Eine verlockende Braut
Roman. Deutsche Erstausgabe
Um ihren Vater vor dem Gefängnis zu bewahren, stimmt Emmaline Marlowe einer Ehe mit dem einflussreichen Oberhaupt des Hepburn-Clans zu. Doch kurz vor der Eheschließung platzt ausgerechnet Jamie Sinclair in die Kirche und entführt die...
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Produktinformationen zu „Eine verlockende Braut “
Um ihren Vater vor dem Gefängnis zu bewahren, stimmt Emmaline Marlowe einer Ehe mit dem einflussreichen Oberhaupt des Hepburn-Clans zu. Doch kurz vor der Eheschließung platzt ausgerechnet Jamie Sinclair in die Kirche und entführt die schöne Braut. Er, der größte Feind des Clans, ist alles, was ihr Bräutigam nicht ist: jung, attraktiv und gefährlich. Und er erobert ihr Herz im Sturm. Auch Jamies Rachegedanken weichen schnell einer ungeahnten Leidenschaft, und schon bald weiß er: Emmaline muss die Seine werden.
Klappentext zu „Eine verlockende Braut “
Um ihren Vater vor dem Gefängnis zu bewahren, stimmt Emmaline Marlowe einer Ehe mit dem einflussreichen Oberhaupt des Hepburn-Clans zu. Doch kurz vor der Eheschließung platzt ausgerechnet Jamie Sinclair in die Kirche und entführt die schöne Braut. Er, der größte Feind des Clans, ist alles, was ihr Bräutigam nicht ist: jung, attraktiv und gefährlich. Und er erobert ihr Herz im Sturm. Auch Jamies Rachegedanken weichen schnell einer ungeahnten Leidenschaft, und schon bald weiß er: Emmaline muss die Seine werden ...
Lese-Probe zu „Eine verlockende Braut “
Eine verlockende Braut von Teresa MedeirosKapitel 1
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»Ach, sieh dir nur das liebe Mädchen an. Die Kleine zittert ja vor Freude und Glück.«
»Und wer kann ihr daraus schon einen Vorwurf machen? Sie hat vermutlich ihr ganzes Leben lang von diesem Tag geträumt.«
»Aye, das ist aber auch der Traum eines jeden jungen Mädchens, nicht wahr? Einen reichen Laird zu heiraten, der es sich leisten kann, seiner Frau jeden Wunsch zu erfüllen, nicht wahr?«
»Sie sollte sich in der Tat glücklich schätzen, so einen erstaunlich guten Fang gemacht zu haben. Mit den ganzen Sommersprossen ist sie ja beileibe keine große Schönheit. «
»Ich möchte wetten, dass sie sie noch nicht einmal mit einem ganzen Glas von Gowland's Lotion wegbleichen kann! Und der Kupferton in ihren Haaren lässt sie ein klein wenig gewöhnlich aussehen, meinst du nicht? Ich habe gehört, dass der Earl sie in London in ihrer dritten und letzten Saison kennengelernt hat, als sie fast schon alle Hoffnung aufgeben musste, doch noch einen Ehemann zu finden. Himmel, es heißt, sie sei fast schon einundzwanzig. «
»Nein! So grässlich alt?«
»Ja, das habe ich wenigstens gehört. Sie stand kurz davor, als Ladenhüter zu enden, bis unser Laird sie bei den alten Jungfern entdeckt und einen seiner Männer geschickt hat, mit ihr zu tanzen.«
Während sie starr nach vorn schaute und sich große Mühe gab, nicht auf das heftige Flüstern der beiden Frauen zu hören, die in der ersten Reihe der Kirche saßen und miteinander tratschten, konnte Emmaline Marlowe nicht umhin, die Wahrheit in ihren Äußerungen anzuerkennen.
Sie hatte tatsächlich ihr ganzes Leben lang von diesem Tag geträumt.
Sie hatte davon geträumt, vor einem Altar zu stehen und dem Mann, den sie liebte und bewunderte, ihr Herz zu schenken und ihm lebenslange Treue zu schwören. In diesen verschwommenen Träumen hatte sie nie einen klaren Blick auf sein Gesicht erhaschen können, aber sie wusste, die Leidenschaft, die in seinen Augen glomm, würde sich nicht verbergen lassen, wenn er schwor, sie den Rest seines Lebens zu lieben und zu ehren.
Sie senkte den Blick auf den leicht bebenden Strauß getrockneter Heide in ihrer Hand und war dankbar, dass die lächelnden Zuschauer, die dicht gedrängt in den langen schmalen Bankreihen zu beiden Seiten des Mittelgangs in der Kirche saßen, das Zittern dem Glück und der Vorfreude zuschrieben, wie man es bei einer jeden jungen Braut erwarten durfte, die kurz davor stand, ihr Ehegelöbnis zu leisten. Sie war die Einzige, die wusste, dass es viel mehr an der Kälte lag, die die uralten Steinmauern der Kirche des ehemaligen Klosters ausstrahlten.
Und ihr Herz.
Sie warf einen verstohlenen Blick zu dem Kirchhof hinter den hohen schmalen Fenstern. Himmel in der Farbe unpolierten Zinns lag brütend und unheilvoll über dem Tal, sodass der Tag eher an tiefsten Winter statt an Mitte April erinnerte. Die skelettartigen Zweige von Eiche und Ulme mussten erst noch die erste grüne Knospe ansetzen. Grabsteine ragten schief aus dem felsigen Boden, und die Inschriften im Stein waren unter dem erbarmungslosen Angriff der Elemente längst verblasst. Emma fragte sich unwillkürlich, wie viele von denen, die nun unter der Erde ruhten, einmal Bräute wie sie gewesen waren, junge Frauen, voller Hoffnungen und Träume, die zu früh von Entscheidungen anderer und dem unausweichlichen Verstreichen der Zeit zunichtegemacht wurden.
Die zackigen Umrisse der Berge erhoben sich über dem Kirchhof wie Denkmäler eines noch primitiveren Zeitalters. Dieses raue Highland-Klima, in dem der Winter sich trotzig dagegen wehrte, seinen eisigen Griff zu lockern, schien ihr Welten entfernt von der sanft hügeligen Landschaft in Lancashire, wo sie und ihre Schwestern so gerne sorglos und übermütig herumgetollt waren. Die Hügel dort waren bereits grün und saftig in der Verheißung auf Frühling und lockten die Wanderer nach Hause, die dumm genug gewesen waren, das Land zu verlassen.
Zuhause, dachte Emma, und ihr Herz zog sich vor Sehnsucht schmerzlich zusammen. Ein Ort, an den sie nach heute nicht länger gehörte.
Sie warf einen erschreckten Blick über ihre Schulter und entdeckte ihre Eltern, die in der Reihe der Familie Hepburn saßen und ihr voller Stolz und unter Tränen zulächelten. Sie war ein braves Mädchen. Eine pflichtbewusste Tochter. Diejenige, auf die man sich immer verlassen konnte, dass sie ihren drei jüngeren Schwestern ein gutes Vorbild war. Elberta, Edwina und Ernestine saßen aneinander gekauert auf der Kirchenbank neben ihrer Mutter und betupften sich die vom Weinen geröteten Augen mit ihren Taschentüchern. Wenn Emma sich hätte einreden können, es sei Freude, die ihre Familie zum Weinen brachte, wären ihre Tränen leichter zu ertragen gewesen.
Mehr Geflüster drängte sich in ihre Gedanken, als die beiden Frauen ihre Unterhaltung wieder aufnahmen. »Sieh ihn dir doch nur an! Er ist immer noch ein Bild von einem Mann, nicht wahr?«
»Allerdings. Das Herz könnte einem vor Stolz schwellen. Und man kann sehen, dass er von dem jungen Ding ganz hingerissen ist.«
Da sie nicht länger die Unausweichlichkeit ihres Schicksals leugnen konnte, drehte Emma sich wieder zurück zum Altar und hob ihren Blick, um in die bewundernden Augen ihres Bräutigams zu sehen.
Dann senkte sie ihn rasch wieder, als ihr einfiel, dass sie ja einen halben Kopf größer war als seine vom Alter gebeugte Gestalt.
Er grinste sie an, wobei sich beinahe das schlecht angepasste Gebiss aus Wedgwood-Porzellan aus seinem Mund löste. Seine Wangen wölbten sich fast völlig nach innen, als er die Zähne zurücksaugte, was wiederum einen hörbaren Laut machte, der wie ein Pistolenschuss in der Kirche widerzuhallen schien. Emma schluckte, hoffte, dass seine alterstrüben blassblauen Augen ihre angewiderte Miene mit einem erfreuten Lächeln verwechselten.
Seine verhutzelte Gestalt war in den ganzen prachtvollen Ornat gehüllt, der mit seiner Stellung als Laird der Hepburn-Ländereien und als Oberhaupt des Clans der Hepburns einherging. Ein wehendes rot-schwarzes Plaid schien seine schmalen Schultern fast zu schlucken. Der passende Kilt gab den Blick frei auf Knie, die so knöchern waren wie elfenbeinerne Türknaufe. Eine abgenutzte Felltasche baumelte zwischen seinen Beinen; die zeremonielle Tasche hatte so viele kahle Stellen wie sein Haupt.
Die beiden alten Klatschbasen hatten recht, wies Emma sich streng zurecht. Der Mann war ein Earl - ein äußerst mächtiger Adeliger, von dem es hieß, er besitze sowohl den Respekt seiner Standesgenossen als auch das Ohr des Königs.
Es war ihre Pflicht ihrer Familie gegenüber - und ihrem rasch schwindenden Vermögen - gewesen, den Antrag des Earls anzunehmen. Schließlich war es nicht die Schuld ihres Vaters, dass er mit einem Stall voll Töchter verflucht war, statt mit Söhnen gesegnet zu sein, die in die Welt hätten ziehen können, um selbst ihr Glück zu machen. Dass der Earl of Hepburn ausgerechnet ein Auge auf Emma geworfen hatte, kurz bevor sie zu den alten Jungfern zu zählen drohte, war ein ausgesprochener Glücksfall für sie alle gewesen. Dank der großzügigen Zahlung, die der Earl ihrem Vater bereits geleistet hatte, würden ihre Mutter und ihre Schwestern nie wieder durch das Pochen von Gläubigern an der Tür ihres baufälligen Herrenhauses aus dem Schlaf gerissen werden oder jeden wachen Moment in der Furcht verbringen, dass sie im Arbeitshaus enden würden.
