Eine Braut auf Bestellung
Seattle, 1860: Der Witwer Joe Denton ist auf der Suche nach einer neuen Ehefrau. Denn es gibt diese Regel, dass nur ein verheirateter Mann Anspruch auf ein großes Stück Land hat. Und Joe möchte diesen Anspruch auf keinen Fall verlieren....
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Produktinformationen zu „Eine Braut auf Bestellung “
Seattle, 1860: Der Witwer Joe Denton ist auf der Suche nach einer neuen Ehefrau. Denn es gibt diese Regel, dass nur ein verheirateter Mann Anspruch auf ein großes Stück Land hat. Und Joe möchte diesen Anspruch auf keinen Fall verlieren. Seine Lösung: Eine Frau zu kaufen. Da wird ihm Anna präsentiert, die vor dem Bürgerkrieg nach Westen geflohen ist. Allerdings hat Anna andere Pläne für sich und als man sie Joe übergibt, weigert sie sich erstmal standhaft. Wird es Joe gelingen, die dickköpfige, attraktive Frau zu heiraten?
"Das Buch ist einer der bezauberndsten historischen Liebesromane der letzten Monate."
LOVELETTER MAGAZIN
Lese-Probe zu „Eine Braut auf Bestellung “
Eine Braut auf Bestellung von Deeanne GistKapitel 1
Seattle, Washington-Territorium
1. April 1865
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Junggesellen aufgepasst! Dank der Bemühungen von Asa Mercer können Sie sich jetzt für die Summe von 300 Dollar eine Braut mit anständigem Charakter und gutem Ruf aus den Atlantikstaaten sichern. Alle infrage kommenden und ernsthaft interessierten Junggesellen sind am Mittwoch zu einem Informationsabend in das Gebäude von Delim & Shorey eingeladen.
Als Joe Denton die Anzeige las, schnaubte er verächtlich. Dann überflog er den Rest der Zeitungsseite. Der Frauenmangel füllte wieder einmal die Seiten des Seattle Intelligencer.
Er warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand, lehnte sich wieder auf dem rostbraungoldenen Sofa zurück und las die nächste Seite. Die Unionstruppen hatten jetzt bei Hatchers Run an ihren gesamten Linien eine Reihe von Beobachtungstürmen errichtet und damit nun fast alle Bewegungen der Rebellen im Blick. Falls Lee zurückweichen würde, um Sherman zu überlisten, wäre ihm Grant schnell auf den Fersen.
Die Tür zum Salon ging auf und der Kopf eines kleinen braunhaarigen Jungen lugte um die Ecke. »Dachte ich mir's doch, dass ich Sie vor dem Haus gesehen habe. Wollen Sie mit meinem Pa sprechen?«
»Ja.«
Sprout Rountree trat ins Zimmer und zog seine kurze Hose hinauf, unter der aufgeschlagene Knie zum Vorschein kamen. Sein gestärktes weißes Hemd hing ihm aus der Hose. Es hatte Grasflecken und war am Ellbogen zerrissen.
»Du siehst aus, als hättest du einen harten Vormittag hinter dir«, stellte Joe fest.
Sprout streckte die Brust vor. »Ich habe geübt, damit ich bald so ein guter Holzfäller werde wie Sie.«
»Wirklich?«
Ein stolzes Grinsen überzog das sommersprossige Gesicht des Jungen. »Wirklich. Ich habe ganz allein Mamas Baum gefällt - der, der hinter dem Haus stand.«
Joe zögerte. »Meinst du etwa diesen Setzling? Die chinesische Pistazie, die deine Mutter extra von den Sandwich Islands kommen lassen hat?«
»Keine Ahnung. Warten Sie einen Moment, dann zeige ich ihn Ihnen.«
Sprout rannte aus dem Zimmer und kam eine Minute später zurück. In den Händen hielt er das, was vom ganzen Stolz seiner Mutter übrig geblieben war.
Joe fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Wann hast du das gemacht, mein Junge?«
»Heute Morgen. Ich habe die Axt von meinem Pa benutzt. Sie ist wirklich schwer. Aber ich habe für mein Alter große Muskeln. Das sagen alle.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Wollen Sie sie sehen?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, kam er näher, baute sich vor Joe auf und ließ seinen kleinen Bizeps spielen. Dieser war nicht viel dicker als der Setzling, den er in der Hand hielt, aber Joe untersuchte den Arm des Jungen mit ernster Miene, drückte seinen Muskel und pfiff dann leise durch die Zähne. »Sehr beeindruckend.«
Der Junge strahlte ihn stolz an. »Zeigen Sie mir doch mal Ihre Muskeln.«
»Ich kann jetzt nicht meinen Ärmel hochkrempeln. Ich warte auf deinen Pa.«
Sprout ließ seine kleinen Schultern enttäuscht sinken. »Ach, bitte!«
»Heute nicht, Sprout.«
»Darf ich dann wenigstens mal drücken? Dazu müssen Sie nicht mal den Ärmel hochkrempeln.«
Joe warf rasch einen Blick zur angelehnten Tür, dann beugte er den Arm, dass sein Bizeps hervortrat.
Sprout hätte mehrere Hände gebraucht, um den Muskel zu umschließen, aber er drückte das, was er erwischte, zusammen und machte riesengroße Augen. »Meine Muskeln werden eines Tages auch so groß sein.«
Joe zerzauste die Haare des Jungen und schmunzelte. »Das glaube ich dir gern. Aber bis dahin solltest du vielleicht lieber keine weiteren Bäume fällen, die deiner Mama gehören. Sie sind noch nicht groß genug für das Sägewerk, und ich weiß nicht, ob sie es gut findet, dass du mit einer Axt hantierst.«
»Wie soll ich denn dann lernen, ein Holzfäller zu werden?« »Vielleicht lassen deine Eltern dich irgendwann zu mir hinauskommen, dann kannst du mir helfen.«
Ein Strahlen trat auf das Gesicht des Jungen. »Kann ich gleich heute mitkommen?«
Joe schmunzelte wieder. »Nein, heute nicht, aber ...«
»Sprout Rountree! Komm sofort hierher!« Schwere Schritte folgten der durchdringenden Stimme, dann wurde die Tür zum Salon schwungvoll aufgerissen. Eine junge, hochschwangere Frau stand mit wütendem Gesichtsausdruck im Türrahmen.
