach North Arizona war er müde.
"Willkommen im wahren Leben", erwiderte Sierra. Sie zog die Handbremse an, ließ den Motor laufen und stellte die Heizung auf die höchste Stufe. Dann kletterte sie aus ihrem alten Kombi.
Bis zu den Knöcheln im Schnee versunken, stand sie da und ließ die Umgebung auf sich wirken. Normale Menschen liegen nach ihrem Tod auf öffentlichen Friedhöfen, dachte sie verdrossen.
Die McKettricks aber hatten ihre eigenen Regeln, ob lebendig oder tot. Ihnen genügte ein normales Grab nicht. O nein. Sie mussten einen ganzen Ort nur für sich haben. Einen mit Ausblick.
Und was für einen Ausblick!
Sierra stopfte die Hände in die Taschen ihres Stoffmantels, der fast so schäbig war wie ihr Auto. Dann drehte sie sich in alle Richtungen, um einen prüfenden Blick auf die Triple M Ranch zu werfen, die sich weit über den Horizont hinaus erstreckte. Rote Tafelberge und Spitzkuppen von feinem Schnee überzogen, Wälder aus majestätischen Weißeichen entlang dem breiten und glitzernden Fluss. Ausgedehnte Weideflächen und sogar gelegentlich ein Kaktus, ein Fremder im Hochland, ein verirrter Reisender, der dort nicht hingehörte.
Genauso wenig wie sie.
Plötzlich spürte sie eine enorme Abneigung in sich aufsteigen, erkannte aber, dass es nicht ihre eigene, sondern die ihres verstorbenen Vaters Hank Breslin war.
Was die McKettricks betraf, hatte Sierra keine eigene Meinung, weil sie diese Leute überhaupt nicht kannte.
Sie hatte den Namen nur aus einem einzigen Grund angenommen - weil das Teil der Vereinbarung war. Liam brauchte ärztliche Versorgung, und sie konnte sie nicht bezahlen. Sierras leibliche Mutter Eve McKettrick hatte ein Treuhandkonto für ihren Enkel eingerichtet, an das jedoch Bedingungen geknüpft waren.
Bei den McKettricks, hörte sie ihren Vater sagen, als ob er neben ihr stünde, gibt es nichts ohne Bedingungen.
"Sei still", rief Sierra laut aus. Sie war dankbar für Eves Hilfe, und wenn sie dafür den Namen McKettrick annehmen und ein Jahr auf der Triple M Ranch leben musste, sollte es so sein. Außerdem war es ja nicht so, dass sie irgendeine andere Alternative hatte.
Entschlossen näherte sie sich dem Friedhofseingang und marschierte unter dem verschnörkelten Torbogen mit der in graziösen Buchstaben gehaltenen Inschrift "McKettrick" hindurch.
In der Mitte stand die lebensgroße Bronzestatue eines Mannes, der auf einem Pferderücken saß, breitschultrig und imposant, mit einem Tuch um den Hals und einem Revolver um die Hüfte.
Angus McKettrick, der Patriarch. Der Gründer von Triple M und der ganzen Familiendynastie. Sierra wusste wenig über ihn, aber als sie in sein strenges, entschlossenes und hartes Gesicht schaute, fühlte sie eine Art Seelenverwandtschaft.
Skrupelloser alter Mistkerl, hörte sie die Stimme von Hank Breslin. Von dir haben die McKettricks ihre Arroganz.
"Sei still", wiederholte Sierra und schob ihre Hände noch tiefer in die Manteltaschen. So stand sie für einen langen Moment, lauschte dem ratternden Brummen ihres Automotors, dem einsamen Schrei eines nahen Vogels und dem Pochen des Bluts in ihren Ohren. Harzduft würzte die Luft.
Sierra drehte sich um und erblickte die marmornen Engel, die die Gräber von Angus McKettricks Ehefrauen markierten - Georgia, die Mutter von Rafe, Kade und Jeb, und Concepcion, die Mutter von Kate.
Suche nach Holt und Lorelei, hatte ihr Eve beim letzten Telefonat gesagt. Das ist unser Teil der Familie.
Sierra entdeckte noch andere Bronzestatuen, kleiner als die von Angus, aber nicht weniger eindrucksvoll. Es waren kunstvolle Objekte, Museumsstücke. Ohne ihr festes Zementfundament wären sie wahrscheinlich längst gestohlen worden. Andererseits hatte auch niemand an diesem einsamen und zugigen Ort die Gräber zerstört, was einiges über den Ruf der McKettricks aussagte.
Jeb McKettrick, der jüngste der Brüder, war als Cowboy mit gezogenem sechskalibrigem Revolver dargestellt, seine Ehefrau Chloe als schlanke Frau in einem typischen Kleid aus der Pionierzeit, die lächelnd ihre Augen mit einer Hand abschirmte. Sie waren von ihren Kindern, Enkeln, Urgroß- und ein paar Ururgroßenkeln umgeben, ihre imposanten Grabsteine ordentlich aufgereiht wie die Straßen einer Westernstadt.
