Es gibt viel zu tun, heften wir's ab
Grüße vom Amt
"... ich habe gerade den Truthahn gesehen. Frau Trotann steht bekanntlich nicht nur mit dem jeweiligen Wetter, sondern auch mit unserem Kopierer auf Kriegsfuß. Diese Kollegin meckert immer." Wenn frau im Amt arbeitet, kann sie viel Komisches...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Es gibt viel zu tun, heften wir's ab “
"... ich habe gerade den Truthahn gesehen. Frau Trotann steht bekanntlich nicht nur mit dem jeweiligen Wetter, sondern auch mit unserem Kopierer auf Kriegsfuß. Diese Kollegin meckert immer." Wenn frau im Amt arbeitet, kann sie viel Komisches erleben. Jule Mann hat die Highlights aufgeschrieben: köstlich!
Klappentext zu „Es gibt viel zu tun, heften wir's ab “
Wir ahnten ja schon immer, dass auf dem Amt die Uhren anders ticken. Jetzt wissen wir es. Jule Mann ist versehentlich dort gelandet - und in eine wunderliche Welt aus staubigen Akten, vierfachen Kopien und Kantinenspeiseplan eingetaucht. Mit Galgenhumor und Gelassenheit versucht sie, ihre Arbeit zu machen. Und scheitert täglich aufs Neue. Herrlich komisch - und leider wahr.
Lese-Probe zu „Es gibt viel zu tun, heften wir's ab “
Es gibt viel zu tun, heften wir's ab von Jule Mann... mehr
Im Konferenzsaal «Ooookay», dachte ich irritiert, «wo ist die versteckte Kamera?» Ich schaute das achtköpfige Gremium freundlich an, das mir gegenübersaß und offenbar über ein gewisses schauspielerisches Talent verfügte - niemand verzog eine Miene. Vorsichtig ließ ich meinen Blick umherschweifen. Nichts zu sehen von Fernsehtechnik. Saß Hape Kerkeling verkleidet vor mir, um gleich aufs Podium zu springen und «Hurz» zu singen? Ich schaute wieder freundlich in die regungslosen Gesichter, gefühlte dreißig Minuten lang. Noch immer keine Reaktion, die Damen und Herren glotzten mich einfach nur ausdruckslos an. «Können Sie die Frage bitte noch einmal wiederholen?» Entschuldigend schaute ich den Herrn mit der bunten Krawatte an, der bislang die meisten merkwürdigen Fragen gestellt und offenbar hier das Sagen hatte. «Den Mittelteil habe ich nicht verstanden.» Er nickte verständnisvoll. «Aber gern. Können Sie uns sagen, wie die beiden Seiten eines Kontos genannt werden?» Das konnte nicht ernst gemeint sein. Wann würde sich Herr Kerkeling endlich zu erkennen geben und mich erlösen? Schließlich fiel mir eine passende Antwort ein: «Vorn und hinten kann ich vermutlich ausschließen? Ich fürchte, dann muss ich jetzt schon meinen Telefonjoker anrufen.» Das war für meine Verhältnisse doch ganz schön schlagfertig. Ich spielte zwar brav mit, aber der Fernsehzuschauer sollte schon merken, dass ich dieses Theater hier längst durchschaut hatte. Die Papageien-Krawatte räusperte sich unbehaglich, während der Rest der Runde mich weiterhin schweigend ansah. Es dauerte noch eine ganze Weile, dann hatte ich es endlich kapiert: DAS IST KEIN FERNSEHEN! DIE MEINEN DAS ERNST! Zeit für eine kleine Rückblende. Vor Monaten hatte ich mich beworben. Als «Office Managerin». Man kann auch «Sekretärin » dazu sagen. Beim Amt irgendwo in Deutschland. Name und Ort behalte ich lieber für mich, das tut nichts zur Sache. Es könnte sowieso überall sein, wie ich im Zuge meiner späteren Recherchen herausfand. Ich hatte die Bewerbung schon vergessen, für die ich mir, ehrlich gesagt, wenig Mühe gegeben hatte, als schließlich die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch ins Haus flatterte. Klar, ich fühlte mich überqualifiziert für die Arbeit einer «Vorzimmerdame». Aber mein damaliger Job machte mir keine große Freude mehr. Eigentlich liebte ich die Arbeit. Ich hatte viel zu tun und investierte viel Zeit, aber ich durfte völlig eigenverantwortlich agieren. Ich mochte meinen Chef und er mich. Wir waren Freunde. Leider musste ich befürchten, dass der Laden schneller pleitegehen würde als das nächste EU-Land. Ich war also nicht in der Situation, besonders wählerisch sein zu können. Ich schickte meine Unterlagen los und vergaß den öffentlichen Dienst erst einmal wieder. Selbst als der Termin bestätigt wurde und das Bewerbungsgespräch unmittelbar bevorstand, setzte ich mich noch nicht sonderlich mit meiner möglichen Zukunft als «öffentliche Angestellte» auseinander. Ich wollte mich erst am Vorstellungstag selbst ein wenig vorbereiten und wenigstens die Stellenausschreibung einmal ausführlich studieren. Was wollten diese Leute von mir? Was musste ich können? Ich hatte mir zudem ganz fest vorgenommen, die Homepage meines potenziellen Arbeitgebers durchzuackern - oder zumindest einmal durchzuklicken. Doch es kam anders. Eine meiner Kolleginnen hatte einen Unfall. Ausgerechnet an dem Tag, an dem ich beim Amt vorstellig werden sollte. Ich musste kurzfristig für sie einspringen, den freien Vormittag konnte ich vergessen. Die Homepage des Amtes klickte ich nur einmal ganz kurz an, um mir die Adresse rauszusuchen. Ich wusste nicht mal mehr, für welchen Aufgabenbereich ich mich eigentlich bewarb. Ich hatte keine Ahnung, ob man eine Voll- oder Teilzeitkraft suchte, aber zum Glück auch nicht viel Zeit, mir darüber Sorgen zu machen. Ich war froh, dass ich es überhaupt geschafft hatte, pünktlich auf dem Amt einzutreffen. Hatte mir ein ungebügeltes Kleid übergeworfen und war mit fliegenden Fahnen dort eingelaufen, oder besser: eingerannt. Als ich mich abgehetzt in der angegebenen Dienststelle einfand, war der hektische Teil des Tages offensichtlich abgeschlossen. Ich wurde auf einen wackligen Holzstuhl in die dunkelste Ecke gesetzt und, wie mir schien, vergessen. Minute um Minute verrann. Hatte man mein pünktliches Eintreffen zur Kenntnis genommen? Wurde das überhaupt der richtigen Stelle mitgeteilt? Vielleicht wusste niemand, dass ich pünktlich eingetroffen war. Gerade als ich mich beim Pförtner erkundigen wollte, ob die hohen Herrschaften heute noch empfingen, ging es endlich los: Eine Dame, die sich als Frau Rose vorstellte, begleitete mich gemessenen Schrittes über einen Flur, der so muffig roch, dass mir fast die Luft wegblieb. Ich rang möglichst unauffällig nach Sauerstoff und versuchte gleichzeitig, so wenig wie möglich zu atmen. Ungefähr alle dreißig Sekunden flackerte das kalte Neonlicht kurz auf, dann erlosch es. Frau Rose stoppte jedes Mal abrupt ab, als würde sie von diesem Naturschauspiel überrascht, dann trippelte sie ein paar Schritte zurück, zu einem nahe gelegenen Schalter. Nie nach vorn. Immer zurück. Zum Glück schien sie genau zu wissen, wo sich die Schalter befanden, denn viel sehen konnten wir nicht. Nach dreimaligem Anschalten - also nach einer langen, düsteren Reise ins Innere des Gebäudes - erreichten wir schließlich den sogenannten Konferenzsaal. Ich weiß jetzt, wie Kafkas Schloss von innen aussieht. Frau Rose, die mich mehr an eine sprechende Primel erinnerte, nutzte unseren gemeinsamen Weg durch die finsteren Korridore für eine langatmige Geschichte. Sie handelte davon, wie schwierig es gewesen sei, den Konferenzraum B14/römisch III für den heutigen Nachmittag freizuhalten. Die Azubis des 47. Jahrganges Recht/Steuern/Sport hätten den Raum für den Abschied eines Ausbilders aus der Berufsschule