Eine tollkühne Lady
Roman
Georgiana ist schön und mutig. Als sie Ian Prescott begegnet, kann dieser nicht anders, als sie zu begehren.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Eine tollkühne Lady “
Georgiana ist schön und mutig. Als sie Ian Prescott begegnet, kann dieser nicht anders, als sie zu begehren.
Klappentext zu „Eine tollkühne Lady “
Georgiana Knight ist schön, gebildet und charmant. Doch bisweilen auch geradezu tollkühn! Um ihre Freundin zu retten, galoppiert sie kurz entschlossen auf ihrem weißen Pferd über den Basar von Kalkutta, fliegt furchtlos vorbei an all den exotischen Gewürzen und farbenprächtigen Stoffen. Ein Anblick, der die Händler in helle Aufregung versetzt und Ian Prescott, Marquis of Griffith, vor Verlangen den Atem raubt. Im Tumult überschlagen sich die Ereignisse, plötzlich gerät Georgie selbst in tödliche Gefahr. Und Ian kann nicht anders: Er muss sein Leben riskieren und gegen seinen Willen auch sein Herz ...
Georgiana Knight ist schön, gebildet und charmant. Doch bisweilen auch geradezu tollkühn! Um ihre Freundin zu retten, galoppiert sie kurz entschlossen auf ihrem weißen Pferd über den Basar von Kalkutta, fliegt furchtlos vorbei an all den exotischen Gewürzen und farbenprächtigen Stoffen. Ein Anblick, der die Händler in helle Aufregung versetzt - und Ian Prescott, Marquis of Griffith, vor Verlangen den Atem raubt. Im Tumult überschlagen sich die Ereignisse, plötzlich gerät Georgie selbst in tödliche Gefahr. Und Ian kann nicht anders: Er muss sein Leben riskieren - und gegen seinen Willen auch sein Herz ...
Lese-Probe zu „Eine tollkühne Lady “
Eine tollkühne Lady von Gaelen Foley1. KAPITEL
Indien, 1817
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Unter einem pfauenblauen Himmel, am Ufer des von Palmen gesäumten Hugli, breitete sich die sonnendurchflutete Stadt Kalkutta aus wie ein lebendig gewordener Wandteppich - oder wie ein bunter Seidenschal, der in der nach Gewürzen duftenden Brise wehte.
Vogelschwärme umkreisten die gewundenen Türme antiker Hindu-Tempel, unter deren reich verzierten Torbögen Gläubige in farbenprächtigen Gewändern auf den Steinstufen badeten, die zum Fluss hinunterführten. Direkt an das dunstige Flussufer grenzte auch der lärmende Basar, ein Durcheinander von Händlern, überfüllten Ständen und Zelten, in denen alles Erdenkliche angeboten wurde, von afghanischen Teppichen bis hin zu Aphrodisiaka, die aus dem Horn des Nashorns gemacht waren.
Weiter entfernt von den überfüllten Ufern bestimmten die geschäftlichen Aktivitäten der Hauptstadt Britisch-Indiens das wimmelnde Treiben am Fluss. Die Handelsmonopole, die viele Jahre lang bei der East India Company gelegen hatten, waren gerade aufgehoben worden - nun war es für jedermann möglich, wahre Vermögen zu erwerben. Händler und Kaufleute beluden überall an den Docks ihre schweren Schiffe bis in den letzten Winkel mit ihren Waren, um sie in ferne Welten zu bringen.
Mitten in all dem Trubel und der Überfülle erreichte still ein flacher Schoner die Kaimauern Kalkuttas.
Ein hochgewachsener, imposant wirkender Engländer lehnte an der Reling, stützte sich mit den Händen ab, das markante Kinn nach vorn gereckt. Seine außergewöhnliche Größe, die elegante Londoner Kleidung und die Ruhe, die er ausstrahlte, unterschieden ihn von den schmutzigen, barfüßigen Seeleuten, die um ihn herum ihre Arbeit taten, Anker setzten und Segel einrollten.
Er war dunkelhaarig, besaß strenge, vornehme Züge und kluge graugrüne Augen, die lebhaft funkelten, als er das Geschehen am Kai aufmerksam betrachtete. Nichts entging ihm, während er über seine Mission nachdachte ...
Jedes Jahr im Herbst, wenn die endlosen Regengüsse des Monsuns nachließen, der Himmel aufklarte und sich die Flut beruhigte, begann die Zeit des Krieges. Schon jetzt wurden die Trommeln geschlagen, und viele Meilen entfernt wurden Truppen zusammengezogen.
Es war Oktober geworden. Bald würde der Boden trocknen und hart genug sein für die Räder der Lafetten und die Pferde der Kavallerie. Bald würde das Morden anfangen.
Wenn er es nicht verhindern konnte.
Langsam drehte Ian Prescott, Marquess of Griffith, den Kopf und blickte über seine breite Schulter zu den Booten in der Nähe. Ihm war bewusst, dass er verfolgt wurde.
Nun, das war nichts Neues. Er hatte seinen Verfolger noch nicht entdeckt, aber im Verlaufe der vielen Jahre seiner Tätigkeit als Diplomat hatte er einen sechsten Sinn in solchen Dingen entwickelt - eine Gabe, die ihm schon so manches Mal das Leben gerettet hatte. In der Tat war er schwerer umzubringen als ein gewöhnlicher Adeliger, ein Umstand, den Attentäter aus aller Herren Länder hatten begreifen müssen, sehr zu ihrem Leidwesen.
Verborgen in seiner hervorragend geschnittenen Kleidung trug er sehr diskret ein ganzes Waffenarsenal bei sich; außerdem konnten die rivalisierenden Kolonialmächte in dieser Gegend keinen englischen Diplomaten seines Ranges ermorden, ohne einen internationalen Zwischenfall zu verursachen.
