Fakire
Kriminalroman
'Eine Serie spektakulärer Selbstmorde erschüttert Paris. Kommissar Guérin sucht nach einem Zusammenhang, denn er hat Zweifel, ob nicht mehr dahintersteckt. Zur gleichen Zeit erfährt der amerikanische Psychologe John Nichols, dass einer seiner Patienten bei...
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Produktinformationen zu „Fakire “
'Eine Serie spektakulärer Selbstmorde erschüttert Paris. Kommissar Guérin sucht nach einem Zusammenhang, denn er hat Zweifel, ob nicht mehr dahintersteckt. Zur gleichen Zeit erfährt der amerikanische Psychologe John Nichols, dass einer seiner Patienten bei einem Auftritt als Fakir verblutet ist. Schwer traumatisiert aus dem Irakkrieg zurückgekehrt, zerstört er sich systematisch selbst. Doch Nichols glaubt nicht an einen Selbstmord. Ihre Nachforschungen führen Komissar Guérin und Nichols schließlich zusammen, und gemeinsam kommen sie einer Tragödie auf die Spur. Weshalb zerstören Menschen sich selbst? In atmosphärisch dichten Bildern geht Antonin Varenne dieser hoch aktuellen Frage nach, die nicht nur für Guérin und Nichols zu einer existentiellen Bedrohung wird.
Lese-Probe zu „Fakire “
Fakire von Antonin VarenneLambert kaute an seinen Fingernägeln.
Das Halbdunkel tauchte die drei Bullen in eine ungewisse,
nebulöse Raumzeit, verloren im Wechsel von Tag
und Nacht. Ein Geruch nach Alkohol und kaltem Tabak
füllte den kleinen Raum aus. Obwohl der Morgen schon
weit vorgerückt war, hörte man die Müdigkeit in den verschlafenen,
heiseren Stimmen. Sie drängten sich um den
Bildschirm und rauchten Kette, und niemand in der Präfektur
würde sie an das Verbot erinnern.
»Was treibt der da?«
»Er zieht sich aus.«
»Ist das alles? Woher kommt das Ding?«
»Ein Fall von Guérin. Hat uns Lambert spendiert.« Berlion,
eine zerdrückte Zigarette zwischen den Lippen, drehte
sich um: »He, Lambert, willst du es nicht noch mal sehen?«
Lambert warf einen Blick zur Tür. Die Zigarette wanderte
in Berlions Mundwinkel, und der Filter schmatzte
zwischen seinen Backenzähnen.
»Keine Sorge, Guérin ist nicht da!«
Sie lachten laut und verächtlich.
»Seht euch das an!«
Die drei Bullen klebten am Bildschirm und stießen
dichte Rauchwolken aus.
»Scheiße, er rennt zwischen den Autos rum!«
»Wo ist das?«
»Porte Maillot, unter der Brücke. Ein Überwachungsvideo.
«
»He! Sieht aus, als würde er in die Kamera gucken!«
»Quatsch, der weiß nicht mal, dass er gefilmt wird.«
»Der hat ein Ding wie ein Hengst.«
»Geil dich nicht auf, Roman.«
Roman stieß Savane den Ellbogen in die Rippen.
»Fick dich ins Knie!«
... mehr
Lambert begriff, was er angerichtet hatte, die Gleichung
war einfach: Je blöder seine Ideen, desto wütender war er
auf sich.Wenn Guérin jetzt hereinkäme, würde der ihm ordentlich
den Kopf waschen.
»Verdammt! Der Peugeot hätte ihn beinah plattgemacht!«
»Irgendeiner wird ihn schon erwischen.«
»Da sind mindestens zehn Karren ineinandergekracht.«
»Und dieser Idiot rast da rum ...«
Auf dem Schwarzweißbildschirm rannte ein nackter
junger Mann mit gen Himmel gereckten Armen auf der
Stadtautobahn entlang.Autos wichen aus, Motorroller rasten
in die Leitplanke. Mit entblößtem Glied und beseeltem
Lächeln rannte er auf die Autos zu. Er schrie etwas, das man
nicht hörte, und bot seine nackten Flanken mit offensichtlicher
Fröhlichkeit den Blechkisten dar. Unten auf dem
Bildschirm liefen Datum und Uhrzeit mit. 09:37. Hinter
den Minuten reihten sich langsam die Sekunden anein ander,
viel langsamer, als der Mann seine Beine nach vorn
schleuderte. Er war mager, weißhäutig und so elegant wie
ein Reiher, der über einen Erdölsumpf galoppiert. Die Zusammenstöße,
das Krachen des Blechs, seine Schreie und
das splitternde Glas, alles geschah in vollständiger Stille.