Zentrum Nord nutzen wollen, wogegen im Prinzip auch nichts einzuwenden sei. Doch da es sich bei meinem Bewerbungsgespräch um ein Treffen handele, an dem viele Menschen teilnehmen würden, sei der Raum B13 / römisch II ein wenig zu klein und die Aula im Haus leider zurzeit nicht begehbar, weil ein impertinenter, zum Glück inzwischen namentlich bekannter Schüler des Pestalozzi-Gymnasiums dort eine sogenannte Stinkbombe geworfen habe, weil er ... und dafür gebührend bestraft worden sei, nämlich mit einer Gebühr von ... An dieser Stelle stieg ich endgültig aus. Mehr überflüssige Informationen hatte ich zuletzt von einem Vorwerk-Vertreter erhalten, den ich versehentlich in meine Wohnung ließ - vor über 22 Jahren. Ich atmete trotz des Miefs auf, als Frau Rose mir schließlich einen Stuhl zuwies, der leicht erhöht auf einer kleinen Empore stand. Anschließend empfahl sie sich mit den Worten: «Die Mitglieder der Entscheidungsgruppe Personal/intern werden jeden Moment hier sein!» Jeden Moment hier? Für einen 15-Uhr-Termin? - Inzwischen war es fast halb vier. So hatte ich wenigstens Zeit, mich ausgiebig umzusehen. Allerdings gab es nicht viel zu entdecken. Der Raum verfügte über zwei große Fenster, die man mit einem Gummibaum und anderen verkümmerten Gewächsen erfolgreich daran hinderte, ihren Job zu machen. Entweder hatte man selbst kein Interesse, mal einen Blick ins Freie zu erhaschen, oder man wollte nicht von Tageslicht und Frischluft belästigt werden. Wie konnte es in einem Raum mit so großen Fenstern nur so dunkel sein? Der grünlich braune Teppichboden trug sicherlich dazu bei, der verschluckte jeden Lichtstrahl. Düster waren auch die alten Furnierschränke «Eiche rustikal», die sich rundherum deckenhoch an die Wände drängten. Was mir aber noch mehr Sorgen bereitete, war etwas anderes. Entweder hatte hier vor kurzem noch eine Art Chorprobe stattgefunden und ich war auf dem Stuhl des Dirigenten gelandet, oder es würden sich tatsächlich acht Leute einfinden, um mich in die Mangel zu nehmen. ACHT! So viele Stühle hatte ein dienstbarer Geist jedenfalls vor mir aufgestellt. Wozu mussten mich so viele Menschen in Augenschein nehmen? Ich wollte hier allenfalls Sekretärin werden, nicht Amtsleiterin. Vielleicht war das alles bloß ein Irrtum? Allmählich tröpfelte die Entscheidungsgruppe Personal/ intern in die Dunkelkammer, die nur ein Mensch mit viel Humor als «Konferenzsaal» bezeichnen würde. Es war meine erste Bewerbung im öffentlichen Dienst, und ich hatte (noch) keine Ahnung, wie viele Menschen sich wie lange (sehr lange) mit einer einzigen Angelegenheit beschäftigen können. Ohne ein Wort der Begrüßung füllten sich im diffusen Licht die Stühle mir gegenüber nach und nach mit unwirklich grau wirkenden Gestalten. Wie sich in der Vorstellungsrunde aufklärte, waren das die Frauenbeauftragte, ein Behindertenbeauftragter in ungebügeltem, verwaschenem Holzfällerhemd, ein schlecht rasierter Abteilungsleiter, jeweils ein Ober-, Mittel- und Unterchef (zumindest der Letztgenannte mit offenbar versagendem Deo, vielleicht auch vergessenem DuschDich). Es folgte der wirklich nette Personalbeauftragte - wenigstens einer, der mich freundlich begrüßte und mir sogar die Hand gab - , und zuletzt kam der Herr mit der Papageien-Krawatte (vermutlich der Krawattenbeauftragte). Der Krawattenmann übernahm die Begrüßungsrunde. Mit monotoner Stimme stellte er seine Kollegen ausführlich vor. Nachdem das alle überstanden hatten, begann die Runde übergangslos, mir ziemlich verrückte Fragen zu stel len. Ich verschone Sie mit dem Großteil dieses verwirrenden Examens, aber ein paar Höhepunkte möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. «Können Sie stenographieren?» (Kann ich, ist aber schon zwanzig Jahre her.) «Können Sie Maschine schreiben? Wenn ja, wie viele Anschläge schaffen Sie?» (Bei Anschlägen denkt man doch heutzutage nicht ans Maschineschreiben, eher an Maschinengewehre. Außerdem zähle ich nicht die Buchstaben, die ich in einer Minute aufs Papier tippe. Ich schreibe schnell, fertig.) Die Fragen wurden nicht besser. «Wissen Sie, was WORD ist?» - «Kennen Sie das Indernedd?» (Dieses Wort wurde im vermutlich hauseigenen Dialekt ausgesprochen und bedeutet übersetzt: Internet.) «Was macht ein Amtsleiter?» (Meine Antwort darauf verpackte ich mit unsicherem Augenaufschlag und schiefgelegtem Kopf in die leise Gegenfrage: «Ein Amt leiten?») Ich stammelte mich über die Runden und fragte mich dabei mit wachsender Verwunderung, wann dieser Spuk endlich vorbei sein würde. Doch die Entscheidungsgruppe Personal / intern blieb eisern dran, knallhart investigativ ging es weiter. «Wie gefällt Ihnen unser Internetauftritt?» Jetzt zahlte sich aus, dass ich mich so prima vorbereitet hatte. Ich konnte mich lediglich erinnern, dass mir die Seite auf meinem Monitor ziemlich grau und fade erschienen war. In meiner Not sprach ich die Wahrheit. «Entschuldigen Sie die Kritik, aber ich würde die Website lebendiger gestalten.» Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass Lebendigkeit im Amt ein unbekannter Fremdzustand ist. In der Entscheidungsgruppe entstand Unruhe. Der Mittelchef hüstelte, der Holzfäller rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, und der Personaler kratzte sich hinterm rechten Ohr. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass ich, falls es zu dem unwahrscheinlichen Fall meiner Einstellung kommen sollte, auch für den Internetauftritt zuständig wäre. Halleluja! Ich zählte die Sekunden. Hape, erlöse mich! Doch nun zog der Herr mit der bunten Krawatte seinen letzten Joker: «Können Sie uns sagen, wie die beiden Seiten eines Kontos genannt werden?» Den Rest kennen Sie ja schon. Jedenfalls das meiste. Okay, ich habe mich geirrt, die Versteckte Kamera war an diesem Nachmittag im Konferenzraum B14/III nicht dabei. Aber es hätte durchaus sein können. Wenn man diesen Termin mit gesundem Menschenverstand analysierte, wäre das sogar wahrscheinlicher gewesen als die schlichte Wahrheit: Das achtköpfige Gremium vom Amt hatte sich anscheinend meine Bewerbung nicht einmal durchgelesen und war genauso unvorbereitet erschienen wie ich. Ich bin ausgebildete Sekretärin mit langjähriger Buchhaltungserfahrung und darüber hinaus auch noch Steuerhilfsfrau, mit abgeschlossener Ausbildung, beglaubigt und nachprüfbar. Ich hatte die Herrschaften darüber nicht im Unklaren gelassen und all meine Zeugnisse beigelegt, die (fast) ausnahmslos ausgezeichnet sind. Wie kamen diese Leute bitte auf die Idee, mich zu fragen, was Soll und Haben ist? Nach meiner Bemerkung mit dem Telefonjoker fand mein Bewerbungsgespräch schließlich ein erstaunlich zügiges Ende. Ich erinnere mich kaum noch an die lauwarme Verabschiedung. Ohne die Hilfe der Rose stolperte ich durch die dunklen Gänge ins Freie. Und dann lachte ich, lachte laut und so lange, bis ich in die Knie ging. Womöglich hörte mich die Entscheidungs gruppe noch durch ihre grauen Mauern hindurch lachen. Vermutlich aber hat die Entscheidungsgruppe Personal/intern damals zuletzt gelacht. Eine Woche später rief mich Frau Rose an: «Herzlichen Glückwunsch. Sie haben den Job!»