Dann kam Kade McKettrick, lässig, mit dem gleichen Revolver wie sein Bruder. Allerdings trug er ihn umgeschnallt und hielt ein offenes Buch in der Hand. Seine Ehefrau Mandy trug Hosen, eine locker sitzende Bluse und hielt eine Flinte in der Hand. Sie lächelte wie Chloe. Gemessen an der Anzahl von Gräbern um sie herum waren sie ebenfalls sehr produktive Eltern gewesen.
Die Statue von Rafe McKettrick zeigte einen großen, kräftig gebauten Mann mit einem entschlossenen Kinn. Seine Frau Emmeline stand nah an seiner Seite, sie hatten die Arme umeinandergelegt, ihr Kopf ruhte an seinem Unterarm.
Sierra lächelte. Auch sie hatten für reichlich Nachkommen gesorgt.
Die letzte Statue versetzte ihr einen unerwarteten Stich. Hier also war Holt, Halbbruder von Rafe, Kade und Jeb und von Kate. In seinem langen Mantel sah er zugleich attraktiv und kämpferisch aus. Um den Hals hatte er zwei Munitionsgürtel gelegt, auf der Anstecknadel an seinem breiten Jackenrevers stand Texas Ranger.
Wie gebannt starrte Sierra in die Bronzeaugen und spürte wieder, wie sich tief in ihr etwas rührte. Von diesem Mann stamme ich ab, dachte sie. Wir haben die gleichen Gene.
Liam hupte ungeduldig. Er konnte es kaum erwarten, endlich das Ranchhaus zu sehen, das für die nächsten zwölf Monate ihr Zuhause sein würde.
Nach einem kurzen Winken in Liams Richtung ging Sierra zu Loreleis Statue. Sie saß auf einem Maultier, der lange, spitzenbesetzte Rock fiel zu beiden Seiten ihrer unglaublich schmalen Taille. Ein Männer- und kein Sonnenhut schützte ihr Gesicht vor der Sonne. Ihr lebhafter Blick ruhte liebevoll auf ihrem Ehemann Holt.
Nun legte Liam sich auf die Hupe.
Aus Furcht, er könnte sich selbst hinters Steuer setzen und zum Ranchhaus fahren, machte Sierra widerwillig kehrt. Sie folgte dem mit den Kiefernadeln und dem Laub der sechs hohen weißen Eichen übersäten Pfad zurück zu ihrem Auto.
Zurück zu ihrem Sohn.
"Sind alle McKettricks tot?", fragte Liam, nachdem sie eingestiegen war und sich anschnallte.
"Nein" antwortete Sierra, die darauf wartete, dass der Teil von ihr, der noch immer zwischen den Gräbern herumwanderte, um ihre Ahnen kennenzulernen, sich ihr wieder anschloss. "Wir sind McKettricks, und wir sind nicht tot. Genau so wenig wie deine Großmutter oder Meg." Sie wusste, dass es auch noch Cousins und Cousinen gab, die von Rafe, Kade und Jeb abstammten. Aber das einem Siebenjährigen zu erklären, war ihr zu kompliziert. Davon abgesehen musste sie sich selbst erst mal einen Überblick verschaffen.
"Ich dachte, ich heiße Liam Breslin", bemerkte der kleine Junge ganz praktisch.
Eigentlich solltest du Liam Douglas heißen, überlegte Sierra und dachte an ihren ersten und einzigen Liebhaber. Wie immer, wenn ihr Liams Vater Adam in den Sinn kam, spürte sie ein Ziehen im Herzen, eine komplizierte Mischung aus Leidenschaft, Trauer und hilfloser Wut. Da sie nie mit Adam verheiratet gewesen war, hatte Liam ihren Mädchennamen bekommen.
"Jetzt sind wir McKettricks", seufzte Sierra. "Du wirst das alles verstehen, wenn du älter bist."
Wegen der steilen Abhänge zu allen Seiten parkte sie vorsichtig aus und fuhr zurück auf die Schotterstraßen, die nach Triple M führten.
"Ich kann das schon jetzt verstehen", behauptete Liam, nachdem er die Sache - wie es seine Art war - gründlich abgewogen hatte. "Schließlich bin ich hochbegabt."
"Du magst vielleicht hochbegabt sein", entgegnete Sierra, die sich aufs Fahren konzentrierte, "aber du bist immer noch sieben."
"Werde ich jetzt Cowboy und reite auf wilden Pferden und so was?" Sierra unterdrückt ein Schaudern. "Nein", sagte sie.
"Das ist ja doof." Ihr Sohn verschränkte die Arme und schmiegte sich tiefer in seinen dicken Nylonmantel, den sie ihm gekauft hatte, als sie die Grenze zu den kälteren Staaten erreicht hatten. "Was ist denn gut daran, auf einer Ranch zu leben, wenn man kein Cowboy ist?"
...