»Was brüllt der denn da?«
»Lambert, was hat der Kerl geschrien?«
Lambert sagte nichts. Gottverdammter Idiot! Was war
nur in ihn gefahren, dass er sich bei diesen drei Brutalos
einkratzen musste?
Nach Aussage eines Zeugen schrie der Läufer: »Ich
komme.« Sonst nichts. Lambert fand, das war genug. Für
die anderen drei sicher nicht. Er antwortete nicht, und sein
Schweigen gab ihm ein bisschen Selbstachtung zurück.
»He, man sieht nichts mehr! Wo ist er?«
»Warte! Gleich kommt er auf eine andere Kamera.«
Der Blickwinkel änderte sich. Jetzt sahen sie den rennenden
Mann von hinten und die Autos, die auf ihn zurasten,
von vorn. Der Fahrzeugstrom quoll unter der Brücke hervor
wie eine schwarze Welle, die den behaarten Hintern wie
einen weißen Stein umspülte.
»Der hat ja Mumm!«
»Er rennt jetzt bestimmt schon zweihundert Meter, das
ist garantiert ein Rekord.«
Savane stieß Roman, sein Alter Ego, nur schlimmer, erneut
in die Seite.
»Lässt sich leicht klären: Da läuft doch eine Stoppuhr!«
Sie lachten dreckig. Lambert setzte an zu protestieren,
aber die drei machten ihm Angst.
»Seid still, verdammt, und seht euch das an!«
»Berlion mag's nicht, wenn jemand im Kino quatscht!«
»Schnauze.«
Roman, Savane und Berlion. Bei der Mordkommission
gute Arbeit zu machen schloss nicht aus, bescheuert zu
sein. Sie waren der dreifache Beweis.
Da sie das Ende nahen spürten, ließ ihr Aasgeierinstinkt
sie verstummen. Die Asche vergessener Zigaretten fiel auf
den Boden, man hörte nur noch das Quietschen des Videobands
im Rekorder.
Eine Luxuskarosse schoss genau in der Kameraachse auf
den Kamikazeläufer zu. Der junge Mann breitete die Arme
aus und reckte mit der Anstrengung eines Athleten, der die
Ziellinie erreicht, den Brustkorb vor. Das Auto machte im
letzten Moment ein Ausweichmanöver und fuhr vorbei.
Hinter ihm donnerte ein Schwerlaster heran.
Der Läufer knallte ohne ein Geräusch in den Lastwagen,
sein wilder Lauf wurde jäh gestoppt und auf absurde Weise
sogleich in entgegengesetzter Richtung fortgesetzt. Der zertrümmerte,
in den Kühlergrill gedrückte Schädel schleuderte
einen Blutkranz auf die Motorhaube. Der ganze Körper
verschwand wie eingesaugt unter der Fahrerkabine,
während der Anhänger mit blockierten Rädern quer über
die Fahrbahn zu rutschen begann.
Der Rekorder knarrte, das Band hielt an, ließ den schleudernden
Lastwagen und das entsetzte Gesicht des Fahrers
in einem letzten Bild erstarren. Am unteren Bildschirmrand
waren die Zahlen der Digitalanzeige zum Stillstand
gekommen.
Roman zertrat seinen verbrannten Filter auf den Fliesen.
»Ist ja widerlich.«
»Ich hab's dir doch gesagt, völlig durchgeknallt.«
Sie starrten weiter auf den Bildschirm, hin und her gerissen,
angeekelt und enttäuscht.
Savane wandte sich der dunklen Ecke zu, in die sich
Lambert geflüchtet hatte.
»He, Lambert, was meinst du, ist das Selbstmord oder
ein Serienmörder?«
Sie krümmten sich vor Lachen. Savane japste und setzte
noch eins drauf.
»Scheiße! Glaubst du, dein Chef hat den LKW-Fahrer
verhaftet?«
Sie bepissten sich fast. Die Tür des Vorführraums ging
auf. Lambert streckte seinen langen Körper in einer Andeutung
von schuldbewusstem Strammstehen.
Guérin schaltete das Licht an. Die drei aus dem verrauchten
Halbdunkel auftauchenden Polizisten wischten sich die
Tränen ab. Guérin sah auf den Bildschirm, dann langsam
zu Lambert. Die Wut schwand fast auf der Stelle aus seinen
großen braunen Augen und versank im Überdruss.
Die Gesichter von Berlion und seinen Komplizen wechselten
mit der Leichtigkeit verhörerfahrener Bullen von Lachen
zu Aggressivität.
