Familiengeheimnis
Romeo und Julia in der Hansestadt Bremen am Ende der siebziger Jahre: Zwei verfeindete Juristenfamilien und dazwischen zwei Menschen, die ihre Liebe retten wollen.
Deutschland in den...
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Romeo und Julia in der Hansestadt Bremen am Ende der siebziger Jahre: Zwei verfeindete Juristenfamilien und dazwischen zwei Menschen, die ihre Liebe retten wollen.
Deutschland in den Jahren 1977/78. Die so genannte »bleierne« Zeit. Sie hat auch vor den Häusern der beiden verfeindeten Anwaltsfamilien Huneus und van Bergen nicht halt gemacht. Gabriele und Wolfgang versuchen ihr zu trotzen, indem sie sich ihre Liebe schwören. Doch ein übereifriger Journalist hat die Vergangenheit des Hauses Huneus recherchiert und ist dabei auf ein schreckliches Geheimnis gestoßen.
Familiengiftvon Jürgen Alberts
LESEPROBE
AlsEmma Livingstone aus dem backsteinernen Bahnhof
trat,hielt sie inne. Zwei Tage war sie unterwegs gewesen,
Busseund Bahnen, die Fähre und wieder die Eisenbahn benutzend,
umnach fünfundzwanzig Jahren die Stadt zu betreten,
diesie für immer aus ihrem Gedächtnis hatte streichen
wollen.
Alleskam ihr fremd und gleichermaßen vertraut vor. Die
vierspurigeHochstraße, die den Blick auf die Innenstadt verwehrte,
derleer gefegte Bahnhofsvorplatz, auf dem zwei Losbuden
standen,die Sexshops und Spielsalons. Der alte
Mann,der den »Wachtturm« feilbot. Eine heftige Böe trieb
Abfallvor sich her.
»VersuchenSie doch auch mal Ihr Glück! Mit nur einem
Losden Haupttreffer erzielen! Eine Kreuzfahrt in die Karibik
fürzwei Personen im Gesamtwert von 15000 Mark.« Die
Lautsprecherstimmeließ Emma herumfahren. Solche Ansagen
hattees früher nicht gegeben.
Imbraunen Lederkoffer befand sich die gesamte Habe.
Sollich wirklich Am besten umdrehen, Ticket lösen,
schnellden Rückweg antreten. Noch kann ich umkehren.
DasMuseum auf der rechten Seite des Bahnhofsvorplatzes,
dassie als Schülerin einige Male aufgesucht hatte, zeigte
eineAusstellung mit asiatischen Kultgegenständen. Die ferne
Weltals letzter Ort der Hoffnung.
»Kannich Sie irgendwo hinfahren?«, fragte ein Taxifahrer,
dersie von der Seite ansprach.
»No, thanks, I dont need a taxi!«
»Warja nur ne Frage!«
DerMann in der Lederjacke ließ sie stehen.
AlsErstes muss ich diesen Koffer loswerden. Niemand
solltesie als Heimkehrerin erkennen.
Siewechselte hundert Pfund in D-Mark, erstaunt über den
günstigenKurs, gab ihren Koffer bei der Gepäckaufbewahrung
ab, only for a couple of hours, und stand wieder auf dem
Bahnhofsvorplatz.
EmmasBlick fiel auf eine Bäckerei. Hastig marschierte sie
los.Obwohl sie keinerlei Hunger verspürte.
Sieöffnete die Tür und fühlte sich umgehend wohler.
Emmastellte sich an, hatte genügend Zeit, den wunderbaren
Dufteinzuatmen, betrachtete die Auslagen an der rückwärtigen
Wand.In der Mitte ein Plakat, das eine strahlende
Morgensonneumringt von Weizenähren zeigte. Darunter
dieZeile: Unser täglich Brot kaufen wir hier!
White bread, brown bread, rolls and scones. Emma sahnichts,
wassie nicht selbst hätte backen können. Nur die Torten
würdenihr nicht auf Anhieb gelingen, aber mit ein bisschen
Übung
»Siesind an der Reihe.« Die Verkäuferin mit der weißen
Kappezeigte auf Emma.
»Nein,ich war vorher da«, kam es von der Seite. »Geben Sie
mirdrei Brötchen, aber nur krosse.«
DieVerkäuferin zuckte mit den Schultern und ließ Emma
stehen.Was soll ich kaufen, dachte sie. Vollkornbrot, Mischbrot,
Weltmeisterbrot.Richtig, Deutschland war Weltmeister
geworden,aber lag das nicht schon Jahrzehnte zurück? The
Germansare always weltmeisters, hatte sie in England häufiger
zuhören bekommen. Manchmal rollten deutsche Panzer
überdie Titelseiten englischer Boulevardgazetten.