Nacht der Wunder
1. KAPITEL
22. Dezember 1896
Lizzie McKettrick lehnte sich in ihrem Sitz nach vorn, als würde der Zug auf diese Weise schneller fahren. Nach Hause. Sie fuhr endlich nach Hause, auf die Triple M Ranch, zu ihrer großen, lauten Familie. Nach über zwei Jahren, in denen sie zuerst in Miss Ridgelys Anstalt für junge Frauen gutes Benehmen und Kultiviertheit gelernt und dann eine normale Schule besucht hatte, kehrte Lizzie zurück. Endlich zurück zu den Menschen, die sie liebte - und zwar für immer. Sie kam einen Tag früher als erwartet an, um alle zu überraschen - ihren Vater, ihre Stiefmutter Lorelei und die kleinen Brüder John Henry, Gabriel und Doss. Für alle hatte Lizzie Geschenke gekauft. Die meisten hatte sie schon vor Wochen von San Francisco aus losgeschickt. Ein paar besonders wertvolle jedoch lagen gut verpackt in einer ihrer drei riesigen Reisetruhen.
Nur ihr Großvater Angus McKettrick, der Patriarch des großen Familienclans, wusste, dass sie schon heute Abend kam. Er wird an dem kleinen Bahnhof in Indian Rock auf mich warten, dachte Lizzie glücklich - wahrscheinlich mit den Zügeln eines großen flachen Pferdeschlittens in der Hand. Mit diesen Schlitten schafften sie normalerweise das Futter zu eingeschneiten Rinderherden. Sie hatte ihm in ihrem letzten Brief geschrieben, dass sie all ihre Sachen mitbringen würde. Denn dieses Mal kam sie für immer zurück und nicht nur für einen kurzen Besuch zu Weihnachten wie in den letzten beiden Jahren.
Lizzie lächelte, weil selbst ihr engster Vertrauter Angus - von ihren Eltern einmal abgesehen - nicht alle Fakten ihrer Rückkehr kannte.
Aus den Augenwinkeln betrachtete sie Whitley Carson, der neben ihr gegen das verrußte Fenster gelehnt und in eine Decke gekuschelt tief und fest schlief. Sein Atem ließ die Scheibe beschlagen. Immer wieder zuckte er zusammen und grummelte etwas vor sich hin.
Leider war Whitley zwar äußerst charmant, hielt aber offenbar wenig von Zugreisen. Seit sie in San Francisco eingestiegen waren, hatte er kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen, sich zu beschweren.
Der Zug wäre schmutzig.
Es gäbe keinen Speisewagen.
Der über ihnen wabernde Zigarrenqualm reizte seinen Husten.
Ihm würde nie mehr warm werden.
Was in aller Welt war nur in die Frau drei Reihen hinter ihnen gefahren, dass sie eine so lange Reise mit zwei frechen Kindern und einem schreienden Säugling antrat?
In diesem Moment gab das Baby einen kläglichen Schrei von sich.
Lizzie, die an Babys gewöhnt war, weil es so viele davon auf Triple M gab, störte das nicht. Was sie hingegen sehr wohl störte, war Whitleys offensichtlicher Unmut gegenüber Kindern. Obwohl sie als Lehrerin arbeiten wollte - verheiratet oder nicht -, hoffte sie, eines Tages selbst einen ganzen Stall voller Kinder zu haben. Gesunde, laute, wilde Kinder, aus denen selbstbewusste Erwachsene und Freidenker werden würden. Es fiel ihr nicht leicht, in jenem Whitley den Vater ihrer Kinder zu sehen.
Der Mann jenseits des Gangs legte seine Zeitung zur Seite, stand auf und streckte sich. Er war vor ein paar Stunden zugestiegen, in Phoenix, in der Hand eine Arzttasche aus gesprungenem und verkratztem Leder. Seine Weste war sauber, aber abgetragen. Er trug weder Hut noch Waffe - ein seltener Anblick in dem noch immer wilden Gebiet um Arizona herum.
Obwohl Lizzie annahm, dass Whitley, sobald sie bei ihrer Familie waren, um ihre Hand anhalten würde, warf sie dem Fremden verstohlene Blicke zu. Er hatte irgendetwas an sich, das immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Der Mann hatte dunkles, recht langes Haar und braune ernste Augen. Auch wenn er vermutlich nicht viel älter als Lizzie war, die demnächst zwanzig wurde, lag eine Reife in seinem Verhalten und seiner Miene, die sie anzog. Es kam ihr so vor, als ob er schon viele Leben gelebt hätte, zu anderen Zeiten und an anderen Orten.
Sie hörte, wie er leise zu der Mutter sprach, und spürte ein ganz spezielles kleines Ziehen an der geheimsten Stelle ihres Herzens, als sie sah, wie er das in einen schäbigen, ausgefransten Quilt gewickelte Kind hielt.
Whitley schlief weiter.
Außer ihnen saßen nur wenige andere Passagiere in dem Waggon. Ein fahler und sehr magerer Soldat in blauer Uniform, der sich offenbar gerade von einer grässlichen Krankheit oder Verletzung erholte. Ein beleibter Vertreter mit einem Musterkoffer auf dem Schoß, dessen Griff er mit einer Hand umklammerte, während er in der anderen eine brennende Zigarre hielt. Offenbar besaß er einen unerschöpflichen Vorrat an diesen Dingern, da er eine nach der anderen wegpaffte. Ein älteres, schweigsames Paar reiste mit einem exotischen weißen Vogel in einem wunderschönen Messingkäfig bei sich. Herrliche blaue Federn schmückten den Kopf des Vogels, der, sobald seine Besitzer das rote Seidentuch vom Käfig zogen, vor sich hinplapperte.
