Ein schöner Tag zum Sterben
Wie viele andere Soldaten geht Ärztin Heike Groos nach Afghanistan, weil sie an den humanitären Charakter ihres Einsatzes glaubt. Doch Bombenanschläge und Raketenangriffe sind die Realität eines Krieges, der nicht so genannt werden darf und sinnlose Opfer fordert.
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
18.95 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Ein schöner Tag zum Sterben “
Wie viele andere Soldaten geht Ärztin Heike Groos nach Afghanistan, weil sie an den humanitären Charakter ihres Einsatzes glaubt. Doch Bombenanschläge und Raketenangriffe sind die Realität eines Krieges, der nicht so genannt werden darf und sinnlose Opfer fordert.
Klappentext zu „Ein schöner Tag zum Sterben “
Ich habe vergessen zu weinen, dort in diesen gewaltigen Bergen des Hindukusch. Und dann habe ich vergessen, wie man weint. Heike Groos, Oberstabsärztin in Kabul, Feyzabad und Kunduz im Auslandseinsatz für die Bundeswehr als Angehörige der ISAF-Truppen
Ein Knall zerreißt die flirrende Luft auf der Jalalabad Road in Kabul. Dann Stille. Für vier junge deutsche Männer wird der Weg zurück in die Heimat zur Todesfalle. Heike Groos, Bundeswehrärztin in Afghanistan, ist eine der ersten, die die verletzten Soldaten am Ort des Selbstmordanschlags versorgt. Wie Groos sind sie im Glauben an den humanitären Charakter ihres Einsatzes an den Hindukusch gekommen. Doch was die Soldaten, was die Ärzte erwartet, ist die erbarhmungslose Realität eines Krieges. Wohin mit dem Schrecken, der Angst, dem Hass, den Bildern, die auch bleiben, wenn man der Hölle längst entkommen ist?
"Ich habe vergessen zu weinen, dort in diesen gewaltigen Bergen des Hindukusch. Und dann habe ich vergessen, wie man weint."
Heike Groos, Oberstabsärztin in Kabul, Feyzabad und Kunduz im Auslandseinsatz für die Bundeswehr als Angehörige der ISAF-Truppen
Ein Knall zerreißt die flirrende Luft auf der Jalalabad Road in Kabul. Dann Stille. Für vier junge deutsche Männer wird der Weg zurück in die Heimat zur Todesfalle. Heike Groos, Bundeswehrärztin in Afghanistan, ist eine der ersten, die die verletzten Soldaten am Ort des Selbstmordanschlags versorgt. Wie Groos sind sie im Glauben an den humanitären Charakter ihres Einsatzes an den Hindukusch gekommen. Doch was die Soldaten, was die Ärzte erwartet, ist die erbarhmungslose Realität eines Krieges. Wohin mit dem Schrecken, der Angst, dem Hass, den Bildern, die auch bleiben, wenn man der Hölle längst entkommen ist?
Heike Groos, Oberstabsärztin in Kabul, Feyzabad und Kunduz im Auslandseinsatz für die Bundeswehr als Angehörige der ISAF-Truppen
Ein Knall zerreißt die flirrende Luft auf der Jalalabad Road in Kabul. Dann Stille. Für vier junge deutsche Männer wird der Weg zurück in die Heimat zur Todesfalle. Heike Groos, Bundeswehrärztin in Afghanistan, ist eine der ersten, die die verletzten Soldaten am Ort des Selbstmordanschlags versorgt. Wie Groos sind sie im Glauben an den humanitären Charakter ihres Einsatzes an den Hindukusch gekommen. Doch was die Soldaten, was die Ärzte erwartet, ist die erbarhmungslose Realität eines Krieges. Wohin mit dem Schrecken, der Angst, dem Hass, den Bildern, die auch bleiben, wenn man der Hölle längst entkommen ist?