Der Superbrief Es war nicht gleich der erste Satz, den mein neuer Chef an mich richtete, aber er fiel ziemlich früh: «Liebe Frau Kollegin, Sie waren nicht unsere erste Wahl für diese Stelle. Die Bewerberin, für die wir uns eigentlich entschieden hatten, musste kurzfristig absagen.» Möglicherweise entglitten mir in diesem Moment ein wenig die Gesichtszüge, denn er setzte sofort nach: «Keine Angst, ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch die zweite Wahl ein Hauptgewinn sein kann. Ich freue mich jedenfalls auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.» Freundlich lächelte er mich an. «Sie hatten wirklich Glück, dass Sie den Job bekommen haben.» Da war ich jetzt nicht so sicher, aber so unbedarft, wie dieser Mann drauflosplapperte, konnte ich ihm kaum böse sein. Ich grinste zurück. «Dann bin ich also ein Schnäppchen.» Da lachte mein neuer Befehlshaber und zeigte mir sein Chefbüro und mein Vorzimmer. «Hier ist nun Ihr Reich. Sie dürfen schalten und walten, wie Sie möchten. Sie sollen sich ja wohlfühlen bei uns.» Das war doch wirklich nett. Sie werden sich vielleicht fragen, was ich überhaupt hier suchte. Ehrlich gesagt, rotierte diese Frage auch ständig in meinem Kopf herum. Nach solch einem Vorstellungsgespräch konnte ich nicht ernsthaft erwarten, meinen Traumjob gefunden zu haben. Doch ich hatte keine große Wahl. Natürlich fragte ich mich schon hin und wieder, ob es klug war, meinen bisherigen Job als Assistentin des Geschäftsinhabers mit Prokura für eine Stelle im öffentlichen Dienst aufzugeben. Mein damaliger Arbeitgeber war ein kreativer Großgeist und vermied möglichst den Kontakt zum richtigen Leben. Er fuhr einen schwarzen Porsche, das teuerste Modell auf dem Markt. (Das konnte ich sogar noch verstehen; ein tolles Auto zu fahren macht wirklich Spaß.) Er schenkte seiner Freundin Schuhe zum Preis einer Maledivenreise und orderte für die Büroterrasse Pflanzen im Gegenwert eines Kleinwagens. Seine T-Shirts ließ er in Sternehotels reinigen. Schade war nur, dass ich aufgrund seines Lebensstils unsere Lieferanten immer sporadischer bezahlen konnte. Die riefen verzweifelt bei mir an, weil sie meinen Chef nicht erreichten: «Können Sie wenigstens einen Teilbetrag überweisen? Wie sollen wir denn unsere Familien ernähren?» Sie bettelten geradezu um ihr Geld. Ich tat mein Bestes, um meinem Chef ins Gewissen zu reden. Ohne Erfolg. Er muss mich für einen phantasielosen Kleingeist gehalten haben, denn er schaute mich nur mit seinen großen Bernsteinaugen verständnislos an, wenn ich mal wieder mit ihm schimpfte, und sagte: «Aber es ist doch nur Geld.» Mich allerdings belasteten seine Schulden und die Nöte unserer Gläubiger zunehmend. Ich machte mir Sorgen um die Finanzen und vor allem um die Kollegen. Dann war auch noch sein erstes Baby unterwegs. Neue Rechnungen flatter ten ins Haus: Der Kinderwagen muss von Porsche gewesen sein bei der Summe; die Windeltasche kostete mehr als alle meine Handtaschen zusammen, und ich wusste, das war nur der Anfang. Also kündigte ich schweren Herzens. Die unbezahlten Rechnungen und die schlaflosen Nächte war ich damit los. Dafür hatte ich jetzt einen Vorzimmerschreibtisch im Amt. Ob das ein guter Tausch war, würde sich noch zeigen. Mein neuer Chef wies auf einige Papiere, die auf meinem neuen, in Wahrheit ziemlich eingestaubten Schreibtisch lagen und erläuterte mir den dazugehörigen Sachverhalt lang und breit. Die Einzelheiten der hochkomplizierten Thematik tun hier nichts zur Sache. Verstanden habe ich es sowieso nicht so genau, ich konnte mir gerade mal merken, was damit zu tun war: «Diese Verträge müssen wir dringend an Christian Wulff, den höchsten Mann unseres Landes, schicken. Aber zunächst möchte ich Sie den Kollegen vorstellen. » Er klatschte in die Hände wie ein Showmoderator, dann zogen wir durch die Büros der Abteilung. Zunächst ins angrenzende, das sein Stellvertreter bewohnte, weiter ins nächste, ins übernächste, ins überüber- und ins überüberübernächste. Das war der Vormittag. Mein neuer Chef entpuppte sich als Freund ausschweifender Erläuterungen. Er stellte mich seinen Kollegen vor und repetierte dabei 110 Prozent all dessen, was in meiner Bewerbung stand (zumindest hatte er sie gelesen). Was er nicht korrekt erinnerte, schmückte er so jovial aus wie ein Händler auf dem Fischmarkt. So lange hatte meine Mutter noch nie über mich gesprochen, und die kannte mich immerhin. Nach der Vorstellung meiner Person waren die Kollegen dran, die zum Teil seit Jahrzehnten mit ihm auf einem Flur wohnten. Dementsprechend viele spannende Geschich ten gab es zu erzählen. Langjährige Amtskarrieren, Mitgliedschaften in Sportvereinen, unangenehme Krankheiten, ausgewanderte Schwippschwager - nichts aus dem Leben der Kollegen, die sich unvorsichtigerweise nicht schnell genug verdrückt hatten, als der Chef die Zimmer stürmte, blieb mir verborgen. Wie gut, dass zwei Kolleginnen unserer Abteilung nicht auffindbar waren. Sie waren entweder krank, im Urlaub oder im Haus unterwegs - so genau wusste das niemand. Das richtungslose Geplauder wurde zunehmend anstrengender. Ich hatte meine Füße für meinen ersten Arbeitstag in meine einzigen Pumps gesteckt. Für ausführliche Stehempfänge eigneten sich diese Schmuckstücke kaum - aber auch modisch hatte ich mit ihnen deutlich zu dick aufgetragen, wie ich sehr schnell feststellen musste. Ich rechnete hoch, wie lange es wohl dauern würde, bis ich allen Kollegen im Amt die Hand geschüttelt haben würde. Es reichte locker, um mir den Anspruch auf eine erste Kur im öffentlichen Dienst zu sichern. Bevor ich mir jedoch darüber Sorgen machen konnte, verlagerte sich das Problem. Mein Chef schaute auf