»So,nun aber«, forderte die Verkäuferin sie auf.
»Ichhätte gerne ein Stück Butterkuchen«, sagte Emma. Mit
schwerembritischem Akzent. Dabei hatte sie sich geschworen,
aufkeinen Fall deutsch zu reden.
»Derist noch warm, ganz frisch. Wollen Sie ihn gleich auf
die Hand?«
»No thanks. How much?«
ZuEmmas Verblüffung wurde ihr der Preis auf Englisch
genannt.One Mark and ten Pfennigs.
Nunhatte sie Proviant, aber wusste nicht, wohin sie sich
wendensollte. Hinausfahren zur Villa, zu ihrer letzten Wohnung
oderzum Haus von Gabriele? Wohnte die überhaupt
nochda? Drei unterschiedliche Richtungen, drei Anläufe,
dreigänzlich verschiedene Lebensfahrten.
Langestudierte sie den Plan des Straßenbahnnetzes. Warum
setztdu dich nicht einfach in die Tram und fährst durch
dieGegend, bis du den Mut gefunden hast, jemandem zu begegnen,
dachtesie.
»Kannich Ihnen behilflich sein?«, fragte ein Mann in dunkelblauer
Uniform.An seiner Dienstmütze ein auf Hochglanz
poliertesAbzeichen in Rot und Weiß.
Emmafragte, wie sie zur Marcusallee komme. Sie sprach
nurden Straßennamen deutsch aus.
DerBeamte erklärte ihr in flüssigem Englisch, wie weit sie
mitder Linie 4 zu fahren habe. »Its your first time in our wonderful
city?«,fragte er freundlich.
»I was here before. Long time ago.«
»Nothing has changed, except of the Ossis.«
Emmahatte nicht ganz verstanden, was der Uniformierte
damitgemeint haben könnte, bedankte sich und ging zum
Schalter,um ein Ticket zu lösen. Wieder stellte sie sich in die
Reiheder Wartenden. »Halten Sie das passende Kleingeld bereit!
«,las sie in Druckbuchstaben über dem gläsernen Guckloch.
DieStraßenbahntarife, mein Gott, die Erhöhung des
Fahrpreisesum 20 Pfennig, damit hatte alles seinen Lauf genommen.
Ihreerste Demo. Besetzung der Schienen, Zehntausende
aufdem Marktplatz, Knüppelorgien der Polizei.
Berniehatten sie einen Schädelbasisbruch verpasst, die Veröffentlichung
inder Schülerzeitung, der Prozess Wie eine
Sturzflutkamen die Erinnerungen zurück.
Emmamusste sich festhalten. Ihre Rechte griff nach dem
Stehtischneben der Fahrkartenausgabe. Wie hatte diese Stadt
siedamals herausgefordert. Ins Visier genommen. Zum Objekt
heftigenStreites gemacht. Sie hatte sich nicht kleinkriegen
lassen.Nicht von diesem hanseatischen Spießertum, von
diesenkleinkarierten Juristen, nicht vom Herrgott und seinem
diktatorischenGehabe ob er noch lebte, der alte
Herr?Emma rechnete nach, er müsste in diesem Jahr hundert
werden.Hatte er nicht am 1. September Geburtstag?
Nochlange hin, sehr lange. An diesem Jubelfest würde sie
untergar keinen Umständen teilnehmen.
DieFahrt durch die Straßen. Fremd und vertraut. Die Fassaden
frischgestrichen, in altweiß, cremefarben oder grauweiß,
dieStraßenränder gesäumt mit Kastanien, Ahorn und
Platanen,die Stadtteile wie kleine Dörfer aneinander gereiht.
DieBürgerhäuser erst drei- bis vierstöckig, je weiter sie sich
vomBahnhof entfernte, zwei- bis anderthalbstöckig. Viele
Neubautenfüllten die Lücken, die im Zweiten Weltkrieg entstanden
waren.Hundertzweiundsiebzig Fliegerangriffe von
britischenBombern. Seltsam, dachte Emma, daß ich mich an
dieseZahl noch erinnere.
Siestieg an der Haltestelle Marcusallee aus.
Soforterhöhte sich ihr Puls.
Einpaar hundert Meter, mehr war es nicht.
Einpaar hundert Meter, bis zum steinernen Eisschrank, der
sichFamiliensitz nannte.