Sie gingen langsam an Guérin vorbei aus dem Raum.
Savane, offenbar der Bissigste, zischte zwischen den Zähnen:
»He, Columbo, dein Regenmantel schleift auf dem Boden.«
Während er sich auf dem Flur entfernte, ergänzte er laut:
»Pass auf, dass er nicht durch die Scheiße deines Köters
schleift.«
Lambert lief rot an und starrte auf seine Fußspitzen.
Guérin nahm die Kassette aus dem Rekorder, steckte sie
in die Tasche und verließ den Raum.
Lambert, eine Stehlampe ohne Birne, blieb wie angewurzelt
zurück. Guérin steckte noch mal den Kopf durch
die Tür.
»Kommst du? Wir haben zu tun.«
Er hätte beinah ganz munter »ich komme« gesagt, aber
irgendwas hinderte ihn daran. Schlurfend folgte er seinem
Chef durch die langen Gänge. Er sah fragend auf die Gestalt
vor sich, fürchtete,Wut zu erkennen, entdeckte jedoch
nur die ewige Müdigkeit, in die ihn sein Mantel tauchte.
Ein Hund und sein Herrchen, das keine Leine mehr
brauchte. Im Unterschied zu Savane fand Lambert die Vorstellung
nicht erniedrigend. Er sah darin eher einen Vertrauensbeweis.
Der Chef hatte nichts weiter gesagt, aber Lambert
wusste, woran er war. Freundlichkeit war in diesem Haus
nicht gefragt. Langfristig musste man sogar zugeben, dass
sie eher schadete. Hier entledigte man sich der Freundlichkeit,
so schnell man konnte, etwas verschämt, wie seiner
Unschuld zwischen den Beinen einer alten Nutte. Lambert
fragte sich, ob der Chef - zweiundvierzig Jahre, davon dreizehn
am Quai des Orfèvres - diese widernatürliche Anstrengung
vielleicht nur in seinem Fall unternahm. Ein
Grund mehr, dachte er, keinen Scheiß zu bauen: Erstens
war es ein Privileg, und zweitens war Guérin sicher auch
zum Gegenteil imstande.
Offiziersanwärter Lambert, der mit seinen Gedanken
manchmal bis an die Grenzen ging, überlegte, ob er für den
Chef vielleicht eine Art Rettungsboje war, eine Zuflucht für
seine Gefühle. Wenn er sich, meistens nach ein paar Bier,
in diesen hypothetischen Randzonen verlor, sah er jedes
Mal das Bild vom Hund und seinem Herrchen vor sich.
Eigentlich beschrieb es ihre Beziehung sehr klar. Für die
Demütigen ist die Demütigung ein erster Schritt zur Anerkennung.
Lambert öffnete die Tür zu ihrem Büro, während er über
die Selbstachtung nachsann, diese zarte Empfindung, die
ihn der Chef zu kultivieren lehrte.
Lambert begriff, was er angerichtet hatte, die Gleichung
war einfach: Je blöder seine Ideen, desto wütender war er
auf sich.Wenn Guérin jetzt hereinkäme, würde der ihm ordentlich
den Kopf waschen.
»Verdammt! Der Peugeot hätte ihn beinah plattgemacht!«
»Irgendeiner wird ihn schon erwischen.«
»Da sind mindestens zehn Karren ineinandergekracht.«
»Und dieser Idiot rast da rum ...«
Auf dem Schwarzweißbildschirm rannte ein nackter
junger Mann mit gen Himmel gereckten Armen auf der
Stadtautobahn entlang.Autos wichen aus, Motorroller rasten
in die Leitplanke. Mit entblößtem Glied und beseeltem
Lächeln rannte er auf die Autos zu. Er schrie etwas, das man
nicht hörte, und bot seine nackten Flanken mit offensichtlicher
Fröhlichkeit den Blechkisten dar. Unten auf dem
Bildschirm liefen Datum und Uhrzeit mit. 09:37. Hinter
den Minuten reihten sich langsam die Sekunden anein ander,
viel langsamer, als der Mann seine Beine nach vorn
schleuderte. Er war mager, weißhäutig und so elegant wie
ein Reiher, der über einen Erdölsumpf galoppiert. Die Zusammenstöße,
das Krachen des Blechs, seine Schreie und
das splitternde Glas, alles geschah in vollständiger Stille.
»Was brüllt der denn da?«
»Lambert, was hat der Kerl geschrien?«
Lambert sagte nichts. Gottverdammter Idiot! Was war
nur in ihn gefahren, dass er sich bei diesen drei Brutalos
einkratzen musste?