die Uhr, gefolgt von diesem geschäftigen Händeklatschen: «Zeit für die Kantine!» O Shit! Schon in der langatmigen Vorstellungsrunde waren die heutigen Menüs mehrmals besprochen worden. In jedem Büro hing der Kantinenplan an prominenter Stelle. Und was ich da gelesen hatte, klang für mich eher böse: «Blutwurst mit Püree und Apfelmus» stand auf dem kopierten Recyclingpapier unter Menü A. Menü B nannte sich «Fleischwursteintopf ». Aber ich konnte mich doch nicht gleich am ersten Tag verweigern und meinem Chef eine Abfuhr erteilen. Vielleicht wäre ja Püree mit Mus eine Option, ohne die Wurst. Das war immerhin noch besser als das Menü am Mittwoch. Da gab es «R. Geschnetzeltes, Kartoffeln, Erbsen». Herr Bremerkamp aus dem Sportamt, den wir zufällig auf dem Gang trafen, vermutete, dass das «R.» entweder für «Rahm» oder für «Reste» stand, hier wollte sich der Koch wohl nicht in die Karten gucken lassen. Da lachten meine neuen Kollegen. «Ach, der Herr Bremerkamp, der hat immer einen lustigen Spruch auf den Lippen.» So lernte ich gleich am ersten Tag im öffentlichen Dienst: Der Speiseplan der Kantine ist ein tägliches Thema von allergrößter Brisanz. Bis das erste «Mahlzeit!» auf dem Flur ertönte, war Menü A schon einige Dutzend Male gegen Menü B angetreten, und niemand aus den Reihen der Kollegen ließ es sich nehmen, seine Entscheidung laut und deutlich zu verkünden. Verbunden mit einem Augenrollen und der Hoffnung, man möge sich heute mal ausnahmsweise nicht den Magen verderben. (Ja, der Herr Bremerkamp schon wieder mit einem lustigen Spruch.) Würde ich da jemals mitreden können? Insgeheim kannte ich die Antwort bereits. An diesem ersten Tag aber hatte ich keine Wahl: Ich begleitete meinen Chef mit mulmigem Gefühl in die Kantine wie ein Schaf, das zum Schlachtbock geführt wird. Ich wusste, hier würde ich keinen Bissen runterkriegen. Wie war bei diesem «Geruch» nur an Essen zu denken? Aber ich bin (leider, leider) ein höflicher Mensch, profihöflich sozusagen, und unterdrückte meine aufkommende Übelkeit. Mein neuer Chef erklärte mir mit seiner Detailfreude, was man hier drinnen wissen musste. «Hier sind die Gabeln, die Messer, die großen Löffel für die Suppe, und hier finden Sie die kleinen Löffel für den Nachtisch.» Sogar Servietten gab es - wenn sie nicht gerade aus waren. Ich erfuhr, bei welcher Bedienung man sich anzustellen hatte, um die größten Portionen zu bekommen: «Die dicke Frau Böhnke da ganz rechts an der Essensausgabe, die macht die Teller anständig voll. Man will ja was bekommen für sein Geld, nicht wahr?» Da war ich mir allerdings keineswegs sicher. Ich rührte schon jetzt in viel zu viel von einem gräulichen Brei und versuchte, möglichst flach zu atmen. So höflich konnte doch niemand sein, um sich so etwas in den Mund zu schieben. Nicht mal ich. Aber mein Chef war in seine Erzählungen versunken, sodass er gar nicht mitbekam, was er sich da selbst in den Mund schob und wie appetitlos dagegen seine neue Mitarbeiterin war. Während er immer weiterbrabbelte, bemerkte ich Frau Rose in der Schlange vor der Essensausgabe. Ich freute mich, ein bekanntes Gesicht zu sehen, und winkte ihr bemüht fröhlich zu - was angesichts der unappetitlichen Teller um mich herum gar nicht so einfach war. Keine Reaktion. Offenbar war solch eine Geste schon zu viel an menschlicher Regung. Frau Rose schaute mich nur trübe an, als sie mit ihrer trostlosen Püreeportion (ohne Blutwurst) an unserem Tisch vorbeizog. Ich erwartete ohne große Begeisterung, dass meine Vorstellungstournee am Nachmittag fortgesetzt werden würde. Doch mein Chef hatte das Thema offenbar abgehakt, möglicherweise auch vergessen. Er kam nie wieder darauf zu sprechen. Mir war das recht. Meine Kollegen würde ich auch ohne seine Hilfe kennenlernen - mit wesentlich weniger Worten. Und meinen eigenen Lebenslauf hatte ich nun auch oft genug gehört. Außerdem roch es in den ungelüfteten Büros auch nicht besonders angenehm. Jeder Raum hatte seine eigene Dunstnote: verschwitzte Hemden oder Socken, Mettbrötchen mit Zwiebeln vom Vortag, Klosterfrau Melissengeist ... den Rest kann und will ich nicht näher beschreiben. Es wunderte mich nur, dass unter den Schreibtischen keine muffigen, ausgelatschten Hausschuhe standen. Na ja, wer weiß, ich hatte ja noch nicht in alle Büros schauen können. Ich ekelte mich vom ersten Moment an, als ich dieses Amt betrat. Und inzwischen wusste ich genau: Wenn ich hier überleben wollte, musste ich mich schützen. Ganz oben auf meine Einkaufsliste setzte ich Desinfektionsmittel. Nach der Mittagspause war es verdächtig still im ganzen Haus. Es werden doch nicht alle mit verdorbenem Magen leblos über ihren Schreibtischen hängen? Vielleicht hatte Herr Bremerkamp vorhin auf dem Gang gar keinen Witz gemacht. Vielleicht wollte er mich nur warnen? Zurück in meinem Vorzimmerreich, riss ich die Fenster weit auf. Mein Chef schaute irritiert, sagte aber nichts. Er war schon viel zu spät dran, er wollte zu einer wichtigen Besprechung in die Rechtsabteilung eine Etage tiefer: «Ich muss mich beeilen, der Aufzug braucht immer so lange, bis er kommt.» Er nahm sich aber noch die Zeit, um sich wortreich dafür zu entschuldigen, mich nun allein lassen zu müssen. Endlich war er weg. Ich atmete am offenen Fenster durch und war froh, mich mit produktiver Arbeit ablenken zu können. Stichwort: Bundespräsident. Die Verträge sollten «dringlich» verschickt werden, und mein Chef hatte mir ja heute Morgen genauestens erklärt, was zu tun war. Ich suchte mir die Adresse vom Schloss Bellevue aus den Unterlagen und legte los: Sehr geehrter Herr Bundespräsident, anbei erhalten Sie den von uns unterzeichneten Vertrag für Ihre Unterlagen.