Emma war vielleicht die hübscheste der Marlowe-Mädchen, aber sie war nicht so attraktiv, dass sie es sich leisten konnte, einen so erlauchten Bewerber um ihre Hand abzuweisen. Während der kräftezehrenden Reise in diese entlegene Ecke der Highlands hatte ihre Mutter jede Einzelheit ihrer bevorstehenden Hochzeit in entschlossen heiterer Stimmung mit ihr besprochen. Als sie schließlich die Ausläufer der Berge erreichten und das Heim des Earls endlich in Sicht kam, hatten ihre Schwestern pflichtschuldig bewundernd geseufzt, ohne zu erkennen, dass ihr gespielter Neid für Emma viel schmerzlicher war, als unverhohlenes Mitleid es gewesen wäre.
Niemand konnte die erhabene Pracht der alten Burg in Abrede stellen, die sich an den schattigen Fuß des hohen schneebedeckten Berges Ben Nevis schmiegte - eine Burg, in denen die Lairds der Hepburns und ihre Bräute jahrhundertelang freundliche Aufnahme gefunden hatten. Wenn der heutige Tag überstanden war, würde Emma als die junge Frau des Earls die Herrin von allem hier sein.
Als sie ihren Bräutigam aus schmalen Augen betrachtete, rang sie darum, ihre Grimasse in ein aufrichtiges Lächeln zu verwandeln. Der alte Mann war ihr und ihrer Familie gegenüber der Inbegriff von Freundlichkeit gewesen, seit er sie bei einem der letzten Bälle der Saison auf der anderen Seite des überfüllten öffentlichen Tanzsaales entdeckt hatte. Statt einen Vertreter zu schicken, hatte er sich höchstpersönlich auf die beschwerliche Reise nach Lancashire gemacht, um ihr den Hof zu machen und bei ihrem Papa um ihre Hand anzuhalten, seinen Segen zu erbitten.
Er hatte sich während seines Besuches wie ein echter Edelmann verhalten, hatte nie eine herablassende Bemerkung über den schäbigen Empfangssalon mit dem verblassten Teppich, die sich von den Wänden schälenden Tapeten und die nicht zueinanderpassenden Möbel gemacht oder verächtlich ihre unmodischen und geflickten Kleider gemustert. Seinem höflichen Auftreten und seinem liebenswürdigen Benehmen zufolge hätte man meinen können, er wäre zum Tee beim Prinzregenten in Carlton House.
Er hatte Emma stets behandelt, als sei sie bereits eine Countess und nicht die älteste Tochter eines verarmten Baronets, zwischen dem und dem Armenhaus nur eine unüberlegte Wette stand. Und er war nie mit leeren Händen gekommen. Ein Schritt hinter ihm war stets ein Lakai gegangen, der mit ausdrucksloser Miene Berge von Geschenken in den muskulösen Armen trug: handbemalte Fächer, Glasperlen und bunt bebilderte Modezeitschriften für Emmas Schwestern, für ihre Mutter französische Lavendelseife und Ballen mit hübschen Baumwollstoffen und für ihren Vater Flaschen feinsten schottischen Whiskys - und ledergebundene Ausgaben von William Blakes Songs of Innocence oder Fanny Burneys jüngster Roman für Emma selbst. Das waren für einen Mann seines Reichtums bestenfalls Kinkerlitzchen, aber solcher Luxus war im Herrenhaus für eine lange Zeit Mangelware gewesen. Seine Großzügigkeit hatte eine kleidsame Röte in die fahlen Wangen ihrer Mutter getrieben und Emmas Schwestern echte Freudenschreie entlockt.
Emma schuldete dem Mann Dankbarkeit und Loyalität, wenn auch nicht Liebe.
Außerdem, wie lange kann er überhaupt noch weiterleben?, dachte sie, empfand aber sogleich Gewissensbisse.
Obwohl es gerüchteweise hieß, der Earl sei beinahe achtzig Jahre alt, sah er eher aus, als läge sein Alter näher bei hundertfünfzig. Dem grauen Ton der Haut in seinem Gesicht und dem schwindsüchtigen Pfeifen nach zu schließen, das jeden seiner Atemzüge begleitete, überlebte er am Ende nicht einmal ihre Hochzeitsnacht. Als ein Luftzug ihr einen Hauch dieses Atems in die Nase trug, wankte Emma kurz, denn sie fürchtete, sie selbst würde diese Nacht am Ende auch nicht überleben.
Beinahe als hätte sie Emmas grimmige Gedanken erraten, wisperte eine der Frauen, die in der ersten Reihe saß: »Eines kann man über unseren Laird mit Fug und Recht sagen: Er muss reichlich Erfahrung haben, Frauen zu beglücken. «
Ihrer Begleiterin gelang es nicht, ein Grunzen zu unterdrücken, das sich fast wie das eines Schweines anhörte. »Allerdings. Besonders da er schon drei Ehefrauen überlebt hat und all die Kinder, die er mit ihnen gezeugt hat, nicht zu vergessen eine ganze Schar Mätressen.«
Das Bild ihres ältlichen Bräutigams, wie er seinen zahnlosen Mund in einer unbeholfenen Parodie eines leidenschaftlichen Kusses über ihre Lippen rieb, ließ Emma einen frischen Schauder über ihren Rücken laufen.
Sie hatte sich noch nicht gänzlich von der Stunde erholt, in der ihre Mutter ihr mit quälender Ernsthaftigkeit auseinandergesetzt hatte, was in der Hochzeitsnacht von ihr erwartet wurde. Als ob der beschriebene Akt an und für sich nicht schon schrecklich oder peinlich genug klang, hatte ihre Mutter ihr auch noch den Rat mit auf den Weg gegeben, dass die Bemühungen des Earls viel schneller vorüber wären, wenn sie den Kopf abwandte und ein wenig unter ihm zappelte. Wenn seine Aufmerksamkeiten zu unangenehm würden, solle sie am besten die Augen schließen und an etwas Schönes denken - wie an einen außerordentlich schönen Sonnenaufgang oder eine Dose mit frischen Zuckerkeksen. War er erst einmal fertig, stünde es ihr frei, ihr Nachthemd nach unten zu ziehen und zu schlafen.
Frei, hallte es in Emmas Herz verzweifelt wider. Nach dem heutigen Tag würde sie nie wieder frei sein.
Sie wandte den Blick von dem hoffnungsvollen Gesicht ihres Bräutigams ab und blieb beim Großneffen des Earls hängen, der sie finster anstarrte. Ian Hepburn war der einzige Mensch in der Klosterkirche, der so unglücklich aussah, wie ihr zumute war. Mit seiner hohen römischen Stirn, dem Kinn mit dem Grübchen und dem glatten dunklen Haar, das im Nacken von einem Satinband zusammengehalten wurde, hätte er als gutaussehender Mann gelten sollen. Am heutigen Tage jedoch war die klassische Schönheit seiner Züge durch einen Ausdruck verunstaltet, der Hass gefährlich nahe kam. Er billigte diese Verbindung nicht, befürchtete zweifellos, ihr gesunder junger Körper werde einen neuen Hepburn-Spross hervorbringen, der ihn seines Erbes berauben würde.
Während der Priester seine Worte sprach und dann aus dem Messbuch las, schaute Emma wieder über ihre Schulter hinter sich. Sie sah, wie ihre Mutter ihr Gesicht an der Schulter ihres Mannes verbarg, als ertrage sie es nicht, die Zeremonie weiterzuverfolgen. Ihre Schwestern weinten mit jeder Minute lauter; Ernestines spitze kleine Nase war so rosa wie die eines Kaninchens, und wenn man berücksichtigte, wie sehr Edwinas volle Unterlippe zitterte, war es nur eine Frage der Zeit, ehe sie in lautes Schluchzen ausbrechen würde.
Bald schon würde der Priester ans Ende kommen und Emma keine andere Wahl lassen, als dem verhutzelten Fremden an ihrer Seite ihre Liebe und das Recht auf ihren Körper zu versprechen.
Sie warf einen panischen Blick hinter sich, fragte sich, was sie wohl tun würden, wenn sie den rüschenbesetzten Saum ihres Hochzeitskleides anhob und zur Tür liefe. Sie hatte mehrere warnende Geschichten über sorglose Reisende gehört, die spurlos in der Wildnis der Highlands verschwunden waren und von denen man nie wieder etwas gesehen oder gehört hatte. Im Augenblick klang das wie eine wunderbar verlockende Aussicht. Schließlich war es ja nicht so, als ob ihr altersschwacher Bräutigam ihr nachsetzen, sie einholen und sich über die Schultern werfen könnte, um sie wieder zum Altar zu schleppen.
Wie um diese Tatsache zu unterstreichen, begann der Earl sein Ehegelöbnis zu krächzen. Zu rasch war es vorbei, und der Priester schaute sie erwartungsvoll an.
Wie alle anderen in der Kirche.
Ihr Schweigen zog sich in die Länge, und eine der Frauen murmelte: »Ach, die arme Kleine ist ja ganz überwältigt von ihren Gefühlen.«
»Wenn sie ohnmächtig wird, wird er sie nicht auffangen können, ohne sich den Rücken zu brechen«, erwiderte ihre Gefährtin.
Emma öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Er war so trocken wie Baumwollwatte, was sie zwang, sich mit der Zungenspitze die Lippen zu befeuchten, ehe sie einen weiteren Versuch unternahm zu sprechen. Der Priester schaute sie durch die Gläser seiner Brille mit dem Metallgestell erwartungsvoll an, und das Mitgefühl in seinen braunen Augen brachte sie beinahe zum Weinen.
Emma sah wieder über ihre Schulter, aber dieses Mal war es nicht ihre Mutter, die ihren Blick auffing, sondern ihr Vater.
Der bittende Ausdruck in seinen Augen war leicht zu deuten. Seine Augen waren von genau dem rauchigen Blau wie ihre. Es waren Augen, die zu lange schon einen gehetzten Ausdruck gezeigt hatten. Sie hätte schwören können, dass das Zittern seiner Hände nachgelassen hatte, seit der Earl die Eheverträge unterzeichnet hatte. Sie hatte ihn nicht mehr nach der Flasche greifen sehen, die er stets in einer Tasche seiner Weste bei sich trug, seit sie den Antrag des Earls angenommen hatte.