Lese-Probe zu „Ein schöner Tag zum Sterben “
Ein schöner Tag zum Sterben von Heike Groos Als Bundeswehrärztin in Afghanistan Kabul, Juni 2003
Am Morgen nach dem Anschlag war die gesamte Kompanie ab vier Uhr schon wieder auf den Beinen. Unser Auftrag lautete, die Verletzten an den Flugplatz in Kabul zu verbringen, von wo aus sie mit zweimotorigen Transportmaschinen, die mit Intensivpflegeeinheiten aufgerüstet worden waren, nach Usbekistan und von dort mit dem Sanitätsairbus der Bundeswehr in deutsche Militärkrankenhäuser verlegt werden sollten. Man war sehr vorsichtig geworden. Wir sollten zügig durch die Stadt fahren, nirgends anhalten und auch am Flugplatz jegliche Wartezeit vermeiden. Der Spieß und ich hatten lange darüber nachgedacht, ob ich mitfahren oder im Lager bleiben sollte. Es war die alte Frage. Die Führungsfähigkeit der Kompanie sicherstellen oder durch die eigene Anwesenheit untergeordnetes Personal motivieren, Angst bekämpfen.
Ein erneuter Anschlag war natürlich nicht auszuschließen. Wenn »die« gewusst hatten, wann unser Bus mit den Abfliegern zum Flughafen fuhr, würden »die« auch wissen oder sich denken können, dass wir unsere Verletzten nach Hause bringen würden. Auch wenn wir nicht genau wussten, wer »die« waren. Am Ende fuhr ich mit, übernahm einen der Panzer als Notärztin. Es war keine Frage der Angst, sondern der Verantwortung. Die Überlegung, dass sowieso fast meine gesamte Kompanie unterwegs sein würde und im Falle eines Unglückes für die verbleibenden Soldaten der Spieß als Chef genügen würde, hatte die Angelegenheit entschieden. So wurde ich Augenzeuge der Wiedervereinigung der Verletzten mit ihrem Kompaniechef. Er war zum Glück nur leicht verletzt worden.
... mehr
Um die Kapazitäten der Lazarette für die Schwerverletzten frei zu halten, waren einige der Leichtverletzten in die Sanitätsbereiche der Engländer, Türken und Kanadier in anderen Camps in Kabul gebracht worden, darunter auch er. Den ganzen Tag über hatten seine Männer nach ihm gefragt.
»Wo ist unser Hauptmann? «, und sie hatten bedrückte und enttäuschte Gesichter gemacht, wenn wir ihnen sagen mussten, dass sie ihn erst am nächsten Morgen am Flugplatz treffen würden. Nun warteten sie gespannt auf ihn, geradezu sehnsüchtig. Auf die Stabilität, die Kontinuität, die er ihnen geben würde. Darauf, dass wenigstens etwas noch so sein würde wie früher. Dass ihr Chef ihnen sagen würde, alles wird wieder gut.
Als er aus dem Sanitätsfahrzeug der Engländer stieg, blieb er stehen und sah sie der Reihe nach an, seine Männer, seine Jungs, die sich im Halbkreis um ihn versammelt hatten. Er sah sie lange an. Sah ihre Gesichter, ihre Augen voller Traurigkeit, die ihn so erwartungsvoll und bittend ansahen. Sein Blick schweifte über ihre Verbände, ihre Gehstützen, ihre geborgten und geschenkten Kleidungsstücke. Er schien in den wenigen Sekunden um Jahre zu altern. Der Hauptmann und die ihm anvertrauten Soldaten sahen einander an. Ein Team waren sie gewesen, eine Familie für sechs lange Monate. Nun waren vier von ihnen tot, die anderen übel zugerichtet. Er war der Chef, er hatte die Verantwortung. Aber es war noch mehr. Sie hatten ein ausgesprochen gutes Verhältnis zueinander gehabt, diese Männer und ihr Chef. Ich wusste es, war oft genug bei ihnen eingeladen gewesen.
Hier hatte nicht nur Befehl und Gehorsam regiert, sondern Vertrauen, ja Freundschaft bestanden. Langsam setzte er nun einen Fuß vor, dann brachten ihn drei schnelle Schritte in die Mitte seiner Männer. Er wollte etwas sagen, öffnete den Mund. Es kam nichts heraus. Er schloss den Mund wieder und nahm den ersten Soldaten in den Arm, klopfte ihm auf den Rücken. Nun war der Bann gebrochen, einen nach dem anderen umarmte er und konnte nun auch die Worte sprechen, auf die alle so sehnlich gewartet hatten.