Mit freundlichen Grüßen Chef
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Im Konferenzsaal «Ooookay», dachte ich irritiert, «wo ist die versteckte Kamera?» Ich schaute das achtköpfige Gremium freundlich an, das mir gegenübersaß und offenbar über ein gewisses schauspielerisches Talent verfügte - niemand verzog eine Miene. Vorsichtig ließ ich meinen Blick umherschweifen. Nichts zu sehen von Fernsehtechnik. Saß Hape Kerkeling verkleidet vor mir, um gleich aufs Podium zu springen und «Hurz» zu singen? Ich schaute wieder freundlich in die regungslosen Gesichter, gefühlte dreißig Minuten lang. Noch immer keine Reaktion, die Damen und Herren glotzten mich einfach nur ausdruckslos an. «Können Sie die Frage bitte noch einmal wiederholen?» Entschuldigend schaute ich den Herrn mit der bunten Krawatte an, der bislang die meisten merkwürdigen Fragen gestellt und offenbar hier das Sagen hatte. «Den Mittelteil habe ich nicht verstanden.» Er nickte verständnisvoll. «Aber gern. Können Sie uns sagen, wie die beiden Seiten eines Kontos genannt werden?» Das konnte nicht ernst gemeint sein. Wann würde sich Herr Kerkeling endlich zu erkennen geben und mich erlösen? Schließlich fiel mir eine passende Antwort ein: «Vorn und hinten kann ich vermutlich ausschließen? Ich fürchte, dann muss ich jetzt schon meinen Telefonjoker anrufen.» Das war für meine Verhältnisse doch ganz schön schlagfertig. Ich spielte zwar brav mit, aber der Fernsehzuschauer sollte schon merken, dass ich dieses Theater hier längst durchschaut hatte. Die Papageien-Krawatte räusperte sich unbehaglich, während der Rest der Runde mich weiterhin schweigend ansah. Es dauerte noch eine ganze Weile, dann hatte ich es endlich kapiert: DAS IST KEIN FERNSEHEN! DIE MEINEN DAS ERNST! Zeit für eine kleine Rückblende. Vor Monaten hatte ich mich beworben. Als «Office Managerin». Man kann auch «Sekretärin » dazu sagen. Beim Amt irgendwo in Deutschland. Name und Ort behalte ich lieber für mich, das tut nichts zur Sache. Es könnte sowieso überall sein, wie ich im Zuge meiner späteren Recherchen herausfand. Ich hatte die Bewerbung schon vergessen, für die ich mir, ehrlich gesagt, wenig Mühe gegeben hatte, als schließlich die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch ins Haus flatterte. Klar, ich fühlte mich überqualifiziert für die Arbeit einer «Vorzimmerdame». Aber mein damaliger Job machte mir keine große Freude mehr. Eigentlich liebte ich die Arbeit. Ich hatte viel zu tun und investierte viel Zeit, aber ich durfte völlig eigenverantwortlich agieren. Ich mochte meinen Chef und er mich. Wir waren Freunde. Leider musste ich befürchten, dass der Laden schneller pleitegehen würde als das nächste EU-Land. Ich war also nicht in der Situation, besonders wählerisch sein zu können. Ich schickte meine Unterlagen los und vergaß den öffentlichen Dienst erst einmal wieder. Selbst als der Termin bestätigt wurde und das Bewerbungsgespräch unmittelbar bevorstand, setzte ich mich noch nicht sonderlich mit meiner möglichen Zukunft als «öffentliche Angestellte» auseinander. Ich wollte mich erst am Vorstellungstag selbst ein wenig vorbereiten und wenigstens die Stellenausschreibung einmal ausführlich studieren. Was wollten diese Leute von mir? Was musste ich können? Ich hatte mir zudem ganz fest vorgenommen, die Homepage meines potenziellen Arbeitgebers durchzuackern - oder zumindest einmal durchzuklicken. Doch es kam anders. Eine meiner Kolleginnen hatte einen Unfall. Ausgerechnet an dem Tag, an dem ich beim Amt vorstellig werden sollte. Ich musste kurzfristig für sie einspringen, den freien Vormittag konnte ich vergessen. Die Homepage des Amtes klickte ich nur einmal ganz kurz an, um mir die Adresse rauszusuchen. Ich wusste nicht mal mehr, für welchen Aufgabenbereich ich mich eigentlich bewarb. Ich hatte keine Ahnung, ob man eine Voll- oder Teilzeitkraft suchte, aber zum Glück auch nicht viel Zeit, mir darüber Sorgen zu machen. Ich war froh, dass ich es überhaupt geschafft hatte, pünktlich auf dem Amt einzutreffen. Hatte mir ein ungebügeltes Kleid übergeworfen und war mit fliegenden Fahnen dort eingelaufen, oder besser: eingerannt. Als ich mich abgehetzt in der angegebenen Dienststelle einfand, war der hektische Teil des Tages offensichtlich abgeschlossen. Ich wurde auf einen wackligen Holzstuhl in die dunkelste Ecke gesetzt und, wie mir schien, vergessen. Minute um Minute verrann. Hatte man mein pünktliches Eintreffen zur Kenntnis genommen? Wurde das überhaupt der richtigen Stelle mitgeteilt? Vielleicht wusste niemand, dass ich pünktlich eingetroffen war. Gerade als ich mich beim Pförtner erkundigen wollte, ob die hohen Herrschaften heute noch empfingen, ging es endlich los: Eine Dame, die sich als Frau Rose vorstellte, begleitete mich gemessenen Schrittes über einen Flur, der so muffig roch, dass mir fast die Luft wegblieb. Ich rang möglichst unauffällig nach Sauerstoff und versuchte gleichzeitig, so wenig wie möglich zu atmen. Ungefähr alle dreißig Sekunden flackerte das kalte Neonlicht kurz auf, dann erlosch es. Frau Rose stoppte jedes Mal abrupt ab, als würde sie von diesem Naturschauspiel überrascht, dann trippelte sie ein paar Schritte zurück, zu einem nahe gelegenen Schalter. Nie nach vorn. Immer zurück. Zum Glück schien sie genau zu wissen, wo sich die Schalter befanden, denn viel sehen konnten wir nicht. Nach dreimaligem Anschalten - also nach einer langen, düsteren Reise ins Innere des Gebäudes - erreichten wir schließlich den sogenannten Konferenzsaal. Ich weiß jetzt, wie Kafkas Schloss von innen aussieht. Frau Rose, die mich mehr an eine sprechende Primel erinnerte, nutzte unseren gemeinsamen Weg durch die finsteren Korridore für eine langatmige Geschichte. Sie handelte davon, wie schwierig es gewesen sei, den Konferenzraum B14/römisch III für den heutigen Nachmittag freizuhalten. Die Azubis des 47. Jahrganges Recht/Steuern/Sport hätten den Raum für den Abschied eines Ausbilders aus der Berufsschule Zentrum Nord nutzen wollen, wogegen im Prinzip auch nichts einzuwenden sei. Doch da es sich bei meinem Bewerbungsgespräch um ein Treffen handele, an dem viele Menschen teilnehmen würden, sei der Raum B13 / römisch II ein wenig zu klein und die Aula im Haus leider zurzeit nicht begehbar, weil ein impertinenter, zum Glück inzwischen namentlich bekannter Schüler des Pestalozzi-Gymnasiums dort eine sogenannte Stinkbombe geworfen habe, weil er ... und dafür gebührend bestraft worden sei, nämlich mit einer Gebühr von ... An dieser Stelle stieg ich endgültig aus. Mehr überflüssige