Fenster zum Tod
Thriller
Bei einem seiner virtuellen Spaziergänge durch Manhattan zuckt Thomas vor seinem PC zusammen: Im Fenster eines Hauses ist eine menschliche Gestalt zu erkennen, über deren Kopf eine Plastiktüte zusammengezogen wird. Thomas ist fest...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Fenster zum Tod “
Bei einem seiner virtuellen Spaziergänge durch Manhattan zuckt Thomas vor seinem PC zusammen: Im Fenster eines Hauses ist eine menschliche Gestalt zu erkennen, über deren Kopf eine Plastiktüte zusammengezogen wird. Thomas ist fest überzeugt, einen Mord beobachtet zu haben. Doch am nächsten Tag ist die Aufnahme verschwunden, und niemand schenkt ihm Glauben - denn er leidet an Schizophrenie. Dabei sind ihm die Verfolger längst auf den Fersen.
Klappentext zu „Fenster zum Tod “
Bei einem virtuellen Spaziergang am Computer durch Manhattan ist Thomas vor Schreck wie gelähmt: Im Fenster eines Hauses ist eine menschliche Gestalt zu erkennen, über deren Kopf eine Plastiktüte zusammengezogen wird. Thomas ist fest überzeugt, einen Mord beobachtet zu haben. Doch niemand schenkt ihm Glauben denn er leidet an Schizophrenie. Und am nächsten Tag ist die Aufnahme verschwunden. Hat er sich alles nur eingebildet? Barclays bislang bestes Buch, Hitchcock hätte die Geschichte geliebt. Großartige Unterhaltung ein Meister der Spannung. (Stephen King)
Lese-Probe zu „Fenster zum Tod “
Fenster zum Tod von Linwood Barclay Prolog
... mehr
Reiner Zufall, dass er ausgerechnet in diesem Augenblick in die Orchard Street einbog und das Fenster sah. Es hätte ohne weiteres eine Woche später sein können. Oder einen Monat. Vielleicht sogar ein Jahr. Aber es sollte eben genau an diesem Tag sein.
Klar, irgendwann wäre er bestimmt hier entlanggewandert. Früher oder später führte ihn sein Weg in jede Straße. Eigentlich wollte er immer methodisch vorgehen - dem Verlauf einer Straße vom Anfang bis zum Ende folgen, dann links oder rechts in die letzte Querstraße abbiegen, bis zur nächsten Ecke laufen, da eine Parallelstraße nehmen und wieder in die Richtung gehen, aus der er gekommen war, so als schlendere er durch die Gänge im Supermarkt. Bei jeder neuen Stadt nahm er sich das ganz fest vor, doch immer kam ihm eine Querstraße buchstäblich in die Quere, irgendetwas erregte seine Aufmerksamkeit, und schon war es um seine guten Vorsätze geschehen.
Als er nach Manhattan gekommen war, war es genau dasselbe, obwohl sich Manhattan von allen Städten, die er schon besucht hatte, am besten dazu eignete, systematisch erforscht zu werden - jedenfalls die Stadtteile nördlich der 14.Straße, die in diesem perfekten Raster von Straßen und Avenues angelegt waren. Südlich davon, in West Village, Greenwich Village, SoHo, Chinatown, ja, da herrschte das totale Chaos, aber das machte ihm nichts aus. Schlimmer als in London oder Rom oder Paris oder Boston North End war es hier auch nicht, und diese Städte zu erforschen hatte ihm großen Spaß gemacht.
Er war von der Delancey Street nach Süden in die Orchard Street abgebogen, aber gestartet war er Ecke Spring Street und Mulberry Street. Von dort war er nach Süden bis zur Grand Street gelaufen, dann in westlicher Richtung bis zur Crosby, zurück nach Norden bis zur Prince, die Prince entlang nach Osten in die Elizabeth, dann nach Süden bis zur Kenmare und weiter nach Osten in die Delancey Street. An der Ecke Orchard Street entschied er sich, rechts abzubiegen.
Eine schöne Straße. Nicht in dem Sinne, dass hier Gärten, Springbrunnen und üppig belaubte Bäume die Gehsteige gesäumt hätten. Und auch nicht schön wie beispielsweise die Váci utca in Budapest oder die Avenue des Champs-Élyssées in Paris oder die Lombard Street in San Francisco, aber charaktervoll und geschichtsträchtig. Schmal und einspurig verlief sie von Süden nach Norden, flankiert von alten Backsteinhäusern. Mietskasernen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die nur selten mehr als vier Stockwerke hatten, oft sogar nur zwei oder drei. Die verschiedensten Epochen der Stadtgeschichte hatten hier ihre Spuren hinterlassen. Die Gebäude mit ihren Feuerleitern, die sich wie Skelette an die Fassaden klammerten, spiegelten den zu ihrer Entstehungszeit beliebten Neorenaissance-Stil wider: Bögen über den Fenstern, vorspringende steinerne Tür- und Fensterstürze, kunstvoll gemeißelte Blattornamente. Doch in den Läden im Erdgeschoss konnte man vom trendigen Café bis zur Edelboutique alles finden. Es gab aber auch ältere, traditionellere Geschäfte - einen Uniformladen, ein Immobilienbüro, einen Friseur, eine Galerie, ein Koffergeschäft. Viele der geschlossenen Geschäfte waren mit Rollgittern gesichert.