Sprout wich zurück. »Was ist denn, Mama?«
»Was ist denn mit meinem -« Ihr Blick wanderte von dem Jungen zu dem Bäumchen in seiner Hand. »Oh, neiiiiin!«
Joe legte Sprout eine Hand auf die Schulter und erhob sich. »Guten Tag, Mrs Rountree.«
Sie schaute ihn kurz an. »O. B. ist in seinem Büro, Mr. Denton. Sie können jetzt hineingehen.« Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Sprout. »Was hast du mit meiner Pistazie gemacht?«
Der Junge wurde angesichts des Tonfalls seiner Mutter ein paar Zentimeter kleiner. »Ich habe sie gefällt, aber wenn du willst, stecke ich sie wieder in die Erde.«
Joe wartete ihre Antwort nicht ab. Er hob seinen Hut auf und verschwand durch eine Verbindungstür, die in die Bibliothek und ins Büro von Richter Obadiah B. Rountree führte.
Eine Tabakwolke, in der ein Hauch von Zitronenöl lag, erfüllte den Raum. Der junge Mann hängte seinen Hut an einen Garderobenständer, zog die Tür hinter sich ins Schloss und sperrte das Drama, das sich im Salon abspielte, aus.
Der Richter saß mit dem Rücken zu Joe und schrieb etwas auf ein Blatt Papier, das auf einem kunstvollen Mahagonisekretär lag, der den weiten Weg um Kap Hoorn zurückgelegt hatte. Sein weißes Hemd, das für seine schmächtige Figur viel zu groß war, blähte sich unter den dunklen Hosenträgern, die auf seinem Rücken überkreuzt waren, auf. Kurze, schwarze Haare umgaben eine runde, kahle Stelle.
Joe strich mit der Hand über seine dicken, welligen Haare und atmete erleichtert auf. Blonde Haare wie seine fielen nicht so schnell aus, hatte er gehört. Vielleicht hatte er Glück.
Ein schöner brauner Shakespeare-Band, der auf dem Marmortisch lag, stach ihm ins Auge. Lag das Buch nur zur Zierde dort oder las der Richter es tatsächlich? Joe verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Aus dem Salon waren keine Stimmen mehr zu vernehmen. Er vermutete, dass Mrs Rountree ein anderes Zimmer aufgesucht hatte, in dem sie Sprout ungehört einbläuen konnte, dass ihre Bäume kein Übungsobjekt für einen angehenden Holzfäller waren.
Ein Rotkehlchen mit rotbrauner Brust und weißem Hals landete auf dem Fenstersims und zwitscherte fröhlich. Joe stieg ein Hauch frische Luft in die Nase, der durch das offene Fenster hereinkam. Der Frühling hatte einen besonderen Geruch, den er schon immer geliebt hatte. Kein anderer Fleck auf Gottes grüner Erde hatte von April bis November ein so mildes und ausgeglichenes Klima wie das Washington-Territorium.
Der Richter steckte seine Feder in die Halterung und löschte dann ab, was er geschrieben hatte. Erschrocken flatterte der Vogel genauso schnell, wie er gekommen war, wieder davon.
»Sind Sie in der Stadt, um sich eine Braut zu kaufen?«, erkundigte er sich, immer noch im Sitzen.
»Bestimmt nicht«, antwortete Joe. »Ein Mann muss ziemlich verzweifelt sein, wenn er zulässt, dass Asa Mercer ihm eine Braut aussucht.«
Der Richter erhob sich, drehte sich zu ihm um und reichte Joe die Hand. »Ich denke, Mercer will das große Geschäft machen. Ich habe gehört, dass er von fast dreihundert Männern schon Geld kassiert hat und dass er hofft, weitere zweihundert zu finden.«
»Von mir bekommt er auf jeden Fall nichts.«
»Wenn das so ist, dann setzen Sie sich, und sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
Joe füllte mit seinem kräftigen Körper den zierlichen, eleganten Sessel aus. »Ich habe neue Informationen über die Sterbeurkunde meiner Frau.«
Rountree schaute ihn erfreut an und setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel. »Ausgezeichnet. Lassen Sie mich einen Blick darauf werfen, dann können wir diese unerfreuliche Angelegenheit zum Abschluss bringen.«
»Das ist ja gerade das Problem. Ich schrieb meinem Bruder nach Maine und bat ihn, mir die Sterbeurkunde zu schicken. Heute kam seine Antwort.« Joe holte den Brief aus seiner Jackentasche und reichte ihn dem Richter. »Er sagt, das Gerichtsgebäude von Kennebec County sei abgebrannt und alle Dokumente und Urkunden, die darin aufbewahrt wurden, seien bei dem Feuer vernichtet worden.«
»Was ist mit dem Arzt? Kann der Arzt nicht einfach eine neue Sterbeurkunde ausstellen?«
»Lorraine starb vor zehn Jahren. Damals blieb kein Arzt lange in der Stadt. Ich bin nicht einmal sicher, ob sich überhaupt noch jemand an seinen Namen erinnert.«
Rountree überflog das Blatt Papier. »Das macht die Sache kompliziert, Joe. Tillney wird sich nicht mit einem Brief von Ihrem Bruder zufriedengeben.«
Joe versteifte sich. »Zweifeln Sie etwa das Wort meines Bruders an?«
»Natürlich nicht. Aber diese Landzuweisungen waren an konkrete Bedingungen geknüpft. Um die gesamten zweihundertsechzig Hektar zu bekommen, müssen Sie eine Frau haben.«
»Ich hatte eine Frau.«
»Das können Sie nicht beweisen.«
»Ich habe eine Heiratsurkunde.«
»Das genügte vielleicht, um sich das Land vorübergehend zu sichern, aber damit Sie es behalten können, hätte Ihre Frau hier auftauchen müssen.«
»Das wollte sie ja. Es ist nicht meine Schuld, dass sie starb, bevor sie hierherkommen konnte.«