Informationen hatte ich zuletzt von einem Vorwerk-Vertreter erhalten, den ich versehentlich in meine Wohnung ließ - vor über 22 Jahren. Ich atmete trotz des Miefs auf, als Frau Rose mir schließlich einen Stuhl zuwies, der leicht erhöht auf einer kleinen Empore stand. Anschließend empfahl sie sich mit den Worten: «Die Mitglieder der Entscheidungsgruppe Personal/intern werden jeden Moment hier sein!» Jeden Moment hier? Für einen 15-Uhr-Termin? - Inzwischen war es fast halb vier. So hatte ich wenigstens Zeit, mich ausgiebig umzusehen. Allerdings gab es nicht viel zu entdecken. Der Raum verfügte über zwei große Fenster, die man mit einem Gummibaum und anderen verkümmerten Gewächsen erfolgreich daran hinderte, ihren Job zu machen. Entweder hatte man selbst kein Interesse, mal einen Blick ins Freie zu erhaschen, oder man wollte nicht von Tageslicht und Frischluft belästigt werden. Wie konnte es in einem Raum mit so großen Fenstern nur so dunkel sein? Der grünlich braune Teppichboden trug sicherlich dazu bei, der verschluckte jeden Lichtstrahl. Düster waren auch die alten Furnierschränke «Eiche rustikal», die sich rundherum deckenhoch an die Wände drängten. Was mir aber noch mehr Sorgen bereitete, war etwas anderes. Entweder hatte hier vor kurzem noch eine Art Chorprobe stattgefunden und ich war auf dem Stuhl des Dirigenten gelandet, oder es würden sich tatsächlich acht Leute einfinden, um mich in die Mangel zu nehmen. ACHT! So viele Stühle hatte ein dienstbarer Geist jedenfalls vor mir aufgestellt. Wozu mussten mich so viele Menschen in Augenschein nehmen? Ich wollte hier allenfalls Sekretärin werden, nicht Amtsleiterin. Vielleicht war das alles bloß ein Irrtum? Allmählich tröpfelte die Entscheidungsgruppe Personal/ intern in die Dunkelkammer, die nur ein Mensch mit viel Humor als «Konferenzsaal» bezeichnen würde. Es war meine erste Bewerbung im öffentlichen Dienst, und ich hatte (noch) keine Ahnung, wie viele Menschen sich wie lange (sehr lange) mit einer einzigen Angelegenheit beschäftigen können. Ohne ein Wort der Begrüßung füllten sich im diffusen Licht die Stühle mir gegenüber nach und nach mit unwirklich grau wirkenden Gestalten. Wie sich in der Vorstellungsrunde aufklärte, waren das die Frauenbeauftragte, ein Behindertenbeauftragter in ungebügeltem, verwaschenem Holzfällerhemd, ein schlecht rasierter Abteilungsleiter, jeweils ein Ober-, Mittel- und Unterchef (zumindest der Letztgenannte mit offenbar versagendem Deo, vielleicht auch vergessenem DuschDich). Es folgte der wirklich nette Personalbeauftragte - wenigstens einer, der mich freundlich begrüßte und mir sogar die Hand gab - , und zuletzt kam der Herr mit der Papageien-Krawatte (vermutlich der Krawattenbeauftragte). Der Krawattenmann übernahm die Begrüßungsrunde. Mit monotoner Stimme stellte er seine Kollegen ausführlich vor. Nachdem das alle überstanden hatten, begann die Runde übergangslos, mir ziemlich verrückte Fragen zu stel len. Ich verschone Sie mit dem Großteil dieses verwirrenden Examens, aber ein paar Höhepunkte möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. «Können Sie stenographieren?» (Kann ich, ist aber schon zwanzig Jahre her.) «Können Sie Maschine schreiben? Wenn ja, wie viele Anschläge schaffen Sie?» (Bei Anschlägen denkt man doch heutzutage nicht ans Maschineschreiben, eher an Maschinengewehre. Außerdem zähle ich nicht die Buchstaben, die ich in einer Minute aufs Papier tippe. Ich schreibe schnell, fertig.) Die Fragen wurden nicht besser. «Wissen Sie, was WORD ist?» - «Kennen Sie das Indernedd?» (Dieses Wort wurde im vermutlich hauseigenen Dialekt ausgesprochen und bedeutet übersetzt: Internet.) «Was macht ein Amtsleiter?» (Meine Antwort darauf verpackte ich mit unsicherem Augenaufschlag und schiefgelegtem Kopf in die leise Gegenfrage: «Ein Amt leiten?») Ich stammelte mich über die Runden und fragte mich dabei mit wachsender Verwunderung, wann dieser Spuk endlich vorbei sein würde. Doch die Entscheidungsgruppe Personal / intern blieb eisern dran, knallhart investigativ ging es weiter. «Wie gefällt Ihnen unser Internetauftritt?» Jetzt zahlte sich aus, dass ich mich so prima vorbereitet hatte. Ich konnte mich lediglich erinnern, dass mir die Seite auf meinem Monitor ziemlich grau und fade erschienen war. In meiner Not sprach ich die Wahrheit. «Entschuldigen Sie die Kritik, aber ich würde die Website lebendiger gestalten.» Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass Lebendigkeit im Amt ein unbekannter Fremdzustand ist. In der Entscheidungsgruppe entstand Unruhe. Der Mittelchef hüstelte, der Holzfäller rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, und der Personaler kratzte sich hinterm rechten Ohr. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass ich, falls es zu dem unwahrscheinlichen Fall meiner Einstellung kommen sollte, auch für den Internetauftritt zuständig wäre. Halleluja! Ich zählte die Sekunden. Hape, erlöse mich! Doch nun zog der Herr mit der bunten Krawatte seinen letzten Joker: «Können Sie uns sagen, wie die beiden Seiten eines Kontos genannt werden?» Den Rest kennen Sie ja schon. Jedenfalls das meiste. Okay, ich habe mich geirrt, die Versteckte Kamera war an diesem Nachmittag im Konferenzraum B14/III nicht dabei. Aber es hätte durchaus sein können. Wenn man diesen Termin mit gesundem Menschenverstand analysierte, wäre das sogar wahrscheinlicher gewesen als die schlichte Wahrheit: Das achtköpfige Gremium vom Amt hatte sich anscheinend meine Bewerbung nicht einmal durchgelesen und war genauso unvorbereitet erschienen wie ich. Ich bin ausgebildete Sekretärin mit langjähriger Buchhaltungserfahrung und darüber hinaus auch noch Steuerhilfsfrau, mit abgeschlossener Ausbildung, beglaubigt und nachprüfbar. Ich hatte die Herrschaften darüber nicht im Unklaren gelassen und all meine Zeugnisse beigelegt, die (fast) ausnahmslos ausgezeichnet sind. Wie kamen diese Leute bitte auf die Idee, mich zu fragen, was Soll und Haben ist? Nach meiner Bemerkung mit dem Telefonjoker fand mein Bewerbungsgespräch schließlich ein erstaunlich zügiges Ende. Ich erinnere mich kaum noch an die lauwarme Verabschiedung. Ohne die Hilfe der Rose stolperte ich durch die dunklen Gänge ins Freie. Und dann lachte ich, lachte laut und so lange, bis ich in die Knie ging. Womöglich hörte mich die Entscheidungs gruppe noch durch ihre grauen Mauern hindurch lachen. Vermutlich aber hat die Entscheidungsgruppe Personal/intern damals zuletzt gelacht. Eine Woche später rief mich Frau Rose an: «Herzlichen Glückwunsch. Sie haben den Job!»