Er schlenderte mitten auf der Straße dahin. Um den Verkehr machte er sich keine Gedanken, nicht jetzt. Seiner Meinung nach entwickelte man das beste Gefühl für eine Gegend, wenn man mitten auf der Straße lief. Hier hatte man den besten Überblick. Man konnte geradeaus schauen oder von links nach rechts oder sich um die eigene Achse drehen und sich alles noch einmal ansehen. Für den Fall, dass es einmal schnell gehen musste, war es von Vorteil, seine Umgebung und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu kennen.
Was ihn an einer Stadt am meisten interessierte, war die räumliche Anordnung der Häuserblocks, die Architektur, die Infrastruktur - den Menschen, denen er auf seinen Wanderungen begegnete, schenkte er wenig Beachtung. Er begann keine Unterhaltungen. Es war ihm kein Bedürfnis, zu der Rothaarigen, die rauchend an einer Ecke stand, auch nur »Hallo« zu sagen. Es war ihm egal, ob die Frau mit ihrer Aufmachung möglicherweise irgendein Statement abgeben wollte - mit ihrer Lederjacke, ihrem Minirock und den schwarzen Strümpfen, die aussahen, als wären die Laufmaschen
absichtlich hineingemacht worden. Er würde auch die Frau mit der schwarzen Baseballkappe, die gerade vor ihm über die Straße schoss, nicht fragen, wie die Yankees sich ihrer Meinung nach dieses Jahr schlagen würden. Baseball interessierte ihn nicht, und er sah sich auch keine Spiele an. Und warum eine Gruppe von Menschen, denen Reiseführer aus den Jackentaschen lugten, einer Frau in ihrer Mitte lauschte, war ihm auch keine Frage wert. Wahrscheinlich war sie eine Fremdenführerin.
Als er zur Broome Street kam, fiel ihm an der Südostecke ein einladend aussehendes Restaurant mit kleinen weißen Tischen und gelben Plastikstühlen ins Auge. Aber niemand saß draußen. Auf einem Schild im Schaufenster stand: »Reinkommen und aufwärmen«. Er ging näher und spähte hinein. Hier saßen Leute, tranken Kaffee, arbeiteten an Laptops, lasen Zeitung.
In der Fensterscheibe spiegelte sich der Wagen wider. Ein unauffälliger Kleinwagen. Vielleicht ein Civic. Mit dieser Apparatur auf dem Dach. Den hatte er auf seinen Wanderungen immer wieder gesehen. So oft schon, dass er beinahe hätte glauben können, der Wagen verfolge ihn. Er verscheuchte diesen Gedanken und blickte durch das Glas hindurch in das Restaurant hinein.
Am liebsten wäre er hineingegangen und hätte sich einen Latte macchiato oder einen Cappuccino bestellt. Er konnte den Kaffee beinahe riechen. Aber er musste weiter. Er musste sich noch so viel auf der Welt ansehen, und die Zeit war so knapp. Morgen wollte er nach Montreal und, je nachdem, wie er dort vorankam, am Tag darauf nach Madrid.
Doch dieser Ort würde ihm im Gedächtnis bleiben. Das Schild im Fenster, die Tische und Stühle vor dem Lokal. Die anderen Läden in der Orchard Street. Die schmalen Passagen zwischen den Gebäuden. Und alles, was er auf der Spring und der Mulberry Street gesehen hatte. Auf der Grand und der Crosby. Der Prince und der Elizabeth, der Kenmare und der Delancey.
An alles würde er sich erinnern.
Er hatte ungefähr ein Drittel der Strecke zwischen der Broome Street und der nächsten Querstraße zurückgelegt, als er nach oben sah.
Und da kam der eigentliche Zufall ins Spiel. Dass er in die Orchard Street gelangt war, war nicht weiter bemerkenswert. Aber dass er nach oben sah. Das tat er nicht immer. Er prägte sich die Läden ein, las die Schilder in den Schaufenstern, betrachtete die Menschen in den Cafés, merkte sich die Hausnummern, aber nur selten hob er den Blick und sah über das Erdgeschoss oder den ersten Stock
hinaus. Manchmal dachte er einfach nicht daran, manchmal hatte er keine Zeit dazu. Er hätte ohne weiteres diese Straße entlanggehen und nicht zu diesem speziellen Fenster in diesem speziellen Mietshaus hochsehen können.
Dann dachte er wieder, dass von Zufall gar keine Rede sein konnte. Vielleicht sollte er dieses Fenster sehen. Vielleicht war es eine Probe der besonderen Art, auf die er da gestellt wurde. Um zu beweisen, dass er bereit war. Er selbst war sich sicher, aber die, die sich seine Talente zunutze machen würden - die mussten noch überzeugt werden, ehe sie seine Dienste in Anspruch nahmen.
Es war ein Fenster im zweiten Stock. Im Erdgeschoss des Hauses gab es einen Tabak- und Zeitschriftenladen - im Schaufenster spiegelte sich schon wieder dieser Wagen - und noch ein zweites Geschäft, einen Laden für Damenschals. Das Fenster war horizontal in zwei Scheiben geteilt, mit einem vorgebauten Klimagerät, das die Hälfte der unteren Scheibe verdeckte. Etwas Weißes oberhalb der Klimaanlage hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
Auf den ersten Blick sah es aus wie einer dieser Styroporköpfe, die in Kaufhäusern und Friseursalons zur Präsentation von Perücken benutzt wurden. Irgendwie komisch, so ein Ding ans Fenster zu stellen, dachte er. Ein kahler, gesichtsloser, weißer Kopf, der die Orchard Street beobachtete. Aber wahrscheinlich gab es nichts, was man an Fenstern in New York nicht finden konnte. Wäre es seiner gewesen, hätte er dem Kopf wenigstens eine Sonnenbrille aufgesetzt, um ihm ein Minimum an Persönlichkeit zu verleihen. Ein bisschen was Extravagantes. Obwohl extravagant zugegebenermaßen nicht unbedingt das Wort war, das Menschen als Erstes zu ihm einfi el.