Nach Aussage eines Zeugen schrie der Läufer: »Ich
komme.« Sonst nichts. Lambert fand, das war genug. Für
die anderen drei sicher nicht. Er antwortete nicht, und sein
Schweigen gab ihm ein bisschen Selbstachtung zurück.
»He, man sieht nichts mehr! Wo ist er?«
»Warte! Gleich kommt er auf eine andere Kamera.«
Der Blickwinkel änderte sich. Jetzt sahen sie den rennenden
Mann von hinten und die Autos, die auf ihn zurasten,
von vorn. Der Fahrzeugstrom quoll unter der Brücke hervor
wie eine schwarze Welle, die den behaarten Hintern wie
einen weißen Stein umspülte.
»Der hat ja Mumm!«
»Er rennt jetzt bestimmt schon zweihundert Meter, das
ist garantiert ein Rekord.«
Savane stieß Roman, sein Alter Ego, nur schlimmer, erneut
in die Seite.
»Lässt sich leicht klären: Da läuft doch eine Stoppuhr!«
Sie lachten dreckig. Lambert setzte an zu protestieren,
aber die drei machten ihm Angst.
»Seid still, verdammt, und seht euch das an!«
»Berlion mag's nicht, wenn jemand im Kino quatscht!«
»Schnauze.«
Roman, Savane und Berlion. Bei der Mordkommission
gute Arbeit zu machen schloss nicht aus, bescheuert zu
sein. Sie waren der dreifache Beweis.
Da sie das Ende nahen spürten, ließ ihr Aasgeierinstinkt
sie verstummen. Die Asche vergessener Zigaretten fiel auf
den Boden, man hörte nur noch das Quietschen des Videobands
im Rekorder.
Eine Luxuskarosse schoss genau in der Kameraachse auf
den Kamikazeläufer zu. Der junge Mann breitete die Arme
aus und reckte mit der Anstrengung eines Athleten, der die
Ziellinie erreicht, den Brustkorb vor. Das Auto machte im
letzten Moment ein Ausweichmanöver und fuhr vorbei.
Hinter ihm donnerte ein Schwerlaster heran.
Der Läufer knallte ohne ein Geräusch in den Lastwagen,
sein wilder Lauf wurde jäh gestoppt und auf absurde Weise
sogleich in entgegengesetzter Richtung fortgesetzt. Der zertrümmerte,
in den Kühlergrill gedrückte Schädel schleuderte
einen Blutkranz auf die Motorhaube. Der ganze Körper
verschwand wie eingesaugt unter der Fahrerkabine,
während der Anhänger mit blockierten Rädern quer über
die Fahrbahn zu rutschen begann.
Der Rekorder knarrte, das Band hielt an, ließ den schleudernden
Lastwagen und das entsetzte Gesicht des Fahrers
in einem letzten Bild erstarren. Am unteren Bildschirmrand
waren die Zahlen der Digitalanzeige zum Stillstand
gekommen.
Roman zertrat seinen verbrannten Filter auf den Fliesen.
»Ist ja widerlich.«
»Ich hab's dir doch gesagt, völlig durchgeknallt.«
Sie starrten weiter auf den Bildschirm, hin und her gerissen,
angeekelt und enttäuscht.
Savane wandte sich der dunklen Ecke zu, in die sich
Lambert geflüchtet hatte.
»He, Lambert, was meinst du, ist das Selbstmord oder
ein Serienmörder?«
Sie krümmten sich vor Lachen. Savane japste und setzte
noch eins drauf.
»Scheiße! Glaubst du, dein Chef hat den LKW-Fahrer
verhaftet?«
Sie bepissten sich fast. Die Tür des Vorführraums ging
auf. Lambert streckte seinen langen Körper in einer Andeutung
von schuldbewusstem Strammstehen.
Guérin schaltete das Licht an. Die drei aus dem verrauchten
Halbdunkel auftauchenden Polizisten wischten sich die
Tränen ab. Guérin sah auf den Bildschirm, dann langsam
zu Lambert. Die Wut schwand fast auf der Stelle aus seinen
großen braunen Augen und versank im Überdruss.
Die Gesichter von Berlion und seinen Komplizen wechselten
mit der Leichtigkeit verhörerfahrener Bullen von Lachen
zu Aggressivität.
Sie gingen langsam an Guérin vorbei aus dem Raum.