In seinem ermutigenden Lächeln erkannte sie den Schimmer eines anderen Mannes - eines jungen Mannes mit klaren Augen und ruhigen Händen, dessen Atem nach Pfefferminz roch statt nach Spirituosen. Wie es früher gewesen war, als er sich nach ihr gebückt und sie auf seine Schultern gehoben hatte, dass sie das Gefühl hatte, eine Königin über alles zu sein, was sich zu ihren Füßen erstreckte, statt ein kleines Mädchen mit klebrigen Fingern, aufgeschrammten Knien und einem ansteckenden Lächeln, das ihre Zahnlücken zeigte.
Sie sah noch etwas in den Augen ihres Vaters, das sie schon lange nicht mehr dort gesehen hatte: Hoffnung.
Emma drehte sich wieder zu ihrem Bräutigam um und reckte die Schultern. Trotz allem, was die Zuschauer denken mochten, sie hatte nicht vor, in Tränen auszubrechen oder ohnmächtig zu werden. Sie war immer stolz darauf gewesen, dass sie aus anderem Holz geschnitzt war, härterem Holz, als auf so etwas zurückzugreifen. Wenn sie den Earl heiraten musste, um die Zukunft und den Wohlstand ihrer Familie zu sichern, dann würde sie ihn eben heiraten. Und sie würde sich Mühe geben, ihm die beste Ehefrau und Countess zu sein, die er sich mit seinem Reichtum - und dem Titel - kaufen konnte.
Sie öffnete den Mund - fest entschlossen zu schwören, ihn zu lieben und ihm zu gehorchen, in guten wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod sie scheide -, als plötzlich die doppelflügelige Eichenholztür am Eingangsportal hinten in der Kirche krachend aufgestoßen wurde und ein eisiger Stoß winterlicher Luft und etwa ein Dutzend bewaffneter Männer eindrangen.
In der Kirche waren erschreckte Schreie und laute Rufe zu hören. Die Männer verteilten sich im Kirchenschiff um die Bänke herum, und ihre unrasierten Gesichter zeigten grimmige Entschlossenheit. Die Pistolen waren gezückt, bereit, bei einem Zeichen von Gegenwehr loszugehen.
Statt Angst verspürte Emma, wie ein alberner Funken Hoffnung in ihrem Herzen aufglomm.
Als sich die erste Aufregung gelegt hatte, trat Ian Hepburn in den Mittelgang, stellte sich zwischen die drohenden Mündungen der Waffen in den Händen der Eindringlinge und seinen Großonkel. »Was soll das hier bedeuten? «, verlangte er mit lauter, klarer Stimme zu wissen, die von der Decke und den Wänden widerhallte. »Habt ihr Wilden keinen Respekt vor dem Haus des Herrn?«
»Und welcher Herr soll das wohl sein?«, antwortete ein Mann mit schottischem Akzent und einer Stimme, die so tief und warm klang, dass Emma unwillkürlich ein Schauer über den Rücken lief. »Der etwa, der diese Berge mit seinen eigenen Händen formte, oder derjenige, der sich einbildet, er sei mit dem Recht geboren, hier zu herrschen? «
Sie schnappte wie alle anderen im Kirchenschiff auch nach Luft, als der Besitzer dieser Stimme auf einem riesigen schwarzen Pferd durch das Portal in die Kirche geritten kam. Entsetztes Flüstern war aus den Bänken zu hören, als die Hochzeitsgäste sich weiter zurücklehnten. In ihren Augen spiegelten sich Furcht und Faszination. Seltsamerweise hing Emmas Blick gar nicht wie gebannt an dem herrlichen Tier mit dem schimmernden Fell, der langen ebenholzschwarzen Mähne und der mächtigen Brust, sondern an dem Mann, der auf dem Rücken des beeindruckenden Pferdes saß.
Dicke schwarze Haare umrahmten sein von der Sonne gebräuntes Gesicht, das in starkem Kontrast zu dem Hellgrün seiner Augen stand. Trotz des kalten Tages trug er nur einen Kilt aus grün und schwarz gemusterter Wolle, ein Paar Schnürstiefel und eine ärmellose Weste aus braunem Leder, die seine breite glatte Brust vor den Elementen kaum zu schützen vermochte. Er lenkte das Tier, als sei er im Sattel geboren, seine machtvollen Schultern und die muskulösen Unterarme schienen sich kaum anstrengen zu müssen, als er sein Pferd über den Mittelgang lenkte und Ian zwang, hastig zurückzuweichen, wenn er nicht von den Hufen zertrampelt werden wollte.
Neben sich hörte Emma den Earl »Sinclair!« zischen.
Sie drehte sich um und entdeckte, dass das Gesicht ihres ältlichen Bräutigams dunkelrot angelaufen war und seine Züge hassverzerrt waren. Die dicke rote Ader, die an seiner Schläfe bedrohlich pochte, gab Grund zu der Befürchtung, dass er möglicherweise nicht nur die Hochzeitsnacht nicht überlebte, sondern am Ende gar die Hochzeit ebenfalls nicht.
»Ich bitte um Verzeihung, so einen zärtlichen Augenblick zu stören«, erklärte der Eindringling ohne auch nur den Anflug von Zerknirschung oder gar Bedauern, während er sein unruhig stampfendes Pferd auf dem Mittelgang anhalten ließ. »Sicherlich haben Sie doch nicht gedacht, ich könnte darauf verzichten, bei einem derart einschneidenden Ereignis meinen Respekt zu zollen. Aber meine Einladung muss in der Post verloren gegangen sein.«
Der Earl reckte seine altersfleckige Faust und fuchtelte damit drohend herum. »Die einzige Einladung, die ein Sinclair je von mir bekommen wird, ist ein Haftbefehl vom Richter und ein Brief mit dem Datum, an dem er dem Henker gegenübertritt.«
Als Antwort auf diese Drohung hob der Mann milde verwundert die Brauen. »Ich hatte solche Hoffnung, dass das nächste Mal, wenn ich diese heiligen Hallen betrete, es zu deiner Beerdigung sein würde, nicht zu noch einer Hochzeit. Aber du bist immer schon ein geiler alter Bock gewesen. Ich hätte wissen müssen, dass du der Versuchung nicht würdest widerstehen können, dir eine weitere Braut zu kaufen, dass sie dir das Bett wärmt.«
Zum ersten Mal, seit er gewaltsam hier eingedrungen war, zuckte der spöttische Blick des Fremden zu ihr. Selbst dieser kurze Kontakt reichte aus, dass Emmas helle Wangen rot anliefen, besonders da seine Worte nichts als die unwiderlegbare und vernichtende Wahrheit enthielten.
Dieses Mal war es beinahe eine Erleichterung, als Ian Hepburn sich erneut zwischen sie zu drängen versuchte. »Du kannst uns verspotten und so tun, als rächtest du deine Vorfahren, wie du das immer tust«, erklärte er voller Verachtung, »aber alle Menschen in den Bergen hier wissen, dass die Sinclairs niemals mehr gewesen sind als gewöhnliche Halsabschneider und Diebe. Wenn du und deine ungeschlachten Helfershelfer gekommen sind, um die Gäste meines Onkels um ihren Schmuck und ihre Geldbörsen zu erleichtern, warum fangt ihr dann nicht einfach an, damit wir nicht noch mehr von unserem Atem und unserer Zeit verschwenden müssen?«
Überraschend kraftvoll drängte sich Emmas Bräutigam an ihr vorbei, stieß sie dabei fast zu Boden. »Ich habe es nicht nötig, dass mein Neffe meine Kämpfe für mich ausficht. Ich habe keine Angst vor einem unverschämten jungen Hund wie dir, Jamie Sinclair«, fauchte er und marschierte geradewegs an seinem Neffen vorbei, die knochige Faust weiter in die Luft gestreckt. »Mach, was du willst.«
»Oh, aber ich bin doch gar nicht deinetwegen gekommen, alter Mann.« Ein träges Lächeln spielte um die Lippen des Eindringlings, als er eine schimmernde schwarze Pistole aus dem Bund seines Kilts zog und damit auf das schneeweiße Oberteil von Emmas Brautkleid zielte. »Ich bin wegen deiner Braut hier.«
Kapitel 2
Emma blickte über die Mündung seiner Pistole hinweg in die kalten hellgrünen Augen des Fremden und erkannte schlagartig, dass es ein schlimmeres Schicksal geben konnte, als einzuwilligen, einen Tattergreis zu heiraten. Die dichten kohlschwarzen Wimpern, die diese Augen umrahmten, verbargen die unausgesprochene Drohung nicht, die in ihren Tiefen glitzerte.
Beim Anblick der auf Emmas Brust gerichteten Pistole schlug sich ihre Mutter eine Hand vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken. Elberta und Edwina klammerten sich aneinander, und die Seidenveilchen an ihren zueinanderpassenden Hüten zitterten im Takt; ihre blauen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Ernestine begann in ihrem Retikül nach Riechsalz zu suchen.
Ihr Vater sprang auf, machte aber keine Anstalten, die Bank zu verlassen. Es war, als ob er an seinem Platz durch eine Kraft festgehalten wurde, die stärker war als seine Liebe zu seiner Tochter. »Also, ich muss schon sagen«, stieß er hervor und stützte sich mit den Händen auf die Rückseite der Bank vor sich, »was zum Teufel soll das hier bedeuten?«
Während der Priester ein paar Schritte rückwärts zum Altar machte, mit Bedacht Abstand zwischen Emma und sich selbst legte, ließ der Earl seine geballte Faust sinken und schlurfte langsam zurück, sodass kein Hindernis mehr zwischen Emmas Herz und der geladenen Pistole war. Der erwartungsvollen Stille nach zu urteilen, die sich über die versammelten Gäste gesenkt hatte, hätten Sinclair und sie die Einzigen in der Kirche sein können. Emma nahm an, auch von ihr werde irgendeine Form von Antwort erwartet - dass sie ohnmächtig werden oder in Tränen ausbrechen oder um ihr Leben flehen müsste.
Das Wissen jedoch, dass es das war, womit der Schurke vermutlich rechnete, verlieh ihr den Mut, die Furcht, die in ihr aufstieg, zurückzudrängen und gerade zu stehen, ihr Kinn zu recken und seinen erbarmungslosen Blick trotzig zu erwidern. Sie grub ihre Fingernägel in den Blumenstrauß, um das heftige Zittern ihrer Hände zu verbergen, wodurch der verbliebene Duft aus den trockenen Blüten aufstieg. Eine flüchtige Sekunde flackerte noch ein anderes Gefühl durch diese kalten hellgrünen Augen - eines, das vielleicht Belustigung sein könnte ... oder Bewunderung.