»Alles wird wieder gut. «
Was mögen ihn diese Worte gekostet haben? Er wusste, dass es nicht wahr war. Für vier seiner Männer würde nichts mehr gut werden. Drei waren gleich tot gewesen, einer war im Feldlazarett gestorben. Das würden sie nun nie mehr vergessen können. Die Narben in den Gesichtern seiner Männer und in seinem eigenen würden dafür sorgen. Die Narben im Gesicht und die Narben auf der Seele. Die Augen seiner Männer sagten, dass sie wussten, dass nichts wieder so werden würde wie früher. Aber diese Augen sagten auch
»Danke. Danke, dass du es trotzdem sagst, danke, dass du jetzt bei uns bist, dass wir uns nicht mehr so allein fühlen. «
»Und jetzt fliegen wir heim«, sagte er, und sie nickten, getröstet für einen Augenblick.
Auch uns Sanitäter und Ärzte umarmten sie und bedankten sich bei uns, bevor sie in die Flugzeuge einstiegen. Nun durften auch ein paar Tränen fließen. Frauen und Sanis, das ist etwas anderes. Da kann man für ein paar Sekunden Gefühl zeigen, weich sein. Als die Maschinen gestartet waren, fuhren wir hinüber zum Lazarett der Holländer, das sich auf dem Flughafengelände befand. Von dort sollten wir unseren Augenarzt zurück mit ins Camp nehmen. Der Oberstabsarzt hatte den ganzen Nachmittag und Abend in unserem Feldlazarett operiert. Fast alle Verletzte waren an den Augen verwundet worden. Er hatte Splitter herausgezogen, gerettet, was zu retten war. Abends war er dann in das niederländische Krankenhaus gefahren und hatte die ganze Nacht hindurch die dortigen Patienten operiert. Augenärzte operieren unter dem Mikroskop, eine unglaublich anstrengende Tätigkeit. Selten führen sie mehr als drei oder höchstens vier Operationen hintereinander aus.
Er jedoch hatte fast zwanzig Patienten nacheinander operiert, einen Tag und eine Nacht lang. Viele Augen, die nach dem langen Flug nach Deutschland vielleicht nicht mehr hätten gerettet werden können. Einigen Soldaten hatte er aber erklären müssen, dass er eines ihrer Augen entfernen musste. All das hatte er unspektakulär irgendwo im Flur mit nur einer Assistentin erledigt, vollkommen unbeachtet von allen anderen, die mit großen Operationen, Bluttransfusionen und wichtigen organisatorischen Dingen beschäftigt waren und ständig mindestens ein Ohr am Telefon im Kontakt mit Deutschland hatten. Patient für Patient hatte er gesehen und untersucht und wieder und wieder entschieden, dass ein nicht wiedergutzumachender Schaden für das Augenlicht entstehen könne, wenn die Operation auf später in Deutschland verschoben werden würde.
Auch bei den Patienten, deren Augen nicht mehr gerettet werden konnten, hatte er beschlossen, es sofort zu tun. Gleich, solange die Betäubung des Schocks noch anhielt. Vielleicht wollte er keine Hoffnungen wecken, die später nicht erfüllt werden konnten. Als wir ihn fanden, stand er gelassen an einen Laternenpfahl gelehnt, genoss ganz offensichtlich die Sonne und zog genüsslich an einer Zigarette. Ich musste lachen. Ich hatte erwartet, ihn erschöpft und deprimiert vorzufinden. Aber er sagte nur schlicht: »Es musste doch gemacht werden. «
Ich hatte ihn immer schon gemocht mit seiner ruhigen, bescheidenen Art und seinem trockenen Humor. Nun wuchs er zu einem wahren Helden in meinen Augen. Einer, dem man die höchsten Medaillen anhängen sollte, die es gibt. Aber wahre Helden wirken immer ein wenig unscheinbar, von weitem betrachtet. Ich hatte mich vorher manchmal gewundert, warum wir einen Augenarzt auf dieser Mission dabeihatten. Jetzt sah ich. Sah mit dem Herzen, obwohl meine Augen gar nicht verletzt waren. Keine Augen, keine Tränen. Ohne Tränen weinen ist schwerer. »Ich bin müde«, sagte er, und wir fuhren zurück, schickten ihn ins Bett. Wir hätten ihn auch zum Mond gefahren, wenn er das gewollt hätte. Im Lager wartete ein Problem auf mich.