Trotzdem wäre es nett zu erfahren, wer es war, der ihn verfolgte.
Vielleicht Franzosen?, überlegte er. Wie immer waren das die wahrscheinlichsten Verdächtigen, obwohl er die Holländer nicht außer Acht lassen durfte, die sich noch immer nicht damit abgefunden hatten, Ceylon an die Briten verloren zu haben. In Goa waren die Portugiesen stark präsent. Zweifellos hatten alle drei Länder Agenten losgeschickt, um in Erfahrung zu bringen, was die Briten jetzt vorhatten.
Wenn der Spion allerdings vom Maharadscha von Janpur geschickt worden war, nun, das wäre etwas anderes und eine etwas weniger vorhersehbare Angelegenheit. Aber wer immer es sein mochte - wenn sie mich umbringen wollten, dachte er, dann hätten sie es schon getan.
Als der Schoner fest am Kai vertäut war, winkte Ian seinen drei indischen Dienern und verließ das Schiff.
Seine schwarzen Stiefel klangen schwer auf den Planken, während er mit entschlossenem Schritt darüber hinwegging. In den Sohlen waren kleine, an Federn befestigte Klingen angebracht. In seinem Spazierstock mit dem silbernen Griff steckte ein Degen, und eng am Körper, unter dem olivgrünen Tagesrock, trug er eine geladene Pistole.
Seine Diener folgten ihm, als er die Stufen zum Kai hinaufstieg. Oben an der Treppe blieb er einen Moment lang stehen. Er ließ den Blick über das dichte Gedränge auf dem Basar gleiten und wünschte, mehr Zeit gehabt zu haben, um sich vorzubereiten, sich über das Land zu informieren, wie er es gewöhnlich tat vor seinen Missionen. Aber er war ganz plötzlich gerufen worden, sodass er keine Erkundigungen mehr hatte einziehen können.
Obwohl er als Fachmann für so heikle Verhandlungen bekannt war, wie sie bald stattfinden würden, war Ian nie zuvor in Indien gewesen. Als ihn der Ruf erreichte, war er gerade zur Erholung in Ceylon gewesen, hatte ausgestreckt im pudrig-weißen Sand am Strand gelegen und versucht, seinen eigenen Dämonen zu entfliehen. Er hatte sich bemüht, der inneren Leere, die ihn wie betäubt fühlen ließ, mit Vernunft zu begegnen.
Aber auch dieses Mal hatte er wie zuvor keinen Erfolg gehabt mit dem Versuch, seinen sorgfältig verborgenen Schmerz zu überwinden. Und so war er nur zu dankbar gewesen, seine Dienste bei der Lösung der Schwierigkeiten mit dem Maratha-Reich anbieten zu können. Doch bis er seine Anweisungen erhalten und mehr über das Land und seine Menschen herausgefunden hatte, würde er sich mit äußerster Behutsamkeit bewegen und allen, denen er begegnete, mit ausgesuchter Höflichkeit entgegentreten müssen. Das Schlimmste, was ein Diplomat tun konnte, war, jemanden ungewollt zu beleidigen.
Zum Glück kannte er ein paar der Gepflogenheiten des Landes und zwei der Hauptsprachen, die er für seine Mission benötigen würde, Bengalisch und Marathi.
Diesen Umstand verdankte er seinem vertrauten Führer und Dolmetscher, Ravi Bhim.
Der Basar lag jetzt direkt vor Ian. Es gab nur einen Weg, und der führte mitten hindurch, also ging er weiter.
In dem Augenblick, da Ian den Hauptweg des Gewürzmarktes betrat, umfing ihn eine Woge von Düften, stark und betäubend zugleich. Seine Augen schmerzten von den scharfen Gerüchen, die die schwüle Luft erfüllten. Schwarzer Pfeffer und Nelken, Ingwer und Senfsaat - das alles wurde verkauft auf breiten, geflochtenen Matten, von Männern in langen Gewändern, die sich bestens aufs Handeln verstanden. Ian wehrte ihre Angebote mit einer Handbewegung ab und lief weiter. Es gab Säcke mit Kardamom, Safran und Muskatblüten, Muskatnüsse, die nach Pfund gewogen wurden, Koriander und Zimt.
Er warf einen Blick hinter sich und stellte fest, dass einer seiner Diener zurückgeblieben war. Der Kuli, der auf dem Rücken einen von Ians Reisekoffern trug, war stehen geblieben, um einem Schlangenbeschwörer zuzusehen, der eine große Kobra aus dem Korb lockte, indem er auf einer Rohrflöte eine bewegte Melodie spielte. Ein anderer Mann mit Turban schlug ein Paar tief tönender Trommeln. Ihre Musik wetteiferte mit den Rufen, mit denen zum muslimischen Gebet aufgefordert wurde und die von den Minaretten überall in der Stadt erschollen.
Der Kuli bemerkte, wie Ian die Brauen hochzog, erbleichte und eilte ihm nach. Bald befanden sie sich mitten auf dem Markt - es war glühend heiß, die Luft war erfüllt von den unterschiedlichsten exotischen Gerüchen und überall wurde lauthals in verschiedenen Sprachen gehandelt. Ians ernsthaftes Bemühen, das Geschehen in sich aufzunehmen, führte dazu, dass ihm nahezu schwindelig wurde und er sich ein wenig berauscht fühlte - so viel gab es zu sehen, zu hören und zu riechen.
Sein Kopf schmerzte, während er durch eine schmale Gasse schritt, die eine unüberschaubare Ansammlung indischer Schätze barg. Seide aus Kanchipuram, so fein, dass seine Mätresse zu Hause in London vor Freude gejubelt hätte. Brokat mit Gold- und Silberfäden durchsetzt, bedruckte Baumwolle, so leicht wie Federn, Teppiche mit herrlichen Mustern, bunte Perlen und Tiere aus Terrakotta, Ledersandalen, Färbemittel und Puderfarben, seltene Zypressenmöbel, vielarmige Göttinnen aus Gold.