»Niemand behauptet, dass es Ihre Schuld wäre. Wir sagen doch nur, dass es bei diesen Landzuweisungen darum geht, die Besiedlung hier im Nordwesten zu fördern. Es gibt jedoch keine Besiedlung, wenn wir uns nicht vermehren. Und ohne Frauen können wir uns nicht vermehren.«
»Ich war verheiratet, als ich mich um das Land bewarb. Sie wäre gekommen, Richter Rountree. Ich hatte ihr geschrieben und alles in die Wege geleitet.«
Rountree atmete laut hörbar aus. »Für mich besteht kein Zweifel daran, dass Sie ehrenwerte Absichten hatten. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es zehn Jahre her ist und dass sie nie hier aufgetaucht ist. Vor den Augen des Gesetzes macht Sie das zu einem unverheirateten Mann, und unverheiratete Männer haben nur ein Anrecht auf einhundertdreißig Hektar, nicht auf zweihundertsechzig.«
Joe umklammerte die Sessellehnen und hatte Mühe, seine Ungeduld zu zügeln. »Sie ist gestorben. Daran kann ich nichts ändern.«
»Und wenn Sie mir eine Sterbeurkunde zeigen, bin ich auch bereit, zu Ihren Gunsten zu entscheiden. Aber selbst das ist schon ein sehr großes Entgegenkommen meinerseits. Ich kann Ihnen jedenfalls das Land nicht nur aufgrund eines Briefes, den Ihr Bruder geschrieben hat, überschreiben.«
»Und wenn ein Mitarbeiter des Gerichtes ihn schreibt?«
»Nein, Joe. Es tut mir leid. Ein Gerichtsschreiber könnte auch nur bestätigen, dass das Gerichtsgebäude abgebrannt ist. Das ändert nichts daran, dass Sie eine Sterbeurkunde brauchen.«
»Ich brauche doch nur eine, weil Sie sagen, dass ich eine brauche. Sie könnten genauso gut sagen, dass meine Heiratsurkunde genügt.«
Der Richter nahm mit einem Seufzen seine Brille ab. »Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil sich so viele Männer hier im Washington-Territorium einfach scheiden ließen, als ihre Frauen nicht in den Westen kommen wollten. Das ist Vertragsbruch.«
»Ich sehe aber nicht, dass einer von ihnen sein Land hergeben müsste.«
»Vielleicht nicht hier, aber Sie können mir glauben, dass viele Männer aufgefordert wurden, eine Braut vorzuweisen, da sie sonst das Risiko eingehen, ihr Land zu verlieren. Ich bin trotzdem bereit, Ihnen Ihr Land zu lassen, wenn Sie mir beweisen können, dass Ihre Frau gestorben ist. Wenn Sie das jedoch nicht können, gewinnt Tillney den Prozess und bekommt Ihre hundertdreißig Hektar.«
Joe sprang auf. »Ich habe zehn Jahre damit zugebracht, dieses Land urbar zu machen. Mein gesamtes Holzunternehmen hängt davon ab. Ich brauche das Land! Jeden einzelnen Hektar.«
»Das verstehe ich.«
»Tillney weiß, wie wertvoll es ist.« Joe fuhr sich mit der Hand durch seine Locken. »Er weiß, dass er, wenn er den Prozess gewinnt, nicht nur hundertdreißig Hektar Land bekommt, sondern auch Transportschneisen, Rinnen, eine gute Wasserversorgung und genug Holz für viele Jahre.«
Der Richter gab ihm darauf keine Antwort.
»Machen Sie mir das Leben vielleicht nur deshalb so schwer, weil Tillney ein Vetter Ihrer Frau ist?«
Rountree kniff die Augen zusammen. »Diese letzte Bemerkung will ich überhört haben. Unser Gespräch ist hiermit beendet.« Er stand auf. »Entweder bringen Sie mir eine Sterbeurkunde oder eine Frau oder Tillney gewinnt.«
»Es gibt aber keine Sterbeurkunde!«
»Dann schlage ich vor, dass Sie sich eine Frau suchen.« »Und wie soll ich das anstellen?«
»Mercer hält heute Abend eine Informationsveranstaltung ab. Kaufen Sie sich doch bei ihm eine.«
Joe wich einen Schritt zurück und schaute den Richter entsetzt an. »Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
»Es ist mir gleichgültig, was Sie machen. Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass das Vorhaben, das hinter der Landzuweisung stand, erreicht wird.« Er zuckte mit den Achseln. »Sterbeurkunde oder Frau. Ist mir egal.«
»Aber mir ist es nicht egal! Außerdem braucht Mercer Monate, um in den Osten zu fahren, fünfhundert Bürgerkriegswitwen und Waisen zu überreden, die Bräute von einer Horde Holzfäller zu werden, und dann mit ihnen hierher zurückzukommen.«
Der Richter ging um den Sessel herum und nahm Joes Hut vom Garderobenständer. »Er hat gesagt, dass er dafür sechs Monate braucht. So viel Zeit gebe ich Ihnen.«
»Sechs Monate wären vielleicht für einen anderen Mann genug, aber Sie kennen doch Mercer. Er braucht doppelt so lang. Ich brauche ein Jahr Aufschub. Wahrscheinlich sogar mehr.«
Rountree schürzte nachdenklich die Lippen, dann nickte er. »Ein Jahr ab heute. Wenn Sie bis zum 1. April 1866 weder eine Ehefrau noch eine Sterbeurkunde vorweisen können, geht das Land an Tillney. Er öffnete die Tür. »Guten Tag, Denton.«
In Delim & Shoreys neuem Gebäude, das ausgetrocknet, aber noch nicht ganz fertiggestellt war, gab es nur Stehplätze. Männer jeden Alters, jeder Größe und Statur und jeden Berufes drängten sich in dem halb fertigen Wagenladen. Die meisten waren Holzfäller, aber Joe entdeckte auch mehrere Geschäftsleute darunter, die sogar aus Olympia hierhergekommen waren.
