Ein Held seiner Zeit
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"Kornél Esti ist das, was man einen Schlawiner nennt. Ein Bonvivant, der die Wahrheit jederzeit für eine gute Geschichte opfern würde. Seine 'Bekenntnisse' sind witzig und geistreich, aber nicht unbedingt glaubwürdig. Esti, ein Alter Ego seines Autors Kosztolányi, streift durch das Budapest der dreißiger Jahre und erzählt Kaffeehausgeschichten, die von mageren Bohemiens und traurigen Straßenmädchen handeln, von teuren Hotels und trostlosen Witwen. Was in diesen Episoden aufscheint, wirkt heute wie der letzte Walzer einer verlorenen Epoche. Kosztolányi hat dieser Zeit eine ironische und elegante Liebeserklärung gemacht." (Kultur-SPIEGEL)
Ein Held seiner Zeit von Dezső Kosztolányi
LESEPROBE
ERSTES KAPITEL
in welchem der Autor den alleinigen Helden dieses Buchs, KornélEsti, vorstellt und entlarvt
Die Hälfte meines Lebens war schon vorbei, als mir an einem windigenFrühlingstag Kornel Esti in den Sinn kam. Ich beschloß, ihn aufzusuchen undunsere alte Freundschaft zu erneuern.
Wir hatten uns damals schon zehn Jahre nicht mehr gesehen.Was war zwischen uns vorgefallen? Gott weiß. Zerstritten waren wir nicht.Jedenfalls nicht so wie andere Leute.
Doch als ich die Dreißig hinter mir hatte, begann er mir lästigzu werden. Sein frivoles Benehmen verletzte mich. Seine altmodischenoffen-hohen Kragen, seine gelb-dünnen Krawatten und seine krud-grünenWortspiele waren mir verleidet. Ich fand seine krampfhafte Originalitätermüdend. Fortwährend verwickelte er mich in irgendwelche Skandale.
Zum Beispiel riß er beim Spazieren, während wir nebeneinanderhergingen, unvermittelt ein Küchenmesser aus der Innentasche seines Jackettsund begann es zur Verblüffung der Passanten am Randstein zu wetzen. Oder erwandte sich sehr höflich an einen armen Blinden, er möge ihm doch das Staubkornentfernen, das ihm eben ins Auge geflogen sei. Oder einmal, als ich lauterbedeutende Persönlichkeiten, von denen mein Schicksal und meine Karriereabhingen, Chefredakteure, Politiker - gnädige Herren, Exzellenzen -, zum Abendessenerwartete und auch er geladen war, veranlaßte er hinterrücks meineBediensteten, im Badezimmer einzuheizen, worauf er meine Gäste gleich beiihrem Eintreffen abfing und ihnen mitteilte, daß in meinem Haus aufgrund eineralten, geheimnisvollen - leider nicht in Einzelheiten zu erörternden - Familientraditionoder eines Aberglaubens die Gäste vor dem Essen ausnahmslos ein Bad zu nehmenhatten, und diesen Unsinn vertrat er mit einem solchen teuflischen Takt, einer solchenSchläue und Wortgewandtheit, daß die arglosen Opfer, die mich zum ersten undzum letzten Mal mit ihrer Präsenz beehrten, ohne mein Wissen allesamt ein Badnahmen, zusammen mit ihren Gemahlinnen, worauf sie sich, gute Miene zum bösenSpiel machend, an den Tisch setzten, als wäre nichts geschehen.
Derartige Studentenstreiche hatten mich früher amüsiert. Jetzt,zu Beginn des Mannesalters, ärgerten sie mich eher. Ich fürchtete, meineSeriosität könnte ebenfalls Schaden nehmen. Zwar sagte ich nichts, aber ichgebe zu, daß er mich mehr als einmal zum Erröten brachte.
Ihm ging es mit mir wohl ähnlich. In der Tiefe seines Herzensfand er mich wahrscheinlich blöd, weil ich seine Einfälle nicht gebührendwürdigte. Vielleicht verachtete er mich sogar. Er hielt mich für einenSpießbürger, weil ich mir einen Terminkalender anschaffte, täglich arbeiteteund mich den gesellschaftlichen Gebräuchen anpaßte. Einmal warf er mir insGesicht, ich hätte meine Jugend vergessen. Na ja, da war wohl etwas dran. Aberso geht es im Leben. Allen geht es so.
Unsere Entfremdung vollzog sich langsam und unmerklich. Abertrotz allem verstand ich ihn. Er mich auch. Bloß war es jetzt so, daß wireinander insgeheim kritisierten. Die ganze Erklärerei, daß wir einanderverstanden und doch nicht verstanden, ging uns beiden auf die Nerven. Jederzog auf eigenen Wegen dahin. Er nach links. Ich nach rechts.
Zehn lange Jahre lebten wir so, ohne einander ein Zeichen zugeben. Natürlich dachte ich an ihn. Es verging kaum ein Tag, an dem ich mirnicht überlegte, was er in dieser oder jener Situation tun würde. Ich nehmean, daß auch er an mich dachte. Schließlich war unsere Vergangenheit von einemlebendig pulsierenden Erinnerungsgeflecht durchzogen, das nicht so raschabsterben konnte.
Wer er für mich war und was er war, das ließe sich nur schwerlichvon A bis Z erzählen. Ich könnte das gar nicht. Meine Erinnerung reicht nichtso weit zurück wie unsere Freundschaft. Ihr Anfang verliert sich imurweltlichen Dämmer meiner Säuglingszeit. Seit ich denken kann, war er mir nahe.Immer vor mir oder hinter mir, neben mir oder gegen mich. Gleichgültig war ermir nie.
Eines Winterabends saß ich nach dem Essen auf dem Teppichund baute aus bunten Klötzchen einen Turm. Meine Mutter wollte, daß ichschlafen ging. Sie schickte die Amme nach mir, denn damals trug ich noch Röcke.Schon ließ ich mich wegführen. Da ertönte hinter meinem Rücken eine Stimme,seine unvergeßliche Stimme:
«Nicht gehen, grad eben nicht.»
Ich wandte mich um und erblickte ihn, glücklich-erschrocken.Er grinste mir ermutigend zu. Ich klammerte mich an seinen Arm, damit er mirhelfe, doch die Amme riß mich los und brachte mich zu Bett, ich konnte zappelnund stampfen, soviel ich wollte.
Von da an trafen wir uns täglich.
Morgens sprang er vors Waschbecken:
«Nicht waschen, schmutzig bleiben, es lebe der Dreck!»
(...)
© Rowohlt Verlag
Übersetzung: Christina Viragh
- Autor: Dezsö Kosztolányi
- 2005, 1. Auflage., 304 Seiten, Maße: 11,6 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Mitarbeit:Esterházy, Péter;Übersetzung:Viragh, Christina
- Übersetzer: Christina Viragh
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499241110
- ISBN-13: 9783499241116
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