Während sie über den Markt liefen, drängten sich Menschen an Ian und seinen Dienern vorbei, die ebenso verschiedenartig waren wie die hier feilgebotenen Waren. Hindu-Damen, in Seiden aller Regenbogenfarben gekleidet, scherzten hierhin und dorthin, lächelten strahlend, die Verheirateten unter ihnen waren mit dem roten Punkt oder bindi auf der Stirn gekennzeichnet.
Englische Offiziere in Uniform ritten am Rande vorbei auf Pferden, die denen bei Tattersalls, dem großen englischen Auktionshaus für edle Rösser, in nichts nachstanden. Buddhistische Mönche mit rasierten Köpfen, in safrangelbe Roben gehüllt, gingen vorüber, mit mandelförmigen Augen und sorglosem Lächeln, als wüssten sie nichts von irgendeinem Kummer auf Erden.
Gewiss hatten die friedliebenden Mönche keine Ahnung davon, dass sich ein weiterer Krieg zusammenbraute.
Eine kleine Gruppe muslimischer Damen, die von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt waren, inspizierte gerade den Stand eines Schmuckhändlers. Eine von ihnen hielt ihr Kind an der Hand, einen kleinen Jungen. Der Kleine aß eine Mango, und Ian lächelte ein wenig, denn das Kind schien etwa fünf Jahre alt zu sein - genauso wie sein Sohn.
Er ignorierte den kurzen Stich in der Herzgegend und blickte sich auf der Suche nach einem Mitbringsel für seinen Erben um. Er wollte etwas gefunden haben, bevor seine Mission begann. Dies war ein Ritual, das er niemals versäumte, gleichgültig, in welche Gegend der Welt seine Arbeit ihn auch führte. Vielleicht blieb ihm später keine Zeit mehr dafür. Er wählte einen Elefanten aus geschnitztem Teakholz und trat zu dem Künstler.
"Koto?" Obwohl er eigentlich niemals handelte, wenn nicht gerade das Schicksal einer ganzen Nation auf dem Spiel stand - aber dem zuerst genannten Preis nicht zu widersprechen wäre eine Beleidigung des Händlers gewesen.
Und so handelte Ian, um seinen Respekt kundzutun.
Ravi sah belustigt zu. Nachdem der Kauf schließlich unter allgemeinem, freundlichem Gelächter über die Versuche des englischen Lords, Bengalisch zu sprechen, getätigt worden war, reichte Ian das Spielzeug an seinen Diener weiter, machte zum Abschied die Grußgeste Namaste vor dem Händler und führte seine kleine Gruppe dann weiter über den Markt.
Endlich kamen sie auf der anderen Seite wieder heraus. Ian trug Ravi auf, eine Kutsche zu suchen, die Ian zum Akbar Grand Hotel bringen sollte. Diese Unterkunft hatte ihm der Generalgouverneur Lord Hastings in seinem freundlichen Brief empfohlen, der dem Communiqué mit Ians Berufung beigelegen hatte.
Einen der Kulis schickte er zum Gouverneurshaus, damit dieser Lord Hastings seine Ankunft mitteilte und ausrichtete, dass Ian so bald wie möglich vorsprechen würde, nachdem er sein Quartier bezogen hatte. Dann würde Ian endlich weitere Informationen erhalten und die beiden Kavallerieoffiziere treffen, die er für seine diplomatische Mission angefordert hatte - Gabriel und Derek Knight.
Obwohl er diesen Zweig der Familie Knight noch nicht kennengelernt hatte, waren seine Familie und die der Knights einander sehr verbunden. Ians engster Freund seit Kindertagen und sein stärkster politischer Verbündeter in London war der Kopf des Klans - Robert Knight, der Duke of Hawkscliffe, oder "Hawk", wie Ian ihn zu nennen pflegte.
Gabriel und Derek waren Hawks Cousins ersten Grades, und Kampfgeist lag ihnen im Blut. Geboren und aufgewachsen in Indien, kannten die Brüder die Gegend wie ihre Westentasche. Der Umstand, dass Ian ihnen bei seiner Mission den Vorzug gegeben hatte, würde darüber hinaus noch ihre ohnehin bravourösen militärischen Karrieren beflügeln. Was Ian betraf, so wollte er Männer um sich haben, denen er bedingungslos vertrauen konnte, wenn er sich in feindliche, unbekannte Gefilde aufmachte.
Auf einmal spürte er, wie jemand ihn ansah, und war nun restlos davon überzeugt, dass er beobachtet wurde, seit er Kalkutta erreicht hatte. Schnell wandte er sich um in der Hoffnung, den Spion zu entdecken, doch stattdessen erstarrte er bei dem Anblick eines großen bengalischen Tigers, der in einem Käfig über den Markt getragen wurde.
Die langen Stangen, auf denen der Käfig thronte, ruhten auf den sonnengebräunten Schultern von nicht weniger als acht Trägern. Das Tier musste mindestens fünfhundert Pfund wiegen. Als es zum Fluss getragen wurde, um eingeschifft zu werden - zweifellos, um die Menagerie irgendeines europäischen Adligen zu bereichern - begann das Tier zu brüllen, erschreckte die Menge der feilschenden Händler und versuchte, durch die Stäbe des Käfigs mit den Pranken nach ihnen zu schlagen.
Die Kulis stießen einen Schrei aus und ließen bei dem Versuch, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, um ein Haar den Käfig fallen. Als der Aufseher ihnen versicherte, dass der Käfig dem Tier tatsächlich standhalten würde und sie zur Arbeit zurücktrieb, lachten die Männer unsicher, wuchteten aber dann mit aller gebotenen Vorsicht die Stangen wieder auf ihre Schultern.