Der Superbrief Es war nicht gleich der erste Satz, den mein neuer Chef an mich richtete, aber er fiel ziemlich früh: «Liebe Frau Kollegin, Sie waren nicht unsere erste Wahl für diese Stelle. Die Bewerberin, für die wir uns eigentlich entschieden hatten, musste kurzfristig absagen.» Möglicherweise entglitten mir in diesem Moment ein wenig die Gesichtszüge, denn er setzte sofort nach: «Keine Angst, ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch die zweite Wahl ein Hauptgewinn sein kann. Ich freue mich jedenfalls auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.» Freundlich lächelte er mich an. «Sie hatten wirklich Glück, dass Sie den Job bekommen haben.» Da war ich jetzt nicht so sicher, aber so unbedarft, wie dieser Mann drauflosplapperte, konnte ich ihm kaum böse sein. Ich grinste zurück. «Dann bin ich also ein Schnäppchen.» Da lachte mein neuer Befehlshaber und zeigte mir sein Chefbüro und mein Vorzimmer. «Hier ist nun Ihr Reich. Sie dürfen schalten und walten, wie Sie möchten. Sie sollen sich ja wohlfühlen bei uns.» Das war doch wirklich nett. Sie werden sich vielleicht fragen, was ich überhaupt hier suchte. Ehrlich gesagt, rotierte diese Frage auch ständig in meinem Kopf herum. Nach solch einem Vorstellungsgespräch konnte ich nicht ernsthaft erwarten, meinen Traumjob gefunden zu haben. Doch ich hatte keine große Wahl. Natürlich fragte ich mich schon hin und wieder, ob es klug war, meinen bisherigen Job als Assistentin des Geschäftsinhabers mit Prokura für eine Stelle im öffentlichen Dienst aufzugeben. Mein damaliger Arbeitgeber war ein kreativer Großgeist und vermied möglichst den Kontakt zum richtigen Leben. Er fuhr einen schwarzen Porsche, das teuerste Modell auf dem Markt. (Das konnte ich sogar noch verstehen; ein tolles Auto zu fahren macht wirklich Spaß.) Er schenkte seiner Freundin Schuhe zum Preis einer Maledivenreise und orderte für die Büroterrasse Pflanzen im Gegenwert eines Kleinwagens. Seine T-Shirts ließ er in Sternehotels reinigen. Schade war nur, dass ich aufgrund seines Lebensstils unsere Lieferanten immer sporadischer bezahlen konnte. Die riefen verzweifelt bei mir an, weil sie meinen Chef nicht erreichten: «Können Sie wenigstens einen Teilbetrag überweisen? Wie sollen wir denn unsere Familien ernähren?» Sie bettelten geradezu um ihr Geld. Ich tat mein Bestes, um meinem Chef ins Gewissen zu reden. Ohne Erfolg. Er muss mich für einen phantasielosen Kleingeist gehalten haben, denn er schaute mich nur mit seinen großen Bernsteinaugen verständnislos an, wenn ich mal wieder mit ihm schimpfte, und sagte: «Aber es ist doch nur Geld.» Mich allerdings belasteten seine Schulden und die Nöte unserer Gläubiger zunehmend. Ich machte mir Sorgen um die Finanzen und vor allem um die Kollegen. Dann war auch noch sein erstes Baby unterwegs. Neue Rechnungen flatter ten ins Haus: Der Kinderwagen muss von Porsche gewesen sein bei der Summe; die Windeltasche kostete mehr als alle meine Handtaschen zusammen, und ich wusste, das war nur der Anfang. Also kündigte ich schweren Herzens. Die unbezahlten Rechnungen und die schlaflosen Nächte war ich damit los. Dafür hatte ich jetzt einen Vorzimmerschreibtisch im Amt. Ob das ein guter Tausch war, würde sich noch zeigen. Mein neuer Chef wies auf einige Papiere, die auf meinem neuen, in Wahrheit ziemlich eingestaubten Schreibtisch lagen und erläuterte mir den dazugehörigen Sachverhalt lang und breit. Die Einzelheiten der hochkomplizierten Thematik tun hier nichts zur Sache. Verstanden habe ich es sowieso nicht so genau, ich konnte mir gerade mal merken, was damit zu tun war: «Diese Verträge müssen wir dringend an Christian Wulff, den höchsten Mann unseres Landes, schicken. Aber zunächst möchte ich Sie den Kollegen vorstellen. » Er klatschte in die Hände wie ein Showmoderator, dann zogen wir durch die Büros der Abteilung. Zunächst ins angrenzende, das sein Stellvertreter bewohnte, weiter ins nächste, ins übernächste, ins überüber- und ins überüberübernächste. Das war der Vormittag. Mein neuer Chef entpuppte sich als Freund ausschweifender Erläuterungen. Er stellte mich seinen Kollegen vor und repetierte dabei 110 Prozent all dessen, was in meiner Bewerbung stand (zumindest hatte er sie gelesen). Was er nicht korrekt erinnerte, schmückte er so jovial aus wie ein Händler auf dem Fischmarkt. So lange hatte meine Mutter noch nie über mich gesprochen, und die kannte mich immerhin. Nach der Vorstellung meiner Person waren die Kollegen dran, die zum Teil seit Jahrzehnten mit ihm auf einem Flur wohnten. Dementsprechend viele spannende Geschich ten gab es zu erzählen. Langjährige Amtskarrieren, Mitgliedschaften in Sportvereinen, unangenehme Krankheiten, ausgewanderte Schwippschwager - nichts aus dem Leben der Kollegen, die sich unvorsichtigerweise nicht schnell genug verdrückt hatten, als der Chef die Zimmer stürmte, blieb mir verborgen. Wie gut, dass zwei Kolleginnen unserer Abteilung nicht auffindbar waren. Sie waren entweder krank, im Urlaub oder im Haus unterwegs - so genau wusste das niemand. Das richtungslose Geplauder wurde zunehmend anstrengender. Ich hatte meine Füße für meinen ersten Arbeitstag in meine einzigen Pumps gesteckt. Für ausführliche Stehempfänge eigneten sich diese Schmuckstücke kaum - aber auch modisch hatte ich mit ihnen deutlich zu dick aufgetragen, wie ich sehr schnell feststellen musste. Ich rechnete hoch, wie lange es wohl dauern würde, bis ich allen Kollegen im Amt die Hand geschüttelt haben würde. Es reichte locker, um mir den Anspruch auf eine erste Kur im öffentlichen Dienst zu sichern. Bevor ich mir jedoch darüber Sorgen machen konnte, verlagerte sich das Problem. Mein Chef schaute auf die Uhr, gefolgt von diesem geschäftigen Händeklatschen: «Zeit für die Kantine!» O Shit! Schon in der langatmigen Vorstellungsrunde waren die heutigen Menüs mehrmals besprochen worden. In jedem Büro hing der Kantinenplan an prominenter Stelle. Und was ich da gelesen hatte, klang für mich eher böse: «Blutwurst