»Chefin, Sie müssen mal mitkommen, der Spieß hat gesagt, ich soll Sie holen, Sie sollen sich das ansehen! «
Es war einer unserer Fahrer, ein normalerweise fröhlicher, immer gutgelaunter Hauptgefreiter. Jetzt schien er besorgt, war auch offensichtlich zu verwirrt, um militärische Formalitäten einzuhalten, wollte mir aber nicht sagen, um was es ging.
»Sie wissen doch, wo der Spieß ist, bei den …«, er zögerte, probierte es noch einmal, »was er macht …«, sprach nicht weiter.
Ja, das wusste ich. Er war zusammen mit dem Spieß der Klinikkompanie und einigen freiwilligen Soldaten dabei, die Leichen einzusargen. Und mein junger Soldat hier, er wusste nicht, wie er sie nennen sollte, seine toten Kameraden, konnte die Worte Leichen oder Tote nicht aussprechen. Er war hilflos, fürchtete sich, wusste nicht, wie er es richtig machen sollte. Dankbar und erleichtert verzog er sich, als ich ihm sagte, ich würde allein hingehen, er brauche mich nicht zu begleiten. Die Leichen mussten gewaschen, angekleidet und in die Särge gelegt werden. Auf den Särgen wurden die Deutschlandflagge und der Kampfhelm befestigt. Da der Kühlcontainer zu klein war, um darin zu arbeiten, hatte der Spieß befohlen, das angrenzende Zelt zu räumen.
Im Zelt empfing mich Geschäftigkeit und eine merkwürdige Stimmung. Ich blieb einen Moment am Eingang stehen, um die Eindrücke in mich aufzunehmen. Zwei Soldaten waren dabei, mit einer Bohrmaschine Löcher in einen Sargdeckel zu bohren, um dann mit Draht den Helm darauf zu befestigen. Es klappte nicht richtig, der Helm saß schief, und ich sah ihnen an, dass sie gerne geflucht hätten, sich aber mit einem Seitenblick auf die zugedeckte Leiche nicht trauten. Drei andere hielten eine Deutschlandflagge hoch, um herauszufinden, wie man sie am besten auf dem Sarg anbringen konnte, so dass sie ihn bedeckte.
ISBN 978-3-8105-0877-5
Krüger Verlag Alle Rechte vorbehalten.
Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise,
ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar.
Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung,
Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009
»Wo ist unser Hauptmann? «, und sie hatten bedrückte und enttäuschte Gesichter gemacht, wenn wir ihnen sagen mussten, dass sie ihn erst am nächsten Morgen am Flugplatz treffen würden. Nun warteten sie gespannt auf ihn, geradezu sehnsüchtig. Auf die Stabilität, die Kontinuität, die er ihnen geben würde. Darauf, dass wenigstens etwas noch so sein würde wie früher. Dass ihr Chef ihnen sagen würde, alles wird wieder gut.
Als er aus dem Sanitätsfahrzeug der Engländer stieg, blieb er stehen und sah sie der Reihe nach an, seine Männer, seine Jungs, die sich im Halbkreis um ihn versammelt hatten. Er sah sie lange an. Sah ihre Gesichter, ihre Augen voller Traurigkeit, die ihn so erwartungsvoll und bittend ansahen. Sein Blick schweifte über ihre Verbände, ihre Gehstützen, ihre geborgten und geschenkten Kleidungsstücke. Er schien in den wenigen Sekunden um Jahre zu altern. Der Hauptmann und die ihm anvertrauten Soldaten sahen einander an. Ein Team waren sie gewesen, eine Familie für sechs lange Monate. Nun waren vier von ihnen tot, die anderen übel zugerichtet. Er war der Chef, er hatte die Verantwortung. Aber es war noch mehr. Sie hatten ein ausgesprochen gutes Verhältnis zueinander gehabt, diese Männer und ihr Chef. Ich wusste es, war oft genug bei ihnen eingeladen gewesen.