Nun war Ian Hepburn an der Reihe, an seinem Onkel vorbeizumarschieren, und in seinen Augen glomm Verachtung. Er blieb in vernünftigem Abstand von dem Mann auf dem Pferderücken stehen. »Jetzt bist du also so tief gesunken, dass du Kirchen entweihst und damit drohst, eine hilflose, unbewaffnete Frau zu erschießen. Ich nehme an, ich hätte nichts Besseres von einem Bastard, wie du es bist, erwarten dürfen, Sin«, fügte er hinzu und zischte den Spitznamen, als sei es die schlimmste Beschimpfung überhaupt.
Sinclair richtete seine Augen kurz von Emma weg auf Ian, aber sein Griff um die Pistole wankte nicht. »Dann sollst du auch nicht enttäuscht werden, alter Freund.«
»Ich bin nicht dein Freund!«, schrie Ian.
»Nein«, antwortete Sinclair leise, und in seiner Stimme schwang etwas mit, das entweder Bitterkeit oder Bedauern war. »Ich nehme an, das warst du nie.«
Selbst auf dem Rückzug gab der Earl nicht auf. »Du bist der lebende Beweis, dass mehr nötig ist, als in St. Andrews zu lernen, um eine Bergratte in einen Gentleman zu verwandeln! Es muss deinen Großvater unendlich erbittern zu wissen, dass es eine solche Verschwendung seines kostbaren Geldes war, dich zur Universität zu schicken. Geld, das zudem zweifellos von mir gestohlen war - von seiner zerlumpten Diebesbande.«
Die Beleidigungen des Earls schienen Sinclair nicht weiter zu beeindrucken. »Ich würde es nicht unbedingt Verschwendung nennen. Wenn ich St. Andrews nicht besucht hätte, hätte ich niemals die Bekanntschaft deines liebenswürdigen Neffen hier gemacht.« Das trug ihm einen neuerlichen finsteren Blick von Ian ein. »Aber ich werde dafür sorgen, dass ich meinem Großvater deine Grüße ausrichte, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.«
Also hatte dieser Brigant eine Zeitlang unter zivilisierten Leuten gelebt. Das würde erklären, warum die rauesten Ecken und Kanten seines Akzents abgeschliffen waren, wodurch er in Emmas Ohren leider gefährlich seidenweich und melodisch klang.
»Was genau hast du eigentlich vor, du armseliger junger Hund?«, wollte der Earl wissen. »Bist du gekommen, um deine unausweichliche Reise in die Hölle zu beschleunigen, indem du meine Braut kaltblütig vor dem Altar in der Kirche umbringst?«
Emma bemerkte beunruhigt, dass ihr ergebener Bräutigam angesichts dieser Aussicht nicht unbedingt bestürzt klang. Mit seinem Titel und seinen Reichtümern, so nahm sie wenigstens an, sollte es ihm leicht genug fallen, sich eine andere Braut zu suchen. Ernestine und Elberta waren beide beinahe alt genug für eine Heirat. Vielleicht würde es ihrem Vater gestattet, die überschriebenen Gelder zu behalten, wenn er dem Mann die Wahl zwischen den beiden Mädchen anbot, damit die Zeremonie ohne weitere Unterbrechungen abgehalten werden konnte.
Natürlich erst, nachdem sie ihr Blut aufgewischt hatten.
Ein nervöses Kichern entschlüpfte ihr. Sie hatte es vermieden, ohnmächtig zu werden oder um ihr Leben zu betteln, nur um am Rande eines hysterischen Anfalls zu enden. Es ging ihr erst allmählich auf, dass sie am Ende tatsächlich hier sterben würde, in den Händen dieses gnadenlosen Fremden - eine jungfräuliche Braut, die nie wahre Leidenschaft oder die bewundernde Berührung eines Liebhabers kennengelernt hatte.
»Anders als bei manch anderem«, verkündete Sinclair mit erlesener Höflichkeit, »ist es nicht meine Gewohnheit, unschuldige junge Frauen zu ermorden.« Ein herzliches Lächeln spielte um seine Lippen, was irgendwie gefährlicher wirkte als eine verächtliche Miene oder ein finsterer Blick. »Ich habe gesagt, ich sei wegen deiner Braut gekommen, Hepburn, nicht dass ich gekommen bin, sie zu töten.«
Emma erkannte seine Absicht einen Sekundenbruchteil vor allen anderen in der Kirche. Das Vorschieben seines unrasierten Kinnes, das Anspannen der Muskeln in seinen Oberschenkeln, die Art und Weise, wie seine großen starken Hände das abgenutzte Leder der Zügel fester fassten, verrieten es ihr.
Aber alles, was sie tun konnte, war, wie gebannt dazustehen, gelähmt von der unverhohlenen Entschlossenheit in seinen zusammengekniffenen Augen.
Alles schien auf einmal zu geschehen. Sinclair drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Das Tier machte mit wild rollenden Augen einen Satz nach vorn und blähte die Nüstern. Es stürmte den Gang zwischen den Kirchenbänken entlang, geradewegs auf Emma zu. Ihre Mutter stieß einen markerschütternden Schrei aus, dann sank sie ohnmächtig in sich zusammen. Der Priester warf sich hinter den Altar, und sein schwarzes Gewand flatterte hinter ihm wie die Flügel einer Krähe. Emma hob die Arme und hielt sie sich schützend vors Gesicht, wappnete sich dafür, von den schweren Hufen niedergetrampelt zu werden.
In der letzten möglichen Sekunde jedoch wandte sich das Tier nach links, während Sinclair sich nach rechts lehnte. Er schlang einen kraftvollen Arm um Emmas Mitte und riss sie in die Höhe, warf sie bäuchlings auf seinen Schoß, als wöge sie nicht mehr als ein Sack Heu; durch den Aufprall wich ihr alle Luft aus den Lungen. Sie rang immer noch um Atem, als er das Pferd in einem engen Kreis wendete, sodass das Tier für eine schwindelig machende Pirouette auf die Hinterläufe steigen musste. Während die tödlichen Hufe Luft traten, machte Emma einen Atemzug, von dem sie sicher war, es werde ihr letzter sein, und sie wartete darauf, dass das Pferd zur Seite stürzte und sie beide unter sich begrub.
Aber der Mann, der sie nun gefangen hielt, hatte andere Vorstellungen. Er zerrte mit brutaler Kraft an den Zügeln, benutzte seine Meisterschaft im Sattel, um das Tier seinem Willen zu unterwerfen. Das Pferd stieß ein schrilles Wiehern aus. Die Vorderhufe landeten krachend auf den Fliesen, und die eisernen Hufeisen schlugen auf dem Stein Funken.
Sinclairs klare Stimme war über die Rufe und den Lärm deutlich zu hören, die von den Wänden der Kirche widerhallten. Doch seine Worte waren allein für den Earl bestimmt. »Wenn du sie heil wiederhaben willst, Hepburn, wirst du dafür teuer bezahlen müssen. Für deine eigenen Sünden und die Sünden deines Vaters. Ich werde sie dir nicht zurückbringen, bis du mir nicht gibst, was mir rechtmäßig zusteht.«
Dann schnalzte er mit den Zügeln über dem Hals des Pferdes, sodass das Tier vorwärtsstürmte, zurück über den Mittelgang zum Eingang. Sie donnerten durch die Tür und an den schief stehenden Grabsteinen auf dem Friedhof vorbei, und jeder mächtige Schritt des Pferdes trug Emma weiter weg von jeglicher Hoffnung auf Rettung.
Kapitel 3
Emma hätte nicht sagen können, wie weit oder wie lange sie unterwegs waren. Jeder Hufschlag auf dem gefrorenen Boden lockerte mehr von den mit Bernsteinperlen besetzten Haarnadeln, mit denen Emmas neue Kammerzofe so sorgfältig ihre ungebärdigen Locken gezähmt hatte, während sie heute Morgen vor dem Spiegel gesessen hatte. Es dauerte nicht lange, und die wirren Strähnen hingen ihr als undurchdringlicher Vorhang vor den Augen.
Sie hatte nur einen ganz vagen Eindruck von anderen Pferden um sie herum, weiteren Hufschlägen, die in ebenso gnadenlosem Rhythmus wie sie über den Boden donnerten. Sinclairs Männer mussten auf ihre Pferde vor der Kirche gesprungen sein, um mit ihnen zu fliehen.
Sie bewegten sich zu schnell vorwärts, als dass sie irgendeine Gelegenheit zur Gegenwehr gehabt hätte. Wenn sie versuchte, sich vom Pferd zu werfen, während es galoppierte, würde sie sich bei dem Sturz alle Knochen im Körper brechen.
Ihre würdelose Position wäre noch heikler gewesen, wenn nicht die große warme Männerhand gewesen wäre, die fest auf ihrem Kreuz lag - erschreckend nahe an dem Ansatz ihrer Pobacken. Der stetige Druck an der Stelle war alles, was verhinderte, dass sie auf dem Schoß ihres Entführers wie eine von Edwinas geliebten Stoffpuppen hin und her schlenkerte.
Selbst mit diesem zweifelhaften Schutz gab es dennoch keine Garantie, dass der nächste Satz des Pferdes ihr nicht eine zerbrechliche Rippe splittern lassen oder ihren Kopf gegen einen der Baumstämme stoßen würde, die in wildem Durcheinander in ihrem Blickfeld auftauchten und wieder verschwanden. Während die Landschaft in schwindelerregendem Tempo an ihr vorüberflog, sodass sie vor ihren Augen verschwamm, konnte sie das Spiel der Muskeln in den mächtigen Oberschenkeln ihres Entführers spüren. Er trieb sein Pferd durch Dickicht und Wälder, über offenes Gelände, als wären er und das Tier eins.
Als die Hufe des Hengstes sich vom moosigen Boden abstießen und in die Luft erhoben, um über einen tiefen Abgrund zu springen, entfuhr Emma ein erstickter Schrei, und sie kniff die Augen zu. Als sie es endlich wagte, sie wieder zu öffnen, ritten sie am Rande eines steilen Abhanges entlang. Aus luftiger Höhe erhaschte sie einen Blick auf das Tal unten und die Hügel an den Ausläufern, gekrönt von den zinnenbewehrten Steintürmen von Hepburn Castle. Ihre Angst vertiefte sich zu Furcht, als sie begriff, wie weit sie sich schon von der alten Klosterkirche und der Zivilisation entfernt hatten.