Doch je länger er den Kopf betrachtete, desto größer wurden seine Zweifel, dass er aus Styropor war. Dazu war die Oberfläche nicht matt genug. Ja, zu glatt und glänzend war sie. Plastik vielleicht, wie die Tüten, die man in Supermärkten bekam, oder in Reinigungen, aber nicht die ganz durchsichtigen.
Das wollte er sich genauer ansehen. Dieses weiße, beinahe runde Ding am Fenster hatte nämlich trotz allem die Form eines Kopfes. Das Plastik spannte über einer Ausbuchtung, die eigentlich nur, eine Nase sein konnte. Es bedeckte etwas, das oben einer Stirn und unten einem Kinn ähnelte. Man konnte sogar die Andeutung eines Mundes sehen, die Lippen geöffnet, wie zum Luftschnappen.
Oder zum Schreien.
Sieht aus, als ob sich einer einen weißen Strumpf über den Kopf gezogen hat, dachte er. Dennoch hatte der Glanz des Materials mehr Ähnlichkeit mit Plastik.
Sehr gescheit war das ja nicht. Sich eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen. Davon konnte man doch,ersticken!
Man müsste an der Plastiktüte ziehen, müsste sie von hinten zusammendrehen, damit sie sich so eng ans Gesicht schmiegte. Aber sonst war von dieser Person nichts zu sehen, weder die Arme noch die Hände, die das taten.
War da vielleicht jemand anderes am Werk?
Oh. Oh, nein.
War es das, was er gerade beobachtete? Wie ein Mensch einem anderen eine Tüte über den Kopf zog? Ihm die Luft abdrückte? Ihn erstickte? Sah der Mund deshalb so aus, als ränge er nach Atem?
Mit wem wurde das gerade gemacht? Mit einem Mann? Einer Frau? Und wer machte das?
Plötzlich musste er an den Jungen am Fenster denken. An einem anderen Fenster. Vor vielen Jahren.
Aber der Mensch an diesem Fenster, in diesem Moment, der sah nicht aus wie ein Junge. Oder ein Mädchen. Das hier war ein Erwachsener.
Ein Erwachsener, dessen Leben zu Ende ging.
Auf jeden Fall sah es so aus.
Er spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Auf seinen Reisen hatte er auch früher schon so manches gesehen. Manches, das nicht in Ordnung war.
Aber das war nichts im Vergleich zu dem hier. Keinen Mord. Noch nie.
Und das hier war ein Mord. Da war er sich ganz sicher.
Er schrie nicht. Er griff nicht nach einem Handy in seiner Jacke, um den Notruf zu wählen. Er rannte auch nicht in den nächsten Laden, um jemanden aufzufordern, die Polizei zu rufen. Und er stürmte nicht in das Haus, raste nicht zwei Stockwerke hoch, in der Hoffnung, verhindern zu können, was hinter diesem Fenster geschah.
Er streckte nur zaghaft die Hand aus, als könne er das Gesicht dieses Erstickenden im zweiten Stock berühren, könne ertasten, was er oder sie da um den Kopf gewickelt hatte, irgendwie feststellen, ob - Klopf, klopf.
Dann, vielleicht konnte er dann besser verstehen, was gerade geschah, mit diesem Menschen am - Klopf, klopf.
Gebannt starrte er auf das, was an diesem Fenster zu sehen war, und begriff zunächst gar nicht, dass jemand ihn auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Jemand war an der Tür.
Er nahm die Hand von der Maus, drehte sich mit seinem gepolsterten Stuhl herum und sagte: »Ja?«
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Aus dem Flur sagte jemand: »Schwing deinen Hintern runter zum Abendessen, Thomas.«
»Was gibt's denn?«, fragte er.
»Hamburger. Vom Grill.«
»Ist gut«, sagte der Mann auf dem Computerstuhl mit unbeteiligter Stimme.
Er drehte sich wieder um und konzentrierte sich wieder auf das Standbild auf seinem extragroßen Computerbildschirm. Auf den verschwommenen weißen, verpackten Kopf, der dort schwebte. Wie eine Geistererscheinung.
Hatte das damals jemand gesehen? Hatte jemand nach oben geblickt?
Den Jungen am Fenster hatte niemand gesehen. Niemand hatte nach oben geschaut. Niemand hatte ihm geholfen.
Der Mann ließ das Bild auf dem Bildschirm, damit er es gründlich inspizieren konnte, wenn er nach dem Abendessen zurückkam. Dann würde er entscheiden, was er tun wollte.
1. Kapitel
»Komm doch rein, Ray.«
Harry Peyton schüttelte mir die Hand, führte mich in sein Büro und deutete auf den roten Ledersessel vor seinem Schreibtisch. Er war ungefähr so alt wie mein Vater, sah aber Jahre jünger aus. Er war eins achtzig groß und schlank, und sein Kopf war glatt wie eine Melone. Kahlköpfige Männer wirkten oft älter als sie tatsächlich waren, doch bei Harry war das anders. Er war Langstreckenläufer, und sein teurer Anzug saß wie eine zweite Haut. Sein Schreibtisch war der sichtbare Beweis für seine Ordnungsliebe. Ein Computermonitor, eine Tastatur, eines der neuesten Smartphones. Und ein Aktenhefter. Sonst war der Tisch leer wie eine Leinwand vor dem ersten Pinselstrich.