In der Mitte stand Asa Mercer, der Präsident der angesehenen Universität der Stadt, auf einer Seifenkiste. Auf seinen roten Haaren und seiner blassen Haut spiegelte sich das Laternenlicht. Er hob die Hände und bedeutete den Männern zu schweigen.
Joe lehnte sich an die Wand. Mehrere Männer, die mit dem Rücken zu ihm standen, trugen im Grunde nur Lumpen, da sie ihre abgetragene Kleidung mit leeren Mehlsäcken geflickt hatten. Was würden die Frauen aus dem Osten wohl denken, wenn sie diese Kerle sahen?
»Über dreihundertsechzigtausend Männer haben bis jetzt im Konflikt zwischen den Nordstaaten und den Südstaaten ihr Leben gelassen«, verkündete Mercer mit lauter Stimme.
Im Raum wurde es still.
»Und so sehr wir auch um unsere verstorbenen Brüder trauern: Der Überschuss an Witwen und Waisen wird für die Ostküste unseres Landes immer mehr zu einem wirtschaftlichen Problem.«
Joe verschränkte die Arme.
»Aber hier im Westen mangelt es uns genau an dem Luxus, den sie im Osten im Überfluss haben. Um beiden Küsten einen Dienst zu erweisen, bin ich bereit, in den Osten zu fahren, fünfhundert Damen auszuwählen und sie zu den fleißigen, ehrlichen Männern ins Washington-Territorium zu bringen.«
Lauter Applaus erfüllte den Raum.
»Wie bei jedem Unterfangen sind damit aber natürlich Kosten verbunden. Ich beabsichtige, mir den größten Teil dieser Kosten von unserem Staat erstatten zu lassen, der sich für diese armen Frauen verantwortlich fühlt. Mein Plan ist es, mich an Präsident Lincoln persönlich zu wenden, der mich als kleiner Junge auf seinem Schoß geschaukelt hat. Ich bezweifle nicht, dass er uns ein ausgemustertes Kriegsschiff für den Transport der Frauen zur Verfügung stellen wird.«
Die Männer murmelten untereinander.
»Um festzulegen, wer von Ihnen das Privileg bekommt, eine dieser Frauen zu heiraten, ist allerdings eine Einlage von dreihundert Dollar nötig, um die Kosten für die Überfahrt Ihrer Braut zu begleichen.«
»Dreihundert Dollar sind sehr viel Geld«, rief einer der Männer.
»Im Ausgleich für Ihre Einlage erhalten Sie einen unterschriebenen Vertrag, der Ihnen ausdrücklich zusichert, dass Sie bei meiner Rückkehr eine Braut aus dem Osten bekommen.
»Wer sucht die Braut aus? Sie oder ich?«
»Das werde ich tun«, antwortete Mercer. »Aber in Ihrem Vertrag wird ebenfalls festgehalten sein, welche besonderen Anforderungen Sie an Ihre Braut stellen, und ich versichere Ihnen, dass ich jede Dame gründlich befrage und nur Frauen mit untadeligem Charakter auswähle.«
Joe schürzte die Lippen und überlegte, welche Anforderungen er an eine Ehefrau stellen würde.
Ehrlichkeit. Praktisch veranlagt. Sie dürfte nicht schwächlich oder kränklich sein wie Lorraine. Und sie müsste in der Lage sein, für seinen Holzfällertrupp zu kochen.
Seine Männer waren in der Lage, einen ganzen Tag in der Nässe, Kälte und im Matsch zu arbeiten, solange sie am Abend eine trockene Unterkunft erwartete, in der es nach Essen duftete. Und wenn dieses Essen von einer Frau zubereitet wurde, hätte er wahrscheinlich die glücklichsten Männer diesseits der Cascade Mountains.
»Ich bin einverstanden«, rief ein anderer, »schließlich kann ich mein Geld hier für nichts anderes ausgeben. Ich kann es also genauso gut für eine Frau ausgeben. Schreiben Sie mich auf Ihre Liste!«
Die Männer drängten sich um Mercer. Alle redeten gleichzeitig und konnten es nicht erwarten, ihr Geld loszuwerden.
Joe steckte die Hand in seine Jackentasche und umklammerte den schweren Beutel, der seine Jacke nach unten zog. Dreihundert Dollar. Das war nur ein winziger Bruchteil dessen, was sein Land wert war, aber es gefiel ihm trotzdem nicht, es auszugeben. Wenn er Zeit hätte, würde er selbst in den Osten fahren. Aber er konnte nicht weg. Nicht jetzt. Das Wetter wurde wärmer, und in ein paar Wochen würden so viele Holzstämme die Schneise in seinem Wald hinabrutschen, wie seine Männer fällen konnten.