Sie ritten so lange, dass es sie nicht erstaunt hätte, wenn sie an den Toren der Hölle angekommen wären. Aber als Sinclair schließlich sein Pferd zügelte und sein Tempo erst zu einem Trab verlangsamte und dann zu Schritt, war es nicht der Gestank von Feuer und Schwefel, der ihr in die Nase stieg, sondern der frische Duft von Zedern.
Übersetzung: Ute-Christine Geiler
1. Auflage Deutsche Erstausgabe Oktober 2012 bei Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Copyright © 2010 by Teresa Medeiros Copyright © 2012 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München
»Ach, sieh dir nur das liebe Mädchen an. Die Kleine zittert ja vor Freude und Glück.«
»Und wer kann ihr daraus schon einen Vorwurf machen? Sie hat vermutlich ihr ganzes Leben lang von diesem Tag geträumt.«
»Aye, das ist aber auch der Traum eines jeden jungen Mädchens, nicht wahr? Einen reichen Laird zu heiraten, der es sich leisten kann, seiner Frau jeden Wunsch zu erfüllen, nicht wahr?«
»Sie sollte sich in der Tat glücklich schätzen, so einen erstaunlich guten Fang gemacht zu haben. Mit den ganzen Sommersprossen ist sie ja beileibe keine große Schönheit. «
»Ich möchte wetten, dass sie sie noch nicht einmal mit einem ganzen Glas von Gowland's Lotion wegbleichen kann! Und der Kupferton in ihren Haaren lässt sie ein klein wenig gewöhnlich aussehen, meinst du nicht? Ich habe gehört, dass der Earl sie in London in ihrer dritten und letzten Saison kennengelernt hat, als sie fast schon alle Hoffnung aufgeben musste, doch noch einen Ehemann zu finden. Himmel, es heißt, sie sei fast schon einundzwanzig. «
»Nein! So grässlich alt?«
»Ja, das habe ich wenigstens gehört. Sie stand kurz davor, als Ladenhüter zu enden, bis unser Laird sie bei den alten Jungfern entdeckt und einen seiner Männer geschickt hat, mit ihr zu tanzen.«
Während sie starr nach vorn schaute und sich große Mühe gab, nicht auf das heftige Flüstern der beiden Frauen zu hören, die in der ersten Reihe der Kirche saßen und miteinander tratschten, konnte Emmaline Marlowe nicht umhin, die Wahrheit in ihren Äußerungen anzuerkennen.
Sie hatte tatsächlich ihr ganzes Leben lang von diesem Tag geträumt.
Sie hatte davon geträumt, vor einem Altar zu stehen und dem Mann, den sie liebte und bewunderte, ihr Herz zu schenken und ihm lebenslange Treue zu schwören. In diesen verschwommenen Träumen hatte sie nie einen klaren Blick auf sein Gesicht erhaschen können, aber sie wusste, die Leidenschaft, die in seinen Augen glomm, würde sich nicht verbergen lassen, wenn er schwor, sie den Rest seines Lebens zu lieben und zu ehren.
Sie senkte den Blick auf den leicht bebenden Strauß getrockneter Heide in ihrer Hand und war dankbar, dass die lächelnden Zuschauer, die dicht gedrängt in den langen schmalen Bankreihen zu beiden Seiten des Mittelgangs in der Kirche saßen, das Zittern dem Glück und der Vorfreude zuschrieben, wie man es bei einer jeden jungen Braut erwarten durfte, die kurz davor stand, ihr Ehegelöbnis zu leisten. Sie war die Einzige, die wusste, dass es viel mehr an der Kälte lag, die die uralten Steinmauern der Kirche des ehemaligen Klosters ausstrahlten.
Und ihr Herz.
Sie warf einen verstohlenen Blick zu dem Kirchhof hinter den hohen schmalen Fenstern. Himmel in der Farbe unpolierten Zinns lag brütend und unheilvoll über dem Tal, sodass der Tag eher an tiefsten Winter statt an Mitte April erinnerte. Die skelettartigen Zweige von Eiche und Ulme mussten erst noch die erste grüne Knospe ansetzen. Grabsteine ragten schief aus dem felsigen Boden, und die Inschriften im Stein waren unter dem erbarmungslosen Angriff der Elemente längst verblasst. Emma fragte sich unwillkürlich, wie viele von denen, die nun unter der Erde ruhten, einmal Bräute wie sie gewesen waren, junge Frauen, voller Hoffnungen und Träume, die zu früh von Entscheidungen anderer und dem unausweichlichen Verstreichen der Zeit zunichtegemacht wurden.
Die zackigen Umrisse der Berge erhoben sich über dem Kirchhof wie Denkmäler eines noch primitiveren Zeitalters. Dieses raue Highland-Klima, in dem der Winter sich trotzig dagegen wehrte, seinen eisigen Griff zu lockern, schien ihr Welten entfernt von der sanft hügeligen Landschaft in Lancashire, wo sie und ihre Schwestern so gerne sorglos und übermütig herumgetollt waren. Die Hügel dort waren bereits grün und saftig in der Verheißung auf Frühling und lockten die Wanderer nach Hause, die dumm genug gewesen waren, das Land zu verlassen.
Zuhause, dachte Emma, und ihr Herz zog sich vor Sehnsucht schmerzlich zusammen. Ein Ort, an den sie nach heute nicht länger gehörte.
Sie warf einen erschreckten Blick über ihre Schulter und entdeckte ihre Eltern, die in der Reihe der Familie Hepburn saßen und ihr voller Stolz und unter Tränen zulächelten. Sie war ein braves Mädchen. Eine pflichtbewusste Tochter. Diejenige, auf die man sich immer verlassen konnte, dass sie ihren drei jüngeren Schwestern ein gutes Vorbild war. Elberta, Edwina und Ernestine saßen aneinander gekauert auf der Kirchenbank neben ihrer Mutter und betupften sich die vom Weinen geröteten Augen mit ihren Taschentüchern. Wenn Emma sich hätte einreden können, es sei Freude, die ihre Familie zum Weinen brachte, wären ihre Tränen leichter zu ertragen gewesen.
Mehr Geflüster drängte sich in ihre Gedanken, als die beiden Frauen ihre Unterhaltung wieder aufnahmen. »Sieh ihn dir doch nur an! Er ist immer noch ein Bild von einem Mann, nicht wahr?«
»Allerdings. Das Herz könnte einem vor Stolz schwellen. Und man kann sehen, dass er von dem jungen Ding ganz hingerissen ist.«
Da sie nicht länger die Unausweichlichkeit ihres Schicksals leugnen konnte, drehte Emma sich wieder zurück zum Altar und hob ihren Blick, um in die bewundernden Augen ihres Bräutigams zu sehen.
Dann senkte sie ihn rasch wieder, als ihr einfiel, dass sie ja einen halben Kopf größer war als seine vom Alter gebeugte Gestalt.
Er grinste sie an, wobei sich beinahe das schlecht angepasste Gebiss aus Wedgwood-Porzellan aus seinem Mund löste. Seine Wangen wölbten sich fast völlig nach innen, als er die Zähne zurücksaugte, was wiederum einen hörbaren Laut machte, der wie ein Pistolenschuss in der Kirche widerzuhallen schien. Emma schluckte, hoffte, dass seine alterstrüben blassblauen Augen ihre angewiderte Miene mit einem erfreuten Lächeln verwechselten.
Seine verhutzelte Gestalt war in den ganzen prachtvollen Ornat gehüllt, der mit seiner Stellung als Laird der Hepburn-Ländereien und als Oberhaupt des Clans der Hepburns einherging. Ein wehendes rot-schwarzes Plaid schien seine schmalen Schultern fast zu schlucken. Der passende Kilt gab den Blick frei auf Knie, die so knöchern waren wie elfenbeinerne Türknaufe. Eine abgenutzte Felltasche baumelte zwischen seinen Beinen; die zeremonielle Tasche hatte so viele kahle Stellen wie sein Haupt.
Die beiden alten Klatschbasen hatten recht, wies Emma sich streng zurecht. Der Mann war ein Earl - ein äußerst mächtiger Adeliger, von dem es hieß, er besitze sowohl den Respekt seiner Standesgenossen als auch das Ohr des Königs.
Es war ihre Pflicht ihrer Familie gegenüber - und ihrem rasch schwindenden Vermögen - gewesen, den Antrag des Earls anzunehmen. Schließlich war es nicht die Schuld ihres Vaters, dass er mit einem Stall voll Töchter verflucht war, statt mit Söhnen gesegnet zu sein, die in die Welt hätten ziehen können, um selbst ihr Glück zu machen. Dass der Earl of Hepburn ausgerechnet ein Auge auf Emma geworfen hatte, kurz bevor sie zu den alten Jungfern zu zählen drohte, war ein ausgesprochener Glücksfall für sie alle gewesen. Dank der großzügigen Zahlung, die der Earl ihrem Vater bereits geleistet hatte, würden ihre Mutter und ihre Schwestern nie wieder durch das Pochen von Gläubigern an der Tür ihres baufälligen Herrenhauses aus dem Schlaf gerissen werden oder jeden wachen Moment in der Furcht verbringen, dass sie im Arbeitshaus enden würden.
Emma war vielleicht die hübscheste der Marlowe-Mädchen, aber sie war nicht so attraktiv, dass sie es sich leisten konnte, einen so erlauchten Bewerber um ihre Hand abzuweisen. Während der kräftezehrenden Reise in diese entlegene Ecke der Highlands hatte ihre Mutter jede Einzelheit ihrer bevorstehenden Hochzeit in entschlossen heiterer Stimmung mit ihr besprochen. Als sie schließlich die Ausläufer der Berge erreichten und das Heim des Earls endlich in Sicht kam, hatten ihre Schwestern pflichtschuldig bewundernd geseufzt, ohne zu erkennen, dass ihr gespielter Neid für Emma viel schmerzlicher war, als unverhohlenes Mitleid es gewesen wäre.
Niemand konnte die erhabene Pracht der alten Burg in Abrede stellen, die sich an den schattigen Fuß des hohen schneebedeckten Berges Ben Nevis schmiegte - eine Burg, in denen die Lairds der Hepburns und ihre Bräute jahrhundertelang freundliche Aufnahme gefunden hatten. Wenn der heutige Tag überstanden war, würde Emma als die junge Frau des Earls die Herrin von allem hier sein.