Ian schaute zu, fasziniert von dem Tier und gleichzeitig traurig über dessen Schicksal. Natürlich hätte es, wäre es frei gewesen, alles zerstört, was ihm in die Quere geraten wäre. Manche Tiere waren in einem Käfig besser aufgehoben.
Als würde er selbst das nicht am besten wissen.
"Sahib!"
Er wandte sich um, als Ravi in Begleitung eines anderen Inders von seinem Auftrag zurückkehrte. Dem Äußeren nach zu urteilen war der andere Mann ebenfalls ein Diener - er trug eine weiße Perücke und eine lavendelfarbene Livree. Ravi deutete auf eine luxuriöse schwarze Kutsche mit vier weißen Pferden davor, die auf der anderen Straßenseite wartete. Ein Pferdeknecht in der gleichen Livree wie der Mann, der mit Ravi erschienen war, hielt den Kopf des Leitpferdes.
"Sahib, dieser Mann sagt, er hätte den Befehl, Sie abzuholen, sobald Sie angekommen sind."
Ian betrachtete den Diener wachsam. "Der Gouverneur hat Sie geschickt?"
"Nein, Mylord." Der Diener verneigte sich. "Ich wurde vom Haus des Lord Arthur Knight geschickt."
"Lord Arthur?", rief Ian aus. Lord Arthur war der Vater von Derek und Gabriel.
"Jawohl, Sir. Seit vierzehn Tagen werde ich jeden Tag hierher bestellt, um Sie zu empfangen. Man befahl mir, Ihnen dies hier auszuhändigen." Er griff in seine Weste und zog ein zusammengefaltetes Blatt cremefarbenen Leinenpapiers hervor, das er Ian reichte.
Offenbar war Ians misstrauische Reaktion erwartet worden, denn der Brief war versiegelt mit dem Familienwappen des Duke of Hawkscliffe in rotem Wachs. In dem Moment, da Ian das Wappen der Hawkscliffes sah, hätte er beinahe gelächelt. Er kannte dieses Wappen so gut wie sein eigenes. Mochte er auch ein Fremder in einem fremden Land sein, dieser vertraute Anblick gab ihm beinahe das Gefühl, zu Hause zu sein.
Lord Arthur war Hawks Onkel, der jüngere Bruder des vorherigen Duke. Wie es jüngeren Söhnen des Adels oft erging, war Lord Arthur in seiner Jugend ein wenig leichtsinnig gewesen. Das hatte ihn zum Liebling aller Jungen in der Familie gemacht, ehe er sich vor gut dreißig Jahren entschlossen hatte, sein Glück im Dienste der East India Company zu suchen.
Ian hatte versprochen, vom Londoner Zweig der Familie Grüße an Lord Arthur zu übermitteln, denn der war hier in Indien inzwischen verwurzelt und kam nur noch äußerst selten nach England. Dennoch war Ian nicht davon ausgegangen, einen gesellschaftlichen Besuch zu unternehmen, noch ehe er sich im Hotel eingerichtet und auf seine Mission vorbereitet hatte.
In jedem Fall war das Siegel der Hawkscliffes ein guter Beweis dafür, dass die Geschichte des Dieners stimmte und nicht die Falle eines feindlichen Agenten war. Mit dieser Überlegung brach Ian das Siegel und las.
Lieber Lord Griffith,
willkommen in Indien! Das schönste Hotel Kalkuttas kann nicht mithalten mit der Gastfreundschaft des Hauses eines guten Freundes, und da ich hörte, dass Sie in England beinahe zur Familie gehören, müssen Sie hierher kommen und unser Gast sein. Es wird uns ein Vergnügen sein, alles für Ihre Bequemlichkeit zu tun.
Ganz die Ihre
Georgiana Knight
Aha, dachte er. Georgiana. Die Tochter Lord Arthurs. Ihr Ruf eilte ihr voraus.
Ian hatte wieder und wieder Erstaunliches über die junge Dame gehört, die immerhin am Golf von Bengalen lebte - und zwar nicht nur über ihre Schönheit, sondern auch über ihre guten Taten. Obwohl sie eine der einflussreichsten Schönheiten der britischen Gesellschaft in Kalkutta war, mit zahllosen Freunden und mehr Bewunderern, als sie zählen konnte, schien sie all ihre Energie auf wohltätige Projekte für die Armen in Indien zu richten.
Gerüchte, Georgiana hätte ein Waisenhaus mit den Einnahmen ihres Vaters von der East India Company unterstützt, bildeten nur den Anfang. Es gab auch ein Armenhaus für alte Damen, ein Tierhospital in der Tradition der Jain, und einen Schrein, dessen drohende Zerstörung sie verhindert hatte, als die Briten den Bau einer neuen Straße planten. Obendrein war sie erste Vorsitzende der Orientalisten-Gesellschaft, die den Lebensunterhalt Gelehrter finanzierte, die sich dem Studium alter Sanskrit-Texte sowie aller Zweige östlichen Gedankengutes und östlicher Kunst widmeten.
Selbst die Dorfbewohner in Ians englischer Heimat hatten Georgianas Namen in ehrfürchtigem Flüstern ausgesprochen, als wäre von einem göttlichen oder heiligen Wesen die Rede. Doch da er alles über die schockierende Lebensweise jener Georgiana wusste, nach der sie benannt war - Hawks Mutter - hegte er da seine Zweifel.
Die Frauen der Familie Knight bereiteten stets Schwierigkeiten und schienen für Skandale geboren und erzogen zu sein.
Und doch konnte er es kaum erwarten, ihr zu begegnen.