»Ich möchte dir noch mal sagen, wie leid es mir tut«, sagte Harry. »Es gibt so viel, das man über deinen Vater sagen kann, aber Reverend Clayton hat es sehr schön zusammengefasst. Adam Kilbride war ein guter Mensch.«
Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ja, dafür, dass er Dad gar nicht kannte, hat der Pfarrer seine Sache recht gut gemacht. Dad war kein großer Kirchgänger. Wir können wahrscheinlich von Glück sagen, dass wir überhaupt jemand gefunden haben. Danke, dass Sie zur Beerdigung gekommen sind. Damit waren wir fast ein rundes Dutzend.«
Wir waren zu elft gewesen, den Pfarrer und mich eingeschlossen. Harry war da und drei von Dads Kollegen aus der Firma, bei der er gearbeitet hatte, darunter auch sein ehemaliger Boss, Len Prentice, und dessen Frau Marie. Dazu noch ein Freund von Dad, der eine Eisenwarenhandlung in Promise Falls geführt hatte, bis der Heimwerkermarkt am Stadtrand eröffnete und ihn arbeitslos machte. Außerdem war Dads jüngerer Bruder Ted mit seiner Frau Roberta aus Cleveland gekommen, und eine Nachbarin von Dad, eine Frau namens Hannah, keine Ahnung, wie sie mit Nachnamen hieß. Und dann war da noch eine Frau, die Thomas und ich von der Highschool kannten, Julie McGill. Sie arbeitete beim Promise Falls Standard, der Lokalzeitung, und hatte den Artikel über Dads Unfall geschrieben. Sie war nicht gekommen, um über die Beerdigung zu berichten - zwar hatten die Umstände von Dads Tod für eine gewisse Aufmerksamkeit gesorgt, doch war er weder Bürger des Jahres, noch Präsident des Rotary-Club oder etwas in der Art gewesen. Seine Verdienste um die Gesellschaft hatten nicht den geringsten Nachrichtenwert. Julie war einfach nur gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Im Beerdigungsinstitut blieben eine Menge Eiersalat-Sandwiches übrig. Ich wurde genötigt, ein paar für meinen Bruder mit nach Hause zu nehmen. Ich hatte seine Abwesenheit damit erklärt, dass er sich nicht wohl fühle, aber niemand, zumindest niemand, der meinen Bruder kannte, nahm mir das ab. Auf der Heimfahrt war ich nahe daran, die Sandwiches aus dem Wagenfenster zu werfen. Sollten doch die Vögel sich daran gütlich tun und nicht mein Bruder. Aber ich tat es nicht. Ich brachte sie nach Hause, und sie wurden alle gegessen.
»Ich hatte gehofft, dein Bruder würde kommen«, sagte Harry. »Ich habe ihn schon lang nicht mehr gesehen.« Anfangs dachte ich, Harry meinte zu dieser Besprechung. Das wunderte mich, denn mein Bruder war ja nicht in der Lage, sich um den Nachlass unseres Vaters zu kümmern. Dann wurde mir klar, dass Harry die Beerdigung meinte.
»Tja, ich hab alles versucht«, sagte ich. »Krank war er jedenfalls nicht.«
»Dachte ich mir.«
»Ich wollte ihn überreden, aber es war sinnlos.«
Peyton schüttelte teilnahmsvoll den Kopf. »Euer Vater hat für ihn getan, was er konnte. Wie damals, bevor eure Mutter - Rose, Gott hab sie selig - von uns ging. Wie lange ist das jetzt her?«
»Das war 2005.«
»Danach muss es noch viel schwerer für ihn gewesen sein.«
»Damals war er noch bei P&L«, sagte ich. Die Druckerei Prentice und Long. »Er ist kurz darauf in Frührente gegangen. Ich glaube, daraufhin ist es richtig schlimm für ihn geworden. Den ganzen Tag im Haus zu sein. Das hat ihm wirklich aufs Gemüt geschlagen, aber er war nicht der Typ, der sich vor etwas drückte.« Ich biss mir auf die Lippe.
»Mom ... sie hat es irgendwie geschafft, sich nicht unterkriegen zu lassen. Für sie war es immer leichter, sich mit den Tatsachen abzufi nden, als für Dad.«
Übersetzung: Silvia Visintini
© 2012 Knaur Verlag
Reiner Zufall, dass er ausgerechnet in diesem Augenblick in die Orchard Street einbog und das Fenster sah. Es hätte ohne weiteres eine Woche später sein können. Oder einen Monat. Vielleicht sogar ein Jahr. Aber es sollte eben genau an diesem Tag sein.
Klar, irgendwann wäre er bestimmt hier entlanggewandert. Früher oder später führte ihn sein Weg in jede Straße. Eigentlich wollte er immer methodisch vorgehen - dem Verlauf einer Straße vom Anfang bis zum Ende folgen, dann links oder rechts in die letzte Querstraße abbiegen, bis zur nächsten Ecke laufen, da eine Parallelstraße nehmen und wieder in die Richtung gehen, aus der er gekommen war, so als schlendere er durch die Gänge im Supermarkt. Bei jeder neuen Stadt nahm er sich das ganz fest vor, doch immer kam ihm eine Querstraße buchstäblich in die Quere, irgendetwas erregte seine Aufmerksamkeit, und schon war es um seine guten Vorsätze geschehen.