»Hallo, Joe. Ich dachte, Sie würden aus Prinzip nicht hier- herkommen.« J. J. McGilvra, ein Anwalt, reichte ihm die Hand. »Haben Sie es sich anders überlegt, oder sind Sie nur gekommen, um sich über uns lustig zu machen?«
Mit einem Seufzen schob sich Joe von der Wand weg und schüttelte McGilvra die Hand. »Wenn ich ehrlich sein soll, J. J., weiß ich selbst nicht genau, was ich hier mache.«
Der Anwalt bedachte ihn mit einem neugierigen Blick. Dann reihten sich die beiden in die Schlange ein, die sich inzwischen schon dreimal um den Raum wand.
...
Übersetzung: Silvia Lutz
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Junggesellen aufgepasst! Dank der Bemühungen von Asa Mercer können Sie sich jetzt für die Summe von 300 Dollar eine Braut mit anständigem Charakter und gutem Ruf aus den Atlantikstaaten sichern. Alle infrage kommenden und ernsthaft interessierten Junggesellen sind am Mittwoch zu einem Informationsabend in das Gebäude von Delim & Shorey eingeladen.
Als Joe Denton die Anzeige las, schnaubte er verächtlich. Dann überflog er den Rest der Zeitungsseite. Der Frauenmangel füllte wieder einmal die Seiten des Seattle Intelligencer.
Er warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand, lehnte sich wieder auf dem rostbraungoldenen Sofa zurück und las die nächste Seite. Die Unionstruppen hatten jetzt bei Hatchers Run an ihren gesamten Linien eine Reihe von Beobachtungstürmen errichtet und damit nun fast alle Bewegungen der Rebellen im Blick. Falls Lee zurückweichen würde, um Sherman zu überlisten, wäre ihm Grant schnell auf den Fersen.
Die Tür zum Salon ging auf und der Kopf eines kleinen braunhaarigen Jungen lugte um die Ecke. »Dachte ich mir's doch, dass ich Sie vor dem Haus gesehen habe. Wollen Sie mit meinem Pa sprechen?«
»Ja.«
Sprout Rountree trat ins Zimmer und zog seine kurze Hose hinauf, unter der aufgeschlagene Knie zum Vorschein kamen. Sein gestärktes weißes Hemd hing ihm aus der Hose. Es hatte Grasflecken und war am Ellbogen zerrissen.
»Du siehst aus, als hättest du einen harten Vormittag hinter dir«, stellte Joe fest.
Sprout streckte die Brust vor. »Ich habe geübt, damit ich bald so ein guter Holzfäller werde wie Sie.«
»Wirklich?«
Ein stolzes Grinsen überzog das sommersprossige Gesicht des Jungen. »Wirklich. Ich habe ganz allein Mamas Baum gefällt - der, der hinter dem Haus stand.«
Joe zögerte. »Meinst du etwa diesen Setzling? Die chinesische Pistazie, die deine Mutter extra von den Sandwich Islands kommen lassen hat?«
»Keine Ahnung. Warten Sie einen Moment, dann zeige ich ihn Ihnen.«
Sprout rannte aus dem Zimmer und kam eine Minute später zurück. In den Händen hielt er das, was vom ganzen Stolz seiner Mutter übrig geblieben war.
Joe fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Wann hast du das gemacht, mein Junge?«
»Heute Morgen. Ich habe die Axt von meinem Pa benutzt. Sie ist wirklich schwer. Aber ich habe für mein Alter große Muskeln. Das sagen alle.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Wollen Sie sie sehen?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, kam er näher, baute sich vor Joe auf und ließ seinen kleinen Bizeps spielen. Dieser war nicht viel dicker als der Setzling, den er in der Hand hielt, aber Joe untersuchte den Arm des Jungen mit ernster Miene, drückte seinen Muskel und pfiff dann leise durch die Zähne. »Sehr beeindruckend.«
Der Junge strahlte ihn stolz an. »Zeigen Sie mir doch mal Ihre Muskeln.«
»Ich kann jetzt nicht meinen Ärmel hochkrempeln. Ich warte auf deinen Pa.«
Sprout ließ seine kleinen Schultern enttäuscht sinken. »Ach, bitte!«
»Heute nicht, Sprout.«
»Darf ich dann wenigstens mal drücken? Dazu müssen Sie nicht mal den Ärmel hochkrempeln.«
Joe warf rasch einen Blick zur angelehnten Tür, dann beugte er den Arm, dass sein Bizeps hervortrat.
Sprout hätte mehrere Hände gebraucht, um den Muskel zu umschließen, aber er drückte das, was er erwischte, zusammen und machte riesengroße Augen. »Meine Muskeln werden eines Tages auch so groß sein.«
Joe zerzauste die Haare des Jungen und schmunzelte. »Das glaube ich dir gern. Aber bis dahin solltest du vielleicht lieber keine weiteren Bäume fällen, die deiner Mama gehören. Sie sind noch nicht groß genug für das Sägewerk, und ich weiß nicht, ob sie es gut findet, dass du mit einer Axt hantierst.«
»Wie soll ich denn dann lernen, ein Holzfäller zu werden?« »Vielleicht lassen deine Eltern dich irgendwann zu mir hinauskommen, dann kannst du mir helfen.«
Ein Strahlen trat auf das Gesicht des Jungen. »Kann ich gleich heute mitkommen?«
Joe schmunzelte wieder. »Nein, heute nicht, aber ...«
»Sprout Rountree! Komm sofort hierher!« Schwere Schritte folgten der durchdringenden Stimme, dann wurde die Tür zum Salon schwungvoll aufgerissen. Eine junge, hochschwangere Frau stand mit wütendem Gesichtsausdruck im Türrahmen.