Hier hatte nicht nur Befehl und Gehorsam regiert, sondern Vertrauen, ja Freundschaft bestanden. Langsam setzte er nun einen Fuß vor, dann brachten ihn drei schnelle Schritte in die Mitte seiner Männer. Er wollte etwas sagen, öffnete den Mund. Es kam nichts heraus. Er schloss den Mund wieder und nahm den ersten Soldaten in den Arm, klopfte ihm auf den Rücken. Nun war der Bann gebrochen, einen nach dem anderen umarmte er und konnte nun auch die Worte sprechen, auf die alle so sehnlich gewartet hatten.
»Alles wird wieder gut. «
Was mögen ihn diese Worte gekostet haben? Er wusste, dass es nicht wahr war. Für vier seiner Männer würde nichts mehr gut werden. Drei waren gleich tot gewesen, einer war im Feldlazarett gestorben. Das würden sie nun nie mehr vergessen können. Die Narben in den Gesichtern seiner Männer und in seinem eigenen würden dafür sorgen. Die Narben im Gesicht und die Narben auf der Seele. Die Augen seiner Männer sagten, dass sie wussten, dass nichts wieder so werden würde wie früher. Aber diese Augen sagten auch
»Danke. Danke, dass du es trotzdem sagst, danke, dass du jetzt bei uns bist, dass wir uns nicht mehr so allein fühlen. «
»Und jetzt fliegen wir heim«, sagte er, und sie nickten, getröstet für einen Augenblick.
Auch uns Sanitäter und Ärzte umarmten sie und bedankten sich bei uns, bevor sie in die Flugzeuge einstiegen. Nun durften auch ein paar Tränen fließen. Frauen und Sanis, das ist etwas anderes. Da kann man für ein paar Sekunden Gefühl zeigen, weich sein. Als die Maschinen gestartet waren, fuhren wir hinüber zum Lazarett der Holländer, das sich auf dem Flughafengelände befand. Von dort sollten wir unseren Augenarzt zurück mit ins Camp nehmen. Der Oberstabsarzt hatte den ganzen Nachmittag und Abend in unserem Feldlazarett operiert. Fast alle Verletzte waren an den Augen verwundet worden. Er hatte Splitter herausgezogen, gerettet, was zu retten war. Abends war er dann in das niederländische Krankenhaus gefahren und hatte die ganze Nacht hindurch die dortigen Patienten operiert. Augenärzte operieren unter dem Mikroskop, eine unglaublich anstrengende Tätigkeit. Selten führen sie mehr als drei oder höchstens vier Operationen hintereinander aus.
Er jedoch hatte fast zwanzig Patienten nacheinander operiert, einen Tag und eine Nacht lang. Viele Augen, die nach dem langen Flug nach Deutschland vielleicht nicht mehr hätten gerettet werden können. Einigen Soldaten hatte er aber erklären müssen, dass er eines ihrer Augen entfernen musste. All das hatte er unspektakulär irgendwo im Flur mit nur einer Assistentin erledigt, vollkommen unbeachtet von allen anderen, die mit großen Operationen, Bluttransfusionen und wichtigen organisatorischen Dingen beschäftigt waren und ständig mindestens ein Ohr am Telefon im Kontakt mit Deutschland hatten. Patient für Patient hatte er gesehen und untersucht und wieder und wieder entschieden, dass ein nicht wiedergutzumachender Schaden für das Augenlicht entstehen könne, wenn die Operation auf später in Deutschland verschoben werden würde.