Als sie ihren Bräutigam aus schmalen Augen betrachtete, rang sie darum, ihre Grimasse in ein aufrichtiges Lächeln zu verwandeln. Der alte Mann war ihr und ihrer Familie gegenüber der Inbegriff von Freundlichkeit gewesen, seit er sie bei einem der letzten Bälle der Saison auf der anderen Seite des überfüllten öffentlichen Tanzsaales entdeckt hatte. Statt einen Vertreter zu schicken, hatte er sich höchstpersönlich auf die beschwerliche Reise nach Lancashire gemacht, um ihr den Hof zu machen und bei ihrem Papa um ihre Hand anzuhalten, seinen Segen zu erbitten.
Er hatte sich während seines Besuches wie ein echter Edelmann verhalten, hatte nie eine herablassende Bemerkung über den schäbigen Empfangssalon mit dem verblassten Teppich, die sich von den Wänden schälenden Tapeten und die nicht zueinanderpassenden Möbel gemacht oder verächtlich ihre unmodischen und geflickten Kleider gemustert. Seinem höflichen Auftreten und seinem liebenswürdigen Benehmen zufolge hätte man meinen können, er wäre zum Tee beim Prinzregenten in Carlton House.
Er hatte Emma stets behandelt, als sei sie bereits eine Countess und nicht die älteste Tochter eines verarmten Baronets, zwischen dem und dem Armenhaus nur eine unüberlegte Wette stand. Und er war nie mit leeren Händen gekommen. Ein Schritt hinter ihm war stets ein Lakai gegangen, der mit ausdrucksloser Miene Berge von Geschenken in den muskulösen Armen trug: handbemalte Fächer, Glasperlen und bunt bebilderte Modezeitschriften für Emmas Schwestern, für ihre Mutter französische Lavendelseife und Ballen mit hübschen Baumwollstoffen und für ihren Vater Flaschen feinsten schottischen Whiskys - und ledergebundene Ausgaben von William Blakes Songs of Innocence oder Fanny Burneys jüngster Roman für Emma selbst. Das waren für einen Mann seines Reichtums bestenfalls Kinkerlitzchen, aber solcher Luxus war im Herrenhaus für eine lange Zeit Mangelware gewesen. Seine Großzügigkeit hatte eine kleidsame Röte in die fahlen Wangen ihrer Mutter getrieben und Emmas Schwestern echte Freudenschreie entlockt.
Emma schuldete dem Mann Dankbarkeit und Loyalität, wenn auch nicht Liebe.
Außerdem, wie lange kann er überhaupt noch weiterleben?, dachte sie, empfand aber sogleich Gewissensbisse.
Obwohl es gerüchteweise hieß, der Earl sei beinahe achtzig Jahre alt, sah er eher aus, als läge sein Alter näher bei hundertfünfzig. Dem grauen Ton der Haut in seinem Gesicht und dem schwindsüchtigen Pfeifen nach zu schließen, das jeden seiner Atemzüge begleitete, überlebte er am Ende nicht einmal ihre Hochzeitsnacht. Als ein Luftzug ihr einen Hauch dieses Atems in die Nase trug, wankte Emma kurz, denn sie fürchtete, sie selbst würde diese Nacht am Ende auch nicht überleben.
Beinahe als hätte sie Emmas grimmige Gedanken erraten, wisperte eine der Frauen, die in der ersten Reihe saß: »Eines kann man über unseren Laird mit Fug und Recht sagen: Er muss reichlich Erfahrung haben, Frauen zu beglücken. «
Ihrer Begleiterin gelang es nicht, ein Grunzen zu unterdrücken, das sich fast wie das eines Schweines anhörte. »Allerdings. Besonders da er schon drei Ehefrauen überlebt hat und all die Kinder, die er mit ihnen gezeugt hat, nicht zu vergessen eine ganze Schar Mätressen.«
Das Bild ihres ältlichen Bräutigams, wie er seinen zahnlosen Mund in einer unbeholfenen Parodie eines leidenschaftlichen Kusses über ihre Lippen rieb, ließ Emma einen frischen Schauder über ihren Rücken laufen.
Sie hatte sich noch nicht gänzlich von der Stunde erholt, in der ihre Mutter ihr mit quälender Ernsthaftigkeit auseinandergesetzt hatte, was in der Hochzeitsnacht von ihr erwartet wurde. Als ob der beschriebene Akt an und für sich nicht schon schrecklich oder peinlich genug klang, hatte ihre Mutter ihr auch noch den Rat mit auf den Weg gegeben, dass die Bemühungen des Earls viel schneller vorüber wären, wenn sie den Kopf abwandte und ein wenig unter ihm zappelte. Wenn seine Aufmerksamkeiten zu unangenehm würden, solle sie am besten die Augen schließen und an etwas Schönes denken - wie an einen außerordentlich schönen Sonnenaufgang oder eine Dose mit frischen Zuckerkeksen. War er erst einmal fertig, stünde es ihr frei, ihr Nachthemd nach unten zu ziehen und zu schlafen.
Frei, hallte es in Emmas Herz verzweifelt wider. Nach dem heutigen Tag würde sie nie wieder frei sein.
Sie wandte den Blick von dem hoffnungsvollen Gesicht ihres Bräutigams ab und blieb beim Großneffen des Earls hängen, der sie finster anstarrte. Ian Hepburn war der einzige Mensch in der Klosterkirche, der so unglücklich aussah, wie ihr zumute war. Mit seiner hohen römischen Stirn, dem Kinn mit dem Grübchen und dem glatten dunklen Haar, das im Nacken von einem Satinband zusammengehalten wurde, hätte er als gutaussehender Mann gelten sollen. Am heutigen Tage jedoch war die klassische Schönheit seiner Züge durch einen Ausdruck verunstaltet, der Hass gefährlich nahe kam. Er billigte diese Verbindung nicht, befürchtete zweifellos, ihr gesunder junger Körper werde einen neuen Hepburn-Spross hervorbringen, der ihn seines Erbes berauben würde.
Während der Priester seine Worte sprach und dann aus dem Messbuch las, schaute Emma wieder über ihre Schulter hinter sich. Sie sah, wie ihre Mutter ihr Gesicht an der Schulter ihres Mannes verbarg, als ertrage sie es nicht, die Zeremonie weiterzuverfolgen. Ihre Schwestern weinten mit jeder Minute lauter; Ernestines spitze kleine Nase war so rosa wie die eines Kaninchens, und wenn man berücksichtigte, wie sehr Edwinas volle Unterlippe zitterte, war es nur eine Frage der Zeit, ehe sie in lautes Schluchzen ausbrechen würde.
Bald schon würde der Priester ans Ende kommen und Emma keine andere Wahl lassen, als dem verhutzelten Fremden an ihrer Seite ihre Liebe und das Recht auf ihren Körper zu versprechen.
Sie warf einen panischen Blick hinter sich, fragte sich, was sie wohl tun würden, wenn sie den rüschenbesetzten Saum ihres Hochzeitskleides anhob und zur Tür liefe. Sie hatte mehrere warnende Geschichten über sorglose Reisende gehört, die spurlos in der Wildnis der Highlands verschwunden waren und von denen man nie wieder etwas gesehen oder gehört hatte. Im Augenblick klang das wie eine wunderbar verlockende Aussicht. Schließlich war es ja nicht so, als ob ihr altersschwacher Bräutigam ihr nachsetzen, sie einholen und sich über die Schultern werfen könnte, um sie wieder zum Altar zu schleppen.
Wie um diese Tatsache zu unterstreichen, begann der Earl sein Ehegelöbnis zu krächzen. Zu rasch war es vorbei, und der Priester schaute sie erwartungsvoll an.
Wie alle anderen in der Kirche.
Ihr Schweigen zog sich in die Länge, und eine der Frauen murmelte: »Ach, die arme Kleine ist ja ganz überwältigt von ihren Gefühlen.«
»Wenn sie ohnmächtig wird, wird er sie nicht auffangen können, ohne sich den Rücken zu brechen«, erwiderte ihre Gefährtin.
Emma öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Er war so trocken wie Baumwollwatte, was sie zwang, sich mit der Zungenspitze die Lippen zu befeuchten, ehe sie einen weiteren Versuch unternahm zu sprechen. Der Priester schaute sie durch die Gläser seiner Brille mit dem Metallgestell erwartungsvoll an, und das Mitgefühl in seinen braunen Augen brachte sie beinahe zum Weinen.
Emma sah wieder über ihre Schulter, aber dieses Mal war es nicht ihre Mutter, die ihren Blick auffing, sondern ihr Vater.
Der bittende Ausdruck in seinen Augen war leicht zu deuten. Seine Augen waren von genau dem rauchigen Blau wie ihre. Es waren Augen, die zu lange schon einen gehetzten Ausdruck gezeigt hatten. Sie hätte schwören können, dass das Zittern seiner Hände nachgelassen hatte, seit der Earl die Eheverträge unterzeichnet hatte. Sie hatte ihn nicht mehr nach der Flasche greifen sehen, die er stets in einer Tasche seiner Weste bei sich trug, seit sie den Antrag des Earls angenommen hatte.
In seinem ermutigenden Lächeln erkannte sie den Schimmer eines anderen Mannes - eines jungen Mannes mit klaren Augen und ruhigen Händen, dessen Atem nach Pfefferminz roch statt nach Spirituosen. Wie es früher gewesen war, als er sich nach ihr gebückt und sie auf seine Schultern gehoben hatte, dass sie das Gefühl hatte, eine Königin über alles zu sein, was sich zu ihren Füßen erstreckte, statt ein kleines Mädchen mit klebrigen Fingern, aufgeschrammten Knien und einem ansteckenden Lächeln, das ihre Zahnlücken zeigte.
Sie sah noch etwas in den Augen ihres Vaters, das sie schon lange nicht mehr dort gesehen hatte: Hoffnung.
Emma drehte sich wieder zu ihrem Bräutigam um und reckte die Schultern. Trotz allem, was die Zuschauer denken mochten, sie hatte nicht vor, in Tränen auszubrechen oder ohnmächtig zu werden. Sie war immer stolz darauf gewesen, dass sie aus anderem Holz geschnitzt war, härterem Holz, als auf so etwas zurückzugreifen. Wenn sie den Earl heiraten musste, um die Zukunft und den Wohlstand ihrer Familie zu sichern, dann würde sie ihn eben heiraten. Und sie würde sich Mühe geben, ihm die beste Ehefrau und Countess zu sein, die er sich mit seinem Reichtum - und dem Titel - kaufen konnte.