Seit Generationen wurde schließlich schon der Plan gehegt, die beiden mächtigen Klans zu vereinigen, die Dukes der Hawkscliffes und die Marquesses der Griffiths. Aber dem maß Ian kaum eine Bedeutung bei. Sein Interesse an Georgiana war rein akademischer Natur, die große Allianz musste auf die nächste Generation warten. Vielleicht würde eines Tages sein Sohn Matthew die Tochter von Hawk und dessen Frau Bel heiraten. Für Ian aber waren die Tage der Ehe vorüber.
Er hatte einmal geheiratet. Einmal war genug gewesen.
...
Übersetzung: Bärbel Hurst
© MIRA Taschenbuch
Unter einem pfauenblauen Himmel, am Ufer des von Palmen gesäumten Hugli, breitete sich die sonnendurchflutete Stadt Kalkutta aus wie ein lebendig gewordener Wandteppich - oder wie ein bunter Seidenschal, der in der nach Gewürzen duftenden Brise wehte.
Vogelschwärme umkreisten die gewundenen Türme antiker Hindu-Tempel, unter deren reich verzierten Torbögen Gläubige in farbenprächtigen Gewändern auf den Steinstufen badeten, die zum Fluss hinunterführten. Direkt an das dunstige Flussufer grenzte auch der lärmende Basar, ein Durcheinander von Händlern, überfüllten Ständen und Zelten, in denen alles Erdenkliche angeboten wurde, von afghanischen Teppichen bis hin zu Aphrodisiaka, die aus dem Horn des Nashorns gemacht waren.
Weiter entfernt von den überfüllten Ufern bestimmten die geschäftlichen Aktivitäten der Hauptstadt Britisch-Indiens das wimmelnde Treiben am Fluss. Die Handelsmonopole, die viele Jahre lang bei der East India Company gelegen hatten, waren gerade aufgehoben worden - nun war es für jedermann möglich, wahre Vermögen zu erwerben. Händler und Kaufleute beluden überall an den Docks ihre schweren Schiffe bis in den letzten Winkel mit ihren Waren, um sie in ferne Welten zu bringen.
Mitten in all dem Trubel und der Überfülle erreichte still ein flacher Schoner die Kaimauern Kalkuttas.
Ein hochgewachsener, imposant wirkender Engländer lehnte an der Reling, stützte sich mit den Händen ab, das markante Kinn nach vorn gereckt. Seine außergewöhnliche Größe, die elegante Londoner Kleidung und die Ruhe, die er ausstrahlte, unterschieden ihn von den schmutzigen, barfüßigen Seeleuten, die um ihn herum ihre Arbeit taten, Anker setzten und Segel einrollten.
Er war dunkelhaarig, besaß strenge, vornehme Züge und kluge graugrüne Augen, die lebhaft funkelten, als er das Geschehen am Kai aufmerksam betrachtete. Nichts entging ihm, während er über seine Mission nachdachte ...
Jedes Jahr im Herbst, wenn die endlosen Regengüsse des Monsuns nachließen, der Himmel aufklarte und sich die Flut beruhigte, begann die Zeit des Krieges. Schon jetzt wurden die Trommeln geschlagen, und viele Meilen entfernt wurden Truppen zusammengezogen.
Es war Oktober geworden. Bald würde der Boden trocknen und hart genug sein für die Räder der Lafetten und die Pferde der Kavallerie. Bald würde das Morden anfangen.
Wenn er es nicht verhindern konnte.
Langsam drehte Ian Prescott, Marquess of Griffith, den Kopf und blickte über seine breite Schulter zu den Booten in der Nähe. Ihm war bewusst, dass er verfolgt wurde.
Nun, das war nichts Neues. Er hatte seinen Verfolger noch nicht entdeckt, aber im Verlaufe der vielen Jahre seiner Tätigkeit als Diplomat hatte er einen sechsten Sinn in solchen Dingen entwickelt - eine Gabe, die ihm schon so manches Mal das Leben gerettet hatte. In der Tat war er schwerer umzubringen als ein gewöhnlicher Adeliger, ein Umstand, den Attentäter aus aller Herren Länder hatten begreifen müssen, sehr zu ihrem Leidwesen.
Verborgen in seiner hervorragend geschnittenen Kleidung trug er sehr diskret ein ganzes Waffenarsenal bei sich; außerdem konnten die rivalisierenden Kolonialmächte in dieser Gegend keinen englischen Diplomaten seines Ranges ermorden, ohne einen internationalen Zwischenfall zu verursachen.
Trotzdem wäre es nett zu erfahren, wer es war, der ihn verfolgte.
Vielleicht Franzosen?, überlegte er. Wie immer waren das die wahrscheinlichsten Verdächtigen, obwohl er die Holländer nicht außer Acht lassen durfte, die sich noch immer nicht damit abgefunden hatten, Ceylon an die Briten verloren zu haben. In Goa waren die Portugiesen stark präsent. Zweifellos hatten alle drei Länder Agenten losgeschickt, um in Erfahrung zu bringen, was die Briten jetzt vorhatten.
Wenn der Spion allerdings vom Maharadscha von Janpur geschickt worden war, nun, das wäre etwas anderes und eine etwas weniger vorhersehbare Angelegenheit. Aber wer immer es sein mochte - wenn sie mich umbringen wollten, dachte er, dann hätten sie es schon getan.
Als der Schoner fest am Kai vertäut war, winkte Ian seinen drei indischen Dienern und verließ das Schiff.
Seine schwarzen Stiefel klangen schwer auf den Planken, während er mit entschlossenem Schritt darüber hinwegging. In den Sohlen waren kleine, an Federn befestigte Klingen angebracht. In seinem Spazierstock mit dem silbernen Griff steckte ein Degen, und eng am Körper, unter dem olivgrünen Tagesrock, trug er eine geladene Pistole.