Sprout wich zurück. »Was ist denn, Mama?«
»Was ist denn mit meinem -« Ihr Blick wanderte von dem Jungen zu dem Bäumchen in seiner Hand. »Oh, neiiiiin!«
Joe legte Sprout eine Hand auf die Schulter und erhob sich. »Guten Tag, Mrs Rountree.«
Sie schaute ihn kurz an. »O. B. ist in seinem Büro, Mr. Denton. Sie können jetzt hineingehen.« Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Sprout. »Was hast du mit meiner Pistazie gemacht?«
Der Junge wurde angesichts des Tonfalls seiner Mutter ein paar Zentimeter kleiner. »Ich habe sie gefällt, aber wenn du willst, stecke ich sie wieder in die Erde.«
Joe wartete ihre Antwort nicht ab. Er hob seinen Hut auf und verschwand durch eine Verbindungstür, die in die Bibliothek und ins Büro von Richter Obadiah B. Rountree führte.
Eine Tabakwolke, in der ein Hauch von Zitronenöl lag, erfüllte den Raum. Der junge Mann hängte seinen Hut an einen Garderobenständer, zog die Tür hinter sich ins Schloss und sperrte das Drama, das sich im Salon abspielte, aus.
Der Richter saß mit dem Rücken zu Joe und schrieb etwas auf ein Blatt Papier, das auf einem kunstvollen Mahagonisekretär lag, der den weiten Weg um Kap Hoorn zurückgelegt hatte. Sein weißes Hemd, das für seine schmächtige Figur viel zu groß war, blähte sich unter den dunklen Hosenträgern, die auf seinem Rücken überkreuzt waren, auf. Kurze, schwarze Haare umgaben eine runde, kahle Stelle.
Joe strich mit der Hand über seine dicken, welligen Haare und atmete erleichtert auf. Blonde Haare wie seine fielen nicht so schnell aus, hatte er gehört. Vielleicht hatte er Glück.
Ein schöner brauner Shakespeare-Band, der auf dem Marmortisch lag, stach ihm ins Auge. Lag das Buch nur zur Zierde dort oder las der Richter es tatsächlich? Joe verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Aus dem Salon waren keine Stimmen mehr zu vernehmen. Er vermutete, dass Mrs Rountree ein anderes Zimmer aufgesucht hatte, in dem sie Sprout ungehört einbläuen konnte, dass ihre Bäume kein Übungsobjekt für einen angehenden Holzfäller waren.
Ein Rotkehlchen mit rotbrauner Brust und weißem Hals landete auf dem Fenstersims und zwitscherte fröhlich. Joe stieg ein Hauch frische Luft in die Nase, der durch das offene Fenster hereinkam. Der Frühling hatte einen besonderen Geruch, den er schon immer geliebt hatte. Kein anderer Fleck auf Gottes grüner Erde hatte von April bis November ein so mildes und ausgeglichenes Klima wie das Washington-Territorium.
Der Richter steckte seine Feder in die Halterung und löschte dann ab, was er geschrieben hatte. Erschrocken flatterte der Vogel genauso schnell, wie er gekommen war, wieder davon.
»Sind Sie in der Stadt, um sich eine Braut zu kaufen?«, erkundigte er sich, immer noch im Sitzen.
»Bestimmt nicht«, antwortete Joe. »Ein Mann muss ziemlich verzweifelt sein, wenn er zulässt, dass Asa Mercer ihm eine Braut aussucht.«
Der Richter erhob sich, drehte sich zu ihm um und reichte Joe die Hand. »Ich denke, Mercer will das große Geschäft machen. Ich habe gehört, dass er von fast dreihundert Männern schon Geld kassiert hat und dass er hofft, weitere zweihundert zu finden.«
»Von mir bekommt er auf jeden Fall nichts.«
»Wenn das so ist, dann setzen Sie sich, und sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
Joe füllte mit seinem kräftigen Körper den zierlichen, eleganten Sessel aus. »Ich habe neue Informationen über die Sterbeurkunde meiner Frau.«
Rountree schaute ihn erfreut an und setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel. »Ausgezeichnet. Lassen Sie mich einen Blick darauf werfen, dann können wir diese unerfreuliche Angelegenheit zum Abschluss bringen.«
»Das ist ja gerade das Problem. Ich schrieb meinem Bruder nach Maine und bat ihn, mir die Sterbeurkunde zu schicken. Heute kam seine Antwort.« Joe holte den Brief aus seiner Jackentasche und reichte ihn dem Richter. »Er sagt, das Gerichtsgebäude von Kennebec County sei abgebrannt und alle Dokumente und Urkunden, die darin aufbewahrt wurden, seien bei dem Feuer vernichtet worden.«
»Was ist mit dem Arzt? Kann der Arzt nicht einfach eine neue Sterbeurkunde ausstellen?«
»Lorraine starb vor zehn Jahren. Damals blieb kein Arzt lange in der Stadt. Ich bin nicht einmal sicher, ob sich überhaupt noch jemand an seinen Namen erinnert.«
Rountree überflog das Blatt Papier. »Das macht die Sache kompliziert, Joe. Tillney wird sich nicht mit einem Brief von Ihrem Bruder zufriedengeben.«
Joe versteifte sich. »Zweifeln Sie etwa das Wort meines Bruders an?«
»Natürlich nicht. Aber diese Landzuweisungen waren an konkrete Bedingungen geknüpft. Um die gesamten zweihundertsechzig Hektar zu bekommen, müssen Sie eine Frau haben.«
»Ich hatte eine Frau.«
»Das können Sie nicht beweisen.«
»Ich habe eine Heiratsurkunde.«
»Das genügte vielleicht, um sich das Land vorübergehend zu sichern, aber damit Sie es behalten können, hätte Ihre Frau hier auftauchen müssen.«
»Das wollte sie ja. Es ist nicht meine Schuld, dass sie starb, bevor sie hierherkommen konnte.«