Sie öffnete den Mund - fest entschlossen zu schwören, ihn zu lieben und ihm zu gehorchen, in guten wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod sie scheide -, als plötzlich die doppelflügelige Eichenholztür am Eingangsportal hinten in der Kirche krachend aufgestoßen wurde und ein eisiger Stoß winterlicher Luft und etwa ein Dutzend bewaffneter Männer eindrangen.
In der Kirche waren erschreckte Schreie und laute Rufe zu hören. Die Männer verteilten sich im Kirchenschiff um die Bänke herum, und ihre unrasierten Gesichter zeigten grimmige Entschlossenheit. Die Pistolen waren gezückt, bereit, bei einem Zeichen von Gegenwehr loszugehen.
Statt Angst verspürte Emma, wie ein alberner Funken Hoffnung in ihrem Herzen aufglomm.
Als sich die erste Aufregung gelegt hatte, trat Ian Hepburn in den Mittelgang, stellte sich zwischen die drohenden Mündungen der Waffen in den Händen der Eindringlinge und seinen Großonkel. »Was soll das hier bedeuten? «, verlangte er mit lauter, klarer Stimme zu wissen, die von der Decke und den Wänden widerhallte. »Habt ihr Wilden keinen Respekt vor dem Haus des Herrn?«
»Und welcher Herr soll das wohl sein?«, antwortete ein Mann mit schottischem Akzent und einer Stimme, die so tief und warm klang, dass Emma unwillkürlich ein Schauer über den Rücken lief. »Der etwa, der diese Berge mit seinen eigenen Händen formte, oder derjenige, der sich einbildet, er sei mit dem Recht geboren, hier zu herrschen? «
Sie schnappte wie alle anderen im Kirchenschiff auch nach Luft, als der Besitzer dieser Stimme auf einem riesigen schwarzen Pferd durch das Portal in die Kirche geritten kam. Entsetztes Flüstern war aus den Bänken zu hören, als die Hochzeitsgäste sich weiter zurücklehnten. In ihren Augen spiegelten sich Furcht und Faszination. Seltsamerweise hing Emmas Blick gar nicht wie gebannt an dem herrlichen Tier mit dem schimmernden Fell, der langen ebenholzschwarzen Mähne und der mächtigen Brust, sondern an dem Mann, der auf dem Rücken des beeindruckenden Pferdes saß.
Dicke schwarze Haare umrahmten sein von der Sonne gebräuntes Gesicht, das in starkem Kontrast zu dem Hellgrün seiner Augen stand. Trotz des kalten Tages trug er nur einen Kilt aus grün und schwarz gemusterter Wolle, ein Paar Schnürstiefel und eine ärmellose Weste aus braunem Leder, die seine breite glatte Brust vor den Elementen kaum zu schützen vermochte. Er lenkte das Tier, als sei er im Sattel geboren, seine machtvollen Schultern und die muskulösen Unterarme schienen sich kaum anstrengen zu müssen, als er sein Pferd über den Mittelgang lenkte und Ian zwang, hastig zurückzuweichen, wenn er nicht von den Hufen zertrampelt werden wollte.
Neben sich hörte Emma den Earl »Sinclair!« zischen.
Sie drehte sich um und entdeckte, dass das Gesicht ihres ältlichen Bräutigams dunkelrot angelaufen war und seine Züge hassverzerrt waren. Die dicke rote Ader, die an seiner Schläfe bedrohlich pochte, gab Grund zu der Befürchtung, dass er möglicherweise nicht nur die Hochzeitsnacht nicht überlebte, sondern am Ende gar die Hochzeit ebenfalls nicht.
»Ich bitte um Verzeihung, so einen zärtlichen Augenblick zu stören«, erklärte der Eindringling ohne auch nur den Anflug von Zerknirschung oder gar Bedauern, während er sein unruhig stampfendes Pferd auf dem Mittelgang anhalten ließ. »Sicherlich haben Sie doch nicht gedacht, ich könnte darauf verzichten, bei einem derart einschneidenden Ereignis meinen Respekt zu zollen. Aber meine Einladung muss in der Post verloren gegangen sein.«
Der Earl reckte seine altersfleckige Faust und fuchtelte damit drohend herum. »Die einzige Einladung, die ein Sinclair je von mir bekommen wird, ist ein Haftbefehl vom Richter und ein Brief mit dem Datum, an dem er dem Henker gegenübertritt.«
Als Antwort auf diese Drohung hob der Mann milde verwundert die Brauen. »Ich hatte solche Hoffnung, dass das nächste Mal, wenn ich diese heiligen Hallen betrete, es zu deiner Beerdigung sein würde, nicht zu noch einer Hochzeit. Aber du bist immer schon ein geiler alter Bock gewesen. Ich hätte wissen müssen, dass du der Versuchung nicht würdest widerstehen können, dir eine weitere Braut zu kaufen, dass sie dir das Bett wärmt.«
Zum ersten Mal, seit er gewaltsam hier eingedrungen war, zuckte der spöttische Blick des Fremden zu ihr. Selbst dieser kurze Kontakt reichte aus, dass Emmas helle Wangen rot anliefen, besonders da seine Worte nichts als die unwiderlegbare und vernichtende Wahrheit enthielten.
Dieses Mal war es beinahe eine Erleichterung, als Ian Hepburn sich erneut zwischen sie zu drängen versuchte. »Du kannst uns verspotten und so tun, als rächtest du deine Vorfahren, wie du das immer tust«, erklärte er voller Verachtung, »aber alle Menschen in den Bergen hier wissen, dass die Sinclairs niemals mehr gewesen sind als gewöhnliche Halsabschneider und Diebe. Wenn du und deine ungeschlachten Helfershelfer gekommen sind, um die Gäste meines Onkels um ihren Schmuck und ihre Geldbörsen zu erleichtern, warum fangt ihr dann nicht einfach an, damit wir nicht noch mehr von unserem Atem und unserer Zeit verschwenden müssen?«
Überraschend kraftvoll drängte sich Emmas Bräutigam an ihr vorbei, stieß sie dabei fast zu Boden. »Ich habe es nicht nötig, dass mein Neffe meine Kämpfe für mich ausficht. Ich habe keine Angst vor einem unverschämten jungen Hund wie dir, Jamie Sinclair«, fauchte er und marschierte geradewegs an seinem Neffen vorbei, die knochige Faust weiter in die Luft gestreckt. »Mach, was du willst.«
»Oh, aber ich bin doch gar nicht deinetwegen gekommen, alter Mann.« Ein träges Lächeln spielte um die Lippen des Eindringlings, als er eine schimmernde schwarze Pistole aus dem Bund seines Kilts zog und damit auf das schneeweiße Oberteil von Emmas Brautkleid zielte. »Ich bin wegen deiner Braut hier.«
Kapitel 2
Emma blickte über die Mündung seiner Pistole hinweg in die kalten hellgrünen Augen des Fremden und erkannte schlagartig, dass es ein schlimmeres Schicksal geben konnte, als einzuwilligen, einen Tattergreis zu heiraten. Die dichten kohlschwarzen Wimpern, die diese Augen umrahmten, verbargen die unausgesprochene Drohung nicht, die in ihren Tiefen glitzerte.
Beim Anblick der auf Emmas Brust gerichteten Pistole schlug sich ihre Mutter eine Hand vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken. Elberta und Edwina klammerten sich aneinander, und die Seidenveilchen an ihren zueinanderpassenden Hüten zitterten im Takt; ihre blauen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Ernestine begann in ihrem Retikül nach Riechsalz zu suchen.
Ihr Vater sprang auf, machte aber keine Anstalten, die Bank zu verlassen. Es war, als ob er an seinem Platz durch eine Kraft festgehalten wurde, die stärker war als seine Liebe zu seiner Tochter. »Also, ich muss schon sagen«, stieß er hervor und stützte sich mit den Händen auf die Rückseite der Bank vor sich, »was zum Teufel soll das hier bedeuten?«
Während der Priester ein paar Schritte rückwärts zum Altar machte, mit Bedacht Abstand zwischen Emma und sich selbst legte, ließ der Earl seine geballte Faust sinken und schlurfte langsam zurück, sodass kein Hindernis mehr zwischen Emmas Herz und der geladenen Pistole war. Der erwartungsvollen Stille nach zu urteilen, die sich über die versammelten Gäste gesenkt hatte, hätten Sinclair und sie die Einzigen in der Kirche sein können. Emma nahm an, auch von ihr werde irgendeine Form von Antwort erwartet - dass sie ohnmächtig werden oder in Tränen ausbrechen oder um ihr Leben flehen müsste.
Das Wissen jedoch, dass es das war, womit der Schurke vermutlich rechnete, verlieh ihr den Mut, die Furcht, die in ihr aufstieg, zurückzudrängen und gerade zu stehen, ihr Kinn zu recken und seinen erbarmungslosen Blick trotzig zu erwidern. Sie grub ihre Fingernägel in den Blumenstrauß, um das heftige Zittern ihrer Hände zu verbergen, wodurch der verbliebene Duft aus den trockenen Blüten aufstieg. Eine flüchtige Sekunde flackerte noch ein anderes Gefühl durch diese kalten hellgrünen Augen - eines, das vielleicht Belustigung sein könnte ... oder Bewunderung.
Nun war Ian Hepburn an der Reihe, an seinem Onkel vorbeizumarschieren, und in seinen Augen glomm Verachtung. Er blieb in vernünftigem Abstand von dem Mann auf dem Pferderücken stehen. »Jetzt bist du also so tief gesunken, dass du Kirchen entweihst und damit drohst, eine hilflose, unbewaffnete Frau zu erschießen. Ich nehme an, ich hätte nichts Besseres von einem Bastard, wie du es bist, erwarten dürfen, Sin«, fügte er hinzu und zischte den Spitznamen, als sei es die schlimmste Beschimpfung überhaupt.
Sinclair richtete seine Augen kurz von Emma weg auf Ian, aber sein Griff um die Pistole wankte nicht. »Dann sollst du auch nicht enttäuscht werden, alter Freund.«
»Ich bin nicht dein Freund!«, schrie Ian.