Seine Diener folgten ihm, als er die Stufen zum Kai hinaufstieg. Oben an der Treppe blieb er einen Moment lang stehen. Er ließ den Blick über das dichte Gedränge auf dem Basar gleiten und wünschte, mehr Zeit gehabt zu haben, um sich vorzubereiten, sich über das Land zu informieren, wie er es gewöhnlich tat vor seinen Missionen. Aber er war ganz plötzlich gerufen worden, sodass er keine Erkundigungen mehr hatte einziehen können.
Obwohl er als Fachmann für so heikle Verhandlungen bekannt war, wie sie bald stattfinden würden, war Ian nie zuvor in Indien gewesen. Als ihn der Ruf erreichte, war er gerade zur Erholung in Ceylon gewesen, hatte ausgestreckt im pudrig-weißen Sand am Strand gelegen und versucht, seinen eigenen Dämonen zu entfliehen. Er hatte sich bemüht, der inneren Leere, die ihn wie betäubt fühlen ließ, mit Vernunft zu begegnen.
Aber auch dieses Mal hatte er wie zuvor keinen Erfolg gehabt mit dem Versuch, seinen sorgfältig verborgenen Schmerz zu überwinden. Und so war er nur zu dankbar gewesen, seine Dienste bei der Lösung der Schwierigkeiten mit dem Maratha-Reich anbieten zu können. Doch bis er seine Anweisungen erhalten und mehr über das Land und seine Menschen herausgefunden hatte, würde er sich mit äußerster Behutsamkeit bewegen und allen, denen er begegnete, mit ausgesuchter Höflichkeit entgegentreten müssen. Das Schlimmste, was ein Diplomat tun konnte, war, jemanden ungewollt zu beleidigen.
Zum Glück kannte er ein paar der Gepflogenheiten des Landes und zwei der Hauptsprachen, die er für seine Mission benötigen würde, Bengalisch und Marathi.
Diesen Umstand verdankte er seinem vertrauten Führer und Dolmetscher, Ravi Bhim.
Der Basar lag jetzt direkt vor Ian. Es gab nur einen Weg, und der führte mitten hindurch, also ging er weiter.
In dem Augenblick, da Ian den Hauptweg des Gewürzmarktes betrat, umfing ihn eine Woge von Düften, stark und betäubend zugleich. Seine Augen schmerzten von den scharfen Gerüchen, die die schwüle Luft erfüllten. Schwarzer Pfeffer und Nelken, Ingwer und Senfsaat - das alles wurde verkauft auf breiten, geflochtenen Matten, von Männern in langen Gewändern, die sich bestens aufs Handeln verstanden. Ian wehrte ihre Angebote mit einer Handbewegung ab und lief weiter. Es gab Säcke mit Kardamom, Safran und Muskatblüten, Muskatnüsse, die nach Pfund gewogen wurden, Koriander und Zimt.
Er warf einen Blick hinter sich und stellte fest, dass einer seiner Diener zurückgeblieben war. Der Kuli, der auf dem Rücken einen von Ians Reisekoffern trug, war stehen geblieben, um einem Schlangenbeschwörer zuzusehen, der eine große Kobra aus dem Korb lockte, indem er auf einer Rohrflöte eine bewegte Melodie spielte. Ein anderer Mann mit Turban schlug ein Paar tief tönender Trommeln. Ihre Musik wetteiferte mit den Rufen, mit denen zum muslimischen Gebet aufgefordert wurde und die von den Minaretten überall in der Stadt erschollen.
Der Kuli bemerkte, wie Ian die Brauen hochzog, erbleichte und eilte ihm nach. Bald befanden sie sich mitten auf dem Markt - es war glühend heiß, die Luft war erfüllt von den unterschiedlichsten exotischen Gerüchen und überall wurde lauthals in verschiedenen Sprachen gehandelt. Ians ernsthaftes Bemühen, das Geschehen in sich aufzunehmen, führte dazu, dass ihm nahezu schwindelig wurde und er sich ein wenig berauscht fühlte - so viel gab es zu sehen, zu hören und zu riechen.
Sein Kopf schmerzte, während er durch eine schmale Gasse schritt, die eine unüberschaubare Ansammlung indischer Schätze barg. Seide aus Kanchipuram, so fein, dass seine Mätresse zu Hause in London vor Freude gejubelt hätte. Brokat mit Gold- und Silberfäden durchsetzt, bedruckte Baumwolle, so leicht wie Federn, Teppiche mit herrlichen Mustern, bunte Perlen und Tiere aus Terrakotta, Ledersandalen, Färbemittel und Puderfarben, seltene Zypressenmöbel, vielarmige Göttinnen aus Gold.
Während sie über den Markt liefen, drängten sich Menschen an Ian und seinen Dienern vorbei, die ebenso verschiedenartig waren wie die hier feilgebotenen Waren. Hindu-Damen, in Seiden aller Regenbogenfarben gekleidet, scherzten hierhin und dorthin, lächelten strahlend, die Verheirateten unter ihnen waren mit dem roten Punkt oder bindi auf der Stirn gekennzeichnet.
Englische Offiziere in Uniform ritten am Rande vorbei auf Pferden, die denen bei Tattersalls, dem großen englischen Auktionshaus für edle Rösser, in nichts nachstanden. Buddhistische Mönche mit rasierten Köpfen, in safrangelbe Roben gehüllt, gingen vorüber, mit mandelförmigen Augen und sorglosem Lächeln, als wüssten sie nichts von irgendeinem Kummer auf Erden.
Gewiss hatten die friedliebenden Mönche keine Ahnung davon, dass sich ein weiterer Krieg zusammenbraute.