Sie alle - von Whitley natürlich abgesehen - waren Fremde für Lizzie. Wobei ihr Whitley in diesem neuen und unangenehmen Licht ebenfalls fremd erschien.
Neues Heimweh erfasste Lizzie. Sie sehnte sich entsetzlich danach, unter Menschen zu sein, die sie kannte. Menschen wie Lorelei, die bestimmt seit Wochen unaufhörlich buk, Päckchen versteckte und Geheimnisse bewahrte. Oder wie ihr Vater Holt, der sich in den Pausen im Schuppen einschloss, um Schlitten, Spielzeugkutschen und Puppenhäuser zu schnitzen. Einiges davon würde er Lizzies Brüdern und den vielen Cousins und Cousinen schenken. Doch der größte Teil war für die ärmeren Haushalte in der Umgebung von Triple M gedacht.
Zwar lagen immer Berge von Geschenken unter dem Weihnachtsbaum, und es gab reichlich köstliches Essen, doch für die McKettricks ging es Weihnachten überwiegend darum, Leuten Geschenke zu machen, die nicht so viel besaßen wie sie. Darum nähten Lorelei, Lizzie und alle Tanten jedes Jahr etliche Stoffpuppen und -tiere, die beim Gemeindefest am Weihnachtsabend in der Kirche verteilt wurden.
Der Fremde, der jetzt mit dem Baby auf dem Arm den Gang entlang ging, riss Lizzie aus ihren Gedanken. Er sah ihr ins Gesicht. Zwar lächelte er nicht direkt, doch irgendetwas blitzte in seinen Augen auf.
Sein Anblick beschämte Lizzie. Sie hätte der überforderten Mutter drei Reihen weiter hinten ihre Hilfe anbieten sollen. Das Kind beruhigte sich bereits ein wenig, es gurrte und sabberte auf das weiße Hemd des Mannes. Falls ihn das störte, so ließ er es sich nicht anmerken.
Hinter den Zugfenstern wirbelten dicke Schneeflocken durch die zunehmende Abenddämmerung. Und obwohl Lizzie mit Gedankenkraft versuchte, das Tempo des Zugs zu beschleunigen, schien er eher langsamer zu werden.
Gerade als sie dem Mann den Säugling abnehmen wollte, ertönte aus allen Richtungen ein entsetzliches Getöse - als ob tausend Gewitter gleichzeitig zusammenkrachten. Der Waggon ruckte heftig und stoppte dann unvermittelt mit einem Beben. Als ob der ganze Zug aus den Schienen springen wollte, neigte er sich zur Seite, stellte sich dann aber wieder mit einem Übelkeit erregenden Wackeln auf.
Der Vogel schlug vor Angst wild kreischend mit den Flügeln.
Lizzie, die beinahe aus ihrem Sitz geschleudert wurde, spürte einen festen Griff an ihrer Schulter. Beim Aufsehen erkannte sie den Fremden, der noch immer aufrecht stand, das Baby sicher in seiner rechten Armbeuge. Irgendwie war es ihm gelungen, auf den Beinen zu bleiben, das Kind zu halten und Lizzie davor zu bewahren, auf den gegenüberliegenden Sitz geworfen zu werden.
"W ... was?", murmelte sie erschrocken.
"Eine Lawine vermutlich", erwiderte der Mann ruhig.
Der wiedererwachte Whitley war genauso verängstigt wie der Vogel. "Sind wir entgleist?", wollte er wissen.
Der Fremde ignorierte ihn. "Ist jemand verletzt?", fragte er, tätschelte den Rücken des Babys und schaukelte es vorsichtig an seiner Schulter.
"Mein Arm", wimmerte die Mutter des Säuglings im hinteren Teil. "Mein Arm
..."
"Keine Panik", sagte der Mann, drückte Lizzie das Baby in die Arme und nahm die Medizintasche von der Ablage über seinem Sitz. Er sprach leise mit dem älteren Ehepaar. Lizzie sah, wie sie nickten. Sie waren also in Ordnung.
...
Übersetzung: Tess Martin
"Bleib im Auto", befahl Sierra McKettrick ihrem siebenjährigen Sohn Liam.
Mit großen Augen fixierte er sie durch seine Brille. "Ich möchte auch die Gräber sehen." Entschlossen legte er eine Hand an den Türgriff.
"Ein andermal", antwortete sie mit fester Stimme. Es war zwar übertrieben, zu befürchten, dass der Besuch eines Friedhofs eine Asthma-Attacke auslösen konnte, aber was Liams Gesundheit betraf, wollte sie kein Risiko eingehen. Sie setzte sich mit einem langen strengen Blick durch, allerdings nur mit Mühe und Not.
"Das ist nicht fair", seufzte Liam, er klang resigniert. Normalerweise gab er nicht so schnell auf, doch nach der langen Fahrt von Florida nach North Arizona war er müde.