Als er nach Manhattan gekommen war, war es genau dasselbe, obwohl sich Manhattan von allen Städten, die er schon besucht hatte, am besten dazu eignete, systematisch erforscht zu werden - jedenfalls die Stadtteile nördlich der 14.Straße, die in diesem perfekten Raster von Straßen und Avenues angelegt waren. Südlich davon, in West Village, Greenwich Village, SoHo, Chinatown, ja, da herrschte das totale Chaos, aber das machte ihm nichts aus. Schlimmer als in London oder Rom oder Paris oder Boston North End war es hier auch nicht, und diese Städte zu erforschen hatte ihm großen Spaß gemacht.
Er war von der Delancey Street nach Süden in die Orchard Street abgebogen, aber gestartet war er Ecke Spring Street und Mulberry Street. Von dort war er nach Süden bis zur Grand Street gelaufen, dann in westlicher Richtung bis zur Crosby, zurück nach Norden bis zur Prince, die Prince entlang nach Osten in die Elizabeth, dann nach Süden bis zur Kenmare und weiter nach Osten in die Delancey Street. An der Ecke Orchard Street entschied er sich, rechts abzubiegen.
Eine schöne Straße. Nicht in dem Sinne, dass hier Gärten, Springbrunnen und üppig belaubte Bäume die Gehsteige gesäumt hätten. Und auch nicht schön wie beispielsweise die Váci utca in Budapest oder die Avenue des Champs-Élyssées in Paris oder die Lombard Street in San Francisco, aber charaktervoll und geschichtsträchtig. Schmal und einspurig verlief sie von Süden nach Norden, flankiert von alten Backsteinhäusern. Mietskasernen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die nur selten mehr als vier Stockwerke hatten, oft sogar nur zwei oder drei. Die verschiedensten Epochen der Stadtgeschichte hatten hier ihre Spuren hinterlassen. Die Gebäude mit ihren Feuerleitern, die sich wie Skelette an die Fassaden klammerten, spiegelten den zu ihrer Entstehungszeit beliebten Neorenaissance-Stil wider: Bögen über den Fenstern, vorspringende steinerne Tür- und Fensterstürze, kunstvoll gemeißelte Blattornamente. Doch in den Läden im Erdgeschoss konnte man vom trendigen Café bis zur Edelboutique alles finden. Es gab aber auch ältere, traditionellere Geschäfte - einen Uniformladen, ein Immobilienbüro, einen Friseur, eine Galerie, ein Koffergeschäft. Viele der geschlossenen Geschäfte waren mit Rollgittern gesichert.
Er schlenderte mitten auf der Straße dahin. Um den Verkehr machte er sich keine Gedanken, nicht jetzt. Seiner Meinung nach entwickelte man das beste Gefühl für eine Gegend, wenn man mitten auf der Straße lief. Hier hatte man den besten Überblick. Man konnte geradeaus schauen oder von links nach rechts oder sich um die eigene Achse drehen und sich alles noch einmal ansehen. Für den Fall, dass es einmal schnell gehen musste, war es von Vorteil, seine Umgebung und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu kennen.
Was ihn an einer Stadt am meisten interessierte, war die räumliche Anordnung der Häuserblocks, die Architektur, die Infrastruktur - den Menschen, denen er auf seinen Wanderungen begegnete, schenkte er wenig Beachtung. Er begann keine Unterhaltungen. Es war ihm kein Bedürfnis, zu der Rothaarigen, die rauchend an einer Ecke stand, auch nur »Hallo« zu sagen. Es war ihm egal, ob die Frau mit ihrer Aufmachung möglicherweise irgendein Statement abgeben wollte - mit ihrer Lederjacke, ihrem Minirock und den schwarzen Strümpfen, die aussahen, als wären die Laufmaschen
absichtlich hineingemacht worden. Er würde auch die Frau mit der schwarzen Baseballkappe, die gerade vor ihm über die Straße schoss, nicht fragen, wie die Yankees sich ihrer Meinung nach dieses Jahr schlagen würden. Baseball interessierte ihn nicht, und er sah sich auch keine Spiele an. Und warum eine Gruppe von Menschen, denen Reiseführer aus den Jackentaschen lugten, einer Frau in ihrer Mitte lauschte, war ihm auch keine Frage wert. Wahrscheinlich war sie eine Fremdenführerin.
Als er zur Broome Street kam, fiel ihm an der Südostecke ein einladend aussehendes Restaurant mit kleinen weißen Tischen und gelben Plastikstühlen ins Auge. Aber niemand saß draußen. Auf einem Schild im Schaufenster stand: »Reinkommen und aufwärmen«. Er ging näher und spähte hinein. Hier saßen Leute, tranken Kaffee, arbeiteten an Laptops, lasen Zeitung.
In der Fensterscheibe spiegelte sich der Wagen wider. Ein unauffälliger Kleinwagen. Vielleicht ein Civic. Mit dieser Apparatur auf dem Dach. Den hatte er auf seinen Wanderungen immer wieder gesehen. So oft schon, dass er beinahe hätte glauben können, der Wagen verfolge ihn. Er verscheuchte diesen Gedanken und blickte durch das Glas hindurch in das Restaurant hinein.