Savane, offenbar der Bissigste, zischte zwischen den Zähnen:
»He, Columbo, dein Regenmantel schleift auf dem Boden.«
Während er sich auf dem Flur entfernte, ergänzte er laut:
»Pass auf, dass er nicht durch die Scheiße deines Köters
schleift.«
Lambert lief rot an und starrte auf seine Fußspitzen.
Guérin nahm die Kassette aus dem Rekorder, steckte sie
in die Tasche und verließ den Raum.
Lambert, eine Stehlampe ohne Birne, blieb wie angewurzelt
zurück. Guérin steckte noch mal den Kopf durch
die Tür.
»Kommst du? Wir haben zu tun.«
Er hätte beinah ganz munter »ich komme« gesagt, aber
irgendwas hinderte ihn daran. Schlurfend folgte er seinem
Chef durch die langen Gänge. Er sah fragend auf die Gestalt
vor sich, fürchtete,Wut zu erkennen, entdeckte jedoch
nur die ewige Müdigkeit, in die ihn sein Mantel tauchte.
Ein Hund und sein Herrchen, das keine Leine mehr
brauchte. Im Unterschied zu Savane fand Lambert die Vorstellung
nicht erniedrigend. Er sah darin eher einen Vertrauensbeweis.
Der Chef hatte nichts weiter gesagt, aber Lambert
wusste, woran er war. Freundlichkeit war in diesem Haus
nicht gefragt. Langfristig musste man sogar zugeben, dass
sie eher schadete. Hier entledigte man sich der Freundlichkeit,
so schnell man konnte, etwas verschämt, wie seiner
Unschuld zwischen den Beinen einer alten Nutte. Lambert
fragte sich, ob der Chef - zweiundvierzig Jahre, davon dreizehn
am Quai des Orfèvres - diese widernatürliche Anstrengung
vielleicht nur in seinem Fall unternahm. Ein
Grund mehr, dachte er, keinen Scheiß zu bauen: Erstens
war es ein Privileg, und zweitens war Guérin sicher auch
zum Gegenteil imstande.
Offiziersanwärter Lambert, der mit seinen Gedanken
manchmal bis an die Grenzen ging, überlegte, ob er für den
Chef vielleicht eine Art Rettungsboje war, eine Zuflucht für
seine Gefühle. Wenn er sich, meistens nach ein paar Bier,
in diesen hypothetischen Randzonen verlor, sah er jedes
Mal das Bild vom Hund und seinem Herrchen vor sich.
Eigentlich beschrieb es ihre Beziehung sehr klar. Für die
Demütigen ist die Demütigung ein erster Schritt zur Anerkennung.
Lambert öffnete die Tür zu ihrem Büro, während er über
die Selbstachtung nachsann, diese zarte Empfindung, die
ihn der Chef zu kultivieren lehrte.
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Autoren-Porträt von Antonin Varenne
Antonin Varenne, geboren 1973, studierte in Paris Philosophie. 2009 erhielt er den Prix Michel Lebrun sowie den Prix Sang d'Encre.Claudia Steinitz, geb. 1961, lebt in Berlin und übersetzte aus dem Französischen und Italienischen u. a. Gabriele D'Annunzio, Henri-Frederic Blanc, Gerald Messadie und Jean-Christophe Rufin.Tobias Scheffel, geb. 1964 in Frankfurt am Main, studierte Romanistik, Geschichte und Geographie an den Universitäten Tübingen, Tours (Frankreich) und Freiburg. Seit 1992 arbeitet er als literarischer Übersetzer aus dem Französischen und lebt in Freiburg im Breisgau. 2011 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Antonin Varenne
- 2011, 314 Seiten, Maße: 13,3 x 20,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Französ. v. Claudia Steinitz u. Tobias Scheffel
- Übersetzer: Claudia Steinitz, Tobias Scheffel
- Verlag: Ullstein Hardcover
- ISBN-10: 3550087896
- ISBN-13: 9783550087899
Rezension zu „Fakire “
»Falls man in den nächsten Monaten nur einen einzigen Krimi lesen möchte: Dieser wäre es wert.« Kurier (A), 12.02.11 »Der Franzose Antonin Varenne legt mit Fakire den spannendsten Krimi der Saison vor.« Österreich Wien, E. Hirschmann-Altzinger, 05.02.11 »Was diesen Krimi lesenswert macht, sind die Charaktere. Die Hingabe, mit der der Autor ihnen die Päckchen schnürt, die sie zu tragen haben, zieht den Leser in ihren Bann.« Financial Times Deutschland, 08.06.11 »Voll grandioser literarischer Phantasie und subtiler Ironie.« Literaturen, Juli/August
Kommentar zu "Fakire"
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