"Willkommen im wahren Leben", erwiderte Sierra. Sie zog die Handbremse an, ließ den Motor laufen und stellte die Heizung auf die höchste Stufe. Dann kletterte sie aus ihrem alten Kombi.
Bis zu den Knöcheln im Schnee versunken, stand sie da und ließ die Umgebung auf sich wirken. Normale Menschen liegen nach ihrem Tod auf öffentlichen Friedhöfen, dachte sie verdrossen.
Die McKettricks aber hatten ihre eigenen Regeln, ob lebendig oder tot. Ihnen genügte ein normales Grab nicht. O nein. Sie mussten einen ganzen Ort nur für sich haben. Einen mit Ausblick.
Und was für einen Ausblick!
Sierra stopfte die Hände in die Taschen ihres Stoffmantels, der fast so schäbig war wie ihr Auto. Dann drehte sie sich in alle Richtungen, um einen prüfenden Blick auf die Triple M Ranch zu werfen, die sich weit über den Horizont hinaus erstreckte. Rote Tafelberge und Spitzkuppen von feinem Schnee überzogen, Wälder aus majestätischen Weißeichen entlang dem breiten und glitzernden Fluss. Ausgedehnte Weideflächen und sogar gelegentlich ein Kaktus, ein Fremder im Hochland, ein verirrter Reisender, der dort nicht hingehörte.
Genauso wenig wie sie.
Plötzlich spürte sie eine enorme Abneigung in sich aufsteigen, erkannte aber, dass es nicht ihre eigene, sondern die ihres verstorbenen Vaters Hank Breslin war.
Was die McKettricks betraf, hatte Sierra keine eigene Meinung, weil sie diese Leute überhaupt nicht kannte.
Sie hatte den Namen nur aus einem einzigen Grund angenommen - weil das Teil der Vereinbarung war. Liam brauchte ärztliche Versorgung, und sie konnte sie nicht bezahlen. Sierras leibliche Mutter Eve McKettrick hatte ein Treuhandkonto für ihren Enkel eingerichtet, an das jedoch Bedingungen geknüpft waren.
Bei den McKettricks, hörte sie ihren Vater sagen, als ob er neben ihr stünde, gibt es nichts ohne Bedingungen.
"Sei still", rief Sierra laut aus. Sie war dankbar für Eves Hilfe, und wenn sie dafür den Namen McKettrick annehmen und ein Jahr auf der Triple M Ranch leben musste, sollte es so sein. Außerdem war es ja nicht so, dass sie irgendeine andere Alternative hatte.
Entschlossen näherte sie sich dem Friedhofseingang und marschierte unter dem verschnörkelten Torbogen mit der in graziösen Buchstaben gehaltenen Inschrift "McKettrick" hindurch.
In der Mitte stand die lebensgroße Bronzestatue eines Mannes, der auf einem Pferderücken saß, breitschultrig und imposant, mit einem Tuch um den Hals und einem Revolver um die Hüfte.
Angus McKettrick, der Patriarch. Der Gründer von Triple M und der ganzen Familiendynastie. Sierra wusste wenig über ihn, aber als sie in sein strenges, entschlossenes und hartes Gesicht schaute, fühlte sie eine Art Seelenverwandtschaft.
Skrupelloser alter Mistkerl, hörte sie die Stimme von Hank Breslin. Von dir haben die McKettricks ihre Arroganz.
"Sei still", wiederholte Sierra und schob ihre Hände noch tiefer in die Manteltaschen. So stand sie für einen langen Moment, lauschte dem ratternden Brummen ihres Automotors, dem einsamen Schrei eines nahen Vogels und dem Pochen des Bluts in ihren Ohren. Harzduft würzte die Luft.
Sierra drehte sich um und erblickte die marmornen Engel, die die Gräber von Angus McKettricks Ehefrauen markierten - Georgia, die Mutter von Rafe, Kade und Jeb, und Concepcion, die Mutter von Kate.
Suche nach Holt und Lorelei, hatte ihr Eve beim letzten Telefonat gesagt. Das ist unser Teil der Familie.
Sierra entdeckte noch andere Bronzestatuen, kleiner als die von Angus, aber nicht weniger eindrucksvoll. Es waren kunstvolle Objekte, Museumsstücke. Ohne ihr festes Zementfundament wären sie wahrscheinlich längst gestohlen worden. Andererseits hatte auch niemand an diesem einsamen und zugigen Ort die Gräber zerstört, was einiges über den Ruf der McKettricks aussagte.
Jeb McKettrick, der jüngste der Brüder, war als Cowboy mit gezogenem sechskalibrigem Revolver dargestellt, seine Ehefrau Chloe als schlanke Frau in einem typischen Kleid aus der Pionierzeit, die lächelnd ihre Augen mit einer Hand abschirmte. Sie waren von ihren Kindern, Enkeln, Urgroß- und ein paar Ururgroßenkeln umgeben, ihre imposanten Grabsteine ordentlich aufgereiht wie die Straßen einer Westernstadt.