»Nein«, antwortete Sinclair leise, und in seiner Stimme schwang etwas mit, das entweder Bitterkeit oder Bedauern war. »Ich nehme an, das warst du nie.«
Selbst auf dem Rückzug gab der Earl nicht auf. »Du bist der lebende Beweis, dass mehr nötig ist, als in St. Andrews zu lernen, um eine Bergratte in einen Gentleman zu verwandeln! Es muss deinen Großvater unendlich erbittern zu wissen, dass es eine solche Verschwendung seines kostbaren Geldes war, dich zur Universität zu schicken. Geld, das zudem zweifellos von mir gestohlen war - von seiner zerlumpten Diebesbande.«
Die Beleidigungen des Earls schienen Sinclair nicht weiter zu beeindrucken. »Ich würde es nicht unbedingt Verschwendung nennen. Wenn ich St. Andrews nicht besucht hätte, hätte ich niemals die Bekanntschaft deines liebenswürdigen Neffen hier gemacht.« Das trug ihm einen neuerlichen finsteren Blick von Ian ein. »Aber ich werde dafür sorgen, dass ich meinem Großvater deine Grüße ausrichte, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.«
Also hatte dieser Brigant eine Zeitlang unter zivilisierten Leuten gelebt. Das würde erklären, warum die rauesten Ecken und Kanten seines Akzents abgeschliffen waren, wodurch er in Emmas Ohren leider gefährlich seidenweich und melodisch klang.
»Was genau hast du eigentlich vor, du armseliger junger Hund?«, wollte der Earl wissen. »Bist du gekommen, um deine unausweichliche Reise in die Hölle zu beschleunigen, indem du meine Braut kaltblütig vor dem Altar in der Kirche umbringst?«
Emma bemerkte beunruhigt, dass ihr ergebener Bräutigam angesichts dieser Aussicht nicht unbedingt bestürzt klang. Mit seinem Titel und seinen Reichtümern, so nahm sie wenigstens an, sollte es ihm leicht genug fallen, sich eine andere Braut zu suchen. Ernestine und Elberta waren beide beinahe alt genug für eine Heirat. Vielleicht würde es ihrem Vater gestattet, die überschriebenen Gelder zu behalten, wenn er dem Mann die Wahl zwischen den beiden Mädchen anbot, damit die Zeremonie ohne weitere Unterbrechungen abgehalten werden konnte.
Natürlich erst, nachdem sie ihr Blut aufgewischt hatten.
Ein nervöses Kichern entschlüpfte ihr. Sie hatte es vermieden, ohnmächtig zu werden oder um ihr Leben zu betteln, nur um am Rande eines hysterischen Anfalls zu enden. Es ging ihr erst allmählich auf, dass sie am Ende tatsächlich hier sterben würde, in den Händen dieses gnadenlosen Fremden - eine jungfräuliche Braut, die nie wahre Leidenschaft oder die bewundernde Berührung eines Liebhabers kennengelernt hatte.
»Anders als bei manch anderem«, verkündete Sinclair mit erlesener Höflichkeit, »ist es nicht meine Gewohnheit, unschuldige junge Frauen zu ermorden.« Ein herzliches Lächeln spielte um seine Lippen, was irgendwie gefährlicher wirkte als eine verächtliche Miene oder ein finsterer Blick. »Ich habe gesagt, ich sei wegen deiner Braut gekommen, Hepburn, nicht dass ich gekommen bin, sie zu töten.«
Emma erkannte seine Absicht einen Sekundenbruchteil vor allen anderen in der Kirche. Das Vorschieben seines unrasierten Kinnes, das Anspannen der Muskeln in seinen Oberschenkeln, die Art und Weise, wie seine großen starken Hände das abgenutzte Leder der Zügel fester fassten, verrieten es ihr.
Aber alles, was sie tun konnte, war, wie gebannt dazustehen, gelähmt von der unverhohlenen Entschlossenheit in seinen zusammengekniffenen Augen.
Alles schien auf einmal zu geschehen. Sinclair drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Das Tier machte mit wild rollenden Augen einen Satz nach vorn und blähte die Nüstern. Es stürmte den Gang zwischen den Kirchenbänken entlang, geradewegs auf Emma zu. Ihre Mutter stieß einen markerschütternden Schrei aus, dann sank sie ohnmächtig in sich zusammen. Der Priester warf sich hinter den Altar, und sein schwarzes Gewand flatterte hinter ihm wie die Flügel einer Krähe. Emma hob die Arme und hielt sie sich schützend vors Gesicht, wappnete sich dafür, von den schweren Hufen niedergetrampelt zu werden.
In der letzten möglichen Sekunde jedoch wandte sich das Tier nach links, während Sinclair sich nach rechts lehnte. Er schlang einen kraftvollen Arm um Emmas Mitte und riss sie in die Höhe, warf sie bäuchlings auf seinen Schoß, als wöge sie nicht mehr als ein Sack Heu; durch den Aufprall wich ihr alle Luft aus den Lungen. Sie rang immer noch um Atem, als er das Pferd in einem engen Kreis wendete, sodass das Tier für eine schwindelig machende Pirouette auf die Hinterläufe steigen musste. Während die tödlichen Hufe Luft traten, machte Emma einen Atemzug, von dem sie sicher war, es werde ihr letzter sein, und sie wartete darauf, dass das Pferd zur Seite stürzte und sie beide unter sich begrub.
Aber der Mann, der sie nun gefangen hielt, hatte andere Vorstellungen. Er zerrte mit brutaler Kraft an den Zügeln, benutzte seine Meisterschaft im Sattel, um das Tier seinem Willen zu unterwerfen. Das Pferd stieß ein schrilles Wiehern aus. Die Vorderhufe landeten krachend auf den Fliesen, und die eisernen Hufeisen schlugen auf dem Stein Funken.
Sinclairs klare Stimme war über die Rufe und den Lärm deutlich zu hören, die von den Wänden der Kirche widerhallten. Doch seine Worte waren allein für den Earl bestimmt. »Wenn du sie heil wiederhaben willst, Hepburn, wirst du dafür teuer bezahlen müssen. Für deine eigenen Sünden und die Sünden deines Vaters. Ich werde sie dir nicht zurückbringen, bis du mir nicht gibst, was mir rechtmäßig zusteht.«
Dann schnalzte er mit den Zügeln über dem Hals des Pferdes, sodass das Tier vorwärtsstürmte, zurück über den Mittelgang zum Eingang. Sie donnerten durch die Tür und an den schief stehenden Grabsteinen auf dem Friedhof vorbei, und jeder mächtige Schritt des Pferdes trug Emma weiter weg von jeglicher Hoffnung auf Rettung.
Kapitel 3
Emma hätte nicht sagen können, wie weit oder wie lange sie unterwegs waren. Jeder Hufschlag auf dem gefrorenen Boden lockerte mehr von den mit Bernsteinperlen besetzten Haarnadeln, mit denen Emmas neue Kammerzofe so sorgfältig ihre ungebärdigen Locken gezähmt hatte, während sie heute Morgen vor dem Spiegel gesessen hatte. Es dauerte nicht lange, und die wirren Strähnen hingen ihr als undurchdringlicher Vorhang vor den Augen.
Sie hatte nur einen ganz vagen Eindruck von anderen Pferden um sie herum, weiteren Hufschlägen, die in ebenso gnadenlosem Rhythmus wie sie über den Boden donnerten. Sinclairs Männer mussten auf ihre Pferde vor der Kirche gesprungen sein, um mit ihnen zu fliehen.
Sie bewegten sich zu schnell vorwärts, als dass sie irgendeine Gelegenheit zur Gegenwehr gehabt hätte. Wenn sie versuchte, sich vom Pferd zu werfen, während es galoppierte, würde sie sich bei dem Sturz alle Knochen im Körper brechen.
Ihre würdelose Position wäre noch heikler gewesen, wenn nicht die große warme Männerhand gewesen wäre, die fest auf ihrem Kreuz lag - erschreckend nahe an dem Ansatz ihrer Pobacken. Der stetige Druck an der Stelle war alles, was verhinderte, dass sie auf dem Schoß ihres Entführers wie eine von Edwinas geliebten Stoffpuppen hin und her schlenkerte.
Selbst mit diesem zweifelhaften Schutz gab es dennoch keine Garantie, dass der nächste Satz des Pferdes ihr nicht eine zerbrechliche Rippe splittern lassen oder ihren Kopf gegen einen der Baumstämme stoßen würde, die in wildem Durcheinander in ihrem Blickfeld auftauchten und wieder verschwanden. Während die Landschaft in schwindelerregendem Tempo an ihr vorüberflog, sodass sie vor ihren Augen verschwamm, konnte sie das Spiel der Muskeln in den mächtigen Oberschenkeln ihres Entführers spüren. Er trieb sein Pferd durch Dickicht und Wälder, über offenes Gelände, als wären er und das Tier eins.
Als die Hufe des Hengstes sich vom moosigen Boden abstießen und in die Luft erhoben, um über einen tiefen Abgrund zu springen, entfuhr Emma ein erstickter Schrei, und sie kniff die Augen zu. Als sie es endlich wagte, sie wieder zu öffnen, ritten sie am Rande eines steilen Abhanges entlang. Aus luftiger Höhe erhaschte sie einen Blick auf das Tal unten und die Hügel an den Ausläufern, gekrönt von den zinnenbewehrten Steintürmen von Hepburn Castle. Ihre Angst vertiefte sich zu Furcht, als sie begriff, wie weit sie sich schon von der alten Klosterkirche und der Zivilisation entfernt hatten.
Sie ritten so lange, dass es sie nicht erstaunt hätte, wenn sie an den Toren der Hölle angekommen wären. Aber als Sinclair schließlich sein Pferd zügelte und sein Tempo erst zu einem Trab verlangsamte und dann zu Schritt, war es nicht der Gestank von Feuer und Schwefel, der ihr in die Nase stieg, sondern der frische Duft von Zedern.
Übersetzung: Ute-Christine Geiler
1. Auflage Deutsche Erstausgabe Oktober 2012 bei Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Copyright © 2010 by Teresa Medeiros Copyright © 2012 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München
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Autoren-Porträt von Teresa Medeiros
Teresa Medeiros wurde von der Zeitschrift "Affaire de Coeur" mit dem Preis der "10 besten Romanautorinnen der USA" ausgezeichnet und erhielt den Kritikerpreis der Romantic Times für den besten historischen Liebes- und Unterhaltungsroman. Sie lebt mit ihrem Mann Michael und vier neurotischen, heiß geliebten Katzen in Kentucky.
Bibliographische Angaben
- Autor: Teresa Medeiros
- 2012, 414 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Geiler, Ute-Christine
- Übersetzer: Ute-Christine Geiler
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442379636
- ISBN-13: 9783442379637
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