»Niemand behauptet, dass es Ihre Schuld wäre. Wir sagen doch nur, dass es bei diesen Landzuweisungen darum geht, die Besiedlung hier im Nordwesten zu fördern. Es gibt jedoch keine Besiedlung, wenn wir uns nicht vermehren. Und ohne Frauen können wir uns nicht vermehren.«
»Ich war verheiratet, als ich mich um das Land bewarb. Sie wäre gekommen, Richter Rountree. Ich hatte ihr geschrieben und alles in die Wege geleitet.«
Rountree atmete laut hörbar aus. »Für mich besteht kein Zweifel daran, dass Sie ehrenwerte Absichten hatten. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es zehn Jahre her ist und dass sie nie hier aufgetaucht ist. Vor den Augen des Gesetzes macht Sie das zu einem unverheirateten Mann, und unverheiratete Männer haben nur ein Anrecht auf einhundertdreißig Hektar, nicht auf zweihundertsechzig.«
Joe umklammerte die Sessellehnen und hatte Mühe, seine Ungeduld zu zügeln. »Sie ist gestorben. Daran kann ich nichts ändern.«
»Und wenn Sie mir eine Sterbeurkunde zeigen, bin ich auch bereit, zu Ihren Gunsten zu entscheiden. Aber selbst das ist schon ein sehr großes Entgegenkommen meinerseits. Ich kann Ihnen jedenfalls das Land nicht nur aufgrund eines Briefes, den Ihr Bruder geschrieben hat, überschreiben.«
»Und wenn ein Mitarbeiter des Gerichtes ihn schreibt?«
»Nein, Joe. Es tut mir leid. Ein Gerichtsschreiber könnte auch nur bestätigen, dass das Gerichtsgebäude abgebrannt ist. Das ändert nichts daran, dass Sie eine Sterbeurkunde brauchen.«
»Ich brauche doch nur eine, weil Sie sagen, dass ich eine brauche. Sie könnten genauso gut sagen, dass meine Heiratsurkunde genügt.«
Der Richter nahm mit einem Seufzen seine Brille ab. »Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil sich so viele Männer hier im Washington-Territorium einfach scheiden ließen, als ihre Frauen nicht in den Westen kommen wollten. Das ist Vertragsbruch.«
»Ich sehe aber nicht, dass einer von ihnen sein Land hergeben müsste.«
»Vielleicht nicht hier, aber Sie können mir glauben, dass viele Männer aufgefordert wurden, eine Braut vorzuweisen, da sie sonst das Risiko eingehen, ihr Land zu verlieren. Ich bin trotzdem bereit, Ihnen Ihr Land zu lassen, wenn Sie mir beweisen können, dass Ihre Frau gestorben ist. Wenn Sie das jedoch nicht können, gewinnt Tillney den Prozess und bekommt Ihre hundertdreißig Hektar.«
Joe sprang auf. »Ich habe zehn Jahre damit zugebracht, dieses Land urbar zu machen. Mein gesamtes Holzunternehmen hängt davon ab. Ich brauche das Land! Jeden einzelnen Hektar.«
»Das verstehe ich.«
»Tillney weiß, wie wertvoll es ist.« Joe fuhr sich mit der Hand durch seine Locken. »Er weiß, dass er, wenn er den Prozess gewinnt, nicht nur hundertdreißig Hektar Land bekommt, sondern auch Transportschneisen, Rinnen, eine gute Wasserversorgung und genug Holz für viele Jahre.«
Der Richter gab ihm darauf keine Antwort.
»Machen Sie mir das Leben vielleicht nur deshalb so schwer, weil Tillney ein Vetter Ihrer Frau ist?«
Rountree kniff die Augen zusammen. »Diese letzte Bemerkung will ich überhört haben. Unser Gespräch ist hiermit beendet.« Er stand auf. »Entweder bringen Sie mir eine Sterbeurkunde oder eine Frau oder Tillney gewinnt.«
»Es gibt aber keine Sterbeurkunde!«
»Dann schlage ich vor, dass Sie sich eine Frau suchen.« »Und wie soll ich das anstellen?«
»Mercer hält heute Abend eine Informationsveranstaltung ab. Kaufen Sie sich doch bei ihm eine.«
Joe wich einen Schritt zurück und schaute den Richter entsetzt an. »Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
»Es ist mir gleichgültig, was Sie machen. Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass das Vorhaben, das hinter der Landzuweisung stand, erreicht wird.« Er zuckte mit den Achseln. »Sterbeurkunde oder Frau. Ist mir egal.«
»Aber mir ist es nicht egal! Außerdem braucht Mercer Monate, um in den Osten zu fahren, fünfhundert Bürgerkriegswitwen und Waisen zu überreden, die Bräute von einer Horde Holzfäller zu werden, und dann mit ihnen hierher zurückzukommen.«
Der Richter ging um den Sessel herum und nahm Joes Hut vom Garderobenständer. »Er hat gesagt, dass er dafür sechs Monate braucht. So viel Zeit gebe ich Ihnen.«
»Sechs Monate wären vielleicht für einen anderen Mann genug, aber Sie kennen doch Mercer. Er braucht doppelt so lang. Ich brauche ein Jahr Aufschub. Wahrscheinlich sogar mehr.«
Rountree schürzte nachdenklich die Lippen, dann nickte er. »Ein Jahr ab heute. Wenn Sie bis zum 1. April 1866 weder eine Ehefrau noch eine Sterbeurkunde vorweisen können, geht das Land an Tillney. Er öffnete die Tür. »Guten Tag, Denton.«
In Delim & Shoreys neuem Gebäude, das ausgetrocknet, aber noch nicht ganz fertiggestellt war, gab es nur Stehplätze. Männer jeden Alters, jeder Größe und Statur und jeden Berufes drängten sich in dem halb fertigen Wagenladen. Die meisten waren Holzfäller, aber Joe entdeckte auch mehrere Geschäftsleute darunter, die sogar aus Olympia hierhergekommen waren.