Dann kam Kade McKettrick, lässig, mit dem gleichen Revolver wie sein Bruder. Allerdings trug er ihn umgeschnallt und hielt ein offenes Buch in der Hand. Seine Ehefrau Mandy trug Hosen, eine locker sitzende Bluse und hielt eine Flinte in der Hand. Sie lächelte wie Chloe. Gemessen an der Anzahl von Gräbern um sie herum waren sie ebenfalls sehr produktive Eltern gewesen.
Die Statue von Rafe McKettrick zeigte einen großen, kräftig gebauten Mann mit einem entschlossenen Kinn. Seine Frau Emmeline stand nah an seiner Seite, sie hatten die Arme umeinandergelegt, ihr Kopf ruhte an seinem Unterarm.
Sierra lächelte. Auch sie hatten für reichlich Nachkommen gesorgt.
Die letzte Statue versetzte ihr einen unerwarteten Stich. Hier also war Holt, Halbbruder von Rafe, Kade und Jeb und von Kate. In seinem langen Mantel sah er zugleich attraktiv und kämpferisch aus. Um den Hals hatte er zwei Munitionsgürtel gelegt, auf der Anstecknadel an seinem breiten Jackenrevers stand Texas Ranger.
Wie gebannt starrte Sierra in die Bronzeaugen und spürte wieder, wie sich tief in ihr etwas rührte. Von diesem Mann stamme ich ab, dachte sie. Wir haben die gleichen Gene.
Liam hupte ungeduldig. Er konnte es kaum erwarten, endlich das Ranchhaus zu sehen, das für die nächsten zwölf Monate ihr Zuhause sein würde.
Nach einem kurzen Winken in Liams Richtung ging Sierra zu Loreleis Statue. Sie saß auf einem Maultier, der lange, spitzenbesetzte Rock fiel zu beiden Seiten ihrer unglaublich schmalen Taille. Ein Männer- und kein Sonnenhut schützte ihr Gesicht vor der Sonne. Ihr lebhafter Blick ruhte liebevoll auf ihrem Ehemann Holt.
Nun legte Liam sich auf die Hupe.
Aus Furcht, er könnte sich selbst hinters Steuer setzen und zum Ranchhaus fahren, machte Sierra widerwillig kehrt. Sie folgte dem mit den Kiefernadeln und dem Laub der sechs hohen weißen Eichen übersäten Pfad zurück zu ihrem Auto.
Zurück zu ihrem Sohn.
"Sind alle McKettricks tot?", fragte Liam, nachdem sie eingestiegen war und sich anschnallte.
"Nein" antwortete Sierra, die darauf wartete, dass der Teil von ihr, der noch immer zwischen den Gräbern herumwanderte, um ihre Ahnen kennenzulernen, sich ihr wieder anschloss. "Wir sind McKettricks, und wir sind nicht tot. Genau so wenig wie deine Großmutter oder Meg." Sie wusste, dass es auch noch Cousins und Cousinen gab, die von Rafe, Kade und Jeb abstammten. Aber das einem Siebenjährigen zu erklären, war ihr zu kompliziert. Davon abgesehen musste sie sich selbst erst mal einen Überblick verschaffen.
"Ich dachte, ich heiße Liam Breslin", bemerkte der kleine Junge ganz praktisch.
Eigentlich solltest du Liam Douglas heißen, überlegte Sierra und dachte an ihren ersten und einzigen Liebhaber. Wie immer, wenn ihr Liams Vater Adam in den Sinn kam, spürte sie ein Ziehen im Herzen, eine komplizierte Mischung aus Leidenschaft, Trauer und hilfloser Wut. Da sie nie mit Adam verheiratet gewesen war, hatte Liam ihren Mädchennamen bekommen.
"Jetzt sind wir McKettricks", seufzte Sierra. "Du wirst das alles verstehen, wenn du älter bist."
Wegen der steilen Abhänge zu allen Seiten parkte sie vorsichtig aus und fuhr zurück auf die Schotterstraßen, die nach Triple M führten.
"Ich kann das schon jetzt verstehen", behauptete Liam, nachdem er die Sache - wie es seine Art war - gründlich abgewogen hatte. "Schließlich bin ich hochbegabt."
"Du magst vielleicht hochbegabt sein", entgegnete Sierra, die sich aufs Fahren konzentrierte, "aber du bist immer noch sieben."
"Werde ich jetzt Cowboy und reite auf wilden Pferden und so was?" Sierra unterdrückt ein Schaudern. "Nein", sagte sie.
"Das ist ja doof." Ihr Sohn verschränkte die Arme und schmiegte sich tiefer in seinen dicken Nylonmantel, den sie ihm gekauft hatte, als sie die Grenze zu den kälteren Staaten erreicht hatten. "Was ist denn gut daran, auf einer Ranch zu leben, wenn man kein Cowboy ist?"
...