mit Püree und Apfelmus» stand auf dem kopierten Recyclingpapier unter Menü A. Menü B nannte sich «Fleischwursteintopf ». Aber ich konnte mich doch nicht gleich am ersten Tag verweigern und meinem Chef eine Abfuhr erteilen. Vielleicht wäre ja Püree mit Mus eine Option, ohne die Wurst. Das war immerhin noch besser als das Menü am Mittwoch. Da gab es «R. Geschnetzeltes, Kartoffeln, Erbsen». Herr Bremerkamp aus dem Sportamt, den wir zufällig auf dem Gang trafen, vermutete, dass das «R.» entweder für «Rahm» oder für «Reste» stand, hier wollte sich der Koch wohl nicht in die Karten gucken lassen. Da lachten meine neuen Kollegen. «Ach, der Herr Bremerkamp, der hat immer einen lustigen Spruch auf den Lippen.» So lernte ich gleich am ersten Tag im öffentlichen Dienst: Der Speiseplan der Kantine ist ein tägliches Thema von allergrößter Brisanz. Bis das erste «Mahlzeit!» auf dem Flur ertönte, war Menü A schon einige Dutzend Male gegen Menü B angetreten, und niemand aus den Reihen der Kollegen ließ es sich nehmen, seine Entscheidung laut und deutlich zu verkünden. Verbunden mit einem Augenrollen und der Hoffnung, man möge sich heute mal ausnahmsweise nicht den Magen verderben. (Ja, der Herr Bremerkamp schon wieder mit einem lustigen Spruch.) Würde ich da jemals mitreden können? Insgeheim kannte ich die Antwort bereits. An diesem ersten Tag aber hatte ich keine Wahl: Ich begleitete meinen Chef mit mulmigem Gefühl in die Kantine wie ein Schaf, das zum Schlachtbock geführt wird. Ich wusste, hier würde ich keinen Bissen runterkriegen. Wie war bei diesem «Geruch» nur an Essen zu denken? Aber ich bin (leider, leider) ein höflicher Mensch, profihöflich sozusagen, und unterdrückte meine aufkommende Übelkeit. Mein neuer Chef erklärte mir mit seiner Detailfreude, was man hier drinnen wissen musste. «Hier sind die Gabeln, die Messer, die großen Löffel für die Suppe, und hier finden Sie die kleinen Löffel für den Nachtisch.» Sogar Servietten gab es - wenn sie nicht gerade aus waren. Ich erfuhr, bei welcher Bedienung man sich anzustellen hatte, um die größten Portionen zu bekommen: «Die dicke Frau Böhnke da ganz rechts an der Essensausgabe, die macht die Teller anständig voll. Man will ja was bekommen für sein Geld, nicht wahr?» Da war ich mir allerdings keineswegs sicher. Ich rührte schon jetzt in viel zu viel von einem gräulichen Brei und versuchte, möglichst flach zu atmen. So höflich konnte doch niemand sein, um sich so etwas in den Mund zu schieben. Nicht mal ich. Aber mein Chef war in seine Erzählungen versunken, sodass er gar nicht mitbekam, was er sich da selbst in den Mund schob und wie appetitlos dagegen seine neue Mitarbeiterin war. Während er immer weiterbrabbelte, bemerkte ich Frau Rose in der Schlange vor der Essensausgabe. Ich freute mich, ein bekanntes Gesicht zu sehen, und winkte ihr bemüht fröhlich zu - was angesichts der unappetitlichen Teller um mich herum gar nicht so einfach war. Keine Reaktion. Offenbar war solch eine Geste schon zu viel an menschlicher Regung. Frau Rose schaute mich nur trübe an, als sie mit ihrer trostlosen Püreeportion (ohne Blutwurst) an unserem Tisch vorbeizog. Ich erwartete ohne große Begeisterung, dass meine Vorstellungstournee am Nachmittag fortgesetzt werden würde. Doch mein Chef hatte das Thema offenbar abgehakt, möglicherweise auch vergessen. Er kam nie wieder darauf zu sprechen. Mir war das recht. Meine Kollegen würde ich auch ohne seine Hilfe kennenlernen - mit wesentlich weniger Worten. Und meinen eigenen Lebenslauf hatte ich nun auch oft genug gehört. Außerdem roch es in den ungelüfteten Büros auch nicht besonders angenehm. Jeder Raum hatte seine eigene Dunstnote: verschwitzte Hemden oder Socken, Mettbrötchen mit Zwiebeln vom Vortag, Klosterfrau Melissengeist ... den Rest kann und will ich nicht näher beschreiben. Es wunderte mich nur, dass unter den Schreibtischen keine muffigen, ausgelatschten Hausschuhe standen. Na ja, wer weiß, ich hatte ja noch nicht in alle Büros schauen können. Ich ekelte mich vom ersten Moment an, als ich dieses Amt betrat. Und inzwischen wusste ich genau: Wenn ich hier überleben wollte, musste ich mich schützen. Ganz oben auf meine Einkaufsliste setzte ich Desinfektionsmittel. Nach der Mittagspause war es verdächtig still im ganzen Haus. Es werden doch nicht alle mit verdorbenem Magen leblos über ihren Schreibtischen hängen? Vielleicht hatte Herr Bremerkamp vorhin auf dem Gang gar keinen Witz gemacht. Vielleicht wollte er mich nur warnen? Zurück in meinem Vorzimmerreich, riss ich die Fenster weit auf. Mein Chef schaute irritiert, sagte aber nichts. Er war schon viel zu spät dran, er wollte zu einer wichtigen Besprechung in die Rechtsabteilung eine Etage tiefer: «Ich muss mich beeilen, der Aufzug braucht immer so lange, bis er kommt.» Er nahm sich aber noch die Zeit, um sich wortreich dafür zu entschuldigen, mich nun allein lassen zu müssen. Endlich war er weg. Ich atmete am offenen Fenster durch und war froh, mich mit produktiver Arbeit ablenken zu können. Stichwort: Bundespräsident. Die Verträge sollten «dringlich» verschickt werden, und mein Chef hatte mir ja heute Morgen genauestens erklärt, was zu tun war. Ich suchte mir die Adresse vom Schloss Bellevue aus den Unterlagen und legte los: Sehr geehrter Herr Bundespräsident, anbei erhalten Sie den von uns unterzeichneten Vertrag für Ihre Unterlagen.
Mit freundlichen Grüßen Chef
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Autoren-Porträt von Jule Mann
Mann, JuleJule Mann arbeitete unter anderem als Chefsekretärin einer Marketingagentur, bevor sie in den öffentlichen Dienst geriet. Ihre Verwunderung über diese neue Welt hat sie humorvoll in diesem Buch verpackt, das sie unter Pseudonym veröffentlicht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jule Mann
- 2013, 2. Aufl., 240 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499629941
- ISBN-13: 9783499629945
- Erscheinungsdatum: 02.01.2013
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