Eine kleine Gruppe muslimischer Damen, die von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt waren, inspizierte gerade den Stand eines Schmuckhändlers. Eine von ihnen hielt ihr Kind an der Hand, einen kleinen Jungen. Der Kleine aß eine Mango, und Ian lächelte ein wenig, denn das Kind schien etwa fünf Jahre alt zu sein - genauso wie sein Sohn.
Er ignorierte den kurzen Stich in der Herzgegend und blickte sich auf der Suche nach einem Mitbringsel für seinen Erben um. Er wollte etwas gefunden haben, bevor seine Mission begann. Dies war ein Ritual, das er niemals versäumte, gleichgültig, in welche Gegend der Welt seine Arbeit ihn auch führte. Vielleicht blieb ihm später keine Zeit mehr dafür. Er wählte einen Elefanten aus geschnitztem Teakholz und trat zu dem Künstler.
"Koto?" Obwohl er eigentlich niemals handelte, wenn nicht gerade das Schicksal einer ganzen Nation auf dem Spiel stand - aber dem zuerst genannten Preis nicht zu widersprechen wäre eine Beleidigung des Händlers gewesen.
Und so handelte Ian, um seinen Respekt kundzutun.
Ravi sah belustigt zu. Nachdem der Kauf schließlich unter allgemeinem, freundlichem Gelächter über die Versuche des englischen Lords, Bengalisch zu sprechen, getätigt worden war, reichte Ian das Spielzeug an seinen Diener weiter, machte zum Abschied die Grußgeste Namaste vor dem Händler und führte seine kleine Gruppe dann weiter über den Markt.
Endlich kamen sie auf der anderen Seite wieder heraus. Ian trug Ravi auf, eine Kutsche zu suchen, die Ian zum Akbar Grand Hotel bringen sollte. Diese Unterkunft hatte ihm der Generalgouverneur Lord Hastings in seinem freundlichen Brief empfohlen, der dem Communiqué mit Ians Berufung beigelegen hatte.
Einen der Kulis schickte er zum Gouverneurshaus, damit dieser Lord Hastings seine Ankunft mitteilte und ausrichtete, dass Ian so bald wie möglich vorsprechen würde, nachdem er sein Quartier bezogen hatte. Dann würde Ian endlich weitere Informationen erhalten und die beiden Kavallerieoffiziere treffen, die er für seine diplomatische Mission angefordert hatte - Gabriel und Derek Knight.
Obwohl er diesen Zweig der Familie Knight noch nicht kennengelernt hatte, waren seine Familie und die der Knights einander sehr verbunden. Ians engster Freund seit Kindertagen und sein stärkster politischer Verbündeter in London war der Kopf des Klans - Robert Knight, der Duke of Hawkscliffe, oder "Hawk", wie Ian ihn zu nennen pflegte.
Gabriel und Derek waren Hawks Cousins ersten Grades, und Kampfgeist lag ihnen im Blut. Geboren und aufgewachsen in Indien, kannten die Brüder die Gegend wie ihre Westentasche. Der Umstand, dass Ian ihnen bei seiner Mission den Vorzug gegeben hatte, würde darüber hinaus noch ihre ohnehin bravourösen militärischen Karrieren beflügeln. Was Ian betraf, so wollte er Männer um sich haben, denen er bedingungslos vertrauen konnte, wenn er sich in feindliche, unbekannte Gefilde aufmachte.
Auf einmal spürte er, wie jemand ihn ansah, und war nun restlos davon überzeugt, dass er beobachtet wurde, seit er Kalkutta erreicht hatte. Schnell wandte er sich um in der Hoffnung, den Spion zu entdecken, doch stattdessen erstarrte er bei dem Anblick eines großen bengalischen Tigers, der in einem Käfig über den Markt getragen wurde.
Die langen Stangen, auf denen der Käfig thronte, ruhten auf den sonnengebräunten Schultern von nicht weniger als acht Trägern. Das Tier musste mindestens fünfhundert Pfund wiegen. Als es zum Fluss getragen wurde, um eingeschifft zu werden - zweifellos, um die Menagerie irgendeines europäischen Adligen zu bereichern - begann das Tier zu brüllen, erschreckte die Menge der feilschenden Händler und versuchte, durch die Stäbe des Käfigs mit den Pranken nach ihnen zu schlagen.
Die Kulis stießen einen Schrei aus und ließen bei dem Versuch, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, um ein Haar den Käfig fallen. Als der Aufseher ihnen versicherte, dass der Käfig dem Tier tatsächlich standhalten würde und sie zur Arbeit zurücktrieb, lachten die Männer unsicher, wuchteten aber dann mit aller gebotenen Vorsicht die Stangen wieder auf ihre Schultern.
Ian schaute zu, fasziniert von dem Tier und gleichzeitig traurig über dessen Schicksal. Natürlich hätte es, wäre es frei gewesen, alles zerstört, was ihm in die Quere geraten wäre. Manche Tiere waren in einem Käfig besser aufgehoben.
Als würde er selbst das nicht am besten wissen.
"Sahib!"
Er wandte sich um, als Ravi in Begleitung eines anderen Inders von seinem Auftrag zurückkehrte. Dem Äußeren nach zu urteilen war der andere Mann ebenfalls ein Diener - er trug eine weiße Perücke und eine lavendelfarbene Livree. Ravi deutete auf eine luxuriöse schwarze Kutsche mit vier weißen Pferden davor, die auf der anderen Straßenseite wartete. Ein Pferdeknecht in der gleichen Livree wie der Mann, der mit Ravi erschienen war, hielt den Kopf des Leitpferdes.
"Sahib, dieser Mann sagt, er hätte den Befehl, Sie abzuholen, sobald Sie angekommen sind."
Ian betrachtete den Diener wachsam. "Der Gouverneur hat Sie geschickt?"
"Nein, Mylord." Der Diener verneigte sich. "Ich wurde vom Haus des Lord Arthur Knight geschickt."