Nacht der Wunder
1. KAPITEL
22. Dezember 1896
Lizzie McKettrick lehnte sich in ihrem Sitz nach vorn, als würde der Zug auf diese Weise schneller fahren. Nach Hause. Sie fuhr endlich nach Hause, auf die Triple M Ranch, zu ihrer großen, lauten Familie. Nach über zwei Jahren, in denen sie zuerst in Miss Ridgelys Anstalt für junge Frauen gutes Benehmen und Kultiviertheit gelernt und dann eine normale Schule besucht hatte, kehrte Lizzie zurück. Endlich zurück zu den Menschen, die sie liebte - und zwar für immer. Sie kam einen Tag früher als erwartet an, um alle zu überraschen - ihren Vater, ihre Stiefmutter Lorelei und die kleinen Brüder John Henry, Gabriel und Doss. Für alle hatte Lizzie Geschenke gekauft. Die meisten hatte sie schon vor Wochen von San Francisco aus losgeschickt. Ein paar besonders wertvolle jedoch lagen gut verpackt in einer ihrer drei riesigen Reisetruhen.
Nur ihr Großvater Angus McKettrick, der Patriarch des großen Familienclans, wusste, dass sie schon heute Abend kam. Er wird an dem kleinen Bahnhof in Indian Rock auf mich warten, dachte Lizzie glücklich - wahrscheinlich mit den Zügeln eines großen flachen Pferdeschlittens in der Hand. Mit diesen Schlitten schafften sie normalerweise das Futter zu eingeschneiten Rinderherden. Sie hatte ihm in ihrem letzten Brief geschrieben, dass sie all ihre Sachen mitbringen würde. Denn dieses Mal kam sie für immer zurück und nicht nur für einen kurzen Besuch zu Weihnachten wie in den letzten beiden Jahren.
Lizzie lächelte, weil selbst ihr engster Vertrauter Angus - von ihren Eltern einmal abgesehen - nicht alle Fakten ihrer Rückkehr kannte.
Aus den Augenwinkeln betrachtete sie Whitley Carson, der neben ihr gegen das verrußte Fenster gelehnt und in eine Decke gekuschelt tief und fest schlief. Sein Atem ließ die Scheibe beschlagen. Immer wieder zuckte er zusammen und grummelte etwas vor sich hin.
Leider war Whitley zwar äußerst charmant, hielt aber offenbar wenig von Zugreisen. Seit sie in San Francisco eingestiegen waren, hatte er kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen, sich zu beschweren.
Der Zug wäre schmutzig.
Es gäbe keinen Speisewagen.
Der über ihnen wabernde Zigarrenqualm reizte seinen Husten.
Ihm würde nie mehr warm werden.
Was in aller Welt war nur in die Frau drei Reihen hinter ihnen gefahren, dass sie eine so lange Reise mit zwei frechen Kindern und einem schreienden Säugling antrat?
In diesem Moment gab das Baby einen kläglichen Schrei von sich.
Lizzie, die an Babys gewöhnt war, weil es so viele davon auf Triple M gab, störte das nicht. Was sie hingegen sehr wohl störte, war Whitleys offensichtlicher Unmut gegenüber Kindern. Obwohl sie als Lehrerin arbeiten wollte - verheiratet oder nicht -, hoffte sie, eines Tages selbst einen ganzen Stall voller Kinder zu haben. Gesunde, laute, wilde Kinder, aus denen selbstbewusste Erwachsene und Freidenker werden würden. Es fiel ihr nicht leicht, in jenem Whitley den Vater ihrer Kinder zu sehen.
Der Mann jenseits des Gangs legte seine Zeitung zur Seite, stand auf und streckte sich. Er war vor ein paar Stunden zugestiegen, in Phoenix, in der Hand eine Arzttasche aus gesprungenem und verkratztem Leder. Seine Weste war sauber, aber abgetragen. Er trug weder Hut noch Waffe - ein seltener Anblick in dem noch immer wilden Gebiet um Arizona herum.
Obwohl Lizzie annahm, dass Whitley, sobald sie bei ihrer Familie waren, um ihre Hand anhalten würde, warf sie dem Fremden verstohlene Blicke zu. Er hatte irgendetwas an sich, das immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Der Mann hatte dunkles, recht langes Haar und braune ernste Augen. Auch wenn er vermutlich nicht viel älter als Lizzie war, die demnächst zwanzig wurde, lag eine Reife in seinem Verhalten und seiner Miene, die sie anzog. Es kam ihr so vor, als ob er schon viele Leben gelebt hätte, zu anderen Zeiten und an anderen Orten.
Sie hörte, wie er leise zu der Mutter sprach, und spürte ein ganz spezielles kleines Ziehen an der geheimsten Stelle ihres Herzens, als sie sah, wie er das in einen schäbigen, ausgefransten Quilt gewickelte Kind hielt.
Whitley schlief weiter.
Außer ihnen saßen nur wenige andere Passagiere in dem Waggon. Ein fahler und sehr magerer Soldat in blauer Uniform, der sich offenbar gerade von einer grässlichen Krankheit oder Verletzung erholte. Ein beleibter Vertreter mit einem Musterkoffer auf dem Schoß, dessen Griff er mit einer Hand umklammerte, während er in der anderen eine brennende Zigarre hielt. Offenbar besaß er einen unerschöpflichen Vorrat an diesen Dingern, da er eine nach der anderen wegpaffte. Ein älteres, schweigsames Paar reiste mit einem exotischen weißen Vogel in einem wunderschönen Messingkäfig bei sich. Herrliche blaue Federn schmückten den Kopf des Vogels, der, sobald seine Besitzer das rote Seidentuch vom Käfig zogen, vor sich hinplapperte.