Auch bei den Patienten, deren Augen nicht mehr gerettet werden konnten, hatte er beschlossen, es sofort zu tun. Gleich, solange die Betäubung des Schocks noch anhielt. Vielleicht wollte er keine Hoffnungen wecken, die später nicht erfüllt werden konnten. Als wir ihn fanden, stand er gelassen an einen Laternenpfahl gelehnt, genoss ganz offensichtlich die Sonne und zog genüsslich an einer Zigarette. Ich musste lachen. Ich hatte erwartet, ihn erschöpft und deprimiert vorzufinden. Aber er sagte nur schlicht: »Es musste doch gemacht werden. «
Ich hatte ihn immer schon gemocht mit seiner ruhigen, bescheidenen Art und seinem trockenen Humor. Nun wuchs er zu einem wahren Helden in meinen Augen. Einer, dem man die höchsten Medaillen anhängen sollte, die es gibt. Aber wahre Helden wirken immer ein wenig unscheinbar, von weitem betrachtet. Ich hatte mich vorher manchmal gewundert, warum wir einen Augenarzt auf dieser Mission dabeihatten. Jetzt sah ich. Sah mit dem Herzen, obwohl meine Augen gar nicht verletzt waren. Keine Augen, keine Tränen. Ohne Tränen weinen ist schwerer. »Ich bin müde«, sagte er, und wir fuhren zurück, schickten ihn ins Bett. Wir hätten ihn auch zum Mond gefahren, wenn er das gewollt hätte. Im Lager wartete ein Problem auf mich.
»Chefin, Sie müssen mal mitkommen, der Spieß hat gesagt, ich soll Sie holen, Sie sollen sich das ansehen! «
Es war einer unserer Fahrer, ein normalerweise fröhlicher, immer gutgelaunter Hauptgefreiter. Jetzt schien er besorgt, war auch offensichtlich zu verwirrt, um militärische Formalitäten einzuhalten, wollte mir aber nicht sagen, um was es ging.
»Sie wissen doch, wo der Spieß ist, bei den …«, er zögerte, probierte es noch einmal, »was er macht …«, sprach nicht weiter.
Ja, das wusste ich. Er war zusammen mit dem Spieß der Klinikkompanie und einigen freiwilligen Soldaten dabei, die Leichen einzusargen. Und mein junger Soldat hier, er wusste nicht, wie er sie nennen sollte, seine toten Kameraden, konnte die Worte Leichen oder Tote nicht aussprechen. Er war hilflos, fürchtete sich, wusste nicht, wie er es richtig machen sollte. Dankbar und erleichtert verzog er sich, als ich ihm sagte, ich würde allein hingehen, er brauche mich nicht zu begleiten. Die Leichen mussten gewaschen, angekleidet und in die Särge gelegt werden. Auf den Särgen wurden die Deutschlandflagge und der Kampfhelm befestigt. Da der Kühlcontainer zu klein war, um darin zu arbeiten, hatte der Spieß befohlen, das angrenzende Zelt zu räumen.
Im Zelt empfing mich Geschäftigkeit und eine merkwürdige Stimmung. Ich blieb einen Moment am Eingang stehen, um die Eindrücke in mich aufzunehmen. Zwei Soldaten waren dabei, mit einer Bohrmaschine Löcher in einen Sargdeckel zu bohren, um dann mit Draht den Helm darauf zu befestigen. Es klappte nicht richtig, der Helm saß schief, und ich sah ihnen an, dass sie gerne geflucht hätten, sich aber mit einem Seitenblick auf die zugedeckte Leiche nicht trauten. Drei andere hielten eine Deutschlandflagge hoch, um herauszufinden, wie man sie am besten auf dem Sarg anbringen konnte, so dass sie ihn bedeckte.
ISBN 978-3-8105-0877-5
Krüger Verlag Alle Rechte vorbehalten.
Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise,
ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar.
Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung,
Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009
... weniger
Autoren-Porträt von Heike Groos
Heike Groos, geboren 1960 in Gießen, verpflichtete sich nach dem Studium der Humanmedizin als Zeitsoldatin bei der Bundeswehr. Danach arbeitete sie als selbstständige Notärztin und Allgemeinmedizinerin und zog fünf Kinder groß. Mit Beginn des Afghanistan-Einsatzes 2001 wurde sie erneut von der Bundeswehr rekrutiert und verbrachte insgesamt zwei Jahre als Oberstabsärztin in Afghanistan.
Bibliographische Angaben
- Autor: Heike Groos
- 2009, 4. Aufl., 270 Seiten, 8 farbige Abbildungen, 1 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810508772
- ISBN-13: 9783810508775
Kommentar zu "Ein schöner Tag zum Sterben"
0 Gebrauchte Artikel zu „Ein schöner Tag zum Sterben“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Ein schöner Tag zum Sterben".
Kommentar verfassen