"Lord Arthur?", rief Ian aus. Lord Arthur war der Vater von Derek und Gabriel.
"Jawohl, Sir. Seit vierzehn Tagen werde ich jeden Tag hierher bestellt, um Sie zu empfangen. Man befahl mir, Ihnen dies hier auszuhändigen." Er griff in seine Weste und zog ein zusammengefaltetes Blatt cremefarbenen Leinenpapiers hervor, das er Ian reichte.
Offenbar war Ians misstrauische Reaktion erwartet worden, denn der Brief war versiegelt mit dem Familienwappen des Duke of Hawkscliffe in rotem Wachs. In dem Moment, da Ian das Wappen der Hawkscliffes sah, hätte er beinahe gelächelt. Er kannte dieses Wappen so gut wie sein eigenes. Mochte er auch ein Fremder in einem fremden Land sein, dieser vertraute Anblick gab ihm beinahe das Gefühl, zu Hause zu sein.
Lord Arthur war Hawks Onkel, der jüngere Bruder des vorherigen Duke. Wie es jüngeren Söhnen des Adels oft erging, war Lord Arthur in seiner Jugend ein wenig leichtsinnig gewesen. Das hatte ihn zum Liebling aller Jungen in der Familie gemacht, ehe er sich vor gut dreißig Jahren entschlossen hatte, sein Glück im Dienste der East India Company zu suchen.
Ian hatte versprochen, vom Londoner Zweig der Familie Grüße an Lord Arthur zu übermitteln, denn der war hier in Indien inzwischen verwurzelt und kam nur noch äußerst selten nach England. Dennoch war Ian nicht davon ausgegangen, einen gesellschaftlichen Besuch zu unternehmen, noch ehe er sich im Hotel eingerichtet und auf seine Mission vorbereitet hatte.
In jedem Fall war das Siegel der Hawkscliffes ein guter Beweis dafür, dass die Geschichte des Dieners stimmte und nicht die Falle eines feindlichen Agenten war. Mit dieser Überlegung brach Ian das Siegel und las.
Lieber Lord Griffith,
willkommen in Indien! Das schönste Hotel Kalkuttas kann nicht mithalten mit der Gastfreundschaft des Hauses eines guten Freundes, und da ich hörte, dass Sie in England beinahe zur Familie gehören, müssen Sie hierher kommen und unser Gast sein. Es wird uns ein Vergnügen sein, alles für Ihre Bequemlichkeit zu tun.
Ganz die Ihre
Georgiana Knight
Aha, dachte er. Georgiana. Die Tochter Lord Arthurs. Ihr Ruf eilte ihr voraus.
Ian hatte wieder und wieder Erstaunliches über die junge Dame gehört, die immerhin am Golf von Bengalen lebte - und zwar nicht nur über ihre Schönheit, sondern auch über ihre guten Taten. Obwohl sie eine der einflussreichsten Schönheiten der britischen Gesellschaft in Kalkutta war, mit zahllosen Freunden und mehr Bewunderern, als sie zählen konnte, schien sie all ihre Energie auf wohltätige Projekte für die Armen in Indien zu richten.
Gerüchte, Georgiana hätte ein Waisenhaus mit den Einnahmen ihres Vaters von der East India Company unterstützt, bildeten nur den Anfang. Es gab auch ein Armenhaus für alte Damen, ein Tierhospital in der Tradition der Jain, und einen Schrein, dessen drohende Zerstörung sie verhindert hatte, als die Briten den Bau einer neuen Straße planten. Obendrein war sie erste Vorsitzende der Orientalisten-Gesellschaft, die den Lebensunterhalt Gelehrter finanzierte, die sich dem Studium alter Sanskrit-Texte sowie aller Zweige östlichen Gedankengutes und östlicher Kunst widmeten.
Selbst die Dorfbewohner in Ians englischer Heimat hatten Georgianas Namen in ehrfürchtigem Flüstern ausgesprochen, als wäre von einem göttlichen oder heiligen Wesen die Rede. Doch da er alles über die schockierende Lebensweise jener Georgiana wusste, nach der sie benannt war - Hawks Mutter - hegte er da seine Zweifel.
Die Frauen der Familie Knight bereiteten stets Schwierigkeiten und schienen für Skandale geboren und erzogen zu sein.
Und doch konnte er es kaum erwarten, ihr zu begegnen.
Seit Generationen wurde schließlich schon der Plan gehegt, die beiden mächtigen Klans zu vereinigen, die Dukes der Hawkscliffes und die Marquesses der Griffiths. Aber dem maß Ian kaum eine Bedeutung bei. Sein Interesse an Georgiana war rein akademischer Natur, die große Allianz musste auf die nächste Generation warten. Vielleicht würde eines Tages sein Sohn Matthew die Tochter von Hawk und dessen Frau Bel heiraten. Für Ian aber waren die Tage der Ehe vorüber.
Er hatte einmal geheiratet. Einmal war genug gewesen.
...
Übersetzung: Bärbel Hurst
© MIRA Taschenbuch
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Autoren-Porträt von Gaelen Foley
Gaelen Foley hat Philosophie studiert und besitzt einen Doktortitel der Literaturwissenschaften. Nach Stationen in New York, Atlanta und Charleston ist sie in ihre Heimatstadt Pittsburgh in Pennsylvania zurückgekehrt, um zu heiraten. Dort lebt sie mit ihrem Ehemann und arbeitet an neuen spannenden Romanen für ihre begeisterten Leserinnen in Deutschland und Amerika
Bibliographische Angaben
- Autor: Gaelen Foley
- 2012, 380 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Hurst, Bärbel
- Übersetzer: Bärbel Hurst
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862783073
- ISBN-13: 9783862783076
Rezension zu „Eine tollkühne Lady “
"Immer grandios."- Julia Quinn
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