Sie alle - von Whitley natürlich abgesehen - waren Fremde für Lizzie. Wobei ihr Whitley in diesem neuen und unangenehmen Licht ebenfalls fremd erschien.
Neues Heimweh erfasste Lizzie. Sie sehnte sich entsetzlich danach, unter Menschen zu sein, die sie kannte. Menschen wie Lorelei, die bestimmt seit Wochen unaufhörlich buk, Päckchen versteckte und Geheimnisse bewahrte. Oder wie ihr Vater Holt, der sich in den Pausen im Schuppen einschloss, um Schlitten, Spielzeugkutschen und Puppenhäuser zu schnitzen. Einiges davon würde er Lizzies Brüdern und den vielen Cousins und Cousinen schenken. Doch der größte Teil war für die ärmeren Haushalte in der Umgebung von Triple M gedacht.
Zwar lagen immer Berge von Geschenken unter dem Weihnachtsbaum, und es gab reichlich köstliches Essen, doch für die McKettricks ging es Weihnachten überwiegend darum, Leuten Geschenke zu machen, die nicht so viel besaßen wie sie. Darum nähten Lorelei, Lizzie und alle Tanten jedes Jahr etliche Stoffpuppen und -tiere, die beim Gemeindefest am Weihnachtsabend in der Kirche verteilt wurden.
Der Fremde, der jetzt mit dem Baby auf dem Arm den Gang entlang ging, riss Lizzie aus ihren Gedanken. Er sah ihr ins Gesicht. Zwar lächelte er nicht direkt, doch irgendetwas blitzte in seinen Augen auf.
Sein Anblick beschämte Lizzie. Sie hätte der überforderten Mutter drei Reihen weiter hinten ihre Hilfe anbieten sollen. Das Kind beruhigte sich bereits ein wenig, es gurrte und sabberte auf das weiße Hemd des Mannes. Falls ihn das störte, so ließ er es sich nicht anmerken.
Hinter den Zugfenstern wirbelten dicke Schneeflocken durch die zunehmende Abenddämmerung. Und obwohl Lizzie mit Gedankenkraft versuchte, das Tempo des Zugs zu beschleunigen, schien er eher langsamer zu werden.
Gerade als sie dem Mann den Säugling abnehmen wollte, ertönte aus allen Richtungen ein entsetzliches Getöse - als ob tausend Gewitter gleichzeitig zusammenkrachten. Der Waggon ruckte heftig und stoppte dann unvermittelt mit einem Beben. Als ob der ganze Zug aus den Schienen springen wollte, neigte er sich zur Seite, stellte sich dann aber wieder mit einem Übelkeit erregenden Wackeln auf.
Der Vogel schlug vor Angst wild kreischend mit den Flügeln.
Lizzie, die beinahe aus ihrem Sitz geschleudert wurde, spürte einen festen Griff an ihrer Schulter. Beim Aufsehen erkannte sie den Fremden, der noch immer aufrecht stand, das Baby sicher in seiner rechten Armbeuge. Irgendwie war es ihm gelungen, auf den Beinen zu bleiben, das Kind zu halten und Lizzie davor zu bewahren, auf den gegenüberliegenden Sitz geworfen zu werden.
"W ... was?", murmelte sie erschrocken.
"Eine Lawine vermutlich", erwiderte der Mann ruhig.
Der wiedererwachte Whitley war genauso verängstigt wie der Vogel. "Sind wir entgleist?", wollte er wissen.
Der Fremde ignorierte ihn. "Ist jemand verletzt?", fragte er, tätschelte den Rücken des Babys und schaukelte es vorsichtig an seiner Schulter.
"Mein Arm", wimmerte die Mutter des Säuglings im hinteren Teil. "Mein Arm
..."
"Keine Panik", sagte der Mann, drückte Lizzie das Baby in die Arme und nahm die Medizintasche von der Ablage über seinem Sitz. Er sprach leise mit dem älteren Ehepaar. Lizzie sah, wie sie nickten. Sie waren also in Ordnung.
...
Übersetzung: Tess Martin
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Autoren-Porträt von Linda Lael Miller
Linda Lael Miller wuchs in Washington, dem nordwestlichsten Bundesstaat der USA, auf. Ihre Karriere als Autorin, die 1983 begann, ermöglichte ihr, in England und Italien zu leben, bevor sie wieder in den weiten Westen zurückkehrte, dem bevorzugten Schauplatz ihrer Romane. Linda Lael Miller engagiert sich für den Tierschutz und ist Gründerin einer Stiftung zur Förderung von Frauenbildung.
Bibliographische Angaben
- Autor: Linda Lael Miller
- 2010, 428 Seiten, Maße: 12,4 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Tess Martin
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3899417933
- ISBN-13: 9783899417937
- Erscheinungsdatum: 12.11.2010
Rezension zu „Ein Fest der Liebe / McKettrick Bd.5 “
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