Am liebsten wäre er hineingegangen und hätte sich einen Latte macchiato oder einen Cappuccino bestellt. Er konnte den Kaffee beinahe riechen. Aber er musste weiter. Er musste sich noch so viel auf der Welt ansehen, und die Zeit war so knapp. Morgen wollte er nach Montreal und, je nachdem, wie er dort vorankam, am Tag darauf nach Madrid.
Doch dieser Ort würde ihm im Gedächtnis bleiben. Das Schild im Fenster, die Tische und Stühle vor dem Lokal. Die anderen Läden in der Orchard Street. Die schmalen Passagen zwischen den Gebäuden. Und alles, was er auf der Spring und der Mulberry Street gesehen hatte. Auf der Grand und der Crosby. Der Prince und der Elizabeth, der Kenmare und der Delancey.
An alles würde er sich erinnern.
Er hatte ungefähr ein Drittel der Strecke zwischen der Broome Street und der nächsten Querstraße zurückgelegt, als er nach oben sah.
Und da kam der eigentliche Zufall ins Spiel. Dass er in die Orchard Street gelangt war, war nicht weiter bemerkenswert. Aber dass er nach oben sah. Das tat er nicht immer. Er prägte sich die Läden ein, las die Schilder in den Schaufenstern, betrachtete die Menschen in den Cafés, merkte sich die Hausnummern, aber nur selten hob er den Blick und sah über das Erdgeschoss oder den ersten Stock
hinaus. Manchmal dachte er einfach nicht daran, manchmal hatte er keine Zeit dazu. Er hätte ohne weiteres diese Straße entlanggehen und nicht zu diesem speziellen Fenster in diesem speziellen Mietshaus hochsehen können.
Dann dachte er wieder, dass von Zufall gar keine Rede sein konnte. Vielleicht sollte er dieses Fenster sehen. Vielleicht war es eine Probe der besonderen Art, auf die er da gestellt wurde. Um zu beweisen, dass er bereit war. Er selbst war sich sicher, aber die, die sich seine Talente zunutze machen würden - die mussten noch überzeugt werden, ehe sie seine Dienste in Anspruch nahmen.
Es war ein Fenster im zweiten Stock. Im Erdgeschoss des Hauses gab es einen Tabak- und Zeitschriftenladen - im Schaufenster spiegelte sich schon wieder dieser Wagen - und noch ein zweites Geschäft, einen Laden für Damenschals. Das Fenster war horizontal in zwei Scheiben geteilt, mit einem vorgebauten Klimagerät, das die Hälfte der unteren Scheibe verdeckte. Etwas Weißes oberhalb der Klimaanlage hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
Auf den ersten Blick sah es aus wie einer dieser Styroporköpfe, die in Kaufhäusern und Friseursalons zur Präsentation von Perücken benutzt wurden. Irgendwie komisch, so ein Ding ans Fenster zu stellen, dachte er. Ein kahler, gesichtsloser, weißer Kopf, der die Orchard Street beobachtete. Aber wahrscheinlich gab es nichts, was man an Fenstern in New York nicht finden konnte. Wäre es seiner gewesen, hätte er dem Kopf wenigstens eine Sonnenbrille aufgesetzt, um ihm ein Minimum an Persönlichkeit zu verleihen. Ein bisschen was Extravagantes. Obwohl extravagant zugegebenermaßen nicht unbedingt das Wort war, das Menschen als Erstes zu ihm einfi el.
Doch je länger er den Kopf betrachtete, desto größer wurden seine Zweifel, dass er aus Styropor war. Dazu war die Oberfläche nicht matt genug. Ja, zu glatt und glänzend war sie. Plastik vielleicht, wie die Tüten, die man in Supermärkten bekam, oder in Reinigungen, aber nicht die ganz durchsichtigen.
Das wollte er sich genauer ansehen. Dieses weiße, beinahe runde Ding am Fenster hatte nämlich trotz allem die Form eines Kopfes. Das Plastik spannte über einer Ausbuchtung, die eigentlich nur, eine Nase sein konnte. Es bedeckte etwas, das oben einer Stirn und unten einem Kinn ähnelte. Man konnte sogar die Andeutung eines Mundes sehen, die Lippen geöffnet, wie zum Luftschnappen.
Oder zum Schreien.
Sieht aus, als ob sich einer einen weißen Strumpf über den Kopf gezogen hat, dachte er. Dennoch hatte der Glanz des Materials mehr Ähnlichkeit mit Plastik.
Sehr gescheit war das ja nicht. Sich eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen. Davon konnte man doch,ersticken!
Man müsste an der Plastiktüte ziehen, müsste sie von hinten zusammendrehen, damit sie sich so eng ans Gesicht schmiegte. Aber sonst war von dieser Person nichts zu sehen, weder die Arme noch die Hände, die das taten.
War da vielleicht jemand anderes am Werk?
Oh. Oh, nein.
War es das, was er gerade beobachtete? Wie ein Mensch einem anderen eine Tüte über den Kopf zog? Ihm die Luft abdrückte? Ihn erstickte? Sah der Mund deshalb so aus, als ränge er nach Atem?
Mit wem wurde das gerade gemacht? Mit einem Mann? Einer Frau? Und wer machte das?
Plötzlich musste er an den Jungen am Fenster denken. An einem anderen Fenster. Vor vielen Jahren.
Aber der Mensch an diesem Fenster, in diesem Moment, der sah nicht aus wie ein Junge. Oder ein Mädchen. Das hier war ein Erwachsener.