In der Mitte stand Asa Mercer, der Präsident der angesehenen Universität der Stadt, auf einer Seifenkiste. Auf seinen roten Haaren und seiner blassen Haut spiegelte sich das Laternenlicht. Er hob die Hände und bedeutete den Männern zu schweigen.
Joe lehnte sich an die Wand. Mehrere Männer, die mit dem Rücken zu ihm standen, trugen im Grunde nur Lumpen, da sie ihre abgetragene Kleidung mit leeren Mehlsäcken geflickt hatten. Was würden die Frauen aus dem Osten wohl denken, wenn sie diese Kerle sahen?
»Über dreihundertsechzigtausend Männer haben bis jetzt im Konflikt zwischen den Nordstaaten und den Südstaaten ihr Leben gelassen«, verkündete Mercer mit lauter Stimme.
Im Raum wurde es still.
»Und so sehr wir auch um unsere verstorbenen Brüder trauern: Der Überschuss an Witwen und Waisen wird für die Ostküste unseres Landes immer mehr zu einem wirtschaftlichen Problem.«
Joe verschränkte die Arme.
»Aber hier im Westen mangelt es uns genau an dem Luxus, den sie im Osten im Überfluss haben. Um beiden Küsten einen Dienst zu erweisen, bin ich bereit, in den Osten zu fahren, fünfhundert Damen auszuwählen und sie zu den fleißigen, ehrlichen Männern ins Washington-Territorium zu bringen.«
Lauter Applaus erfüllte den Raum.
»Wie bei jedem Unterfangen sind damit aber natürlich Kosten verbunden. Ich beabsichtige, mir den größten Teil dieser Kosten von unserem Staat erstatten zu lassen, der sich für diese armen Frauen verantwortlich fühlt. Mein Plan ist es, mich an Präsident Lincoln persönlich zu wenden, der mich als kleiner Junge auf seinem Schoß geschaukelt hat. Ich bezweifle nicht, dass er uns ein ausgemustertes Kriegsschiff für den Transport der Frauen zur Verfügung stellen wird.«
Die Männer murmelten untereinander.
»Um festzulegen, wer von Ihnen das Privileg bekommt, eine dieser Frauen zu heiraten, ist allerdings eine Einlage von dreihundert Dollar nötig, um die Kosten für die Überfahrt Ihrer Braut zu begleichen.«
»Dreihundert Dollar sind sehr viel Geld«, rief einer der Männer.
»Im Ausgleich für Ihre Einlage erhalten Sie einen unterschriebenen Vertrag, der Ihnen ausdrücklich zusichert, dass Sie bei meiner Rückkehr eine Braut aus dem Osten bekommen.
»Wer sucht die Braut aus? Sie oder ich?«
»Das werde ich tun«, antwortete Mercer. »Aber in Ihrem Vertrag wird ebenfalls festgehalten sein, welche besonderen Anforderungen Sie an Ihre Braut stellen, und ich versichere Ihnen, dass ich jede Dame gründlich befrage und nur Frauen mit untadeligem Charakter auswähle.«
Joe schürzte die Lippen und überlegte, welche Anforderungen er an eine Ehefrau stellen würde.
Ehrlichkeit. Praktisch veranlagt. Sie dürfte nicht schwächlich oder kränklich sein wie Lorraine. Und sie müsste in der Lage sein, für seinen Holzfällertrupp zu kochen.
Seine Männer waren in der Lage, einen ganzen Tag in der Nässe, Kälte und im Matsch zu arbeiten, solange sie am Abend eine trockene Unterkunft erwartete, in der es nach Essen duftete. Und wenn dieses Essen von einer Frau zubereitet wurde, hätte er wahrscheinlich die glücklichsten Männer diesseits der Cascade Mountains.
»Ich bin einverstanden«, rief ein anderer, »schließlich kann ich mein Geld hier für nichts anderes ausgeben. Ich kann es also genauso gut für eine Frau ausgeben. Schreiben Sie mich auf Ihre Liste!«
Die Männer drängten sich um Mercer. Alle redeten gleichzeitig und konnten es nicht erwarten, ihr Geld loszuwerden.
Joe steckte die Hand in seine Jackentasche und umklammerte den schweren Beutel, der seine Jacke nach unten zog. Dreihundert Dollar. Das war nur ein winziger Bruchteil dessen, was sein Land wert war, aber es gefiel ihm trotzdem nicht, es auszugeben. Wenn er Zeit hätte, würde er selbst in den Osten fahren. Aber er konnte nicht weg. Nicht jetzt. Das Wetter wurde wärmer, und in ein paar Wochen würden so viele Holzstämme die Schneise in seinem Wald hinabrutschen, wie seine Männer fällen konnten.
»Hallo, Joe. Ich dachte, Sie würden aus Prinzip nicht hier- herkommen.« J. J. McGilvra, ein Anwalt, reichte ihm die Hand. »Haben Sie es sich anders überlegt, oder sind Sie nur gekommen, um sich über uns lustig zu machen?«
Mit einem Seufzen schob sich Joe von der Wand weg und schüttelte McGilvra die Hand. »Wenn ich ehrlich sein soll, J. J., weiß ich selbst nicht genau, was ich hier mache.«
Der Anwalt bedachte ihn mit einem neugierigen Blick. Dann reihten sich die beiden in die Schlange ein, die sich inzwischen schon dreimal um den Raum wand.
...
Übersetzung: Silvia Lutz
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Deeanne Gist
Bibliographische Angaben
- Autor: Deeanne Gist
- 416 Seiten, Maße: 13,5 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868009604
- ISBN-13: 9783868009606
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