Emmahatte sich vorgenommen, an der Auffahrt stehen zu
bleiben.Keinen Fuß auf den Kiesweg setzen. Nur schauen,
nurkurz einen Blick auf die herrschaftliche Villa werfen.
Schonvon weitem sah sie den Baum, der noch mächtiger
gewordenwar. Die Blutbuche thronte in der Mitte des gewaltigen,
leichtabfallenden Rasenstücks und zeigte die ganze
Größeder Sippe Huneus. So hatte der Herrgott immer seine
Familiebezeichnet. Das Bäumchen war beim Einzug von
ihrerUrgroßmutter Helene gepflanzt worden. Beinahe wäre
siehundert geworden. Die bleiche Helene in ihrem Sarg, an
demEmma über Stunden gewacht hatte, ihre pompöse Beerdigung,
zuder Emma im grasgrünen Kleid erschienen war,
diegeheuchelten Beileidsbekundungen, der Bürgermeister,
dersie wegen ihres unpassenden Aufzuges angegangen war.
»Jedersollte die Farbe seiner Trauer selbst bestimmen dürfen!
«,hatte sie dem Bürgermeister damals erwidert. Ohne
jeglichenRespekt vor dem hohen Amt des stiernackigen Politikers.
Jenäher sie kam, desto langsamer wurden ihre Schritte.
Destoschneller schlug ihr Herz.
Dieprachtvolle Villa im matten Mittagslicht. Achtung: Sie
verlassenden demokratischen Sektor.
Emmalehnte sich an eine Kastanie, in gebührendem Abstand
aufder anderen Straßenseite. Ein klassizistischer Prachtbau
mitverzierten Fenstersimsen, einem säulenbewehrten
Eingangsportal,zu dem eine steinerne Treppe hinaufführte,
vierStockwerke kalte Pracht. Auch Gabriele war froh gewesen,
alssie diesem Eisschrank entflohen war.
Dieandauernden Streitereien beim sonntäglichen Pflichtdinner,
dieMaßregelungen, die Anordnungen des Herrgottes,
diepeinlich genau zu beachten waren. DerOhrfeigen-
Schlagabtauschzwischen ihrem Vater und ihr. All das kam
Emmawieder in den Sinn. Obwohl das ganze Haus voller
Juristenwar, hatte sie niemand verteidigt, als sie vor fünfundzwanzig
Jahrenwegen Verleumdung und Verbreitung
pornografischerSchriften angeklagt worden war. Feiglinge,
allesamtrückgratlose Feiglinge, denen die Reputation ihrer
ehrwürdigenSozietät wichtiger war als der eigene Spross.
Eindunkelblauer Mercedes brauste den Kiesweg herunter.
Dieweißen Steinchen spritzten zur Seite. Ohne an der Ausfahrt
anzuhaltenschnellte der Wagen heraus und beschleunigte
aufder baumbestandenen Allee.
MeinBruder, dachte Emma, das muss mein Bruder gewesen
sein.Sie verbarg sich schnell hinter einem Baumstamm.
Wersollte sie schon erkennen, in ihrem Tweedkostüm? Very
British.Manchmal war es besser, sich auffällig zu tarnen.
Unverkennbar,das war ihr Bruder Martin Thomas. Der
einziggeliebte Nachwuchs, dem alles in den Schoß fallen
würde,wenn die Altvordern das Zeitliche gesegnet hatten.
Hoffentlichwürde sie ihm nicht begegnen. Ich muss mich
inmein englisches Schneckenhaus zurückziehen. Ihn einfach
nichtzur Kenntnis nehmen. Dazu war der zwei Jahre
ältereMartin Thomas den beiden Schwestern zu oft in den
Rückengefallen. Nicht umsonst trug er den Titel: der Verräter.
Emmatrat den Rückweg an. Sie hatte genug gesehen. Ihr
wäreniemals in den Sinn gekommen, die steinerne Treppe
hinaufzugehenund an der Eingangspforte zu klingeln. Was
hättesie sagen sollen? Die verlorene Tochter ist wieder da.
Kannsich noch jemand an mich erinnern? Oder: Eins der
sechsundzwanzigZimmer wird doch wohl für mich frei
sein.Würde es überhaupt eine gemeinsame Sprache geben?
Außerder Sprache der Vorwürfe. Else und Kathrine, die beiden
Hausmädchen,waren gewiss schon tot. (...)
©Heyne Verlag
- Autor: Jürgen Alberts
- 2005, 412 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453400720
- ISBN-13: 9783453400726
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