Ein Erwachsener, dessen Leben zu Ende ging.
Auf jeden Fall sah es so aus.
Er spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Auf seinen Reisen hatte er auch früher schon so manches gesehen. Manches, das nicht in Ordnung war.
Aber das war nichts im Vergleich zu dem hier. Keinen Mord. Noch nie.
Und das hier war ein Mord. Da war er sich ganz sicher.
Er schrie nicht. Er griff nicht nach einem Handy in seiner Jacke, um den Notruf zu wählen. Er rannte auch nicht in den nächsten Laden, um jemanden aufzufordern, die Polizei zu rufen. Und er stürmte nicht in das Haus, raste nicht zwei Stockwerke hoch, in der Hoffnung, verhindern zu können, was hinter diesem Fenster geschah.
Er streckte nur zaghaft die Hand aus, als könne er das Gesicht dieses Erstickenden im zweiten Stock berühren, könne ertasten, was er oder sie da um den Kopf gewickelt hatte, irgendwie feststellen, ob - Klopf, klopf.
Dann, vielleicht konnte er dann besser verstehen, was gerade geschah, mit diesem Menschen am - Klopf, klopf.
Gebannt starrte er auf das, was an diesem Fenster zu sehen war, und begriff zunächst gar nicht, dass jemand ihn auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Jemand war an der Tür.
Er nahm die Hand von der Maus, drehte sich mit seinem gepolsterten Stuhl herum und sagte: »Ja?«
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Aus dem Flur sagte jemand: »Schwing deinen Hintern runter zum Abendessen, Thomas.«
»Was gibt's denn?«, fragte er.
»Hamburger. Vom Grill.«
»Ist gut«, sagte der Mann auf dem Computerstuhl mit unbeteiligter Stimme.
Er drehte sich wieder um und konzentrierte sich wieder auf das Standbild auf seinem extragroßen Computerbildschirm. Auf den verschwommenen weißen, verpackten Kopf, der dort schwebte. Wie eine Geistererscheinung.
Hatte das damals jemand gesehen? Hatte jemand nach oben geblickt?
Den Jungen am Fenster hatte niemand gesehen. Niemand hatte nach oben geschaut. Niemand hatte ihm geholfen.
Der Mann ließ das Bild auf dem Bildschirm, damit er es gründlich inspizieren konnte, wenn er nach dem Abendessen zurückkam. Dann würde er entscheiden, was er tun wollte.
1. Kapitel
»Komm doch rein, Ray.«
Harry Peyton schüttelte mir die Hand, führte mich in sein Büro und deutete auf den roten Ledersessel vor seinem Schreibtisch. Er war ungefähr so alt wie mein Vater, sah aber Jahre jünger aus. Er war eins achtzig groß und schlank, und sein Kopf war glatt wie eine Melone. Kahlköpfige Männer wirkten oft älter als sie tatsächlich waren, doch bei Harry war das anders. Er war Langstreckenläufer, und sein teurer Anzug saß wie eine zweite Haut. Sein Schreibtisch war der sichtbare Beweis für seine Ordnungsliebe. Ein Computermonitor, eine Tastatur, eines der neuesten Smartphones. Und ein Aktenhefter. Sonst war der Tisch leer wie eine Leinwand vor dem ersten Pinselstrich.
»Ich möchte dir noch mal sagen, wie leid es mir tut«, sagte Harry. »Es gibt so viel, das man über deinen Vater sagen kann, aber Reverend Clayton hat es sehr schön zusammengefasst. Adam Kilbride war ein guter Mensch.«
Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ja, dafür, dass er Dad gar nicht kannte, hat der Pfarrer seine Sache recht gut gemacht. Dad war kein großer Kirchgänger. Wir können wahrscheinlich von Glück sagen, dass wir überhaupt jemand gefunden haben. Danke, dass Sie zur Beerdigung gekommen sind. Damit waren wir fast ein rundes Dutzend.«
Wir waren zu elft gewesen, den Pfarrer und mich eingeschlossen. Harry war da und drei von Dads Kollegen aus der Firma, bei der er gearbeitet hatte, darunter auch sein ehemaliger Boss, Len Prentice, und dessen Frau Marie. Dazu noch ein Freund von Dad, der eine Eisenwarenhandlung in Promise Falls geführt hatte, bis der Heimwerkermarkt am Stadtrand eröffnete und ihn arbeitslos machte. Außerdem war Dads jüngerer Bruder Ted mit seiner Frau Roberta aus Cleveland gekommen, und eine Nachbarin von Dad, eine Frau namens Hannah, keine Ahnung, wie sie mit Nachnamen hieß. Und dann war da noch eine Frau, die Thomas und ich von der Highschool kannten, Julie McGill. Sie arbeitete beim Promise Falls Standard, der Lokalzeitung, und hatte den Artikel über Dads Unfall geschrieben. Sie war nicht gekommen, um über die Beerdigung zu berichten - zwar hatten die Umstände von Dads Tod für eine gewisse Aufmerksamkeit gesorgt, doch war er weder Bürger des Jahres, noch Präsident des Rotary-Club oder etwas in der Art gewesen. Seine Verdienste um die Gesellschaft hatten nicht den geringsten Nachrichtenwert. Julie war einfach nur gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Im Beerdigungsinstitut blieben eine Menge Eiersalat-Sandwiches übrig. Ich wurde genötigt, ein paar für meinen Bruder mit nach Hause zu nehmen. Ich hatte seine Abwesenheit damit erklärt, dass er sich nicht wohl fühle, aber niemand, zumindest niemand, der meinen Bruder kannte, nahm mir das ab. Auf der Heimfahrt war ich nahe daran, die Sandwiches aus dem Wagenfenster zu werfen. Sollten doch die Vögel sich daran gütlich tun und nicht mein Bruder. Aber ich tat es nicht. Ich brachte sie nach Hause, und sie wurden alle gegessen.
»Ich hatte gehofft, dein Bruder würde kommen«, sagte Harry. »Ich habe ihn schon lang nicht mehr gesehen.« Anfangs dachte ich, Harry meinte zu dieser Besprechung. Das wunderte mich, denn mein Bruder war ja nicht in der Lage, sich um den Nachlass unseres Vaters zu kümmern. Dann wurde mir klar, dass Harry die Beerdigung meinte.
»Tja, ich hab alles versucht«, sagte ich. »Krank war er jedenfalls nicht.«
»Dachte ich mir.«
»Ich wollte ihn überreden, aber es war sinnlos.«
Peyton schüttelte teilnahmsvoll den Kopf. »Euer Vater hat für ihn getan, was er konnte. Wie damals, bevor eure Mutter - Rose, Gott hab sie selig - von uns ging. Wie lange ist das jetzt her?«
»Das war 2005.«
»Danach muss es noch viel schwerer für ihn gewesen sein.«
»Damals war er noch bei P&L«, sagte ich. Die Druckerei Prentice und Long. »Er ist kurz darauf in Frührente gegangen. Ich glaube, daraufhin ist es richtig schlimm für ihn geworden. Den ganzen Tag im Haus zu sein. Das hat ihm wirklich aufs Gemüt geschlagen, aber er war nicht der Typ, der sich vor etwas drückte.« Ich biss mir auf die Lippe.
»Mom ... sie hat es irgendwie geschafft, sich nicht unterkriegen zu lassen. Für sie war es immer leichter, sich mit den Tatsachen abzufi nden, als für Dad.«
Übersetzung: Silvia Visintini
© 2012 Knaur Verlag
... weniger
Autoren-Porträt von Linwood Barclay
Linwood Barclay stammt aus den USA, lebt aber seit seiner Kindheit in Kanada. Er arbeitete lange als Journalist und hatte eine beliebte Kolumne im Toronto Star. Seit dem Erscheinen seines ersten Thrillers Ohne ein Wort ist Barclay ein internationaler Bestsellerautor. Er hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in der Nähe von Toronto.
Bibliographische Angaben
- Autor: Linwood Barclay
- 2012, 589 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Visintini, Silvia
- Übersetzer: Silvia Visintini
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 3426213567
- ISBN-13: 9783426213568
- Erscheinungsdatum: 02.11.2012
Rezension zu „Fenster zum Tod “
"Eine Lektüre wie ein Sturzflug durch einen packenden plot." -- MDR Sachsen-Anhalt, 11.01.2013"Schon mit seinem letzten Coup, 'Weil ich euch liebte', hat mich Linwood Barclay überzeugt. Für diese geniale Idee und den irre spannenden Thriller hat er eine glatte EINS verdient!" -- Berliner Kurier online, 21.11.2012
"Trickreich, durchdacht, überraschend: Wer glaubt, diesen Thriller durchschaut zu haben, liegt völlig falsch!" -- Petra - Buch Special, 07.11.2012
"Mit FENSTER ZUM TOD gelingt Linwood Barclay ein äußerst spannender Thriller, der Anleihen von Alfred Hitchcocks Klassiker `Fenster zum HofŽ aufweist. Neben gelungen gestrickten Charakteren überzeugt FENSTER ZUM TOD vor allem mit seinen ausgeklügelten Handlungsebenen." -- Oberhessische Presse, 10.07.2013
"Spannend und wendungsreich erzählt Barclay ein vielschichtiges und faszinierendes Katz-und-Maus-Spiel." -- Blog Mamouliansgeschichten, 25.05.2013
"Dem Autor Linwood Barclay ist mit FENSTER ZUM TOD ist ein mitreißendes Buch im Stil von Alfred Hitchcock gelungen." -- Vorarlberger Nachrichten, 26.01.2013
"Ein überaus spannender Thriller voller unerwarteter Wendungen" -- Main-Echo, 19.01.2013
"Auf die Spuren von Altmeister Alfred Hitchcock begibt sich der Kanadier Linwood Barclay mit seinem Thriller. (...) Eine bemerkenswerte Killerin und die Annäherung der ungleichen Brüder ergeben einen klasse Mix." -- Neue Presse, 22.12.2012
"Politiker, Anwälte, Gangster und eine bemerkenswerte Killerin sorgen für jede Menge Spannung und Unterhaltung." -- Offenbach-Post, 21.12.2012
"Eine absolute Leseempfehlung für diesen intelligenten und spannend geschriebenen Thriller." -- Krimizeitschrift.de, 14.12.2012
"Spannend, handwerklich sauber." -- Hellweger Anzeiger, 17.11.2012
"Was dem Thriller außerdem einen besonderen Standard in diesem Genre verschafft, ist, dass es kein typischer blutiger Schmöker ist, sondern eher ein Kopf-Thriller, auch für Zartbesaitete." -- .rcn Magazin, Oktober
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2013
"Mitreißend!" -- TV Movie, 02/2013
"Mitreißend!" -- TV Movie, 02/2013
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